ISSN 1725-2407

doi:10.3000/17252407.C_2011.054.ger

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 54

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

54. Jahrgang
19. Februar 2011


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010

2011/C 054/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Energiestrategie 2011-2020

1

2011/C 054/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Island als Kandidatenland (Sondierungsstellungnahme)

8

2011/C 054/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vorschlag für einen Beschluss des Rates über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke (Initiativstellungnahme)

15

2011/C 054/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie der EU (Initiativstellungnahme)

20

2011/C 054/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland (Initiativstellungnahme)

24

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010

2011/C 054/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im MesswesenKOM(2010) 507 endg. — 2010/0260 (COD)

31

2011/C 054/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von KraftfahrzeugenKOM(2010) 508 endg. — 2010/0261 (COD)

32

2011/C 054/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über hinten angebrachte Umsturzschutzvorrichtungen an land- und forstwirtschaftlichen Schmalspurzugmaschinen auf RädernKOM(2010) 510 endg. — 2010/0264 (COD)

33

2011/C 054/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Angaben oder Marken, mit denen sich das Los, zu dem ein Lebensmittel gehört, feststellen lässtKOM(2010) 506 endg.— 2010/0259 (COD)

34

2011/C 054/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 460/2004 zur Errichtung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit bezüglich deren BestehensdauerKOM(2010) 520 endg.— 2010/0274 (COD)

35

2011/C 054/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regelung des Zugangs zum öffentlich-staatlichen Dienst, der von dem weltweiten Satellitennavigationssystem bereitgestellt wird, das aus dem Programm Galileo hervorgegangen istKOM(2010) 550 endg.— 2010/0282 (COD)

36

2011/C 054/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über RatingagenturenKOM(2010) 289 endg. — 2010/0160 (COD)

37

2011/C 054/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EU) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von land- und forstwirtschaftlichen FahrzeugenKOM(2010) 395 endg. — 2010/0212 (COD)

42

2011/C 054/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und TransaktionsregisterKOM(2010) 484 endg. — 2010/0250 (COD)

44

2011/C 054/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Belehrung in StrafverfahrenKOM(2010) 392 endg. — 2010/0215 (COD)

48

2011/C 054/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagenKOM(2010) 375 endg. — 2010/0208 (COD)

51

2011/C 054/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine Digitale Agenda für EuropaKOM(2010) 245 endg.

58

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010

19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/1


467. PLENARTAGUNG AM 8./9. DEZEMBER 2010

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Energiestrategie 2011-2020“

(Sondierungsstellungnahme)

(2011/C 54/01)

Berichterstatter: Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Die Europäische Kommission beschloss am 12. Mai 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

„Energiestrategie 2011-2020“

(Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 16. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 9. Dezember) mit 138 gegen 40 Stimmen bei 21 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einführung und Zusammenfassung

1.1   Die Europäische Kommission beabsichtigt die Annahme einer Energiestrategie 2011-2020 und eines Fahrplans für ein kohlenstoffarmes Energiesystem bis 2050. Sie hat den Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschuss um Ausarbeitung von Sondierungsstellungnahmen zu diesen beiden Themen als Beitrag zu ihren einschlägigen Arbeiten ersucht.

1.2   Der Ausschuss begrüßt, dass diese beiden Themen im Verbund behandelt werden. Investitionen in den Energiesektor sind langfristig angelegt; es ist äußerst wichtig, dass die Strategie für die kommenden zehn Jahre bereits auf die längerfristigen Ziele bis 2050 ausgerichtet ist.

1.3   Die Europäische Kommission hat eine (nur auf EN verfügbare) Bestandsaufnahme mit dem Titel „Towards a new Energy Strategy for Europe 2011-2020“ als Grundlage für die Konsultation veröffentlicht. In Ziffer 1 dieser Stellungnahme werden zunächst die Standpunkte und Empfehlungen des Ausschusses zusammengefasst. In Ziffer 2 werden dann einige allgemeine Themen erörtert, die in der Strategie erfasst werden sollten. In Ziffer 3 wird abschließend auf diejenigen Punkte eingegangen, die die Europäische Kommission in ihrem Dokument zur Diskussion stellt.

1.4   In den letzten 200 Jahren hat sich die Welt im Energie- und Verkehrswesen in erster Linie auf fossile Brennstoffe gestützt. Während dieses Zeitraums standen fossile Brennstoffe in umfassendem Maße zur Verfügung und konnten vergleichbar günstig extrahiert werden. Die Industrieländer konnten so einen enormen Produktivitätszuwachs und eine immense Erhöhung ihres Lebensstandards erreichen.

1.5   In den kommenden 40 Jahren werden die Erdöl- und Erdgasvorräte nach Meinung der Mehrheit der Experten zurückgehen, es wird ein heftiger Konkurrenzkampf um die restlichen Ressourcen einsetzen, und die Preise für diese werden anziehen. Die Kohlevorräte werden wahrscheinlich nach wie vor etwas reichhaltiger sein, und die Gefahr ernsthafter Angebotsengpässe dürfte im kommenden Jahrhundert eher gering sein. Allerdings müssen weltweit die beim Verbrennen von fossilen Brennstoffen entstehenden CO2-Emissionen dringend eingedämmt werden, um einem verheerenden Klimawandel vorzubeugen. Und dies gilt für Kohle ebenso wie für Erdöl und Erdgas.

1.6   Die Menschheit muss daher ihre Energiegrundlage und ihre Energienutzung bis 2050 grundlegend umstellen. Alle in Frage kommenden alternativen Energiequellen müssen nachdrücklich und so zügig wie möglich ausgebaut werden. In den Bereichen, in denen fossile Brennstoffe weiterhin zum Einsatz kommen, muss der Großteil des entstehenden CO2 bereits an der Quelle zur anschließenden Speicherung oder Verwertung abgeschieden werden, um die Freisetzung in die Atmosphäre zu verhindern. Ganz allgemein muss die Energie in allen Bereichen viel effizienter genutzt werden.

1.7   Die effiziente Bewerkstelligung dieses Wandels ist eine der größten Herausforderungen der Gesellschaft und der Regierungen im 21. Jahrhundert. Hierfür ist ein neues Preispolitikkonzept für Energie und Energiedienstleistungen erforderlich, um insbesondere sicherzustellen, dass bei der Nutzung fossiler Brennstoffe sämtliche Kosten für die dabei verursachte CO2-Belastung einberechnet, massive Investitionen in neue Technologien getätigt, starke neue Partnerschaften zwischen Unternehmen und Regierungen zum Aufbau der erforderlichen Infrastruktur geschaffen und Änderungen der Verhaltensmuster der Bürger in Bezug auf Energieverbrauch und -kosten herbeigeführt werden.

1.8   Zur Durchführung der erforderlichen Veränderungen werden die Länder eng zusammenarbeiten müssen. Dieser Wandel wird jedoch auch selbst von einem intensiven Wettbewerb gekennzeichnet sein. So wird es einen heftigen Konkurrenzkamp um den Zugang zu den verbleibenden Erdöl- und Erdgasvorräten geben; gleichzeitig werden neue Wettbewerbsbereiche durch die Entwicklung alternativer Energieträger und energieeffizienter Güter und Dienstleistungen entstehen. Die Länder und Regionen, die früh auf eine höhere Energieeffizienz und die wirksame Verbreitung alternativer Energieträger setzen, werden ihre Wettbewerbsposition stärken können. Diejenigen jedoch, die weiter vor sich hin wursteln und den Wandel nicht anpacken, werden ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.

1.9   Europa und die Europäische Union stehen jetzt an einem kritischen Punkt in dieser Entwicklung. Die EU hat gute Gründe, den Wandel voranzutreiben, da sie stark von Erdöl- und Erdgasimporten aus Drittländern abhängt und unter etwaigen Angebotsengpässen zu leiden hätte. Außerdem ist die EU als Vorreiterin des wachsenden öffentlichen und politischen Bewusstseins für die Gefahr des Klimawandels aufgetreten und hat Pionierarbeit in Bezug auf einige der notwendigen alternativen Energieträger und Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz in Schlüsselbereichen geleistet.

1.10   Doch Europa kann sich Selbstgefälligkeit nicht leisten. Der Wandel hat bislang noch keine ausreichende Eigendynamik erreicht und könnte aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und dem damit verbundenen kurzfristigen Denken leicht weit zurückgeworfen werfen. Gleichzeitig drücken andere Länder und Regionen wie China und die Vereinigten Staaten aufs Tempo, um zügig Maßnahmen umzusetzen. Insbesondere China dürfte zu einem hartnäckigen Konkurrenten bei der Entwicklung alternativer Energieträger werden.

1.11   Europa muss unbedingt ein neues Momentum für den Umbau des Energiesektors schaffen. Die neue EU-Energiestrategie könnte und sollte den Rahmen hierfür bilden. Sie sollte Ziele aufstellen sowie Maßnahmen und Strukturen für ihre Verwirklichung umreißen. Die Annahme dieser Strategie im Rat und in den anderen EU-Institutionen muss als Chance begriffen werden, um einen gemeinsamen Willen seitens Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für den erforderlichen Wandel zu mobilisieren. Diese Gelegenheit darf nicht ungenutzt verstreichen.

2.   Grundlegende Elemente der Strategie

2.1   Die neue Energiestrategie für Europa 2011-2020 muss auf mindestens drei Grundsätzen beruhen: Versorgungssicherheit, kohlenstoffarme Wirtschaft und Energie-Wettbewerbsfähigkeit. Der Ausschuss begrüßt die Bemühungen für einen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und eine Verbesserung ihrer Versorgungssicherheit, bedauert jedoch, dass die Europäischen Kommission der Energie-Wettbewerbsfähigkeit in ihrer Bestandsaufnahme „Towards a new Energy Strategy for Europe 2011-2020“ vom Mai 2010 kaum Beachtung schenkt. Aufgrund der kumulativen Kosten sämtlicher energiepolitischer Maßnahmen besteht eine echte Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionsquellen („carbon leakage“) und der Abwanderung von Arbeitsplätzen, wenn nicht umgehend die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden.

2.2   Nach Ansicht des Ausschusses könnten die grundlegenden Elemente der Strategie unter folgenden Überschriften zusammengefasst werden:

Die richtigen Wirtschaftssignale;

Die richtigen Technologien;

Mobilisierung der Mittel;

Die richtigen Institutionen und Strukturen (öffentlich und privat);

Einbindung der Verbraucher und der Öffentlichkeit;

Aufbau eines europäischen Bündnisses und Entwicklung von Partnerschaften für den Wandel sowie allgemeine Einigung auf die Ziele, das Tempo und spezifische Fristvorgaben.

2.3   Wirtschaftssignale: Aus wirtschaftlicher Sicht ist die wichtigste Einzelmaßnahme für den notwendigen Umbau des Energiesektors die Festlegung des richtigen Strompreises, in dem alle externen Kosten der Stromerzeugung und -nutzung internalisiert sind. So sollten insbesondere bei der Stromerzeugung und -nutzung sämtliche Kosten für die durch die dabei anfallenden CO2-Emissionen weltweit entstehenden Nachteile eingerechnet werden.

2.4   Bislang kann davon allerdings weltweit noch keine Rede sein. So werden bei weitem nicht die vollen CO2-Kosten in die Stromerzeugung und -nutzung eingepreist, in vielen Ländern werden dafür sogar noch äußerst fragwürdige Beihilfen bereitgestellt, um die Kosten zu senken und die Nachfrage - und damit auch den CO2-Ausstoß - zu fördern. In der künftigen Energiepolitik sollte sichergestellt werden, dass die Kosten für die bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen ausgestoßenen CO2-Emissionen vollständig in den Strompreis eingerechnet werden. Verbleibende Beihilfen sollten sorgfältiger auf folgende Aspekte ausgerichtet werden:

Förderung von FuE für neue Technologien;

Förderung der Nutzung neuer kohlenstoffarmer Technologien für einen begrenzten Zeitraum, bis diese sich auf den Märkten durchgesetzt haben;

Förderung der Einführung von Maßnahmen und Verfahren zur Erhöhung der Energieeffizienz;

Unterstützung einkommens- oder sozial schwächerer Haushalte, um ihren Zugang zu den erforderlichen Energiedienstleistungen zu sichern.

2.5   Europa hat zwar einige Fortschritte hin zu besseren Preisstrukturen erzielt, doch gehen von den zahlreichen unterschiedlichen Brennstoffsteuern in den einzelnen Ländern, einigen nach wie vor bestehenden Erzeugungsbeihilfen sowie einem fehlerhaften und instabilen Emissionshandelssystem keinesfalls die beständigen und kohärenten Preissignale aus, die die Energieanbieter und die Verbraucher für Planungssicherheit benötigen, um die erforderlichen großen und kleinen Investitionen zu tätigen. Die neue Energiestrategie sollte klare Ziele in folgenden Punkten stecken:

Abschaffung äußerst fragwürdiger Beihilfen im Energiesektor und daran gekoppelten Bereichen, sowohl für Produktion als auch Verbrauch;

weitreichendere Harmonisierung der Besteuerung aller Brennstoffe, Verfahren und Erzeugnisse, die Grünhausgasemissionen verursachen;

Festlegung eines geeigneten CO2-Preises für alle Sektoren, entweder durch die Ausweitung des Emissionshandelssystem und die Schließung der darin bestehenden Schlupflöcher oder durch andere fiskale Maßnahmen;

Ausrichtung verbleibender Beihilfen auf die spezifischen oben genannten Zwecke.

2.6   Die Strompreise dürften auch künftig über den bisherigen Preisen liegen (und es könnte zu periodischen Energieversorgungsengpässen in Europa kommen). Die Energie muss so effizient wie möglich genutzt werden, um den Gesamtenergieverbrauch und neue Investitionsanforderungen auf einem vertretbaren Maß zu halten. Es gilt, die Energieeffizienz in sämtlichen Sektoren mit allen nur erdenklichen Mitteln zu fördern.

2.7   Die Festlegung des richtigen Strompreises ist zwar wichtig, doch reicht dies nach Ansicht des Ausschusses allein nicht aus, um die erforderliche Dynamik für einen unumkehrbaren Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft anzustoßen. Es bedarf zahlreicher weiterer Maßnahmen und Initiativen, insbesondere in der Anfangsphase, ehe der Markt selbst zum Hauptimpulsgeber wird.

2.8   Die richtigen Technologien: Es sind nach wie vor erhebliche Anstrengungen für die Förderung der Entwicklung und Etablierung alternativer Energiequellen einschl. der gesamten Palette an erneuerbaren Energien erforderlich. Wenn diese alternativen Energieträger erst einmal ausgereift sind, sollten sie auf dem Markt voll wettbewerbsfähig werden und abgesehen von dem Preisvorteil, der ihnen aus der Festlegung eines angemessenen Kohlenstoffpreises erwächst, keiner weiteren gesonderten Förderung bedürfen. Bis 2020 werden sich viele dieser Technologien noch in der Entwicklungsphase befinden und wahrscheinlich finanzielle Hilfe durch FuE-Programme, Einspeisungstarife oder sonstige Investitionsanreize sowie Unterstützung für den Aufbau der geeigneten Infrastruktur benötigen.

2.9   Viele alternative Energiequellen dürften am wirksamsten für die Stromerzeugung genutzt werden: Zur Optimierung ihres Beitrags und zur bestmöglichen Nutzung der vorhandenen Stromerzeugungskapazitäten müssen die Stromnetze auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene erheblich gestärkt, ausgebaut und auch „intelligent“ gestaltet werden, um die fluktuierenden und unterschiedlich umfangreichen Einspeisungen aus vielen verschiedenen Quellen aufnehmen und die schwankende Nachfrage bedienen zu können.

2.10   Zuschalt- bzw. Speicherkapazitäten (gemeinsam mit einem Verbundnetz) werden in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen, da sie sowohl schwankenden regenerativen Einspeisungen (z.B. Wind- und Solarkraft) als auch einer schwankenden Nachfrage Rechnung tragen müssen. Wasserkraftwerke und mit Biomasse betriebene Kraftwerke, Gasspeicheranlagen sowie möglicherweise Batteriegroßspeicher könnten diesbezüglich neben den verbleibenden mit fossilen Energieträgern betriebenen Kraftwerken (insbesondere Gaskraftwerke), die mit Systemen zur Kohlenstoffabscheidung (CO2-Abscheidung und -Speicherung, CCS) ausgerüstet sind, ebenfalls eine immer größere Rolle spielen.

2.11   Nach Auffassung einiger Beobachter wird die neue Kernkraftwerksgeneration in der neuen kohlenstoffarmen Wirtschaft von großer Bedeutung sein. Einige Länder innerhalb und außerhalb der EU ergreifen Maßnahmen zur Laufzeitverlängerung der bestehenden und zur Planung neuer Kraftwerke. Der Großteil der Ausschussmitglieder teilt die Meinung, dass die Kernkraft bei der Umstellung der EU auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft eine Rolle spielen muss. Die Technologie für herkömmliche Kernenergieerzeugung ist allerdings bereits ausgereift, weshalb der Ausschuss dafür eintritt, dass beim Bau jedweden neuen Kernkraftwerks die Deckung der wirtschaftlichen Gesamtbetriebskosten und der Versicherungskosten sowie der Kosten für die letztendliche Abschaltung sowie Abfalllagerung und -entsorgung ohne ausdrückliche oder versteckte Beihilfen zur Auflage gemacht werden soll.

