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Document 32018H0720(01)

    Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen

    ABl. C 257 vom 20.7.2018, p. 1–8 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    20.7.2018   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 257/1


    Begleitend zur Verfahrensordnung des Gerichtshofs (1) werden im vorliegenden Text die wesentlichen Merkmale des Vorabentscheidungsverfahrens und die Aspekte aufgezeigt, die die nationalen Gerichte berücksichtigen müssen, bevor sie den Gerichtshof anrufen; zugleich werden diesen Gerichten einige praktische Hinweise zur Form und zum Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens gegeben. Da ein solches Ersuchen nach erfolgter Übersetzung allen Beteiligten im Sinne des Art. 23 des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union zugestellt werden soll und die das Verfahren beendende Entscheidung ihrerseits in allen Amtssprachen der Europäischen Union veröffentlicht werden soll, ist der Abfassung des Vorabentscheidungsersuchens und insbesondere dem Schutz der personenbezogenen Daten der davon betroffenen natürlichen Personen hohe Aufmerksamkeit zu widmen.

    EMPFEHLUNGEN

    an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen

    (2018/C 257/01)

    Einleitung

    1.

    Die nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b des Vertrags über die Europäische Union (im Folgenden: EUV) und Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV) vorgesehene Vorlage zur Vorabentscheidung ist ein wichtiger Mechanismus des Rechts der Europäischen Union. Das Vorabentscheidungsverfahren soll die einheitliche Auslegung und Anwendung dieses Rechts in der Union gewährleisten, indem es den Gerichten der Mitgliedstaaten ein Instrument an die Hand gibt, das es ihnen ermöglicht, dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder zur Gültigkeit von Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.

    2.

    Das Vorabentscheidungsverfahren beruht auf einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten. Um die volle Wirksamkeit dieses Verfahrens zu gewährleisten, erscheint es erforderlich, auf seine wesentlichen Merkmale hinzuweisen und einige nähere Erläuterungen zu den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu geben, u. a. betreffend den Urheber und die Tragweite des Vorabentscheidungsersuchens sowie Form und Inhalt eines solchen Ersuchens. Diese Erläuterungen — die für alle Vorabentscheidungsersuchen gelten (I) — werden ergänzt durch Bestimmungen, die für besonders eilbedürftige Vorabentscheidungsersuchen gelten (II), sowie durch einen Anhang, in dem die wesentlichen Elemente des Vorabentscheidungsersuchens zusammenfassend dargestellt sind.

    I.   Für alle Vorabentscheidungsersuchen geltende Bestimmungen

    Urheber des Vorabentscheidungsersuchens

    3.

    Der Gerichtshof übt seine Befugnis, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts zu entscheiden, ausschließlich auf Initiative der nationalen Gerichte aus, und zwar unabhängig davon, ob die Parteien des Ausgangsrechtsstreits eine Anrufung des Gerichtshofs angeregt haben. Da das mit einem Rechtsstreit befasste nationale Gericht die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu tragen hat, ist es nämlich Sache dieses Gerichts — und allein dieses Gerichts —, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl zu beurteilen, ob ein Vorabentscheidungsersuchen für den Erlass seiner Entscheidung erforderlich ist, als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt.

    4.

    Der Gerichtshof legt den Begriff „Gericht“ als eigenständigen Begriff des Unionsrechts aus und stellt dabei auf eine Reihe von Faktoren ab, wie die gesetzliche Grundlage der ersuchenden Einrichtung, ihren ständigen Charakter, den obligatorischen Charakter ihrer Gerichtsbarkeit, ein streitiges Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch diese Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit.

    5.

