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Document 32017H0809(01)

    Empfehlung des Rates vom 11. Juli 2017 zum nationalen Reformprogramm Belgiens 2017 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Belgiens 2017

    ABl. C 261 vom 9.8.2017, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    9.8.2017   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 261/1


    EMPFEHLUNG DES RATES

    vom 11. Juli 2017

    zum nationalen Reformprogramm Belgiens 2017 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Belgiens 2017

    (2017/C 261/01)

    DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

    gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 121 Absatz 2 und Artikel 148 Absatz 4,

    gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (1), insbesondere auf Artikel 5 Absatz 2,

    auf Empfehlung der Europäischen Kommission,

    unter Berücksichtigung der Entschließungen des Europäischen Parlaments,

    unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates,

    nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses,

    nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses,

    nach Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz,

    nach Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaftspolitik,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1)

    Am 16. November 2016 nahm die Kommission den Jahreswachstumsbericht an, mit dem das Europäische Semester für wirtschaftspolitische Koordinierung 2017 eingeleitet wurde. Die Prioritäten des Jahreswachstumsberichts wurden am 9./10. März 2017 vom Europäischen Rat gebilligt. Am 16. November 2016 nahm die Kommission auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) den Warnmechanismus-Bericht an, in dem sie Belgien nicht als einen der Mitgliedstaaten nannte, für die eine eingehende Überprüfung durchzuführen sei. Am selben Tag nahm die Kommission auch eine Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets an, die am 9./10. März 2017 vom Europäischen Rat gebilligt wurde. Am 21. März 2017 nahm der Rat die Empfehlung zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (im Folgenden „Empfehlung für das Euro-Währungsgebiet“) (3) an.

    (2)

    Als Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, und angesichts der engen Verflechtungen zwischen den Volkswirtschaften in der Wirtschafts- und Währungsunion sollte Belgien die vollständige und fristgerechte Umsetzung der Empfehlung für das Euro-Währungsgebiet, die in den nachstehenden Empfehlungen 1 und 2 ihren Niederschlag findet, sicherstellen.

    (3)

    Der Länderbericht Belgien 2017 wurde am 22. Februar 2017 veröffentlicht. Darin wurden die Fortschritte Belgiens bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen des Rates vom 12. Juli 2016, bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen der Vorjahre und bei der Verwirklichung seiner nationalen Ziele im Rahmen von Europa 2020 bewertet.

    (4)

    Am 28. April 2017 übermittelte Belgien sein nationales Reformprogramm 2017 und sein Stabilitätsprogramm 2017. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

    (5)

    Die einschlägigen länderspezifischen Empfehlungen wurden bei der Programmplanung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) für den Zeitraum 2014-2020 berücksichtigt. Gemäß Artikel 23 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) kann die Kommission einen Mitgliedstaat zur Überarbeitung seiner Partnerschaftsvereinbarung und der jeweiligen Programme und zur Unterbreitung von Änderungsvorschlägen auffordern, wenn dies für die Förderung der Umsetzung der einschlägigen Empfehlungen des Rates notwendig ist. In den Leitlinien für die Anwendung von Maßnahmen zur Schaffung einer Verbindung zwischen der Wirksamkeit der ESI-Fonds und der ordnungsgemäßen wirtschaftspolitischen Steuerung hat die Kommission erläutert, wie sie diese Bestimmung anzuwenden gedenkt.