2.12   Kohle wird noch mehrere Jahrzehnte lang eine wichtige Energiequelle, insbesondere für die Stromerzeugung, sein. Zur Minimierung ihrer CO2-Auswirkungen müssen Anstrengungen zur Entwicklung und Installierung von CCS-Systemen entschlossen vorangebracht und Fristen für die Ausrüstung aller Kohlekraftwerke mit derartigen Systemen gesetzt werden.

2.13   Energieeffizienz und die Senkung des CO2-Ausstoßes müssen in allen Bereichen entschieden gefördert werden, einschl. vor allem im Verkehr, im Wohnungs- und Bausektor, im Energiesektor sowie in energieintensiven Branchen.

2.14   Mobilisierung der Mittel: Dieser Umbau des Energiesektors erfordert erhebliche Investitionen in den kommenden 20 Jahren (wahrscheinlich das Drei- bis Vierfache des derzeitigen Investitionsvolumens). Deshalb ist eine ehrgeizige europäische Strategie notwendig, um klare Ziele festzulegen sowie den richtigen, zuverlässigen und kohärenten Rahmen aus Rechtsvorschriften, Anreizen und weiteren Fördermaßnahmen für die betroffenen Industriezweige zu schaffen, damit diese stetig auf die Verwirklichung dieser Ziele hinarbeiten können.

2.15   Die richtigen Strukturen und Institutionen: Für den Energiewandel müssen außerdem die institutionellen Strukturen für Planung und Ausrichtung der Entwicklungen erheblich gestärkt und gleichzeitig ein dynamischer und wettbewerbsfähiger Markt für die Sicherstellung der erforderlichen Investitionen gefördert werden. Die Planung der Energieversorgung, das Netzmanagement und die Regulierung des Energiemarktes sowie seiner Tarifstrukturen müssen auf europäischer Ebene überarbeitet, integriert oder koordiniert werden um sicherzustellen, dass sie im Einklang mit den Zielen der Energiestrategie 2011-2020 stehen.

2.16   Die notwendigen Änderungen werden rasche und grundlegende Umstellungen bei den Produktions- und Verbrauchsmustern der europäischen Wirtschaft erforderlich machen. Auf der Produktionsseite dürften mit der Entwicklung erneuerbarer Energieträger sowie energieeffizienter Produkte und Dienstleistungen zahlreiche neue Unternehmen und Arbeitsplätze im Energiesektor entstehen; in älteren Bereichen dieses Sektors werden jedoch einige Unternehmen verschwinden und Arbeitsplätze verloren gehen. Es bedarf eines umfassenden Sensibilisierungs-, Bildungs- und Umschulungsprogramms, um einen reibungslosen Übergang sicherzustellen.

2.17   Der internationale Markt für neue Technologien und Lösungen zur Bewerkstelligung des Energiewandels wächst rasant. Europa muss seine eigenen FuE-Maßnahmen vorantreiben und auf seine eigenen Industrien und Unternehmen setzen, um sich auf diesem dynamischen und wettbewerbsintensiven Markt eine Führungsrolle zu sichern.

2.18   Einbindung der Verbraucher, der KMU und der Öffentlichkeit: Auf der Nachfrageseite müssen erhebliche Anstrengungen zur Erziehung und Sensibilisierung aller Kunden, d.h. Privathaushalte und Unternehmen, unternommen werden, damit diese ihren Beitrag zu dem in Zukunft erforderlichen intelligenten Verbrauch leisten können. Die verschiedenen Verbraucherkategorien (Unternehmen und Privathaushalte) müssen angemessen über ihre Möglichkeiten, Energie effizienter zu nutzen und die Umstellung auf erneuerbare Energieträger zu unterstützen, informiert werden. Oftmals werden auch Anreize erforderlich sein, um sie zum Energiesparen oder zur Nutzung erneuerbarer Energieträger zu bewegen.

2.19   Die Strompreise dürften auch künftig über den bisherigen Preisen liegen, und die Folgen für einkommens- und sozial schwächere Haushalte müssen sorgfältig bewertet und Maßnahmen dementsprechend konzipiert werden. Diese Haushalte sollten bei der Einführung von Energieeffizienzmaßnahmen vorrangig unterstützt werden, da sie einerseits nicht über die erforderlichen Mittel für die Finanzierung derartiger Maßnahmen verfügen und andererseits stärker von den höheren Strompreisen betroffen sein werden als bessergestellte Haushalte.

2.20   Ein europäisches Bündnis für den Wandel: Zur Verwirklichung der erforderlichen rasanten Umwälzung müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten teilen und eng zusammenarbeiten, um die erforderliche technische und wirtschaftliche Integration des Energiebinnenmarktes zu erreichen und die betreffenden Industriesektoren in die Bewerkstelligung dieses Wandels einzubinden. Beide, EU und Mitgliedstaaten, müssen gemeinsam Verantwortung für die EU-Strategie und ihre Durchführung übernehmen.

2.21   Ziele: Der Ausschuss schlägt vor, in der EU-Strategie zusammenhängende und kohärente Fristen für den Abschluss einzelner Etappen dieses Übergangs festzulegen, um das Tempo des Wandels aufrechtzuerhalten. Für jedes Ziel müssten dann in Zusammenarbeit mit der Industrie und den übrigen Interessenträgern eigene Durchführungsmaßnahmen festgelegt und Investitionspläne ausgearbeitet werden, beispielsweise:

das bereits vereinbarte Ziel für den Anteil erneuerbarer Energieträger bis 2020 sowie weitere Ziele bis 2030, 2040 und 2050;

die verpflichtende Ausrüstung aller neuen fossil befeuerten Kraftwerke mit Kohlenstoffabscheidungstechnik sowie Fahrpläne für die Nachrüstung aller bestehenden Kraftwerke, sobald diese Technik ausgereift ist;

Fristen für die verpflichtende Einhaltung der Nullemissionswerte für alle neuen Gebäude, sowie für die schrittweise Sanierung bestehender Gebäude;

Fristen für die schrittweise Elektrifizierung des Fahrzeugparks;

Richtziele für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe für Koch- und Heizzwecke.

2.22   Diese Einzelziele und -maßnahmen müssen dann in die Gesamtstrategie zur Verringerung der Treibhausgase eingebunden und in Einklang mit der bis 2020 anvisierten Reduktion der CO2-Emissionen insgesamt um 20 bis 30 % gebracht werden.

3.   Vorrangige Bereiche für die neue Energiestrategie gemäß dem als Grundlage für die Konsultation dienenden Kommissionsdokument

3.1   Moderne Stromverbundnetze: Der Ausschuss unterschreibt den Standpunkt der Europäischen Kommission, dass der Aufbau einer stabileren, widerstandsfähigeren, intelligenteren und stärker integrierten Netzinfrastruktur für Europa von höchster Bedeutung ist. Für die effizienteste Nutzung der erneuerbaren Energieträger sollten Anlagen vorzugsweise an Standorten mit optimalen Voraussetzungen betrieben werden (d.h. Windenergie, wo am meisten Wind herrscht, Solarenergie, wo am meisten Sonne scheint usw.). Anschließend muss ein effizientes Netz für die Weiterleitung der Energie dorthin, wo sie wirklich gebraucht wird, zur Verfügung stehen. Für eine derartige Optimierung auf europäischer Ebene muss die gesamte Energieerzeugung in Europa als ein einheitliches integriertes System angesehen werden. Es gilt, ein europäisches Verbundnetz, gemeinsame Vorhaben sowie Planungs- und Managementstrukturen zu schaffen. Dieses Netz muss ein intelligentes Management und einen intelligenten Betrieb auf allen Ebenen ermöglichen, um Angebot und Nachfrage optimal in Einklang zu bringen. U.a. muss dieses Netz auch für die Energieeinspeisung aus entfernten Quellen (z.B. Offshore-Windparks und Solaranlagen in Wüstenregionen) geeignet sein. Außerdem muss die Nutzung von Wechselstrom- oder Gleichstrom in den einzelnen Netzabschnitten optimiert werden, um den Energieverlust im gesamten Netz zu minimieren.

3.2   Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen enger zusammenarbeiten, und zwar untereinander sowie auch mit sämtlichen Europäischen Netzen der Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSO), um eine koordinierte Struktur für die Planung von Errichtung und Management des Verbundnetzes einschl. der technischen und finanziellen Parameter für seinen Aufbau und Betrieb festzulegen.

3.3   Der Ausschuss teilt die Meinung der Europäischen Kommission, dass die „intelligente“ Messung (sog. Smart Metering) auf allen Verbrauchsebenen, d.h. auch für Privathaushalte, eingeführt werden muss. Die Verbraucher werden auf die umfangreiche Unterstützung durch die Brennstoffvertreiber und Behörden angewiesen sein, um die Informationen, die sie über die intelligente Messung erhalten, auch wirklich verstehen zu können, und sie müssen zudem tatsächlich über Möglichkeiten verfügen, diese Informationen in eine Optimierung ihrer Energieverbrauchsmuster umzusetzen.

Fortschritte auf dem Weg zu einem kohlenstoffarmen Energiesystem: Die EU hat sich bereits dazu verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis 2020 um 20 % zu verringern und sogar 30 % anzuvisieren, sofern andere Länder vergleichbare Verpflichtungen eingehen. Diese Ziele sind ein wichtiger Impulsgeber für andere Politikbereiche und für die Investitionen in die sich daraus ergebenden neuen Energiesysteme. Nach Meinung des Ausschusses sollte sich die EU im Einklang mit den Vorschlägen der Umweltminister aus Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich zu einer frühen Heraufsetzung ihres CO2-Reduktionsziels bis 2020 verpflichten, d.h. ihre Emissionen bis dahin um 30 anstelle von 20 % zu verringern, sofern die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen dies ohne Verlust an Wettbewerbsfähigkeit zulassen und tatsächlich die dafür erforderlichen Maßnahmen ergriffen und Investitionen getätigt werden.

3.4.1   Die EU ist mit ihrem Vorhaben einer Verringerung des CO2-Ausstoßes von 20 % bis 2020 bereits gut vorangekommen (bis 2009 lag die Emissionsreduktion bereits bei 17 %) und könnte die Impulsgeberwirkung eines noch ehrgeizigeren Reduktionsziels in einen zügigeren Umbau ihres Energiesystems, ein effizienteres Funktionieren des Emissionshandelsmarkts und eine auf lange Sicht bessere Wettbewerbsposition umsetzen. Politisch gesehen und zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie (insbesondere der energieintensiven Industriesektoren) auf kürzere Sicht wäre es allerdings viel einfacher, nur dann ein 30 %-iges CO2-Reduktionsziel ins Visier zu nehmen, wenn sich auch andere Industrieländer zu vergleichbaren Reduktionszielen verpflichten und die fortgeschritteneren Entwicklungsländer einen angemessenen Beitrag zu den weltweiten Bemühungen leisten. Auf diese Weise würden alle wichtigen Länder in gleichem Maße die Investitionskosten und die höheren Energiepreise zur Bewerkstelligung der Energiewende auf sich nehmen, und die Verlagerung von CO2-Emissionen („carbon leakage“) würde minimiert.

3.4.2   Bislang war die EU bemüht, die Möglichkeit einer Emissionsminderung von 30 % zum Verhandlungsatout zu machen, um andere Länder davon zu überzeugen, vergleichbare Verpflichtungen einzugehen. Diese Taktik hat sich allerdings weder in Kopenhagen noch in der Folge bewährt. In der Zwischenzeit wird die Chance, durch eine Heraufsetzung des 2020-Ziels die Energiewende in Europa selbst zu beschleunigen, immer geringer, je mehr Zeit verstreicht.

3.4.3   Da es nach wie vor kein umfassendes weltweites Klimaübereinkommen gibt, sollte die EU eine frühzeitige Heraufsetzung ihres CO2-Reduktionsziels auf 25 % bis 2020 in Betracht ziehen, d.h. auf den unteren Reduktionswert, den der Weltklimarat für diesen Zeitpunkt für die Industrieländer vorgeschlagen hat. Europa könnte so einige der Vorteile der Energiewende, die mit einer frühestmöglichen Heraufsetzung des Reduktionszieles einhergehen, zum Tragen bringen und gleichzeitig immer noch weitere 5 % als mögliches Verhandlungsangebot in der Hinterhand halten, um andere Länder zu Fortschritten in den nächsten zwei Jahren zu bewegen.

3.5   Ein früher Schritt in diese Richtung würde strengere Obergrenzen für das Emissionshandelssystem (EU ETS) bedeuten und somit einen höheren und wirksameren Preis für CO2-Emissionen. Aus Sicht des Ausschusses muss ein Grundpreis von mindestens 30 EUR festgelegt werden, soll das Emissionshandelssystem greifbare Ergebnisse liefern. Außerdem muss sichergestellt werden, dass ein größerer Teil der CO2-Minderung durch entsprechende Investitionen in der EU selbst anstatt durch eine Verlagerung in andere Teile der Welt im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, CDM) erfolgt. Allerdings dürfen trotz dieser Verbesserungen nach Ansicht des Ausschusses keine überzogenen Erwartungen an die Ergebnisse des Emissionshandelssystems gestellt werden. Außerdem könnte eine erhebliche Stärkung dieses Systems in der EU politisch und wettbewerbsrechtlich inakzeptabel sein, wenn weltweit keine vergleichbaren Maßnahmen ergriffen werden. Über die in dieser Stellungnahme erläuterten Maßnahmen hinaus müssen noch zahlreiche weitere Maßnahmen im Rahmen einer umfassenden Strategie eingeführt werden, damit der Wandel des Energiesektors im erforderlichen Tempo stattfindet. In der künftigen Strategie müsste ihnen vielleicht sogar noch mehr Gewicht beigemessen werden, wenn sich das Emissionshandelssystem in der Praxis weiterhin als fehlerhaft erweist.

3.6   Die EU hat bei der Festlegung von Mindestnormen für die Energieeffizienz von Gebäuden, Fahrzeugen und einer Reihe anderer Waren und Dienstleistungen bereits gute Fortschritte erzielt, doch bleibt noch viel zu tun, um diese Normen auszuweiten und strenger zu gestalten. Außerdem müssen diese Normen auch wirklich umgesetzt und eingehalten werden - auch hier liegt noch ein langer Weg vor uns. Die Europäische Kommission muss die Mitgliedstaaten nachdrücklicher dazu anhalten, angemessene Energieeffizienz-Aktionspläne und -maßnahmen auszuarbeiten.

3.7   Vorreiterrolle bei technologischer Innovation: Die technologische Innovation wird für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Energiesektor und die Reduzierung ihrer Kosten auf ein erschwinglicheres Niveau von entscheidender Bedeutung sein. Europa läuft Gefahr, gegenüber seinen internationalen Hauptkonkurrenten in diesem Bereich ins Hintertreffen zu geraten, und muss die (öffentliche und private) Forschung und Entwicklung in Bezug auf die neuen Schlüsseltechnologien ausweiten. Auf europäischer Ebene muss der Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) schleunigst umgesetzt werden.

3.8   Dem Energiesektor sollte in allen einschlägigen EU-Programmen und dabei vor allem in den Strukturfonds höhere Priorität eingeräumt werden. Die Mitgliedstaaten sollten Energiefragen in ihren Investitionsplänen ebenfalls mehr Gewicht beimessen, insbesondere im Zusammenhang mit der Energieeffizienz und der Entwicklung erneuerbarer Energieträger. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen auch sicherstellen, dass die Privatunternehmen, die in den Bereichen Energieversorgung und -verteilung sowie energieeffiziente Produkte und Dienstleistungen tätig sind, einen geeigneten und stabilen Rahmen aus Rechtsvorschriften und Anreizen vorfinden, um ihren Teil zur Investitionsexpansion beitragen zu können.

3.9   Der Ausschuss befürwortet, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Förderung der Energieeffizienz vor Ort und der Koordinierung der Entwicklungspläne für erneuerbare Energieträger eine besonders wichtige Rolle übernehmen sollten. Er empfiehlt, dass die EU die ausgezeichneten Initiativen, die der Bürgermeisterkonvent im Energiesektor auf den Weg gebracht hat, fördert und dass Möglichkeiten für eine Unterstützung und Ausweitung dieser Initiative ausgelotet werden.

3.10   Eine entschlossene und koordinierte externe Energiepolitik: Der Ausschuss teilt die Meinung der Europäischen Kommission, dass die EU von einer stärker koordinierten Energiepolitik in Bezug auf Drittländer profitieren würde. Allerdings wird Europa auch bei einer noch so koordinierten Energiepolitik auf der Weltbühne weiterhin in einer schwachen Position sein, wenn es stark von Importen fossiler Brennstoffe aus anderen Teilen der Welt, insbesondere aus einigen wenigen Schlüsselländern, abhängig bleibt. Je schneller die EU eine höhere Energieeffizienz, einen niedrigeren Gesamtenergieverbrauch und eine geringere Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe erreicht, desto sicherer wird seine Position sein.

