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Document 62019CC0337

Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott vom 3. Dezember 2020.
Europäische Kommission gegen Königreich Belgien und Magnetrol International.
Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Vom Königreich Belgien durchgeführte Beihilferegelung – Steuerbefreiung für Gewinnüberschüsse – Steuervorbescheid (‚tax ruling‘) – Ständige Verwaltungspraxis – Verordnung (EU) 2015/1589 – Art. 1 Buchst. d – Begriff ‚Beihilferegelung‘ – Begriff ‚Regelung‘ – Begriff ‚nähere Durchführungsmaßnahmen‘ – Definition der Begünstigten ‚in einer allgemeinen und abstrakten Weise‘ – Anschlussrechtsmittel – Zulässigkeit – Steuerautonomie der Mitgliedstaaten.
Rechtssache C-337/19 P.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:990

 SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 3. Dezember 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑337/19 P

Europäische Kommission

gegen

Königreich Belgien und

Magnetrol International

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Steuervorbescheide (tax rulings) – Anpassung des Gewinns aufgrund sogenannter Gewinnüberschüsse – Verordnung (EU) 2015/1589 – Art. 1 Buchst. d – Beihilferegelung – Begriff der Regelung – Ständige Verwaltungspraxis der Steuerbehörden als Regelung – Nachweis einer ständigen Verwaltungspraxis durch die Europäische Kommission – Repräsentative Stichprobe – Fehlen näherer Durchführungsmaßnahmen – Allgemeine und abstrakte Definition der begünstigten Unternehmen – Zulässigkeit eines Anschlussrechtsmittels“

I. Einleitung

1.

Kann der Begriff der Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) 2015/1589 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 AEUV ( 2 ) auch eine ständige Verwaltungspraxis von Behörden in einem Mitgliedstaat umfassen? Und wenn ja, welche Anforderungen sind an den Nachweis einer solchen ständigen Verwaltungspraxis durch die Europäische Kommission zu stellen?

2.

Diese beiden Fragen stehen im Zentrum des vorliegenden Rechtsmittels der Kommission gegen das Urteil des Gerichts vom 14. Februar 2019 ( 3 ). Hintergrund des Rechtsstreits ist die über die dortige Gesetzeslage hinausgehende Praxis der belgischen Steuerbehörden von 2004 bis 2014, den Gewinn von Unternehmen grenzüberschreitend tätiger Konzerne aufgrund sogenannter Gewinnüberschüsse durch Steuervorbescheide (tax rulings) anzupassen (z. T. auch als Steuerbefreiung von Mehrgewinnen bezeichnet). In diesem Rahmen wurde auf Antrag anstelle des eigentlichen Gewinns der betroffenen Unternehmen der Gewinn eines vergleichbaren Einzelunternehmens für die Besteuerung herangezogen. Das hat die Kommission mit Beschluss (EU) 2016/1699 vom 11. Januar 2016 ( 4 ) als verbotene Beihilfe eingestuft.

3.

Gegenstand des Rechtsmittels ist dabei nicht, ob solche Steuervorbescheide in der Sache verbotene Beihilfen darstellen. ( 5 ) Vielmehr geht es lediglich um die Frage, ob, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, die Kommission eine Vielzahl derartiger Steuervorbescheide „im Paket“ als Beihilferegelung beanstanden kann. Die große praktische Bedeutung dieser Frage illustriert der Umstand, dass es sich vorliegend um ein Pilotverfahren handelt, während vor dem Gericht die Klagen 28 weiterer Begünstigter der mutmaßlichen Beihilfe ausgesetzt sind. ( 6 )

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

4.

Den unionsrechtlichen Rahmen dieses Rechtsmittels bilden die Art. 107 und 108 AEUV sowie die Verordnung 2015/1589.

5.

Art. 1 der Verordnung 2015/1589 enthält verschiedene Definitionen. Nach dessen Buchst. d bezeichnet der Ausdruck „‚Beihilferegelung‘ eine Regelung, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können, beziehungsweise eine Regelung, wonach einem oder mehreren Unternehmen nicht an ein bestimmtes Vorhaben gebundene Beihilfen für unbestimmte Zeit und/oder in unbestimmter Höhe gewährt werden können“.

6.

Gemäß Art. 1 Buchst. e dieser Verordnung sind „‚Einzelbeihilfen‘ Beihilfen, die nicht aufgrund einer Beihilferegelung gewährt werden, und einzelne anmeldungspflichtige Zuwendungen aufgrund einer Beihilferegelung“.

B. Belgisches Recht

1.   Einkommensteuergesetzbuch

7.

In Belgien sind die Regeln für die Besteuerung der Einkünfte im Code des impôts sur les revenus 1992 (Einkommensteuergesetzbuch, CIR 92) kodifiziert. Nach Art. 1 Abs. 1 des CIR 92 wird als Einkommensteuer u. a. eine Steuer auf das Gesamteinkommen der inländischen Gesellschaften erhoben, die sogenannte Körperschaftsteuer.

8.

Art. 185 des CIR 92 sieht insofern vor, dass Gesellschaften in Bezug auf den Gesamtbetrag der Gewinne einschließlich der ausgeschütteten Dividenden steuerpflichtig sind.

2.   Gesetz vom 24. Dezember 2002

9.

Am 24. Dezember 2002 verabschiedete Belgien das Gesetz zur Änderung der Körperschaftsteuer und zur Einführung einer Regelung für Steuervorbescheide. ( 7 )

10.

Art. 20 dieses Gesetzes sieht vor, dass der Service public fédéral des Finances (Föderale Öffentliche Dienst Finanzen Belgiens) im Rahmen eines Vorbescheids über alle Anträge in Bezug auf die Anwendung der Steuergesetze entscheidet. Ein Vorbescheid ist definiert als der Rechtsakt, durch den der Föderale Öffentliche Dienst Finanzen nach den geltenden Vorschriften entscheidet, wie das Gesetz in einer bestimmten Situation oder auf ein bestimmtes Geschäft, das noch keine steuerliche Wirkung entfaltet hat, anwendbar ist. Der Vorbescheid ist mit keiner Steuerbefreiung oder ‑minderung verbunden.

11.

Art. 22 des Gesetzes vom 24. Dezember 2002 bestimmt, dass u. a. kein Steuervorbescheid erlassen werden kann, wenn der Antrag sich auf Situationen oder Geschäfte bezieht, die mit solchen identisch sind, die bereits steuerliche Wirkungen in Bezug auf den Antragsteller hatten.

3.   Gesetz vom 21. Juni 2004 zur Änderung des CIR 92

12.

Mit Gesetz vom 21. Juni 2004 zur Änderung des CIR 92 und des Gesetzes vom 24. Dezember 2002 ( 8 ) führte Belgien neue Steuerbestimmungen für grenzüberschreitende Transaktionen von verbundenen Unternehmen eines multinationalen Konzerns ein, die u. a. eine als „korrespondierende Berichtigung“ bezeichnete Gewinnberichtigung vorsahen.

13.

Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs, den die belgische Regierung der Abgeordnetenkammer vorgelegt hatte, diente dieses Gesetz zum einen der Anpassung des CIR 92, um darin ausdrücklich den international allgemein anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz zu übernehmen. Zum anderen sollte das Gesetz vom 24. Dezember 2002 geändert werden, um der Behörde für Steuervorbescheide die Zuständigkeit zum Erlass dieser Entscheidungen zu verleihen. Der Fremdvergleichsgrundsatz wurde in das belgische Steuerrecht eingeführt, indem Art. 185 des CIR 92 ein Abs. 2 angefügt wurde, der sich auf den Wortlaut von Art. 9 des Musterabkommens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf dem Gebiet der Steuern auf das Einkommen und auf das Vermögen stützt.

14.