    Die Gerichte der Mitgliedstaaten können den Gerichtshof mit einer Frage nach der Auslegung oder zur Gültigkeit des Unionsrechts befassen, wenn sie der Auffassung sind, dass für den Erlass ihrer Entscheidung eine Entscheidung des Gerichtshofs über diese Frage erforderlich ist (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV). Eine Vorlage zur Vorabentscheidung kann sich namentlich dann als besonders nützlich erweisen, wenn vor dem nationalen Gericht eine neue Auslegungsfrage aufgeworfen wird, die von allgemeiner Bedeutung für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts ist, oder wenn die vorhandene Rechtsprechung nicht die Hinweise zu bieten scheint, die in einem bisher noch nicht vorgekommenen rechtlichen oder tatsächlichen Rahmen erforderlich sind.

    6.

    Wird eine Frage im Rahmen eines Verfahrens vor einem Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ist dieses Gericht jedoch verpflichtet, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen (vgl. Art. 267 Abs. 3 AEUV), es sei denn, es liegt insoweit bereits eine gefestigte Rechtsprechung vor oder es bleibt kein Raum für vernünftige Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung der fraglichen Rechtsnorm.

    7.

    Des Weiteren ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass die nationalen Gerichte zwar die Möglichkeit haben, die vor ihnen gegen einen Rechtsakt eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union geltend gemachten Ungültigkeitsgründe zurückzuweisen. Allein der Gerichtshof ist jedoch befugt, einen solchen Rechtsakt für ungültig zu erklären. Hat ein Gericht eines Mitgliedstaats Zweifel an der Gültigkeit eines solchen Rechtsakts, muss es sich daher unter Angabe der Gründe, aus denen der Rechtsakt seiner Auffassung nach ungültig ist, an den Gerichtshof wenden.

    Gegenstand und Tragweite des Vorabentscheidungsersuchens

    8.

    Das Vorabentscheidungsersuchen muss sich auf die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts beziehen; es darf sich nicht auf die Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts oder auf Tatsachenfragen beziehen, die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits aufgeworfen werden.

    9.

    Der Gerichtshof kann über das Vorabentscheidungsersuchen nur entscheiden, wenn das Unionsrecht auf den Fall, um den es im Ausgangsverfahren geht, anwendbar ist. Insoweit ist es unerlässlich, dass das vorlegende Gericht alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte darlegt, aufgrund deren es zu der Annahme gelangt ist, dass im konkreten Fall Vorschriften des Unionsrechts anwendbar sind.

    10.

    Zu Vorabentscheidungsersuchen, die sich auf die Auslegung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beziehen, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen dieser Charta nach ihrem Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Unionsrechts gelten. Die Fälle einer solchen Durchführung können zwar vielfältig sein. Gleichwohl muss sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen klar und eindeutig ergeben, dass eine von der Charta verschiedene Vorschrift des Unionsrechts auf den Fall anwendbar ist, um den es im Ausgangsverfahren geht. Da der Gerichtshof nicht für die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen zuständig ist, wenn eine rechtliche Situation nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, können die möglicherweise vom vorlegenden Gericht angeführten Bestimmungen der Charta als solche keine entsprechende Zuständigkeit begründen.

    11.

    Schließlich berücksichtigt der Gerichtshof zwar bei seiner Entscheidung zwangsläufig den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits, wie ihn das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen dargelegt hat, jedoch wendet er das Unionsrecht nicht selbst auf diesen Rechtsstreit an. Wenn der Gerichtshof über die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts entscheidet, bemüht er sich, eine der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienliche Antwort zu geben. Die konkreten Konsequenzen aus dieser Antwort hat jedoch das vorlegende Gericht zu ziehen, indem es die für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärte nationale Bestimmung erforderlichenfalls unangewendet lässt.

    Der geeignete Zeitpunkt für eine Vorlage zur Vorabentscheidung

    12.

    Ein nationales Gericht kann ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten, sobald es feststellt, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts ankommt. In welchem Verfahrensstadium das Ersuchen zu stellen ist, kann das betreffende Gericht selbst am besten beurteilen.

    13.

