URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

28. Juli 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Umweltschutz — Abfallbewirtschaftung — Richtlinie 2006/21/EG — Art. 10 Abs. 2 — Verfüllung von Abbauhohlräumen mit nicht mineralischen Abfällen — Ablagerung oder Verwertung dieser Abfälle“

In der Rechtssache C‑147/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 16. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 2015, in dem Verfahren

Città Metropolitana di Bari, vormals Provincia di Bari,

gegen

Edilizia Mastrodonato Srl

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter), E. Juhász und C. Vajda sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Città Metropolitana di Bari, vormals Provincia di Bari, vertreten durch G. Mariani, avvocato,

der Edilizia Mastrodonato Srl, vertreten durch M. Ingravalle, avvocato,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Grasso, avvocato dello Stato,

der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, M. Drwięcki und B. Paziewska als Bevollmächtigte,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon und L. Christie als Bevollmächtigte im Beistand von A. Bates, Barrister,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und E. Sanfrutos Cano als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. April 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineralgewinnenden Industrie und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG (ABl. 2006, L 102, S. 15).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Città Metropolitana di Bari (Großkommune Bari, Italien), vormals Provincia di Bari (Provinz Bari, Italien), und der Edilizia Mastrodonato Srl wegen der Regelung, die für die Genehmigung des Verfüllens von stillgelegten Steinbrüchen anzuwenden ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 1999/31/EG

3

Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien (ABl. 1999, L 182, S. 1) lautet:

„Die im Einklang mit der Richtlinie 75/442/EWG erfolgende Verwertung hierfür geeigneter Inertabfälle und nicht gefährlicher Abfälle durch ihren Einsatz für landschaftspflegerische Arbeiten/Rekultivierungen und für Auffüllungen oder bauliche Zwecke stellt nicht notwendigerweise eine Deponierung dar.“

4

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 1999/31 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff

g)

‚Deponie‘ eine Abfallbeseitigungsanlage für die Ablagerung von Abfällen oberhalb oder unterhalb der Erdoberfläche (d. h. unter Tage), …

…“

5

Art. 3 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Die Mitgliedstaaten wenden diese Richtlinie auf alle Deponien gemäß Artikel 2 Buchstabe g) an.

(2)   Unbeschadet der bestehenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft ist Folgendes vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen:

die Verwendung von geeigneten Inertabfällen für landschaftspflegerische Arbeiten/Rekultivierungen und für Auffüllungen oder bauliche Zwecke in Deponien;

die Ablagerung von nicht verunreinigtem Boden oder von nicht gefährlichen Inertabfällen aus der Prospektion und dem Abbau, der Behandlung und der Lagerung von Bodenschätzen sowie aus dem Betrieb von Steinbrüchen.“

Richtlinie 2006/21

6

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/21 bestimmt:

„Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 gilt diese Richtlinie für die Bewirtschaftung von Abfällen, die beim Aufsuchen, Gewinnen, Aufbereiten und Lagern von mineralischen Rohstoffen sowie beim Betrieb von Steinbrüchen entstehen (nachstehend ‚mineralische Abfälle‘ genannt).“

7

Art. 10 („Abbauhohlräume“) der Richtlinie 2006/21 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Betreiber bei der Einbringung von mineralischen Abfällen zu Bau- oder Sanierungszwecken in Abbauhohlräume, die im Tagebau oder im Untertagebau entstanden sind, geeignete Maßnahmen ergreift, um

1.

die Stabilität der mineralischen Abfälle entsprechend Artikel 11 Absatz 2 zu gewährleisten;

2.

die Verschmutzung des Bodens sowie des Oberflächen- und Grundwassers entsprechend Artikel 13 Absätze 1, 3 und 5 zu vermeiden;

3.

die Überwachung der mineralischen Abfälle und der Abbauhohlräume entsprechend Artikel 12 Absätze 4 und 5 sicherzustellen.

(2)   Die Richtlinie 1999/31/EG findet gegebenenfalls weiterhin Anwendung auf nicht mineralische Abfälle, die zum Verfüllen von Abbauhohlräumen verwendet werden.“

Richtlinie 2008/98/EG

8

Der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3) lautet:

„Die Begriffsbestimmungen von Verwertung und Beseitigung müssen dahin gehend geändert werden, dass eine klare Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen getroffen wird, die sich auf eine echte Differenzierung zwischen den Umweltfolgen durch die Ersetzung natürlicher Ressourcen in der Wirtschaft gründet und bei der der potenzielle Nutzen der Verwendung von Abfällen als Ressourcen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit anerkannt wird. Darüber hinaus können Leitlinien erarbeitet werden, damit die Fälle geklärt werden, in denen in der Praxis eine Unterscheidung nur schwer getroffen werden kann oder in denen die Einordnung der Maßnahme als Verwertung den tatsächlichen Umweltfolgen der Maßnahme nicht gerecht wird.“

9

Art. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

15.

