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Document 52007DC0726

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts

/* KOM/2007/0726 endg. */

52007DC0726

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts /* KOM/2007/0726 endg. */


[pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

Brüssel, den 20.11.2007

KOM(2007) 726 endgültig

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts

INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung 3

2. Die gesellschaftlichen Realitäten verändern sich 4

3. Eine an „Lebenschancen“ orientierte gesellschaftliche Vision für Europa: Förderung des Wohlstands durch Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität 7

4. Die wichtigsten Bereiche für gemeinsames Handeln 8

5. Die Rolle der EU 10

6. Nächste Schritte 13

1. EINLEITUNG

Wie können Wohlstand, Lebensqualität und die gemeinsamen Werte der Bürger Europas in der heutigen Welt am besten vorangebracht werden? Diese Frage steht im Zentrum der bürgernahen Agenda der Kommission[1] und der wichtigsten Instrumente der EU wie Binnenmarkt, Lissabonner Strategie für Wachstum und Beschäftigung oder Strategie für nachhaltige Entwicklung. Alle diese politischen Instrumente müssen auf einem soliden Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit fußen und mit ihrer Entwicklung Schritt halten.

Wie sieht diese Wirklichkeit aus?

- Die europäischen Gesellschaften verändern sich schnell. Die Europäer leben länger, neuartige Familienstrukturen entstehen, die Gleichberechtigung der Geschlechter verzeichnet Fortschritte und neue Muster von Mobilität und Vielfalt breiten sich aus.

- Globalisierung, technischer Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklungen beeinflussen unser Leben und unsere Arbeit, bieten neue Beschäftigungsmöglichkeiten, sind aber auch mit neuen Anforderungen an Fertigkeiten und Kenntnisse verbunden und unterliegen einem immer rascheren Wandel. Die damit einhergehenden Vorteile und Risiken sind nicht gleichmäßig verteilt. Einige Bevölkerungsteile haben Schwierigkeiten mit der Anpassung und sind von Beschäftigungslosigkeit und Ausgrenzung bedroht.

- Die EU selbst hat sich verändert: sie ist auf inzwischen 500 Millionen Bürger angewachsen und vielfältiger geworden; der Beitritt neuer Mitgliedstaaten hat die Errungenschaften von Frieden, Freiheit und Wohlstand über die gesamte EU und auf Nachbarländer ausgedehnt.

Diese Entwicklungen bieten beispiellose Möglichkeiten der Selbstbestimmung und für ein gesünderes und längeres Leben, bessere Lebensbedingungen und innovativere und offenere Gesellschaften. Sie bergen jedoch auch neue gesellschaftliche Risiken, die die Entfaltungsmöglichkeiten einschränken und einem Gefühl der Unsicherheit, Isolation, Ungerechtigkeit und Ungleichheit Nahrung bieten. Vielfach wird erwartet, dass Europa im Angesicht der Globalisierung eine stärkere Rolle bei der Förderung des Wohlstands seiner Bürger spielt, ihnen bei der Antizipation und Bewältigung des Wandels zur Seite steht und die europäischen Werte weltweit voranbringt.

Um diesen Befürchtungen und Erwartungen besser gerecht zu werden, hat die Kommission eine breite Konsultation über die gesellschaftlichen Veränderungen in der EU in Angriff genommen. Aufbauend auf deinem Diskussionspapier des Beratergremiums für Europäische Politik (BEPA) und den Ergebnissen einer Eurobarometer-Umfrage[2] hat die Kommission eine Debatte mit den Beteiligten, den Mitgliedstaaten und den anderen EU-Organen[3] eingeleitet und holt im Internet Meinungen dazu ein, wie sich die gesellschaftliche Realität in Europa darstellt. Mit dieser Mitteilung soll die laufende Konsultation zur gesellschaftlichen Wirklichkeit Europas bereichert werden, indem die Diskussion über die Analyse um mögliche Antworten erweitert wird. Die Reaktionen auf dieses Papier werden in die Vorbereitung der überarbeiteten Sozialagenda einfließen, die die Kommission Mitte 2008 vorstellen wird.

2. DIE GESELLSCHAFTLICHEN REALITÄTEN VERÄNDERN SICH

Gemessen an weltweiten Standards geht es den europäischen Gesellschaften gut, und in Umfragen geben sich die Europäer glücklich und zufrieden. Werden sie aber nach der Zukunft gefragt, bekunden sie Ängste in Besorgnisse insbesondere im Hinblick auf die nächste Generation.

Wer nach den Gründen fragt, wird feststellen, dass die Wahrnehmungen zwar selbstverständlich je nach Person, Land oder Region erheblich voneinander abweichen, ein Merkmal jedoch allen Antworten gemeinsam ist: sämtliche Mitgliedstaaten erleben rasche und tiefgreifende Veränderungen[4].