    Allerdings bildet dieses Ersuchen die Grundlage des Verfahrens vor dem Gerichtshof, der über sämtliche Informationen verfügen muss, die es ihm ermöglichen, sowohl seine Zuständigkeit für die Beantwortung der vorgelegten Fragen zu prüfen als auch, wenn diese bejaht wird, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort auf diese Fragen zu geben. Daher ist es erforderlich, dass die Entscheidung über eine Vorlage zur Vorabentscheidung erst in einem Verfahrensstadium getroffen wird, in dem das vorlegende Gericht in der Lage ist, den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits und die rechtlichen Fragen, die dieser aufwirft, mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege kann es außerdem sinnvoll sein, wenn die Vorlage erst nach streitiger Verhandlung erfolgt.

    Form und Inhalt des Vorabentscheidungsersuchens

    14.

    Die Form des Vorabentscheidungsersuchens richtet sich nach den Verfahrensregeln des nationalen Rechts. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieses Ersuchen die Grundlage des Verfahrens vor dem Gerichtshof bildet und allen Beteiligten im Sinne des Art. 23 des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Satzung), insbesondere allen Mitgliedstaaten, übermittelt wird, um ihre etwaigen Stellungnahmen einzuholen. Aufgrund der damit verbundenen Notwendigkeit, das Vorabentscheidungsersuchen in alle Amtssprachen der Europäischen Union zu übersetzen, sollte das vorlegende Gericht das Ersuchen einfach, klar und präzise sowie ohne überflüssige Elemente abfassen. Die Erfahrung zeigt, dass ungefähr zehn Seiten oftmals ausreichen, um den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angemessen darzustellen.

    15.

    Die inhaltlichen Vorgaben für das Vorabentscheidungsersuchen sind in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs normiert und im Anhang des vorliegenden Dokuments nochmals zusammenfassend dargestellt. Außer den dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen muss das Vorabentscheidungsersuchen Folgendes enthalten:

    eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Vorlagefragen beruhen;

    den Inhalt der möglicherweise auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschriften und gegebenenfalls die einschlägige nationale Rechtsprechung;

    eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

    Fehlt eines oder mehrere der vorstehend aufgeführten Elemente, so ist es möglich, dass der Gerichtshof sich für unzuständig erklärt, über die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu entscheiden, oder das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückweist.

    16.

    Das vorlegende Gericht hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen die genauen Fundstellen zu den auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Vorschriften anzugeben und die Vorschriften des Unionsrechts, deren Auslegung begehrt oder deren Gültigkeit in Frage gestellt wird, genau zu bezeichnen. Das Ersuchen enthält gegebenenfalls eine kurze Zusammenfassung des wesentlichen Vorbringens der Parteien des Ausgangsrechtsstreits. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nur das Vorabentscheidungsersuchen übersetzt wird, nicht aber eventuelle Anlagen des Ersuchens.

    17.

    Das vorlegende Gericht kann auch knapp darlegen, wie die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen seines Erachtens beantwortet werden sollten. Dies kann sich für den Gerichtshof insbesondere dann als nützlich erweisen, wenn er im beschleunigten Verfahren oder im Eilverfahren über das Ersuchen entscheiden soll.

    18.

    Schließlich müssen die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen in einem gesonderten und klar kenntlich gemachten Teil der Vorlageentscheidung, vorzugsweise an deren Anfang oder Ende, aufgeführt sein. Sie müssen aus sich heraus verständlich sein, ohne dass eine Bezugnahme auf die Begründung des Ersuchens erforderlich ist.

    19.

    Um die Lektüre des Vorabentscheidungsersuchens zu erleichtern, ist es unbedingt erforderlich, dass es maschinengeschrieben beim Gerichtshof eingeht und dass die einzelnen Seiten und Absätze der Vorlageentscheidung nummeriert sind.

    20.