Das Ziel von Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 besteht darin, zu gewährleisten, dass die Besteuerungsgrundlage der Gesellschaften, die in Belgien der Steuer unterliegen, durch Berichtigungen der Gewinne aus grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb des Konzerns angepasst werden kann, wenn die angewendeten Verrechnungspreise die Marktmechanismen und den Fremdvergleichsgrundsatz nicht widerspiegeln. Außerdem wird der von Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 eingeführte Begriff „angemessene Berichtigung“ damit begründet, dass er das Ziel habe, eine (mögliche) Doppelbesteuerung zu verhindern oder zu unterbinden. Zudem wird dargelegt, dass diese Berichtigung im Einzelfall auf der Grundlage der verfügbaren Informationen zu erfolgen habe, die insbesondere vom Steuerpflichtigen vorgelegt würden. Eine korrespondierende Berichtigung sei nur vorzunehmen, wenn die Steuerverwaltung der Auffassung sei, dass die Primärberichtigung in einem anderen Mitgliedstaat dem Grundsatz und der Höhe nach gerechtfertigt sei.

15.

Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 legt fest:

„[B]ei zwei Unternehmen, die einer multinationalen Gruppe verbundener Unternehmen angehören, und in Bezug auf deren gegenseitige grenzüberschreitende Beziehungen:

a)

dürfen, wenn die beiden Unternehmen in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden, die Gewinne, die eines der Unternehmen ohne diese Bedingungen erzielt hätte, wegen dieser Bedingungen aber nicht erzielt hat, den Gewinnen dieses Unternehmens zugerechnet werden;

b)

werden, wenn bei den Gewinnen eines Unternehmens Gewinne aufgeführt sind, die ebenfalls bei den Gewinnen eines anderen Unternehmens aufgeführt sind, und die so zugerechneten Gewinne solche Gewinne sind, die von diesem anderen Unternehmen erzielt worden wären, falls die zwischen den beiden Unternehmen vereinbarten Bedingungen die gleichen gewesen wären, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden, die Gewinne des ersten Unternehmens in angemessener Weise angepasst.

Unterabsatz 1 findet durch den Vorbescheid Anwendung, unbeschadet der Anwendung des Übereinkommens über die Beseitigung der Doppelbesteuerung.“ ( 9 )

4.   Auffassung der belgischen Steuerbehörden

16.

Die Auffassung der belgischen Steuerbehörden ergibt sich aus einem Rundschreiben vom 4. Juli 2006 zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes sowie mehreren Antworten der jeweiligen belgischen Finanzminister auf parlamentarische Anfragen.

17.

Den Beamten der Allgemeinen Steuerverwaltung wurde im Namen des Finanzministers das Rundschreiben vom 4. Juli 2006 übermittelt, um u. a. die Einfügung eines Abs. 2 in Art. 185 des CIR 92 und die entsprechende Anpassung dieses Gesetzbuchs zu erläutern. Das Rundschreiben weist darauf hin, dass diese Änderungen, die seit dem 19. Juli 2004 in Kraft seien, im belgischen Steuerrecht den Fremdvergleichsgrundsatz umsetzen sollten. Sie bildeten die Rechtsgrundlage dafür, den steuerbaren Gewinn aus grenzüberschreitenden Beziehungen innerhalb eines multinationalen Konzerns zwischen verbundenen Unternehmen anzupassen.

18.

Das Rundschreiben legt zum einen dar, dass die in Art. 185 Abs. 2 Buchst. a des CIR 92 vorgesehene positive Berichtigung eine Erhöhung der Gewinne der zu einem multinationalen Konzern gehörenden inländischen Gesellschaft gestatte. Dies diene der Einbeziehung der Gewinne, die die inländische Gesellschaft bei einem bestimmten Geschäft in einem fremdvergleichskonformen Kontext erzielt hätte.

19.

Zum anderen habe die in Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 vorgesehene negative korrespondierende Berichtigung das Ziel, eine (mögliche) Doppelbesteuerung zu verhindern. Diese Berichtigung habe im Einzelfall auf der Grundlage der verfügbaren Informationen zu erfolgen, die insbesondere der Steuerpflichtige vorlege. Eine korrespondierende Berichtigung sei nur vorzunehmen, wenn die Steuerverwaltung oder die Behörde für Steuervorbescheide der Auffassung sei, dass die Berichtigung dem Grundsatz und der Höhe nach gerechtfertigt sei. Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 sei nicht anwendbar, wenn der im Partnerstaat erzielte Gewinn so erhöht werde, dass er höher als derjenige sei, der im Fall der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes erlangt würde.

20.

Der belgische Finanzminister bestätigte am 13. April 2005 in Beantwortung parlamentarischer Anfragen zur Steuerregelung für Gewinnüberschüsse erstens, dass Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 die Situation betreffe, in der ein Vorbescheid zu einer Methode erlassen werde, um zu einem fremdvergleichskonformen Gewinn zu gelangen; zweitens, dass die in den belgischen Finanzberichten enthaltenen Gewinne eines in Belgien tätigen internationalen Konzerns, die die fremdvergleichskonformen Gewinne überstiegen, bei der Bestimmung des steuerlichen Gewinns in Belgien nicht zu berücksichtigen seien; und drittens, dass die Feststellung, welche ausländischen Unternehmen diese Mehrgewinne zu ihren Gewinnen hinzurechnen müssten, keine Aufgabe der belgischen Steuerbehörden sei.

21.

Am 11. April 2007 erklärte der belgische Finanzminister im Rahmen einer neuen Reihe von parlamentarischen Anfragen zur Anwendung von Art. 185 Abs. 2 Buchst. a und b des CIR 92, dass bisher nur Anträge bezüglich negativer Berichtigungen eingegangen seien. Darüber hinaus stellte er klar, dass für die Bestimmung der Methode zur Festsetzung des fremdvergleichskonformen Gewinns des belgischen Unternehmens im Rahmen der Steuervorbescheide die ausgeübten Aufgaben, die getragenen Risiken und die Vermögenswerte, die für Tätigkeiten bestimmt seien, die in Belgien noch keine steuerliche Wirkung gehabt hätten, berücksichtigt würden. Daher dürfe der in Belgien durch die belgischen Finanzberichte des internationalen Konzerns ausgewiesene Gewinn, der den fremdvergleichskonformen Gewinn überschreite, nicht in den in Belgien steuerpflichtigen Gewinn einbezogen werden. Schließlich wies der belgische Finanzminister erneut darauf hin, dass es nicht Sache des belgischen Fiskus sei, zu bestimmen, welchen ausländischen Gesellschaften der Mehrgewinn zuzurechnen sei. Es sei unmöglich, insoweit Informationen mit ausländischen Steuerbehörden auszutauschen.

22.

Am 6. Januar 2015 bestätigte der belgische Finanzminister, dass das grundlegende Prinzip der Steuervorbescheide darin bestehe, den Gewinn zu besteuern, der einem fremdvergleichskonformen Gewinn für das betroffene Unternehmen entspreche, und bekräftigte wiederum die von seinem Vorgänger am 11. April 2007 gegebenen Antworten zu dem Umstand, dass der belgische Fiskus nicht festzustellen habe, welcher ausländischen Gesellschaft der in Belgien nicht besteuerte Mehrgewinn zuzurechnen sei.

III. Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht

A. Hintergrund des Rechtsstreits

23.

Von 2004 bis 2014 nahm die belgische Finanzverwaltung negative Anpassungen des Gewinns von 55 in Belgien ansässigen Unternehmen „grenzüberschreitender Konzerne“ im Wege von 66 Steuervorbescheiden vor.

24.

Dabei stützte sie sich auf Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92. Dieser ermöglicht eine Anpassung der Gewinne zwischen zwei konzernverbundenen Unternehmen, wenn die zwischen den beiden Unternehmen vereinbarten Bedingungen die gleichen gewesen wären, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden.

25.