3.11   Schutz der Unionsbürger: Der Ausschuss stimmt mit der Europäischen Kommission überein, dass Maßnahmen zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen für alle Energiebetreiber in Europa und zur Stärkung der Transparenz für die Kunden in Bezug auf alle Aspekte der ihnen angebotenen Energiedienstleistungen hohe Priorität genießen müssen. Die verschiedenen Verbraucherkategorien (Unternehmen und Privathaushalte) müssen lernen, ihrem Energieverbrauchsmuster und den Möglichkeiten für eine effizientere Energienutzung viel mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

3.12   Energieprodukte und -dienstleistungen werden wahrscheinlich teurer werden, wodurch wiederum ein wirtschaftlicher Anreiz für einen geringeren Verbrauch geschaffen wird. Doch werden die Verbraucher zu Recht mehr als Preisanstiege erwarten, um sie bei ihrem Schritt in die richtige Richtung zu unterstützen. Es gilt, ein weitaus umfangreicheres Verbraucherinformationsangebot über das Energieprofil von Waren und Dienstleistungen sowie spezifische Informationen über die verfügbaren Möglichkeiten und Unterstützungsmaßnahmen für eine Umstellung bereitzustellen (z.B. Möglichkeiten für die Verbesserung der Energieleistung von Wohn- und sonstigen Gebäuden, die Nutzung saubererer Verkehrsträger, umweltfreundlichere Kaufentscheidungen und für eine umweltbewusste Urlaubswahl).

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


ANHANG

Die folgende Textstelle der Stellungnahme der Fachgruppe wurde zugunsten eines im Plenum angenommenen Änderungsantrags geändert, erhielt jedoch mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 3.4

Fortschritte auf dem Weg zu einem kohlenstoffarmen Energiesystem: Die EU hat sich bereits dazu verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis 2020 um 20 % zu verringern und sogar 30 % anzuvisieren, sofern andere Länder vergleichbare Verpflichtungen eingehen. Diese Ziele sind ein wichtiger Impulsgeber für andere Politikbereiche und für die Investitionen in die sich daraus ergebenden neuen Energiesysteme. Nach Meinung des Ausschusses sollte sich die EU im Einklang mit den Vorschlägen der Umweltminister aus Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich zu einer frühen Heraufsetzung ihres CO2-Reduktionsziels bis 2020 verpflichten, d.h. ihre Emissionen bis dahin um 30 anstelle von 20 % zu verringern, sofern die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen dies ohne Verlust an Wettbewerbsfähigkeit zulassen und tatsächlich die dafür erforderlichen Maßnahmen ergriffen und Investitionen getätigt werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 88

Nein-Stimmen: 82

Enthaltungen: 26


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Island als Kandidatenland“

(Sondierungsstellungnahme)

(2011/C 54/02)

Berichterstatterin: Liina CARR

Mit Schreiben vom 28. April 2010 ersuchten Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission, und das für Erweiterung zuständige Kommissionsmitglied Štefan Füle den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema

„Island als Kandidatenland“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 27. Oktober 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 9. Dezember) mit 170 Stimmen bei 1 Gegenstimme ohne Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird hart um die Unterstützung der Öffentlichkeit für Islands Antrag auf EU-Mitgliedschaft gerungen, wie die öffentliche Anhörung im September 2010 in Island bestätigte. Die EU-Mitgliedschaft wird zwar nach wie vor stark diskutiert, doch die Unterstützung für Beitrittsverhandlungen hat offenbar in jüngster Zeit zugenommen: 64 % sprechen sich eher für eine Fortsetzung des Beitrittsprozesses als für eine Rücknahme des Beitrittsantrags aus. Dies zeigt eine deutliche Zunahme der Unterstützung für den Beitrittsprozess im Vergleich zu früheren Umfragen.

1.2   Nach Ansicht des Ausschusses ist es an der Zeit, dass sich proeuropäische Organisationen stärker in die öffentliche Debatte einschalten, um die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft für Island und für die EU deutlich zu machen. Der EWSA könnte hier vorangehen und insbesondere Veranstaltungen zur Rolle der Organisationen des Bereichs „verschiedene Interessen“ ausrichten.

1.3   Der EWSA befürwortet nachdrücklich die EU-Mitgliedschaft Islands und betont, wie wichtig die Beteiligung der isländischen Zivilgesellschaft an den Beitrittsverhandlungen ist. Die Sozialpartner haben seit jeher eine wichtige Rolle in der isländischen Politik gespielt und unterhalten bereits Kontakte zum EWSA und zu europäischen Dachorganisationen.

1.4   Der Ausschuss unterstreicht ebenso wie die Sozialpartner die Notwendigkeit einer umfassenderen zivilgesellschaftlichen Beteiligung verschiedener Akteure. Während des Beitrittsprozesses muss gewährleistet werden, dass neben dem herkömmlichen sozialen Dialog auch ein „ziviler Dialog“ geführt wird.

1.5   Der Ausschuss empfiehlt, ebenso wie für andere Beitrittsländer so schnell wie möglich einen Gemischten Beratenden Ausschuss für Island einzusetzen. Nach Ansicht des Ausschusses wird dies ein nützliches Gremium sein, um den Meinungs- und Informationsaustausch zwischen den Zivilgesellschaften Islands und der EU zu fördern, gemeinsame Empfehlungen und Standpunkte an die Adresse der Verhandlungsparteien zu richten und insbesondere den Organisationen der Gruppe III in den Beitrittsverhandlungen eine bessere Ausgangsposition zu sichern.

1.6   Aufgrund seines hohen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungsstands und seiner Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist Island (trotz des Zusammenbruchs seiner Wirtschaft in der jüngsten Krise) im Allgemeinen gut auf die Erfüllung der aus der EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen vorbereitet, vor allem in den Bereichen, die unter das EWR-Abkommen fallen. Der EWSA ist zudem überzeugt, dass Island als EU-Mitglied zur Weiterentwicklung verschiedener Politikbereiche der Union beitragen könnte, so in Bezug auf die nachhaltige Fischerei, erneuerbare Energieträger und die Arktis. Island hat derzeit keinen Sitz in den beschlussfassenden Organen der EU.

1.7   Wenngleich Island bereits den Großteil des EU-Besitzstands umgesetzt hat, besteht in bestimmten Kernbereichen, vor allem in der Fischerei und der Landwirtschaft, noch Handlungsbedarf. Der EWSA betont, dass die zivilgesellschaftlichen Gruppen in diesen Bereichen im Beitrittsprozess eine Schlüsselrolle spielen müssen. Doch auch andere betroffene Gruppen sollten in den Beitrittsprozess eingebunden werden, um die isländische Regierung bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt zu unterstützen.

1.8   Einige einflussreiche zivilgesellschaftliche Organisationen haben bereits Widerstand gegen das isländische Beitrittsgesuch bekundet. Unter diesen Umständen kommt es entscheidend darauf an, dass die Organisationen, die der EU-Mitgliedschaft positiv gegenüber stehen, in naher Zukunft eine öffentliche Debatte über die Vorteile dieser Mitgliedschaft für Island und für die EU anstoßen. Nach Ansicht des EWSA wäre eine breit angelegte Debatte auf nationaler und europäischer Ebene angesichts der konsensorientierten Herangehensweise auf EU-Ebene von Nutzen und eine Hilfe für die Organisationen und die Öffentlichkeit bei der demokratischen Meinungsbildung.

1.9   Die negative öffentliche Meinung in Island zum EU-Beitritt ist zum Teil auf die auf die ungelöste Problematik im Zusammenhang mit der Internetbank „Icesave“ zurückzuführen. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, die Zivilgesellschaft für einen konstruktiven Dialog über die EU-Mitgliedschaft zu gewinnen. Der EWSA betont, dass die Icesave-Problematik außerhalb der Beitrittsverhandlungen gelöst werden muss und nicht zu einem Hindernis in Islands Beitrittprozess werden darf.

2.   Aktuelle Situation

2.1   Island hat im Juli 2009 einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union gestellt, und die Kommission gab am 24. Februar 2010 eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Antrag ab. Der Europäische Rat hat am 17. Juni 2010 beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit Island aufzunehmen, und den Rat ersucht, einen allgemeinen Verhandlungsrahmen festzulegen. Dieser Beschluss wurde vom Europäischen Parlament am 28. Juni 2010 bekräftigt. Die erste Sitzung der Regierungskonferenz fand am 27. Juli 2010 statt.

2.2   Island hat im Rahmen des EWR-Abkommens und des Schengen-Assoziierungsübereinkommens bereits einen Großteil des EU-Besitzstands umgesetzt, was das Screening und die Verhandlungen über die einzelnen Kapitel erleichtern dürfte. Allerdings besteht in einigen wichtigen Bereichen wie Landwirtschaft, Fischerei und Währungspolitik noch Handlungsbedarf. Der Screening-Prozess hat begonnen, und soll im Juni 2011 abgeschlossen werden.

2.3   Island erfüllt voll und ganz die vom Europäischen Rat 1993 in Kopenhagen festgelegten politischen Kriterien für den EU-Beitritt. Das Land ist eine gut funktionierende repräsentative Demokratie mit leistungsfähigen Institutionen, einem ausgeprägten System zum Schutz der Grund- und Menschenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit.

2.4   Darüber hinaus ist die öffentliche Verwaltung im Allgemeinen leistungsfähig und frei von politischer Einflussnahme. Allerdings gingen die jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten mit politischen Unruhen einher und machten eine Verwaltungsreform erforderlich. Der Kommission zufolge hat die Finanzkrise Fragen über mögliche Interessenkonflikte im Zusammenhang mit den engen Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft aufgeworfen, und es werden sehr wahrscheinlich weitere Reformen erforderlich sein. Die Reform der öffentlichen Verwaltung wurde bereits in die Wege geleitet, und einige von der Kommission aufgeworfene Probleme wurden bereits angegangen.

2.5   Trotz der schweren Auswirkungen der Wirtschaftskrise ist Island eine funktionierende Marktwirtschaft und sehr wohl in der Lage, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten. Zur Bekämpfung der Krise hat die isländische Regierung drastische Sparmaßnahmen ergriffen und Schritte zur Diversifizierung der Wirtschaft vorgeschlagen. Sie hofft, dass das Land bis Ende 2010 wieder ein positives Wachstum aufweist. Das Hauptziel der derzeitigen Regierung besteht darin, den Staatshaushalt bis 2013 zu sanieren und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen und die Innovation zu fördern, um Islands Wettbewerbsfähigkeit bis 2020 wiederherzustellen.

2.6   Im Allgemeinen gilt Island als ein natürlicher Beitrittskandidat. Die demokratische Kultur ist in Island tief verwurzelt, und der gemeinschaftliche Besitzstand wird weitestgehend erfüllt. Bei einer vollständigen rechtlichen Anpassung an den Besitzstand bis zum Beitritt könnten die Beitrittsverhandlungen mit Island daher relativ schnell abgeschlossen werden. Wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen und die Einwohner Islands dem EU-Beitritt ihres Landes in einem Referendum zustimmen, wäre Island mit 317 000 Einwohnern der Mitgliedstaat mit der kleinsten Bevölkerungszahl.

2.7   Nachdem Island den Beitrittsantrag gestellt hatte, wurden zehn Verhandlungsgruppen für verschiedene Bereiche gebildet. Die Sozialpartner und andere wichtige Organisationen sind in allen wichtigen Gruppen gut vertreten. Wenngleich Staatsbedienstete für die Verhandlungen verantwortlich sind, wurden die am meisten betroffenen Gruppierungen zu den Vorbereitungen der Verhandlungsteams eingeladen und nehmen unmittelbar am Prozess teil.

2.8   Bislang verfolgt die isländische Regierung die Strategie, die Zivilgesellschaft voll und ganz am Beitrittsprozess zu beteiligen. Als der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des isländischen Parlaments seine Stellungnahme zum EU-Beitritt verfasste, wurden zivilgesellschaftliche Organisationen, Einzelpersonen und Institutionen aufgefordert, Kommentare abzugeben, die in der Folgezeit auch Berücksichtigung fanden. In den Schlussfolgerungen des Ausschusses wurde angekündigt, dass ein breit angelegtes Konsultationsforum zur Erörterung von Fragen der EU, des Stands der Beitrittsverhandlungen und der Verhandlungspositionen des Landes in den einzelnen Bereichen eingerichtet werden soll.

2.9   Trotz all dieser positiven Signale hinsichtlich der Einbindung der Zivilgesellschaft in den Beitrittsprozess hat Islands Glaubwürdigkeit in einigen EU-Mitgliedstaaten aufgrund der Bankenkrise und des Icesave-Konflikts gelitten. Die Einstellung der Isländer zur EU ist wechselhaft. Eine im Juli 2010 durchgeführte Umfrage des Gallup-Instituts zeigte, dass 60 % der Bevölkerung eine Zurückziehung des Beitrittsantrags befürwortet, doch eine andere Umfrage, die Ende September von der Zeitung Fréttablaðið durchgeführt wurde, ergab, dass 64 % der Befragten einen Abschluss der Beitrittsverhandlungen wünschen, damit in einem Referendum über die Frage entschieden werden kann. Es ist zwar noch zu früh, um sagen zu können, ob die Isländer die EU jetzt anders wahrnehmen, allerdings ist eine enorme Nachfrage nach faktenorientierten Informationen über die Union und die EU-Mitgliedschaft festzustellen. Offenbar wollen immer mehr Menschen mehr über die EU und den Beitrittsprozess erfahren, um sich später bei ihren Entscheidungen auf solides Wissen stützen zu können und sich nicht von Mythen und Ängsten leiten zu lassen.

3.   Beziehungen zur EU

3.1   Island unterhält im Rahmen des EWR-Abkommens, das 1994 in Kraft trat, enge Beziehungen zur EU. Im EWR-Abkommen ist die Beteiligung von drei EFTA-Staaten am EU-Binnenmarkt vorgesehen. Nach dem isländischen Beitrittsgesuch eröffnete die Europäische Union eine Delegation in Island; zuvor war die Delegation in Oslo auch für Island zuständig.

3.2   Im Rahmen des EWR-Abkommens war es erforderlich, dass Island einen erheblichen Anteil des EU-Besitzstands in innerstaatliches Recht umsetzt. Island hat die meisten der Rechtsvorschriften zu den vier Freiheiten übernommen. Da nur wenige innenpolitische Bereiche vom EWR-Abkommen unberührt geblieben sind, könnte geltend gemacht werden, dass eine Art Quasi-EU-Mitgliedschaft bestehe. Der prozentuale Anteil der in innerstaatliches Recht übernommenen Binnenmarktvorschriften, die bis Juli 2009 umgesetzt wurden, liegt auf demselben Niveau wie beim Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten.

3.3   Obwohl Freiheit, Sicherheit und Recht nicht Bestandteil des EWR-Abkommens sind, ist Island durch das Schengen-Assoziierungsübereinkommen auch in diesen Politikbereich eingebunden. Als die nordischen EU-Mitgliedstaaten den Antrag auf Beitritt zum Schengener Abkommen stellten, machten sie zur Bedingung, dass eine Lösung für die Beibehaltung der Nordischen Passunion mit Island und Norwegen gefunden werde. Daher wenden diese beiden Länder seit März 2001 den Schengen-Besitzstand an.

3.4   Was die Teilnahme am Entscheidungsprozess in der EU betrifft, gewährt das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum in erster Linie Zugang zur Kommission. Gemäß Artikel 99 und 100 des EWR-Abkommens können EWR- und EFTA-Staaten an den Sachverständigen- und Arbeitsgruppen der Kommission im Rahmen der Komitologie-Ausschüsse teilnehmen. Gleichwohl unterhalten EWR- und EFTA-Staaten keine offiziellen Kontakte zum Rat oder zum Europäischen Parlament.

3.5   Die isländischen Sozialpartner nehmen am Beratenden EWR-Ausschuss mit dem EWSA teil. Auf politischer Ebene ist Island am Gemeinsamen Parlamentarischen EWR-Ausschuss beteiligt. Zusammen mit Norwegen nimmt Island auch an informellen Treffen vor den Tagungen des Rates zu nordisch-baltischen Fragen teil und kann dort versuchen, seine Standpunkte geltend zu machen.

3.6   Neben der nicht vollständigen Beteiligung am Entscheidungsprozess der Union besteht der wesentliche Unterschied zwischen Islands Status gemäß dem EWR-Abkommen und der EU-Mitgliedschaft darin, dass mit dem EWR keine supranationalen Institutionen geschaffen wurden, die unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare Gesetze erlassen können, noch wurden mit dem EWR-Abkommen irgendwelche justiziellen Befugnisse übertragen. Zugleich wäre Island bei einer EU-Mitgliedschaft in allen Institutionen und Entscheidungsgremien der EU vertreten.