‚Verwertung‘ jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmte[n] Funktion verwendet worden wären, oder die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen. Anhang II enthält eine nicht erschöpfende Liste von Verwertungsverfahren;

19.

‚Beseitigung‘ jedes Verfahren, das keine Verwertung ist, auch wenn das Verfahren zur Nebenfolge hat, dass Stoffe oder Energie zurückgewonnen werden. Anhang I enthält eine nicht erschöpfende Liste von Beseitigungsverfahren;

…“

10

Art. 4 („Abfallhierarchie“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Folgende Abfallhierarchie liegt den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung als Prioritätenfolge zugrunde:

a)

Vermeidung[,]

b)

Vorbereitung zur Wiederverwendung,

c)

Recycling,

d)

sonstige Verwertung, z. B. energetische Verwertung,

e)

Beseitigung.

(2)   Bei Anwendung der Abfallhierarchie nach Absatz 1 treffen die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Förderung derjenigen Optionen, die insgesamt das beste Ergebnis unter dem Aspekt des Umweltschutzes erbringen. Dies kann erfordern, dass bestimmte Abfallströme von der Abfallhierarchie abweichen, sofern dies durch Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist.

…“

11

Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Abfälle Verwertungsverfahren im Einklang mit den Artikeln 4 und 13 durchlaufen.“

12

In den Abs. 2 und 3 von Art. 11 („Wiederverwendung und Recycling“) der Richtlinie 2008/98 heißt es:

„(2)   Zur Erfüllung der Ziele dieser Richtlinie und im Interesse der Entwicklung zu einer europäischen Recycling-Gesellschaft mit einem hohen Maß an Effizienz der Ressourcennutzung ergreifen die Mitgliedstaaten die zur Erreichung der folgenden Zielvorgaben nötigen Maßnahmen:

b)

bis 2020 wird die Vorbereitung zur Wiederverwendung, des Recyclings und die sonstige stoffliche Verwertung (einschließlich der Verfüllung, bei der Abfälle als Ersatz für andere Materialien genutzt werden) von nicht gefährlichen Bau- und Abbruchabfällen – mit Ausnahme von in der Natur vorkommenden Materialien, die in Kategorie 17 05 04 des Europäischen Abfallkatalogs definiert sind – auf mindestens 70 Gewichtsprozent erhöht[.]

(3)   Die Kommission legt Durchführungsbestimmungen über die Anwendung der in Absatz 2 dieses Artikels genannten Zielvorgaben und die Berechnungsmethoden zur Überprüfung ihrer Einhaltung fest, und zwar unter Berücksichtigung der Verordnung (EG) Nr. 2150/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2002 zur Abfallstatistik [(ABl. 2002, L 332, S. 1)]. Darin können Übergangsfristen für die Mitgliedstaaten vorgesehen werden, die 2008 in einer dieser Kategorien eine Recyclingrate von weniger als 5 % erreicht haben. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 39 Absatz 2 der vorliegenden Richtlinie genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.“

13

Art. 13 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt erfolgt und insbesondere

a)

ohne Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, Tieren und Pflanzen,

b)

ohne Verursachung von Geräusch- oder Geruchsbelästigungen und

c)

ohne Beeinträchtigung der Landschaft oder von Orten von besonderem Interesse.“

14

Nach Art. 40 der Richtlinie lief ihre Umsetzungsfrist am 12. Dezember 2010 ab.

15

In Anhang I („Beseitigungsverfahren“) der Richtlinie 2008/98 sind folgende Vorgänge aufgeführt:

„D 1 Ablagerungen in oder auf dem Boden (z. B. Deponien usw.)

D 3 Verpressung (z. B. Verpressung pumpfähiger Abfälle in Bohrlöcher, Salzdome oder natürliche Hohlräume usw.)

D 12 Dauerlagerung (z. B. Lagerung von Behältern in einem Bergwerk usw.)