Nach Auffassung der Kommission wurden jedoch nicht Entgelte für Leistungen zwischen zwei verbundenen Unternehmen anhand des Fremdvergleichsmaßstabes neu beurteilt, wie es in Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 vorgesehen ist, sondern die belgischen Steuerbehörden verglichen im Ergebnis den Gewinn des in einen „grenzüberschreitenden Konzern“ eingebundenen Unternehmens mit dem eines nicht verbundenen Unternehmens. Konkret wurden diese Mehrgewinne ermittelt, indem der hypothetische durchschnittliche Gewinn, den ein eigenständiges Unternehmen, das eine vergleichbare Tätigkeit ausübt, in einer vergleichbaren Lage erwirtschaftet hätte, geschätzt und dieser Betrag von dem tatsächlich erzielten Gewinn des betroffenen belgischen Unternehmens abgezogen wurde. ( 10 ) Nach Auffassung von Belgien sei der verbleibende Betrag den Synergien, Skaleneffekten oder sonstigen Vorteilen zu verdanken, die sich aus der Zugehörigkeit zu einem multinationalen Konzern ergeben und bei einem vergleichbaren eigenständigen Unternehmen nicht gegeben wären. ( 11 )

26.

Mit Beschluss vom 11. Januar 2016 stellte die Kommission fest, dass die von Belgien durch Steuervorbescheide, die sich auf Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 gründeten, gewährten Anpassungen eine Beihilferegelung im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar und unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV angewendet worden sei.

27.

Außerdem ordnete die Kommission die Rückforderung der gewährten Beihilfen von den Empfängern an, deren abschließende Liste Belgien später aufzustellen hatte. Aus dem Anhang des streitigen Beschlusses gehen jedoch bereits 55 Empfänger hervor, darunter Magnetrol International NV, Soudal BV, Esko-Graphics BVBA, Flir Systems Trading Belgium BVBA, Anheuser-Busch InBev SA/NV, Ampar BVBA, Wabco Europe BVBA, Atlas Copco Airpower NV, Atlas Copco AB und Celio International NV.

28.

Die Kommission bewertete den Erlass der fraglichen Steuervorbescheide in den Erwägungsgründen 94 bis 110 des streitigen Beschlusses insgesamt als Beihilferegelung, die sich auf Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 in seiner Anwendung durch die belgische Steuerverwaltung gründe. Außerdem seien diese Befreiungen gewährt worden, ohne dass Durchführungsmaßnahmen der grundlegenden Bestimmungen erforderlich gewesen seien, da die belgischen Behörden die Steuervorbescheide nach einem systematischen Konzept bewilligt hätten. Im Übrigen seien die Begünstigten der Befreiungen in einer allgemeinen und abstrakten Weise durch die der Regelung zugrunde liegenden Bestimmungen definiert. Diese seien nämlich auf Unternehmen anwendbar, die einer multinationalen Gruppe verbundener Unternehmen angehörten. ( 12 )

B. Verfahren vor dem Gericht

29.

Am 22. März bzw. 25. Mai 2016 erhoben Belgien und Magnetrol International Klagen gegen den streitigen Beschluss, die das Gericht zum gemeinsamen mündlichen Verfahren verband. Irland unterstützte Belgien als Streithelferin.

30.

Belgien und Magnetrol International machten im Wesentlichen folgende Klagegründe geltend:

einen Eingriff der Kommission in die ausschließliche Zuständigkeit Belgiens für direkte Steuern;

eine fehlerhafte Feststellung des Vorliegens einer Beihilferegelung;

eine fehlerhafte Feststellung, dass die Steuervorbescheide betreffend die Gewinnüberschüsse staatliche Beihilfen seien, sowie einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und des Vertrauensschutzes.

31.

Mit dem angefochtenen Urteil erklärte das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig. Zwar wies es den Klagegrund als unbegründet zurück, wonach die Kommission in die Steuerhoheit Belgiens eingegriffen habe (Rn. 59 bis 74 des angefochtenen Urteils). Das Gericht stellte allerdings fest, dass die Klagegründe von Belgien und Magnetrol International betreffend einen Verstoß gegen Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 in Bezug auf das angebliche Vorliegen einer Beihilferegelung begründet waren (Rn. 75 bis 135 des angefochtenen Urteils). Damit brauchten die anderen Klagegründe nicht mehr geprüft zu werden (Rn. 136 des angefochtenen Urteils).

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

32.

Gegen das Urteil des Gerichts hat die Kommission am 24. April 2019 Rechtsmittel eingelegt.

33.

Am 18. Juli 2019 hat Belgien Anschlussrechtsmittel eingelegt.

34.

Mit Beschlüssen vom 15. Oktober 2019 hat der Präsident des Gerichtshofs Soudal, Esko-Graphics, Flir Systems Trading Belgium, Anheuser-Busch InBev und Ampar, Wabco Europe, Atlas Copco Airpower und Atlas Copco sowie Celio International als Streithelfer von Magnetrol International zugelassen.

35.

Die Kommission beantragt,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das Gericht festgestellt hat, dass das Gewinnüberschusssystem im streitigen Beschluss zu Unrecht als Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 angesehen worden sei;

die Rechtssache zur Entscheidung über die verbleibenden Klagegründe an das Gericht zurückzuverweisen;

die Kostenentscheidung vorzubehalten.

36.

Belgien, Magnetrol International und die Streithelfer beantragen,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

37.

Im Rahmen des Anschlussrechtsmittels beantragt Belgien,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das Gericht den ersten Klagegrund Belgiens zurückgewiesen hat, und über diesen Klagegrund zu entscheiden;

das angefochtene Urteil im Übrigen zu bestätigen;

der Kommission die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen.

38.

Die Kommission beantragt, das Anschlussrechtsmittel zurückzuweisen.

39.

Die Kommission, Belgien, Magnetrol International und die Streithelfer haben sich schriftlich und in der Verhandlung am 24. September 2020 mündlich zum Rechtsmittel geäußert. ( 13 )

V. Würdigung

A. Zulässigkeit des Rechtsmittels

40.

Belgien, Magnetrol International, Soudal, Esko-Graphics und Wabco Europe halten das Rechtsmittel der Kommission für insgesamt unzulässig. Erstens bemängeln sie die Anträge der Kommission. Zweitens strebe die Kommission eine Neubewertung des Sachverhalts an. Und drittens lege die Kommission nicht dar, worin die Rechtsfehler des Gerichts lägen.

1.   Zu den Anträgen der Kommission

41.

Zunächst meinen Magnetrol International, Soudal, Esko-Graphics und Wabco Europe, dass die Anträge der Kommission unzulässig seien. Die Kommission begehre, nur den Teil des Urteils aufzuheben, der sie belaste. Der angegriffene Teil des Tenors, mit dem das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig erklärt hat, sei aber unteilbar.

42.

Gemäß Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs müssen die Rechtsmittelanträge auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts in der Gestalt der Entscheidungsformel gerichtet sein.

43.

Die Kommission beantragt, „das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das Gericht festgestellt hat, dass das Gewinnüberschusssystem in der streitigen Entscheidung zu Unrecht als Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 angesehen worden sei“. Insofern geht aus dem Rechtsmittelantrag der Kommission unmissverständlich hervor, dass er auf die Aufhebung der Entscheidungsformel gerichtet ist, mit der das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig erklärt hat. Das entspricht der vollständigen Aufhebung der Entscheidung des Gerichts, mit der es den Klagen von Belgien und Magnetrol International vollumfänglich stattgab. Das Gericht wies diese Klagen nämlich nicht etwa zum Teil ab.

44.

Da sich daraus eindeutig ergibt, dass das Rechtsmittel auf die Aufhebung des angefochtenen Urteils gerichtet ist, ( 14 ) sind die Anträge der Kommission insoweit zulässig.

2.   Zum Vorwurf, die Kommission strebe eine Neubewertung der durch das Gericht festgestellten Tatsachen an

45.

Belgien, Soudal und Esko-Graphics rügen außerdem, dass die Kommission eine Neubewertung des Sachverhalts durch den Gerichtshof begehre. Die Kommission versuche durch ihr Rechtsmittel letztlich, die Begründung des streitigen Beschlusses zu ersetzen.

46.

Nach Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs ist ein Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie für die Beweiswürdigung ist daher allein das Gericht zuständig. Die Würdigung der Tatsachen und Beweise ist somit – vorbehaltlich ihrer Verfälschung – keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt. ( 15 )

47.

