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Document 31995D0364

    95/364/EG: Entscheidung der Kommission vom 28. Juni 1995 in einem Verfahren nach Artikel 90 Absatz 3 EG-Vertrag (Nur der französische und der niederländische Text sind verbindlich) (Text von Bedeutung für den EWR)

    ABl. L 216 vom 12.9.1995, p. 8–14 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    Legal status of the document In force

    ELI: http://data.europa.eu/eli/dec/1995/364/oj

    31995D0364

    95/364/EG: Entscheidung der Kommission vom 28. Juni 1995 in einem Verfahren nach Artikel 90 Absatz 3 EG-Vertrag (Nur der französische und der niederländische Text sind verbindlich) (Text von Bedeutung für den EWR)

    Amtsblatt Nr. L 216 vom 12/09/1995 S. 0008 - 0014


    ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION vom 28. Juni 1995 in einem Verfahren nach Artikel 90 Absatz 3 EG-Vertrag (Nur der französische und der niederländische Text sind verbindlich) (Text von Bedeutung für den EWR) (95/364/EG)

    DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN -

    gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 90 Absatz 3,

    im Hinblick auf die Beschwerde des Unternehmens Britisch Midland vom 8. Februar 1993 über das Rabattsystem für Start- und Landegebühren am Flughafen Brüssel-National (Zaventem),

    nachdem den belgischen Behörden, der Régie des Voies Aériennes und den Luftverkehrsgesellschaften Sabena und Sobelair Gelegenheit zur Stellungnahme zu den von der Kommission formulierten Beschwerdepunkten im Zusammenhang mit dem Rabattsystem für Start- und Landegebühren am Flughafen Brüssel-National (Zaventem) gegeben wurde,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    SACHVERHALT

    Das vorliegende Verfahren betrifft das Rabattsystem für Start- und Landegebühren am Flughafen Brüssel-National (Zaventem):

    British Midland (BM) ist der Auffassung, daß das System, das mit dem Verkehrsvolumen ansteigende Rabatte vorsieht, die Luftverkehrsgesellschaften mit starkem Verkehrsaufkommen am Flughafen Brüssel bevorzugt und somit kleinere Gesellschaften, die mit ihnen im Wettbewerb stehen, benachteiligt. Nach Ansicht von BM sind derartige Rabatte nicht objektiv gerechtfertigt, da die Dienstleistung für ein startendes oder landendes Flugzeug unabhängig von der Anzahl der Leistungen stets die gleiche ist.

    British Midland weist darauf hin, daß sie trotz 144 Flugbewegungen in der Woche die Gebührenschwelle, ab der ein Rabatt gewährt wird, nicht erreicht. Sie profitiert somit von keiner Minderung ihrer Flughafengebühren, während ihr Hauptwettbewerber Sabena einen Rabatt von 74 Millionen bfrs jährlich auf ihre Flughafengebühren erhält.

    Die staatliche Maßnahme

    (1) Artikel 1 des Königlichen Erlasses vom 22. Dezember 1989 (1) "ermächtigt die Régie des Voies Aériennes, die in diesem Erlaß festgelegten Gebühren für die Nutzung des Flughafens Brüssel-National zu erheben". Artikel 2 des Erlasses legt als Start- und Landegebühr einen gewissen Betrag pro Tonne Startgewicht je nach Flugzeugtyp (Nurfrachtflugzeug oder sonstiges Flugzeug) fest. Absatz 2 dieses Artikels enthält die folgenden Bestimmungen zum Rabattsystem:

    Die im Kalendermonat fälligen Start- und Landegebühren werden um folgende Sätze vermindert:

    Um 7,5 % des Gebührenbetrags zwischen 5 und 10 Millionen bfrs,

    um 15 % des Gebührenbetrags zwischen 10 und 15 Millionen bfrs,

    um 20 % des Gebührenbetrags zwischen 15 und 20 Millionen bfrs und

    um 30 % des Gebührenbetrags über 20 Millionen bfrs.