    (6)

    Belgien befindet sich derzeit in der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts und unterliegt der Schuldenregel. In ihrem Stabilitätsprogramm 2017 veranschlagt die Regierung eine allmähliche Verbesserung des Gesamtsaldos von einem Defizit von 2,6 % des BIP im Jahr 2016 auf ein Defizit von 0,1 % des BIP im Jahr 2020. Das mittelfristige Haushaltsziel, d. h. ein strukturell ausgeglichener Haushalt, soll bis zum Jahr 2019 erreicht werden. Der neuberechnete (5) strukturelle Haushaltssaldo deutet jedoch noch immer auf ein Defizit von 0,3 % im Jahr 2019 hin. Nach einem Höchststand von fast 107 % des BIP im Jahr 2014 und einem Rückgang auf rund 106 % des BIP in den Jahren 2015 und 2016 wird die gesamtstaatliche Schuldenquote dem Stabilitätsprogramm 2017 zufolge bis 2020 voraussichtlich auf 99 % des BIP zurückgehen. Das makroökonomische Szenario, das diesen Haushaltsprojektionen zugrunde liegt, ist plausibel. Allerdings wurden die Maßnahmen, die zur Erreichung der ab 2018 anvisierten Defizitziele erforderlich sind, noch nicht spezifiziert; unter anderem deshalb geht die Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2017 davon aus, dass sich der strukturelle Saldo bei unveränderter Politik im Jahr 2018 verschlechtern wird.

    (7)

    Am 22. Mai 2017 veröffentlichte die Kommission einen Bericht nach Artikel 126 Absatz 3 AEUV, da Belgien 2016 keine ausreichenden Fortschritte im Hinblick auf die Einhaltung des Richtwerts für den Schuldenabbau erzielt hatte. In dem Bericht kam sie nach Bewertung aller einschlägigen Faktoren zu dem Schluss, dass das Schuldenstandskriterium derzeit als erfüllt gelten sollte. Im Jahr 2017 müssen jedoch zusätzliche haushaltspolitische Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass der Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel in den Jahren 2016 und 2017 weitgehend eingehalten wird.

    (8)

    Im Stabilitätsprogramm 2017 wird auf die signifikanten Haushaltsauswirkungen des außergewöhnlichen Flüchtlingszustroms und der Sicherheitsmaßnahmen in den Jahren 2016 und 2017 verwiesen, und es werden ausreichend Belege für Umfang und Art der zusätzlichen Haushaltsbelastung geliefert. Der Kommission zufolge beliefen sich die berücksichtigungsfähigen zusätzlichen Ausgaben im Jahr 2016 auf 0,08 % des BIP für den außergewöhnlichen Zustrom von Flüchtlingen und auf 0,05 % des BIP für Sicherheitsmaßnahmen. Für das Jahr 2017 werden die gegenüber dem Vorjahr zusätzlichen Auswirkungen der Sicherheitsmaßnahmen derzeit auf 0,01 % des BIP geschätzt. Nach Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 6 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 ist eine Berücksichtigung dieser zusätzlichen Ausgaben möglich, da der Flüchtlingszustrom und die akute terroristische Bedrohung außergewöhnliche Ereignisse mit signifikanten Auswirkungen auf den belgischen Haushalt darstellen, dessen Tragfähigkeit nicht infrage gestellt würde, wenn Belgien eine vorübergehende Abweichung vom Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel gestattet würde. Um den zusätzlichen flüchtlings- und sicherheitsspezifischen Kosten Rechnung zu tragen, wurde die erforderliche Anpassung in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel für 2016 daher nach unten korrigiert. Was 2017 anbelangt, so wird im Frühjahr 2018 auf der Grundlage der von den belgischen Behörden ermittelten Daten eine endgültige Bewertung vorgenommen, die auch die berücksichtigungsfähigen Beträge umfassen wird.

    (9)

    Am 12. Juli 2016 empfahl der Rat Belgien, im Jahr 2017 eine jährliche Haushaltskorrektur von mindestens 0,6 % des BIP in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel zu erreichen. Die Kommission geht in ihrer Frühjahrsprognose 2017 davon aus, dass 2017 die Gefahr einer gewissen Abweichung von der empfohlenen Anpassung besteht. Es besteht jedoch weiterhin die Gefahr einer erheblichen Abweichung von dem empfohlenen Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel für die Jahre 2016 und 2017. An dieser Annahme würde sich auch bei Abzug der Haushaltsauswirkungen des außergewöhnlichen Zustroms von Flüchtlingen und der Sicherheitsmaßnahmen von der empfohlenen Anpassung nichts ändern.

