SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 19. Dezember 2018 ( 1 )

Rechtssache C‑202/18

Ilmārs Rimšēvičs

gegen

Republik Lettland

und

Rechtssache C‑238/18

Europäische Zentralbank

gegen

Republik Lettland

„Klage, die auf einen Verstoß gegen Art. 14.2 Abs. 2 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank gestützt ist – Entscheidung einer nationalen Behörde, den Präsidenten der nationalen Zentralbank vorläufig seines Amts zu entheben“

Inhaltsverzeichnis

 

I. Einleitung

 

II. Rechtlicher Rahmen

 

A. Unionsrecht

 

1. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

2. Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank

 

B. Lettisches Recht

 

1. Strafprozessordnung

 

2. Gesetz über die Bank von Lettland

 

3. Gesetz über das Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption

 

III. Hintergrund des Rechtsstreits

 

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

 

V. Würdigung

 

A. Zu den Umrissen von Klagen gemäß Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB

 

1. Zur Klageart

 

a) Wortlaut und Entstehungsgeschichte

 

b) Systematische und teleologische Auslegung

 

2. Zum Beklagten

 

3. Zwischenergebnis

 

B. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen des KNAB

 

1. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

 

2. Zur Einstufung der gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Maßnahmen als Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB

 

C. Zur Begründetheit

 

1. Zur Verletzung von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB

 

a) Vorbemerkungen

 

b) Zu den Begriffen „Voraussetzungen für die Ausübung des Amts eines Zentralbankpräsidenten“ und „schwere Verfehlung“

 

c) Zu den Beweisen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entlassung eines Zentralbankpräsidenten aus seinem Amt zu belegen

 

1) Sachurteil eines unabhängigen Gerichts

 

2) Beweise, die ausreichen, damit sich der Gerichtshof vom Vorliegen der Tatsachen überzeugen kann

 

d) Zwischenergebnis

 

2. Zum Vorwurf eines Verstoßes gegen das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union

 

3. Zum Vorwurf des Verstoßes gegen lettisches Recht

 

D. Zwischenergebnis

 

VI. Kosten

 

VII. Ergebnis

I. Einleitung

1.

Unter welchen Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Präsidenten ihrer Zentralbanken aus ihren Ämtern entlassen?

2.

Diese Frage stellt sich in den vorliegenden Rechtssachen in Bezug auf Herrn Ilmārs Rimšēvičs, Präsident der Latvijas Banka (Bank von Lettland), der durch eine Entscheidung des Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs (Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption, Lettland) (im Folgenden: KNAB) wegen Verdachts auf missbräuchliche Einflussnahme zugunsten der lettischen Bank Trasta Komercbanka ( 2 ) vorläufig seines Amts enthoben worden ist.

3.

Der Gerichtshof ist erstmals mit dieser Frage befasst, und zwar auf der Grundlage von Art. 14.2 des Protokolls Nr. 4 zum AEU-Vertrag über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank ( 3 ) (im Folgenden: Satzung des ESZB und der EZB). Diese Bestimmung verleiht dem Gerichtshof die Zuständigkeit, über Beschlüsse betreffend die Entlassung von Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten aus dem Amt zu befinden.

4.

Diese Zuständigkeit stützt sich u. a. darauf, dass die Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zwar von den Mitgliedstaaten ernannt und aus ihren Ämtern entlassen werden, jedoch auch Mitglieder eines Organs einer Institution der Union sind, und zwar des EZB-Rats. Der EZB-Rat ist das wichtigste Beschlussorgan der EZB und des Eurosystems ( 4 ) und spielt auch eine wichtige Rolle bei der Aufsicht über Kreditinstitute in der Union ( 5 ).

5.

Die Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken genießt daher wie auch die Unabhängigkeit der EZB einen besonderen Schutz, u. a. weil sie unabdingbare Voraussetzung für die Preisstabilität ist, die das vorrangige Ziel der Wirtschafts- und Währungspolitik der Union darstellt ( 6 ) und deren Bedeutung durch ihre Nennung in Art. 3 des EU-Vertrags unterstrichen wird ( 7 ).

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1.   Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

6.

Die Art. 129 bis 131 AEUV bestimmen:

„Artikel 129

(1)   Das ESZB wird von den Beschlussorganen der Europäischen Zentralbank, nämlich dem Rat der Europäischen Zentralbank und dem Direktorium, geleitet.

(2)   Die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (im Folgenden ‚Satzung des ESZB und der EZB‘) ist in einem den Verträgen beigefügten Protokoll festgelegt.

Artikel 130

Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.

Artikel 131

Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung seiner nationalen Zentralbank mit den Verträgen sowie mit der Satzung des ESZB und der EZB im Einklang stehen.“

7.

Die Art. 282 und 283 AEUV bestimmen:

„Artikel 282

(1)   Die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken bilden das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, bilden das Eurosystem und betreiben die Währungspolitik der Union.

Artikel 283

(1)   Der Rat der Europäischen Zentralbank besteht aus den Mitgliedern des Direktoriums der Europäischen Zentralbank und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist.

…“

2.   Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank

8.

Art. 14 („Nationale Zentralbanken“) der Satzung des ESZB und der EZB bestimmt:

„14.1.   Nach Artikel 131 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellt jeder Mitgliedstaat sicher, dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung seiner Zentralbank mit den Verträgen und dieser Satzung im Einklang stehen.

14.2.   In den Satzungen der nationalen Zentralbanken ist insbesondere vorzusehen, dass die Amtszeit des Präsidenten der jeweiligen nationalen Zentralbank mindestens fünf Jahre beträgt.

Der Präsident einer nationalen Zentralbank kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat. Gegen einen entsprechenden Beschluss kann der betreffende Präsident einer nationalen Zentralbank oder der EZB-Rat wegen Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm den Gerichtshof anrufen. Solche Klagen sind binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe des betreffenden Beschlusses, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von diesem Beschluss Kenntnis erlangt hat.

14.3.   Die nationalen Zentralbanken sind integraler Bestandteil des ESZB und handeln gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB. Der EZB-Rat trifft die notwendigen Maßnahmen, um die Einhaltung der Leitlinien und Weisungen der EZB sicherzustellen, und kann verlangen, dass ihm hierzu alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden.

…“

B. Lettisches Recht

1.   Strafprozessordnung

9.

Art. 249 Abs. 1 des Kriminālprocesa likums (Strafprozessordnung, Lettland) bestimmt:

„(1)   Wenn während der Durchführung einer Zwangsmaßnahme die Grundlage der Zwangsmaßnahme gegenstandslos wird oder sich geändert hat, wenn sich die Voraussetzungen für die Durchführung oder das Verhalten der Person geändert haben oder wenn sonstige Umstände, die für die Wahl der Zwangsmaßnahme ausschlaggebend waren, klargestellt worden sind, beschließt die für das Verfahren zuständige Person die Änderung oder Rücknahme der Zwangsmaßnahme.“

10.

Art. 262 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 und Abs. 2 bis 5 des Kriminālprocesa likums bestimmt:

„(1)   Während des Vorverfahrens kann ein Rechtsbehelf gegen den Beschluss der für das Verfahren zuständigen Person im Hinblick auf die folgenden Maßnahmen eingelegt werden:

2.

das Verbot der Ausübung einer bestimmten Berufstätigkeit;

3.

das Verbot, das nationale Hoheitsgebiet zu verlassen;

(2)   Ein Rechtsbehelf gegen den in Abs. 1 genannten Beschluss kann nur eingelegt werden, wenn die Person, gegen die die Zwangsmaßnahme verhängt wurde, begründen kann, dass die Bedingungen der Zwangsmaßnahme ihr gegenüber nicht vollzogen werden können. Der Rechtsbehelf kann bei dem Richter, der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständig ist, durch die betroffene Person selbst, ihren Rechtsbeistand oder ihren Vertreter innerhalb einer Frist von sieben Tagen ab Empfang der Abschrift des Beschlusses über die Verhängung der Zwangsmaßnahme eingelegt werden.

(3)   Der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter prüft den Rechtsbehelf im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens innerhalb von drei Arbeitstagen. Soweit notwendig, fordert der Richter bei der für die Ermittlungen zuständigen Person oder bei der Person, die den Rechtsbehelf eingelegt hat, den Akteninhalt und Erläuterungen an.

(4)   Der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter kann durch Entscheidung den Rechtsbehelf zurückweisen oder die für die Ermittlungen zuständige Person anweisen, die verhängte Zwangsmaßnahme oder bestimmte Bedingungen der Zwangsmaßnahme innerhalb von drei Arbeitstagen zu ändern, oder die Höhe der Kaution festlegen.

(5)   Jeweils eine Abschrift der Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters wird der für die Ermittlungen zuständigen Person, der Person, gegen die die Zwangsmaßnahme verhängt wurde, und der Person, die den Rechtsbehelf eingelegt hat, übermittelt. Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsbehelf zulässig.“

11.

Art. 375 Abs. 1 des Kriminālprocesa likums bestimmt:

„(1)   Während des Strafverfahrens ist der Akteninhalt des Vorgangs von der Vertraulichkeit des Ermittlungsverfahrens erfasst, und die für das Strafverfahren zuständigen Beamten sowie die Personen, denen die Beamten den Akteninhalt gemäß dem in diesem Gesetz vorgesehenen Verfahren vorlegen, sind zur Kenntnisnahme des Akteninhalts ermächtigt.“

2.   Gesetz über die Bank von Lettland

12.

Art. 22 des Likums par Latvijas Banku (Gesetz über die Bank von Lettland) bestimmt:

„Der Präsident der Bank von Lettland wird auf Vorschlag von mindestens zehn Parlamentsabgeordneten vom Parlament ernannt.

Der Vizepräsident und die Mitglieder des Vorstands der Bank von Lettland werden auf Vorschlag des Präsidenten der Bank von Lettland vom Parlament ernannt.

Die Amtszeit des Präsidenten, des Vizepräsidenten und der Mitglieder des Vorstands der Bank von Lettland beträgt sechs Jahre. Scheidet ein Vorstandsmitglied vor dem Ende seiner Amtszeit aus seinem Amt aus, wird ein neues Mitglied des Vorstands der Bank von Lettland für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt.

Das Parlament kann den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die Mitglieder des Vorstands der Bank von Lettland nur in den folgenden Fällen vor Ablauf der in Abs. 3 genannten Amtszeit aus dem Amt entlassen:

1.

freiwilliger Rücktritt;

2.

schwere Verfehlung im Sinne von Art. 14.2 [der Satzung des ESZB und der EZB];

3.

sonstige in Art. 14.2 [der Satzung des ESZB und der EZB] genannte Gründe für die Entlassung aus dem Amt.

In den in Abs. 4 Nr. 2 genannten Fällen kann das Parlament nach einer rechtskräftigen Verurteilung beschließen, den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die Mitglieder des Vorstands der Bank von Lettland aus dem Amt zu entlassen.

Der Präsident der Bank von Lettland kann gemäß dem in Art. 14.2 [der Satzung des ESZB und der EZB] genannten Verfahren einen Rechtsbehelf gegen den Beschluss des Parlaments über seine Entlassung aus dem Amt einlegen. Der Vizepräsident und Mitglieder des Vorstands der Bank von Lettland können den Beschluss des Parlaments über ihre Entlassung aus dem Amt dem im Verwaltungsverfahrensgesetz vorgesehenen Gericht vorlegen.“

3.   Gesetz über das Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption

13.

Art. 2 Abs. 1 und 2 des Korupcijas novēršanas un apkarošanas biroja likums (Gesetz über das Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption) bestimmt:

„(1)   Das Büro ist eine Behörde der direkten Verwaltung, das die in diesem Gesetz festgelegten Aufgaben der Verhütung und Bekämpfung von Korruption wahrnimmt …

(2)   Das Büro unterliegt der Aufsicht durch den Ministerrat. Der Ministerrat übt die institutionelle Aufsicht durch den Premierminister aus. Die Aufsicht umfasst das Recht des Premierministers, die Rechtmäßigkeit der vom Leiter des Büros erlassenen Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen und rechtswidrige Entscheidungen für nichtig zu erklären sowie im Fall der Feststellung eines rechtswidrigen Unterlassens die Vornahme einer Entscheidung anzuordnen. Das Aufsichtsrecht des Ministerrats betrifft keine Entscheidungen, die das Büro im Rahmen der Ausübung der in den Art. 7, 8, 9 und 91 genannten Aufgaben erlässt.“

14.

Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über das Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption bestimmt:

„(1)   Im Rahmen der Bekämpfung von Korruption nimmt das Büro die folgenden Aufgaben wahr:

2.

es führt Ermittlungen durch und leitet operative Tätigkeiten, um im öffentlichen Dienst begangene Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften aufzudecken, wenn diese Verstöße mit Korruption verbunden sind.“

III. Hintergrund des Rechtsstreits

15.

Am 31. Oktober 2013 wurde Herr Ilmārs Rimšēvičs durch einen Beschluss des Parlaments zum Präsidenten der Bank von Lettland wiederernannt und für eine neue Amtszeit von sechs Jahren beginnend am 21. Dezember 2013 und endend am 21. Dezember 2019 bestellt.

16.

Am 17. Februar 2018 wurde Herr Rimšēvičs festgenommen, nachdem am 15. Februar 2018 Vorermittlungen des KNAB eingeleitet worden waren, da Herr Rimšēvičs verdächtigt wurde, in seiner Eigenschaft als Präsident der Bank von Lettland ein Bestechungsgeld gefordert und entgegengenommen zu haben.

17.

Am 19. Februar 2018 wurde Herr Rimšēvičs gegen Hinterlegung einer Kaution freigelassen. Am gleichen Tag erließ der stellvertretende Leiter der Ermittlungsabteilung des KNAB eine Entscheidung, mit der Herr Rimšēvičs als Tatverdächtiger eingestuft wurde und in der die ihm vorgeworfenen Handlungen im Einzelnen aufgeführt waren und die verfügbaren Beweise aufgezählt wurden, sowie eine Entscheidung, mit der verschiedene Zwangsmaßnahmen gegen Herrn Rimšēvičs verhängt wurden, u. a. – abgesehen von der Hinterlegung der Kaution – das Verbot, bestimmte offizielle Tätigkeiten auszuüben, insbesondere das Amt des Präsidenten der Bank von Lettland, das Verbot, Kontakt zu bestimmten Personen aufzunehmen, und das Verbot, das Land ohne vorherige Genehmigung zu verlassen. In der Entscheidung wurde darauf hingewiesen, dass die Zwangsmaßnahmen während der gesamten Vorermittlungen und bis zu ihrer Änderung oder Aufhebung in Kraft bleiben müssten.

18.

Am 27. Februar 2018 wies der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter des Rīgas rajona tiesa (Distriktgericht Riga, Lettland) den Rechtsbehelf zurück, den Herr Rimšēvičs gegen zwei der vom KNAB verhängten Zwangsmaßnahmen eingelegt hatte, und zwar gegen das Verbot, bestimmte offizielle Tätigkeiten auszuüben, und das Verbot, das Land ohne vorherige Genehmigung zu verlassen.

19.

Am 1. Juni 2018 erließ der stellvertretende Leiter der Ermittlungsabteilung des KNAB eine neue Entscheidung, mit der Herr Rimšēvičs als Tatverdächtiger eingestuft wurde, die durch neue Tatsachen ergänzt war.

20.

Am 28. Juni 2018 eröffnete der Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Lettland das Ermittlungsverfahren gegen Herrn Rimšēvičs.

21.