3.7   Trotz seiner engen Beziehungen zur EU hat es Island bis vor Kurzem vorgezogen, außerhalb der EU zu verbleiben. Diese Haltung wird allgemein auf verschiedene Faktoren zurückgeführt, allen voran der Wunsch, die nationale Kontrolle über die Fischereiressourcen zu behalten. Auch die gemeinsame Agrarpolitik ist bei den isländischen Bauern unbeliebt, die die Konkurrenz billiger Erzeugnisse vom europäischen Festland fürchten. In Island gibt es in bestimmten Bevölkerungsgruppen einen starken nationalistischen Diskurs, und einige Entscheidungsträger sind in der Regel nicht bereit, sich für etwas einzusetzen, das als Gefahr für die Souveränität des Landes betrachtet werden könnte. Die geografische Isolation des Landes, seine besonderen Sicherheitsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten in den Jahren des Kalten Krieges, die geringe Größe seiner Verwaltung und die Ausrichtung seines Wahlsystems auf ländliche Gebiete werden mitunter ebenfalls als mögliche Ursachen für die Politik Islands gegenüber der EU genannt. Schließlich wurde bis zur Finanzkrise allgemein der Standpunkt vertreten, dass das EWR-Abkommen Islands Interessen in ausreichender Weise dient.

3.8   Ungeachtet der oben genannten Faktoren befürworten große Teile der Bevölkerung im Laufe der Jahre zunehmend engere Beziehungen zur EU. Der Zusammenbruch des isländischen Finanzsystems im Oktober 2008 führte zu einem weiteren Meinungsumschwung zugunsten einer Mitgliedschaft in der EU und der Einführung des Euro. Im Juli 2009 stimmte das isländische Parlament dafür, einen Antrag auf Beitritt zur EU zu stellen. Die öffentliche Meinung und die politischen Parteien in Island sind jedoch in dieser Frage nach wie vor gespalten.

3.9   Islands Mitgliedschaft wäre sowohl für die EU als auch für Island von Nutzen. Die Europäische Union würde dadurch geografisch weiter vervollständigt, könnte in der Arktis Fuß fassen und hätte die Möglichkeit, sich am Arktischen Rat zu beteiligen. Island würde durch einen EU-Beitritt in seiner Haltung gestärkt, dass nach besseren Formen der multilateralen Governance der Arktis gesucht werden muss. Die Mitgliedschaft würde in gewissem Maße auch dazu beitragen, Islands Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene wiederherzustellen und seine Währung – wie seine Wirtschaft insgesamt – zu stabilisieren. Als EU-Mitglied hätte Island viel zur Politik der Nordischen Dimension, zur Entwicklung und Nutzung von erneuerbaren Energiequellen und einer umweltgerechten Wirtschaft in der EU beizusteuern.

3.10   Es gibt noch einige Herausforderungen zu bewältigen, da zahlreiche wichtige Bereiche nicht in den Geltungsbereich des EWR oder der Schengen-Zusammenarbeit fallen. Einige davon werden sehr wahrscheinlich bei den Verhandlungen Schwierigkeiten bereiten. Als besonders schwierig dürften sich wohl die Bereiche Fischerei und Landwirtschaft erweisen, und die in diesen Sektoren tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen werden beim Beitrittsprozess eine Schlüsselrolle spielen. Der Beitrittsprozess sollte ein freiwilliger, einvernehmlicher und gegenseitiger Prozess sein, bei dem sich keine der Seiten gegenüber der anderen gezwungen fühlt, Verpflichtungen einzugehen, zu denen sie nicht bereit ist.

4.   Die sozioökonomische Lage

4.1   Die Wirtschaft Islands basiert von jeher hauptsächlich auf der Fischerei, auf die auch knapp die Hälfte der Warenexporte Islands entfällt. In jüngerer Zeit haben sich auch die Aluminiumproduktion und der Tourismus zu wichtigen Wirtschaftszweigen entwickelt. In den 1990er Jahren setzte ein Prozess der Deregulierung, Liberalisierung und Diversifizierung der Wirtschaft ein, in dessen Ergebnis ein großer Finanzsektor entstand. In Anbetracht der übermäßigen Kreditvergabe, der unzureichenden Beaufsichtigung des Finanzsektors und der Größe der Banken im Vergleich zur Volkswirtschaft kam es im Gefolge der weltweiten Finanzkrise zum Zusammenbruch des isländischen Bankensektors. Insgesamt beliefen sich die Verbindlichkeiten der Banken auf mehr als das Zehnfache des Bruttoinlandsprodukts Islands (1). Dies stürzte die Wirtschaft in eine tiefe Rezession mit den entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

4.2   Der erhebliche Wertverlust der isländischen Krone trieb die Inflation in die Höhe, die Arbeitslosigkeit stieg an, die Immobilienpreise fielen, eine große Zahl von Unternehmen ging bankrott, und der private Verbrauch ging zurück. Die Steuern (Kapital- und Einkommenssteuer, Verbrauchsteuer- und MwSt-Sätze) wurden ebenfalls angehoben, ein neues dreistufiges Einkommensteuersystem wurde eingeführt und verschiedene Leistungen, zum Beispiel für den Mutterschafts-/Vaterschaftsurlaub und den Unterhalt von Kindern, gekürzt. Die öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsausgaben wurden ebenfalls zurückgefahren. Viele isländische Haushalte waren vom Verlust eines Großteils ihrer Ersparnisse und/oder ihres Einkommens betroffen. Gleichwohl werden zur Abfederung der schweren Krise umfangreiche Umschuldungen für Privatpersonen und Unternehmen durchgeführt. Für Privatpersonen wurde eine besondere außergerichtliche Schuldensanierung für Haushalte mit gravierenden finanziellen Problemen eingerichtet (2).

4.3   Der öffentliche Schuldenstand hat sich im Zuge der Krise vervielfacht. Ein Großteil dieser Verschuldung basiert auf Icesave-Verbindlichkeiten. Nach der Einlagensicherungsrichtlinie (94/19/EG) muss Island Einleger bis zur Höhe von 20 000 EUR pro Konto entschädigen. Island hat zugestimmt, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Der nach wie vor ungelöste Icesave-Streit betrifft jedoch die Frage, unter welchen Bedingungen Island der britischen und der niederländischen Regierung die Beträge erstatten soll, die diese als Entschädigungsleistungen an ihre Bürger ausgezahlt haben.

4.4   Island hat verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet, um der Krise zu begegnen. Die drei wichtigsten Banken wurden verstaatlicht, umstrukturiert und rekapitalisiert. Es wurden Zahlungsbilanzschutzklauseln zur Begrenzung der internationalen Kapitalströme eingeführt, um den Abfluss von Fremdwährungen und die weitere Abwertung der isländischen Krone zu verhindern. Im Oktober 2009 begann die Zentralbank mit der schrittweisen Aufhebung dieser Kontrollmaßnahmen. Es wurde ein neues Wirtschaftsministerium gebildet, der Aufsichtsrat der Zentralbank neu besetzt und die Rolle der Finanzaufsichtsbehörde gestärkt. Darüber hinaus leitete die Regierung mit der Einsetzung einer Sonderermittlungskommission und eines Sonderstaatsanwalts eine umfassende Untersuchung der Ereignisse ein, die zu der Krise geführt hatten.

4.5   Ferner ersuchte die Regierung die internationale Gemeinschaft, u.a. den IWF, um Hilfe. Die IWF-Bereitschaftskreditvereinbarung für Island beläuft sich auf 2,1 Mrd. USD; zusätzlich wurden 2,75 Mrd. USD von den anderen nordischen Ländern, Polen und den Färöern bereitgestellt. Das vom IWF unterstützte Wirtschaftsprogramm umfasst Maßnahmen zur Stabilisierung des Wechselkurses und zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Währungspolitik durch Überprüfung der Finanzpolitik und durch Begrenzung der Staatsverschuldung auf ein vertretbares Maß, durch Umstrukturierung des Finanzsektors und seines Regelungsrahmens sowie durch Erleichterung der Schuldenumschichtung bei Haushalten und Unternehmen. Ende September 2010 nahm der IWF seine dritte Überprüfung des isländischen Konjunkturprogramms an.

4.6   Die makroökonomische Stabilisierung Islands ist noch nicht abgeschlossen, und die Haushaltskonsolidierung gilt weiterhin als vordringliche Aufgabe. Zur Stärkung des finanzpolitischen Rahmens soll ein auf vier Jahre angelegter Haushaltskonsolidierungsplan angenommen werden. Es gibt jedoch bereits Anzeichen für eine Verbesserung. Schätzungen des IWF zufolge dürfte die isländische Wirtschaft aufgrund ihrer soliden wirtschaftlichen Fundamentalfaktoren im zweiten Halbjahr 2010 ein positives Wachstum aufweisen (2). Die Inflation geht zurück, und der Wechselkurs wurde stabilisiert. Die neuen Handelsbanken wurden rekapitalisiert, und die Finanzmarktvorschriften wurden umfassend reformiert. Die Arbeitslosenquote erreichte nicht das vorhergesagte Niveau von mehr als 10 %.

4.7   Die Sozialpartner spielen bei dem isländischen Konjunkturprogramm eine Schlüsselrolle. Die Regierung und die Sozialpartner haben im Juni 2009 einen „Stabilitätspakt“ unterzeichnet, der sich im Haushaltsplan für 2010 widerspiegelt und der darauf abzielt, den sozialen Konsens für die notwendigen Anpassungsmaßnahmen sicherzustellen. Da jedoch vor allem die Sozialpartner daran beteiligt waren, fühlten sich einige zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Prozess ausgeschlossen. Im März 2010 zog sich der isländische Arbeitgeberdachverband aus dem Pakt zurück und berief sich dabei auf Verstöße gegen den Pakt und auf die Unfähigkeit der Regierung, ihre Versprechen zu halten.

4.8   Mittel- bis langfristig verfügt Island über einen relativ flexiblen Arbeitsmarkt mit einer hohen Erwerbsbeteiligung, einer relativ jungen und gut ausgebildeten Erwerbsbevölkerung und einer soliden Ressourcenbasis einschließlich reicher Fischgründe und gewaltiger erneuerbarer Energiequellen. Daher dürfte sich Island innerhalb eines angemessenen Zeitraums wahrscheinlich vollständig von den derzeitigen wirtschaftlichen Rückschlägen erholen. Zudem ist die Europäische Kommission der Auffassung, dass die Teilnahme des Landes an der Wirtschafts- und Währungsunion keine größeren Probleme aufwerfen dürfte, sofern Island seine Rechtsvorschriften an den Besitzstand auf diesem Gebiet anpasst.

5.   Die Zivilgesellschaft in Island

5.1   Island blickt auf eine langjährige aktive Mitbestimmung der Zivilgesellschaft zurück. Vor allem aufgrund der geringen Größe der isländischen Gesellschaft haben Interessengruppen sehr enge, oftmals auch persönliche Beziehungen zur Regierung und beteiligen sich aktiv am politischen Geschehen. So unterhalten einige Interessengruppen wie zum Beispiel Bauern- und Fischereiverbände und Gewerkschaften seit jeher sehr enge Verbindungen zu bestimmten politischen Parteien.

5.2   Um die Einschränkungen aufgrund eines kleinen Verwaltungsapparats auszugleichen, arbeitet die isländische Regierung eng mit den auf europäischer Ebene aktiven isländischen Interessengruppen zusammen und greift häufig auf diese zurück, um Informationen einzuholen und in Brüssel für die Anliegen Islands zu werben. Gleichwohl spielen die Interessengruppen bei der Informationsbeschaffung und der strategischen Ausrichtung eine größere Rolle als bei der Einflussnahme auf die EU-Politik. Davon ausgenommen sind jedoch die Bereiche der Sozialpolitik, in denen die Sozialpartner besonders aktiv sind und direkten Zugang zur Politikgestaltung haben.

5.3   Artikel 74 der isländischen Verfassung garantiert das auch in anderen nordischen Ländern gewährleistete Recht, ohne vorherige Genehmigung Vereinigungen aller Art zu bilden, die nicht per behördlichem Beschluss aufgelöst werden können. Die Vereinigungen müssen sich beim nationalen Registeramt eintragen lassen, um eine inländische Steuernummer zu erhalten, und einen Geschäftssitz haben. Die gewerkschaftliche Tätigkeit wird durch das Gesetz über Gewerkschaften und Arbeitskämpfe geregelt.

5.4   Zahlreiche isländische Organisationen verfügen über langjährige und solide Verbindungen zu ihren Partnerorganisationen der nördlichen Länder. Diese Verbindungen könnten den isländischen Organisationen dabei behilflich sein, bewährte Verfahren auszutauschen und aus den Erfahrungen ihrer Partnerorganisationen mit dem EU-Beitritt ihrer Länder zu lernen.

5.5   Die öffentliche Anhörung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Island hat jedoch gezeigt, dass sich die anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen - im Vergleich zu den Organisationen der Sozialpartner - vorwiegend mit internen Angelegenheiten befassen. Durch eine engere Zusammenarbeit sollte es möglich sein, sie davon zu überzeugen, ihre Rolle in Island insbesondere im Hinblick auf den Beitrittsprozess unter einem weiteren Blickwinkel zu betrachten, und auch die Organisationen aus der EU sollten von ihren isländischen Partnern lernen können.

5.6   Island wendet das skandinavische Wirtschafts- und Sozialmodell an, das durch einen umfangreichen Wohlfahrtsstaat mit großzügigen Leistungen gekennzeichnet ist. Die Sozialpartner beteiligen sich aktiv am sozialen Dialog, um Informationen auszutauschen und wichtige soziale und wirtschaftliche Probleme zu lösen. Sozialregelungen werden im Allgemeinen eher im Rahmen von Tarifverträgen als durch Rechtsvorschriften festgelegt.

5.7   In Island ist eine ähnliche Entwicklung wie in den skandinavischen Nachbarländern zu verzeichnen, die mit einem Anstieg der öffentlichen Ausgaben einherging. Die Verstädterung und Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur haben zur Entstehung verschiedener Interessengruppen, vor allem von Gewerkschaften, Genossenschaften und Bauernverbänden, geführt. In den Anfangsjahren gab es nur wenige, sehr einflussreiche Interessengruppen, die jedoch je nach Interessenlage enge Verbindungen zu bestimmten politischen Parteien hatten.

5.8   In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm die Anzahl der Gruppen im Zuge der Diversifizierung der Gesellschaft zu. Mit zunehmender Diversifizierung wurden die Verbindungen zwischen politischen Parteien und mächtigen Interessengruppen schwächer, wenngleich auf der Hand liegt, dass in einer kleinen Gesellschaft wie der isländischen die Wege zwischen Zivilgesellschaft und Regierung kurz sind.

5.9   Das isländische Modell ähnelt zwar in vielerlei Hinsicht seinen skandinavischen Entsprechungen, unterscheidet sich jedoch in einigen Aspekten von dem gängigen skandinavischen Modell. In Island gingen die Entwicklungen langsamer vonstatten, und die Sozialausgaben waren von jeher niedriger. Die 1990er Jahre waren von Liberalisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen gekennzeichnet, und als Folge des finanziellen Zusammenbruchs kam es zu erheblichen Kürzungen beim Wohlfahrtssystem. Allerdings wird das Wohlfahrtsmodell in den skandinavischen Ländern von den Parteien auf der linken und auf der rechten Seite des politischen Spektrums generell befürwortet, und das ist auch in Island der Fall, dessen Politik überwiegend von Mitte-Rechts-Koalitionen geprägt wird. Die Sozialpartner spielen im politischen Prozess eine Schlüsselrolle.

5.10   Die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung zeigten, dass die Zivilgesellschaft in Island in der Frage der EU-Mitgliedschaft gespalten ist. Vor allem die Verbände der Fischer und der Bauern sprechen sich gegen eine EU-Mitgliedschaft aus, während andere Organisationen wie der Bund der Arbeitnehmer und der Industrieverband diese befürworten. Viele isländische Organisationen sind in dieser Frage auch neutral. Die Demokratie in Island ist zwar ausgesprochen stark entwickelt, doch die zivilgesellschaftlichen Organisationen im weiteren Sinne sind nur relativ schwach vertreten, so dass die Zivilgesellschaft nicht immer mit einer Stimme spricht.

6.   Die wichtigsten Organisationen und ihre Haltung in der EU-Debatte

6.1   Die Sozialpartner

6.1.1   Der Isländische Gewerkschaftsbund (ASI) ist die stärkste Gewerkschaftsorganisation in Island. Er vertritt Arbeitnehmer im Allgemeinen, Büroangestellte und Beschäftigte im Einzelhandel, Seeleute, Bau- und Industriearbeiter, Beschäftigte der Elektroindustrie und andere Berufsgruppen des privaten Sektors und eines Teils des öffentlichen Sektors, wenngleich die meisten Beschäftigten des öffentlichen Sektors vom Bund der Staatsbediensteten und der Beschäftigten der Gemeindeverwaltungen (BSRB) vertreten werden. Beide Organisationen gehören dem EGB an. In einer dritten zentralen Organisation, dem Akademikerverband (BHM), sind im öffentlichen Sektor und in der Privatwirtschaft beschäftigte Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss organisiert.