    (10)

    Im Jahr 2018 dürfte Belgien angesichts seiner Haushaltslage und insbesondere seines Schuldenstands eine weitere Anpassung an sein mittelfristiges Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts erreichen. Gemäß der gemeinsam vereinbarten Anpassungsmatrix nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt würde eine solche Anpassung erfordern, dass die nominale Wachstumsrate der gesamtstaatlichen Nettoprimärausgaben (6) im Jahr 2018 1,6 % nicht überschreitet. Dies würde einer jährlichen strukturellen Anpassung von mindestens 0,6 % des BIP entsprechen. Bei einer unveränderten Politik besteht 2018 die Gefahr einer erheblichen Abweichung von dieser Vorgabe. Belgien wird die Schuldenregel in den Jahren 2017 und 2018 prima facie voraussichtlich nicht einhalten. Insgesamt ist der Rat der Auffassung, dass ab 2017 weitere Maßnahmen erforderlich sein werden, um die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erfüllen. Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 sollte allerdings bei der Bewertung der Haushaltspläne und der Haushaltsergebnisse der Haushaltssaldo des Mitgliedstaats vor dem Hintergrund der Konjunkturbedingungen berücksichtigt werden. Wie die Kommission bereits in ihrer diesen länderspezifischen Empfehlungen beigefügten Mitteilung über das Europäische Semester 2017 dargelegt hat, muss bei der Bewertung der Übersicht über die Haushaltsplanung für 2018 und der folgenden Bewertung der Haushaltsergebnisse 2018 dem Ziel der Erreichung eines Haushaltskurses Rechnung getragen werden, der sowohl zur Stärkung der laufenden Erholung als auch zur Gewährleistung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Belgiens beträgt. In diesem Zusammenhang nimmt der Rat zur Kenntnis, dass die Kommission beabsichtigt, eine Gesamtbewertung im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1466/97, insbesondere unter Berücksichtigung der konjunkturellen Lage Belgiens, vorzunehmen.

    (11)

    Eine wirksame Haushaltskoordinierung ist in einem Föderalstaat wie Belgien, in dem ein Großteil der Ausgabenbefugnisse auf die subnationale Ebene übertragen wurde, von wesentlicher Bedeutung. Um die interne Koordinierung zu verbessern und den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion („Fiskalpakt“) umzusetzen, schlossen die Föderalregierung und die Regierungen der Regionen und Gemeinschaften 2013 einen Kooperationsvertrag mit dem Ziel, übergeordnete und individuelle mehrjährige haushaltspolitische Pfade festzulegen, die vom Hohen Finanzrat überwacht werden. Dabei gelang es allerdings weder, eine förmliche Einigung über die haushaltspolitischen Pfade zu erzielen, noch, ausreichende Garantien in Bezug auf die Überwachung durch den Hohen Finanzrat zu schaffen. Diese mangelnde Koordinierung bezüglich der Lastenverteilung untergräbt die Tragfähigkeit des Gesamtpfades des Landes in Richtung auf sein im Stabilitätsprogramm 2017 festgelegtes mittelfristiges Ziel.

    (12)

    Obwohl öffentliche Investitionen das Wachstum langfristig ankurbeln können, sind sie in Belgien im europäischen Vergleich sehr niedrig, insbesondere im Verhältnis zu den öffentlichen Gesamtausgaben. Der öffentliche Kapitalstock ist niedrig, und die Qualität der öffentlichen Infrastruktur hat sich verschlechtert. Angesichts der überaus angespannten Haushaltslage auf allen Ebenen des Staates kann nur dann Spielraum für Investitionen entstehen, wenn die Zusammensetzung der öffentlichen Gesamtausgaben unter Verbesserung der Effizienz der öffentlichen Stellen bzw. Instanzen und Politiken und unter Eindämmung der raschen Zunahme bei bestimmten Ausgabenposten umgestaltet wird.