- In der Gesellschaft

- In Europa hat sich die Lebenserwartung dramatisch verbessert: für Männer stieg sie von 43,5 Jahren im Jahr 1900 über 75,5 im Jahr 2000 auf voraussichtlich 82 Jahre im Jahr 2050, für Frauen im gleichen Zeitraum von 46,0 über 81,4 auf 87,4 Jahre. Dank der sechzig Friedensjahre, der Fortschritte der Medizin und besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen genießt ein wachsender Anteil der Europäer ein längeres und aktiveres Rentnerleben. Das hat weitreichende Folgen für die Sozialsysteme: die entsprechenden Aufwendungen dürften bis 2030 auf 2,5% des BIP anwachsen und 2050 gar 4,3% des BIP betragen. Gleichzeitig gibt es beim Zugang zu Gesundheitsleistungen und bei den Aussichten auf gesunde Lebensjahre noch beträchtliche Unterschiede nach Einkommensgruppen und Regionen.

- Die Geburtenraten gehen zurück, aber es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Wunsch nach Kindern oft unerfüllt bleibt. Verantwortlich dafür ist ein kompliziertes Geflecht aus Faktoren, zu denen die ungleiche Verteilung der elterlichen Verantwortung, Unzulänglichkeiten im Bereich der Kinderbetreuungs-Einrichtungen, die Wohnproblematik und eine familienunfreundliche Arbeitsorganisation zählen.

- Soziale Risiken wie die Abhängigkeit im Alter oder gesellschaftliche Isolation dürften infolge der demographischen Trends zunehmen. Heute leben 28% der Menschen über 70 allein. Bis zu zwei Drittel der Menschen über 75 sind auf nicht institutionelle Pflege angewiesen, die in den meisten Fällen von den unmittelbaren Verwandten und insbesondere von Frauen geleistet wird. Einer von sechs älteren Menschen lebt in Armut. Ältere Frauen müssen wegen fehlender Berufsjahre besonders oft mit niedrigen Altersbezügen auskommen.

- Neue Potenziale für Generationenkonflikte entstehen im Hinblick auf Lohn, Arbeitsplatzsicherheit, Zugang zu Wohnraum und Verteilung der mit der Alterung der Bevölkerung verbundenen finanziellen Lasten. Die Lücke zwischen den Ansprüchen der jungen Generation und der Gefahr begrenzter Entfaltungsmöglichkeiten könnte zu einem „Bruch zwischen den Generationen“ führen.

- Veränderte Familienstrukturen - Scheidungen, Alleinerziehende und allgemein die Schwächung der familiären Bindungen - werfen neue Fragen im Hinblick auf die Balance zwischen Arbeits- und Privatleben und die Verantwortung für Pflege auf. Alleinerziehende sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht.

- Die Gleichberechtigung der Geschlechter schreitet voran, ist aber bei weitem noch nicht verwirklicht, wenn man die 27 Mitgliedstaaten insgesamt betrachtet. Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt und unter den Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik weiterhin unterrepräsentiert, und erhalten im Durchschnitt immer noch um 15% niedrigere Gehälter. Geschlechtsbezogene Vorurteile bestehen fort.

- Zwischen Regionen, zwischen Stadt und Land und zwischen den Mitgliedstaaten gibt es beträchtliche Unterschiede bei Einkommen und Entwicklungschancen. Mehr als 100 Millionen Menschen leben von einem Einkommen von höchstens 22 EUR täglich. Die Kinderarmut ist weiterhin hoch und nimmt in mehreren Mitgliedstaaten noch zu. Für diese Kinder ist die Gefahr der Ausgrenzung und Armut im späteren Leben besonders hoch.

- Die Migration stellt die Integrationsstrategien der Mitgliedstaaten insbesondere in Großstädten und Grenzgebieten auf die Probe.

- In der Wirtschaft

- Obwohl die Beschäftigungsquote zunimmt und 2006 in Europa 3,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, bleibt die Arbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas hoch.

- Durch die demographische Entwicklung nimmt die Gefahr von Engpässen bei Know-how und Arbeitsplätzen zu. Zwar erhöht sich das Durchschnittsalter für den Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt, aber in der Altersgruppe zwischen 55 und 64 haben 47% der Männer und 65% der Frauen den Arbeitsmarkt verlassen.

- Das Arbeitsleben verändert sich aufgrund des technischen Fortschritts, der sich wandelnden wirtschaftlichen Anforderungen und des Wachstums des Dienstleistungssektors radikal. Die Berufstätigen müssen immer schnellere Veränderungen bewältigen, sich neue Kenntnisse aneignen oder neuen Geschäftsmodellen oder schwankenden Verbraucherpräferenzen anpassen. Gleichzeitig bieten die Informationstechnologien sowie die Ausbreitung von flexiblen Arbeitszeiten und Telearbeit neue Chancen für flexible Arbeitsformen.

- Arbeitsformen und –bedingungen werden immer vielfältiger und unregelmäßiger; angesichts neuer Formen von Beschäftigungsverhältnissen, der Ausbreitung von Teilzeitbeschäftigung, größerer räumlicher Mobilität und häufigeren persönlichen Veränderungen im Berufs- und Privatleben gehört die lebenslange Bindung an einen Arbeitgeber der Vergangenheit an. Das verstärkt die Gefahr einer Polarisierung des Arbeitsmarktes. Schon jetzt gibt es Anzeichen für ein zunehmendes Lohnungleichgewicht, und gering Qualifizierte verbleiben auf unattraktiven Arbeitsplätzen mit wenig Aufstiegschancen.