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist zu datieren und zu unterzeichnen und sodann der Kanzlei des Gerichtshof auf elektronischem Weg (DDP-GreffeCour@curia.europa.eu) oder per Post (Kanzlei des Gerichtshofs, Rue du Fort Niedergrünewald, L-2925 Luxemburg) zuzusenden. Wird das Vorabentscheidungsersuchen auf elektronischem Weg übermittelt, so ist parallel zum Original soweit möglich der Text des Ersuchens in einem editierbaren Format (Textverarbeitungssoftware wie „Word“, „Open Office“ oder „LibreOffice“) elektronisch zu übermitteln, um die Behandlung des Ersuchens durch den Gerichtshof und insbesondere seine Übersetzung in alle Amtssprachen der Europäischen Union zu erleichtern.

    21.

    Dem Vorabentscheidungsersuchen sind alle relevanten und für die Behandlung der Rechtssache durch den Gerichtshof nützlichen Unterlagen sowie insbesondere die genauen Kontaktdaten der Parteien des Ausgangsrechtsstreits und von deren etwaigen Vertretern sowie die Akten des Ausgangsverfahrens oder Kopien davon beizufügen. Diese Akten (bzw. die Kopien davon) — die auf elektronischem Weg oder per Post übermittelt werden können — werden während der gesamten Dauer des Verfahrens bei der Kanzlei aufbewahrt, wo sie vorbehaltlich anderslautender Anweisungen des vorlegenden Gerichts von den in Art. 23 der Satzung genannten Beteiligten eingesehen werden können.

    22.

    Zur Gewährleistung eines optimalen Schutzes personenbezogener Daten im Rahmen der Behandlung der Rechtssache durch den Gerichtshof, der Zustellung des Ersuchens an die Beteiligten im Sinne des Art. 23 der Satzung und der späteren Verbreitung der das Verfahren beendenden Entscheidung in allen Amtssprachen der Europäischen Union ist es wichtig, dass das vorlegende Gericht, das allein vollständige Kenntnis von den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hat, in seinem Vorabentscheidungsersuchen die Namen natürlicher Personen, die in dem Ersuchen genannt oder vom Ausgangsrechtsstreit betroffen sind, selbst anonymisiert und die Angaben, die ihre Identifizierung ermöglichen könnten, unkenntlich macht. Aufgrund der zunehmenden Nutzung neuer Informationstechnologien, insbesondere der Verwendung von Suchmaschinen, ist eine Anonymisierung, die nach der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens erfolgt, und erst recht eine solche, die nach dessen Zustellung an die Beteiligten im Sinne des Art. 23 der Satzung und der Veröffentlichung der Mitteilung zur betreffenden Rechtssache im Amtsblatt der Europäischen Union erfolgt, nämlich in weitem Maße ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt.

    Das Zusammenspiel zwischen Vorlage zur Vorabentscheidung und nationalem Verfahren

    23.

    Das vorlegende Gericht bleibt zwar, insbesondere im Rahmen eines Ersuchens um Prüfung der Gültigkeit, zuständig, einstweilige Maßnahmen zu erlassen; die Einreichung eines Vorabentscheidungsersuchens führt jedoch dazu, dass das nationale Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt wird.

    24.

    Der Gerichtshof bleibt mit einem Vorabentscheidungsersuchen zwar grundsätzlich so lange befasst, wie dieses nicht zurückgenommen worden ist. Jedoch ist insoweit die Rolle des Gerichtshofs im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens zu beachten, die darin besteht, einen Beitrag zur effektiven Rechtspflege in den Mitgliedstaaten zu leisten, und nicht darin, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben. Da das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass beim vorlegenden Gericht ein Rechtsstreit tatsächlich anhängig ist, ist dieses Gericht gehalten, den Gerichtshof über alle Verfahrensereignisse zu unterrichten, die sich auf die Vorlage auswirken können, insbesondere über eine Klage- oder Antragsrücknahme, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder ein anderes Ereignis, das die Erledigung des Verfahrens zur Folge hat. Das vorlegende Gericht hat den Gerichtshof außerdem über den etwaigen Erlass einer Entscheidung zu informieren, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergeht, der gegen die Vorlageentscheidung gerichtet ist, sowie über die Folgen, die diese Entscheidung für das Vorabentscheidungsersuchen hat.

