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Document 52010AE0642

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“ KOM(2009) 551 endg./2 — 2009/0164 (COD)

OJ C 18, 19.1.2011, p. 80–84 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.1.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 18/80


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“

(Neufassung)

KOM(2009) 551 endg./2 — 2009/0164 (COD)

2011/C 18/14

Berichterstatter: Cristian PÎRVULESCU

Der Rat beschloss am 26. November 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung)“

KOM(2009) 551 endg. — 2009/0164 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. März 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 462. Plenartagung am 28./29. April 2010 (Sitzung vom 28. April) mit 136 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Ziele, die die Kommission hinsichtlich der Verbesserung des gemeinsamen europäischen Asylsystems festgelegt hat. Er unterstreicht jedoch die Kluft zwischen den Zielsetzungen auf europäischer Ebene und den Methoden auf nationaler Ebene, die durch die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen sozialen und politischen Folgen noch vergrößert werden könnte.

1.2

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Überarbeitung der Richtlinie zur Schaffung einer besseren rechtlichen und institutionellen Grundlage beitragen kann, die ein höheres und kohärenteres Niveau der Unterstützung für Personen, die um internationalen Schutz ersuchen, ermöglichen wird.

1.3

Der EWSA gibt jedoch zu bedenken, dass auch in diesem europäischen Politikbereich das Risiko besteht, dass die angestrebten Werte durch zu viele Worte und Absichtserklärungen an Inhalt verlieren könnten. In der zweiten Phase der Umsetzung dieser Politik, in der das Mitentscheidungsverfahren zur Anwendung kommt, sollten deshalb die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, die den effektiven Zugang von Asylbewerbern zum Beschäftigungsmarkt und zu den Bildungsprogrammen ermöglichen.

1.4

Der EWSA weist darauf hin, dass die Rolle der Zivilgesellschaft im Allgemeinen und der auf dem Gebiet des Asyls und des Flüchtlingsschutzes tätigen Nichtregierungsorganisationen im Besonderen grundsätzlich anerkannt werden sollte und fordert, ihnen den uneingeschränkten Zugang zu sämtlichen Verfahren und Örtlichkeiten, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit stehen, zu gewähren. Er betont allerdings, dass die Organisationen nicht die Funktionen und Zuständigkeiten der Regierungen in diesem Bereich übernehmen können.

1.5

Der EWSA beobachtet mit Besorgnis, dass die einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Methoden zur Abschiebung von Personen, die möglicherweise des internationalen Schutzes bedürfen, nicht derart transparent sind, dass sie aus Sicht der eigenen Bürger und der internationalen Gemeinschaft gerechtfertigt erscheinen.

1.6

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die durch die Wirtschaftskrise bedingten Haushaltsbeschränkungen den internationalen Schutz weder qualitativ noch quantitativ beeinträchtigen dürfen.

1.7

Der EWSA unterstützt das Ziel der inhaltlichen Verbesserung des internationalen Schutzes durch die Anerkennung der Qualifikationen und die Erleichterung des Zugangs zu Berufsbildung und Beschäftigung sowie Integrationsangeboten und Wohnraum.

2.   Einleitung

2.1

Die Schaffung des gemeinsamen europäischen Asylsystems im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geht auf das Ziel einer effektiven Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention (1951) sowie auf die humanitären Grundwerte zurück, die von allen Mitgliedstaaten geteilt werden. Im Rahmen der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere und später des Haager Programms wurde das gemeinsame europäische Asylsystem als wichtigstes Instrument zur Schaffung eines gemeinsamen Asylverfahrens und eines einheitlichen Schutzstatus in allen EU-Mitgliedstaaten festgelegt.

2.2

Zwischen 1999 und 2006 wurden erhebliche Fortschritte erzielt, unter anderem durch die Annahme von vier Instrumenten, die den derzeitigen Acquis bilden. In der Richtlinie 2004/83/EG des Rates („Anerkennungsrichtlinie“) wurden gemeinsame Kriterien zur Ermittlung der Personen, die um internationalen Schutz ersuchen können, festgelegt. Darüber hinaus sieht sie vor, diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen zu garantieren. Im Haager wie auch im Stockholmer Programm verpflichtete sich die Kommission dazu, die in der ersten Phase erzielten Fortschritte zu bewerten und dem Rat und dem Europäischen Parlament bis Ende 2010 eine Reihe von Maßnahmen vorzuschlagen.