    (13)

    Belgien hat substanzielle Fortschritte bei der Reform seines Lohnfindungssystems erzielt. Die Überarbeitung des 1996 erlassenen Gesetzes über Tarifverhandlungen zielt darauf ab, die durch die jüngste Lohnzurückhaltung erreichte Verbesserung der Kostenwettbewerbsfähigkeit zu wahren. Angesichts der eher konservativen Basisprojektionen und der bei der Berechnung des Lohnstandards vorgesehenen vorherigen Anpassungen wird der reformierte Rahmen einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Kostenwettbewerbsfähigkeit Belgiens im Vergleich zu den wichtigsten Handelspartnern im Euro-Währungsgebiet leisten. Die Reform bietet ferner eine größere Gewähr dafür, dass staatliche Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten auch tatsächlich eine Steigerung der Kostenwettbewerbsfähigkeit bewirken, und versetzt den Staat in die Lage zu verhindern, dass sich eine übermäßige Inflation negativ auf die Kostenwettbewerbsfähigkeit auswirkt. Der tarifvertragliche Rahmen sieht vor, dass die im Zentralrat für Wirtschaft vertretenen Organisationen der Sozialpartner die Lohn- und der Produktivitätsentwicklung sowie andere kosten- und nichtkostenspezifische Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit bestimmen, eng überwachen. Da die Kopplung der Löhne an die Inflationsentwicklung in vielen Wirtschaftszweigen noch weitverbreitet ist und das Inflationsgefälle zwischen Belgien und seinen Nachbarländern zunimmt, wird die Entwicklung der Lohnstückkosten im Rahmen des Europäischen Semesters weiterhin genau überwacht.

    (14)

    Im Hinblick auf die Funktionsweise des Arbeitsmarkts wurden einige Fortschritte erzielt. Ein höheres Renteneintrittsalter und weitere Beschränkungen im Hinblick auf Vorruhestandsregelungen führen dazu, dass ältere Menschen länger berufstätig bleiben oder wieder in das Erwerbsleben zurückkehren. Die schrittweise Verringerung der Steuer- und Abgabenbelastung hat zu einer Steigerung der Beschäftigungsquoten beigetragen. Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen konnten dank des Wirtschaftswachstums und der verbesserten Kostenwettbewerbsfähigkeit solide Ergebnisse erzielt werden. Dies ist unter anderem auch auf die Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeit und die Lohnzurückhaltung zurückzuführen, die die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Unternehmen in Bezug auf die Lohnkosten verbessert haben. Dennoch verbleiben einige strukturelle Schwachstellen. Die Quote der Arbeitslosen bzw. Nichterwerbstätigen, die ins Erwerbsleben zurückkehren, ist niedrig, und die Gesamtbeschäftigungsquote wird nach wie vor durch die schwachen Werte bei bestimmten Gruppen belastet. Zu diesen Gruppen zählen Geringqualifizierte, junge Menschen, ältere Personen und Menschen mit Migrationshintergrund wie außerhalb der EU geborene Personen, aber auch Migranten der zweiten Generation. Die Beschäftigungssituation von Menschen mit Migrationshintergrund zählt selbst nach Bereinigung um andere individuelle Eigenschaften zu den schlechtesten in der Union. So gehört das Beschäftigungsgefälle bei den nicht in der EU geborenen Migranten zu den höchsten in der Union: Ihre Beschäftigungsquote in der Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen lag im Jahr 2016 bei 49,1 %, gegenüber 70,2 % bei im Inland geborenen Personen. Bei außerhalb der EU geborenen Frauen war sie mit 39,1 % sogar noch niedriger. Im Jahr 2015 betrug die Gefahr von Armut und sozialer Ausgrenzung bei den nicht in der EU geborenen Gebietsansässigen 50,7 %, gegenüber 17 % bei den im Inland geborenen Personen. Die erheblichen Unterschiede bei den Beschäftigungsquoten bestimmter Bevölkerungsgruppen führen weiterhin dazu, dass das Arbeitskräftepotenzial dauerhaft unzureichend ausgeschöpft wird. Laufende regionale Reformen der Anreizsysteme zur Aufnahme einer Beschäftigung zielen zwar auf eine Straffung und Anpassung des Systems ab, aber die Kostenwirksamkeit der getroffenen politischen Entscheidungen sollte regelmäßig geprüft werden. Bestimmte Gestaltungsmerkmale der zielgruppenspezifischen Maßnahmen könnten Mitnahme- und Verlagerungseffekte haben. Auch die Koordinierung und Kommunikation zwischen den einzelnen politischen Ebenen und innerhalb dieser Ebenen ist für die Wirksamkeit gezielter Maßnahmen sehr wichtig. Steuern und Abgaben, u. a. die Sozialbeiträge im Niedriglohnbereich, und der Wegfall von Sozialleistungen bei Eintritt in den Arbeitsmarkt bzw. bei Erhöhung der geleisteten Arbeitsstunden können zu Nichterwerbstätigkeit und Niedriglohnfallen führen.