6.1.2   Gegenspieler des ASI auf der Unternehmerseite ist der Isländische Arbeitgeberverband (SA) mit acht Mitgliedsorganisationen in verschiedenen Bereichen wie Energie, Tourismus, Finanzen und Fischerei, der auch Mitglied von BusinessEurope ist. Diese beiden Organisationen spielen eine Schlüsselrolle bei der Koordinierung politischer Maßnahmen in den Bereichen Beschäftigung, Soziales, Umweltschutz und Arbeitsmarkt. Eine andere, auf europäischer Ebene aktive und BusinessEurope angehörende Organisation ist der isländische Industrieverband (SI), ein Mitglied von SA.

6.1.3   Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sind in einer Reihe von Ausschüssen und in den Leitungsgremien öffentlicher Einrichtungen vertreten, wo sie die Interessen ihrer jeweiligen Mitglieder bei der Erarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften wahrnehmen, z.B. in der Verwaltung für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz in Island, im Gleichstellungsrat und im Rat für Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus stehen sie bei der Abfassung oder Verlängerung von Tarifverträgen in engem Kontakt zur Regierung. Wenn es um gemeinsame Interessen in den Bereichen Gleichstellung, Arbeitsschutz und Verbreitung von Informationen geht, arbeiten die Sozialpartner eng zusammen.

6.1.4   Die Sozialpartner in Island sind bereits sehr gut in den politischen Entscheidungsprozess in der EU eingebunden. Sie verfolgen aufmerksam das Rechtsetzungsverfahren der Union, da sich die von der EU angenommenen Maßnahmen über das EWR-Abkommen auch auf sie auswirken.

6.1.5   Vertreter von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen in den EFTA-Staaten haben über den Beratenden EWR-Ausschuss (BA-EWR) - der Teil des institutionellen Gefüges des EWR ist - Verbindung zum EWSA. Dieses Forum dient als Bindeglied zwischen den Sozialpartnern in den EFTA-Staaten und den zivilgesellschaftlichen Organisationen in der EU. Anders als der EWSA zählt der Beratende EFTA-Ausschuss (EFTA CC) ausschließlich Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen zu seinen Mitgliedern, was eine gewisse Beschränkung mit sich bringt, da nicht das gesamte Spektrum des zivilen Dialogs abgedeckt ist.

6.1.6   Die Sozialpartner in Island stehen der europäischen Integration im Allgemeinen recht positiv gegenüber, wenngleich sie unterschiedliche Meinungen vertreten. Der Isländische Gewerkschaftsbund (ASI) war ursprünglich bezüglich der Mitgliedschaft im EWR eher skeptisch, revidierte jedoch seine Haltung im Jahr 2000 angesichts der Vorteile, die der EWR für die isländischen Arbeitnehmer bringt. Der ASI befürwortet mittlerweile die Beitrittsverhandlungen und die Einführung des Euro, da er die Auffassung vertritt, dass die Interessen der isländischen Arbeitnehmer und die allgemeine Stabilität der Wirtschaft durch eine vollständige Integration in die EU am besten gewährleistet sind. Er weist jedoch darauf hin, dass bei den Beitrittsverhandlungen der Schwerpunkt auf die Beibehaltung der uneingeschränkten Kontrolle über die ausschließliche Wirtschaftszone Islands in Bezug auf die Fischerei gelegt und die Unterstützung für die isländische Landwirtschaft gewährleistet werden sollte. Der BSRB als Vertreter der im öffentlichen Dienst Beschäftigten hat keinen offiziellen Standpunkt zur EU-Mitgliedschaft formuliert, befürwortet allerdings im Zusammenhang mit den Verhandlungen eine offene Debatte.

6.1.7   Der Arbeitgeberverband (SA) beabsichtigt, die Gespräche über die Mitgliedschaft aus unmittelbarer Nähe zu verfolgen, hat jedoch einen neutralen Standpunkt zur Mitgliedschaft selbst bezogen, da seine Mitgliedsorganisationen in dieser Frage geteilter Meinung sind. Der isländische Industrieverband (SI) z.B. befürwortet die EU-Mitgliedschaft, da die isländische Wirtschaft aufgrund der Währungsschwankungen instabil sei und die Integration in die EU und die Einführung des Euro die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsbedingungen für isländische Unternehmen verbessern würden.

6.2   Fischerei

6.2.1   Die Verbände der Eigentümer von Fischereifahrzeugen (LIU) und der fischverarbeitenden Betriebe lehnen den Beitritt zur EU dagegen vehement ab. Den an der Fischerei interessierten Kreisen widerstrebt es, der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) beizutreten, da dies ausländische Investitionen in diesem Sektor ermöglichen und bedeuten würde, dass die zulässigen Gesamtfangmengen für Islands ausschließliche Wirtschaftszone (200-Meilen-Zone) in Brüssel festgelegt würden. Obwohl Island als Mitgliedstaat in vollem Umfang am Entscheidungsfindungsprozess beteiligt wäre, befürchten die Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, dass Island aufgrund seiner Größe nicht ausreichend Einfluss auf die Entscheidungen auf EU-Ebene nehmen könnte. Darüber hinaus würde Island sein Recht aufgeben, selbst Abkommen mit Drittländern über die Befischung gebietsübergreifender Bestände zu schließen, aus denen 30 % der isländischen Fänge stammen. Nach Ansicht des Verbands LIU sind Rückwürfe und Überfischung ernste Probleme in Europa, während die Fischerei in Island ein rentabler Sektor ist. Zudem gebe es keine Gewähr dafür, dass der Grundsatz der relativen Stabilität in der EU beibehalten wird.

6.2.2   Im August 2010 erklärte jedoch der Vorsitzende des Verbands LIU gegenüber dem isländischen Radiosender RÚV, dass Island die Beitrittsgespräche fortsetzen sollte und dabei für sich die besten Konditionen aushandeln müsse und dass es in dieser Phase keinen Sinn habe, den Beitrittsantrag zurückzuziehen.

6.2.3   Überdies hat Island im Jahr 2006 den kommerziellen Walfang wieder aufgenommen, was nicht mit der EU-Politik im Einklang steht und daher ein heikles Thema ist, das zu einem ernsten Hindernis auf dem Weg zu Islands EU-Mitgliedschaft werden könnte, wenn keine Lösung gefunden wird.

6.2.4   Die GFP wird derzeit überarbeitet und durch die voraussichtlichen Änderungen wahrscheinlich stärker an das isländische Modell angenähert. Allerdings würden die Beitrittsverhandlungen mit Island auf dem derzeitigen Besitzstand beruhen, es gibt daher mehrere potenzielle Konfliktpunkte. Sehr wahrscheinlich wird die Fischerei bei den Beitrittsverhandlungen mit Island das wichtigste Thema sein. Die Fischereilobby hat großen Einfluss auf die Politik und wird voraussichtlich bei der Debatte über den EU-Beitritt eine Schlüsselrolle spielen, denn das Pro-Kopf-Einkommen allein aus der Fischereitätigkeit ist in Island weit höher als in jedem EU-Mitgliedstaat.

6.3   Landwirtschaft

6.3.1   Eine weitere Organisation, die auf eine langjährige politische Beteiligung zurückblicken kann, ist der Bauernverband. Die Landwirte waren in Island von jeher eine starke Macht mit engen Verbindungen zur Regierung, wenngleich ihr Einfluss im Laufe der Jahre mit dem zunehmenden Schrumpfen des Sektors abgenommen hat. So wie LIU verfolgt auch der Bauernverband aufmerksam die Rechtssetzung in der EU. Der Bauernverband ist eine Partnerorganisation der COPA/COCEGA, und daher ist seine Mitwirkung dort in gewisser Weise eingeschränkt. Diese Dachorganisation beschäftigt sich hauptsächlich mit EU-bezogenen Themen.

6.3.2   Der Bauernverband lehnt den EU-Beitritt strikt ab und macht geltend, dass er zum Verlust von zahlreichen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft führen und sich äußerst negativ auf die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit des Landes auswirken würde. Dies wird vor allem damit begründet, dass Island die unbeschränkte Einfuhr von Agrarprodukten aus der EU gestatten müsste, mit denen die isländischen Bauern kaum konkurrieren könnten. Jedoch ist das Lebensmittelrecht der EU (3), das die Lebensmittelsicherheit gewährleistet, ja bereits Bestandteil des EWR-Abkommens und wird Ende 2011 in Kraft treten. Während der Umsetzung des Lebensmittelsicherheitspakets in nationales Recht gelang es dem Bauernverband, die Beibehaltung des Verbots von Frischfleischeinfuhren im isländischen Recht durchzusetzen, auch wenn ein solches Verbot wohl nicht im Einklang mit dem EU-Recht stehen dürfte. Laut Artikel 19 des EWR-Abkommens hat Island auch zollfreien Kontingenten und Vergünstigungen für bestimmte Produkte zugestimmt, was für den Bauernverband ein Problem darstellt.

6.3.3   Die Landwirtschaft wird bei den Beitrittsverhandlungen eine maßgebliche Rolle spielen, und eines der von Island verfolgten Ziele wird in der ausdrücklichen Unterstützung der Milchproduktion, der Schafzucht und anderer traditioneller Agrarsektoren bestehen. Mit einer entsprechenden langfristigen nationalen Unterstützungsregelung, wie sie für nördlich des 62. Breitengrads gelegene Regionen der EU gilt, könnte die Landwirtschaft in diesem schwach besiedelten Raum mit schwierigen klimatischen Verhältnissen unterstützt werden.

6.4   Umwelt

6.4.1   Es gibt in Island einige aktive Umweltgruppen. Die in der EU ansässigen Umweltgruppen beobachten generell aufmerksam die EU-Umweltpolitik, betätigen sich auf europäischer Ebene und sind in Dachverbänden organisiert. Für isländische Umweltschutzgruppen spielte das offenbar jahrelang keine so große Rolle, obwohl einige von ihnen internationalen Verbänden angehören.

6.4.2   Hierfür gibt es eine ganze Reihe möglicher Erklärungen. Erstens befürworten die europäischen Interessengruppen Maßnahmen zur Bekämpfung des Walfangs, weshalb sich isländische Umweltgruppen möglicherweise nicht mit ihren europäischen Partnern verbunden fühlen. Zweitens konzentrieren sich die isländischen Umweltgruppen wie z.B. Landvernd in erster Linie auf das Problem der Bodenerosion und die Erhaltung natürlicher Lebensräume in Island und leisten in diesem Zusammenhang oftmals Widerstand gegen den Bau von Wasserkraftwerken zur Steigerung der Aluminiumproduktion. Wenngleich die EU-Umweltpolitik größtenteils auch Bestandteil des EWR-Abkommen ist, gilt dies nicht für Rechtsvorschriften über die Erhaltung natürlicher Lebensräume. Schließlich hatten Umweltorganisationen in Island auch mit mangelnden Finanzmitteln und Ressourcen zu kämpfen. Vielleicht sind die isländischen Umweltgruppen aus diesen Gründen auf EU-Ebene weniger aktiv als ihre europäischen Partner und haben sich bislang generell nicht sehr rege an der Debatte über den EU-Beitritt beteiligt. Landvernd beispielsweise hat noch nicht offiziell zur EU-Mitgliedschaft Stellung bezogen, geht aber grundsätzlich davon aus, dass die EU-Umweltvorschriften positive Auswirkungen haben. Landvernd ist auch daran interessiert zu klären, welche Rolle die Organisation bei den Beitrittsverhandlungen insbesondere hinsichtlich der weiteren Teilnahme an EU-Programmen wie z.B. dem Umweltrahmenprogramm spielen kann.

6.5   Verbraucherschutz

6.5.1   Der Isländische Verbraucherschutzverband (NS) ist eine 1953 gegründete selbständige, gemeinnützige und regierungsunabhängige Organisation, auf europäischer Ebene aktiv und Mitglied entsprechender Dachorganisationen. Der Verband arbeitet bereits eng mit ECC-Iceland zusammen, das zum Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren gehört. Der Verbraucherverband hat nicht klar für oder gegen einen EU-Beitritt Islands Position bezogen. Er vertritt jedoch seit langem den Standpunkt, dass Island alle Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft prüfen sollte. Seine Vollversammlung im Jahr 2008 empfahl, den Beitritt zu beantragen, um so zu erfahren, was hier eigentlich auf dem Spiel steht, und um die EU-Debatte auf der Grundlage von Fakten und nicht von Vorurteilen voranzubringen. 2008 legte der Verband auch einen Bericht über die Vor- und Nachteile eines EU-Beitritts Islands für die Verbraucher vor. Der Verbraucherverband hat zwar nicht konkret für oder gegen den EU-Beitritt Stellung bezogen oder eine entsprechende politische Strategie formuliert, jedoch stets den Beitrittsantrag als solchen unterstützt und versucht, zur Öffnung der Debatte über die EU beizutragen.

6.6   Sonstige Organisationen

6.6.1   Weitere wichtige Organisationen sind der Behindertenverband, die Handelskammer, die Mitglied von Eurochambers ist, der Verband der Handels- und Dienstleistungsunternehmen, der Eurocommerce angehört, der isländische Handelsverband und verschiedene andere NGO. Diese Organisationen haben bislang noch nicht offiziell zum EU-Beitritt Stellung genommen, werden sich aber wahrscheinlich für oder gegen bestimmte europäische Politiken einsetzen. Ferner gibt es spezielle pro-europäische und anti-europäische Zusammenschlüsse wie Evrópusamtökin („Europa-Verein“) und Heimssýn („Weltsicht“).

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Isländisches Außenministerium, Hintergrundpapier, Konjunkturprogramm Islands, Juni 2010 http://www.mfa.is/media/MFA_pdf/Factsheet--Iceland%27s-Economic-Recovery-Program-June.pdf.

(2)  http://www.mfa.is/media/MFA_pdf/Factsheet--Iceland%27s-Economic-Recovery-Program-June.pdf.

(3)  Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit sowie damit zusammenhängende Rechtsakte.


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke“

(Initiativstellungnahme)

(2011/C 54/03)

Hauptberichterstatter: Antonello PEZZINI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Oktober 2010, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke“.

Am 20. Oktober 2010 beauftragte das Präsidium die Beratende Kommission für den industriellen Wandel mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember (Sitzung vom 8. Dezember) Antonello PEZZINI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 158 gegen 8 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Nach Auffassung des EWSA ist ein Maßnahmenpaket erforderlich, um einen starken Anstoß für ein nachhaltiges Energiemodell zu geben und einen klaren und soliden Referenzrahmen für den Energiesektor festzulegen, u.a. mit einer energiepolitischen Planung, die der Versorgungssicherheit sowie der Wahrung der sozialen, territorialen und ökologischen Belange und der Einhaltung des Fahrplans 2020 – 2050 Rechnung trägt.

1.2   Der Ausschuss empfiehlt, die derzeit geltende Verordnung für den Steinkohlenbergbau (Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 vom 23. Juli 2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlebergbau) für einen Zeitraum, der dem der auslaufenden Vorschrift entspricht, zu verlängern, ohne dass dem EU-Haushalt dadurch zusätzliche Belastungen entstehen und ohne dass Bergwerkstilllegungen zwingend zur Auflage gemacht werden; jedoch ist die Möglichkeit vorzusehen, Beihilfen für Investitionen und für saubere Kohletechnologien („clean coal“ - CC) sowie die Qualifizierung von Personal im Bereich strategische Rohstoffe zu gewähren. Der Ausschuss fordert nachdrücklich die Änderung des Kommissionsvorschlags zwecks Erleichterung wettbewerbsorientierter Umstrukturierungen von Steinkohlebergwerken sowie die Konsolidierung einer strategischen Reserve der EU.

1.3   Der EWSA dringt auf eine Halbzeitüberprüfung der Wettbewerbsfähigkeit der sauberen Kohletechnologien in Bezug auf: den Grad der Wettbewerbsfähigkeit anderer heimischer Energieressourcen bis 2020, die Beihilfen für andere heimische Energieressourcen und zur Stützung der Kohle auf den globalen Märkten, die Preisschwankungen bei den fossilen Brennstoffen auf dem Weltmarkt, den Mehrwert der Energieversorgungssicherheit heimischer strategischer Ressourcen für Europa sowie außerdem die Kosten für die Umrüstung von Kohlekraftwerden und die Sanierung stillgelegter Bergwerke.

1.4   Eine derartige Überprüfung muss nach Auffassung des Ausschusses im Jahr 2014 unter strenger Einhaltung der Bestimmungen des Vertrags von Lissabon über die neue Energiepolitik der Union (Artikel 194) und im Einklang mit der europäischen Strategie für die Energieversorgungssicherheit und den Zugang zu den Ressourcen sowie mit den anderen Politiken der Union - insbesondere mit der Industrie-, Handels- und FuE-Politik - erfolgen.