2.3

Seit 2002 wirkt der EWSA durch zahlreiche Stellungnahmen an der Gestaltung und Umsetzung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems mit. So entstanden in den vergangenen Jahren unter anderem Stellungnahmen zu der Richtlinie, die Gegenstand der hier untersuchten Neufassung ist (1), zum Grünbuch über das künftige gemeinsame europäische Asylsystem (2) und zur Asylstrategie (3).

2.4

In der am 17. Juni 2008 gebilligten Asylstrategie (4) schlug die Kommission vor, die zweite Phase des gemeinsamen europäischen Asylsystems durch die Festlegung besserer Schutzstandards und die Gewährleistung ihrer harmonisierten Anwendung in den Mitgliedstaaten abzuschließen. Durch den vom Europäischen Rat am 17. Oktober 2008 verabschiedeten Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl wurden diese Politik und die damit verbundenen Ziele erneut bekräftigt.

2.5

Gemäß der Asylstrategie soll die Anerkennungsrichtlinie im Rahmen eines umfassenderen Maßnahmenpakets überarbeitet werden, der auch die Überarbeitung der Dublin- und EURODAC-Verordnungen, der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen (5) sowie des am 19. Februar 2009 angenommenen Vorschlags zur Einrichtung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (6) umfasst. Zu den weiteren Maßnahmen gehört die Stärkung der Außendimension des Asyls, insbesondere durch ein europäisches Programm für die Neuansiedlung und die Entwicklung regionaler Schutzprogramme.

2.6

Die Überarbeitung der Richtlinie kann dazu beitragen, eine rechtliche und institutionelle Grundlage zu schaffen, die ein höheres und kohärenteres Niveau der Unterstützung für Personen, die um internationalen Schutz ersuchen, ermöglicht. In der zweiten Phase wird gemäß Artikel 294 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU das Mitentscheidungsverfahren angewandt. Das bedeutet, dass der Rat mit qualifizierter Mehrheit Stellung nimmt und das Europäische Parlament in seiner Eigenschaft als Mitgesetzgeber in das Verfahren eingebunden wird.

2.7

Die Richtlinie muss angesichts der Doppeldeutigkeiten im ursprünglichen Wortlaut, die von den Mitgliedstaaten als ein Hauptgrund für die derzeitigen Systemmängel angesehen werden, überarbeitet werden. Besonders erwähnenswert sind hier der unterschiedliche Prozentsatz der positiv beschiedenen Asylanträge und die Vielzahl der angefochtenen Entscheidungen.

2.8

Durch die Überarbeitung der Richtlinie kann ihr Inhalt mit den Urteilen des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union in Einklang gebracht werden. Diese Urteile bilden eine geeignete Grundlage, um den Acquis und die Gesamtheit der Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes klarer zu fassen.

2.9

Die Neuformulierung erscheint auch deshalb notwendig, weil die Richtlinie ein Kernelement des Mechanismus zur Gewährung des internationalen Schutzes berührt. Die darin beschriebenen Standards ergänzen andere Teile des Acquis, namentlich die Asylverfahrenrichtlinie. Diese Überarbeitung kann in Verbindung mit anderen institutionellen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen zu einem erheblichen Fortschritt beim Aufbau eines funktionsfähigen und wirkungsvollen gemeinsamen europäischen Asylsystems führen.

2.10

Als Vertretungsinstanz der europäischen organisierten Zivilgesellschaft hat der EWSA bereits die Bemühungen um eine Anhörung der Zivilgesellschaft und der Sachverständigen im Rahmen der Gestaltung der Asylpolitik begrüßt. Erwähnenswert sind vor allem die Anhörungen im Zusammenhang mit der Erarbeitung des von der Europäischen Kommission im Juni 2007 vorgelegten Grünbuchs (7) und der Vorbereitung der Studien über die Umsetzung der Richtlinie (z.B. des Odysseus-Berichts) oder des externen Berichts über den Erfolg der Asylpolitik (8).