    (15)

    Auch im Hinblick auf die Reformen der allgemeinen und beruflichen Bildung, mit denen eine Verbesserung der Gerechtigkeit, der Schlüsselkompetenzen und der Qualität der Bildung erreicht werden soll, wurden einige Fortschritte erzielt. Wenngleich die durchschnittliche Leistung im internationalen Vergleich gut ausfiel, ist der Anteil der zur Spitzengruppe zählenden 15-jährigen Schülerinnen und Schüler jedoch zurückgegangen, während der Anteil der Leistungsschwachen zugenommen hat. Darüber hinaus liegen die auf den sozioökonomischen Hintergrund zurückzuführenden Bildungsungleichgewichte über dem Unions- und dem OECD-Durchschnitt. Auch der Leistungsunterschied von Schülern mit Migrationshintergrund ist groß, und die zweite Generation schneidet — auch unter Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds — nur geringfügig besser ab als die erste. Um die Bildungsungleichgewichte anzugehen, wird es somit umfassender politischer Maßnahmen bedürfen, die über das Bildungssystem hinausgehen. Aufgrund der starken Zunahme der Schülerzahlen, vor allem die der Schüler mit Migrationshintergrund (deren Anteil von 15,1 % im Jahr 2012 auf 17,7 % im Jahr 2015 stieg), werden die Herausforderungen in Bezug auf das Bildungsgleichgewicht weiter wachsen. Überdies zeichnet sich in Belgien ein Lehrermangel ab, und die Lehrkräfte erhalten nicht immer ausreichende Vorbereitung und Unterstützung für den Umgang mit einer zunehmend heterogenen Schülerschaft. Gründe hierfür sind vor allem die Schwierigkeit, die am besten geeigneten Studenten und Bewerber für den Beruf zu gewinnen, die hohe Ausstiegsquote bei den Berufseinsteigern und die Nichtverfügbarkeit eines Teils der Lehrkräfte für den Unterricht. Auch ist in Belgien die Dauer der Lehrererstausbildung mit derzeit drei Jahren vergleichsweise kurz. Reformen der allgemeinen und beruflichen Bildung sind der Schlüssel für eine Verbesserung der Erwerbsbeteiligung geringqualifizierter junger Menschen und für die Förderung des Übergangs zu einer wissensbasierten Wirtschaft.