Indes beschränkt sich die Kommission gerade nicht darauf, die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen durch das Gericht zu bemängeln. Vielmehr trägt sie mehrfach vor, dass das Gericht die Tatsachen verfälscht habe. Abgesehen davon beschränkt sich die Kommission nicht auf Rügen auf der Tatsachenebene, sondern macht, wie ich in der Folge darstellen werde ( 16 ), auch Rechtsfehler geltend.

3.   Zur hinreichenden Begründung des Rechtsmittels

48.

Belgien, Soudal und Esko-Graphics monieren schließlich, dass die Kommission nicht begründet habe, inwiefern das Gericht Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 falsch ausgelegt habe.

49.

Nach ständiger Rechtsprechung folgt insbesondere aus Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile der Entscheidung, deren Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss. Ein Rechtsmittel, das nur die bereits vor dem Gericht geltend gemachten Klagegründe oder Argumente wiederholt oder wörtlich wiedergibt, genügt diesen Begründungserfordernissen nicht. ( 17 )

50.

Indes beanstandet die Kommission bestimmte Teile des angefochtenen Urteils und benennt insofern spezifische Randnummern. ( 18 ) Zudem erläutert sie, inwiefern das Gericht nach ihrer Auffassung einen Rechtsfehler bei der Anwendung der einzelnen Voraussetzungen von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 begangen habe.

51.

Damit ist das Rechtsmittel hinreichend begründet.

4.   Ergebnis zur Zulässigkeit des Rechtsmittels

52.

Im Ergebnis ist das Rechtsmittel zulässig.

B. Begründetheit des Rechtsmittels

53.

Das Rechtsmittel der Kommission besteht aus einem Rechtsmittelgrund. Das Gericht habe den Begriff der Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 rechtsfehlerhaft ausgelegt und darüber hinaus den streitigen Beschluss insofern verfälscht, als die Voraussetzungen einer Beihilferegelung nicht darlegt worden seien.

54.

Nach Auffassung des Gerichts stellte die Kommission zu Unrecht fest, dass die systematische, über den Anwendungsbereich des Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 hinausgehende Praxis der Gewinnanpassung durch die belgischen Behörden eine Beihilferegelung darstellt (Rn. 135 des angefochtenen Urteils). Die Kommission habe nicht alle ergangenen Steuervorbescheide überprüft, sondern nur eine Stichprobe derselben. Damit wies sie jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht nach, dass die belgischen Steuerbehörden in allen Steuervorbescheiden einem systematischen Konzept folgten (Rn. 134 des angefochtenen Urteils).

55.

Gemäß Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 ist eine Beihilferegelung eine Regelung, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können.

56.

Der Ausdruck „Einzelbeihilfen“ bezeichnet nach Art. 1 Buchst. e dieser Verordnung hingegen Beihilfen, die nicht aufgrund einer Beihilferegelung gewährt werden, und einzelne anmeldungspflichtige Zuwendungen aufgrund einer Beihilferegelung.

57.

Demnach hat eine Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 drei Voraussetzungen: Erstens muss es sich um eine Regelung handeln. Zweitens müssen die Einzelbeihilfen ohne nähere Durchführungsmaßnahmen gewährt werden. Und drittens müssen die Unternehmen, denen die Beihilfen gewährt werden, in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

58.

Das Gericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass keine dieser Voraussetzungen vorliegt. Nach Auffassung der Kommission hat das Gericht damit alle drei Voraussetzungen von Art. 1 Buchst. d falsch ausgelegt (erster bis dritter Teil des Rechtsmittelgrundes). Nur sofern das für alle drei Voraussetzungen zutrifft, kann das Rechtsmittel der Kommission letztlich Erfolg haben.

59.

Bei dem vierten und letzten Teil des Rechtsmittelgrundes, wonach das Gericht außerdem den Sinn und Zweck des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 missachtet habe, handelt es sich hingegen in Wahrheit nicht um einen eigenständigen Teil des Rechtsmittelgrundes. Vielmehr ist der Sinn und Zweck einer Vorschrift bei der Auslegung jeder ihrer Voraussetzungen zu berücksichtigen. Dieser Teil wird daher zusammen mit den anderen drei Teilen geprüft.

1.   Zur ersten Voraussetzung der „Regelung“ (erster Teil des Rechtsmittelgrundes)

60.

Mit dem ersten Teil des Rechtsmittelgrundes wirft die Kommission dem Gericht vor, in den Rn. 78 ff. des angefochtenen Urteils die erste Voraussetzung von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589, nämlich den Begriff der Regelung, falsch ausgelegt zu haben. Darüber hinaus habe es die Erwägungsgründe 94 bis 110 des streitigen Beschlusses verfälscht, indem es in Rn. 94 des angefochtenen Urteils annahm, dass nur die im 99. Erwägungsgrund angeführten Akte die Grundlage der fraglichen Regelung bildeten.

61.

Im 99. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses führte die Kommission aus, dass Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92, die Begründung des Gesetzes vom 21. Juni 2004, das Rundschreiben vom 4. Juli 2006 und die Antworten des Ministers für Finanzen auf die parlamentarischen Anfragen zur Anwendung von Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 die Akte darstellten, auf deren Grundlage die Steuerregelung für Gewinnüberschüsse bewilligt worden sei.

62.

Der erste Teil des Rechtsmittelgrundes untergliedert sich wiederum in zwei Argumente. Zum einen könne der Begriff der Regelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 entgegen der Auffassung des Gerichts auch eine ständige Verwaltungspraxis umfassen (dazu a). Zum anderen habe das Gericht verkannt, dass die Kommission diese ständige Verwaltungspraxis auch hinreichend nachgewiesen habe (dazu b).

a)   Zum Begriff der Regelung

63.

Die Kommission ist der Ansicht, das Gericht habe den Begriff der Regelung zu eng ausgelegt. Der Begriff der Regelung könne – entgegen der Auffassung des Gerichts – auch eine ständige Verwaltungspraxis umfassen.

64.

Der Begriff der Regelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 ist weit auszulegen. ( 19 ) Während nur wenige Sprachfassungen darauf hindeuten, dass eine gesetzliche Regelung erforderlich sein könnte, ( 20 ) scheint es nach den meisten Sprachfassungen ( 21 ) auszureichen, dass eine Rechtsfolge gesetzt wird ( 22 ) – egal ob durch Gesetz oder auf andere Weise.

65.

Auch die praktische Wirksamkeit der Beihilfenkontrolle spricht für eine weite Auslegung. Während Buchst. e Einzelfälle betrifft, erfasst Buchst. d eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle. Die Effektivität der Arbeit der Kommission wäre gefährdet, wenn die Mitgliedstaaten die Überprüfung einer abstrakten Beihilferegelung verhindern könnten, indem sie sie von der gesetzlichen auf die Verwaltungsebene verschieben. Die Kommission müsste dann alle Entscheidungen einzeln aufgreifen, auch wenn sie gleichartig sind.

66.

Das Argument der Kommission scheint demgegenüber auf eine unvollständige Lektüre des angefochtenen Urteils zurückzugehen. Das Gericht hat in einem ersten Schritt in den Rn. 80 ff. seines Urteils geprüft, ob die im 99. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses identifizierten Rechtsakte die Grundlage für die gewährten negativen Korrekturen darstellen. Dies hat das Gericht in Rn. 96 des Urteils mit dem Argument verneint, dass diese nicht die tragenden Elemente der von der Kommission gerügten Regelung enthielten. In einem zweiten Schritt hat das Gericht in den Rn. 121 ff. sodann geprüft, ob das Vorbringen der Kommission zum Vorliegen einer ständigen Verwaltungspraxis diese Schlussfolgerung in Frage stellt. Eine solche ständige Verwaltungspraxis bezeichnet das Gericht als „systematisches Konzept“.

67.