…“

16

In Anhang II („Verwertungsverfahren“) der Richtlinie sind folgende Vorgänge aufgeführt:

„…

R 3 Recycling/Rückgewinnung organischer Stoffe, die nicht als Lösemittel verwendet werden (einschließlich der Kompostierung und sonstiger biologischer Umwandlungsverfahren) …

R 4 Recycling/Rückgewinnung von Metallen und Metallverbindungen

R 5 Recycling/Rückgewinnung von anderen anorganischen Stoffen …

R 10 Aufbringung auf den Boden zum Nutzen der Landwirtschaft oder zur ökologischen Verbesserung

…“

Italienisches Recht

17

Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 117/2008 vom 30. Mai 2008 zur Umsetzung der Richtlinie 2006/21 (GURI Nr. 157 vom 7. Juli 2008, S. 4) bestimmt:

„Für das Verfüllen von Hohlräumen und durch den Abbau entstandener Unebenheiten mit nicht mineralischen Abfällen im Sinne des vorliegenden Decreto gelten die Vorschriften des Decreto legislativo Nr. 36 vom 13. Januar 2003 über Abfalldeponien.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

18

Edilizia Mastrodonato stellte am 16. März 2010 einen Antrag auf Erweiterung eines Steinbruchs, dem u. a. ein Durchführungsplan zur Umweltsanierung beigefügt war, der die Verfüllung der zuvor bewirtschafteten Gebiete mit 1200000 m3 nicht mineralischer Abfälle vorsah.

19

Am 21. September 2011 wurde die Erweiterung des Steinbruchs vom Servizio regionale Attività estrattive (regionale Dienststelle für bergbauliche Tätigkeiten) unter der Bedingung genehmigt, dass die vorgesehene Umweltsanierung anhand der Modalitäten des gleichzeitig angenommenen Plans erfolgt.

20

Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung entstand eine Meinungsverschiedenheit zwischen Edilizia Mastrodonato und der Provinz Bari hinsichtlich des von Edilizia Mastrodonato bei der tatsächlichen Verfüllung der zuvor bewirtschafteten Gebiete einzuhaltenden Verfahrens.

21

Am 19. Januar 2012 übersandte Edilizia Mastrodonato der Provinz Bari nach dem vereinfachten Verfahren für Abfallverwertungen eine Mitteilung über die Aufnahme der Tätigkeit. Am 15. November 2012 lehnte es der Leiter des Servizio Polizia Provinciale – Protezione Civile e ambiente della Provincia di Bari (Provinzpolizeidienst – Zivil- und Umweltschutz der Provincia di Bari) ab, die von Edilizia Mastrodonato geplante Verfüllung einem solchen vereinfachten Verfahren zu unterwerfen, da es sich dabei in Wirklichkeit um ein Projekt zur Beseitigung inerter Sonderabfälle mit einem Volumen von 1200000 m3 durch Deponierung handele, das nach Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 117/2008, mit dem Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 umgesetzt werde, Gegenstand eines normalen Genehmigungsverfahrens sein müsse.

22

Diese Entscheidung wurde vom Tribunale amministrativo regionale della Puglia (Regionales Verwaltungsgericht für Apulien, Italien) für nichtig erklärt. Es vertrat die Auffassung, dass die geplante Verfüllung trotz des Wortlauts von Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 117/2008 in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden könne, weil diese Vorschrift im Licht der Entwicklung des Unionsrechts im Abfallsektor auszulegen sei. Art. 3 Nr. 15 und Art. 11 der Richtlinie 2008/98 sei zu entnehmen, dass eine Verfüllung, auch mit nicht mineralischen Abfällen, in einer Verwertung von Abfällen, bei der nach italienischem Recht das vereinfachte Verfahren angewandt werden dürfe, und nicht in ihrer Beseitigung bestehen könne.

23

Der mit einem Rechtsmittel der Provinz Bari gegen die Entscheidung des Tribunale amministrativo regionale della Puglia (Regionales Verwaltungsgericht für Apulien) befasste Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) muss Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 117/2008 und infolgedessen Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 auslegen. Er stellt fest, dass die Provinz Bari im Unterschied zum Tribunale amministrativo regionale della Puglia (Regionales Verwaltungsgericht für Apulien) die Auffassung vertritt, dass nach diesen beiden Vorschriften lediglich eine Verfüllung mit mineralischen Abfällen keine Abfallbeseitigung darstelle und deshalb nach italienischem Recht im vereinfachten Verfahren erfolgen könne.