    25.

    Im Interesse eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof und zur Gewährleistung seiner praktischen Wirksamkeit ist es jedoch erforderlich, dass diese Informationen dem Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit mitgeteilt werden. Die nationalen Gerichte sollten außerdem beachten, dass die Rücknahme eines Vorabentscheidungsersuchens sich auf die Bearbeitung ähnlicher (oder von Serien ähnlicher) Rechtssachen durch das vorlegende Gericht auswirken kann. Hängt der Ausgang mehrerer beim vorlegenden Gericht anhängiger Rechtssachen von der Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Gerichtshof ab, so ist es angezeigt, dass das vorlegende Gericht diese Rechtssachen im Vorabentscheidungsersuchen miteinander verbindet, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, die vorgelegten Fragen trotz der etwaigen Rücknahme bezüglich einer oder mehrerer Rechtssachen zu beantworten.

    Kosten und Prozesskostenhilfe

    26.

    Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof ist gerichtskostenfrei. Der Gerichtshof entscheidet nicht über die Kosten der Parteien des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits; diese Entscheidung ist Sache des vorlegenden Gerichts.

    27.

    Verfügt eine Partei des Ausgangsrechtsstreits nicht über ausreichende Mittel, so kann ihr der Gerichtshof Prozesskostenhilfe für die im Verfahren vor dem Gerichtshof entstehenden Kosten, insbesondere die Kosten der Vertretung, bewilligen. Diese Prozesskostenhilfe kann jedoch nur bewilligt werden, wenn die Partei nicht bereits auf nationaler Ebene Hilfe erhält oder diese die im Verfahren vor dem Gerichtshof entstehenden Kosten nicht — oder nur teilweise — abdeckt.

    Der Schriftverkehr zwischen dem Gerichtshof und dem nationalen Gericht

    28.

    Die Kanzlei des Gerichtshofs bleibt während der gesamten Dauer des Verfahrens mit dem vorlegenden Gericht in Verbindung und übermittelt ihm Kopien von allen Verfahrensunterlagen sowie gegebenenfalls die Ersuchen um Klarstellung oder Erläuterung, die für erforderlich erachtet werden, um die von diesem Gericht vorgelegten Fragen sachdienlich zu beantworten.

    29.

    Nach Abschluss des Verfahrens übermittelt die Kanzlei dem vorlegenden Gericht die Entscheidung des Gerichtshofs mit der Bitte, den Gerichtshof darüber zu informieren, welche Folgen diese Entscheidung im Ausgangsverfahren haben wird, und ihm seine Endentscheidung im Ausgangsverfahren mitzuteilen.

    II.   Für besonders eilbedürftige Vorabentscheidungsersuchen geltende Bestimmungen

    30.

    Unter den in Art. 23a der Satzung und den Art. 105 bis 114 der Verfahrensordnung genannten Voraussetzungen kann eine Vorlage zur Vorabentscheidung unter bestimmten Umständen einem beschleunigten Verfahren oder einem Eilverfahren unterworfen werden. Die Entscheidung, diese Verfahren durchzuführen, trifft der Gerichtshof auf gebührend begründeten Antrag des vorlegenden Gerichts, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darzulegen sind, die die Anwendung dieses Verfahrens bzw. dieser Verfahren rechtfertigen, oder, ausnahmsweise, von Amts wegen, wenn die Art oder die Umstände der Rechtssache dies zu erfordern scheinen.

    Die Voraussetzungen für die Anwendung des beschleunigten Verfahrens und des Eilverfahrens

    31.