Am 20. Juli 2018 hat der Vizepräsident des Gerichtshofs der Republik Lettland aufgegeben, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die gegenüber Herrn Rimšēvičs erlassenen Zwangsmaßnahmen bis zur Verkündung der die Rechtssache C‑238/18 abschließenden Entscheidung auszusetzen, soweit diese Zwangsmaßnahmen Herrn Rimšēvičs daran hindern, eine Person zu ernennen, die ihn als Mitglied des EZB-Rats vertritt ( 8 ).

22.

Am 25. Juli 2018 erließ der Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Lettland einen Beschluss, mit dem die Bedingungen der gegenüber Herrn Rimšēvičs erlassenen Zwangsmaßnahmen geändert wurden. Am 1. August 2018 legte Herr Rimšēvičs eine Beschwerde gegen die geänderten Zwangsmaßnahmen ein. Am 22. August 2018 gab der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter des Rīgas pilsētas Vidzemes priekšpilsētas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga, Lettland) der Beschwerde von Herrn Rimšēvičs teilweise statt. Am 28. August 2018 erließ der Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Lettland einen Beschluss, mit dem die gegenüber Herrn Rimšēvičs erlassenen Zwangsmaßnahmen erneut geändert wurden.

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

23.

Mit Schriftsatz, der am 16. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Herr Rimšēvičs Klage in der Rechtssache C‑202/18 erhoben.

24.

Herr Rimšēvičs beantragt,

1.

festzustellen, dass er durch die im Namen der Republik Lettland erlassene Entscheidung des Büros zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption vom 19. Februar 2018 über die Verhängung von Zwangsmaßnahmen rechtswidrig des Amts des Präsidenten der Latvijas Banka (Bank von Lettland) enthoben wurde;

2.

die Rechtswidrigkeit der Zwangsmaßnahme festzustellen, die durch die im Namen der Republik Lettland erlassene Entscheidung des Büros zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption vom 19. Februar 2018 gegen ihn verhängt wurde [Verbot der Ausübung einer bestimmten Berufstätigkeit, das dem Kläger untersagte, die Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten der Latvijas Banka (Bank von Lettland) wahrzunehmen];

3.

die Rechtswidrigkeit der Beschränkungen in Bezug auf die Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse eines Mitglieds des EZB-Rats festzustellen, die ihm infolge der im Namen der Republik Lettland erlassenen Entscheidung des Büros zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption vom 19. Februar 2018 über die Verhängung von Zwangsmaßnahmen auferlegt wurden.

25.

In ihrer Klagebeantwortung in der Rechtssache C‑202/18 beantragt die Republik Lettland, die Klage von Herrn Rimšēvičs in vollem Umfang abzuweisen.

26.

Mit Schriftsatz, der am 3. April 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die EZB Klage in der Rechtssache C‑238/18 erhoben.

27.

Die EZB beantragt,

1.

der Republik Lettland aufzugeben, gemäß Art. 24 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 62 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs alle sachdienlichen Informationen zu den laufenden Ermittlungen des KNAB gegen den Präsidenten der Bank von Lettland beizubringen;

2.

gemäß Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB festzustellen, dass die Republik Lettland dadurch gegen den zweiten Absatz dieser Bestimmung verstoßen hat,

dass sie den Inhaber des Amts des Präsidenten der Bank von Lettland ohne Verurteilung durch ein unabhängiges Gericht, das den Fall in der Sache geprüft hat, aus seinem Amt entlassen hat, und,

dass – soweit die von der Republik Lettland beigebrachten Tatsachenelemente dies bestätigen – keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, die die Entlassung aus dem Amt im vorliegenden Fall rechtfertigen würden;

3.

der Republik Lettland die Kosten aufzuerlegen.

28.

Ferner hat die EZB mit am gleichen Tag wie ihre Klageschrift bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenen gesonderten Schriftsätzen beantragt, die Rechtssache C‑238/18 gemäß Art. 53 Abs. 4 und Art. 133 der Verfahrensordnung dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, und einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß Art. 279 AEUV und Art. 160 der Verfahrensordnung gestellt, der unter dem Aktenzeichen C‑238/18 R in das Register eingetragen wurde.

29.

In ihrer Klagebeantwortung in der Rechtssache C‑238/18 beantragt die Republik Lettland, die Klage der EZB in vollem Umfang abzuweisen.

30.

Mit Beschlüssen vom 12. Juni 2018, Rimšēvičs/Lettland ( 9 ) und EZB/Lettland ( 10 ), hat der Präsident des Gerichtshofs entschieden, die Rechtssachen C‑202/18 und C‑238/18 gemäß Art. 133 der Verfahrensordnung dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

31.

Mit Beschluss im Verfahren der einstweiligen Anordnung vom 20. Juli 2018, EZB/Lettland ( 11 ), hat der Vizepräsident des Gerichtshofs der Republik Lettland aufgegeben, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die am 19. Februar 2018 vom KNAB gegenüber Herrn Rimšēvičs erlassenen Zwangsmaßnahmen bis zur Verkündung der die Rechtssache C‑238/18 abschließenden Entscheidung auszusetzen, soweit diese Zwangsmaßnahmen Herrn Rimšēvičs daran hindern, eine Person zu ernennen, die ihn als Mitglied des EZB-Rats vertritt. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wurde im Übrigen zurückgewiesen und die Kostenentscheidung wurde vorbehalten.

32.

Am 25. September 2018 fand eine gemeinsame mündliche Verhandlung der Rechtssachen C‑202/18 und C‑238/18 statt.

33.

In der gemeinsamen mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof die Republik Lettland aufgefordert, ihm innerhalb von acht Tagen alle für die Begründung der gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen erforderlichen Dokumente sowie die Entscheidung über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Rimšēvičs vorzulegen.

34.

Am 2. Oktober 2018 hat die Republik Lettland die Entscheidung über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Rimšēvičs vom 28. Juni 2018 sowie 43 weitere Dokumente eingereicht. Diese Dokumente sind Herrn Rimšēvičs und der EZB übermittelt worden, woraufhin Herr Rimšēvičs und die EZB am 19. Oktober 2018 Stellungnahmen eingereicht haben.

V. Würdigung

35.

Die vorliegenden Rechtssachen sind die ersten, die auf der Grundlage von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB beim Gerichtshof eingegangen sind. Es ist daher sinnvoll, zunächst die Umrisse von Klagen auf der Grundlage dieser Bestimmung zu untersuchen (A), bevor die Zulässigkeit (B) sowie die Begründetheit (C) der vorliegend von Herrn Rimšēvičs und der EZB erhobenen Klagen geprüft werden.

A. Zu den Umrissen von Klagen gemäß Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB

1.   Zur Klageart

36.

Der in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehene Rechtsbehelf ist ein Rechtsbehelf sui generis im System der Rechtsbehelfe vor dem Unionsrichter, da er dem Präsidenten einer nationalen Zentralbank und der EZB ( 12 ) die Möglichkeit einräumt, eine Handlung eines nationalen Organs unmittelbar durch den Gerichtshof überprüfen zu lassen.

37.

So nehmen die nationalen Zentralbanken zwar eine wichtige Rolle innerhalb des ESZB und bei der Durchführung der Währungspolitik der Union ein. Dennoch bleiben sie, wie auch die anderen mit der Durchführung von Unionsrecht betrauten Einrichtungen der Mitgliedstaaten, in Bezug auf ihre Zusammensetzung und die Regelung ihrer Funktionsweise der nationalen Sphäre zugeordnet. In dem von Art. 131 AEUV und Art. 14 der Satzung des ESZB und der EZB definierten Rahmen sind daher die Mitgliedstaaten für die Festlegung und Anwendung von Vorschriften über den Amtsantritt und die Amtsenthebung der Präsidenten ihrer Zentralbanken zuständig.

38.

Ist der in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehene Rechtsbehelf also als Nichtigkeitsklage zu verstehen, obwohl die Nichtigkeitsklage im Rechtsbehelfssystem des AEU-Vertrags grundsätzlich der Anfechtung des Handelns von Unionsorganen vorbehalten ist ( 13 )? Oder ist er wie das Vertragsverletzungsverfahren als Klage zu verstehen, die auf die Feststellung gerichtet ist, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, auch wenn die Befugnis zur Anrufung des Unionsrichters wegen einer solchen Vertragsverletzung grundsätzlich der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten zusteht ( 14 )?

39.

Abgesehen von der theoretischen Bedeutung der Frage nach der Natur der vorliegenden Klagen sind auch die praktischen Auswirkungen der Beantwortung dieser Frage nicht zu vernachlässigen: Wenn der Gerichtshof die Entscheidung des KNAB über die Verhängung der streitigen Zwangsmaßnahmen gegenüber Herrn Rimšēvičs für nichtig erklären würde, könnte Herr Rimšēvičs bereits ab der Verkündung des Urteils des Gerichtshofs sein Amt wieder aufnehmen. Würde sich der Gerichtshof dagegen darauf beschränken, die Unvereinbarkeit der streitigen Maßnahmen mit der Satzung des ESZB und der EZB festzustellen, obläge es der Republik Lettland, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung des Urteils des Gerichtshofs in ihrer internen Rechtsordnung sicherzustellen.

40.

Wie aus der Formulierung ihrer Anträge hervorgeht und wie Herr Rimšēvičs und die EZB in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, beantragen sie ein Feststellungsurteil des Gerichtshofs, um feststellen zu lassen, dass die Republik Lettland durch die Verhängung der streitigen Zwangsmaßnahmen gegenüber Herrn Rimšēvičs gegen Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB verstoßen hat. Nach einem solchen Feststellungsurteil des Gerichtshofs obläge es den lettischen Behörden, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Urteil auf nationaler Ebene Folge zu leisten.

41.

Bei der Bestimmung der Natur des in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehenen Rechtsbehelfs sowie der Aufgabe des Gerichtshofs, wenn er gemäß dieser Vorschrift angerufen wird, ist nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch die Systematik und der Zusammenhang der Regelung, zu der sie gehört, sowie die mit dieser Regelung verfolgten Ziele ( 15 ) und deren Entstehungsgeschichte ( 16 ).

a)   Wortlaut und Entstehungsgeschichte

42.

Zunächst enthält der Wortlaut von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB keine Aussage zur Natur des Rechtsbehelfs, mit dem die Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten durch den Gerichtshof überprüft werden kann.

43.

Zwar findet sich in einigen Sprachfassungen – u. a. im Französischen – von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB die Formulierung, dass „gegen“ den Beschluss, einen Zentralbankpräsidenten aus seinem Amt zu entlassen, der Gerichtshof angerufen werden kann, und auch Art. 263 Abs. 4 AEUV sieht vor, dass „gegen die … Handlungen“ Klage erhoben werden kann ( 17 ). Zudem sind in den meisten Sprachfassungen von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB der Klagegrund, wonach der Gerichtshof „wegen Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm“ angerufen werden kann, und der letzte Satz, der die Frist betrifft, praktisch identisch mit der Formulierung in Art. 263 Abs. 2 und 6 AEUV.

44.

Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB ergibt sich jedoch, dass diese terminologischen Ähnlichkeiten offensichtlich nicht auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurückgehen, den in Art. 14.2 vorgesehenen Rechtsbehelf als Nichtigkeitsklage einstufen zu wollen.

45.

Zum einen wurde die Satzung des ESZB und der EZB, die in den Vertrag von Maastricht aufgenommen werden sollte, von den Präsidenten der nationalen Zentralbanken nur in englischer Sprache verfasst ( 18 ).

46.

In den Vorschlägen, die in diesem Zusammenhang vorgelegt wurden, findet sich jedoch nur die Formulierung, die in der englischen Fassung der aktuellen Satzung beibehalten wurde, wonach eine Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten „may be referred to the Court of Justice“ ( 19 ). Gleiches gilt für den Vorschlag der Präsidentschaft der Regierungskonferenz zur Wirtschafts- und Währungsunion vom 30. Oktober 1991 ( 20 ).

47.

Folglich ist die Tatsache, dass in einigen Sprachfassungen von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB von einem Rechtsbehelf „gegen“ die Entscheidung über die Entlassung aus dem Amt die Rede ist, auf die übersetzerische Freiheit zurückzuführen. Sie kann daher nicht als Entscheidung des Gesetzgebers angesehen werden, den in dieser Bestimmung vorgesehenen Rechtsbehelf als Nichtigkeitsklage einzustufen. Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass sich in vielen Sprachfassungen von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB keine Formulierung findet, die Art. 263 Abs. 4 AEUV ähnelt ( 21 ).

48.

Zum anderen enthält die Fassung von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB, die im Vertrag von Maastricht enthalten ist, der auf der Konferenz des Europäischen Rates in Maastricht vom 9. bis 11. Dezember 1991 angenommen und im Februar 1992 unterzeichnet wurde, den Einschub, wonach der Gerichtshof „wegen Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm“ angerufen werden kann, sowie den letzten Satz, der die Rechtsbehelfsfrist betrifft.

49.

Diese beiden Gesichtspunkte sind zwar offensichtlich sogar in der englischen Fassung dem Vorläufer von Art. 263 Abs. 2 und 6 AEUV „entliehen“. Den Kommentaren zu den verschiedenen Fassungen und den damit verbundenen Diskussionen ( 22 ) ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Natur des Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten debattiert wurde.

50.

Somit gibt es kein Indiz, aus dem sich ableiten ließe, dass die Einführung der vorstehend erwähnten zwei Gesichtspunkte in letzter Minute ( 23 ) auf eine gestalterische Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer Nichtigkeitsklage in Anlehnung an Art. 263 AEUV zurückzuführen wäre. Möglicherweise wurde eine Frist eher deshalb eingeführt, um im Fall einer Beanstandung der Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten schnelles Handeln und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

51.

Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass sich in Art. 14 der Satzung des ESZB und der EZB keine Bestimmung findet, die derjenigen des Art. 264 AEUV entspricht, der die Aufgabe des Gerichtshofs im Rahmen der Klage nach Art. 263 AEUV bestimmt indem er festlegt, dass der Gerichtshof die angefochtene Handlung für nichtig erklärt, wenn die Klage begründet ist.

b)   Systematische und teleologische Auslegung

52.

Da sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB keine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Natur des in dieser Bestimmung vorgesehenen Rechtsbehelfs ziehen lassen, sind die Systematik und der Zusammenhang der Regelung, zu der die Bestimmung gehört, sowie die mit dieser Regelung verfolgten Ziele zu untersuchen.

53.

Hierbei ergibt sich aus der Struktur der in den Verträgen vorgesehenen Rechtsbehelfe, dass der in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehene Rechtsbehelf nicht als Nichtigkeitsklage, sondern wie auch das Vertragsverletzungsverfahren als Feststellungsklage anzusehen ist.

54.

So umfasst das System des Rechtsschutzes vor dem Unionsrichter zwei Sphären, die zwar miteinander verbunden sind, jedoch getrennte Bereiche darstellen. Die erste Sphäre ist diejenige der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, deren Handlungen der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Unionsrichter und seiner Befugnis zur Nichtigerklärung unterliegen. Durch die Ausübung dieser Befugnis zur Nichtigerklärung wird die Rechtsordnung der Sphäre der Unionshandlungen unmittelbar geändert: Die Handlung, die für nichtig erklärt wurde, entfaltet automatisch keine Wirkung mehr. Diese rechtsgestaltende Wirkung der Nichtigkeitsklage bleibt auch von dem Umstand unberührt, dass sich nach Art. 266 AEUV aus einem Urteil andere Maßnahmen ergeben können, die das Organ ergreifen muss, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt.

55.