- In einer wissensbasierten Gesellschaft werden Humankapital, Bildung und Fertigkeiten immer wichtiger für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die soziale Integration. Ein Fünftel aller Schulkinder erreicht jedoch nicht das notwendige Mindestniveau an Lese-, Rechtschreib- und Rechenkenntnissen. Sechs Millionen Jugendliche verlassen die Schule ohne jeglichen Abschluss. Diese Zahlen stellen Qualität und Effizienz des europäischen Bildungs- und Ausbildungssystems in Frage. Jugendliche und insbesondere diese jungen Schulabbrecher finden nur schwer Zugang zum Arbeitsmarkt, da immer weniger Arbeitsplätze für Ungelernte angeboten werden und auch die Chancen auf spätere Fortbildung ungleich verteilt sind.

- Bei Lebensformen und Werten

- Traditionelle Bindungen wie Familie, soziale Gruppe und Religion werden schwächer, und es ist eine Tendenz hin zur Individualisierung der Werte und zur Atomisierung der Kultur zu beobachten. Im Mittelpunkt steht das Individuum anstelle der Gesellschaft als Ganzes, mit entsprechend neuartigen Anforderungen an Toleranz und Respekt gegenüber Anderen. Gleichzeitig entstehen neue Formen der Solidarität, einschließlich neuer Freizeit- und kultureller Aktivitäten.

- Die herkömmlichen Formen der politischen Mitwirkung beigemessene Bedeutung schwindet, und das Vertrauen in den Staat ist oftmals gering. Daneben ist aber auch ein Verlangen nach neuen, flexibleren Formen der politischen Mitwirkung und Zukunftsgestaltung zu erkennen.

- Die Globalisierung hat die Konfrontation mit der Andersartigkeit erhöht und damit die Neugier der Menschen angeregt und die Gesellschaften bereichert, aber auch Besorgnisse hinsichtlich kultureller Unterschiede und des Dialogs der Kulturen sowie der Fähigkeit Europas ausgelöst, seinen gemeinsamen Werten Geltung zu verschaffen.

- Neue gesellschaftliche Probleme wie Stress, Depression, Adipositas, umweltbedingte Erkrankungen und Bewegungsmangel haben sich zu den herkömmlichen Problemen von gesellschaftlicher Isolation, Geisteskrankheit, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Kriminalität und Unsicherheit gesellt.

- Die IT-Revolution und neue Kommunikationstechniken haben neuartige Formen von Dialog und Mitwirkung ermöglicht. Es besteht jedoch auch die Gefahr eines „Kommunikationsdefizits“ zwischen verschiedenen Gemeinschaften und zwischen Generationen, wenn die Verbindungen untereinander abbrechen. Darüber hinaus gibt es Anzeichen für eine „digitale Kluft“: gering Qualifizierte, ältere und nicht wirtschaftlich tätige Bürger stellt die Nutzung der neuen Technologien vor Schwierigkeiten.

- Die dem Überfluss in vielen Teilen Europas zugrunde liegenden Produktions- und Konsummuster tragen auch zum Klimawandel bei und üben verstärkten Druck auf die natürlichen Ressourcen aus. Eine Umkehr dieser negativen Folgen moderner Lebensstile würde eine Verhaltensanpassung erfordern und beträchtliche gesellschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen.

- Der technische Fortschritt hat ethische Fragen aufgeworfen, z.B. über medizinische Behandlung, Gentherapie, Stammzellen usw.

Die heutigen Wohlfahrtsstaaten sind trotz mancher in Angriff genommener Reform nicht immer gut darauf vorbereitet, sich an diese neuen und größtenteils ungekannten Herausforderungen anzupassen.

3. EINE AN „LEBENSCHANCEN“ ORIENTIERTE GESELLSCHAFTLICHE VISION FÜR EUROPA: FÖRDERUNG DES WOHLSTANDS DURCH CHANCEN, ZUGANGSMÖGLICHKEITEN UND SOLIDARITÄT

In der gesamten EU entsteht eine neue gesellschaftliche Vision, wie der Wohlstand angesichts der heutigen Herausforderungen am besten gefördert werden kann. In ihrem Zentrum stehen Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität:

- Chancen – auf einen guten Start ins Leben, die Entfaltung des eigenen Potenzials und die bestmögliche Nutzung der Gelegenheiten, die ein innovatives, offenes und modernes Europa bietet.

- Zugangsmöglichkeiten – in Form von neuen und wirksameren Bildungschancen, Fortschritten auf dem Arbeitsmarkt, einem leistungsfähigen Gesundheitswesen und sozialer Sicherheit sowie der Teilhabe an Kultur und Gesellschaft.

- Solidarität – durch Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Nachhaltigkeit der Sozialsysteme, und Gewährleistung, dass niemand außen vor bleibt.

Dieser Vision liegt die zunehmend breitere Akzeptanz findende Auffassung zugrunde, dass die Gesellschaft ihren Bürgern zwar keine Gleichheit garantieren kann, dafür aber sehr viel entschlossener die Chancengleichheit verwirklichen muss.