    Nach Art. 105 der Verfahrensordnung kann eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung unterworfen werden, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert. Da dieses Verfahren alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Mitgliedstaaten, die ihre schriftlichen oder mündlichen Erklärungen in erheblich kürzeren als den üblichen Fristen abgeben müssen, erheblichen Zwängen unterwirft, darf seine Anwendung nur unter besonderen Umständen beantragt werden, die es rechtfertigen, dass sich der Gerichtshof rasch zu den Vorlagefragen äußert. Dass von der Entscheidung, die das vorlegende Gericht erlassen muss, nachdem es den Gerichtshof zur Vorabentscheidung angerufen hat, eine große Zahl von Personen oder Rechtsverhältnissen potenziell betroffen ist, stellt nach ständiger Rechtsprechung für sich keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der die Anwendung des beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte.

    32.

    Dies gilt erst recht für das Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung. Dieses Verfahren, das nur in den Bereichen statthaft ist, die von Titel V des Dritten Teils des AEUV über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erfasst sind, erlegt den daran Beteiligten nämlich noch größere Zwänge auf, da die Zahl der Beteiligten, die schriftliche Erklärungen einreichen dürfen, begrenzt wird und bei äußerster Dringlichkeit vom schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof ganz abgesehen werden kann. Dieses Verfahren darf daher nur beantragt werden, wenn es nach den Umständen absolut erforderlich ist, dass der Gerichtshof die Fragen des vorlegenden Gerichts in kürzester Zeit beantwortet.

    33.

    Insbesondere wegen der Vielfalt und des evolutiven Charakters der Vorschriften des Unionsrechts über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts können diese Umstände hier nicht erschöpfend aufgezählt werden. Ein nationales Gericht kann einen Antrag auf Eilvorabentscheidungsverfahren beispielsweise in folgenden Fällen in Betracht ziehen: in dem in Art. 267 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Fall des Freiheitsentzugs oder der Freiheitsbeschränkung, wenn die aufgeworfene Frage für die Beurteilung der Rechtsstellung des Betroffenen entscheidend ist, oder in einem Rechtsstreit über das elterliche Erziehungs- und Sorgerecht für Kleinkinder, wenn die Zuständigkeit des gemäß dem Unionsrecht angerufenen Gerichts von der Antwort auf die Vorlagefrage abhängt.

    Der Antrag auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens oder des Eilverfahrens

    34.

    Damit der Gerichtshof schnell entscheiden kann, ob das beschleunigte Verfahren oder das Eilvorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, muss der Antrag die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und insbesondere die Gefahren genau darlegen, die bei Anwendung des gewöhnlichen Verfahrens drohen. Soweit möglich, hat das vorlegende Gericht knapp anzugeben, wie die Vorlagefragen beantwortet werden sollten. Dies erleichtert nämlich die Stellungnahme der Parteien des Ausgangsrechtsstreits und der sonstigen Verfahrensbeteiligten und trägt damit zur Verfahrensbeschleunigung bei.

    35.

    In jedem Fall ist der Antrag auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens oder des Eilverfahrens in einer unmissverständlichen Form einzureichen, die es der Kanzlei ermöglicht, unmittelbar festzustellen, dass die Angelegenheit eine spezifische Behandlung erfordert. Zu diesem Zweck wird das vorlegende Gericht gebeten, anzugeben, welches der beiden Verfahren im konkreten Fall erforderlich ist, und in seinem Ersuchen auf den einschlägigen Artikel der Verfahrensordnung (Art. 105 über das beschleunigte Verfahren oder Art. 107 über das Eilverfahren) Bezug zu nehmen. Diese Angabe hat in seiner Vorlageentscheidung an herausgehobener Stelle zu stehen (z. B. im Kopf der Entscheidung oder in einem gesonderten gerichtlichen Schriftstück). Gegebenenfalls kann das vorlegende Gericht in einem Begleitschreiben in zweckdienlicher Weise auf diesen Antrag verweisen.

    36.