Demgegenüber erfolgt in der zweiten Sphäre, die den Bereich der Mitgliedstaaten und ihrer Einrichtungen und Organe umfasst, keine unmittelbare Gestaltung der nationalen Rechtsordnung durch den Unionsrichter. Vielmehr stellt dieser lediglich fest, dass eine Handlung oder eine im nationalen Recht auftretende Rechtslage mit dem Unionsrecht und den in den Verträgen festgelegten Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats unvereinbar ist. Dieses unterschiedliche Vorgehen des Unionsrichters spiegelt den systemischen Unterschied zwischen der Sphäre der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union und der Sphäre der Mitgliedstaaten wider: Der Unionsrichter ist Teil der ersten Sphäre und greift dort direkt als Unionsorgan ein, während er sich außerhalb der zweiten Sphäre befindet, die für jeden Mitgliedstaat ein eigenes System darstellt, in dem die nationalen Institutionen, einschließlich der Gerichte, für die Durchsetzung seiner Urteile zuständig sind. In der Sphäre der Mitgliedstaaten ist es somit Aufgabe Letzterer, die nationale Rechtsordnung zu ändern, indem sie Konsequenzen aus den Urteilen des Gerichtshofs in Bezug auf die juristische Existenz der fraglichen Handlungen des nationalen Rechts ziehen.

56.

Mit der Trennung dieser zwei Sphären steht im Übrigen im Einklang, dass der Gerichtshof im Rahmen von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB mit dem Beschluss eines Mitgliedstaats über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten und nicht mit dem Antrag des Mitgliedstaats, der Gerichtshof möge eine solche Amtsenthebung vornehmen, befasst ist. Im Unterschied zu den Vorschriften über die Mitglieder der Unionsorgane ( 24 ) ist der Gerichtshof nämlich nicht befugt, unmittelbar über die Amtsenthebung nationaler Zentralbankpräsidenten zu entscheiden, da diese nur von den nationalen Behörden ernannt und aus ihren Ämtern entlassen werden können ( 25 ).

57.

Somit ist es ebenfalls folgerichtig, dass Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB als Klagegrund nur die Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm vorsieht und nicht auch – wie Art. 263 Abs. 2 AEUV – Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften oder Ermessensmissbrauch. Die drei letztgenannten Klagegründe sind nämlich für die Überprüfung der Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten durch den Gerichtshof nicht maßgeblich. Diese Entscheidung unterliegt, was die formelle Rechtmäßigkeit und die Zuständigkeit ihres Urhebers betrifft, der Sphäre der Mitgliedstaaten, d. h. den nationalen Rechtsvorschriften und der Kontrolle durch die nationalen Gerichte. Die Überprüfung durch den Gerichtshof betrifft nur die Frage, ob die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten erfüllt sind ( 26 ).

58.

Die Einführung einer Befugnis des Unionsrichters zur Nichtigerklärung im Rahmen des Rechtsbehelfs gemäß Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB würde daher dazu führen, dass sich die Unionssphäre und die Sphäre der Mitgliedstaaten vermischen.

59.

Zwar würde es eine sehr wirksame Waffe im Hinblick auf den Schutz des Ziels von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB, d. h. die Wahrung der Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken, darstellen, wenn der Gerichtshof die Befugnis hätte, eine Entscheidung, mit der ein Zentralbankpräsident zu Unrecht aus seinem Amt entlassen wird, für nichtig zu erklären.

60.

Die Nichtigerklärung der Handlung einer nationalen Behörde wäre jedoch nicht nur ein ungewöhnlicher, sondern auch ein sehr tiefgreifender Eingriff in den Zuständigkeitsbereich und die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Grundsätze der Subsidiarität und der begrenzten Einzelermächtigung, die in Art. 4 und 5 EUV festgeschrieben sind, müsste die Möglichkeit eines solchen Eingriffs daher ausdrücklich in den Verträgen vorgesehen sein.

61.

Außerdem nimmt der Umstand, dass der Unionsrichter nur eine Feststellungsentscheidung und keine Nichtigkeitsentscheidung zu treffen hat, seinem Eingriff in keiner Weise die rechtliche Geltungskraft: Die Mitgliedstaaten sind genauso wie die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union verpflichtet, seinen Entscheidungen Folge zu leisten.

62.

Stellt der Gerichtshof daher im Rahmen des in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehenen Rechtsbehelfs die Unzulässigkeit einer Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten fest, statt sie für nichtig zu erklären, sind die Mitgliedstaaten nicht weniger verpflichtet, dem Urteil des Gerichtshofs sofort Folge zu leisten. Andernfalls könnte die Kommission das Verfahren nach den Art. 258 bis 260 AEUV einleiten, das das in den Verträgen vorgesehene Mittel ist, um Mitgliedstaaten dazu zu bringen, ihre Verpflichtungen einzuhalten.

2.   Zum Beklagten

63.

Den Rechtsbehelf nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB in Anlehnung an das Vertragsverletzungsverfahren als Feststellungsklage anzusehen, ist auch angesichts seiner praktischen Durchführung folgerichtig.

64.

So trifft Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB keine Aussage dazu, wer im Rahmen des Rechtsbehelfs nach Art. 14.2 Beklagter ist.

65.

Unter diesen Umständen kann man, wenn man sich am Vertragsverletzungsverfahren orientiert, davon ausgehen, dass der Rechtsbehelf, der die Entscheidung über die Amtsenthebung des Präsidenten einer nationalen Zentralbank betrifft, gegen den betreffenden Mitgliedstaat als Ganzes zu richten ist, dem die Handlungen all seiner Organe und Behörden zuzurechnen sind. Somit obliegt es dem Mitgliedstaat, die Entscheidung über die Amtsenthebung des Präsidenten seiner Zentralbank zu verteidigen und die Durchsetzung des anschließenden Urteils des Gerichtshofs in seinen internen Rechtsverhältnissen sicherzustellen.

66.

Die Vorstellung, dass nicht der Mitgliedstaat als Ganzes, sondern die mitgliedstaatliche Behörde, die für den Erlass der streitigen Maßnahme zuständig ist, Ansprechpartner des Gerichtshofs wäre, wie dies bei einer Klage der Fall sein könnte, die sich an der Nichtigkeitsklage orientiert, erscheint in der Tat problematisch. Obläge es hier dem Gerichtshof, auf der nationalen Ebene den Urheber einer Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten zu ermitteln oder sogar herauszufinden, ob eine nationale Behörde nach dem nationalen Recht über eine eigenständige, von der Rechtspersönlichkeit des Mitgliedstaats abtrennbare Rechtspersönlichkeit verfügt, so dass sie verklagt werden kann? Und wie wäre vorzugehen, wenn die Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten nicht von einer Behörde, sondern vom Parlament des betreffenden Mitgliedstaats oder einem nationalen Gericht getroffen worden wäre? Diese Überlegungen zeigen, dass es kaum praktikabel wäre, eine nationale Behörde direkt vor dem Gerichtshof zu verklagen, um eine ihrer Handlungen für nichtig erklären zu lassen.

67.

Folglich haben Herr Rimšēvičs und die EZB ihre Klagen zu Recht gegen die Republik Lettland gerichtet.

3.   Zwischenergebnis

68.

Aus alledem ergibt sich, dass die vorliegenden Klagen als Klagen zu verstehen sind, mit denen der Gerichtshof ersucht wird, festzustellen, dass die Republik Lettland gegen ihre Verpflichtungen nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB verstoßen hat, als sie gegenüber Herrn Rimšēvičs Zwangsmaßnahmen verhängte, die ihn an der Ausübung seines Amts als Präsident der Bank von Lettland hindern.

B. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen des KNAB

1.   Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

69.

Da in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB der „Gerichtshof“ genannt ist, fällt der in dieser Bestimmung geregelte Rechtsbehelf innerhalb des Gerichtshofs der Europäischen Union in die Zuständigkeit des Gerichtshofs und nicht in diejenige des Gerichts.

70.

Gemäß Art. 19 EUV bezeichnen die Begriffe „Gerichtshof“ und „Gericht“ nämlich die zwei Gerichtsbarkeiten, aus denen sich das Organ „Gerichtshof der Europäischen Union“ zusammensetzt. Die Satzung des ESZB und der EZB stimmt mit dieser Terminologie überein, denn ihre Art. 35 und 36 verweisen für andere Verfahren der EZB vor den Gerichten der Union als das in Art. 14.2 der Satzung vorgesehene oder sonstige besondere Verfahren auf den „Gerichtshof der Europäischen Union“. Folglich gelten für allgemeine Gerichtsverfahren der EZB vor den Unionsgerichten die üblichen Regeln der Zuständigkeitsverteilung.

71.

Die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über den besonderen Rechtsbehelf gemäß Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB ist auch angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Unabhängigkeit der Zentralbankpräsidenten ( 27 ) und der politischen Brisanz von Fragen im Zusammenhang mit ihrer Amtsenthebung gerechtfertigt. Und schließlich spricht die Notwendigkeit, Streitigkeiten über einen Beschluss zur Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten schnell zu entscheiden, um das reibungslose Funktionieren des ESZB und der EZB zu garantieren, ebenfalls gegen die Einführung eines zweistufigen Gerichtsverfahrens für Klagen in Bezug auf einen solchen Beschluss.

2.   Zur Einstufung der gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Maßnahmen als Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB

72.

Die Republik Lettland macht geltend, der Gerichtshof sei nicht zuständig, um auf der Grundlage von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB über die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen des KNAB zu entscheiden, da sie keine Entlassung aus dem Amt im Sinne dieser Vorschrift darstellten. Die Maßnahmen dienten lediglich dem Ziel, eine ordnungsgemäße Durchführung der Ermittlungen zu ermöglichen, und seien nur vorläufig und von begrenzter Dauer. Gemäß Art. 249 Abs. 1 der lettischen Strafprozessordnung ( 28 ) könnten sie jederzeit geändert oder zurückgenommen werden, und nach Art. 389 Abs. 1 Nr. 4 der Strafprozessordnung dürften sie eine Dauer von 22 Monaten nicht überschreiten. Der Begriff der Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB impliziere hingegen eine Auflösung der rechtlichen und institutionellen Verbindung zwischen dem Zentralbankpräsidenten und der betreffenden Institution. Eine solche Auflösung könne jedoch in Bezug auf Herrn Rimšēvičs gemäß Art. 22 des Gesetzes über die Bank von Lettland ( 29 ) nur durch das lettische Parlament vorgenommen werden.

73.

Dagegen tragen die EZB und Herr Rimšēvičs vor, dass die vom KNAB gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen ihn effektiv daran hindern, sein Amt als Präsident der Bank von Lettland und als Mitglied des EZB-Rats auszuüben. Um Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB, dessen Ziel die Wahrung der Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken gegenüber Einflussnahmen durch die Mitgliedstaaten sei, praktische Wirksamkeit zu verleihen, müsse daher davon ausgegangen werden, dass die streitigen Maßnahmen Gegenstand einer Überprüfung durch den Gerichtshof gemäß der genannten Vorschrift sein können.

74.

Diese Argumentation überzeugt.

75.

Somit genügt, ohne dass der Gerichtshof vorliegend eine abschließende Definition des Begriffs der Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vornehmen müsste, die Feststellung, dass diese Vorschrift ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt wäre, wenn Maßnahmen wie diejenigen, die das KNAB mit Entscheidung vom 19. Februar 2018 gegen Herrn Rimšēvičs verhängt hat, nicht in ihren Geltungsbereich fielen.

76.

Wie bereits dargelegt, dient Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB dem Ziel, die Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken und des EZB-Rats als oberstes Beschlussorgan der EZB zu wahren, da sie eine unabdingbare Voraussetzung für die Preisstabilität ist, die das vorrangige Ziel der Wirtschafts- und Währungspolitik der Union und des ESZB darstellt ( 30 ). Ein wirksamer Schutz der Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken setzt jedoch voraus, dass die Begründetheit einer nationalen Maßnahme Gegenstand einer Überprüfung durch den Gerichtshof sein kann, wenn diese Maßnahme, unabhängig von ihrer formalen Einordnung im nationalen Recht, konkret zur Folge hat, dass ein Zentralbankpräsident an der Ausübung seines Amts gehindert wird. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zu den Klagegründen der in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehenen Klage ergibt ( 31 ), hat der Gerichtshof im Übrigen nicht zu prüfen, ob eine Maßnahme, die sich auf die Ausübung des Amts eines Präsidenten einer nationalen Zentralbank auswirkt, förmlich einer Entlassung aus dem Amt gemäß nationalem Recht entspricht oder ob die hierfür im nationalen Recht festgelegten Verfahren eingehalten wurden ( 32 ).

77.

Auch wenn der Begriff der Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB nicht abschließend definiert werden muss, handelt es sich gleichwohl um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, dessen Geltungsbereich nicht an die Form einer Maßnahme und ihre Einordnung im nationalen Recht, sondern an ihren Inhalt und ihre konkreten Auswirkungen geknüpft ist.

78.

Insoweit verwenden die französische und die lettische Fassung von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB zwar – ebenso wie andere Sprachfassungen dieser Vorschrift – Formulierungen, die den Schluss nahelegen, dass die Ausübung des Amts des betreffenden Zentralbankpräsidenten oder seine Besetzung dieses Postens oder Amts beendet wird ( 33 ). Diese Feststellung wird nicht, wie die EZB geltend macht, dadurch abgeschwächt, dass die Bestimmungen des Vertrags zum erzwungenen Rücktritt von Mitgliedern bestimmter Organe oder Einrichtungen der Union den Begriff der „Amtsenthebung“ und nicht der „Entlassung aus dem Amt“ verwenden, was nach Auffassung der EZB den allgemeineren Charakter des letztgenannten Begriffs unterstreicht ( 34 ). Zudem ist dieses Argument nicht in allen Sprachfassungen einschlägig.

79.

Der vorübergehende Charakter einer Maßnahme oder der Umstand, dass sie nicht zu einer endgültigen Auflösung der rechtlichen und institutionellen Verbindung zwischen dem Zentralbankpräsidenten und der betreffenden nationalen Zentralbank führt, können der Einordnung dieser Maßnahme als Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB jedoch nicht entgegenstehen, wenn sie tatsächlich dazu führt, dass der Zentralbankpräsident an der Ausübung seines Amts gehindert wird. Andernfalls könnten die Mitgliedstaaten das von dieser Vorschrift aufgestellte Verbot umgehen, indem sie Maßnahmen erlassen, die nicht förmlich als Entlassung aus dem Amt einzuordnen sind, jedoch praktisch die gleiche Wirkung haben. Wie zudem die EZB zu Recht geltend macht, kann eine dem Anschein nach vorläufige Maßnahme sich als endgültig entpuppen, wenn ihre Wirkungen bis zum Ende der Amtszeit des betreffenden Zentralbankpräsidenten andauern. Außerdem wird, wie ebenfalls die EZB und Herr Rimšēvičs zu Recht vortragen, der Präsident einer nationalen Zentralbank auch durch eine nur vorübergehende Hinderung an der Ausübung seines Amts unter Druck gesetzt, so dass seine Unabhängigkeit bedroht ist, was Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB gerade vermeiden soll.

80.

Folglich sind die Zwangsmaßnahmen, die das KNAB mit Entscheidung vom 19. Februar 2018 gegen Herrn Rimšēvičs verhängt hat, d. h. das Verbot, das Amt des Präsidenten der Bank von Lettland auszuüben, und das Verbot, das Land ohne vorherige Genehmigung zu verlassen (soweit es dazu führt, dass Herr Rimšēvičs daran gehindert wird, an den Sitzungen des EZB-Rats teilzunehmen), als Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB einzustufen. Das Argument der Republik Lettland, die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Verbote hätten die Arbeitsweise der Bank von Lettland nicht beeinträchtigt, ist insofern irrelevant, selbst wenn erwiesen wäre, dass keine Beeinträchtigung stattgefunden hat. Denn Ziel von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB ist der Schutz der institutionellen und persönlichen Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken und des von ihnen innerhalb des ESZB und der EZB eingenommenen Amts und nicht nur die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Tagesgeschäfts der nationalen Zentralbanken.