Dafür gibt es kein taugliches europaweites Einheitskonzept, wohl aber gemeinsame Herausforderungen und gemeinsamen Handlungsbedarf. Das wichtigste Anliegen ist eine breitere Verteilung von „Lebenschancen“, damit alle Einwohner der EU Zugang zu Ressourcen, Leistungen, Bedingungen und Kapazitäten haben, mittels derer sie die auf dem Papier garantierte Chancengleichheit und gesellschaftliche Mitwirkung in der Praxis verwirklichen können.

Dies ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts. Ein Abstand zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ des wirtschaftlichen und technologischen Wandels kann zu neuen Formen der Ungleichheit führen, bei denen sich ein fortgesetztes Armutsrisiko mit neuen Formen der Ausgrenzung verbindet. In einer modernen und auf Zusammenhalt bedachten Gesellschaft sollte jeder in der Lage sein, uneingeschränkt an ihr teilzuhaben und in verschiedenen Lebensstufen Zugang zu neuen Entfaltungsmöglichkeiten zu erhalten.

Es handelt sich um eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Eine funktionierende, selbstbewusste und lebensfrohe Gesellschaft, die in ihr Humankapital investiert und dem Einzelnen die Chance bietet, in jedem Lebensalter voranzukommen, ist unerlässlich, um dauerhaft wirtschaftliches Wachstum, Teilhabe am Arbeitsmarkt und einen ordentlichen Lebensstandard zu gewährleisten und sozialer Ausgrenzung vorzubeugen. Darüber hinaus handelt es sich um eine solide finanzielle Investition: das Angehen sozialer Probleme an ihrer Wurzel verringert die Gefahr, dass die Sozialsysteme später die Rechnung für gesellschaftliche Funktionsmängel und fehlende wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten begleichen müssen.

Es handelt sich um eine politische Notwendigkeit. Selbstbewusstsein und Vertrauen sind für Fortschritt, Modernisierung und Offenheit gegenüber dem Wandel unerlässlich.

4. DIE WICHTIGSTEN BEREICHE FÜR GEMEINSAMES HANDELN

Dieser Fahrplan für Chancen, Teilhabe und Solidarität bedarf der Investitionen, einer erneuerten Verpflichtung, das menschliche Potenzial Europas vollständig auszuschöpfen und die Lebenschancen für alle zu verbessern:

- Investitionen in die Jugend : Neue gesellschaftliche Veränderungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Jugend. Es ist erwiesen, dass die individuellen Lebenschancen eines Kindes zum Zeitpunkt des Schuleintritts bereits vorherbestimmt sind, wobei der familiäre Hintergrund und das nachbarschaftliche Umfeld eine Schlüsselrolle spielen. Wesentliche kognitive, rechnerische und Lese- und Schreibfähigkeiten werden bereits in früher Kindheit erworben. Die Lernbereitschaft, das Streben nach höherer Bildung und die Einstellung zur gesellschaftlichen Mitwirkung sowie eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise werden bereits in früher Kindheit ausgeprägt. Innovative Wege müssen beschritten werden, um die Wohlfahrt der Jugend zu fördern und sie besser in die Lage zu versetzen, gut ins Leben zu starten. Besonderer Anstrengungen bedürfen die Förderung von Kinderbetreuungseinrichtungen, die Anpassung der Lehrpläne, die Verringerung der Schulabbrecherquote und die Erleichterung des Zugangs junger Menschen zu Arbeitsmarkt, Wohnraum und Finanzierungsmöglichkeiten. Die Investition in Kindheit und Jugend wird immer stärker als wesentliche Grundlage für die Heranprägung von Lebenschancen anerkannt. Es handelt sich um eine lebenslange Investition – eine Investition in die Zukunft.

- Investitionen in Karrieren : Im heutigen und künftigen Arbeitsleben wird jeder einer Reihe von Übergängen – von der Schule in die Arbeitswelt, zwischen Arbeitsplätzen und Beschäftigungsverhältnissen, zwischen Arbeitssuche und Weiterbildung, zwischen Karriereunterbrechungen und Betreuungsphasen und zwischen Arbeitswelt und Ruhestand – ausgesetzt sein. Es besteht die Gefahr eines Auseinanderdriftens zwischen jenen, die mit diesen Übergängen zurechtkommen, und jenen, die sie nicht bewältigen können – insbesondere den gering Qualifizierten. Unter Einbeziehung des gesamten Lebenszyklus müssen die Arbeitsmärkte flexibilisiert und die erforderlichen Anreize und Sicherungen bereitgestellt werden, damit Arbeitnehmer und Unternehmen die Veränderungen erfolgreich bewältigen und aus der Diversifizierung des Erwerbslebens Nutzen ziehen können. Sicherheit und Flexibilität können sich gegenseitig stärken und sollten aufeinander aufbauen („Flexicurity“), um die Menschen besser in die Lage zu versetzen, in die Arbeitswelt einzutreten, in ihr voranzukommen und länger zu verweilen, indem ihnen für ihre gesamte berufliche Laufbahn reibungslose Übergänge geboten werden. Es findet ein radikaler politischer und kultureller Umschwung weg von der lebenslangen Bindung an einen Arbeitgeber mit anschließendem Vorruhestand hin zu einer lebenslangen Berufstätigkeit mit aktiven Strategien zur Bewältigung des Älterwerdens, intensiverer und leichter zugänglicher Weiterbildung, flexiblen Arbeitsmodellen, sicheren und innovativen Arbeitsbedingungen und modernen, wirksamen sozialen Schutzmechanismen statt. Mit diesen Modellen können mehr Menschen ins Erwerbsleben eingebunden und dort gehalten werden, so dass sie ihre Wunschvorstellungen verfolgen und gleichzeitig produktiver arbeiten können.