    Zur Vorlageentscheidung selbst wird darauf hingewiesen, dass es bei Vorliegen von Dringlichkeit umso wichtiger ist, dass sie knapp gefasst ist, als dies zur Schnelligkeit des Verfahrens beiträgt.

    Der Schriftverkehr zwischen dem Gerichtshof, dem vorlegenden Gericht und den Parteien des Ausgangsrechtsstreits

    37.

    Das Gericht, das die Anwendung des beschleunigten Verfahrens oder des Eilverfahrens beantragt, wird gebeten, diesen Antrag sowie die Vorlageentscheidung — zusammen mit dem Text dieser Entscheidung in einem editierbaren Format (Textverarbeitungssoftware wie „Word“, „Open Office“ oder „LibreOffice“) — per E-Mail (DDP-GreffeCour@curia.europa.eu) zu übermitteln.

    38.

    Um die spätere Kommunikation des Gerichtshofs sowohl mit dem vorlegenden Gericht als auch mit den Parteien des Ausgangsrechtsstreits zu erleichtern, wird das vorlegende Gericht außerdem gebeten, die E-Mail-Adresse und gegebenenfalls die Fax-Nummer des Gerichts, die der Gerichtshof verwenden kann, sowie die E-Mail-Adressen und gegebenenfalls die Fax-Nummern der Parteivertreter anzugeben.

    (1)  ABl. L 265 vom 29.9.2012, S. 1.


    ANHANG

    Die wesentlichen Elemente eines Vorabentscheidungsersuchens

    1.   Vorlegendes Gericht

    Das Vorabentscheidungsersuchen muss die genaue Bezeichnung des vorlegenden Gerichts und gegebenenfalls des das Ersuchen stellenden Spruchkörpers (Kammer, Senat usw.) sowie die vollständigen Kontaktdaten dieses Gerichts enthalten, um die spätere Kommunikation zwischen dem vorlegenden Gericht und dem Gerichtshof zu erleichtern.

    2.   Parteien des Ausgangsrechtsstreits und ihre Vertreter

    Auf die Bezeichnung des vorlegenden Gerichts folgt die Bezeichnung der Parteien des Ausgangsrechtsstreits und gegebenenfalls die Bezeichnung der diese vor dem vorlegenden Gericht vertretenden Personen. Falls es sich zum Schutz personenbezogener Daten als erforderlich erweist, anonymisiert das vorlegende Gericht das Vorabentscheidungsersuchen und macht zu diesem Zweck die Namen natürlicher Personen, die in dem Ersuchen genannt oder vom Ausgangsrechtsstreit betroffen sind, sowie alle Angaben, die ihre Identifizierung ermöglichen könnten, unkenntlich.

    Soweit das vorlegende Gericht über eine namentliche Fassung des Vorabentscheidungsersuchens, d. h. eine Fassung, in der die Namen und vollständigen Kontaktdaten der Parteien des Ausgangsrechtsstreits angegeben sind, und eine anonymisierte Fassung des Ersuchens verfügt, übermittelt es dem Gerichtshof beide Fassungen. Die anonymisierte Fassung wird nach erfolgter Übersetzung in alle Amtssprachen der Union allen Beteiligten im Sinne des Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs zugestellt und bildet die Grundlage für die Verbreitung und die Veröffentlichungen bezüglich der Rechtssache.

    3.   Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und maßgeblicher Sachverhalt

    Das vorlegende Gericht hat den Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und den maßgeblichen Sachverhalt, wie von ihm festgestellt oder für feststehend erachtet, kurz zu beschreiben.

    4.   Einschlägige Rechtsvorschriften

    Im Vorabentscheidungsersuchen sind die auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren nationalen Vorschriften, gegebenenfalls einschließlich der einschlägigen Gerichtsentscheidungen, sowie die Vorschriften des Unionsrechts, deren Auslegung begehrt oder deren Gültigkeit bezweifelt wird, genau anzugeben. Diese Angaben müssen vollständig sein und die Bezeichnung sowie die genaue Fundstelle der betreffenden Vorschriften und die Angaben zu deren Veröffentlichung umfassen. Soweit möglich, ist bei Zitaten aus der nationalen oder europäischen Rechtsprechung auch die ECLI-Nummer (European Case Law Identifier) der betreffenden Entscheidung anzugeben.