81.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich die Republik Lettland auch nicht wirksam auf Art. 276 AEUV berufen kann, um die Zuständigkeit des Gerichtshofs im vorliegenden Fall zu beanstanden. Gemäß Art. 276 AEUV ist der Gerichtshof der Europäischen Union bei der Ausübung seiner Befugnisse im Rahmen der Bestimmungen des Dritten Teils Titel V Kapitel 4 („Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“) und 5 („Polizeiliche Zusammenarbeit“) über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht zuständig für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats oder der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.

82.

Die vorliegend in Rede stehenden Maßnahmen sind jedoch, wie der Vizepräsident des Gerichtshofs bereits festgestellt hat ( 35 ), weder der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen noch ihrer polizeilichen Zusammenarbeit zuzuordnen. Folglich steht Art. 276 AEUV einer Überprüfung der gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen durch den Gerichtshof im Hinblick auf die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Kriterien im Rahmen der vorliegenden Rechtssachen nicht entgegen.

83.

Ebenfalls zurückzuweisen ist das Vorbringen der Republik Lettland, die Anerkennung einer Zuständigkeit des Gerichtshofs führe im vorliegenden Fall dazu, dass dem Präsidenten der betroffenen Zentralbank strafrechtliche Immunität eingeräumt würde, und stelle einen Eingriff in das nationale Strafverfahren dar. Es geht nämlich keineswegs darum, Herrn Rimšēvičs strafrechtliche Immunität einzuräumen ( 36 ) oder das KNAB oder eine andere lettische Strafverfolgungsbehörde an einer strafrechtlichen Untersuchung zu hindern. Es geht nur um die Prüfung, ob die Zwangsmaßnahmen, die gegen Herrn Rimšēvičs mit dem erklärten Ziel verhängt wurden, die ordnungsgemäße Durchführung der Ermittlungen des KNAB zu gewährleisten, angesichts der in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Kriterien gerechtfertigt sind.

84.

Zwar kann der Gerichtshof, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass dies nicht der Fall ist, die Unvereinbarkeit einer Maßnahme, die zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen verhängt wurde, mit Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB feststellen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass, wenn nicht nachgewiesen ist, dass der Präsident einer nationalen Zentralbank die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat, eine Untersuchung in Bezug auf andere Tatsachen stattfinden kann, ohne dass es notwendig ist, den betroffenen Zentralbankpräsidenten an der Ausübung seines Amts zu hindern. Steht dagegen fest, dass die ordnungsgemäße Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen es erfordert, dass der Zentralbankpräsident an der Ausübung seines Amts gehindert werden muss, so ist es wahrscheinlich, dass ebenfalls feststeht, dass er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat.

85.

In jedem Fall ist es wahrscheinlich, dass Tatsachen, die belegen können, dass ein Zentralbankpräsident die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat, in den meisten Fällen auch im Hinblick auf das nationale Strafrecht relevant sind. Folglich erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass ein nationales strafrechtliches Ermittlungsverfahren zeitgleich mit dem Verfahren nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB durchgeführt wird. Dies gilt umso mehr, wenn man davon ausgeht, dass ein Zentralbankpräsident auch ohne strafrechtliche Verurteilung von seinem Amt suspendiert werden können muss, sofern Beweise vorliegen, die belegen können, dass die Voraussetzungen für seine Entlassung aus dem Amt erfüllt sind ( 37 ).

86.

Folglich kann die Republik Lettland auch nicht geltend machen, dass die Übermittlung von Inhalten aus der Akte des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens an den Gerichtshof für die Zwecke des Verfahrens nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB die ordnungsgemäße Durchführung der Ermittlungen behindere. Insoweit bestimmt Art. 375 Abs. 1 der lettischen Strafprozessordnung zwar, dass der Akteninhalt von der Vertraulichkeit des Ermittlungsverfahrens erfasst ist und nur den in der Strafprozessordnung vorgesehenen Personen übermittelt werden darf ( 38 ). Die Auslegung der lettischen Strafprozessordnung im Einklang mit dem Unionsrecht führt jedoch dazu, dass der Gerichtshof bei der Ausübung seiner Befugnisse gemäß Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB mit einer Person gleichzusetzen ist, die zur Kenntnisnahme des Inhalts der Akte des Ermittlungsverfahrens ermächtigt ist. Beim Gerichtshof handelt es sich nämlich nicht um irgendeine dritte Person, sondern um den Richter, der überprüft, ob nationale Maßnahmen, die dazu führen, dass ein Zentralbankpräsident an der Ausübung seines Amts gehindert wird, mit der Satzung vereinbar sind. Im Übrigen hat die Republik Lettland nicht substantiiert dargelegt, inwieweit die Übermittlung des Inhalts der Akte des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens an den Gerichtshof konkret geeignet wäre, die ordnungsgemäße Durchführung der Ermittlungen zu behindern.

87.

Nach alledem ist der Gerichtshof zuständig, um auf der Grundlage von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB über die Zwangsmaßnahmen zu entscheiden, die das KNAB mit Entscheidung vom 19. Februar 2018 gegen Herrn Rimšēvičs verhängt hat.

C. Zur Begründetheit

88.

Nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB kann der Präsident einer nationalen Zentralbank aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat. Anders gesagt können die Mitgliedstaaten den Präsidenten ihrer Zentralbank nicht aus seinem Amt entlassen, wenn keine dieser Bedingungen erfüllt ist.

89.

Aus dieser Vorschrift ergeben sich sowohl die Klagegründe, die zur Stützung einer Klage gegen die Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten vorgetragen werden können, als auch die Aufgabe, die dem Gerichtshof zukommt, wenn er mit einer solchen Klage befasst ist.

90.

Insoweit müssen der betreffende Zentralbankpräsident und die EZB zur Stützung einer nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB erhobenen Klage geltend machen, dass der fragliche Mitgliedstaat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten nicht bewiesen habe. Die Aufgabe des Gerichtshofs besteht demzufolge darin, festzustellen, ob der betreffende Mitgliedstaat rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass diese Voraussetzungen vorliegen.

91.

Zwar wurde bereits dargelegt, dass nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB ein Rechtsbehelf gegen den Beschluss über die Entlassung des Zentralbankpräsidenten aus seinem Amt „wegen Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm“ eingelegt werden kann ( 39 ). Es ist jedoch fraglich, welche Bestimmungen des Vertrags oder Rechtsnormen es sein könnten, deren Verletzung im Rahmen einer Klage nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB geltend gemacht werden könnte, abgesehen von Art. 14.2 selbst. Darüber hinaus könnte man eventuell an die Bestimmungen denken, deren Verletzung im vorliegenden Fall tatsächlich von Herrn Rimšēvičs geltend gemacht wird und deren Ziel darin besteht, Zentralbankpräsidenten vor jeglicher Beeinflussung durch die Mitgliedstaaten zu schützen ( 40 ) (da eine ungerechtfertigte Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten eben gerade eine solche Einflussnahme darstellt). Ebenso könnte man, wie die EZB vorschlägt, an die Vorschriften im Zusammenhang mit der Funktionsweise des EZB-Rats und des Eurosystems sowie allgemein die übergreifenden Grundsätze des Unionsrechts denken, wie die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen der Union und den Mitgliedstaaten.

92.

Im vorliegenden Fall müssen jedenfalls die Vorschriften, deren Verletzung zur Stützung einer nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB erhobenen Klage eventuell geltend gemacht werden könnte, nicht abschließend bestimmt werden. Es genügt nämlich die Feststellung, dass im Rahmen der vorliegenden Rechtssachen sowohl Herr Rimšēvičs als auch die EZB der Republik Lettland im Kern vorwerfen, nicht bewiesen zu haben, dass die in Art. 14.2 genannten Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten in Bezug auf Herrn Rimšēvičs erfüllt sind (dazu sogleich unter 1). Der Vollständigkeit halber ist die Relevanz von zwei anderen Regelungen zu prüfen, deren Verletzung Herr Rimšēvičs rügt, namentlich das Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im Anhang zum EUV und AEUV (dazu unter 2) und bestimmte Vorschriften des lettischen Rechts (dazu unter 3).

1.   Zur Verletzung von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB

93.

Herr Rimšēvičs und die EZB machen geltend, die Republik Lettland habe keine Beweise beigebracht, die den gegenüber Herrn Rimšēvičs erhobenen Korruptionsvorwurf stützen könnten. Folglich habe die Republik Lettland nicht bewiesen, dass die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten vorlägen.

a)   Vorbemerkungen

94.

Wie Generalanwalt Geelhoed in der Rechtssache Kommission/Cresson ( 41 ) festgestellt hat, sind die Mitglieder von Unionsorganen sowie die Inhaber der höchsten öffentlichen Ämter in den Mitgliedstaaten naturgemäß keiner hierarchischen Kontrolle unterworfen und können nicht aus Gründen abberufen werden, die im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Funktionen stehen. Deshalb obliegt die Befugnis zur Verhängung von Sanktionen aufgrund eines etwaigen Machtmissbrauchs durch den Inhaber eines solchen Amts im Allgemeinen entweder dem Organ, dessen Mitglied er ist, oder einem anderen Organ mit gleichwertigem Status innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens.

95.

Insoweit ist bereits ausgeführt worden, dass die Mitglieder der Unionsorgane nur vom Gerichtshof ihres Amts enthoben werden können, gegebenenfalls (d. h. außer für die Mitglieder des Gerichtshofs der Europäischen Union selbst) auf Antrag ihres Organs oder eines anderen Organs mit gleichwertigem verfassungsrechtlichem Status ( 42 ). Zwar obliegt die Beweislast für die von der betreffenden Person begangene Pflichtverletzung dementsprechend dem Organ, das sich auf diese Pflichtverletzung beruft, doch ist es ausschließlich Sache des Gerichtshofs, in Ausübung seines Ermessens die rechtliche Würdigung und die materielle Feststellung des Sachverhalts vorzunehmen. Folglich können Feststellungen, die im Urteil eines nationalen Gerichts getroffen wurden, zwar vom Gerichtshof bei der Prüfung des Sachverhalts berücksichtigt werden, doch ist der Gerichtshof nicht an die rechtliche Würdigung des Sachverhalts gebunden, die in einem solchen Urteil vorgenommen wurde ( 43 ).

96.

Wie die EZB vorgebracht hat, liegt der Umstand, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, unmittelbar über die Amtsenthebung nationaler Zentralbankpräsidenten zu entscheiden, darin begründet, dass diese Zentralbankpräsidenten nach den in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten geltenden Verfahren ernannt werden und nur nach diesen Verfahren aus ihren Ämtern entlassen werden können ( 44 ). Folglich entscheidet der Gerichtshof im Rahmen des Verfahrens nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB nicht unmittelbar über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten auf Antrag einer Institution, sondern er überprüft, ob der betreffende Mitgliedstaat berechtigt war, den Präsidenten seiner Zentralbank aus dem Amt zu entlassen. Dieser Unterschied in Bezug auf die Verfahren zur Amtsenthebung der Mitglieder von Unionsorganen ist jedoch nur verfahrensrechtlicher Art; aus materiell-rechtlicher Sicht sind die Prüfungskriterien identisch, da in beiden Fällen zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Amtsenthebung erfüllt sind.

97.

Somit hat der Gerichtshof in einem ersten Schritt eine rechtliche Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, die dem betreffenden Zentralbankpräsidenten vorgeworfen werden, d. h. er muss feststellen, ob diese Tatsachen geeignet sind, darzutun, dass der Zentralbankpräsident im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat (dazu unter b). Ist dies der Fall, muss der Gerichtshof in einem zweiten Schritt angesichts der vom betreffenden Mitgliedstaat beigebrachten Beweise sowie gegebenenfalls mit Hilfe der Untersuchungsbefugnisse, die ihm seine Verfahrensordnung einräumt, das Vorliegen der Tatsachen prüfen, die dem fraglichen Zentralbankpräsidenten vorgeworfen werden (dazu unter c).

b)   Zu den Begriffen „Voraussetzungen für die Ausübung des Amts eines Zentralbankpräsidenten“ und „schwere Verfehlung“

98.

Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB bestimmt, dass der Präsident einer nationalen Zentralbank aus seinem Amt nur entlassen werden kann, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat, ohne diese Begriffe näher zu definieren.

99.

Im vorliegenden Fall geht aus der Entscheidung des KNAB vom 19. Februar 2018, mit der Herr Rimšēvičs als Tatverdächtiger eingestuft wurde ( 45 ), hervor, dass ihm vorgeworfen wird, ein Bestechungsgeld in Höhe von mindestens 100000 Euro von einem Mitglied des Verwaltungsrats einer Bank gefordert und entgegengenommen und sich als Gegenleistung verpflichtet zu haben, die Aktivitäten der Bank nicht zu behindern und sie mit Ratschlägen und Empfehlungen bei ihrer Zusammenarbeit mit der lettischen Kommission für den Finanz- und Kapitalmarkt (Finanšu un kapitāla tirgus komisija) zu unterstützen. Herr Rimšēvičs habe sich außerdem verpflichtet, im Rahmen der Wahrnehmung seines Amts und durch Ausübung seines Einflusses auf die Tätigkeiten der Kommission für den Finanz- und Kapitalmarkt sowie durch Nutzung der Informationen, zu denen er aufgrund seines Amts Zugang habe, in der beschriebenen Weise tätig zu werden.

100.

Angesichts dieser Tatvorwürfe ist es nicht erforderlich, dass der Gerichtshof die Begriffe „Voraussetzungen für die Ausübung des Amts eines Zentralbankpräsidenten“ und „schwere Verfehlung“ im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB abschließend definiert. Es genügt die Feststellung, dass jedenfalls die Vorwürfe, die das KNAB vorliegend gegenüber Herrn Rimšēvičs erhebt, d. h. Korruption im Rahmen der Ausübung seines Amts sowie Missbrauch dieses Amts zugunsten einer privaten Einrichtung, nicht nur – sofern sie bewiesen wären – eine schwere Verfehlung des betreffenden Zentralbankpräsidenten darstellen würden, sondern auch beweisen würden, dass er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt. Folglich betrifft die vorliegende Rechtssache entgegen dem Vorbringen der EZB nicht nur den zweiten, sondern auch den ersten der zwei in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Fälle.

101.

Zum einen kann, auch wenn kein Versuch einer abschließenden Definition der Voraussetzungen für die Ausübung des Amts eines Zentralbankpräsidenten unternommen wird, festgestellt werden, dass die Unabhängigkeit jedenfalls der unantastbare harte Kern dieser Voraussetzungen ist ( 46 ). Wie nämlich bereits an zwei Stellen erwähnt, ist die Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken des ESZB und des EZB-Rats als oberstem Beschlussorgan der EZB und des Eurosystems im AEU-Vertrag als unverzichtbares Gegenstück zur Preisstabilität verankert, die das vorrangige Ziel der Wirtschafts- und Währungspolitik der Union und des ESZB darstellt ( 47 ). Aus diesem Grund ist in Art. 130 AEUV sowie Art. 7 der Satzung des ESZB und der EZB ausdrücklich festgelegt, dass die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB und der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten keine Weisungen von jeglichen sonstigen Stellen einholen oder entgegennehmen dürfen.