Zwar verweist das Gericht in den Rn. 79 und 122 des angefochtenen Urteils zutreffend auf das Urteil Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission. Danach kann sich die Kommission bei fehlender Identifizierung eines Rechtsakts zur Einführung einer Beihilferegelung auf Umstände stützen, die in ihrer Gesamtheit darauf schließen lassen, dass eine Beihilferegelung vorliegt. ( 23 ) Entgegen der Auffassung einiger Beteiligter lässt sich dem Urteil Pleuger ( 24 ) aber nicht entnehmen, dass eine Verwaltungspraxis nur dann eine Beihilferegelung darstellen kann, wenn es an einer gesetzlichen Regelung fehlt. Zwar trifft es zu, dass der Gerichtshof in jener Rechtssache nur über eine Konstellation zu entscheiden hatte, in der kein Rechtsakt identifiziert werden konnte, auf den sich die Beihilferegelung stützte. Jedoch traf der Gerichtshof damit keine Aussage über Fälle, in denen ein Rechtsakt von der Verwaltung über seinen Wortlaut hinaus in einer bestimmten Art und Weise einheitlich angewendet wird. Entsprechend schließt das Gericht in Rn. 123 des angefochtenen Urteils gar nicht aus, dass die Kommission das Vorliegen einer Beihilferegelung feststellen kann, wenn die Merkmale eines systematischen Konzepts den Anforderungen von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 entsprechen. Das Gericht hat vielmehr lediglich in Rn. 124 festgestellt, dass die Kommission keine ständige Verwaltungspraxis durch ein solches systematisches Konzept nachgewiesen habe.

68.

Damit geht dieses Argument der Kommission im Rahmen des ersten Teils ihres Rechtsmittelgrundes ins Leere.

b)   Zum Nachweis der ständigen Verwaltungspraxis

69.

Entscheidend ist damit, ob das Gericht – wie die Kommission rügt – einen Rechtsfehler begangen hat, indem es zu hohe Anforderungen an den Nachweis einer ständigen Verwaltungspraxis stellte. Insofern hat das Gericht in Rn. 134 seines Urteils festgestellt, die Kommission habe im streitigen Beschluss nicht nachgewiesen, dass ein systematisches Konzept der belgischen Steuerbehörden bestand, dem in allen Steuervorbescheiden gefolgt wurde.

70.

Wie oben ausgeführt, ( 25 ) stellt die Tatsachenwürdigung durch das Gericht grundsätzlich keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt. Hat das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt, ist der Gerichtshof aber gemäß Art. 256 AEUV zur Kontrolle der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen und der Rechtsfolgen, die das Gericht aus ihnen gezogen hat, befugt. ( 26 )

71.

Im Einzelnen ist das Gericht der Auffassung, die Kommission habe nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass ein systematisches Konzept vorliege (Rn. 126 des angefochtenen Urteils). Sie habe weder die Auswahl ihrer Stichprobe noch die Gründe, aus denen diese Stichprobe als repräsentativ für die Gesamtheit der Steuervorbescheide betrachtet werde, näher dargelegt (Rn. 127 des angefochtenen Urteils). Es seien Beispiele zur Veranschaulichung aller Steuervorbescheide herangezogen worden, ohne deren Auswahl und Repräsentativität zu begründen (Rn. 128 des angefochtenen Urteils).

72.

Wie nachstehend darzulegen ist, darf sich die Kommission zum Nachweis einer Regelung darauf beschränken, Stichproben zu untersuchen (dazu 1). Daher ist zu prüfen, ob das Gericht die Auswahl der Stichprobe durch die Kommission rechtsfehlerfrei beanstandet hat (dazu 2).

1) Zum Nachweis der Beihilferegelung mittels einer Stichprobe

73.

Die Kommission beanstandet Steuervorbescheide typischerweise als Einzelbeihilfen. ( 27 ) Das schließt indes nicht aus, dass die Kommission auch bei Steuervorbescheiden eine ständige Verwaltungspraxis der Steuerbehörden eines Mitgliedstaats nachweisen kann. Dazu muss die Kommission aber belegen, dass die Steuerbehörden systematisch vorgehen.

74.

Bei einer Verwaltungspraxis handelt es sich um eine zu einem bestimmten Grad verfestigte und allgemeine Praxis. ( 28 ) Ständig ist eine solche Praxis, wenn sie sich in einer Weise verdichtet hat, dass der Eindruck vermittelt wird, Fälle einer bestimmten Kategorie würden stets auf diese Weise behandelt.

75.

Beim Nachweis einer ständigen Verwaltungspraxis gibt es naturgemäß gewisse Unschärfen, insbesondere wenn der Staat keine diesbezüglichen Verwaltungsvorschriften erlassen hat. Gleichwohl genügt der bloße Anschein einer Verwaltungspraxis nicht. Vielmehr muss die Kommission, wenn ein Gesetz vorliegt, nachweisen, dass die Verwaltungspraxis ständig über die bloße Ausübung der gesetzlichen Befugnisse hinausging. Andernfalls würde das Gesetz selbst die Beihilferegelung darstellen.

76.

Vorliegend wirft die Kommission Belgien vor, seine Steuerbehörden hätten Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 durchgehend falsch angewandt. Denn während nach dieser Vorschrift eine Gewinnanpassung für Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen eines Konzerns möglich ist, hätten die belgischen Steuerbehörden die Befreiung unabhängig von derartigen Vereinbarungen gewährt.

77.

Nach den Feststellungen des Gerichts reichte es aus, dass die Gewinne mit einer neuen Situation zusammenhingen, z. B. einer Neuorganisation, die zu einer Neuansiedlung des Hauptunternehmens in Belgien führt, der Schaffung von Arbeitsplätzen oder der Vornahme von Investitionen. ( 29 ) Die belgischen Behörden warben sogar – das hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung nochmals anschaulich dargestellt – mit der Möglichkeit von Steuervorbescheiden, durch die eine negative Gewinnanpassung (z. T. auch als Steuerbefreiung der Mehrgewinne bezeichnet) vorgenommen wurde. ( 30 )

78.

Wenn aber nach dem äußeren Anschein eine Vielzahl von Bescheiden dieselbe Herangehensweise und Begründung aufweist, dann ist das ein Indiz für eine ständige Verwaltungspraxis.

79.

Dafür muss die Kommission nicht alle beanstandeten Bescheide einzeln prüfen, sondern kann den Nachweis einer ständigen Verwaltungspraxis auch auf eine Stichprobe stützen. ( 31 ) Die Kommission muss aber begründen, dass die Auswahl ihrer Stichprobe repräsentativ ist. Die Stichprobe muss für den konkreten Fall hinreichend signifikant sein. ( 32 ) Dazu könnte die Stichprobe rein zufällig ausgewählt werden oder aber dergestalt, dass aus einer bestimmten Teilerhebung möglichst verlässlich auf die Gesamtmasse geschlossen werden kann.

80.

Bei der letzteren Methode müssen alle für die Auswahl der Stichprobe maßgeblichen Parameter aus dem streitigen Beschluss hervorgehen. Von der Kommission in ihrem Rechtsmittel angeführte Gründe, aufgrund derer die Stichprobe repräsentativ sei, wären nachgeschoben und können daher nicht berücksichtigt werden.

2) Nachweis einer ständigen Verwaltungspraxis im vorliegenden Fall

81.

In Frage steht damit, ob das Gericht in Rn. 126 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, dass die Kommission im streitigen Beschluss eine ständige Verwaltungspraxis nicht hinreichend nachgewiesen habe.

82.

Das Gericht führt in Rn. 127 des angefochtenen Urteils aus, dass die Kommission eine Stichprobe von 22 der 66 betroffenen Steuervorbescheide geprüft habe. Sie habe jedoch weder die Auswahl dieser Stichprobe noch die Gründe, aus denen diese Stichprobe als repräsentativ für die Gesamtheit der Steuervorbescheide betrachtet werde, näher dargelegt. Die Kommission habe sich darauf beschränkt, mit den geprüften Bescheiden den Zeitraum der beanstandeten Entscheidungen abzudecken.

83.

Darüber hinaus kritisiert das Gericht in Rn. 128 des angefochtenen Urteils, dass es an näheren Angaben zu den Gründen fehle, aus denen sechs Steuervorbescheide aus dieser Stichprobe im streitigen Beschluss summarisch beschrieben wurden. Der streitige Beschluss enthalte auch keine Gründe dafür, dass diese sechs Steuervorbescheide für alle 66 Steuervorbescheide hinreichend repräsentativ seien.

84.