24

Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 in dem Sinne auszulegen, dass das Verfüllen der Deponie – wenn es durch andere als mineralische Abfälle erfolgt – stets unter die in der Richtlinie 1999/31 enthaltenen Bestimmungen über Abfälle fällt, selbst wenn es sich nicht um eine Abfallbeseitigung, sondern um eine Verwertung handelt?

Zur Vorlagefrage

25

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 dahin auszulegen ist, dass er bewirkt, dass die Verfüllung eines Steinbruchs mit nicht mineralischen Abfällen den Vorschriften der Richtlinie 1999/31 unterliegt, wenn es sich dabei um eine Verwertung dieser Abfälle handelt.

26

Die Richtlinie 2006/21 gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 1 für die Bewirtschaftung von Abfällen, die beim Aufsuchen, Gewinnen, Aufbereiten und Lagern von mineralischen Rohstoffen sowie beim Betrieb von Steinbrüchen entstehen.

27

Nach Abs. 1 von Art. 10 („Abbauhohlräume“) dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der Betreiber bei der Einbringung von mineralischen Abfällen zu Bau- oder Sanierungszwecken in Abbauhohlräume bestimmte Maßnahmen ergreift. Art. 10 Abs. 2 sieht hingegen vor, dass die Richtlinie 1999/31 „weiterhin Anwendung auf nicht mineralische Abfälle [findet], die zum Verfüllen von Abbauhohlräumen verwendet werden“.

28

Die Sprachfassungen von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 weichen in Bezug auf die Frage, ob nicht mineralische Abfälle notwendigerweise unter die Richtlinie 1999/31 fallen, voneinander ab. Während es nämlich u. a. in der griechischen, der französischen und der italienischen Fassung dieser Bestimmung heißt, dass die Richtlinie 1999/31 weiterhin Anwendung auf nicht mineralische, zum Verfüllen verwendete Abfälle findet, sehen u. a. ihre deutsche und ihre englische Fassung vor, dass die Richtlinie 1999/31 „gegebenenfalls“ bzw. „as appropriate“ weiterhin auf solche Abfälle Anwendung findet.

29

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Rechtstexts der Union voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift anhand des Zusammenhangs und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil vom 17. März 2016, Kødbranchens Fællesråd, C‑112/15, EU:C:2016:185, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Wie die Generalanwältin in Nr. 31 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, heißt es in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21, dass die Richtlinie 1999/31 auf nicht mineralische Abfälle, die zum Verfüllen verwendet werden, „weiterhin“ Anwendung findet. Das bedeutet, dass die Verfüllung eines Abbauhohlraums nur dann unter die Richtlinie 1999/31 fällt, wenn die Voraussetzungen für deren Anwendung erfüllt sind.

31

Die Richtlinie 1999/31 gilt aber nur für Abfälle, die beseitigt werden, und nicht für solche, die Gegenstand einer Verwertung sind. Wie die Generalanwältin in Nr. 38 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gilt die Richtlinie nämlich nach ihrem Art. 3 Abs. 1 für alle Deponien; darunter sind nach Art. 2 Buchst. g der Richtlinie Abfallbeseitigungsanlagen für die Ablagerung von Abfällen oberhalb oder unterhalb der Erdoberfläche zu verstehen.

32

Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass in Anbetracht der allgemeinen Systematik der Richtlinie 2006/21, die ausschließlich zur Regelung der Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineralgewinnenden Industrie dient, ihr Art. 10 Abs. 2 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er den Anwendungsbereich der Richtlinie 1999/31, der in deren Art. 3 Abs. 1 klar definiert ist, implizit erweitert.

33

Daraus folgt, dass nicht mineralische Abfälle nur dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie 1999/31 fallen können, wenn sie zu ihrer Beseitigung abgelagert werden, nicht jedoch, wenn sie Gegenstand einer Verwertung sind. In diesem Sinne ist Art. 3 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie auszulegen, wonach die Verwendung von geeigneten Inertabfällen für landschaftspflegerische Arbeiten/Rekultivierungen und für Auffüllungen oder bauliche Zwecke in Deponien von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen ist.

34

Daher ist Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 dahin auszulegen, dass er nicht bewirkt, dass das Verfüllen eines Steinbruchs mit nicht mineralischen Abfällen, sofern es nicht zur Beseitigung, sondern zur Verwertung dieser Abfälle dient, unter die Richtlinie 1999/31 fällt.