1.5   Der EWSA dringt darauf, dass dem EP, dem Rat und ihm selbst 2015 ein Halbzeitbericht über die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Steinkohlenbergbaus vorgelegt wird. Dieser Bericht muss über die besonderen Umstände der gegenwärtigen Krise hinausweisen und – ausgehend von den vorgenannten Parametern zur Definition der Charakteristika der Branche - ihre strategischen, wirtschaftlichen, technologischen, sozialen und ökologischen Fortschritte aufzeigen. Außerdem sollte dieser Bericht auf die Fortschritte bei der Verringerung der Abhängigkeit von Energieeinfuhren eingehen.

1.6   Der EWSA erinnert daran, dass die EU bei der Erforschung und Entwicklung von sauberen Energietechnologien führend ist. Dies betrifft insbesondere die Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, die sauberen Kohletechnologien, die kohlebasierte Polygeneration sowie die Stromerzeugung für integrierte extrem emissionsarme Lösungen (1), die Bestandteil des 7. FTE-Rahmenprogramms 2007-2013 der Europäischen Union sind.

1.7   Der EWSA unterstreicht, dass es auf dem europäischen Markt keine Probleme mit Wettbewerbsverzerrungen gibt, da den Ausführungen der Kommission zufolge im Kohlesektor kein erheblicher innergemeinschaftlicher Handel zu verzeichnen ist, auch weil die technischen Anlagen der Kraftwerke für spezielle Arten von Referenzkohle kalibriert sind.

1.8   Der EWSA unterstreicht, dass die Aussagen der Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau zutreffender denn je sind, insbesondere in folgenden Punkten:

„Die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen der Steinkohle aus der Gemeinschaft und der Importkohle haben dem Steinkohlenbergbau in den letzten Jahrzehnten bedeutende Umstrukturierungsmaßnahmen und Abbaureduzierungen abverlangt;

die Gemeinschaft ist bei der Versorgung mit Primärenergieträgern immer stärker von Einfuhren abhängig geworden;

die weltpolitische Lage verleiht der Bewertung der geopolitischen Risiken und der Sicherheitsrisiken im Energiebereich eine völlig neue Dimension und erweitert die Bedeutung des Konzepts der Versorgungssicherheit.“

1.9   Aus diesen Gründen und wegen der strategischen Bedeutung der Energieressourcen empfiehlt der EWSA einen wirksamen Übergang zu einem neuen, nachhaltigen Energiemodell für Europa mit einem diversifizierten Energiemix, bei dem sämtliche Energieträger unter Nutzung von Technologien zur Verringerung des Schadstoffausstoßes sowie mit glaubwürdigen Zeitplänen für die Umsetzung berücksichtigt werden, wobei Elemente zur Verringerung der Abhängigkeit von externen Ressourcen aufzunehmen und beizubehalten sind.

1.10   Der Ausschuss unterstreicht, dass zur Förderung der Energieeffizienz, zur Eindämmung des Klimawandels sowie zur Verringerung des Ausstoßes von CO2 und anderen Schadstoffen ein demokratischer und partizipativer Konsens herbeigeführt werden muss. Er fordert daher mit Nachdruck, den sektoralen sozialen Dialog im Steinkohlenbergbau im Rahmen der EU-Politik für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt für die kohleproduzierenden Regionen zu stärken und besser zu strukturieren. Für diese Regionen würde die Einstellung der Produktion in der derzeitigen weltweiten Krise den Verlust von mehr als 300 000 Arbeitsplätzen in Gebieten mit einer sehr spezifischen Struktur bedeuten.

2.   Einleitung

2.1   In der EU werden zurzeit ungefähr 288 Mio. Tonnen Kohleneinheiten (Mill. t SKE) produziert (2), von denen 122 Mio. Tonnen auf Steinkohle entfallen. Kohle wird normalerweise entweder zur Strom-, Wärme- oder Stahlerzeugung und für andere industrielle Verfahren verwendet. Polen und Deutschland sind die größten Kohleerzeuger in der EU.

2.2   Von den zehn Steinkohle produzierenden Mitgliedstaaten gewähren sechs zumindest irgendeine Form der staatlichen Beihilfe: in der Hauptsache Deutschland und Spanien, in geringerem Maße auch Ungarn, Polen, Rumänien und die Slowakei (Slowenien gewährt auch für bereits stillgelegte Bergwerke eine Beihilfe).

2.3   Der 1951 geschlossene Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl enthielt hinsichtlich der Zulässigkeit der Gewährung von Beihilfen der Mitgliedstaaten an Unternehmen des Kohlebergbaus und der Stahlindustrie eine eindeutige Regelung: „Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags aufgehoben und untersagt: […] c. von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen […], in welcher Form dies auch immer geschieht.“ Dieses Verbot jeglicher einzelstaatlicher Unterstützung von Unternehmen in Artikel 4 Buchstabe c war eine logische Folge der Abschaffung aller nationalen Schutzmaßnahmen innerhalb des gemeinsamen Marktes.

2.4   Schon bald nach Errichtung des gemeinsamen Marktes stellte sich jedoch heraus, dass die europäische Energieversorgung nicht gesichert war. Als Grundlage für die Zulassung bestimmter gemeinschaftlicher Beihilfen diente daher Artikel 95, die Klausel für beim Abschluss des EGKS-Vertrages nicht vorhergesehene Fälle. Sie erlaubte ein Eingreifen der Gemeinschaft, wenn dies zur Erreichung eines oder mehrerer Ziel des Vertrages erforderlich war.

2.5   Mit dem Auslaufen des EGKS-Vertrags erließ der Rat am 23. Juli 2002 die Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau, deren Geltungsdauer am 31. Dezember 2010 endet. Zwischen 2003 und 2008 wurden über 26 Mrd. EUR an Beihilfen für diesen Sektor genehmigt.

2.6   Der Ausschuss gab zu dieser Beihilferegelung eine Stellungnahme (3) ab, in der er sich der Einschätzung des Beratenden Ausschusses der EGKS anschloss, dass eine Regelung, die auf die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit und auf einen festen Primärenergiesockel zielt, nicht gleichzeitig „kontinuierlichen Abbau“ aller Kohlebeihilfen verlangen kann.

2.7   Der Ausschuss begrüßte die Tatsache, dass „die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten sollen, eine stabile Mindestförderung an heimischer Steinkohle anzustreben, die den Zugang zu den wesentlichen Lagerstätten ermöglicht“. Dies schloss die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Infrastruktur, eine deutliche Schwerpunktsetzung und konkrete Maßnahmen in dem sensiblen Bereich der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, solide fachliche Qualifikationen und das technische Know-how mit ein.

2.8   Der Ausschuss unterstreicht daher, dass in diesem Sektor im Rahmen der heimischen strategischen Rohstoffe ein aktiver Beitrag dazu geleistet werden muss, die Attraktivität Europas in puncto Investitionen und Arbeitsplätze zu steigern, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie den sozialen Zusammenhalt zu stärken, mehr Interesse an Forschung und Innovation zu wecken und schließlich die Schaffung und Verbreitung von neuem Wissen und die Aus- und Fortbildung von Arbeitnehmern zu fördern (4).

2.9   Der Ausschuss hat desgleichen darauf hingewiesen, dass „die Kommission sich auf die Überprüfung derjenigen staatlichen Beihilfen konzentrieren [sollte], die für den Handel von beträchtlicher Bedeutung sind; sie sollte ihre Ressourcen nicht auf die Untersuchung einer Vielzahl von Fällen von vorwiegend lokalem Interesse verschwenden und deshalb die Bedeutung und Interpretation des Begriffs ‚local concern‘ klarstellen“ (5).

2.10   Darüber hinaus hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass „die fossilen Brennstoffe Kohle (6), Erdöl und Erdgas […] gegenwärtig das Rückgrat der europäischen und der globalen Energieversorgung [bilden]. Sie werden diese Bedeutung auch in den nächsten Jahrzehnten nicht verlieren und bleiben daher unverzichtbar“ (7).

2.11   „Auch ein stärkerer Rückgriff auf die beachtlichen europäischen Kohlevorkommen kann diese Abhängigkeit mildern. […] Bei Kohle sind von dem auf 3 400 Mrd. Tonnen Öleinheiten geschätzten Gesamtpotenzial bisher erst etwa 3 % gefördert. […] Die vermutete Reichweite der weltweiten Ressourcen und Reserven an Kohle, Öl und Gas ist von mehreren Faktoren abhängig (Wirtschaftswachstum, Exploration, technische Entwicklung). Sie erstreckt sich noch über viele Dekaden (bei Kohle vielleicht sogar Jahrhunderte) …“ (7).

2.12   Den Prognosen der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) (8) für den Zeitraum 2030-2050 zufolge wird Kohle auch im 21. Jahrhundert weiterhin eine wichtige Rolle bei der Deckung des Energiebedarfs spielen. Die Tatsache, dass der Eindämmung der Treibhausgasemissionen zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wird, bedeutet umfangreiche Investitionen in die Erforschung und Entwicklung von sauberen Kohletechnologien und immer wirksameren Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Global gesehen wird die Kohle auch weiterhin eine wichtige Energiequelle bleiben, immerhin deckt sie mehr als 20 % des weltweiten Energiebedarfs.

2.13   Wie vom Ausschuss bereits zu einem früheren Zeitpunkt hervorgehoben (9), wird „nach anfänglichem Rückgang […] ab etwa 2015 ein Wiederanstieg des Kohleverbrauchs erwartet - als Folge der dann verbesserten Wettbewerbssituation dieses Energieträgers in der Stromerzeugung. Steigende Erdgaspreise und die erwartete Einsatzreife fortschrittlicher Kohleverstromungs-Technologien sind die Hauptgründe dieser Entwicklung“.

2.14   China, die USA, Indien, Australien und Russland sind weltweit die führenden Produzenten: auf China entfallen 2 761 Mio. Tonnen pro Jahr (47 % der Weltproduktion), auf die USA 1 006 Mio. Tonnen (17 %) und auf Russland 247 Mio. Tonnen (4 %). Die EU importiert jährlich 180 Mio. Tonnen Steinkohle, hauptsächlich aus Russland (30 %), Kolumbien (17,8 %), Südafrika (15,9 %) und den USA (12,8 %) (10).

3.   Der Vorschlag

3.1   Da die Geltungsdauer der Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 des Rates vom 23. Juli 2002 über staatliche Beihilfen für den Steinkohlebergbau demnächst endet, wurden von der Kommission kürzlich folgende sechs Optionen unterbreitet:

Option 1: kein neues sektorspezifisches Rechtsinstrument nach dem Außerkrafttreten der Kohleverordnung; nur die allgemeinen Beihilfevorschriften würden gelten;

Option 2: der Erlass von Leitlinien auf der Grundlage von Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV, ähnlich jenen für den Schiffbau und die Stahlindustrie (Beihilfen für von dem Bergbauunternehmen zu leistende Abfindungszahlungen an stilllegungsbedingt entlassene oder in den Vorruhestand versetzte Arbeitnehmer sowie Beihilfen zur Deckung der Kosten der Beratung dieser Arbeitnehmer und ihrer beruflichen Umschulung sowie für die Sanierung der Produktionsstandorte);

Option 3: eine Verordnung zur Genehmigung zeitlich befristeter Betriebsbeihilfen (Stilllegungsbeihilfen) und degressiver Betriebsbeihilfen sofern dies im Rahmen eines präzisen Stilllegungsplans mit einem systematischen Rückbau der Bergwerke und Anlagen einhergeht;

Option 4: eine Verordnung zur Genehmigung von Beihilfen zur Deckung von mit Bergwerksstilllegungen verbundenen außergewöhnlichen Kosten (soziale Altlasten und Umweltaltlasten);

Option 5: eine Verordnung auf der Grundlage von Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe e AEUV zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, sowohl eine Stilllegungsbeihilfe als auch eine Beihilfe zur Deckung außergewöhnlicher Kosten zu gewähren; oder

Option 6: Verlängerung der gegenwärtigen Kohleverordnung um weitere 10 Jahre, also bis Ende 2020, ohne die Notwendigkeit von Bergwerkstilllegungen und mit der Möglichkeit zur Gewährung von Investitionsbeihilfen.

3.2   Die Kommission hat beschlossen, eine neue Verordnung des Rates auf Grundlage von Option 5 vorzuschlagen, einschließlich eines zusätzlichen Instruments für die Mitgliedstaaten, um die sozialen und regionalen Folgen von Bergwerkstilllegungen abzufedern und den sozialen Zusammenhalt der europäischen Regionen zu fördern.

Zusätzlich zu den Möglichkeiten, die die allgemeinen Beihilfevorschriften vorsehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken, die Bereitschaft für Forschung und Innovation zu stimulieren sowie schließlich die Gewinnung und Verbreitung neuen Wissens und die Ausbildung der Arbeitskräfte zu fördern, könnten nach dem Vorschlag der Kommission zwei Arten von Beihilfen für die Steinkohleindustrie für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden: Stilllegungsbeihilfen und Beihilfen für außergewöhnliche Kosten.

3.3.1   Insbesondere für die Gewährung von Betriebsbeihilfen an Kohlebergwerke sollen die folgenden Bedingungen gelten:

Für die endgültige Stilllegung bis zum 1. Oktober 2014 des nicht wettbewerbsfähigen Kohlebergwerks (das am 31. Dezember 2009 noch in Betrieb gewesen sein muss) ist ein detaillierter Plan auszuarbeiten;

die Beihilfe muss mit der Zeit stark zurückgefahren werden: nach jeweils 15 Monaten wird die Beihilfe um 33 % gekürzt;

wird das Bergwerk nicht bis zu dem festgesetzten Zeitpunkt stillgelegt, ist die gesamte bis dahin gewährte Beihilfe zurückzuzahlen; und

die Mitgliedstaaten müssen einen nationalen Plan zur Ergreifung von Maßnahmen vorlegen, die darauf abzielen, die Umweltauswirkungen der Kohlenutzung einzudämmen.

3.3.2   Beihilfen für außergewöhnliche Kosten dienen zur Deckung von Kosten, die durch die außergewöhnliche Umstrukturierung oder die Stilllegung des Bergwerks entstanden sind und nicht unmittelbar mit der laufenden Produktion zusammenhängen. Ferner dienen sie zur Deckung von Kosten in Verbindung mit sozialen Härtefällen und ökologischen Altlasten, die ausschließlich aufgrund der Stilllegung von Kohlebergwerken anfallen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der EWSA bemängelt, dass er nicht vom Rat angehört wurde, insbesondere angesichts der Befugnisse der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel (CCMI), die als ständiges Arbeitsorgan im EWSA eingerichtet wurde und die Aufgaben des Beratenden Ausschusses der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) übernommen hat.

4.2   Der EWSA macht zunächst sein Recht geltend, eine Stellungnahme zu einem Thema abzugeben, das, wie bereits vom Beratenden Ausschuss der EGKS mit Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 betont wurde, mit Blick auf den industriellen Wandel in der EU von großer Bedeutung ist, und weist darauf hin, dass eine Regelung, die auf die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit und einen festen Primärenergiesockel zielt, „nicht gleichzeitig ‚kontinuierlichen Abbau‘ aller Kohlebeihilfen verlangen kann“.

4.3   Der EWSA stellt fest, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung am 19./20. März 2009 die am 13. November 2008 von der Kommission vorgelegte Zweite Überprüfung der Energiestrategie unterstützt hat, in der die Notwendigkeit einer „optimale[n] Nutzung eigener Energieressourcen der EU“ und einer optimalen Nutzung „ihre[r] eigenen Energieressourcen, einschließlich der erneuerbaren Energien und der fossilen Brennstoffe und - in den Ländern, die sich dafür entscheiden - der Kernenergie“ hervorgehoben wurde.

4.4   Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die Ziele des Sechsten Umweltaktionsprogramms 2002-2012 unter anderem die „Förderung erneuerbarer und kohlenstoffärmerer fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung“ umfassen und dass Artikel 1 der gegenwärtigen Verordnung über Beihilfen für Kohle die „- als Vorbeugungsmaßnahme - notwendige Beibehaltung eines Mindestumfangs an heimischer Steinkohleproduktion“ vorsieht, „damit der Zugang zu den Vorkommen gewährleistet ist“.

4.5   Außerdem weist der EWSA darauf hin, dass auch in Studien, die das Institut für Energie der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) in Petten auf Gemeinschaftsebene durchgeführt hat, festgestellt wird, dass Steinkohle auch im gesamten 21. Jahrhundert weiterhin eine wichtige Rolle bei der Deckung des Energiebedarfs spielen wird.