2.11

Der EWSA erkennt die Bedeutung der Rolle der Gebietskörperschaften für den Erfolg der Asylpolitik an, insbesondere in Bezug auf die Integration der Personen, die internationalen Schutz erhalten. In diesem Zusammenhang ist der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss der Ansicht, dass der Ausschuss der Regionen ebenfalls an den Anhörungen im Bereich der Asylpolitik beteiligt werden sollte.

2.12

Der EWSA zeigt sich äußerst besorgt über die Methoden der Regierungen der Mitgliedstaaten und der Agentur FRONTEX im Bereich der Abschiebung von Personen, die möglicherweise eines internationalen Schutzes bedürfen (9). Diese Operationen, deren Häufigkeit und Umfang zugenommen haben, müssen unter Bedingungen völliger Transparenz und Verantwortlichkeit durchgeführt werden (10). Der EWSA rät, dass FRONTEX und das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen zusammenarbeiten sollten, um Menschenrechtsverstöße zu verhindern. Die Abschiebung von Menschen in Länder oder Regionen, in denen ihre Sicherheit gefährdet ist, stellt eine klare Verletzung des Grundsatzes des non-refoulement dar. Der EWSA fordert, umgehend einen Bericht über die Tätigkeiten der Agentur FRONTEX zu erstellen und unverzüglich die Modalitäten für die Handhabung der Abschiebungen durch die Agentur in Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden festzulegen. Eine Stärkung von FRONTEX ohne Festlegung von Verfahren, die die Achtung der Menschenrechte gewährleisten, könnte das gemeinsame europäische Asylsystem als Ganzes gefährden und der Glaubwürdigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten schaden.

2.13

Der EWSA ist der Auffassung, dass das gemeinsame europäische Asylsystem nur dann reibungslos funktionieren kann, wenn das Prinzip der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten in die Praxis umgesetzt wird. Einige Mitgliedstaaten sind hauptsächlich wegen ihrer geografischen Lage einem sehr viel größeren Druck ausgesetzt als die übrigen. Das System wird nur dann funktionieren, wenn diese Länder von den anderen Mitgliedstaaten und den Fachagenturen der EU unterstützt werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag für eine Überarbeitung der Richtlinie, der seine früheren Empfehlungen inhaltlich widerspiegelt, vor allem in Bezug auf die Behandlung von Antragstellern und die Klärung des Status von Personen, die für internationalen Schutz in Frage kommen. Allerdings bleibt noch viel zu tun, um ein funktionsfähiges gemeinsames europäisches Asylsystem auf die Beine zu stellen. Dies gelingt nur, wenn das System in einem Bündel von Werten und gemeinsamen Grundsätzen fest verankert ist, die die Würde und die Sicherheit der Menschen in den Mittelpunkt des Handelns der EU und ihrer Mitgliedstaaten stellen. Unterminiert wird die Einrichtung eines solchen Systems auch durch einen Mangel an Instrumenten und Ressourcen, die ein transparentes und effizientes Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes sicherstellen und flankiert werden durch Maßnahmen und Programme zur Integration von Personen mit internationalem Schutzstatus in die Gesellschaft und Wirtschaft der Mitgliedstaaten.

3.2

Es besteht nach wie vor eine deutliche Kluft zwischen EU-Rechtsvorschriften einerseits und nationalen Gesetzen und Praktiken andererseits (11). Die Harmonisierung darf nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner im Bereich des Schutzes hinauslaufen. Die große Vielfalt der nationalen Methoden, so wie sie sich in den Unterschieden bei den Annahmequoten, der Zahl der angefochtenen Entscheidungen und den Sekundärbewegungen widerspiegeln, zeigt, dass der implizite Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten nicht zur Anwendung gelangt.