102.

Zudem ist die Unabhängigkeit die wichtigste Eigenschaft, die von den Mitgliedern aller Unionsorgane verlangt wird ( 48 ). Wie der Gerichtshof in Bezug auf die Mitglieder der Kommission festgestellt hat, müssen sie angesichts der hohen Verantwortung, die sie tragen, die strengsten Vorgaben für ihr Verhalten erfüllen, was u. a. die Pflicht beinhaltet, in voller Unabhängigkeit und zum allgemeinen Wohl der Union zu handeln und jederzeit dem allgemeinen Wohl der Union Vorrang vor persönlichen Interessen einzuräumen ( 49 ).

103.

Folglich zeigt der Präsident einer Zentralbank, der für Tatsachen wie diejenigen, die Herrn Rimšēvičs vorgeworfen werden, verurteilt wird, allein dadurch, dass er nicht mehr die Unabhängigkeit besitzt, die für die Ausübung seines Amts erforderlich ist.

104.

Zum anderen bezeichnet der Begriff der schweren Verfehlung, wie die EZB zu Recht geltend macht, in den disziplinarrechtlichen Vorschriften der Union ein rechtswidriges Verhalten des Amtsinhabers, das schwerwiegend genug ist, um dessen Amtsenthebung zu rechtfertigen ( 50 ).

105.

Die Straftat der Korruption, die im vorliegenden Fall Herrn Rimšēvičs vorgeworfen wird und die, wenn ihr Vorliegen erwiesen wäre, einen Verstoß gegen Art. 320 Abs. 4 des lettischen Strafgesetzbuchs darstellen würde, ist angesichts der vorrangigen Bedeutung des Grundsatzes der Unabhängigkeit von Zentralbankpräsidenten schwerwiegend genug, um die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten zu rechtfertigen und folglich eine schwere Verfehlung im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB darzustellen.

106.

Aus alledem ergibt sich, dass, wenn der gegen Herrn Rimšēvičs erhobene Tatvorwurf erwiesen wäre, die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für seine Amtsenthebung als erfüllt anzusehen wären. Somit ist nun zu prüfen, ob die Republik Lettland die Tatsachen, die sie Herrn Rimšēvičs zur Last legt, rechtlich hinreichend nachgewiesen hat.

c)   Zu den Beweisen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entlassung eines Zentralbankpräsidenten aus seinem Amt zu belegen

107.

Wie die EZB zu Recht geltend macht, müsste das Vorliegen der Tatsachen, auf die sich die Republik Lettland im vorliegenden Fall beruft, grundsätzlich durch ein Sachurteil eines unabhängigen Gerichts nachgewiesen werden, damit der Gerichtshof diese Tatsachen für die Anwendung von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB als erwiesen ansehen kann (dazu unter 1). Liegt kein solches Sachurteil vor, müssen dem Gerichtshof Beweise vorliegen, die zur Begründung der festen Überzeugung ausreichen, dass die dem Zentralbankpräsidenten vorgeworfenen Tatsachen stattgefunden haben (dazu unter 2).

1) Sachurteil eines unabhängigen Gerichts

108.

Läge ein Sachurteil eines unabhängigen Gerichts vor, das das Vorliegen der Tatsachen bestätigt, die dem betreffenden Zentralbankpräsidenten vorgeworfen werden, obläge es dem Zentralbankpräsidenten, Umstände vorzutragen, die geeignet sind, darzutun, dass wegen systemischer oder allgemeiner Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz des betreffenden Mitgliedstaats sowie aufgrund seiner persönlichen Lage ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde und das fragliche Urteil auf einer unzutreffenden Sachverhaltsfeststellung beruht ( 51 ). In Ermangelung solcher Umstände könnte der Gerichtshof im Einklang mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Beachtung des Unionsrechts und der vom Unionsrecht anerkannten Grundrechte durch alle Mitgliedstaaten ( 52 ) die Tatsachen, deren Vorliegen durch das Urteil bestätigt wird, als erwiesen ansehen, ohne selbst eine Beweiswürdigung vorzunehmen.

109.

Im vorliegenden Fall waren die Tatsachen, die das KNAB Herrn Rimšēvičs vorwirft, jedoch noch nicht Gegenstand des Sachurteils eines unabhängigen Gerichts. Die von der EZB gestellte Frage, ob für die Feststellung der Tatsachen im Rahmen von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB ein noch nicht rechtskräftiges erstinstanzliches Urteil ausreichen kann, muss unter diesen Umständen nicht beantwortet werden.

110.

Jedenfalls waren vorliegend die Zwangsmaßnahmen, die das KNAB mit Entscheidung vom 19. Februar 2018 gegen Herrn Rimšēvičs verhängte ( 53 ), zwar Gegenstand eines Rechtsbehelfs, den Herr Rimšēvičs bei dem für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richter des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) einlegte, und einer Entscheidung dieses Richters vom 27. Februar 2018 ( 54 ), die Teil der dem Gerichtshof vorgelegten Informationen ist. Aus dieser Entscheidung geht hervor, dass der fragliche Rechtsbehelf gemäß Art. 262 der lettischen Strafprozessordnung eingelegt wurde, wonach gegen Zwangsmaßnahmen wie die vorliegend in Rede stehenden ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, der damit begründet wird, dass es der betroffenen Person nicht möglich ist, den Maßnahmen Folge zu leisten ( 55 ).

111.

Nach den Aussagen von Herrn Rimšēvičs und der EZB beschränkt sich die Prüfung des mit einem solchen Rechtsbehelf befassten Richters jedoch auf die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der fraglichen Zwangsmaßnahmen im Hinblick auf den beanstandeten Verstoß und das verfolgte Ziel (d. h. beispielsweise die ordnungsgemäße Durchführung der Ermittlungen oder die Verhinderung weiterer Schäden) sowie die Wahrung der Grundrechte des Betroffenen. Dagegen würde nicht geprüft, ob die gegen den Betroffenen erhobenen Vorwürfe begründet und die diesen Vorwürfen zugrunde liegenden Tatsachen nachgewiesen sind. Die Begründung der Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 betrifft in der Tat nur die Begründetheit der Zwangsmaßnahmen in Bezug auf die gegen Herrn Rimšēvičs erhobenen Vorwürfe und keinesfalls die Begründetheit dieser Vorwürfe in Bezug auf etwaige Beweise.

112.

Zwar geht aus Art. 262 Abs. 3 der lettischen Strafprozessordnung hervor, dass der Richter, der mit der Prüfung des gemäß dieser Bestimmung eingelegten Rechtsbehelfs befasst ist, die Übermittlung von Inhalten der strafrechtlichen Ermittlungsakte sowie Erläuterungen der für die Ermittlungen verantwortlichen Person oder des Rechtsbehelfsführers verlangen kann. Zudem enthält die Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 die Formulierung „angesichts des Inhalts der strafrechtlichen Ermittlungsakte Nr. …“ ( 56 ). Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga), der mit der Prüfung des fraglichen Rechtsbehelfs betraut war, Beweise gesehen hat, die aus der strafrechtlichen Ermittlungsakte stammten.

113.

Die Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 enthält jedoch keinerlei Hinweise auf eine Beweiswürdigung oder eine Bestätigung des Vorliegens von Tatsachen anhand von Beweisen. Diese Entscheidung bezieht sich nämlich nur auf „die Informationen über den Sachverhalt aus den Verfahrensunterlagen, die in der Akte [des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens] enthalten sind“ ( 57 ). Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Informationen aus der strafrechtlichen Ermittlungsakte, die dem für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richter des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) übermittelt wurden, genau wie die dem Gerichtshof übermittelten Informationen ( 58 ) nur aus Verfahrensunterlagen bestanden, die von den Ermittlungsbehörden erstellt wurden und eine Beschreibung des Sachverhalts aber keinerlei Beweise enthalten, die die Richtigkeit dieses Sachverhalts bestätigen könnten.

114.

Zudem hat die Republik Lettland, obwohl sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hierzu befragt worden ist, keine Gesichtspunkte vorgetragen, die geeignet sind, das Vorbringen von Herrn Rimšēvičs und der EZB zu widerlegen, wonach die Kontrolle des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga), der für die Prüfung der Zwangsmaßnahmen zuständig war, nicht die Begründetheit der gegen Herrn Rimšēvičs erhobenen Vorwürfe und das Vorliegen der ihnen zugrunde liegenden Tatsachen betraf. Die Republik Lettland hat auch keine Beweise oder zumindest Erklärungen vorgebracht, die ihren Standpunkt stützen würden, wonach der Gerichtshof die Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 als Nachweis für das Vorliegen der Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen anerkennen und somit davon absehen könne, selbst eine Beweiswürdigung und die Feststellung des Vorliegens dieser Tatsachen vorzunehmen.

115.

Der Gerichtshof kann sich für die Feststellung des Vorliegens der Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen umso weniger auf die Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 stützen, als Herr Rimšēvičs geltend macht, er habe zum Zeitpunkt dieser Entscheidung und sogar bis heute keinen Zugang zu Beweisen erhalten, die die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe stützen könnten. Die Republik Lettland hat dieses Vorbringen nicht widerlegt. Folglich lässt sich, selbst wenn man annähme, dass der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) Zugang zu bestimmten Beweisen aus der strafrechtlichen Ermittlungsakte hatte, nicht feststellen, ob er sie im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens gewürdigt hat, das geeignet war, die Verteidigungsrechte von Herrn Rimšēvičs zu wahren.

116.

Die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen waren zudem am 22. August 2018 Gegenstand einer Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas pilsetas Vidzemes priekšpilsetas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga) ( 59 ). Diese Entscheidung erging auf eine Beschwerde, mit der Herr Rimšēvičs die Art und Weise gerügt hatte, in der die lettischen Behörden dem Beschluss im Verfahren der einstweiligen Anordnung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 20. Juli 2018, EZB/Lettland ( 60 ), Folge geleistet hatten. Der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständige Richter des Rigas pilsetas Vidzemes priekšpilsetas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga) gab der Beschwerde teilweise statt und stellte fest, dass die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen aufgrund widersprüchlicher Bedingungen nicht vollzogen werden könnten. Im Anschluss an diese Entscheidung erließen die lettischen Behörden eine neue Entscheidung, mit der die fraglichen Zwangsmaßnahmen geändert wurden ( 61 ).

117.

Aus der Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas pilsetas Vidzemes priekšpilsetas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga) vom 22. August 2018 geht jedoch hervor, dass die von diesem Richter vorgenommene Prüfung ebenfalls auf die Frage beschränkt war, ob die streitigen Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden konnten. Somit ist nicht ersichtlich, dass dieser Richter eine Prüfung der Begründetheit der Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen vorgenommen hätte, selbst wenn ihm Informationen aus der strafrechtlichen Untersuchungsakte vorgelegen haben sollten.

118.

Unter diesen Umständen kann sich der Gerichtshof für die Feststellung des Vorliegens der Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen weder auf die Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 noch auf die Entscheidung des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas pilsetas Vidzemes priekšpilsetas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga) vom 22. August 2018 stützen.

2) Beweise, die ausreichen, damit sich der Gerichtshof vom Vorliegen der Tatsachen überzeugen kann

119.

Wie die EZB zu Recht geltend macht, kann ein Sachurteil eines unabhängigen Gerichts jedoch nicht das einzige Mittel sein, das einem Mitgliedstaat im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB zur Verfügung steht, um das Vorliegen der Tatsachen zu beweisen, die seiner Meinung nach die Amtsenthebung seines Zentralbankpräsidenten rechtfertigen.

120.

Insoweit schützt Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB dadurch, dass er die Möglichkeit vorsieht, in genau festgelegten Fällen einen Zentralbankpräsidenten aus dem Amt zu entlassen, nicht nur die Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken, sondern auch das reibungslose Funktionieren des ESZB und der EZB. Wenn nämlich ein Zentralbankpräsident, der sich solcher Taten schuldig gemacht hat, wie sie Herrn Rimšēvičs vorgeworfen werden, weiterhin sein Amt ausüben könnte und innerhalb seiner Zentralbank, des ESZB und des EZB-Rats an Entscheidungsprozessen mitwirken würde und Zugang zu Informationen hätte, wäre dies eine ernsthafte Bedrohung für das reibungslose Funktionieren dieser Einrichtungen. Die Ermittlungen und das Verfahren, die einer Verurteilung in der Sache durch ein Gericht vorausgehen, können jedoch erhebliche Zeit in Anspruch nehmen.

121.

Folglich muss es zwecks Aufrechterhaltung des reibungslosen Funktionierens des ESZB und der EZB möglich sein, einen Zentralbankpräsidenten bis zum Ausgang eines Strafverfahrens vorübergehend von seinem Amt zu suspendieren, wenn Beweise vorliegen, die für sich genommen und nicht nur aufgrund von Mutmaßungen geeignet sind, das Vorliegen der behaupteten Tatsachen zu belegen. Diese Beweise müssen hinreichend aussagekräftig und übereinstimmend sein, um beim Gerichtshof die feste Überzeugung zu begründen, dass die Tatsachen wirklich stattgefunden haben ( 62 ).

122.

Somit kann der Gerichtshof in außergewöhnlichen Umständen wie denjenigen, auf die sich die Republik Lettland im vorliegenden Fall beruft, feststellen, dass die Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten vorliegen, wenn der Mitgliedstaat ihm Beweise für die Behauptung vorlegt, dass sich der Zentralbankpräsident Tatsachen hat zu Schulden kommen lassen, die belegen, dass er im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat.

123.

Vorliegend ist jedoch von vornherein festzustellen, dass die Republik Lettland keine solchen Beweise vorgelegt hat. Somit liegen dem Gerichtshof keine Informationen vor, die es ihm ermöglichen würden, die Begründetheit der tatsächlichen Vorwürfe zu prüfen, die das KNAB gegenüber Herrn Rimšēvičs erhebt.

124.

Die Republik Lettland hat zunächst keinen Nachweis zur Stützung ihrer in den Rechtssachen C‑202/18 und C‑238/18 anfänglich eingereichten Schriftsätze vorgelegt ( 63 ). Aus diesem Grund hat der Gerichtshof die Republik Lettland in der gemeinsamen mündlichen Verhandlung der genannten Rechtssachen aufgefordert, ihm innerhalb von acht Tagen alle Dokumente vorzulegen, die für die Begründung der gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Zwangsmaßnahmen erforderlich sind ( 64 ). Bei der Formulierung dieser Aufforderung hat der Gerichtshof ausdrücklich hervorgehoben, dass die Vorlage der Dokumente wichtig ist, um die Gründe für die fragliche Entscheidung darzutun und die Begründetheit der Entscheidung zu beweisen. Der Gerichtshof hat der Republik Lettland daher empfohlen, die ihm vorzulegenden Dokumente sehr sorgfältig auszuwählen.

125.

Anschließend hat die Republik Lettland dem Gerichtshof 44 Dokumente von insgesamt etwa 270 Seiten übermittelt. Diese bestanden zum einen aus einer Sammlung von Verfahrensdokumenten in Bezug auf die Einstufung von Herrn Rimšēvičs als Verdächtigem und die Verhängung der Zwangsmaßnahmen und die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Rimšēvičs ( 65 ) und zum anderen aus Schriftwechseln zwischen dem KNAB, der Bank von Lettland, der EZB und deutschen Behörden zu den Tätigkeiten von Herrn Rimšēvičs innerhalb der EZB und Entscheidungen der EZB in Bezug auf die Bank, zu deren Gunsten Herr Rimšēvičs tätig geworden sein soll. Einige recht umfangreiche, in diesen Dokumenten enthaltene Schriftstücke wurden in zweifacher Ausfertigung und in verschiedenen Sprachfassungen vorgelegt.