    5.   Begründung der Vorlage

    Der Gerichtshof kann über das Vorabentscheidungsersuchen nur entscheiden, wenn das Unionsrecht auf den Fall, um den es im Ausgangsverfahren geht, anwendbar ist. Das vorlegende Gericht muss daher die Gründe darlegen, aus denen es Zweifel hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit der Bestimmungen des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang darstellen, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt. Wenn es seiner Auffassung nach dem Verständnis der Rechtssache dienlich ist, kann das vorlegende Gericht an dieser Stelle das diesbezügliche Vorbringen der Parteien anführen.

    6.   Vorlagefragen

    Das vorlegende Gericht formuliert die Fragen, die es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegt, klar und gesondert. Die Fragen müssen aus sich heraus verständlich sein, ohne dass eine Bezugnahme auf die Begründung des Vorabentscheidungsersuchens erforderlich ist.

    Soweit möglich, legt das vorlegende Gericht auch knapp dar, wie die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen seines Erachtens beantwortet werden sollten.

    7.   Etwaiges Erfordernis einer spezifischen Behandlung

    Wenn das vorlegende Gericht der Auffassung ist, dass das Ersuchen, das es dem Gerichtshof vorlegt, einer spezifischen Behandlung bedarf — sei es bezüglich der Notwendigkeit, die Anonymität von Personen zu wahren, die vom Ausgangsrechtsstreit betroffen sind, sei es bezüglich einer etwaigen Eilbedürftigkeit, die eine rasche Bearbeitung durch den Gerichtshof erfordert —, sind die Gründe, die für eine solche Behandlung sprechen, im Vorabentscheidungsersuchen und gegebenenfalls im Begleitschreiben dazu substantiiert darzulegen.

    Formale Aspekte des Vorabentscheidungsersuchens

    Vorabentscheidungsersuchen sind so einzureichen, dass sie vom Gerichtshof leicht elektronisch verwaltet, insbesondere gescannt und einer optischen Zeichenerkennung unterzogen werden können. Hierfür sind folgende Vorgaben zu beachten:

    Das Ersuchen ist auf weißem unliniertem Papier im Format A4 maschinengeschrieben zu verfassen.

    Es ist eine gängige Schriftart (z. B. Times New Roman, Courier oder Arial) mit einer Schriftgröße von mindestens 12 pt im Haupttext und 10 pt in etwaigen Fußnoten zu verwenden, bei einem Zeilenabstand von 1,5 sowie einem Rand von mindestens 2,5 cm (sowohl links und rechts als auch oben und unten).

    Sämtliche Seiten des Ersuchens sowie die Absätze, aus denen es besteht, sind fortlaufend zu nummerieren.

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist zu datieren und zu unterzeichnen. Es ist zusammen mit den Akten des Ausgangsverfahrens entweder auf elektronischem Weg DDP-GreffeCour@curia.europa.eu) oder per Einschreiben an die Kanzlei des Gerichtshofs (Rue du Fort Niedergrünewald, L-2925 Luxemburg) zu übermitteln. Bei einer Übermittlung auf elektronischem Weg ist der Text des Ersuchens parallel zum Original des Vorabentscheidungsersuchens in einem editierbaren Format (Textverarbeitungssoftware wie „Word“ oder „Open Office“ oder „LibreOffice“) elektronisch zu übermitteln.

    Bei einem Antrag auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens oder des Eilverfahrens sollte der elektronische Weg für den Versand des Vorabentscheidungsersuchens im Original und in der editierbaren Fassung bevorzugt werden.


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