3.3

Der EWSA hat bereits eine Reihe von Grundsätzen herausgestellt, die für das Handeln der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen immer maßgeblich sein sollten (12): den Grundsatz des non-refoulement, dem zufolge kein Flüchtling in ein Land abgeschoben werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit gefährdet wären, den Grundsatz der Vertraulichkeit der Informationen in Asylanträgen und die Garantie, dass Asylbewerber allein aufgrund der Beantragung von Asyl nicht in Gewahrsam genommen werden dürfen.

3.4

In seiner Stellungnahme zum Grünbuch über das künftige gemeinsame europäische Asylsystem (13) bringt der EWSA seine Unterstützung für diese Grundsätze zum Ausdruck und gibt präzise Empfehlungen zu der Frage ab, wie der Umgang mit Personen, die um internationalen Schutz ersuchen, verbessert werden könnte. Die europäischen Institutionen und nationalen Behörden müssen zusammenarbeiten, um dafür Sorge zu tragen, dass die Personen, die eines internationalen Schutzes bedürfen, jederzeit in die Europäische Union einreisen können und ihre Anträge einer individuellen und eingehenden Prüfung unterzogen werden. Darüber hinaus empfiehlt der EWSA, die Liste der als sicher erachteten Drittstaaten nicht weiter zu verwenden und ein Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen einzurichten.

3.5

Neben der Festlegung eines Fundus von Werten und Grundsätzen, der jeglichem Handeln im Bereich der Asylpolitik zugrunde liegt, empfiehlt der EWSA, sich für die Verwirklichung einiger spezifischer Ziele einzusetzen, um den Umgang mit Personen, die um internationalen Schutz ersuchen oder ihn bereits genießen, merklich zu verbessern. Der EWSA befürwortet die Festlegung einer Reihe von Schlüsselindikatoren zur Überwachung und Bewertung der Fortschritte bei der Verwirklichung dieser Zielsetzungen.

3.6

Der EWSA spricht sich dafür aus, durch das Europäische Unterstützungsbüro ein europäisches System zur Analyse und Bewertung der Sicherheitsrisiken für einzelne Personen und Personengruppen in Drittländern einzurichten. Gegenwärtig gibt es viele Systeme zur Bewertung der Risiken und der politischen Gewalt, die von den nationalen Behörden oder auch von Nichtregierungsorganisationen (NRO), Universitäten und Forschungsinstituten entwickelt wurden (14).

3.7

Wenn nötig sollten der Europäische Auswärtige Dienst, die diplomatischen Vertreter der Mitgliedstaaten, aber auch die internationalen Organisationen und die NRO, die Beziehungen zu Drittstaaten haben und dort tätig sind, an der Datenerhebung beteiligt werden. Dieses Analyse- und Bewertungssystem würde den nationalen Behörden die nötigen Eckdaten für eine wirksamere und schnellere Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz liefern. Das System würde die gemeinsame Grundlage für eine Bewertung bilden und eine Risikoermittlung in Echtzeit ermöglichen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Bei der Erläuterung der rechtlichen Aspekte ihres Richtlinienvorschlags spricht sich die Kommission für eine Reihe von Definitionen aus, um höhere Schutzstandards festlegen und die bereits existierenden Schutznormen weiter harmonisieren zu können. Zu diesem Zweck schlägt der EWSA vor, bestimmte Aspekte zu präzisieren und weiter auszuführen, um auf diese Weise einen Beitrag zur Festlegung von Verfahrensweisen zu leisten, die auf den gemeinsamen Werten und Grundsätzen der EU beruhen.

4.2

Akteure, die Schutz bieten können. Der EWSA hält die Ausweitung der Definition der Akteure, die Schutz bieten können, für nicht zweckmäßig und bedauert, dass nichtstaatliche Instanzen wie NRO und internationale Organisationen nicht von vornherein in die Liste der Akteure, die Schutz bieten können, aufgenommen wurden. Obwohl diese Akteure (internationale Organisationen, NRO) bereit und auch dazu in der Lage sind, die Bürger eines Landes zu schützen, fällt dies letztlich nicht in ihre Verantwortung. Die internationalen Organisationen sind den Mitgliedstaaten rechenschaftspflichtig, und die NRO ihren Mitgliedern und Geldgebern. Nur der Staat kann auf mittlere und lange Sicht einen vollwertigen und wirksamen Schutz bieten, da er seinen eigenen Bürgern gegenüber Rechenschaft ablegen muss, die naturgemäß das größte Interesse an seiner Lebensfähigkeit und Stabilität haben. Zwar können die Schutz bietenden Akteure kurzfristig nützliche oder mitunter sogar unabdingbare Dienstleistungen zur Verfügung stellen (vor allem bei der Lösung humanitärer Probleme), doch kann ihnen weder ganz noch teilweise die Verantwortung für den Schutz von Personen auf einem bestimmten Territorium übertragen werden. Die Existenz derartiger Akteure kann kein Grund dafür sein, internationalen Schutz zu verweigern.