126.

Abgesehen von den zwei bereits untersuchten Entscheidungen der für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richter ( 66 ) sowie einfachen Verwaltungsdokumenten bestehen die von der Republik Lettland übermittelten Schriftstücke somit ausschließlich aus Dokumenten, die von Verwaltungsbehörden zur Rolle von Herrn Rimšēvičs und zu den ihm vorgeworfenen Aktivitäten erstellt wurden.

127.

Diese Dokumente enthalten zwar eine Aufzählung der Vorwürfe und Anklagepunkte der lettischen Behörden und eine Beschreibung des Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Sachverhalts. Zudem ermöglichen sie dem Gerichtshof, die Entwicklung der Ereignisse und Verfahren, die in Lettland seit der Verhaftung von Herrn Rimšēvičs am 17. Februar 2018 stattgefunden haben, sowie die Kommunikation zwischen den lettischen Ermittlungsbehörden, der Bank von Lettland und der EZB zurückzuverfolgen, und das in einer Detaildichte, die sogar die Schreiben zur Übermittlung von Dokumenten zwischen Behörden, den Vermerk eines Übersetzers und verschiedene Übersetzungsanfragen umfasst.

128.

Jedoch enthalten diese Dokumente kein einziges tatsächliches Element, mit dem sich das Vorbringen der lettischen Behörden stützen und somit das Vorliegen der Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen beweisen ließe.

129.

Laut der Entscheidung des KNAB vom 19. Februar 2018, mit der Herr Rimšēvičs als Tatverdächtiger eingestuft wurde ( 67 ), bestehen die Beweise, die die erhobenen Vorwürfe stützen, aus Tonaufnahmen und Transkripten von Telefongesprächen, Zeugenaussagen, beschlagnahmten Gegenständen und Durchsuchungsprotokollen. Dem Gerichtshof wurde jedoch kein einziger Beweis dieser Art übermittelt.

130.

Wie die EZB zu Recht geltend macht, lässt sich den vorgelegten Dokumenten somit mitnichten – noch nicht einmal auf der Grundlage von Vermutungen – entnehmen, dass die Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Aktivitäten, die oben in Nr. 99 zusammengefasst sind, stattgefunden haben. Sofern man annimmt, dass es Beweismittel gibt, die das Vorliegen dieser Tatsachen bestätigen könnten, sind diese Beweismittel jedenfalls nicht unter den Dokumenten, die der Gerichtshof von der Republik Lettland erhalten hat.

131.

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Gerichtshof nicht in der Lage ist, zu überprüfen, ob die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten vorliegen, ohne dass die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Beweisen oder die Modalitäten der Beweiswürdigung durch den Gerichtshof im Rahmen dieser Vorschrift ermittelt werden müssten. In Ermangelung jeglicher Beweise kann der Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Tatsachen, die die Republik Lettland als Begründung dafür anführt, dass Herr Rimšēvičs eine schwere Verfehlung begangen habe und deshalb die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amts nicht mehr erfülle, wirklich stattgefunden haben.

132.

Wie der Gerichtshof bereits in anderen Bereichen festgestellt hat, setzt die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle innerhalb der Unionsrechtsordnung voraus, dass dem zuständigen Richter die Begründung für jede belastende Entscheidung mitgeteilt wird, damit er die ihm obliegende Kontrolle in vollem Umfang ausüben kann ( 68 ). Die Effektivität dieser gerichtlichen Kontrolle setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der einer Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Plausibilität der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe erwiesen sind ( 69 ).

133.

Somit hätte die Republik Lettland dem Gerichtshof im vorliegenden Fall, um ihm die Ausübung seiner Kontrollfunktion zu ermöglichen, nicht nur Schriftstücke, die für die Zwecke der Ermittlungen und der Anklage von Herrn Rimšēvičs durch die lettischen Behörden erstellt wurden, sondern auch Beweise übermitteln müssen, die für sich genommen belegen, dass die behaupteten Tatsachen tatsächlich stattgefunden haben. Die bloße Existenz laufender strafrechtlicher Ermittlungen, die noch nicht zu einer Sachverhaltsfeststellung im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung geführt haben, kann nicht mit erwiesenen tatsächlichen Umständen gleichgesetzt werden ( 70 ).

134.

Im Gegensatz zu Fällen, in denen ein unabhängiges Gericht eine Sachverhaltsfeststellung im Rahmen eines Sachurteils vorgenommen hat ( 71 ), darf der Gerichtshof nämlich Tatsachen, deren Richtigkeit nur von Verwaltungsbehörden behauptet wird, nicht als erwiesen ansehen. Solche Behörden genießen nicht die gleichen institutionellen und funktionellen Unabhängigkeitsgarantien wie die Gerichte, und sie treffen ihre Entscheidungen nicht am Ende eines kontradiktorischen und mit effektiven Rechtsschutzgarantien versehenen Verfahrens ( 72 ). Würde man von einer Verwaltungsbehörde behauptete Tatsachen als erwiesen ansehen, ohne deren Vorliegen zu prüfen, nähme man den betroffenen Rechtsunterworfenen das Recht auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, und im vorliegenden Fall würde dies dazu führen, dass der in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehene Rechtsbehelf ausgehöhlt und seiner praktischen Wirksamkeit beraubt würde.

135.

Obgleich die Republik Lettland in ihren Schriftsätzen Gesichtspunkte anführt, die dem KNAB eine gewisse Unabhängigkeit bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben bescheinigen könnten, ist unstreitig, dass das KNAB der Exekutive angehört und keineswegs mit einem unabhängigen Gericht gleichgesetzt werden kann ( 73 ). Es wurde weder nachgewiesen noch behauptet, dass für die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Lettland etwas anderes gilt. Überdies hat die Generalstaatsanwaltschaft, wie Herr Rimšēvičs geltend macht, bislang nur eine Entscheidung über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens getroffen und weder die Ermittlungen abgeschlossen noch den Fall bei Gericht anhängig gemacht.

136.

Damit ist im Ergebnis festzuhalten, dass die Republik Lettland dem Gerichtshof nicht die notwendigen Beweise vorgelegt hat, um die gegen Herrn Rimšēvičs verhängten Maßnahmen zu rechtfertigen.

137.

Wie zudem bereits dargelegt wurde, kann sich die Republik Lettland nicht auf die Vertraulichkeit der Informationen aus der strafrechtlichen Ermittlungsakte berufen, um die fehlende Übermittlung von Beweisen zur Stützung ihrer Behauptungen in Bezug auf Herrn Rimšēvičs zu rechtfertigen ( 74 ). Außerdem hat der Gerichtshof die Republik Lettland in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass in anderen Bereichen die Möglichkeit besteht, ausnahmsweise und in genau festgelegten Fällen der betroffenen Person Beweise, die dem Unionsrichter vorgelegt werden, nicht bekannt zu geben ( 75 ). Ebenso hat die EZB darauf hingewiesen, dass sie bereit sei, auf ihr Recht auf Akteneinsicht zu verzichten, wenn die Integrität der strafrechtlichen Ermittlungen eine vertrauliche Behandlung von Informationen verlange, die die Republik Lettland dem Gerichtshof gegebenenfalls übermittle. Die Republik Lettland ist jedoch nicht auf diese Hinweise auf die Möglichkeit, einen Antrag auf vertrauliche Behandlung der dem Gerichtshof eventuell übermittelten Beweise zu stellen, eingegangen, und noch weniger hat sie zwingende Gründe genannt, die eine solche vertrauliche Behandlung rechtfertigen könnten.

138.

Zu guter Letzt geben die Art. 24 bis 30 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 64 der Verfahrensordnung dem Gerichtshof zwar ein ganzes Arsenal an Maßnahmen zur Beweisaufnahme an die Hand, zu denen u. a. – neben der Einholung von Auskünften und der Aufforderung zur Vorlage von Urkunden – das persönliche Erscheinen der Parteien, der Zeugenbeweis und die Einnahme des Augenscheins zählen. Der Gerichtshof kann jedoch nicht verpflichtet sein, von Amts wegen auf diese Maßnahmen zurückzugreifen, wenn der betreffende Mitgliedstaat kein einziges entsprechendes Beweisangebot und noch nicht einmal einen Hinweis in diese Richtung abgibt. Im vorliegenden Fall hat die Republik Lettland dem Gerichtshof nicht mitgeteilt, dass irgendeine Maßnahme zur Beweisaufnahme sinnvoll sein könnte.

139.

Zudem kann sich der Gerichtshof, im Einklang mit den obigen Ausführungen zur Natur der vorliegenden Klage und zum Umstand, dass der fragliche Mitgliedstaat als Ganzes Beklagter ist ( 76 ), auch nicht unmittelbar an Einrichtungen dieses Mitgliedstaats wenden, wie vorliegend z. B. das KNAB, um direkt Auskünfte einzuholen. Zumindest im Rahmen von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB können die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten daher nicht mit den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen gleichgesetzt werden, von denen der Gerichtshof nach Art. 24 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union alle Auskünfte verlangen kann, die er für erforderlich erachtet.

d)   Zwischenergebnis

140.

Aus alledem ergibt sich, dass die Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen, wenn sie erwiesen wären, dazu geeignet wären, zu zeigen, dass die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten erfüllt sind.

141.

Die Republik Lettland hat jedoch keinen einzigen Beweis vorgelegt, der das Vorliegen dieser Tatsachen bestätigen könnte. Folglich kann der Gerichtshof nicht prüfen, ob die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für die Amtsenthebung von Herrn Rimšēvičs erfüllt sind.

142.

Somit hat die Republik Lettland gegen Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB verstoßen, indem sie Herrn Rimšēvičs aus dem Amt entlassen hat, ohne zu beweisen, dass die in Art. 14.2 genannten Voraussetzungen vorlagen. Dem Klagegrund, den Herr Rimšēvičs und die EZB auf den Verstoß von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB stützen, ist damit stattzugeben.

2.   Zum Vorwurf eines Verstoßes gegen das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union

143.

Herr Rimšēvičs macht geltend, seine Entlassung aus dem Amt als Präsident der Bank von Lettland verletze die Immunität, die er als Mitglied des EZB-Rats gemäß dem Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union besitze, das nach seinem Art. 22 Abs. 1 auch für die EZB, die Mitglieder ihrer Beschlussorgane und ihre Bediensteten gelte.

144.

Gemäß Art. 11 Buchst. a des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union sind die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen, befreit. Auch wenn sich diese Vorschrift nur auf eine „Befreiung von der Gerichtsbarkeit“ ( 77 ) bezieht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Befreiung zumindest in Fällen, die höhere Führungskräfte betreffen, so ausgelegt wird, dass sie den Betroffenen auch Schutz vor Verfolgung gewährt ( 78 ). Angesichts der Bedeutung, die der Unabhängigkeit der Mitglieder des EZB-Rats zukommt ( 79 ), erscheint es zudem folgerichtig, dass sie ohne eine Entscheidung des EZB-Rats über die Aufhebung der Immunität nicht Gegenstand von Verfolgungen sein können, die Maßnahmen wie diejenigen beinhalten, die das KNAB gegen Herrn Rimšēvičs verhängt hat, d. h. vorläufige Festnahme und Durchsuchungen ( 80 ).

145.

Die den Mitgliedern des EZB-Rats durch das Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union verliehene Immunität ist vom Schutz vor Amtsenthebung zu unterscheiden, den die Präsidenten der nationalen Zentralbanken aufgrund der Satzung des ESZB und der EZB genießen. Wenn es um die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten geht, wird seine Unabhängigkeit durch Art. 14.2 der Satzung garantiert, der als lex specialis vor den allgemeinen Bestimmungen des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union Vorrang hat. Sind die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen erfüllt, was gegebenenfalls vom Gerichtshof zu prüfen ist, kann ein Zentralbankpräsident somit aus seinem Amt entlassen werden, ohne dass eine Entscheidung über die Aufhebung seiner Immunität getroffen werden muss. Folglich kann eine Verletzung der Bestimmungen des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union für sich genommen einer Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten im Rahmen eines Rechtsbehelfs nach Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB nicht entgegenhalten werden.

146.

Die den Zentralbankpräsidenten durch das Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union eingeräumte Immunität schützt sie jedoch vor Verfolgungen, die unabhängig von einer Entscheidung über die Amtsenthebung, vor dem Erlass einer solchen Entscheidung ( 81 ) oder im Fall der Rücknahme einer solchen Entscheidung nach ihrer Beanstandung vor dem Gerichtshof eingeleitet werden. Folglich könnte sich diese Immunität im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung über die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten als relevant erweisen, wenn die Beweise, auf die der betroffene Mitgliedstaat seine Entscheidung stützt, unter Verletzung der Immunität erlangt wurden.

147.

Im vorliegenden Fall ist es zwar nicht notwendig, die Zulässigkeit von etwaigen, unter Verletzung der Immunität von Herrn Rimšēvičs vor seiner Amtsenthebung erlangten Beweisen zu prüfen, da die Republik Lettland ohnehin keine Beweise vorgelegt hat, so dass nicht über die Rüge von Herrn Rimšēvičs, es liege ein Verstoß gegen das Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union vor, entschieden werden muss.

148.

Die Herrn Rimšēvičs durch das Protokoll eingeräumte Immunität könnte jedoch wieder relevant werden, wenn er infolge eines Urteils des Gerichtshofs, mit dem festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für seine Amtsenthebung nicht vorlagen, in sein Amt wiedereingesetzt würde.

149.

Insoweit macht die EZB zwar geltend, dass die Herrn Rimšēvičs durch das Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union gewährte Immunität nur die Handlungen betreffe, die er in seiner Eigenschaft als Mitglied des EZB-Rats vornehme, und dass die Handlungen, die ihm die lettischen Behörden entgegenhielten, von Herrn Rimšēvičs nur in seiner Eigenschaft als Präsident der Bank von Lettland begangen worden seien. So habe u. a. die Bank, zu deren Gunsten Herr Rimšēvičs angeblich tätig gewesen sein solle, die Trasta Komercbanka, der direkten Aufsicht der lettischen Kommission für den Finanz- und Kapitalmarkt unterstanden. Somit sei diese Bank nicht Gegenstand aufsichtsrechtlicher Entscheidungen der EZB gewesen, abgesehen von der Entscheidung der EZB über den Entzug ihrer Bankzulassung im Jahr 2016. Diese Entscheidung sei zudem nicht vom EZB-Rat vorbereitet und von diesem nur im Rahmen eines Verfahrens der impliziten Zustimmung erlassen worden, bei dem keine ausdrückliche Zustimmung der Mitglieder des EZB-Rats erforderlich gewesen sei ( 82 ).

150.

Der EZB-Rat ist jedoch nach der Verordnung Nr. 1024/2013 und trotz des oben in Nr. 149 wiedergegebenen Einwands der EZB an der Aufsicht über Kreditinstitute wie die Trasta Komercbanka zumindest beteiligt und für Entscheidungen über deren Bankzulassung zuständig. Deshalb kann angesichts des Sachverhalts, den das KNAB Herrn Rimšēvičs vorwirft ( 83 ), nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Ermittlungen des KNAB und nun die Ermittlungen des Staatsanwalts der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Lettland auch Handlungen betreffen, die Herr Rimšēvičs im Rahmen der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Mitglied des EZB-Rats vorgenommen hat.

3.   Zum Vorwurf des Verstoßes gegen lettisches Recht

151.