- Investitionen in ein längeres und gesünderes Leben : Die Folgen der alternden Gesellschaft sind inzwischen offensichtlich. Neue gesundheitliche und soziale Risiken haben weitreichende Folgen für die Sozialsysteme. Der demographische Wandel eröffnet jedoch auch neue Möglichkeiten zur Ausbreitung von innovativen Dienstleistungen, Waren und Techniken beispielsweise in der Altenpflege; diese gehen mit beträchtlichen Wachstums- und Beschäftigungspotenzialen einher. Aus der Perspektive des Lebenszyklus machen die sozialen und finanziellen Konsequenzen der Alterung eine umfassende Neukonzipierung der Rollen- und Lastenverteilung zwischen den Generationen erforderlich. Europa sollte die durch die momentan gute wirtschaftliche Lage bedingte günstige Gelegenheit zu nachhaltigen Reformen nutzen.

- Investitionen in die Gleichheit der Geschlechter : Der Teilhabe der Frauen an Arbeit und Gesellschaft stehen immer noch zu viele Hindernisse entgegen; überdies droht ein unverhältnismäßig hoher Teil der mit der Alterung der Gesellschaft zusammenhängenden Pflegeverantwortung auf sie zurückzufallen. Für Europa ist es unerlässlich, den Trend weg von einer Sozial- und Steuerpolitik, die den Mann als Ernährer der Familie zugrunde legt, hin zur Unterstützung von individuellen Ansprüchen und zur Doppelverdiener-Familie fortzusetzen, in der beide Partner einer bezahlten Berufstätigkeit nachgehen und berufliche, private und familiäre Aspekte ihres Lebens in Einklang bringen können. Die Beseitigung des Lohngefälles, die Überprüfung der Steuersysteme auf Möglichkeiten zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsanreize, der Aufbau bezahlbarer und zugänglicher Kinder- und Altenbetreuungssysteme und die Ausbreitung familienfreundlicher Praktiken am Arbeitsplatz mit flexibleren, über das Berufsleben hinweg modulierbaren Freizeitmodellen stehen dabei an erster Stelle. Mit solchen Maßnahmen würden auch mehr Leute im Erwerbsleben gehalten und das Armutsrisiko gemindert.

- Investitionen in aktive Eingliederung und Nichtdiskriminierung : Die Lebenschancen sind in den Gesellschaften von heute ungleich verteilt. Beim tatsächlichen, gleichberechtigten Zugang zu Beschäftigung, lebenslangem Lernen und zu Sozial- und Gesundheitsleistungen gibt es in der EU noch beträchtliche Unterschiede. Ein nennenswerter Anteil der EU-Bevölkerung leidet unter Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung und stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, einen angemessenen Lebensunterhalt zu verdienen oder einen Arbeitsplatz zu finden. Um den höchst unterschiedlichen individuellen Notlagen gerecht zu werden, ist ein Bündel maßgeschneiderter Schritte erforderlich, bei denen Einkommensstützen auf einem für ein Leben in Würde ausreichenden Niveau mit einem Zugang zum Arbeitsmarkt über Beschäftigungsmöglichkeiten oder berufliche Bildung oder über einen besseren Zugang zu qualifizierenden sozialen Serviceleistungen verbunden werden. Überdies geben etwa 44,6 Millionen Menschen zwischen 16 und 64 – 16% der EU-Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter – an, unter ständigen gesundheitlichen Problemen oder einer Behinderung zu leiden. Viele von ihnen sind willens und in der Lage, unter entsprechenden Voraussetzungen zu arbeiten. Eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, des Alters, der Religion, der Rasse, der ethnischen Herkunft oder der sexuellen Orientierung ist zwar verboten, beeinträchtigt aber doch die Lebenschancen vieler. Angesichts der Alterung der Bevölkerung, wodurch möglicherweise bald fünf Generationen zusammenleben werden, der Individualisierung der persönlichen Einstellungen und der immer vielfältigeren Migrationsströme werden unsere Gesellschaften offener, vielfältiger und komplexer. Akzeptanz der Vielfalt, aktive Eingliederung der am stärksten Benachteiligten, die Förderung von Gleichheit und die Beseitigung jeglicher Diskriminierung zählen zu den wichtigsten Voraussetzungen, damit die Europäer frei leben und an der Gesellschaft teilhaben können.