    In den Jahren 1991 und 1992 haben nur drei Luftverkehrsgesellschaften Rabatte in folgender Höhe erhalten:

    >PLATZ FÜR EINE TABELLE>

    Die betroffenen Unternehmen und Dienstleistungen

    (2) Die Régie des Voies Aériennes (RVA) ist eine öffentlich-rechtliche belgische Einrichtung, die vom Staat mit zwei öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betraut ist, die nach wirtschaftlichen Grundsätzen zu erbringen sind: i) Bau, Einrichtung, Unterhalt und Betrieb des Flughafens Brüssel-National und der damit verbundenen Infrastruktur und ii) Flugsicherung im belgischen Luftraum. In diesem Kontext übt sie, zumindest was die unter i) genannten Aktivitäten betrifft, eine wirtschaftliche Tätigkeit aus, die auf jeden Fall theoretisch von einem privaten Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht aufgeübt werden könnte.

    (3) Sabena ist ein belgischer Konzern, der zu 62,11 % dem belgischen Staat und zu 37,58 % Finacta (Air-France-Konzern) gehört. Am 4. Mai 1995 wurde zwischen dem belgischen Staat und Swissair ein Vertrag über die Beteiligung dieses Unternehmens am Sabena-Kapital in Höhe von 49,5 % geschlossen. Gegenwärtig werden Verhandlungen über den Rückzug der Air France aus dem belgischen Konzern geführt. Sabena ist hauptsächlich im Passagier- und Frachtlinienverkehr tätig. Das Unternehmen ist durch sein Tochterunternehmen Sobelair ebenfalls im Charterflugverkehr präsent und darüber hinaus in den Sektoren Hotelgewerbe, Tourismus und Bodendienstleistungen tätig. Sabena befördert 38 % aller Fluggäste, die den Flughafen Brüssel benutzen (2).

    (4) Die ICAO (Intern Civil Aviation Organization) empfiehlt ihren Mitgliedern im Handbuch zur Flughafenbewirtschaftung, die Start- und Landegebühren nach dem höchstzulässigen Startgewicht zu erheben. Sie definiert die Start- und Landegebühren wie folgt:

    Gebühren und Entgelte, die für die Nutzung der Start- und Landebahnen, Rollbahnen und Vorfeldflächen, einschließlich der zugehörigen Befeuerung, sowie für die Flugsicherungsdienstleistungen bei Anflug und auf dem Flughafen erhoben werden.

    Die Gebühren entsprechen den "Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie den zurechenbaren Verwaltungkosten für diese Flächen, für Fahrzeuge und dazugehöriges Material und schließen die zugehörigen Kosten für Personal, Wartungsfahrzeuge, Strom und Kraftstoffe ein" (3).

    (5) Vom Flughafen Brüssel aus werden viele Zielorte in aller Welt angeflogen. Nach einer Studie der Universität Cranfield (4) haben im Jahr 1992 15 % der Passagiere den Flughafen Brüssel zum Umsteigen auf Anschlußfluege benutzt. Die Luftverkehrsgesellschaften fliegen Brüssel hauptsächlich an, um 85 % der Passagiere zu bedienen, deren Ausgangs- oder Zielort Brüssel selbst ist. Auf Kurz- und Mittelstrecken innerhalb der Gemeinschaft (Flugzeit bis zu 2 Stunden), z. B. zwischen Südeuropa und dem Einzugsgebiet Brüssels, gibt es keine realistische Alternative zum Flughafen Brüssel. Alle anderen internationalen Flughäfen in dieser Region sind mehr als 100 km von Zaventem entfernt. Daher bietet sich den Luftverkehrsgesellschaften keine Alternative zum Flughafen Brüssel, um dieser Fluggastnachfrage zu entsprechen.

    (6) Der Flughafen Brüssel kann deshalb als Flughafen angesehen werden, der durch andere Flughäfen für Kurz- und Mittelstreckenfluege mit Ausgangs- oder Zielort im Einzugsgebiet Brüssels kaum ersetzt werden kann.

    RECHTLICHE WÜRDIGUNG DER KOMMISSION

    Artikel 90 Absatz 1

    (7) Artikel 90 Absatz 1 schreibt den Mitgliedstaaten vor, in bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem EG-Vertrag widersprechenden Maßnahmen zu treffen oder aufrechtzuerhalten.

    Die RVA ist ein öffentliches Unternehmen im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag.