Herr Rimšēvičs macht geltend, das KNAB habe gegen das Gesetz über die Bank von Lettland sowie die lettische Strafprozessordnung verstoßen, als es durch die Entscheidung vom 19. Februar 2018 die streitigen Zwangsmaßnahmen gegen ihn verhängt habe.

152.

Zum einen habe das KNAB gegen das Gesetz über die Bank von Lettland verstoßen, das zur Umsetzung der maßgeblichen Bestimmungen des AEUV verabschiedet worden sei und die Amtsenthebung des Präsidenten der Bank von Lettland nur in bestimmten, genau festgelegten Fällen und nur durch einen Beschluss des Parlaments der Republik Lettland erlaube.

153.

Zum anderen habe das KNAB gegen die lettische Strafprozessordnung verstoßen, da die Voraussetzungen für die Verhängung von Zwangsmaßnahmen, d. h. die Gefahr, dass eine Person die Ermittlungen beeinträchtige oder weitere Verstöße begehe, in Bezug auf Herrn Rimšēvičs nicht erfüllt gewesen seien. Herr Rimšēvičs habe von Anfang an aktiv mit den Ermittlern kooperiert. Zudem verfüge Herr Rimšēvičs im Rahmen seiner Zuständigkeiten als Präsident der Bank von Lettland ohnehin nicht über die notwendigen Befugnisse, um – wie ihm vorgeworfen werde – Einfluss zugunsten einer bestimmten Bank ausüben zu können. Schließlich sei die Verhaftung von Herrn Rimšēvičs rechtswidrig gewesen, da die Voraussetzungen der Strafprozessordnung für eine Verhaftung ebenfalls nicht vorgelegen hätten.

154.

Zunächst ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im vorliegenden Fall nur mit den Zwangsmaßnahmen befasst ist, die das KNAB mit Beschluss vom 19. Februar 2018 gegen Herrn Rimšēvičs verhängt hat, und dass seine Festnahme nicht unter diese Maßnahmen fällt. Somit ist der Gerichtshof nicht aufgerufen, die Rechtmäßigkeit der Festnahme von Herrn Rimšēvičs zu überprüfen ( 84 ).

155.

Sodann sind die Rügen in Bezug auf die Verletzung lettischen Rechts zurückzuweisen, ohne dass der Gerichtshof ihre Begründetheit prüfen muss.

156.

Die Zulässigkeit der Amtsenthebung des Präsidenten einer nationalen Zentralbank darf nämlich nur im Hinblick auf das Unionsrecht und insbesondere die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen beurteilt werden, die autonom auszulegen sind, damit ihre einheitliche Anwendung gewährleistet ist ( 85 ).

157.

Somit kann, wenn die in diesen Bestimmungen genannten Voraussetzungen erfüllt sind, was gegebenenfalls durch den Gerichtshof zu überprüfen ist, der Präsident einer nationalen Zentralbank unabhängig von etwaigen Bedingungen, die das nationale Recht für eine Amtsenthebung festlegt, aus seinem Amt entlassen werden. Umgekehrt kann ein Zentralbankpräsident, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nicht aus seinem Amt entlassen werden, selbst wenn die im nationalen Recht hierzu festgelegten Bedingungen oder Verfahren eingehalten wurden.

158.

Die Frage, ob ein Zentralbankpräsident im Rahmen des „offiziellen“ Verfahrens, das im betreffenden nationalen Recht dafür vorgesehen ist, oder im Rahmen einer anderen Maßnahme aus seinem Amt entlassen wird, ist somit für die Beurteilung der Zulässigkeit der Amtsenthebung im Hinblick auf das Unionsrecht irrelevant. Dies gilt umso mehr, als – wie bereits dargelegt ( 86 ) – der Begriff der Entlassung aus dem Amt im Sinne von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht an die Form einer Maßnahme oder ihre Einordnung im nationalen Recht, sondern an ihren Inhalt und ihre konkreten Auswirkungen geknüpft ist.

159.

Wie ebenfalls bereits dargelegt ( 87 ), muss zudem die Möglichkeit bestehen, einen Zentralbankpräsidenten bis zum Ausgang eines Strafverfahrens oder bis zur Durchführung des im nationalen Recht festgelegten „offiziellen“ Amtsenthebungsverfahrens vorübergehend von seinem Amt zu suspendieren, wenn ausreichende Beweise vorliegen, die belegen, dass die materiellen Voraussetzungen des Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB für die Amtsenthebung eines Zentralbankpräsidenten erfüllt sind.

160.

Nach alledem ist die Rüge von Herrn Rimšēvičs, die sich auf einen Verstoß gegen das Gesetz über die Bank von Lettland und die lettische Strafprozessordnung stützt, als ins Leere gehend zurückzuweisen.

D. Zwischenergebnis

161.

Wie bereits dargelegt ( 88 ), hat die Prüfung der vorliegenden Rechtssachen ergeben, dass die Republik Lettland keinen einzigen Beweis vorgelegt hat, der das Vorliegen der Herrn Rimšēvičs vorgeworfenen Tatsachen bestätigt. Folglich ist der Gerichtshof nicht imstande, zu prüfen, ob die in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Voraussetzungen für die Entlassung von Herrn Rimšēvičs aus seinem Amt als Präsident der Bank von Lettland erfüllt sind.

162.

Unter diesen Umständen und im Einklang mit den obigen Ausführungen zur Natur der vorliegenden Klagen ( 89 ) ist festzustellen, dass die Republik Lettland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB verstoßen hat, indem sie Herrn Rimšēvičs aus dem Amt entlassen hat, ohne nachzuweisen, dass die in Art. 14.2 genannten Voraussetzungen vorlagen.

VI. Kosten

163.

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

164.

Aus den oben dargelegten Gründen ergibt sich, dass die Republik Lettland in den vorliegenden Rechtssachen unterlegen ist.

165.

Zudem hat die EZB in der Rechtssache C‑238/18 beantragt, die Republik Lettland zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Folglich sind der Republik Lettland in der Rechtssache C‑238/18 ihre eigenen Kosten und die Kosten der EZB aufzuerlegen. Gleiches gilt für die Kosten, die im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Anordnung entstanden sind, das zum Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 20. Juli 2018 (C‑238/18 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:581) geführt hat, in dem die Kostenentscheidung vorbehalten wurde.

166.

Dagegen hat Herr Rimšēvičs in der Rechtssache C‑202/18 nicht beantragt, die Republik Lettland zur Tragung der Kosten zu verurteilen, wie auch die Republik Lettland nicht beantragt hat, Herrn Rimšēvičs zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Somit sind in der Rechtssache C‑202/18, da keine Kostenanträge gestellt wurden, jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen ( 90 ).

VII. Ergebnis

167.

Angesichts dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, in der Rechtssache C‑202/18 wie folgt zu entscheiden:

1.

Die Republik Lettland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 14.2 des Protokolls Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank verstoßen, als sie Herrn Ilmārs Rimšēvičs mittels der Entscheidung des Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs (Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption, Lettland) vom 19. Februar 2018 untersagt hat, sein Amt als Präsident der Latvijas Banka (Bank von Lettland) auszuüben.

2.

Herr Rimšēvičs und die Republik Lettland tragen ihre eigenen Kosten.

168.

Darüber hinaus schlage ich dem Gerichtshof vor, in der Rechtssache C‑238/18 wie folgt zu entscheiden:

1.

Die Republik Lettland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 14.2 des Protokolls Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank verstoßen, als sie Herrn Rimšēvičs mittels der Entscheidung des Korupcijas noveršanas un apkarošanas birojs (Büro zur Verhütung und Bekämpfung der Korruption, Lettland) vom 19. Februar 2018 untersagt hat, sein Amt als Präsident der Latvijas Banka (Bank von Lettland) auszuüben.

2.

Die Republik Lettland trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Zentralbank einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Beim Gerichtshof und beim Gericht sind zudem mehrere Rechtssachen zum Entzug der Bankzulassung der Trasta Komercbanka durch die Europäische Zentralbank (EZB) am 3. März 2016 anhängig; vgl. die beim Gericht anhängigen Rechtssachen T‑247/16, Fursin u. a./EZB, und T‑698/16, Trasta Komercbanka u. a./EZB, den Beschluss des Gerichts vom 12. September 2017, Fursin u. a./EZB (T‑247/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:623), sowie die Rechtsmittel gegen diesen Beschluss in den beim Gerichtshof anhängigen Rechtssachen C‑663/17 P, EZB/Trasta Komercbanka u. a., C‑665/17 P, Kommission/Trasta Komercbanka u. a. und EZB, und C‑669/17 P, Trasta Komercbanka u. a./EZB.

( 3 ) Protokoll Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB), das dem EUV und dem AEUV beigefügt ist (ABl. 2016, C 202, S. 230).

( 4 ) Vgl. u. a. Art. 12.1 der Satzung des ESZB und der EZB.

( 5 ) Vgl. u. a. Art. 26 Abs. 8 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63).

( 6 ) Vgl. u. a. Art. 119 Abs. 2 und 3, Art. 127 Abs. 1, Art. 219 Abs. 1 und 2 und Art. 282 Abs. 2 AEUV.

( 7 ) Generalanwalt Jacobs zufolge ist die Unabhängigkeit der EZB somit kein Selbstzweck, sondern soll die EZB in den Stand setzen, das Ziel der Preisstabilität zu verwirklichen; vgl. Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/EZB (C‑11/00, EU:C:2002:556, Nr. 150). Zum Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit der EZB und dem Ziel der Preisstabilität vgl. auch Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Hinblick auf die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, Mitteilung der Kommission vom 21. August 1990, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 2/91, insb. S. 14, 20 und 58.

( 8 ) Siehe Nr. 31 dieser Schlussanträge.

( 9 ) C‑202/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:489.

( 10 ) C‑238/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:488.

( 11 ) C‑238/18 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:581.

( 12 ) Gemäß Art. 35.5 der Satzung des ESZB und der EZB ist im Allgemeinen für einen Beschluss der EZB, den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen, der EZB-Rat zuständig. Art. 14.2 der Satzung ist hingegen zu entnehmen, dass der in dieser Bestimmung vorgesehene Rechtsbehelf vom betroffenen Zentralbankpräsidenten oder vom EZB-Rat eingelegt werden kann. Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB betrifft jedoch lediglich die innerhalb der EZB festgelegte interne Zuständigkeit des EZB-Rats für den Beschluss über die Einlegung eines Rechtsbehelfs und ist nicht so zu verstehen, dass das Recht, einen Rechtsbehelf einzulegen, dem EZB-Rat anstelle der EZB insgesamt zugeschrieben wird. Folglich ist es richtig, dass vorliegend die EZB die Klage in der Rechtssache C‑238/18 erhoben und zugleich angegeben hat, dass der EZB-Rat den Beschluss gefasst hat, den Gerichtshof anzurufen.

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. Oktober 1983, Chatzidakis Nevas/Juristenkasse, Athen (142/83, EU:C:1983:267, Rn. 3 und 4), und Urteil vom 30. Juni 1993, Parlament/Rat und Kommission (C‑181/91 und C‑248/91, EU:C:1993:271, Rn. 12).

( 14 ) Beschluss des Gerichts vom 23. Januar 1995, Bilanzbuchhalter/Kommission (T‑84/94, EU:T:1995:9, Rn. 26). Zur besonderen Befugnis der EZB, den Gerichtshof gemäß Art. 271 Buchst. d AEUV anzurufen, um feststellen zu lassen, dass eine nationale Zentralbank gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hat, siehe Fn. 25 dieser Schlussanträge.

( 15 ) Vgl. u. a. Urteile vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito (C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 61), vom 14. Januar 2016, Vodafone (C‑395/14, EU:C:2016:9, Rn. 40), und vom 25. Januar 2018, Kommission/Tschechische Republik (C‑314/16, EU:C:2018:42, Rn. 47).

( 16 ) Vgl. meine Stellungnahme in der Rechtssache Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:675, Nrn. 127 bis 131), das Urteil vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756, Rn. 135), meine Schlussanträge in der Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:21, Nr. 32), sowie das Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 59 und 70).

( 17 ) Vgl. auf Französisch „[u]n recours contre la décision prise à cet effet peut être introduit“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[t]oute personne … peut former … un recours contre les actes …“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV); auf Niederländisch „[t]egen een besluit daartoe kan de betrokken president of de Raad van bestuur beroep instellen“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[i]edere natuurlijke of rechtspersoon kan … beroep instellen tegen handelingen …“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV); auf Deutsch „[g]egen einen entsprechenden Beschluss kann der betreffende Präsident einer nationalen Zentralbank oder der EZB-Rat … den Gerichtshof anrufen“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[j]ede … Person kann … gegen … Handlungen … Klage erheben“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV); auf Lettisch „var apstrīdēt šo lēmumu“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „jebkura … persona … var celt prasību par tiesību aktu“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV).

( 18 ) Vgl. Vorschlag der Präsidenten der Zentralbanken vom 27. November 1990, veröffentlicht in Agence Europe, Europe/Documents, Nr. 1669/1670, 8. Dezember 1990, S. 1, 6 des PDF-Dokuments (https://www.ecb.europa.eu/ecb/access_to_documents/document/cog_pubaccess/shared/data/ecb.dr.parcg2007_0005draftstatute.en.pdf?c34e41042567a5832ffd2adb7e5baa48), sowie deren Vorschlag vom 26. April 1991 (CONF‑UEM 1613/91), S. 1, 12 des PDF-Dokuments (https://www.ecb.europa.eu/ecb/access_to_documents/document/cog_pubaccess/shared/data/ecb.dr.parcg2007_0010draftstatute.en.pdf?77031b02df114d03b2da29d4d1ccf33d).

( 19 ) Während die englische Fassung von Art. 263 Abs. 4 AEUV bestimmt, dass „[a]ny natural or legal person may … institute proceedings against an act …“.

( 20 ) Vgl. Vorschlag der Präsidentschaft der Regierungskonferenz zur Wirtschafts- und Währungsunion vom 28. Oktober 1991 (SN 3738/91 [UEM 82]), S. 47 des PDF-Dokuments (http://ec.europa.eu/dorie/fileDownload.do;jsessionid=Xy2HP92HJVCBrNG02Sws0jJ2QqCrpL968JlDwYGhB2GL1BTJ2Q1V!233738690?docId=409907&cardId=409907).

( 21 ) Vgl. neben der englischen Fassung (Nr. 46 und Fn. 19 dieser Schlussanträge) die spanische Fassung „[e]l gobernador afectado o el Consejo de Gobierno podrán recurrir las decisiones al respecto ante el Tribunal de Justicia“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[t]oda persona … podrá interponer recurso … contra los actos“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV); die italienische Fassung „[u]na decisione in questo senso può essere portata dinanzi alla Corte di giustizia“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[q]ualsiasi persona … può proporre … un ricorso contro gli atti“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV); die portugiesische Fassung „[o] governador em causa ou o Conselho do BCE podem interpor recurso da decisão de demissão para o Tribunal de Justiça“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[q]ualquer pessoa … pode interpor … recursos contra os atos …“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV); und die dänische Fassung „[e]n afgørelse om afskedigelse kan af den pågældende centralbankchef eller af Styrelsesrådet indbringes for Domstolen“ (Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB) gegenüber „[e]nhver … person kan … indbringe klage med henblik på prøvelse af retsakter …“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV).