4.6   Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen, soweit sie innerhalb eines gemeinsamen Bezugsrahmens der Erfordernis einer wettbewerbsorientierten Entwicklung der Branchenbetriebe entsprechen und nicht allein einem nicht wettbewerbsbezogenen Ansatz (11) folgen, um:

ein hinreichendes Maß an heimischen Energieressourcen aufrechtzuerhalten und so zur Versorgungssicherheit beizutragen und die Energieabhängigkeit zu vermindern;

Europas führende Rolle bei intelligenten Gewinnungstechniken und „sauberer Kohle“ sowie Umwelttechnologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) zu halten: die umfassendere Nutzung von Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung wird erst nach 2020 möglich sein und auch dann nur, sofern die erforderliche Forschung und Entwicklung rechtzeitig erfolgreich abgeschlossen wurde;

in Bezug auf Investitionen in Forschung, Innovation und Umstrukturierungen auf Marktversagen zu reagieren und so zu bewirken, dass europäische Kohleunternehmen Technologien des Neuen Marktes kostengünstiger erwerben können und wettbewerbsfähig werden;

durch die Schaffung von gebietsbezogenem Wohlstand und gebietsbezogenen Arbeitsplätzen in Verbindung mit der Entwicklung von Regionen, in denen Bergbau und Förderung sowie damit verbundene Industriezweige die dominierenden oder einzigen Industrien sind, sozial- und umweltpolitische Ziele zu erreichen;

auf die Branche den Begriff „local concern“ anzuwenden, angesichts der Tatsache, dass der innergemeinschaftliche Handel sich nur geringfügig oder überhaupt nicht auf die Branche auswirkt und er den Handel daher nicht erheblich beeinträchtigt, sowie angesichts der Tatsache, dass die gegenwärtige Beihilferegelung keine erheblichen Handelsverzerrungen bewirkt hat;

die Modernisierung von Kraftwerken zu ermöglichen und die Einhaltung nationaler (12) branchenspezifischer Umstrukturierungszeiträume und -verfahren zu gewährleisten und Netzwerke zwischen Bergbaubezirken und Kompetenzzentren für Bergbau und die Nutzung von mineralischen Bodenschätzen sowie Netzwerke zur Schulung hochqualifizierter Führungskräfte zu unterstützen;

das Konzept eines Minimums an strategischen heimischen Kohlereserven zu wahren und so der Verpflichtung des öffentlichen Sektors zur Erbringung von Grundversorgungsdiensten zur Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit gemäß Artikel 106 AEUV (ex-Artikel 86 EUV) nachzukommen;

den Arbeitern und Fachkräften wettbewerbsunfähiger Bergwerke Beratungs-, Ausbildungs- und Umschulungsdienste anzubieten und der Branche sowie damit verbundenen Industriezweigen Vorruhestandsbeihilfen zu gewähren;

den brancheninternen europaweiten sozialen Dialog der Bergbauindustrie auszubauen und zu fördern und technische netzwerkbasierte Foren, wie das Berliner Forum für fossile Brennstoffe, zu organisieren;

die Verbreitung und den Austausch bewährter Praktiken, insbesondere aus technischer und ökologischer Sicht, zu fördern und so sowohl die innovative Kohleproduktion als auch ihre Anwendungen wettbewerbsfähig und nachhaltig zu machen und in Fällen, in denen diese Verfahren nicht umsetzbar sind, die Umstrukturierung, Diversifizierung und Schließung (sowie Sanierung (13) der Standorte) zu veranlassen.

4.7   Der EWSA ist der Ansicht, dass der von der Kommission festgelegte Zeitrahmen zu kurz ist und nicht dem Entwicklungsbedarf der Branche entspricht: der Zeitraum 2011-2018 wäre angemessener - vergleichbar mit dem Zeitraum 2002-2010 - um festzustellen, ob die Betriebe der Branche angesichts der technologischen Entwicklungen des Marktes betreffend kostengünstiger CO2-Abscheidung und -Speicherung, sauberer Kohle und Abbauverfahren wettbewerbsfähig sind.

4.8   Desgleichen ist der EWSA der Ansicht, dass die Degressivität zu hoch angesetzt und auf Zeitrahmen ausgerichtet ist, die zu kurz sind, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und in das Abbaugebiet, saubere Kohle und die CO2-Abscheidung und -Speicherung zu investieren. Zudem sollte die Beihilfe Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen, belohnen statt bestrafen (wie dies die Kommission vorschlägt).

4.9   Hinsichtlich der unausgewogenen Wettbewerbsbedingungen zwischen einem importierten und einem heimischen Produkt sollten möglicherweise zunächst die Beihilferegelungen der exportierenden Länder genauer und auf transparentere Weise geprüft werden, bevor man fordert, die Gemeinschaftsregelung zu beschränken. Nach Auffassung des EWSA müsste außerdem bei der Unterzeichnung von Abkommen mit Drittländern aufmerksamer und konsequenter auf die Festschreibung angemessener ILO-Sozialnormen geachtet werden, um die Ausbeutung der Bergarbeiter zu verhindern und optimale Bedingungen für ihren Schutz vor den häufig tödlich verlaufenden Unfällen in den weltgrößten Bergwerken zu gewährleisten.

4.10   Abschließend ist es nach Ansicht des EWSA für die Zukunft des Kohlebergbaus und die Stromerzeugungsbranche unerlässlich, europäischen Unternehmen und den Mitgliedstaaten einen eindeutigen proaktiven Rahmen zu geben, sowohl für horizontale Beihilfen, die für soziale und ökologische Zwecke gewährt werden, als auch zum Zwecke von FTE, Innovation, Ausbildung und beruflicher Qualifizierung in der Branche.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe ZEP – Zero Emissions Platform, Europäische Technologieplattform für das mit fossilen Brennstoffen betriebene emissionsfreie Kraftwerk (ETP-ZEP) – Aktionsplan für die Umsetzung 2010–2012 (www.zeroemissionsplatform.eu/ccs-technology/capture.html - / Konferenz des belgischen Ratsvorsitzes zum Europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) 2010, 15./16. November 2010, Europäische Technologieplattform für das mit fossilen Brennstoffen betriebene emissionsfreie Kraftwerk (ETP-ZEP), http//setis.ec.europa.eu/technologies/Zero-emission-fossil.

(2)  Im Rahmen dieser Stellungnahme handelt es sich dabei um „Steinkohle“ oder „Kohle“ gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1407/2002 – Anthrazit, Braunkohle, Steinkohle.

(3)  ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 49.

(4)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 1.

(5)  Siehe Fußnote 2.

(6)  Anthrazit, Braun- und Steinkohle.

(7)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 5.

(8)  Coal of the future (supply prospects for thermal coal by 2030-2050) Generaldirektion Gemeinsame Forschungsstelle (GD JRC) Institut für Energie, Petten (Niederlande), Februar 2007.

(9)  Siehe Fußnote 9.

(10)  Die USA spielen bei der Finanzierung von Kohlekraftwerken eine aktive Rolle - sowohl im In- als auch im Ausland. Dies steht im Widerspruch zu Präsident Obamas Zusicherung gegenüber den G-20, Subventionen für fossile Brennstoffe stufenweise abzuschaffen.

(11)  Wie in sämtlichen energiepolitischen Dokumenten der Kommission – vom Europäischer Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) bis hin zur Energiestrategie 2011-2020 – ausgeführt wird, müssen in diesem Zusammenhang verschiedene Parameter berücksichtigt werden, wie z.B. der Grad der Wettbewerbsfähigkeit anderer heimischer Energieressourcen bis 2020, die Beihilfen für andere heimische Energieressourcen und zur Stützung der Kohle auf den globalen Märkten, die Preisschwankungen bei den fossilen Brennstoffen auf dem Weltmarkt, der Mehrwert der Energieversorgungssicherheit heimischer strategischer Ressourcen für Europa, insbesondere im Fall internationaler Spannungen und Krisen, sowie außerdem die Kosten für die Umrüstung von Kohlekraftwerden und den Rückbau stillgelegter Bergwerke.

(12)  Etwa die deutsche Steinkohleförderung bis 2018.

(13)  Rückbau.


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie der EU“

(Initiativstellungnahme)

(2011/C 54/04)

Berichterstatter: Armands KRAUZE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 18. Februar 2010 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie der Europäischen Union“

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember (Sitzung vom 9. Dezember) mit 133 gegen 3 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln sollte auch weiterhin ein Hauptziel der EU-Agrarpolitik sein. Angesichts der großen Herausforderungen und Unwägbarkeiten hinsichtlich der globalen Ernährungssicherheit muss die Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2013 weiterhin gewährleistet werden.

1.2   Eine nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung und gut funktionierende Agrarmärkte bilden die Grundlage für die Ernährungssicherheit in der EU. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Zukunft benötigt wirkungsvolle Marktlenkungsmechanismen, um das Funktionieren der landwirtschaftlichen Märkte und die Preisstabilität sicherzustellen. Die Regeln für den Handel mit Agrarerzeugnissen sollen die Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft in allen Ländern und Situationen sicherstellen.

1.3   Um sämtlichen künftigen Herausforderungen begegnen und die Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie in allen Mitgliedstaaten gewährleisten zu können, braucht die EU eine starke GAP. Die GAP sollte auch in Zukunft eine Schlüsselpolitik der EU bleiben und benötigt dafür eine angemessene Mittelausstattung.

1.4   Der Schlüssel zur Ernährungssicherheit ist die nachhaltige örtliche Lebensmittelerzeugung weltweit. In der Europäischen Union sollte die diversifizierte landwirtschaftliche Erzeugung beibehalten und EU-weit gefördert werden. Entlegene Regionen und besonders benachteiligte Gebiete sollten stärker berücksichtigt werden.

1.5   Die Europäische Union muss stärker als bisher auf systematische Vorbereitungsmaßnahmen für die Ernährungssicherheit setzen, um die landwirtschaftliche Erzeugung und die Funktionsfähigkeit der gesamten Lebensmittelindustrie, auch in verschiedenen Not- und Ausnahmesituationen, gewährleisten zu können. Praktische Maßnahmen (Lagerhaltung, landwirtschaftliche Infrastruktur, Schulung usw.) sollten jedoch Aufgabe der Mitgliedstaaten bleiben. Die Schaffung neuer EU-Rechtsvorschriften zur Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie ist derzeit nicht erforderlich.

1.6   Die Mitgliedstaaten können die Politik der Entwicklung des ländlichen Raums als Instrument zur Förderung von Maßnahmen zur Unterstützung und Verbesserung der Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie einsetzen. Die Mitgliedstaaten sollten diese Möglichkeit im Rahmen ihrer Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums nutzen.

1.7   Die Landwirtschaft könnte wesentlich zu einer sicheren und nachhaltigen Energieversorgung in der EU beitragen und die Abhängigkeit der EU von importierten fossilen Brennstoffen reduzieren. Auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe kann Energie aus eigener Erzeugung einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Um die Nutzung von Bioenergie in landwirtschaftlichen Betrieben zu fördern, sollten Bioenergietechnologien weiter entwickelt werden. Bioenergie sollte nachhaltig gewonnen werden und es sollte stärker darauf geachtet werden, dass die Nebenprodukte der Landwirtschaft und der Lebensmittelerzeugung besser genutzt werden, um Umweltverschmutzung und CO2-Emissionen zu reduzieren.

2.   Einleitung

2.1   Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie bedeutet, dass für die Verfügbarkeit erschwinglicher Nahrungsmittel gesorgt und der Hunger beseitigt wird. In der EU werden dank der GAP die meisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse in ausreichender Menge erzeugt, um die Bürger in der EU zu versorgen. Ernährungssicherheit als öffentliches Gut wird nicht über den Markt honoriert, jedoch durch die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie als Leistung zum Wohl der Gesellschaft erbracht. Sie wird ein Kernziel der GAP nach 2013 (1) sein.

2.2   Die Ernährungssicherheit wird die zentrale Herausforderung der kommenden Jahrzehnte für die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie sein. Infolge von Lebensmittel- und Wirtschaftskrisen leiden weltweit mehr als eine Milliarde Menschen Hunger.

2.3   Zur Ernährungssicherheit gehört zum einen die für ein gesundes Leben ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und zum anderen deren Unbedenklichkeit und Sicherheit. Es handelt sich um ein kompliziertes Thema, in das zahlreiche andere Faktoren wie Ölproduktion, Logistik usw. hineinspielen. Kommt es in wichtigen Anbaugebieten aufgrund unerwarteter Krisen zu logistischen oder produktionstechnischen Problemen, erschwert sich für Millionen Menschen, insbesondere für die Stadtbevölkerung, die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Das Fundament der globalen Ernährungssicherheit ist eine nachhaltige örtliche Lebensmittelerzeugung (2).

3.   Eine Herausforderung für die globale Nahrungsmittelproduktion

3.1   Laut Prognosen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf beinahe 9,5 Mrd. Menschen anwachsen, für deren Ernährung die derzeitige weltweite Nahrungsmittelerzeugung verdoppelt werden muss. Besonders in den Städten der Entwicklungsländer findet ein rasantes Bevölkerungswachstum statt. Die Landwirte werden großen Erwartungen und einem hohen Druck ausgesetzt sein, intensiver Landwirtschaft zu betreiben. Die Produktivität der Landwirtschaft muss gesteigert werden, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Der stärkeren Erschließung von Anbauflächen stehen aber andere Verwendungszwecke im Wege, und ohnehin herrscht Mangel an geeigneten Anbauflächen.

3.2   Überall muss stärker in die Landwirtschaft investiert werden, vor allem aber in den Entwicklungsländern, wo das Potenzial für Produktionssteigerungen bei Weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Außerdem müssen die Entwicklungsländer ihre ländlichen Infrastrukturen, den Zugang zu einem modernen Produktionsumfeld, die nachhaltige Bodenbewirtschaftung und insbesondere den Zugang zu Wasser, ihre Bildungssysteme sowie das Funktionieren ihrer Agrarmärkte verbessern. Die langfristig zentrale Frage für die Ernährungssicherheit in den Entwicklungsländern ist jedoch die Verfügbarkeit und der Zugang zu Nahrungsmitteln. Die allgemeine Entwicklung und die Anhebung der Einkommensniveaus in den ärmsten Ländern sind das wirkungsvollste Mittel zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit. Der Landwirtschaft kommt eine besonders wichtige Rolle bei der Gewährleistung der Ernährungssicherheit zu - allerdings kann sie diese nicht alleine sichern (3).

3.3   In der Abschlusserklärung des FAO-Ernährungsgipfels 2009 wird die Verantwortung für die Nahrungsmittelerzeugung den einzelnen Ländern zugewiesen.

3.4   Nahrungsmittel- und Wirtschaftskrisen sowie die wechselnde Weltlage haben heute zu der Erkenntnis geführt, dass alle Länder und Gebiete, darunter auch die weniger begünstigten, das Recht und sogar die Pflicht zu einer eigenen Nahrungsmittelerzeugung haben. Es müssen mehr Nahrungsmittel erzeugt werden als heute, und zwar auf eine nachhaltigere Weise.

3.5   Neben der wachsenden Weltbevölkerung sind der Klimawandel und die begrenzten natürlichen Ressourcen eine zentrale Herausforderung für die Ernährungssicherheit. Der Klimawandel könnte insbesondere in den Entwicklungsländern, von denen einige besonders schlecht für die Anpassung an seine Auswirkungen gerüstet sind, einen entscheidenden Einfluss auf das Nahrungsmittelangebot haben. Die Landwirtschaft muss danach streben, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern. Gleichzeitig kann die Landwirtschaft aber in Bezug auf die Emissionen ein Teil der Lösung sein, da über sie auch Kohlenstoff im Erdreich gebunden wird. Die Landwirtschaft wird effizienter und zugleich mit weniger Emissionen produzieren müssen. Sie muss das Ihrige zur Verbesserung der Luft- und Wasserqualität, zur Bewahrung der Artenvielfalt sowie zur Verhinderung der Erosion beitragen. Weitere zentrale Herausforderungen für die Ernährungssicherheit sind das ausreichende Vorhandensein von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen und Süßwasser.

3.6   Innovationen in der Landwirtschaft sind ausschlaggebend für Antworten auf die Fragen Ernährungssicherheit und Klimawandel. Von zentraler Bedeutung sind Innovationen in der Tier- und Pflanzenzucht, in der Bewässerungstechnik, im Umgang mit Überflutungen sowie hinsichtlich der Resistenz gegenüber Hitze und Kälte, Diversifizierung der traditionellen Anbaumethoden usw. Eine Lösung für die Probleme der Zukunft könnten effizientere Pflanzenzuchtverfahren sein, mit deren Hilfe die landwirtschaftliche Produktivität erheblich gesteigert werden könnte.

4.   Der Begriff der Versorgungssicherheit

4.1   Die Ernährungssicherheit ist für alle Völker auf der Welt in höchstem Maße eine strategische Frage. Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln ist Teil eines weiter gefassten Sicherheitskonzepts. Probleme im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln führen schnell zu gesellschaftlicher Instabilität und zum Chaos. Die Gewährleistung der Nahrungsmittelversorgung, auch in Krisen- und Ausnahmesituationen, ist die Pflicht der Gesellschaft.