    Der Königliche Erlaß vom 22. Dezember 1989, mit dem die Gebühren für die Nutzung des Flughafens Brüssel-National festgelegt werden, und insbesondere dessen Artikel 2 Absatz 2, der Gegenstand des ersten Erwägungsgrunds ist, stellen eine staatliche Maßnahme im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 dar.

    Artikel 86

    Der relevante Markt

    (8) Der relevante Markt ist in erster Linie der Markt für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Zugang zur Flughafeninfrastruktur, für die die Gebühren erhoben werden, d. h. Betrieb und Instandhaltung der Start- und Landebahnen, Rollwege und Vorfeldflächen und die Flugführung beim Anflug.

    Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, kann der Markt der Organisation von Hafendienstleistungen für Rechnung Dritter in einem einzigen Hafen als ein wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes im Sinne des Artikels 86 angesehen werden [Urteil vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache C-179/90, Hafen von Genua, Entscheidungsgrund 15] (5). Desgleichen hat der Gerichtshof den Markt für Lotsendienste im Hafen von Genua in seinem Urteil vom 17. Mai 1994 in der Rechtssache C-18/93, Corsica Ferries (6), als einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes angesehen.

    Den Ausführungen des Gerichtshofs zufolge ist der Zugang zu den Hafeneinrichtungen die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß ein Betreiber eine geplante Schiffsverkehrsdienstleistung auf einer bestimmten Seestrecke anbieten kann.

    Diese Argumentation läßt sich ohne weiteres auf den Luftverkehr und den Zugang zu Flughafeneinrichtungen übertragen.

    Im vorliegenden Fall gibt es keine wirkliche Alternative für den Kurz- und Mittelstreckenflugverkehr mit Ziel- oder Ausgangsort im Einzugsgebiet Brüssels, die die Vorteile des Flughafens Brüssel bietet.

    (9) Die Kurz- und Mittelstreckenflugverbindungen stellen darüber hinaus einen benachbarten, getrennten Markt dar, der vom Verhalten des Unternehmens auf dem Markt der Start- und Landedienstleistungen betroffen ist.

    Wie aus dem fünften Erwägungsgrund hervorgeht, kann der Flughafen Brüssel für Kurz- und Mittelstreckenflugverbindungen innerhalb der Union mit Ausgangs- oder Zielort im Einzugsgebiet Brüssels kaum gegen andere Verbindungen ausgetauscht werden und ist deren Wettbewerb nur in sehr geringem Maß ausgesetzt (vgl. Urteil vom 11. April 1989 in der Rechtssache 66/86 Ahmed Saeed (7)).

    Der wesentliche Teil des Gemeinsamen Markts

    (10) Im Flughafen Brüssel wurden 1993 10 Millionen Fluggäste und 313 137 Tonnen Fracht abgefertigt. Er liegt damit im Passagierverkehr an elfter und im Frachtverkehr an fünfter Stelle in der Gemeinschaft. Brüssel wurde von der Kommission im Rahmen des transeuropäischen Flughafennetzes als Flughafen von gemeinschaftsweiter Bedeutung (8) eingestuft. Er stellt somit einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Markts dar.

    Die beherrschende Stellung

    (11) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Unternehmen, das bei bestimmten Dienstleistungen über ein gesetzliches Monopol verfügt, eine beherrschende Stellung im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag [Urteil vom 3. Oktober 1985 in der Rechtssache 311/84, Télémarketing (9)].

    Dies ist bei der RVA der Fall, die als öffentliches Unternehmen aufgrund des ihr durch Artikel 1 des Königlichen Erlasses vom 5. Oktober 1970 verliehenen ausschließlichen Rechts in ihrer Eigenschaft als Flughafenbehörde über eine beherrschende Stellung auf dem Markt der Dienstleistungen bei Flugzeugstarts und -landungen, für die die fraglichen Gebühren erhoben werden, verfügt.

    Der Mißbrauch der beherrschenden Stellung

    (12) Das durch den Königlichen Erlaß vom 22. Dezember 1989 für Start- und Landegebühren eingeführte Rabattsystem hat zur Folge, daß gegenüber den Luftverkehrsgesellschaften ungleiche Bedingungen für gleichwertige Start- und Landedienstleistungen angewandt werden und ihnen hierdurch ein Wettbewerbsnachteil entsteht.