( 22 ) Vgl. Van den Berg, C. C. A., The Making of the Statute of the European System of Central Banks, Amsterdam, 2005, S. 137 ff. (Bericht über die Diskussionen zu den Art. 14.1 und 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB, Fehlen jeglicher Hinweise zu etwaigen Debatten zur Natur des in Art. 14.2 vorgesehenen Rechtsbehelfs) sowie S. 495 bis 497 (der Autor führt alle konsultierten Dokumente auf und erklärt, dass er an der Mehrzahl der Besprechungen der Arbeitsgruppen persönlich teilgenommen habe [S. 496]); ferner finden sich auch in den Ausgaben der Publikation von Agence Europe, Bulletin quotidien Europe, der Monate November und Dezember 1991, die u. a. Informationen zu den Diskussionen über die Wirtschafts- und Währungsunion auf Ministerebene enthalten, keine Hinweise auf eine Erörterung des in Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehenen Rechtsbehelfs.

( 23 ) Aus den Daten und Dokumenten, die in den Nrn. 46 und 48 dieser Schlussanträge genannt sind, geht hervor, dass diese Gesichtspunkte in den wenigen Wochen zwischen der Regierungskonferenz zur Wirtschafts- und Währungsunion vom 30. Oktober 1991 und der Verabschiedung des Vertrags von Maastricht auf der Konferenz des Europäischen Rates vom 9. bis 11. Dezember 1991 eingefügt wurden.

( 24 ) Vgl. u. a. für die Kommission Art. 247 AEUV (die Mitglieder können auf Antrag des Rates oder der Kommission durch den Gerichtshof ihres Amts enthoben werden); für den Gerichtshof der Europäischen Union Art. 6 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (die Mitglieder können durch einstimmiges Urteil der Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs ihres Amts enthoben werden); für das Direktorium der EZB Art. 11.4 der Satzung des ESZB und der EZB (die Mitglieder können auf Antrag des EZB-Rats oder des Direktoriums durch den Gerichtshof ihres Amts enthoben werden); für den Rechnungshof der Europäischen Union Art. 286 Abs. 6 AEUV (die Mitglieder können auf Antrag des Rechnungshofs durch den Gerichtshof ihres Amts enthoben werden); für den Europäischen Bürgerbeauftragten Art. 228 Abs. 2 AEUV (er kann auf Antrag des Europäischen Parlaments vom Gerichtshof seines Amts enthoben werden).

( 25 ) Im Gegensatz zur Regelung in Bezug auf die Direktoriumsmitglieder der EZB (siehe Fn. 24), die nach dem in Art. 11 der Satzung des ESZB und der EZB genannten Verfahren ernannt werden und damit der Unionssphäre unterliegen, kann die EZB nicht unmittelbar beantragen, dass Zentralbankpräsidenten, die Mitglieder des EZB-Rats sind, aus ihren Ämtern entlassen werden. Wenn die EZB der Auffassung wäre, dass der Präsident einer nationalen Zentralbank aus seinem Amt entlassen werden sollte, wäre es denkbar, dass sie von Art. 271 Buchst. d AEUV Gebrauch macht, der ihr die Möglichkeit einräumt, den Gerichtshof im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen eine nationale Zentralbank anzurufen, wenn sie der Ansicht ist, dass die nationale Zentralbank gegen ihre Verpflichtungen aus den Verträgen verstoßen hat.

( 26 ) Siehe hierzu Nrn. 151 bis 160 dieser Schlussanträge.

( 27 ) Siehe Nr. 5 dieser Schlussanträge.

( 28 ) Siehe Nr. 9 dieser Schlussanträge.

( 29 ) Siehe Nr. 12 dieser Schlussanträge.

( 30 ) Siehe Nr. 5 dieser Schlussanträge.

( 31 ) Siehe Nr. 57 dieser Schlussanträge.

( 32 ) Siehe hierzu auch Nrn. 151 bis 160 dieser Schlussanträge.

( 33 ) Vgl. neben der französischen („[u]n gouverneur ne peut être relevé de ses fonctions“) und der lettischen Fassung („Tikai tad, ja vadītājs vairs neatbilst nosacījumiem, kas vajadzīgi pienākumu veikšanai, vai ir izdarījis smagu pārkāpumu, viņu var atbrīvot no amata“) z. B. die englische Fassung („[a] Governor may be relieved from office only“); die spanische Fassung („[u]n gobernador sólo podrá ser relevado de su mandato“); die italienische Fassung („[u]n governatore può essere sollevato dall’incarico solo“); die deutsche Fassung („[d]er Präsident einer nationalen Zentralbank kann aus seinem Amt nur entlassen werden“); die niederländische Fassung („[e]n president kan slechts van zijn ambt worden ontheven“); die dänische Fassung („[e]n centralbankchef kan kun afskediges“); die portugiesische Fassung („[u]m governador só pode ser demitido das suas funções“) und die rumänische Fassung („[u]n guvernator poate fi eliberat din funcție numai“) von Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB.

( 34 ) Vgl. für die Mitglieder der Kommission die Art. 246 und 247 AEUV; für die Mitglieder des Direktoriums der EZB Art. 11.4 der Satzung des ESZB und der EZB; für den Bürgerbeauftragten Art. 228 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV und für die Mitglieder des Rechnungshofs Art. 286 Abs. 5 AEUV (in Abs. 6 dieser Vorschrift wie auch in Art. 6 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union betreffend Mitglieder des Gerichtshofs verwenden einige Sprachfassungen jedoch den gleichen Begriff wie Art. 14.2 der Satzung des ESZB und der EZB).

( 35 ) Beschluss im Verfahren der einstweiligen Anordnung vom 20. Juli 2018, EZB/Lettland (C‑238/18 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:581, Rn. 29).

( 36 ) Zum speziellen Aspekt der Immunität der Mitglieder des EZB-Rats gemäß dem Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union, das dem EUV und dem AEUV beigefügt ist (ABl. 2016, C 202, S. 266), siehe Nrn. 143 bis 150 dieser Schlussanträge.

( 37 ) Siehe Nrn. 119 ff. dieser Schlussanträge.

( 38 ) Siehe Nr. 11 dieser Schlussanträge.

( 39 ) Siehe Nr. 57 dieser Schlussanträge.

( 40 ) Art. 130 AEUV und Art. 7 der Satzung des ESZB und der EZB.

( 41 ) C‑432/04, EU:C:2006:140, Nr. 70.

( 42 ) Siehe Nr. 56 und Fn. 24 dieser Schlussanträge.

( 43 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2006, Kommission/Cresson (C‑432/04, EU:C:2006:455, Rn. 120 und 121).

( 44 ) Siehe Nrn. 37 und 56 dieser Schlussanträge.

( 45 ) Siehe Nr. 17 dieser Schlussanträge.

( 46 ) Vgl. für eine ähnliche Überlegung in Bezug auf die Vorgaben für korrektes Verhalten, die bei der Ausübung des Amts als Kommissionsmitglied einzuhalten sind, die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in der Rechtssache Kommission/Cresson (C‑432/04, EU:C:2006:140, Nr. 78).

( 47 ) Siehe Nrn. 5 und 76 dieser Schlussanträge.

( 48 ) Vgl. u. a. für die Mitglieder der Kommission Art. 17 Abs. 3 EUV und Art. 245 AEUV sowie für die Mitglieder des Gerichtshofs der Europäischen Union Art. 19 Abs. 2 EUV und die Art. 253 und 254 AEUV.

( 49 ) Urteil vom 11. Juli 2006, Kommission/Cresson (C‑432/04, EU:C:2006:455, Rn. 70).

( 50 ) Vgl. u. a. für den Bürgerbeauftragten Art. 228 Abs. 2 AEUV; für Mitglieder der Kommission Art. 247 AEUV; für Mitglieder des Direktoriums der EZB Art. 11.4 der Satzung des ESZB und der EZB; für Beamte und sonstige Bedienstete der Union Art. 86 Abs. 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Union, die Art. 9 und 10 des Anhangs IX des Statuts und Art. 49 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union.

( 51 ) Vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 79).

( 52 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 35 bis 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 53 ) Siehe Nr. 17 dieser Schlussanträge.

( 54 ) Siehe Nr. 18 dieser Schlussanträge.

( 55 ) Siehe Nr. 10 dieser Schlussanträge.

( 56 ) Freie Übersetzung.

( 57 ) Freie Übersetzung.

( 58 ) Siehe unten, Nrn. 125 bis 130 dieser Schlussanträge.

( 59 ) Siehe Nr. 22 dieser Schlussanträge.

( 60 ) C‑238/18 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:581; siehe Nrn. 21 und 31 dieser Schlussanträge.

( 61 ) Siehe Nr. 22 dieser Schlussanträge.

( 62 ) Vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichts vom 16. Juni 2015, FSL u. a./Kommission (T‑655/11, EU:T:2015:383, Rn. 175 und 176 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 63 ) Die einzigen Informationen, die die Republik Lettland zusammen mit ihrer Klagebeantwortung in der Rechtssache C‑238/18 eingereicht hat, sind ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Bank von Lettland, eine Stellungnahme der EZB vom 2. Oktober 2012 zu den für die Einführung des Euro erforderlichen Vorbereitungen und Gesetzesänderungen und ein Schreiben der Bank von Lettland vom 13. April 2018 über notwendige Informationen im Rahmen der Rechtssache C‑238/18.

( 64 ) Siehe Nr. 33 dieser Schlussanträge.

( 65 ) Im Einzelnen handelt es sich um Entscheidungen und Schriftstücke des KNAB und des Staatsanwalts, Beschwerden und Schriftstücke des Anwalts von Herrn Rimšēvičs, die Entscheidungen des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 und des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas pilsetas Vidzemes priekšpilsetas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga) vom 22. August 2018 (siehe Nrn. 110 bis 118 dieser Schlussanträge) sowie Dokumente zum Beschluss im Verfahren der einstweiligen Anordnung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 20. Juli 2018 und zu seinem Vollzug in Lettland (siehe Nrn. 21 und 22 dieser Schlussanträge).

( 66 ) Die Entscheidungen des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas rajona tiesa (Bezirksgericht Riga) vom 27. Februar 2018 und des für die Kontrolle der Wahrung der Menschenrechte zuständigen Richters des Rigas pilsetas Vidzemes priekšpilsetas tiesa (Bezirksgericht Vidzeme der Stadt Riga) vom 22. August 2018 (siehe Nrn. 110 bis 118 dieser Schlussanträge).

( 67 ) Siehe Nr. 17 dieser Schlussanträge.

( 68 ) Vgl. u. a. Urteile vom 15. Mai 1986, Johnston (222/84, EU:C:1986:206, Rn. 21), und vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (verbundene RechtssachenC‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 336 und 337 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 69 ) Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (verbundene RechtssachenC‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119).

( 70 ) Vgl. sinngemäß Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst vom 7. Oktober 2009, Y/Kommission (F‑29/08, EU:F:2009:136, Rn. 74 und 75).

( 71 ) Siehe Nr. 108 dieser Schlussanträge.

( 72 ) Vgl. zu diesen Voraussetzungen u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 38, 42, 44 und 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 73 ) Vgl. die oben in Nr. 13 dieser Schlussanträge zitierten gesetzlichen Bestimmungen zum KNAB.

( 74 ) Siehe Nr. 86 dieser Schlussanträge.

( 75 ) Vgl. hierzu u. a. Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (verbundene RechtssachenC‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 125 bis 129), sowie Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 4. März 2015 (ABl. 2015, L 105, S. 1) in der am 13. Juli 2016 geänderten Fassung (ABl. 2016, L 217, S. 72).

( 76 ) Siehe Nr. 65 dieser Schlussanträge.

( 77 ) Demgegenüber bestimmt Art. 9 des Protokolls, dass Mitglieder des Parlaments „weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden“ dürfen. Art. 8 des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union verleiht den Parlamentsmitgliedern eine materielle Immunität oder Verantwortungsfreiheit für die in Ausübung ihres Amts erfolgten Äußerungen oder Abstimmungen, während Art. 9 des Protokolls ihnen prozessuale Immunität oder Unverletzlichkeit im Sinne eines Schutzes vor gerichtlicher Verfolgung gewährt; vgl. zu dieser Unterscheidung Urteile vom 21. Oktober 2008, Marra (C‑200/07 und C‑201/07, EU:C:2008:579, Rn. 24), und vom 6. September 2011, Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:543, Rn. 18), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in den verbundenen Rechtssachen Marra (C‑200/07 und C‑201/07, EU:C:2008:369, Nr. 13) und Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:379, Nr. 3).

( 78 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 2018, RQ/Kommission (T‑29/17, EU:T:2018:717, Rn. 5 bis 12); vgl. auch im gleichen Kontext Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 20. Juli 2016, Generaldirektor des OLAF/Kommission (T‑251/16 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:424, Rn. 10 bis 16), sowie in einem anderen Kontext Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst vom 13. Januar 2010, A und G/Kommission (F‑124/05 und F‑96/06, EU:F:2010:2, Rn. 60).

( 79 ) Siehe Nrn. 5, 76 und 101 dieser Schlussanträge.

( 80 ) Siehe Nrn. 16, 17 und 129 dieser Schlussanträge.

( 81 ) Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass das KNAB vor der Einleitung seiner Ermittlungen im Hinblick auf Herrn Rimšēvičs am 15. Februar 2018, vor der Durchführung von Durchsuchungen oder zumindest vor der Festnahme von Herrn Rimšēvičs am 17. Februar 2018 (siehe Nr. 16 dieser Schlussanträge) beim EZB-Rat die Aufhebung der Immunität von Herrn Rimšēvičs hätte beantragen müssen.

( 82 ) Gemäß Art. 26 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1024/2013 (siehe Fn. 5 dieser Schlussanträge).

( 83 ) Siehe Nr. 99 dieser Schlussanträge.

( 84 ) Herr Rimšēvičs weist ohne Angabe näherer Einzelheiten darauf hin, dass seine Festnahme Gegenstand eines aus formalen Gründen zurückgewiesenen Rechtsbehelfs auf nationaler Ebene gewesen sei und er einen Rechtsbehelf vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen ungerechtfertigten Freiheitsentzugs vorbereite.

( 85 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 1982, Pabst & Richarz (17/81, EU:C:1982:129, Rn. 18), vom 11. Juli 2006, Chacón Navas (C‑13/05, EU:C:2006:456, Rn. 40), und vom 21. Dezember 2016, Associazione Italia Nostra Onlus (C‑444/15, EU:C:2016:978, Rn. 66).

( 86 ) Siehe Nr. 77 dieser Schlussanträge.

( 87 ) Siehe Nrn. 119 bis 122 dieser Schlussanträge.

( 88 ) Siehe Nrn. 140 bis 142 dieser Schlussanträge.

( 89 ) Siehe Nrn. 52 bis 68 dieser Schlussanträge.

( 90 ) Einer Partei können nur auf ausdrücklichen Antrag die Kosten auferlegt werden (vgl. Urteile vom 9. Juni 1992, Lestelle/Kommission,C‑30/91 P, EU:C:1992:252, Rn. 38, und vom 29. April 2004, Parlament/Ripa di Meana u. a.,C‑470/00 P, EU:C:2004:241, Rn. 86). Werden keine Kostenanträge gestellt, wendet der Gerichtshof, auch wenn keine Klage- oder Antragsrücknahme vorliegt, Art. 141 Abs. 4 („Kosten bei Klage- oder Antragsrücknahme“) der Verfahrensordnung entsprechend an, und dieser bestimmt: „Werden keine Kostenanträge gestellt, so trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.“ Vgl. zu Art. 69 § 5 Abs. 3 der Verfahrensordnung vom 19. Juni 1991 Urteil vom 6. Oktober 2005, Scott/Kommission (C‑276/03 P, EU:C:2005:590, Rn. 39); vgl. auch Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2015, Comité d’entreprise SNCM/Kommission (C‑410/15 P[I], EU:C:2015:669, Rn. 22).