Entgegen der Auffassung des Gerichts ist der streitige Beschluss insoweit nicht zu beanstanden, als es sich bei den sechs exemplarischen Steuervorbescheiden lediglich um – in den Worten des Gerichts – „Beispiele zur Veranschaulichung“ ( 33 ) handelt. Denn veranschaulichende Beispiele sind gerade nicht die einen Beschluss tragenden Gründe, sondern dienen nur der Illustration desselben.

85.

Was jedoch die tragenden Gründe des streitigen Bescheids angeht, muss die Auswahl der Kommission, wie oben dargestellt, repräsentativ sein. Dazu sind alle Parameter zu berücksichtigen, die zur Auswahl der Stichprobe geführt haben. Diese sind im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. ( 34 )

86.

Vorliegend prüfte die Kommission zunächst 22 der 66 betroffenen Steuervorbescheide, so dass die Stichprobe 1/3 der Bescheide umfasste. Diese Anzahl ist nicht zu beanstanden. Weiterhin stammten alle Bescheide vom selben Aussteller, nämlich der belgischen Behörde für Steuervorbescheide.

87.

Zudem erfassten alle 22 gewählten und geprüften Vorbescheide Gewinnanpassungen zugunsten der Antragsteller, die Teil eines multinational agierenden Konzerns waren. Dadurch führten die belgischen Steuerbehörden eine – wie es die Kommission bezeichnet – fiktive Gewinnbesteuerung für bestimmte Unternehmen durch, die sich nicht aus Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 ergibt.

88.

Und schließlich wählte die Kommission Bescheide aus den Jahren 2004, 2007, 2010 und 2013 aus. Zwar geht diese Information nur aus dem dritten Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses hervor. Dieser steht nicht im Abschnitt des streitigen Beschlusses über die Bewertung der Maßnahme, sondern beschränkt sich auf die Darstellung des Verfahrens.

89.

Aus der im 59. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses prominent dargestellten Tabelle ergibt sich aber, dass diese 22 Bescheide der Stichprobe alle Bescheide der ausgewählten Jahre darstellen. Da 2004 kein Bescheid erlassen wurde, griff die Kommission auf das Jahr 2005 zurück, das erste Jahr der Vorbescheide dieser Art. Insofern hat das Gericht in Rn. 127 des angefochtenen Urteils die Ausführungen der Kommission zutreffend dokumentiert, dass sie mit der Prüfung dieser Jahre die Bescheide abdeckte, die zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Zeitraums erlassen wurden.

90.

Mithin legte die Kommission im streitigen Beschluss dar, dass die Stichprobe insgesamt repräsentativ ist und damit für den Nachweis einer ständigen Verwaltungspraxis ausreicht.

91.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass einzelne Anträge nach der Vorprüfungsphase zurückgezogen wurden. Ausweislich der Rn. 112 des angefochtenen Urteils führten etwa im Jahr 2014 nur rund 50 % der Anträge schließlich zu einem Vorbescheid. Bezüglich der anderen Hälfte der Anträge erging kein Bescheid.

92.

Dies ist jedoch unerheblich, denn einerseits bezog die Kommission das Jahr 2014 gar nicht in ihre Stichprobe ein. Und andererseits teilten die belgischen Behörden der Kommission mit, „dass sie seit der Einführung der umstrittenen Regelung keinen Antrag auf Erteilung eines Steuervorbescheids abgelehnt haben, durch den die Inanspruchnahme der Steuerregelung für Gewinnüberschüsse ermöglicht wurde“ ( 35 ). Die Kommission durfte vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass sie die vollständige Bescheidungspraxis der belgischen Steuerbehörden abdeckte.

93.

Im Rahmen der Beihilfenkontrolle ist diesbezüglich zu beachten, dass die Kommission auf die Kooperation des betreffenden Mitgliedstaats angewiesen ist. Sie kann gemäß den Art. 5, 12 und 20 der Verordnung 2015/1589 Auskunftsersuchen an den Mitgliedstaat richten. Dabei darf sich die Kommission darauf verlassen, dass die vom Mitgliedstaat übermittelten Auskünfte richtig und vollständig sind. Darüber hinaus gehende Nachforschungen muss sie nicht anstellen.

94.

Folglich legte die Kommission im streitigen Beschluss die Auswahl der Stichprobe und die Gründe, aus denen sie diese Stichprobe als repräsentativ für die Gesamtheit der Steuervorbescheide betrachtete, hinreichend dar. Mithin muss nicht näher auf das Argument der Kommission eingegangen werden, wonach bereits eine Bezugnahme auf den Eröffnungsbeschluss im streitigen Beschluss ausreiche, um den Darlegungserfordernissen zu genügen. ( 36 )

95.

Im Ergebnis hat das Gericht daher einen Rechtsfehler begangen, indem es die Stichprobe unzutreffend als nicht rechtlich hinreichend repräsentativ qualifiziert hat, die nicht ausreiche, eine ständige Verwaltungspraxis nachzuweisen.

c)   Ergebnis zum ersten Teil des Rechtsmittelgrundes

96.

Der erste Teil des Rechtsmittelgrundes ist daher begründet.

2.   Zur zweiten Voraussetzung „ohne nähere Durchführungsmaßnahmen“ (zweiter Teil des Rechtsmittelgrundes)

97.

Im Rahmen des zweiten Teils des Rechtsmittelgrundes macht die Kommission geltend, das Gericht habe die zweite Voraussetzung von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589, nämlich, dass keine näheren Durchführungsmaßnahmen erforderlich sind, falsch ausgelegt.

98.

In Rn. 120 des angefochtenen Urteils kommt das Gericht zu dem Ergebnis, die Kommission sei zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die in Rede stehende belgische Steuerregelung für Gewinnüberschüsse keine näheren Durchführungsmaßnahmen erfordere.

99.

Zuvor hat das Gericht in Rn. 86 des angefochtenen Urteils zutreffend die Voraussetzung einer Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 definiert, wonach Einzelbeihilfen ohne nähere Durchführungsmaßnahmen gewährt werden müssen. Dafür kommt es darauf an, dass sich die wesentlichen Elemente der fraglichen Beihilferegelung aus den Bestimmungen ergeben, die als Grundlage der Regelung identifiziert worden sind.

100.

Allerdings schlägt der oben begründete ( 37 ) Rechtsfehler des Gerichts auch auf diesen Teil des Rechtsmittelgrundes durch. Da das Gericht die ständige Verwaltungspraxis der belgischen Steuerbehörden als nicht hinreichend nachgewiesen qualifizierte, hat es die Voraussetzung der fehlenden Durchführungsmaßnahmen nur im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage für Gewinnanpassungen in Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 geprüft.

101.

Ist Grundlage der Beihilferegelung ein Gesetz, stellt klassischerweise dessen Anwendung durch die Verwaltung eine mögliche nähere Durchführungsmaßnahme dar. Solche näheren Durchführungsmaßnahmen liegen allerdings nicht vor, wenn Einzelbeihilfen ohne individuelle Entscheidungsbefugnis der Verwaltung bereits aufgrund des Gesetzes gewährt werden.

102.

Das Gericht nimmt in Rn. 87 des angefochtenen Urteils im Grundsatz zutreffend an, dass die nationalen Behörden über keinen „Ermessensspielraum“ verfügen dürfen. Vielmehr muss sich deren Befugnis auf eine technische Anwendung beschränken. Nur so ist ausgeschlossen, dass nähere Durchführungsmaßnahmen vorliegen. Es kommt also darauf an, ob die Behörden über echte Entscheidungsspielräume oder nur über eine gebundene Entscheidungskompetenz verfügen. Dass ein Antrag des Steuerpflichtigen notwendig ist, ist für das Bedürfnis näherer Durchführungsmaßnahmen unerheblich, worauf das Gericht in Rn. 100 des angefochtenen Urteils zu Recht hinweist.

103.

Wenn jedoch – wie hier – eine ständige Verwaltungspraxis die Regelung ist, gibt es regelmäßig keine weiteren näheren Durchführungsmaßnahmen, da die ständige Verwaltungspraxis bereits aus einem Bündel von Maßnahmen zur Gewährung der Einzelbeihilfen besteht.