- Investitionen in Mobilität und erfolgreiche Integration : Die Europäer werden mobiler werden – die Jugendlichen sind mobiler als in früheren Generationen, und Mobilität innerhalb der EU ist ein den Grundrecht der Bürger, aber auch ein willkommener Beleg für das wirtschaftliche Zusammenwachsen. Darüber hinaus gilt eine nachhaltige Einwanderung als notwendig, damit Europa den Herausforderungen durch die Alterung der Gesellschaft und die Abnahme der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter begegnen kann. Diese Einwanderung wird vermutlich vielfältiger ausfallen als herkömmliche Immigrationsmuster; immer mehr Menschen werden ihr Herkunftsland verlassen und später wieder dorthin zurückkehren. Die Europäischen Gesellschaften werden dadurch offener, vielfältiger und komplexer. Neue zukunftsgerichtete Ansätze werden benötigt, um die Integration der Migranten und gegenseitigen Respekt durch einen Prozess des Gebens und Nehmens in Form von Rechten und Pflichten zu fördern.

- Investitionen in Mitwirkung, Kultur und Dialog : Die aktive Mitwirkung an gemeinsamen Aktivitäten wie Kultur, Sport, bürgerlichen und politischen Tätigkeiten trägt zum Zusammenhalt und zur Solidarität der Gesellschaften in Europa bei und wirkt der Atomisierung und Isolation entgegen. Ehrenamtliche Tätigkeiten und staatsbürgerliches Engagement spielen auch eine wichtige Rolle bei der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Im Europa von heute ist der kulturelle Austausch so lebendig und dynamisch wie nie zuvor. Ein Mehr an Freizeit hat zu einer ungekannten Nachfrage nach neuen Kulturgütern geführt. Die kulturelle Vielfalt Europas ist eine Quelle für Bereicherung und Inspiration weltweit; sie ist aber auch eine wirtschaftliche Trumpfkarte, da Innovation und Kreativität wichtige Triebfedern für wirtschaftliche Tätigkeit und Arbeitsplätze in einer wissensbasierten Welt sind.

Diese „Investitionen“ gelten dem menschlichen und sozialen Kapital unserer Gesellschaften. Der Einzelne, die Familien, örtliche Gemeinschaften, Gesellschaft und Wirtschaft, Nichtregierungs-Organisationen und die verschiedenen staatlichen Ebenen müssen ihren Beitrag leisten. In einigen Fällen kann das mit einer Neuausrichtung oder Neuverteilung von Sozialausgaben verbunden sein. Es geht nicht einfach darum, die Folgen gesellschaftlichen Versagens sozial abzufedern. Vielmehr handelt es sich um gesellschaftliche Investitionen, die mittels der bestmöglichen Prognosen des zu erwartenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzens vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung gerechtfertigt werden müssen. Investitionen in die frühen Lebensjahre, in Bildung und Ausbildung oder in Gesundheitsvorsorge bieten beispielsweise sehr hohe Renditen und zahlen sich in späteren Lebensphasen oder Generationen massiv aus, und zwar nicht nur in Form höherer Beschäftigung und Produktivität, sondern auch durch die Senkung der enormen Kosten, die ein sozialer Zusammenbruch unseren Gesellschaften auferlegen würde. Auf diese Weise werden Gerechtigkeit und Effizienz miteinander versöhnt.

5. DIE ROLLE DER EU

Die Hauptverantwortung für die politischen Veränderungen, die erforderlich sind, damit diese Vision Wirklichkeit wird, liegt bei den Mitgliedstaaten. Die EU wird gemäß den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit nur tätig, wenn hierdurch nachweislich ein Mehrwert erzielt wird. Das erwarten die Bürger, und dieser Ansatz ist in der Regel auch der wirkungsvollste. Das schließt aber eine aktivere Rolle der EU-Ebene bei der Auslösung von Veränderungen und der Lenkung, Unterstützung und Begleitung der notwendigen Reformen nicht aus.

Für diese Rolle gibt es eine solide Grundlage, nämlich den „Acquis Communautaire“ und die in Artikel 2 des Reformvertrags sowie in der Grundrechtecharta zum Ausdruck gebrachten gemeinsamen Rechte und Werte: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten als europäischen Gesellschaften gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnen.

Die Stärke der EU liegt darin begründet, dass sie nicht nur eine Gemeinschaft der Werte, sondern auch eine Gemeinschaft des Handelns ist, in der die Mitgliedstaaten ihre Kräfte bündeln und gemeinsam Ergebnisse erzielen. Der Reformvertrag enthält eine horizontale Sozialklausel, mit der der Verpflichtung der EU auf Beschäftigung und sozialen Schutz ein prominenter Rang eingeräumt und die Rolle der Regionen und der Sozialpartner als Teil des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gefüges der Union bestätigt wird. Zur Bewältigung der oben beschriebenen neuen Herausforderungen muss die kollektive Energie auf innovative wirtschafts- und sozialpolitische Lösungen gelenkt werden. Diese werden meist auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene anzutreffen sein. Die EU kann aber in mindestens fünf Punkten Hilfestellung leisten:

- Festsetzung eines politischen Rahmens : In vielen Bereichen der Sozialpolitik sprechen die Vielfalt politischer Instrumente und Praktiken sowie die Heterogenität der innerstaatlichen Organe gegen eine Harmonisierung. Dennoch gibt es ein starkes Bedürfnis und einen gemeinsamen Willen, auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. Deswegen hat die EU in einer Reihe von Bereichen wie Beschäftigung, soziale Eingliederung, sozialer Schutz, Bildung, Jugend, Kultur, Gesundheit und Integration von Einwanderern gemeinsame Ziele mit spezifischen Zeitplänen, Berichtsmechanismen und Indikatoren etabliert, um die Fortschritte zu kontrollieren und Verfahrensweisen zu vergleichen. Die Erfahrungen mit der vor zehn Jahren eingeleiteten europäischen Beschäftigungsstrategie – inzwischen eine unverzichtbare Säule der Lissabonner Strategie – zeigen, dass diese Mechanismen Wirkung entfalten können, indem sie neue Prioritäten, die früher auf EU-Ebene nicht im Vordergrund standen, wie „Flexicurity“, Arbeitsqualität und –produktivität, Kinderbetreuung, Einwanderung, Schwarzarbeit und Minderheitenfragen ins Licht rücken sowie geeignete Lösungsansätze hervorbringen können. Diese Prozesse werden inzwischen bereits seit mehreren Jahren erfolgreich durchgeführt und haben es den Mitgliedstaaten und der Kommission ermöglicht, gemeinsame Ziele zu definieren. Sie vermochten es jedoch weniger, auch den notwendigen Ehrgeiz und die politischen Anstrengungen zu mobilisieren, um diese gemeinsamen Ziele zu verwirklichen. Wie bei der Überprüfung der Lissabonner Strategie sollte die EU auch hier überlegen, wie diesen freiwilligen Prozessen mehr Dynamik verliehen werden und wie der Umsetzung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden kann, ohne die Vielfalt der Institutionen und Traditionen unberücksichtigt zu lassen. Der bei der „Flexicurity“ gewählte Ansatz der „gemeinsamen Grundsätze“ könnte beispielsweise zur Förderung der aktiven Eingliederung jener verwendet werden, die vom Arbeitsmarkt am weitesten entfernt sind, unter uneingeschränkter Beachtung des nationalen Kontexts und der Befugnisse der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus sollte auf Kohärenz und optimale Synergien zwischen den verschiedenen Koordinierungsverfahren (z.B. Lissabonner Strategie, Strategie für nachhaltige Entwicklung, Strukturfonds-Programmierung) Wert gelegt werden.

- Aufrechterhaltung der europäischen Werte und Gewährleistung gleicher Voraussetzungen : In Bereichen wie der Gleichberechtigung der Geschlechter, des Kampfs gegen Diskriminierungen, der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen verfügt die EU über einen soliden Rechtsrahmen. Die europäischen Sozialpartner haben zu wichtigen Themen wie Elternurlaub, Stress am Arbeitsplatz, lebenslanges Lernen und Bewältigung von Umstrukturierungen Vereinbarungen ausgehandelt oder gemeinsame Strategien definiert. Angesichts der sich verändernden sozialen Realitäten, der zunehmenden Vielfalt der EU und des neuen Reformvertrags muss dieser Rechtsrahmen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, damit dieser wirksam dazu beiträgt, dass die vereinbarten Ziele erreicht werden. Der EU-Gesetzgebung wird weiterhin eine wesentliche Rolle bei der Wahrung der im Vertrag verankerten Rechte der Bürger zukommen, auch durch Gewährleistung einer besseren Vereinbarkeit von einzelstaatlichen Regelungen. Schließlich hat die EU dargelegt, wie Europa in der Ära der Globalisierung erfolgreich sein kann: durch Gestaltung globaler Regulierung und Einsatz für Lösungen zur Förderung einer weltweiten Annäherung von Normen.

- Austausch von Erfahrung und bewährten Verfahren : Trotz aller Vielfalt innerhalb der EU sehen sich die Mitgliedstaaten oftmals gemeinsamen gesellschaftlichen Trends und praktischen Schwierigkeiten gegenüber, die beträchtliche Möglichkeiten bieten, voneinander zu lernen. Fortschritte in Richtung auf gemeinsame EU-Ziele müssen kontrolliert, bewertet und verglichen werden. Soziale Innovationen müssen getestet und die gesellschaftlichen Renditen verschiedener Investitionen beurteilt werden. Bewährte Verfahrensweisen wie Erfahrungsaustausch auf EU-Ebene, gemeinsame Auswertungen und gegenseitige Evaluierungen sollten wiederbelebt und fester Bestandteil der politischen Debatte auf nationaler und europäischer Ebene werden. Die stärkere Einbeziehung nationaler und regionaler Parlamente sowie der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, der Sozialpartner und der Nichtregierungsorganisationen ist dabei unverzichtbar.