    (16)

    Bei der nichtpreislichen Wettbewerbsfähigkeit besteht nach wie vor Verbesserungsbedarf. Höhere Produktivitätszuwächse und mehr Investitionen in wissensbasiertes Kapital, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung digitaler Technologien, sind in diesem Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung. Obwohl das öffentliche Forschungssystems als hochwertig anzusehen ist, wäre im Hinblick auf eine Verbesserung der Innovationsleistung eine größere Wissensverbreitung in weniger produktiven Sektoren erforderlich. Alle föderalen Stellen sind sich dieser Notwendigkeit bewusst und haben in den vergangenen Jahren verschiedene Strategien und Maßnahmen zur Förderung der Innovationstätigkeit verfolgt. Dabei könnte jedoch mehr unternommen werden, um die Rahmenbedingungen für Innovationen zu verbessern. Zudem scheint in Belgien Spielraum für eine Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der öffentlichen Unterstützung für Forschung und Innovation zu bestehen, beispielsweise durch die Prüfung möglicher Verdrängungseffekte und eine weitere Vereinfachung des Gesamtsystems.

    (17)

    Bei der Beseitigung von Betriebs- und Niederlassungsbeschränkungen im Einzelhandel wurden begrenzte Fortschritte erzielt. Im Anschluss an die sechste Staatsreform, mit der die Zuständigkeit für die Regelung der Niederlassung von Einzelhändlern auf die Regionen übertragen wurde, wurden neue Regionalgesetze erlassen, mit denen die Verwaltungsverfahren für die Genehmigung vereinfacht wurden. Es besteht jedoch noch ein großer Spielraum in Bezug auf die Auslegung bestimmter Vorschriften, wodurch der Marktzugang unnötig erschwert werden könnte. Die Verbraucherpreise sind nach wie vor höher als in den Nachbarländern, wobei der Unterschied über das Maß hinausgeht, das sich durch die höheren Arbeitskosten erklären ließe. Damit die Verbraucher von einem wettbewerbsorientierten Markt und niedrigeren Preisen profitieren können, wäre eine umfangreiche Strategie erforderlich, mit der diese Aspekte angegangen werden können.

    (18)

    Ein hohes Maß an Regulierung bei den netzgebundenen Wirtschaftszweigen und bestimmten freiberuflichen Dienstleistungen schränkt den Wettbewerb in Belgien ein, insbesondere für Immobilienmakler, Architekten und Buchhalter. Zu den Hemmnissen zählen u. a. Beschränkungen im Hinblick auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital und die Rechtsform der Gesellschaften bei den Architekten; die sogenannten Unvereinbarkeitsregeln, die die gleichzeitige Ausübung einer anderen wirtschaftlichen Tätigkeit für alle im Buchhaltungsbereich Berufstätigen verbieten; Beschränkungen des Zugangs zum Beruf des Immobilienmaklers sowie Beschränkungen in Bezug auf Beteiligungsverhältnisse und Stimmrechte. Der Abbau dieser Hemmnisse könnte zum Markteintritt zusätzlicher Unternehmen führen und dadurch den Wettbewerb beleben, sodass sich für die Verbraucher Vorteile in Form niedrigerer Preisen ergeben. Im Januar 2017 hat die Kommission ein Pakt von Maßnahmen zum Abbau der Hindernisse auf den Dienstleistungsmärkten vorgelegt. Dieses Paket enthält verschiedene an Belgien gerichtete Empfehlungen für Reformen, mit denen diese Herausforderungen angegangen werden können.

    (19)