4.3

Interner Schutz. Der interne Schutz, der in einem Land geboten wird, reicht nicht aus, um die Sicherheit von Personen, die potenziell um internationalen Schutz ersuchen, zu gewährleisten. In einigen Fällen ist nur ein kleiner Teil des Hoheitsgebiets des betreffenden Staats sicher, wobei es unwahrscheinlich ist, dass sich alle gefährdeten Personen dorthin begeben können. Es gibt auch Fälle, in denen die Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet umstritten und damit unklar ist, wer für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit zuständig ist. Daher bedarf es einer eingehenden Begriffsklärung. Der interne Schutz ist nur dann wirksam, wenn der größte Teil des Hoheitsgebiets unter der Kontrolle einer Zentralbehörde steht, die willens und in der Lage ist, die innere Ordnung sowie ein Mindestmaß an öffentlichen Dienstleistungen und einen angemessenen Schutz der Rechte und der Sicherheit des Einzelnen zu gewährleisten.

4.4

Kausalzusammenhang. In Fällen, in denen die Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, ist es sehr zweckmäßig, einen „Kausalzusammenhang“ zugrunde zulegen. Im Falle von Verfolgungen sind Anträge auf internationalen Schutz dann gerechtfertigt, wenn ein staatlicher Schutz fehlt. In allen Fällen, in denen eine Regierung sich implizit oder explizit weigert, seine Bürger zu beschützen, ist dieser Grundsatz großzügig auszulegen und strikt zu verfolgen.

4.5

Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Der EWSA begrüßt die Aufnahme des Geschlechtskriteriums in die Definition potenziell gefährdeter sozialer Gruppen. Darüber hinaus sollte bei der Auslegung der Genfer Konvention ein bereichsübergreifender Ansatz zur Anwendung kommen, um Situationen, in denen Frauen besonderen Risiken ausgesetzt sind, besser Rechnung zu tragen. Der EWSA weist ebenfalls darauf hin, dass die sexuelle Ausrichtung Ursache von Verfolgung sein kann. Es gibt Gesellschaftsformen, in denen die Sicherheit und das Wohl der Individuen von ihrem Geschlecht abhängen. Der EWSA ist der Ansicht, dass Organisationen und Einrichtungen, die über einschlägige Kenntnisse in diesem Bereich verfügen, an den Konsultationen zur Asylpolitik beteiligt werden sollten, um ein vollständigeres Bild über geschlechtsspezifische Risiken zu erhalten. Die Gleichstellung der Geschlechter sollte auch in der Arbeit des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen durch die Schaffung spezifischer Strukturen anerkannt werden.

4.6

Beendigung des Flüchtlingsstatus. Der EWSA befürwortet die vorgeschlagene Änderung und hält sie für vereinbar mit den Werten und Grundsätzen, die der Asylpolitik zugrunde liegen. Der Status einer Person, die internationalen Schutz genießt, kann nur dann enden, wenn die Rückkehr an den Herkunftsort nicht mehr mit Risiken verbunden ist.

4.7

Differenzierung beim Inhalt der beiden Schutzstatus. Der EWSA begrüßt die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der beiden Schutzstatus, für die er sich bereits wiederholt ausgesprochen hat. Dadurch soll künftig der Schutz gefährdeter Personen verbessert und ihre Integration in die EU-Mitgliedstaaten vorangetrieben werden. Die Vereinheitlichung dieser beiden Status sollte indes weder mittelbar noch unmittelbar zu einer Absenkung des Niveaus oder der Qualität des gewährten Schutzes führen.