- Unterstützung der lokalen, regionalen und nationalen Ebene : Mit ihrer Kohäsionspolitik und den Strukturfonds hat die EU beim Abbau der Wohlstands- und Lebensstandard-Unterschiede in der EU eine wesentliche Rolle gespielt. Die Fonds waren und sind für weniger fortgeschrittene Regionen und Mitgliedstaaten der finanzielle Hebel, um ihren Rückstand aufzuholen und die Verbindungen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu verbessern. In den letzten Jahren sind diese Instrumente enger mit den Prioritäten der EU in ihrer „Wachstums- und Beschäftigungspolitik“ verknüpft worden. Im Zeitraum 2007-2013 stellt der Europäische Sozialfonds (ESF) 75 Mrd. EUR bereit, damit Arbeitnehmern neue Kenntnisse vermittelt und Unternehmen mit innovativen Formen der Arbeitsorganisation ausgestattet werden können. Überdies wurde auf Initiative der Kommission ein Europäischer Globalisierungsfonds ins Leben gerufen, um durch Veränderungen der Welthandelsströme redundant gewordene Arbeitnehmer wieder ins Erwerbsleben zu integrieren. Dieser Fonds ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität für die von den Globalisierungsfolgen Betroffenen und sollte für wirksame vorbeugende und aktive Maßnahmen eingesetzt werden, damit diese Menschen sich anpassen und vorankommen können. Die Kommission hat eine Diskussion über die Zukunft des EU-Haushalts nach 2013 angeregt. Die Bestandsaufnahme dieser Konsultation zur sozialen Wirklichkeit sollte in diese Diskussion Eingang finden.

- Sensibilisierung und Aufbau einer starken Wissensgrundlage : Der EU kommt bei der Benennung wichtiger Themen, der Anregung der Debatte und als Schrittmacherin für das Herangehen an gemeinsame Herausforderungen eine wichtige Rolle zu. Initiativen wie die Europäischen Jahre der Chancengleichheit für alle (2007), des interkulturellen Dialogs (2008) und der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010) erleichtern diese Art der Debatte. Die Sensibilisierung für soziale Fragen und ihre Analyse werden oftmals durch das Fehlen vollständiger und aktueller EU-weiter Statistiken und Indikatoren behindert. Die Einholung vergleichbarer Zahlen ist notwendig und bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Entscheidungsträger benötigen diese Fakten, um die Öffentlichkeit besser zu informieren und die sozialen Folgen von Initiativen abzuschätzen. Zahlreiche Stiftungen und Agenturen wie die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, die neu geschaffene Grundrechteagentur und das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen werden zunehmend zur soliden Fundierung von politischen Entscheidungen und zur Sensibilisierung beitragen. Die systematischere Nutzung von Konsultationsverfahren und Sachverständigengremien (auch aus Nicht-EU-Ländern) sollte ebenfalls zur Stärkung der Faktengrundlage beitragen und in der politischen Diskussion in Europa berücksichtigt werden.

6. NÄCHSTE SCHRITTE

Zweck der Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit ist die erneute Analyse der komplexen Dynamik des sozialen Wandels in unseren Gesellschaften, um Relevanz und Angemessenheit der aktuellen Politik zu beurteilen und eine solide Grundlage für die Zukunft zu gewinnen.

Mit dieser Mitteilung soll eine auf neue „Lebenschancen“ zentrierte gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts dargelegt werden, die auf einer vorläufigen Analyse des gesellschaftlichen Wandels und der neuen sozialen Herausforderungen fußt und darlegt, wie die Mitgliedstaaten und die EU diese Herausforderungen partnerschaftlich bewältigen können. Sie soll die eingeleitete Konsultation durch Darstellung möglicher Handlungsfelder und der EU-Rolle in diesem Zusammenhang bereichern. Im Zuge der laufenden Konsultation sind sämtliche Beteiligten zur Stellungnahme eingeladen. Um eine Mitwirkung zu vereinfachen, wird die Frist bis zum 15. Februar 2008 verlängert[5].

Die Kommission wird anhand der Ergebnisse dieser Konsultation bis Mitte 2008 eine neue Sozialagenda ausarbeiten dabei Art, Umfang und Kombination der verschiedenen einschlägigen Instrumente überprüfen und den durch den Reformvertrag gegebenen neuen institutionellen Rahmen berücksichtigen. Gemeinsam mit der Binnenmarktüberprüfung soll die erneuerte Sozialagenda dazu beitragen, dass die Bürger Europas in den Genuss konkreter Ergebnisse gelangen.

[1] KOM(2006) 211 vom 10.5.2006.

[2] http://ec.europa.eu/citizens_agenda/social_reality_stocktaking/more index_en.htm

[3] Siehe beispielsweise den Bericht des Europäischen Parlaments vom 17. November 2007 (A6-400/07), die Stellungnahme des WSA vom 18. Januar 2007 (2007/C93/11) sowie die Tätigkeiten der Kommissionsvertretungen in Dublin, Paris und Budapest.

[4] Das vom BEPA ausgearbeitete Dokument bietet einen detaillierten Überblick über die aktuellen sozialen Trends. Zusätzliche Fakten und Zahlen können dem Bericht der Kommission zur sozialen Lage von 2007 entnommen werden.

[5] Antworten und zusätzliche Bemerkungen können an folgende Adresse gerichtet werden: SG-Social-Reality@ec.europa.eu

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