35

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist zudem zu klären, unter welchen Voraussetzungen das Verfüllen eines Steinbruchs mit nicht mineralischen Abfällen als eine Verwertung angesehen werden kann.

36

Da der Begriff der Verwertung in der Richtlinie 1999/31 nicht definiert wird, ist auf seine Definition in Art. 3 Nr. 15 der Richtlinie 2008/98 zurückzugreifen. Diese Richtlinie, durch die mit Wirkung vom 12. Dezember 2010 die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. 2006, L 114, S. 9) aufgehoben wurden und deren Umsetzungsfrist am selben Tag ablief, ist in zeitlicher Hinsicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar, denn die Mitteilung über die Aufnahme der Tätigkeit, die Edilizia Mastrodonato nach dem für Abfallverwertungen geltenden vereinfachten Verfahren an die Provinz Bari richtete, datiert vom 19. Januar 2012 (vgl. entsprechend Urteil vom 23. März 2006, Kommission/Österreich, C‑209/04, EU:C:2006:195, Rn. 56 und 57).

37

In Art. 3 Nr. 15 der Richtlinie 2008/98 wird die „Verwertung“ von Abfällen u. a. definiert als ein Verfahren, als dessen Hauptergebnis die betreffenden Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmten Funktion verwendet worden wären. Desgleichen heißt es im 19. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass sich der Begriff der Verwertung auf der Ebene der Umweltfolgen vom Begriff der Beseitigung durch die Ersetzung natürlicher Ressourcen in der Wirtschaft unterscheidet.

38

Somit ist davon auszugehen, dass diese Begriffsbestimmung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Begriffsbestimmung entspricht, wonach das entscheidende Merkmal einer Abfallverwertungsmaßnahme darin liegt, dass ihr Hauptzweck darauf gerichtet ist, dass die Abfälle eine sinnvolle Aufgabe erfüllen können, indem sie andere Materialien ersetzen, die für diese Aufgabe hätten verwendet werden müssen, wodurch natürliche Ressourcen erhalten werden können (Urteil vom 27. Februar 2002, ASA, C‑6/00, EU:C:2002:121, Rn. 69).

39

Daraus folgt, dass die Schonung der natürlichen Ressourcen der Hauptzweck der Verwertungsmaßnahme sein muss. Umgekehrt kann, wenn die Schonung natürlicher Ressourcen nur einen Nebeneffekt einer Maßnahme darstellt, deren Hauptzweck die Abfallbeseitigung ist, dies die Einstufung der Maßnahme als Beseitigungsmaßnahme nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2003, Kommission/Luxemburg, C‑458/00, EU:C:2003:94, Rn. 43).

40

Insoweit ergibt sich aus Art. 3 Nrn. 15 und 19 der Richtlinie 2008/98, dass in deren Anhängen I und II die gängigsten Beseitigungs- und Verwertungsverfahren angegeben werden sollen, ohne dass sie eine abschließende Aufzählung aller Beseitigungs- und Verwertungsverfahren im Sinne der Richtlinie enthalten.

41

Demnach muss jedes Abfallbehandlungsverfahren als „Beseitigung“ oder „Verwertung“ eingestuft werden können, und dasselbe Verfahren kann, wie sich aus Art. 3 Nr. 19 der Richtlinie 2008/98 ergibt, nicht zugleich als „Beseitigung“ und als „Verwertung“ eingestuft werden. Lässt sich daher, wie im Ausgangsverfahren, ein Abfallbehandlungsverfahren angesichts der bloßen Bezeichnung der betreffenden Verfahren nicht einem oder einer einzigen der in den Anhängen I und II der Richtlinie erwähnten Verfahren oder Verfahrenskategorien zuordnen, muss es im Licht der Ziele und der Begriffsbestimmungen der Richtlinie von Fall zu Fall eingestuft werden (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Februar 2002, ASA, C‑6/00, EU:C:2002:121, Rn. 62 bis 64).

42

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand aller relevanten Umstände des Ausgangsverfahrens und unter Berücksichtigung des mit der Richtlinie 2008/98 angestrebten Umweltschutzziels zu beurteilen, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfüllen eines Steinbruchs hauptsächlich zur Verwertung der nicht mineralischen Abfälle dient, die dabei verwendet werden sollen.

43

Das kann der Fall sein, wenn zum einen feststeht, dass der fragliche Steinbruch selbst dann verfüllt worden wäre, wenn derartige Abfälle nicht zur Verfügung gestanden hätten und deshalb auf andere Materialien hätte zurückgegriffen werden müssen (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Februar 2002, ASA, C‑6/00, EU:C:2002:121, Rn. 69).