    (13) Das fragliche System, mit dem ein Rabatt auf den monatlichen Gebührenbetrag eingeräumt wird, beruht zum einen auf der Anzahl der monatlichen Flugbewegungen und zum anderen auf dem jeweiligen Startgewicht des Flugzeugs.

    In der nachstehenden Tabelle sind unter Berücksichtigung dieser beiden Parameter für vier verschiedene Flugzeugtypen die Tagesfrequenzen (ein Start und eine Landung) aufgeführt, die zur Erreichung des ersten (7,5%), des dritten (20 %) und des höchsten Rabatts (30 %) erforderlich sind, welche auf den monatlichen Betrag berechnet werden, der 5 Millionen bfrs überschreitet.

    >PLATZ FÜR EINE TABELLE>

    >PLATZ FÜR EINE TABELLE>

    Die Gebührenschwelle von 5 Millionen bfrs monatlich, ab der ein Rabatt gewährt wird, ist so hoch, daß der Rabatt nur einer an diesem Flughafen beheimateten Gesellschaft zugute kommen kann, wodurch die anderen Luftverkehrsgesellschaften der Gemeinschaft benachteiligt sind. Die Mindestzahl der Tagesfrequenzen, die für einen Rabatt erreicht werden muß, ist gleichfalls sehr hoch. Auf Flügen innerhalb der Gemeinschaft setzen die Luftverkehrsgesellschaften kleineres oder mittleres Fluggerät ein (50 bis 200 Sitze; Typen DC9, A320 oder 757). Daraus folgt, daß eine durchschnittliche Gesellschaft mehr als sieben Tagesfrequenzen (z. B. mit einer 110 sitzigen DC9) anbieten muß, um die Schwelle von 5 Millionen bfrs, ab der ein Rabatt von 7,5 % gewährt wird, zu erreichen. Samstags und sonntags ist die Anzahl der Frequenzen jedoch geringer, so daß die Anzahl der an den Wochentagen nötigen Frequenzen auf acht oder neun steigt. Im Mittel wird eine Strecke mit hohem Verkehrsaufkommen mit vier Tagesfrequenzen bedient, während es bei einer Regionalverbindung durchschnittlich nur zwei sind. Um einen Rabatt von 7,5 % auf die Gebührenbeträge über 5 Millionen bfrs zu erhalten, muß eine Gesellschaft, die Regionalverbindungen anbietet, täglich mehr als drei Flüge mit mittlerem oder großem Fluggerät nach Brüssel durchführen. Zum Vergleich: Lufthansa bietet Direktfluege von sechs deutschen Städten nach Brüssel an, hat 1992 mehr als 2 % aller Flugbewegungen auf dem Flughafen Brüssel durchgeführt und 3,3 % der in Brüssel ankommenden oder abreisenden Fluggäste befördert, erreicht aber nicht die Gebührenschwellen für die Rabattgewährung. Auch die Gesellschaften, die Großraumflugzeuge vom Typ Boeing 747 einsetzen, müssen mehr als einen Flug (d. h. im Prinzip eine Interkontinentalverbindung) täglich durchführen, um einen Rabatt zu erhalten.

    Das System führt mit seiner hohen Gebührenschwelle und progressiv ansteigenden Ermäßigungssätzen nicht zu linearen Rabatten. Die gewährten Rabatte nehmen vielmehr überproportional zur Anzahl der Flugbewegungen zu, was die Unterschiede zwischen den Gesellschaften mit hohem und denen mit niedrigem Verkehrsaufkommen noch verstärkt. Darüber hinaus benachteiligt dieses System die Gesellschaften mit Regionalverbindungen, die zwar eine große Anzahl von Flugbewegungen im Monat durchführen, dabei aber zum einen nur kleines Fluggerät einsetzen und zum anderen Brüssel nur einmal täglich anfliegen.