4.8

Inhalt des zu gewährenden Schutzes. Der Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist ein heikles Thema in der Asylpolitik. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind hier auch viel größer als bei den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes per se. Bei der Gestaltung der künftigen Asylpolitik muss die Europäische Kommission unbedingt die erforderlichen Ressourcen mobilisieren, um die nationalen politischen Strategien und Programme auf diesem Gebiet eingehend zu untersuchen. Ohne proaktive Maßnahmen wird die Gewährung internationalen Schutzes an Substanz verlieren und zu einer impliziten Diskriminierung der Personen führen, die diesen Schutz genießen. Der EWSA empfiehlt, Gewerkschaften und Arbeitgeber an der Konzipierung und Umsetzung der Asylpolitik auf nationaler Ebene zu beteiligen.

4.9

Der EWSA begrüßt die Aufnahme von Bestimmungen zur Anerkennung/Gleichstellung von Abschlüssen und Befähigungsnachweisen sowie die Maßnahmen, die den Schutzberechtigten den Zugang zu Berufsbildungsprogrammen erleichtern. Derartige Maßnahmen sind für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration dieser Personen und für die Verbesserung ihrer Lebensqualität von besonderer Bedeutung. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sollte durch aktive Maßnahmen erleichtert werden, um damit die Diskriminierung zu bekämpfen und Anreize für Wirtschaftsakteure zu schaffen.

4.10

Familienangehörige. Der EWSA begrüßt die Klärung des Begriffs „Familienangehörige“ und vertritt die Ansicht, dass dadurch eine genauere und einheitlicher Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz in allen EU-Mitgliedstaaten ermöglicht wird.

4.11

Der EWSA befürwortet das Wohl des Kindes als Kriterium bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz.

Brüssel, den 28. April 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  ABl. C 221 vom 17.9.2002, S. 43.

(2)  ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 77.

(3)  ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 78.

(4)  KOM(2008) 360 endg.

(5)  KOM(2008) 815 endg., KOM(2008) 820 endg., KOM(2008) 825 endg.

(6)  KOM(2009) 66 endg.

(7)  KOM(2007) 301 endg.

(8)  GHK, Folgenabschätzungsstudien zu folgenden Themen: „Künftige Entwicklung von Maßnahmen betreffend die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen, die internationalen Schutz benötigen, und den Inhalt des zu gewährenden Schutzes auf der Grundlage der Richtlinie 2004/83/EG des Rates“ und „Künftige Entwicklung von Maßnahmen betreffend die Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage der Richtlinie 2005/85/EG“, Mehrfach-Rahmendienstleistungsvertrag JLS/2006/A1/004.

(9)  Siehe den Bericht von Human Rights Watch (HRW) von 2009: „Pushed Back, Pushed Around, Italy's Forced Return of Boat Migrants and Asylum Seekers, Libya's Mistreatment of Migrants and Asylum Seekers“ („Abgeschoben, herumgestoßen: Italiens erzwungene Rückkehr von Migranten und Asylsuchenden, die auf dem Seeweg ins Land gelangen, und ihre Misshandlung durch Libyen“).

(10)  Der EWSA begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, die einschlägigen Verfahren transparenter zu gestalten.

(11)  KOM(2009) 551 endg. - SEK(2009) 1374), S. 14-16.

(12)  ABl. C 193 vom 10.7.2001, S. 77-83.

(13)  ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 77-84.

(14)  Hier kann eine Vielzahl von Bewertungssystemen dieser Art angeführt werden: „Fund for Peace“: http://www.fundforpeace.org/web/index.php?option=com_content&task=view&id=229&Itemid=366; Minorities at Risk: http://www.cidcm.umd.edu/mar/about.asp; Conflict and Peace: http://www.cidcm.umd.edu/pc/; Global Report des Center for Systemic Peace (CSP): http://www.systemicpeace.org/; Human Security Report: http://www.humansecurityreport.info/index.php?option=content&task=view&id=28&Itemid=63.


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