44

Das vorlegende Gericht muss in diesem Kontext die Bedingungen für die Verfüllung berücksichtigen, um zu klären, ob diese Maßnahme auch ohne nicht mineralische Abfälle durchgeführt worden wäre. So kann z. B. der Umstand, dass der Betreiber des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steinbruchs diese Abfälle von ihrem Erzeuger oder Besitzer gegen Bezahlung erwirbt, darauf hindeuten, dass der Hauptzweck der fraglichen Maßnahme die Verwertung dieser Abfälle ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2003, Kommission/Luxemburg, C‑458/00, EU:C:2003:94, Rn. 44).

45

Zum anderen kann das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfüllen des Steinbruchs nur dann als eine Verwertung angesehen werden, wenn die Abfälle nach dem jüngsten Stand der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse für diesen Zweck geeignet sind.

46

Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 der Richtlinie 2008/98 schreiben den Mitgliedstaaten nämlich vor, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Verwertungsverfahren so ablaufen, dass die Umwelt und die menschliche Gesundheit keinen Schaden nehmen. Das setzt voraus, dass die Abfälle unter gleichen Umweltschutzvorkehrungen andere Materialien ersetzen können (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Dezember 2008, Kommission/Italien, C‑283/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:763, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47

Hinsichtlich der Eignung nicht mineralischer Abfälle für das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfüllen des Steinbruchs ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 und 2 zweiter bis vierter Gedankenstrich der Richtlinie 1999/31, dass nicht inerte Abfälle und gefährliche Abfälle für landschaftspflegerische Arbeiten/Rekultivierungen und für Auffüllungen oder bauliche Zwecke nicht geeignet sind. Eine solche Verwendung nicht inerter oder gefährlicher Abfälle kann deshalb nicht als Verwertung angesehen werden und fällt somit in den Anwendungsbereich der Richtlinie 1999/31.

48

Die Verwendung von Abfällen, die nicht zum Verfüllen von Abbauhohlräumen eines Steinbruchs geeignet sind, wäre für die Umwelt wesentlich schädlicher als eine Verfüllung mit anderen Materialien. Wie im 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/98 dargelegt wird, kommt es jedoch nicht in Betracht, eine Tätigkeit als Verwertungsmaßnahme einzuordnen, wenn diese Einordnung den tatsächlichen Umweltfolgen der Maßnahme nicht gerecht wird, die nach der in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie aufgestellten Abfallhierarchie im Fall der Verwertung besser sein sollen als im Fall der Abfallbeseitigung.

49

In Anbetracht der Ausführungen in den Rn. 41 bis 46 des vorliegenden Urteils muss das vorlegende Gericht prüfen, ob Edilizia Mastrodonato die Abbauhohlräume ihres Steinbruchs selbst dann verfüllen würde, wenn sie dabei auf die Verwendung nicht mineralischer Abfälle verzichten müsste, und ob die Abfälle, deren Verwendung vorgesehen ist, für eine solche Verfüllung geeignet sind. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme kann nur dann als „Verwertung“ eingestuft werden, wenn diese beiden kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind.

50

Hierzu ergibt sich aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf das Ersuchen des Gerichtshofs um Klarstellung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abfälle sehr unterschiedlicher Art sind und wahrscheinlich nicht inerte oder sogar gefährliche Abfälle enthalten, die, wie in Rn. 47 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, für das Verfüllen eines Steinbruchs nicht geeignet sind. Es ist jedoch Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits allein zuständigen nationalen Gerichts, darüber zu befinden, ob das Projekt zur Verfüllung der Abbauhohlräume des Steinbruchs von Edilizia Mastrodonato den in der vorstehenden Randnummer genannten Anforderungen entspricht.

51

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21 dahin auszulegen ist, dass er nicht bewirkt, dass die Verfüllung eines Steinbruchs mit nicht mineralischen Abfällen den Vorschriften der Richtlinie 1999/31 unterliegt, wenn es sich dabei um eine Verwertung dieser Abfälle handelt, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Kosten

52

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineralgewinnenden Industrie und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG ist dahin auszulegen, dass er nicht bewirkt, dass die Verfüllung eines Steinbruchs mit nicht mineralischen Abfällen den Vorschriften der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien unterliegt, wenn es sich dabei um eine Verwertung dieser Abfälle handelt, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.