    Sabena profitiert von der höchsten Rabattstufe (30 %), was 1992 einer globalen Gebührenminderung von 18 % gleichkam, während die Gesellschaften Sobelair und BA die erste Rabattstufe (7,5 %) beanspruchen konnten. Alle anderen Luftverkehrsgesellschaften, die Brüssel anfliegen, erhalten keinen Rabatt auf ihre Start- und Landegebühren.

    Auf einer Strecke wie Brüssel-London, auf der unter anderem Sabena und BM miteinander konkurrieren, erhält Sabena für denselben Flugzeugtyp einen Rabatt von etwa 18 % auf seine Start- und Landegebühren, wobei die Dienstleistung der RVA für beide Gesellschaften die gleiche ist, so daß BM einen Wettbewerbsnachteil erleidet.

    Aus diesen Gründen liegt ein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 Buchstabe c) vor, wenn ein Unternehmen in einer Situation wie die RVA den Geschäftspartnern ungleiche Bedingungen für gleichwertige Leistungen auferlegt und diesen damit ein Wettbewerbsnachteil entsteht. Wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Mitgliedstaat ein solches System durch eine Rechtsvorschrift einrichtet, stellt eine derartige staatliche Maßnahme einen Verstoß gegen Artikel 90 in Verbindung mit Artikel 86 Buchstabe c) des EG-Vertrags dar.

    (14) Die RVA ist zwar mit der Erbringung der gebührenpflichtigen Start- und Landedienstleistungen beauftragt, entscheidet jedoch nicht über die Höhe der Gebühren oder etwaige Rabatte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verstößt ein Mitgliedstaat gegen die Bestimmungen der Artikel 90 und 86 des EG-Vertrags, wenn er ein Unternehmen in beherrschender Stellung dazu veranlaßt, diese Stellung mißbräuchlich auszunutzen, was bei der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern im Sinne des Artikels 86 Buchstabe c) der Fall ist (Urteil vom 17. Mai 1994, Corsica Ferries).

    (15) Dies gilt auch, wenn die staatliche Maßnahme den Unternehmen, durch die die Mitgliedstaaten in die Wettbewerbsstruktur des Gemeinsamen Markts eingreifen, einen verminderten oder gar keinen Spielraum läßt (10). Diese Doktrin wurde vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Mai 1988 in der Rechtssache 30/87, Bodson/Pompes funèbres (11), weiterentwickelt. Er erklärte, daß Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er es den Trägern öffentlicher Gewalt verbietet, den Unternehmen, denen sie ausschließliche Rechte eingeräumt haben, ein den Bestimmungen der Artikel 85 und 86 widersprechendes Preisgebaren aufzuzwingen.

    (16) Die RVA hat folgende Rechtfertigungsgründe für das fragliche System angeführt:

    - das Recht eines Unternehmens, im Rahmen seiner Geschäftspolitik ein Rabattsystem einzurichten;

    - das Recht, treuen Kunden - insbesondere angesichts der durch sie gegebenen finanziellen Sicherheit - größere Rabatte einzuräumen;

    - Größenvorteile: Es ist (hinsichtlich Verwaltungs- und Personalaufwand) kostengünstiger, Leistungen für eine nationale Luftverkehrsgesellschaft mit einem hohen Verkehrsaufkommen am Flughafen zu erbringen;

    - die Attraktivität des Flughafens wird durch die Präsenz einer nationalen Luftverkehrsgesellschaft mit einem ausgedehnten Streckennetz gesteigert.

    Was das erste und zweite Argument angeht, so hat der Gerichtshof mehrfach ausgeführt, daß ein im Geschäftsverkehr übliches Verhalten einen Mißrauch im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag darstellen kann, wenn dieses Verhalten von einem Unternehmen mit beherrschender Stellung ausgeht. Wie oben dargelegt, entscheidet sich eine Luftverkehrsgesellschaft nicht dazu, Brüssel anstelle eines anderen, benachbarten Flughafens zu bedienen, um eine Treueposition in den Geschäftsbeziehungen zum Flughafen Brüssel aufzubauen. Wenn Luftverkehrsgesellschaften, die einen Flughafen für regionale Umsteigeverbindungen suchen, hätten angezogen werden sollen, wären die Rabattschwellen so gewählt worden, daß diese Gesellschaften Vorteile aus dem Rabattsystem hätten ziehen können, was jedoch nicht der Fall ist.