104.

Bei einer ständigen Verwaltungspraxis könnte eine nähere Durchführungsmaßnahme lediglich darin liegen, dass dem einzelnen Verwaltungsbeamten im Rahmen dieser Praxis eine individuelle Entscheidungsbefugnis eingeräumt wird, die es ihm erlaubt, von der eigentlich praktizierten Behandlung abzuweichen.

105.

Das ist vorliegend nicht der Fall. Soweit die belgischen Steuerbehörden über den Wortlaut des Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 hinaus eine Vergleichsbetrachtung des Gewinns mit einem nicht in einen Konzern eingebundenen Unternehmen vornahmen, erfolgte immer eine Anpassung an den niedrigeren Vergleichsgewinn eines nicht in einen Konzern eingebundenen Unternehmens. Da diese Anpassung ausnahmslos nach der gleichen Methode vorgenommen wurde, bestand mithin kein eigenständiger, individueller Entscheidungsspielraum der Behörde.

106.

Insbesondere gibt es im vorliegenden Verfahren keine Anzeichen dafür, dass die belgischen Finanzbehörden unterschiedliche Gewinnanpassungen vornehmen könnten, wenn zwei identische Konzernunternehmen einen Vorbescheid beantragen, weil sie meinen, dass ein Unternehmen mehr zu begünstigen sei als das andere.

107.

Insofern ist die Feststellung des Gerichts, dass hier weitere Durchführungsmaßnahmen erforderlich gewesen seien, rechtsfehlerhaft. Im Ergebnis ist daher auch der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes begründet.

3.   Zur dritten Voraussetzung der allgemeinen und abstrakten Definition der Begünstigten in der Regelung (dritter Teil des Rechtsmittelgrundes)

108.

Mit dem dritten Teil des Rechtsmittelgrundes wirft die Kommission dem Gericht vor, die dritte Voraussetzung von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589, nämlich die allgemeine und abstrakte Definition der Begünstigten, falsch ausgelegt und die Erwägungsgründe 66, 102 und 103, 109 sowie 139 und 140 des streitigen Beschlusses verfälscht zu haben, indem es annahm, dass nähere Durchführungsmaßnahmen erforderlich gewesen seien, um die von der Befreiung der Gewinnüberschüsse Begünstigten zu bestimmen.

109.

Die Definition der Begünstigten behandelt das Gericht in den Rn. 114 bis 119 des angefochtenen Urteils. Es gelangt in Rn. 119 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis, dass die Definition der Begünstigten zwangsläufig durch nähere Durchführungsmaßnahmen erfolgt. Die Begünstigten könnten ausweislich Rn. 115 des angefochtenen Urteils nicht allein auf Grundlage des Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 ermittelt werden. Nach Rn. 116 des angefochtenen Urteils entsprächen die von der Kommission festgestellten Begünstigten der Regelung gemäß dem 102. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses einer viel spezielleren Kategorie als im Gesetz definiert. Die anderen von der Kommission identifizierten Rechtsakte enthielten jedoch keine zusätzlichen Einzelheiten (Rn. 117 des angefochtenen Urteils).

110.

Auch insoweit hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen. Zwar legt das Gericht in Rn. 115 des angefochtenen Urteils grundsätzlich den richtigen Maßstab an die allgemeine und abstrakte Definition der Begünstigten im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 an. Eine solche Definition ist allgemein und abstrakt, wenn die Begünstigten allein auf Grundlage der Regelung ohne nähere Durchführungsmaßnahmen ermittelt werden können.

111.

In derselben Randnummer hat das Gericht auch zutreffend die Ansicht vertreten, dass nach Art. 185 Abs. 2 Buchst. b des CIR 92 die Inanspruchnahme der Steuerregelung auf Unternehmen begrenzt ist, die einer „multinationalen Gruppe verbundener Unternehmen“ angehören. Insofern ist der gleichlautende 109. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses nicht verfälscht.

112.

Jedoch verkennt das Gericht in Rn. 116 des angefochtenen Urteils, dass die nähere Umschreibung des Begünstigten im 102. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses selbst Teil der Beihilferegelung ist. ( 38 ) Dass sich die von der Kommission festgestellten Begünstigten der Regelung von den in Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 genannten unterscheiden, resultiert schlicht aus der Tatsache, dass die Kommission nicht Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 als Beihilferegelung einstufte, sondern die ständige Verwaltungspraxis.

113.

Das Gericht hat mithin die Definition der Begünstigten in der Regelung – hier die ständige Verwaltungspraxis – unzutreffend als nicht allgemein und abstrakt qualifiziert. Damit ist auch der dritte Teil des Rechtsmittelgrundes begründet.

4.   Ergebnis zur Begründetheit des Rechtsmittels

114.

Im Ergebnis hat das Gericht fälschlicherweise angenommen, dass die Voraussetzungen von Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 vorliegend nicht erfüllt sind. Vielmehr hat die Kommission im streitigen Beschluss hinreichend dargelegt, dass die belgische Praxis der negativen Anpassung der Gewinne multinationaler Konzernunternehmen eine Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 darstellt. Das Rechtsmittel ist mithin begründet.

C. Zur Klage vor dem Gericht

115.

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung kann der Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit entweder selbst endgültig entscheiden, wenn er zur Entscheidung reif ist, oder die Sache an das Gericht zurückverweisen.

116.

Vorliegend ist keine Entscheidungsreife gegeben. Denn auch wenn der Gerichtshof feststellt, dass alle Voraussetzungen einer Beihilferegelung vorliegen, muss das Gericht noch beurteilen, ob die Steuervorbescheide über die negative Gewinnanpassung staatliche Beihilfen sind und ob die Rückforderung der angeblichen Beihilfen gegen insbesondere die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und des Vertrauensschutzes verstößt, weil sie fehlerhaft angeordnet wurde.

117.

Die diesbezüglichen Klagegründe hat das Gericht nicht geprüft. Auch in den mit dem vorliegenden Pilotverfahren verwandten ausgesetzten Verfahren sind die entsprechenden Klagegründe nicht vor dem Gericht streitig erörtert worden. Deren Prüfung erfordert weitere prozessleitende Maßnahmen. ( 39 ) Folglich ist der Rechtsstreit zur Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen.

D. Unzulässigkeit des Anschlussrechtsmittels

118.

Weiter ist zu prüfen, ob das von Belgien eingelegte Anschlussrechtsmittel zulässig ist.

119.

Gemäß Art. 56 Abs. 2 Satz 1 der Satzung kann eine Partei Rechtsmittel einlegen, die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist. Vorliegend ist der Antrag Belgiens darauf gerichtet, die Entscheidung des Gerichts insoweit aufzuheben, als das Gericht den ersten Klagegrund Belgiens zurückgewiesen hat.

120.

Auch wenn die Anschlussrechtsmittelanträge gemäß Art. 178 Abs. 1 der Verfahrensordnung „auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts gerichtet sein“ können, hat der Gerichtshof entschieden, dass es einen fundamentalen Grundsatz im Bereich der Rechtsmittel darstellt, dass das Rechtsmittel gegen die Entscheidungsformel der Entscheidung des Gerichts gerichtet sein muss und nicht lediglich auf die Änderung bestimmter Gründe dieser Entscheidung abzielen darf. ( 40 )

121.

Dies entspricht auch der Formulierung in der allgemeinen Vorschrift über Rechtsmittelanträge des Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung. Ein Rechtsmittel, das nicht auf eine auch nur teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils, d. h. seiner Entscheidungsformel, sondern nur auf eine Änderung eines Teils seiner Begründung abzielt, ist danach unzulässig. ( 41 )

122.

Hintergrund ist, dass jeder Rechtsmittelführer ein Rechtschutzbedürfnis haben muss. Das folgt schon aus Art. 56 Abs. 2 Satz 1 der Satzung und gilt auch für Anschlussrechtsmittel.

123.