    Beim Verkehrsnetz besteht eine der akutesten Investitionslücken. Die Verkehrsüberlastung in den Stoßzeiten stellt ein wachsendes Problem dar, das das Land für ausländische Investoren weniger attraktiv macht und große wirtschaftliche und ökologische Folgen hat. Zudem leidet Belgien unter gravierenden Luftverschmutzungsproblemen und wird sein Ziel, die Nicht-EHS-Emissionen bis 2020 gegenüber 2005 um 15 % zu senken, voraussichtlich verfehlen, obwohl es höchstwahrscheinlich seine Verpflichtungen im Rahmen der Klimaschutzvorschriften der Union unter Inanspruchnahme der geltenden Flexibilitätsbestimmungen einhalten wird. Die dringlichsten Herausforderungen sind die Verbesserung der grundlegenden Schienen- und Straßenverkehrsinfrastruktur und die Überbrückung der fehlenden Verbindungen zwischen den wichtigsten Wirtschaftszentren. Gleichzeitig muss etwas gegen die Verkehrsüberlastung in den Stoßzeiten unternommen werden, indem das öffentliche Nahverkehrsangebot und das Verkehrsmanagement verbessert und Marktverzerrungen sowie steuerliche Fehlanreize etwa zur Förderung von Dienstwagen beseitigt werden. Eine weitere Herausforderung besteht in der Angemessenheit der inländischen Stromerzeugung und der Stromversorgungssicherheit im Allgemeinen. Die unvorhergesehenen Ausfälle mehrerer Kernkraftwerkblöcke hatten die Frage aufgeworfen, wie ein Ausgleich zwischen Stromnachfrage und Stromangebot erzielt werden kann; gleichzeitig ist durch wiederholte Änderungen des Zeitplans für den Atomausstieg ein Klima entstanden, das langfristigen Investitionsentscheidungen nicht zuträglich ist. Wenngleich das Risiko kurzfristiger Versorgungsengpässe insbesondere durch die Aufstockung der strategischen Reserve verringert wurde und einige Fortschritte beim Ausbau der Verbundnetze erzielt wurden, ist der langfristige Investitionsbedarf nach wie vor hoch. Neben dem weiteren Ausbau der Verbundnetze werden intelligente Stromnetze zur Entwicklung des Lastmanagements benötigt. Angesichts der beträchtlichen Vorlaufzeit für Projekte im Energiesektor und des für die nächsten zehn Jahre absehbaren großen Bedarfs an Ersatzkapazitäten ist ein rasches Handeln erforderlich; vor allem muss ein angemessener rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der auch die Entwicklung flexibler Kapazitäten (d. h. Erzeugung, Speicherung und Lastmanagement) fördert.

    (20)

    Bei der Reform des Steuersystems hat Belgien einige Fortschritte erzielt, insbesondere durch Verlagerung der Besteuerung vom Faktor Arbeit auf andere Bemessungsgrundlagen, was zu einer allmählichen Verringerung der Steuer- und Abgabenbelastung des Faktors Arbeit führen wird. Die Besteuerung der Arbeit, einschließlich Sozialabgaben, wird im Zeitraum 2016 bis 2020 schrittweise verringert. Die laufende Steuerreform zeitigt erste Erfolge. Dennoch bleibt das Steuersystem komplex, und die Steuerbemessungsgrundlagen werden durch spezifische Ausnahmen, Abzugsmöglichkeiten und ermäßigte Sätze beschnitten. Dies führt teilweise zu Einnahmenverlusten, wirtschaftlichen Verzerrungen und einem hohen Verwaltungsaufwand. Darüber hinaus scheint die Verlagerung der Steuerlast nicht haushaltsneutral zu erfolgen, da die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit nur teilweise durch die Erhöhung anderer Steuern, einschließlich Verbrauchsteuern, kompensiert wurde. Es besteht noch immer ein beträchtlicher Spielraum, die Gestaltung des Steuersystems durch eine zusätzliche Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlagen zu verbessern, was sowohl zu niedrigeren Regelsteuersätzen als auch zu geringeren Verzerrungen führen würde. Ferner besteht unter anderem aufgrund der steuerlichen Förderung von Dienstwagen und Tankkarten, die weiteren Fortschritten bei der Bekämpfung von Verkehrsüberlastung, Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen zuwiderlaufen, ein erheblicher Spielraum zur umweltfreundlichen Verlagerung der Steuerlast. Die Regierung plant eine Änderung der Dienstwagenregelungen, aber der Umweltnutzen dieser Reform wird wahrscheinlich begrenzt sein.