    Was das dritte Argument betrifft, so vertritt die Kommission die Auffassung, daß ein solches System nur durch von der RVA erzielte Größenvorteile gerechtfertigt wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die RVA hat der Kommission nicht schlüssig dargelegt, daß sich erhebliche Größenvorteile bei den Leistungen für Start oder Landung eines Flugzeugs daraus ergeben, daß das Flugzeug einer bestimmten Gesellschaft gehört. Für Start oder Landung eines Flugzeugs sind unabhängig vom Flugzeugeigner und von der Anzahl der Flugzeuge, die derselben Gesellschaft gehören, dieselben Dienstleistungen zu erbringen. Die RVA könnte höchstens argumentieren, daß bei der Fakturierung Größenvorteile entstehen, wenn einer Luftverkehrsgesellschaft mit hohem Verkehrsaufkommen eine Einzelrechnung über viele Flugbewegungen ausgestellt werden kann, statt eine Vielzahl von Rechnungen über wenige Flugbewegungen ausstellen zu müssen. Diese Größenvorteile sind jedoch vernachlässigbar gering.

    Das zuletzt angeführte Argument steht mit dem fraglichen System nicht in Zusammenhang.

    (17) Wenn die Mehrzahl der von Unternehmen in beherrschender Stellung begangenen Mißbräuche auch mit dem Ziel der Gewinnmaximierung oder Stärkung ihrer beherrschenden Stellung erfolgt, so gilt Artikel 86 jedoch auch, wenn das beherrschende Unternehmen seine Geschäftspartner aus anderen Gründen als aus Eigeninteresse diskriminiert. Es kann beispielsweise ein anderes Unternehmen desselben Staats oder eines, das dieselbe allgemeine Geschäftspolitik verfolgt, bevorzugen. Zu den Mißbrauchsfällen, denen andere Motive als das Eigeninteresse des Unternehmens in beherrschender Stellung zugrunde lagen, gehört der Fall der Hafenlotsen in Genua, die in der Beförderung zwischen italienischen Häfen tätige Schiffahrtsgesellschaften durch die Anwendung staatlich genehmigter Sondertarife bevorzugten (Urteil vom 17. Mai 1994 in der Rechtssache C-18/93, Corsica Ferries/Corpo dei piloti).

    Im Gegensatz zu den sogenannten Treuerabattsystemen, die vom Gerichtshof geprüft wurden (Urteile vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann Laroche (12), bzw. vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin (13)), will die RVA im vorliegenden Fall ihre Kunden nicht stärker an sich binden oder neue Kunden gewinnen, wie dies im 13., 14. und 15. Erwägungsgrund bereits dargelegt wurde, sondern bevorzugt der Staat über die RVA ein bestimmtes Unternehmen, nämlich die nationale Luftverkehrsgesellschaft Sabena.

    (18) Die belgischen Behörden haben in diesem Zusammenhang erklärt, daß "die durch den Königlichen Erlaß vorgeschriebenen Start- und Landegebühren den Interessen der RVA sogar zuwiderlaufen, da die vorgesehenen Rabatte ihre Gebühreneinnahmen mindern". Das System wurde demnach zum Nutzen bestimmter Luftverkehrsgesellschaften eingerichtet, da nur Sabena und Sobelair sowie - in geringerem Maße - British Airways von ihm profitieren können, was einen Verstoß gegen Artikel 86 darstellt.

    Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten

    (19) Das im vorliegenden Fall angewandte Rabattsystem erhöht den Preis für innergemeinschaftliche Kurz- und Mittelstreckenfluege derjenigen Luftverkehrsgesellschaften, die nicht von dem System profitieren können. Die Flughafengebühren sind ein wichtiger Betriebskostenfaktor einer Gesellschaft. Diese Gebühren wurden vom "Ausschuß der Weisen" der Zivilluftfahrt (einschließlich Flugsicherungsgebühren) auf 4 bis 6 % der Betriebskosten der Luftverkehrsgesellschaften in der Gemeinschaft geschätzt. Rabatte bis 18 % des Gebührenbetrags für innergemeinschaftliche Flüge sind geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, da sie den begünstigten Unternehmen einen spürbaren Vorteil verschaffen, geht es beim Flughafen Brüssel doch um die Beförderung von 10 Millionen Fluggästen, von denen 75 % eine Stadt in der Gemeinschaft als Ausgangs- oder Zielort haben (Stand 1993).