Daran fehlt es hier. Denn entweder wird das Rechtsmittel der Kommission abgewiesen und die Aufhebung des streitigen Beschlusses wird dadurch – ganz im Sinne Belgiens – rechtskräftig. Oder aber der Gerichtshof verweist die Rechtssache an das Gericht zurück. Über dessen Erwägungen zur Steuerhoheit der Mitgliedstaaten würde der Gerichtshof dann erst in einem weiteren Rechtsmittel entscheiden.

124.

Belgiens Anschlussrechtsmittel ist also unzulässig.

VI. Kosten

125.

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet. Da dies vorliegend nicht der Fall ist, bleibt die Kostenentscheidung vorbehalten.

VII. Ergebnis

126.

Ich schlage dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.

Das Anschlussrechtsmittel des Königreichs Belgien wird als unzulässig abgewiesen.

2.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 14. Februar 2019, Belgien und Magnetrol International/Kommission (T‑131/16 und T‑263/16, EU:T:2019:91), wird aufgehoben.

3.

Die Rechtssache wird zur Entscheidung über die übrigen Klagegründe an das Gericht zurückverwiesen.

4.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Verordnung des Rates vom 13. Juli 2015 (ABl. 2015, L 248, S. 9).

( 3 ) Belgien und Magnetrol International/Kommission (T‑131/16 und T‑263/16, EU:T:2019:91).

( 4 ) Beschluss über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN) (ABl. 2016, L 260, S. 61), Art. 1.

( 5 ) Vgl. dazu die anhängigen Rechtssachen C‑885/19 P, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑898/19 P, Irland/Kommission u. a., und C‑465/20 P, Kommission/Irland u. a.

( 6 ) Siehe nur die Klagen der Streithelfer im vorliegenden Rechtsmittel T‑201/16, Soudal/Kommission, T‑278/16, Atlas Copco Airpower und Atlas Copco/Kommission, T‑335/16, Esko-Graphics/Kommission, T‑370/16, Anheuser-Busch Inbev und Ampar/Kommission, T‑467/16, Flir Systems Trading Belgium, T‑637/16, Wabco Europe/Kommission, und T‑832/16, Celio International/Kommission.

( 7 ) Belgisches Staatsblatt Nr. 410 vom 31. Dezember 2002, zweite Ausgabe, S. 58817.

( 8 ) Belgisches Staatsblatt vom 9. Juli 2004.

( 9 ) Unterabs. 2 von Art. 185 Abs. 2 des CIR 92 fehlt in Rn. 8 des angefochtenen Urteils, während er im 29. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses aufgeführt ist.

( 10 ) 13. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses.

( 11 ) 14. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses.

( 12 ) Vgl. Rn. 17 des angefochtenen Urteils.

( 13 ) Celio International hat sich nur mündlich eingelassen.

( 14 ) Vgl. etwa Urteil vom 7. April 2016, Akhras/Rat (C‑193/15 P, EU:C:2016:219, Rn. 34).

( 15 ) Siehe zuletzt Urteile vom 28. November 2019, Brugg Kabel und Kabelwerke Brugg/Kommission (C‑591/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1026, Rn. 32), vom 4. März 2020, Buonotourist/Kommission (C‑586/18 P, EU:C:2020:152, Rn. 67), und vom 28. Mai 2020, Asociación de fabricantes de morcilla de Burgos/Kommission (C‑309/19 P, EU:C:2020:401, Rn. 10).

( 16 ) Nr. 58 dieser Schlussanträge.

( 17 ) Siehe zuletzt Urteile vom 4. April 2019, OZ/EIB (C‑558/17 P, EU:C:2019:289, Rn. 33), sowie Beschlüsse vom 15. Januar 2020, BS/Parlament (C‑642/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:32, Rn. 17), und vom 3. September 2020, ZW/EIB (C‑50/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:652, Rn. 15).

( 18 ) Vgl. die Übersicht in den Rn. 17 bis 20 der Rechtsmittelschrift.

( 19 ) Vgl. insbesondere die Sprachfassungen im Englischen „act“, im Italienischen „atto“ und im Portugiesischen „ato“.

( 20 ) Im Spanischen „dispositivo“ und im Französischen „disposition“.

( 21 ) Im Dänischen „retsakt“, im Deutschen „Regelung“, im Niederländischen „regeling“ und im Schwedischen „rättsakt“.

( 22 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in den verbundenen Rechtssachen Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission und Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Ferracci (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:229, Nrn. 34 ff.).

( 23 ) Urteil vom 13. April 1994, Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission (C‑324/90 und C‑342/90, EU:C:1994:129, Rn. 14, 15 und 23).

( 24 ) Urteil vom 13. April 1994, Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission (C‑324/90 und C‑342/90, EU:C:1994:129).

( 25 ) Nr. 46 dieser Schlussanträge.

( 26 ) Urteile vom 14. Dezember 2017, EBMA/Giant (China) (C‑61/16 P, EU:C:2017:968, Rn. 33), vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA (C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 47), und vom 18. Juni 2020, Kommission/RQ (C‑831/18 P, EU:C:2020:481, Rn. 93).

( 27 ) Vgl. Urteil des Gerichts vom 24. September 2019, Niederlande u. a./Kommission (T‑760/15, EU:T:2019:669), sowie die anhängigen Rechtssachen C‑885/19 P, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑898/19 P, Irland/Kommission u. a., und C‑465/20 P, Kommission/Irland u. a.

( 28 ) Urteile vom 29. April 2004, Kommission/Deutschland (C‑387/99, EU:C:2004:235, Rn. 42), und vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 28).

( 29 ) Rn. 90 des angefochtenen Urteils bzw. Erwägungsgründe 103 und 139 des streitigen Beschlusses.

( 30 ) Fn. 52 des streitigen Beschlusses.

( 31 ) Vgl. Urteile vom 14. Oktober 1987, Deutschland/Kommission (248/84, EU:C:1987:437, Rn. 18), und vom 20. Dezember 2017, Spanien/Kommission (C‑81/16 P, EU:C:2017:1003, Rn. 77).

( 32 ) Urteil vom 20. Dezember 2017, Spanien/Kommission (C‑81/16 P, EU:C:2017:1003, Rn. 77).

( 33 ) Rn. 128 des angefochtenen Urteils.

( 34 ) Vgl. allgemein zur Begründungspflicht die gefestigte Rechtsprechung, Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink's France (C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63), vom 11. Dezember 2008, Kommission/Département du Loiret (C‑295/07 P, EU:C:2008:707, Rn. 43), vom 10. März 2016, HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P, EU:C:2016:149, Rn. 16), und vom 4. Juni 2020, Ungarn/Kommission (C‑456/18 P, EU:C:2020:421, Rn. 57).

( 35 ) „Wir weisen darauf hin, dass kein ablehnender Bescheid ergangen ist“, 59. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses bzw. Fn. 41.

( 36 ) Dass dies zum Kontext des streitigen Beschlusses gehört, ist nicht offensichtlich. Bei Eröffnungsbeschluss und Negativbeschluss handelt es sich um zwei verschiedene Rechtsakte zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus unterschiedlichen Perspektiven, die unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollmaßstäben unterliegen.

( 37 ) Nrn. 81 ff. dieser Schlussanträge.

( 38 ) Nr. 78 dieser Schlussanträge

( 39 ) Vgl. Urteil vom 8. September 2020, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a. (C‑119/19 P und C‑126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 130), für die entgegengesetzte Konstellation.

( 40 ) Urteile vom 14. November 2017, British Airways/Kommission (C‑122/16 P, EU:C:2017:861, Rn. 51), vom 25. Juli 2018, Société des produits Nestlé u. a./Mondelez UK Holdings & Services (C‑84/17 P, C‑85/17 P und C‑95/17 P, EU:C:2018:596, Rn. 41), und vom 16. Juli 2020, Inclusion Alliance for Europe/Kommission (C‑378/16 P, EU:C:2020:575, Rn. 57).

( 41 ) Urteile vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat (C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 44 und 50), und vom 25. Juli 2018, Société des produits Nestlé u. a./Mondelez UK Holdings & Services (C‑84/17 P, C‑85/17 P und C‑95/17 P, EU:C:2018:596, Rn. 42 und 43).

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