    (21)

    Im Rahmen des Europäischen Semesters 2017 hat die Kommission die Wirtschaftspolitik Belgiens umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2017 veröffentlicht. Sie hat auch das Stabilitätsprogramm 2017, das nationale Reformprogramm 2017 sowie die Maßnahmen zur Umsetzung der an Belgien gerichteten Empfehlungen der Vorjahre bewertet. Dabei hat sie nicht nur deren Relevanz für eine auf Dauer tragfähige Haushalts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Belgien berücksichtigt, sondern angesichts der Notwendigkeit, die wirtschaftspolitische Steuerung der Union insgesamt durch auf Unionsebene entwickelte Vorgaben für künftige nationale Entscheidungen zu verstärken, auch deren Übereinstimmung mit Vorschriften und Leitlinien der Union bewertet.

    (22)

    Vor dem Hintergrund dieser Bewertung hat der Rat das Stabilitätsprogramm 2017 geprüft; seine Stellungnahme (7) hierzu spiegelt sich insbesondere in der nachstehenden Empfehlung 1 wider —

    EMPFIEHLT, dass Belgien 2017 und 2018

    1.

    in Anbetracht der Tatsache, dass die laufende Erholung gestärkt und die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Belgiens gewährleistet werden muss, 2018 im Einklang mit den Anforderungen der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts weiter substanzielle Konsolidierungsanstrengungen unternimmt; unerwartete Mehreinnahmen, beispielsweise Erlöse aus der Veräußerung von Vermögenswerten, nutzt, um den Abbau des gesamtstaatlichen Schuldenstands zu beschleunigen; sich auf eine angemessene Verteilung der haushaltspolitischen Ziele auf alle Ebenen des Staates verständigt und eine unabhängige finanzpolitische Überwachung sicherstellt; verzerrende Steueraufwendungen abschafft; die Zusammensetzung der öffentlichen Ausgaben verbessert, um Spielraum für Infrastrukturinvestitionen zu schaffen, u. a. im Bereich Verkehr;

    2.

    dafür Sorge trägt, dass die am stärksten benachteiligten Gruppen, darunter Menschen mit Migrationshintergrund, gleichberechtigt an einer hochwertigen allgemeinen und beruflichen Bildung sowie am Arbeitsmarkt teilhaben können;

    3.

    Innovationen in wissensbasiertes Kapital unterstützt, insbesondere durch Maßnahmen zur Steigerung der Nutzung digitaler Technologien, und die Verbreitung von Innovationen fördert; den Wettbewerb auf den Märkten für freiberufliche Dienstleistungen und im Einzelhandel ankurbelt und die Marktmechanismen in den netzgebundenen Wirtschaftszweigen stärkt.

    Geschehen zu Brüssel am 11. Juli 2017.

    Im Namen des Rates

    Der Präsident

    T. TÕNISTE


    (1)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.

    (2)  Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte (ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 25).

    (3)  ABl. C 92 vom 24.3.2017, S. 1.

    (4)  Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 320).

    (5)  Konjunkturbereinigter Saldo ohne einmalige und befristete Maßnahmen nach Neuberechnung der Kommission unter Anwendung der gemeinsamen Methodik.

    (6)  Die Nettostaatsausgaben umfassen die Gesamtheit der Staatsausgaben ohne Zinsausgaben, Ausgaben für Unionsprogramme, die vollständig durch Einnahmen aus Fonds der Union ausgeglichen werden, und nichtdiskretionäre Änderungen der Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung. Staatlich finanzierte Bruttoanlageinvestitionen werden über einen Zeitraum von vier Jahren geglättet. Diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen oder gesetzlich vorgeschriebene Einnahmesteigerungen sind eingerechnet. Einmalige Maßnahmen sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite werden saldiert.

    (7)  Gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.


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