    In seinem Urteil in der Rechtssache Corsica Ferries hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß diskriminierende Verhaltensweisen bei identischer Leistung des betreffenden Dienstes "Unternehmen berühren, die Beförderungen zwischen zwei Mitgliedstaaten vornehmen, . . . [und daher] geeignet [sind], den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen" (14).

    Artikel 90 Absatz 2

    (20) Die belgischen Behörden haben die Ausnahmebestimmung des Artikels 90 Absatz 2 nicht geltend gemacht, um die Einführung und Beibehaltung des besagten Rabattsystems zu rechtfertigen. Im übrigen vertritt die Kommission die Auffassung, daß die Anwendung der Wettbewerbsregeln die RVA im vorliegenden Fall nicht daran hindert, die ihr übertragene besondere Aufgabe - Bau, Einrichtung, Unterhalt und Betrieb des Flughafens Brüssel-National - zu erfuellen. Ebensowenig würde eine Luftverkehrsgesellschaft durch die Anwendung der Wettbewerbsregeln daran gehindert, eine besondere gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfuellen. Die Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im innergemeinschaftlichen Linienflugverkehr auferlegen kann, sind in Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates (15) festgelegt.

    Die Ausnahmebestimmung des Artikels 90 Absatz 2 ist folglich nicht anwendbar.

    Schlußfolgerung

    In Anbetracht dessen ist die Kommission zu der Auffassung gelangt, daß die im ersten Erwägungsgrund genannte staatliche Maßnahme gegen Artikel 90 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag verstößt -

    HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

    Artikel 1

    Das durch Artikel 2 Absatz 2 des Königlichen Erlasses vom 22. Dezember 1989 festgelegte Rabattsystem für Start- und Landegebühren stellt eine mit Artikel 90 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag unvereinbare Maßnahme dar.

    Artikel 2

    Die belgische Regierung ist verpflichtet, den in Artikel 1 genannten Verstoß abzustellen und die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung über die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen zu unterrichten.

    Artikel 3

    Diese Entscheidung ist an das Königreich Belgien gerichtet.

    Brüssel, den 28. Juni 1995

    Für die Kommission

    Karel VAN MIERT

    Mitglied der Kommission

    (1) Belgisches Staatsblatt vom 30. 12. 1989, S. 21517.

    (2) Zahlenangaben aus der Entscheidung zum Zusammenschluß Air France/Sabena aus 1992.

    (3) Handbuch zur Flughafenbewirtschaftung - Dok. 9562. 1991, ICAO.

    (4) "A comparative study of user costs at selected European airports", Department of Air Transport, College of Aeronautics, Universität Cranfield, Februar 1994.

    (5) Slg. 1991, S. I-5889, 5923.

    (6) Slg. 1994, S. I-1783.

    (7) Slg. 1989, S. 803.

    (8) D. h. als Flughafen, der zwischen der Gemeinschaft und der übrigen Welt eine Verbindungsfunktion hat und eines der folgenden Kriterien erfuellt: jährliches Verkehrsaufkommen von mindestens 5 Millionen Fluggästen minus 10 %, jährlich mindestens 100 000 Flugbewegungen im Luftverkehr, jährliches Frachtaufkommen von mindestens 150 000 Tonnen, jährlich mindestens eine Million Fluggäste von außerhalb der Gemeinschaft (Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, KOM(94) 1067, März 1994).

    (9) Slg. 1985, S. 3261.

    (10) Schlußanträge des Generalanwalts Van Gerven, Urteil vom 12. Februar 1992 in den Rechtssachen C-48/90 und C-66/90 - PTT Nederland.

    (11) Slg. 1988, S. 2479.

    (12) Slg. 1979, S. 461.

    (13) Slg. 1983, S. 3461.

    (14) Entscheidungsgrund 44.

    (15) ABl. Nr. L 240 vom 24. 8. 1992, S. 8.

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