4.2   In einer modernen, vernetzten Wirtschaft hängt die Ernährungssicherheit von vielen Faktoren ab. Ernährungssicherheit erfordert eine stabile Energieversorgung (Öl und Elektrizität), IT, effiziente Logistik, gute Hygiene und ein funktionierendes Frühwarnsystem, um die Gesellschaft vor schädlichen Nahrungsmitteln zu schützen. Der Schutz von Schlüsselinfrastrukturen in der Landwirtschaft und im Nahrungsmittelsektor und konkrete Maßnahmen vor Ort sind Aufgabe der Mitgliedstaaten.

4.3   Die Gesellschaft hat allen Grund, sich auf Notsituationen in der Nahrungsmittelversorgung einzustellen. Es sind diese Vorbereitungsmaßnahmen, auf die der Begriff Versorgungssicherheit abzielt. Zumeist wird darunter die Sicherstellung des Materialflusses (z.B. durch Anlegen von Sicherheitsvorräten) verstanden, während im weiteren Sinne mit Versorgungssicherheit die Fähigkeit gemeint ist, wirtschaftliche Kernfunktionen der Gesellschaft, die für das Überleben der Bevölkerung sowie für die Funktionsfähigkeit und die Sicherheit der Gesellschaft unerlässlich sind, aufrechtzuerhalten. Die Versorgungssicherheit im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Lebensmitteln ist demnach die Fähigkeit, die Lebensmittelerzeugung und das Funktionieren der gesamten Lebensmittelbranche auch in Not- und Ausnahmesituationen zu gewährleisten.

5.   EU-Agrarpolitik und Versorgungssicherheit

5.1   Die Europäische Union bereitet sich derzeit auf eine abermalige Reform ihrer GAP vor, die ab 2013 gelten soll. Die Kommission legte im November 2010 eine Mitteilung zur künftigen Agrarpolitik vor. Die einschlägigen Rechtsetzungsinitiativen dürfte die Kommission in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres vorlegen. Ein Beschluss des Rat und des Europäischen Parlaments in dieser Angelegenheit wird für 2012 erwartet. In der EU wird eine ausreichende Nahrungsmittelerzeugung auch in Zukunft durch die Maßnahmen im Rahmen der GAP sichergestellt werden.

5.2   Die bereits im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft verankerten Ziele der EU-Landwirtschaftspolitik wurden letztes Jahr im Vertrag von Lissabon erneut bekräftigt:

Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft

Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung für die landwirtschaftliche Bevölkerung

Stabilisierung der Märkte

Sicherstellung der Versorgung

Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen.

5.3   Klar ist, dass sich der globale Wandel und die sich daraus ergebenden Herausforderungen auch in einer Neuausrichtung der europäischen Landwirtschaftspolitik niederschlagen müssen, wenngleich die oben genannten Grundziele nichts von ihrer Notwendigkeit und Aktualität eingebüßt haben. Die europäische Agrarpolitik stand im Laufe der Jahre oft im Kreuzfeuer der Kritik, so auch bei den Handelsverhandlungen. In der Praxis konnten aber die Ziele der GAP in mehr als zufrieden stellendem Umfang erreicht werden. Durch die Gemeinsame Agrarpolitik wurde die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in der EU trotz Preisschwankungen auf den Weltmärkten und sonstigen Krisen gewährleistet. Mithilfe der GAP konnte die Versorgungssicherheit in der EU erreicht werden, wenngleich die EU nicht in allen landwirtschaftlichen Bereichen und Aspekten Selbstversorger ist. Hierbei muss die Europäische Union außerdem berücksichtigen, dass die Versorgungssicherheit in Ländern am Rande der EU in Zeiten heftiger Preisschwankungen oft Probleme bereitet.

5.4   Die Weltmärkte werden in Zukunft immer offener sein. Wahrscheinlich werden künftige Handelsabkommen Produkten aus Drittländern leichteren Zugang zum Gemeinschaftsmarkt gewähren (sofern die Kriterien der Lebensmittelsicherheit erfüllt sind), während die europäischen Landwirte im Gegenzug Zugangsmöglichkeiten zu anderen Märkten erhalten werden. Weltweit sorgen die demografische Entwicklung und die Märkte für eine Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktionsschwerpunkte und der Nahrungsmittelnachfrage. Die gegenseitige Abhängigkeit der Gesellschaften und Volkswirtschaften nimmt zu. Durch den Klimawandel kommt es zunehmend zu extremen Wetterverhältnissen. Da die Zunahme des internationalen Handels an sich noch keine Garantie für die sichere Nahrungsmittelversorgung ist, dürften die Preisschwankungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie die Unsicherheit auf den Märkten in der Zukunft noch zunehmen. In der künftigen Agrarpolitik der Europäischen Union sind daher Mechanismen gefragt, die die Märkte stabilisieren. Die Europäische Union darf keine Quelle der Unsicherheit auf den globalen Nahrungsmittelmärkten sein, sondern muss im Gegenteil aktiv zur ihrer Beseitigung beitragen.

5.5   Die EU ist der weltweit größte Importeur und Exporteur von Nahrungsmitteln. Dadurch, dass sie ihre Agrarmärkte im Gleichgewicht hält und deren Funktionieren sichert, kann die EU am besten zur Stabilität der globalen Nahrungsmittelmärkte und zur Verhinderung von Nahrungsmittelkrisen beitragen. Die EU sollte zudem einen deutlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der globalen Nahrungsmittelsicherheit leisten.

5.6   Auch in Zukunft werden bei den europäischen Verbrauchern hochwertige, nahrhafte und sichere Lebensmittel gefragt sein. Ein Anliegen der künftigen Landwirtschaftspolitik muss es sein, dass die gesamte Erzeugung auf die Bewahrung der Umwelt (Luft, Boden, Wasser) sowie das Wohlergehen von Nutztieren ausgerichtet wird. Die Standards in der EU liegen über den globalen Standards und schlagen deshalb beim europäischen Verbraucher mit höheren Kosten zu Buche. Durch die europäische Landwirtschaftspolitik müssen Ausgleichsmechanismen in der Landwirtschaft und im Handel für europäische und Importprodukte geschaffen werden. Die Herausforderung für die EU besteht darin, existierende Instrumente (z.B. Handelsabkommen) anzuwenden und neue Instrumente zu entwickeln, durch die andere Nahrungsmittel erzeugende Länder dazu bewegt werden, dieselben Normen einzuhalten, die für europäische Erzeuger gelten.

5.7   Die Politik der Entwicklung des ländlichen Raums (Pfeiler 2 der GAP) wird auch weiterhin von großer Bedeutung für eine ausgeglichene Entwicklung der ländlichen Gebiete sein. Die ländlichen Gebiete sind ein wichtiger Teil Europas. Mehr als 60 % der Bevölkerung der jetzigen EU-27 lebt in den ländlichen Gebieten, die 90 % des Gesamtterritoriums der EU ausmachen. Eine Politik der Entwicklung des ländlichen Raums, die die verschiedenen Situationen in den Mitgliedstaaten stärker berücksichtigt, könnte in der Zukunft sogar noch bedeutungsvoller werden. Diese Politik wird für die Beschäftigung in ländlichen Gebieten immer wichtiger und wird auch stärker zur Diversifizierung der sich bietenden wirtschaftlichen Möglichkeiten beitragen. Die Politik der Entwicklung des ländlichen Raums könnte als Werkzeug der EU genutzt werden, um die Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie zu fördern.

5.8   Angesichts der großen Herausforderungen und Unwägbarkeiten bezüglich der globalen Ernährungssicherheit muss den Belangen der Versorgungssicherheit in der künftigen Gemeinsamen Agrarpolitik auch weiterhin Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung gehört zu den Grundzielen der europäischen Landwirtschaftspolitik. Die Europäische Union muss stärker als bisher auf systematische Vorbereitungsmaßnahmen setzen, um die landwirtschaftliche Erzeugung und die Funktionsfähigkeit der gesamten Lebensmittelindustrie, auch in verschiedenen Not- und Ausnahmesituationen, gewährleisten zu können. Zu diesem Zweck müssen einschlägige Mechanismen vorhanden sein. Ein zentrales Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik sollte die Bewahrung einer vielfältigen landwirtschaftlichen Erzeugung und deren Förderung im gesamten Unionsgebiet sein. Die Bewahrung der großen Vielfalt hochwertiger Nahrungsmittel aus den verschiedenen ländlichen Gebieten der EU, die den EU-Bürgern zur Auswahl stehen, ist die richtige strategische Lösung für die EU-Nahrungsmittelpolitik. Dadurch würde auch die Versorgungssicherheit gewährleistet.

5.9   Langfristig erfordert die Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie eine nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung. Neben der Umweltnachhaltigkeit sind auch die wirtschaftliche und die soziale Dimension von Bedeutung. Der Rolle der Landwirtschaft bei der Anpassung an den Klimawandel und dessen Abschwächung sollte mehr Beachtung geschenkt werden. Auch für die Erzeugung von Bioenergie sind Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie von Belang. Die Ziele der EU-2020-Strategie sollten sich überall in der Agrarpolitik reflektieren.

5.10   Durch die Erzeugung von Bioenergie ist die Landwirtschaft in der EU zu einem wichtigen Akteur bei der Einführung von Technologien im Bereich erneuerbare Energien geworden. Die nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie kann einen großen Beitrag zur Reduzierung der Abhängigkeit der EU von importierten fossilen Brennstoffen und zur Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung für die Verbraucher in der EU leisten. Die Umwandlung von landwirtschaftlichen Abfällen und Nebenprodukten, (Dung und Jauche, Abfälle der Lebensmittelindustrie usw.) in Bioenergie wird dazu beitragen, die Umweltverschmutzung und die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Am 31. Mai 2010 fand in Helsinki im Zusammenhang mit der Erarbeitung dieser Stellungnahme ein Seminar zu der Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie der EU statt.

(2)  Definition laut FAO-Ernährungsgipfel.

(3)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 44.


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland“

(Initiativstellungnahme)

(2011/C 54/05)

Berichterstatter: Ivan VOLEŠ

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 17./18. Februar 2010, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 23. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 9. Dezember) mit 195 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die auf dem EU-Russland-Gipfel in Rostow am Don (31. Mai - 1. Juni 2010) verabschiedete gemeinsame Stellungnahme zur Partnerschaft für Modernisierung (PfM), in der an die Zivilgesellschaft appelliert wird, sich durch einen intensiveren Dialog stärker an der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland zu beteiligen. Die Beziehungen EU/Russland haben für beide Seiten strategische Bedeutung und sollten auf gegenseitigem Vertrauen gründen. Die Zivilgesellschaften in der EU und Russland sollten ihre Zusammenarbeit vorantreiben und zur Umsetzung der PfM-Initiative beitragen. Der EWSA ist bereit, dazu aktiv beizutragen.

1.2   In Bezug auf die Gemeinsamen Räume spricht sich der EWSA für die bestehende Struktur aus, fordert jedoch, die Zivilgesellschaften auf beiden Seiten stärker einzubinden und ihnen Gelegenheit zu geben, ihren Standpunkt darzulegen und ihre Initiativen in den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen vorzustellen.

1.3   Der EWSA schlägt vor, mehr Interessenträger in den Dialog über Wirtschafts- und Handelsbeziehungen einzubinden und die Einrichtung eines umfassenden repräsentativen Unternehmensforums EU-Russland zu erwägen.

1.4   Der EWSA befürwortet Bemühungen um rasche Fortschritte in den Verhandlungen über eine Vereinfachung und Lockerung der Visavorschriften.

1.5   In die Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland sollten mehr nichtstaatliche Akteure einbezogen werden. Der EWSA erklärt sich bereit, seinen Beitrag dazu zu leisten.

1.6   Es sollten mehr Plattformen geschaffen werden, auf denen die zivilgesellschaftlichen Organisationen der EU und Russlands an der Begleitung und Beobachtung der Beziehungen EU-Russland mitwirken können. Eine solche Plattform könnte z.B. das Zivilgesellschaftliche Forum EU-Russland nach dem Vorbild des Zivilgesellschaftlichen Forums der Östlichen Partnerschaft sein.

1.7   Der EWSA fordert als Mittel zur Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses und des Vertrauens mehr persönliche Kontakte und einen regeren Austausch auf dem Gebiet der Bildung und des interkulturellen Dialogs.

1.8   Die Haltung der EU-Mitgliedstaaten gegenüber Russland sollten besser koordiniert werden, damit die EU mit einer Stimme spricht - mit ehrgeizigen, aber gleichzeitig auch realistischen Zielen und mit ausreichender Flexibilität.

1.9   Der EWSA misst einer Mitgliedschaft Russlands in der WTO große Bedeutung bei, unterstützt den Beitrittsprozess uneingeschränkt und wünscht dessen baldmöglichste Beendigung

1.10   Die EU sollte die Regelungen über die finanzielle Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen im Rahmen des Europäischen Instruments für Demokratie und Menschenrechte überarbeiten. Das Instrument sieht einen hohen Kofinanzierungsanteil vor, der es vielen russischen Nichtregierungsorganisationen unmöglich macht, diese Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

1.11   Der EWSA empfiehlt, nach Möglichkeiten zu suchen, um Russland insbesondere in den Bereichen Umwelt, Gesundheitswesen, Verkehr und Energieeffizienz an großen Regionalprojekten zu beteiligen, die mit den östlichen Partnerländern erörtert würden. Die russische Zivilgesellschaft sollte zu den Sitzungen der verschiedenen Plattformen des Zivilgesellschaftlichen Forums der Östlichen Partnerschaft eingeladen werden, in denen derartige Projekte von gemeinsamem Interesse zwischen der EU, den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland erörtert würden. Es geht um eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der Politik der Nördlichen Dimension, der Ostseestrategie, der Schwarzmeersynergie und weiterer relevanter Initiativen.

1.12   Der EWSA bekräftigt seinen Vorschlag, im künftigen Abkommen die Schaffung eines gemeinsamen Organs der Zivilgesellschaft EU/Russland vorzusehen.

1.13   Der EWSA wird eine Kontaktgruppe für die Beziehungen EU/Russland einrichten und außerdem den Austausch mit der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation vorantreiben, wobei seines Erachtens zivilgesellschaftliche Organisationen, die nicht in der Gesellschaftskammer vertreten sind, in stärkerem Maße in die gemeinsamen Tätigkeiten einbezogen werden sollen.

2.   Beziehungen EU/Russland: Stand der Dinge

2.1   Die Beziehungen zwischen der EU und Russland haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere Höhen und Tiefen erlebt. Der militärische Konflikt zwischen Russland und Georgien im August 2008 und der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine im Januar 2009 wirkten sich negativ auf die gegenseitigen Beziehungen aus. Allerdings haben sich seither beide Seiten um Wege aus dieser verfahrenen Situation bemüht. In dieser Stellungnahme möchte der EWSA im Wesentlichen Empfehlungen dazu abgeben, wie die Beziehungen EU/Russland verbessert werden könnten und wie die Zivilgesellschaften der EU und der Russischen Föderation zu dieser Verbesserung beitragen können.

2.2   Gespräche über ein neues bilaterales Abkommen EU/Russland als Ersatz für das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1994 wurden im Juni 2008 in Chanty-Mansijsk angeregt und im Juli 2008 förmlich eröffnet. Zu Beginn der Verhandlungen vertraten beide Seiten hinsichtlich des Wesens des neuen Abkommens unterschiedliche Schwerpunkte. Die EU möchte einen umfassenden und ausführlichen Strategievertrag, während Russland den Abschluss eines grundlegenden politischen Rahmenvertrags bevorzugt, auf den dann detaillierte sektorspezifische Abkommen in den Bereichen, die für Russland von Interesse sind, folgen würden (1).

2.3   Im November 2010 begann die 12. Verhandlungsrunde zwischen der EU und der Russischen Föderation, die über die Arbeitsgruppen, die die einzelnen Gemeinsamen Räume widerspiegeln, abgewickelt wird. Bezüglich der bisherigen Verhandlungsergebnisse äußert sich die Europäische Kommission vorsichtig optimistisch. Es ist noch nicht abzusehen, wann die Gespräche über den neuen Vertrag abgeschlossen werden können.

2.4   Die langsamen Fortschritte bei den gegenwärtigen Verhandlungen über ein neues Abkommen zeugen davon, dass beide Seiten unterschiedliche Auffassungen von ihren bilateralen Beziehungen haben. Die EU bietet Russland etwas, was das Land noch nicht bereit ist, vollständig anzunehmen, z.B. eine komplexe gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Modernisierung in Einklang mit europäischen Rechtsvorschriften und Institutionen. Russland möchte andererseits als souveräne Weltmacht mit eigenem Verständnis von Demokratie und Menschenrechten sowie eigenen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen behandelt werden (2). Um diese Rolle zu spielen, nutzt Russland alle seine Trümpfe (Erdgas- und Erdölversorgung, Kernwaffenarsenal, Raumfahrtprogramme usw.), einschließlich seiner Stellung in internationalen Organisationen (UN-Sicherheitsrat, Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, GUS, G-20 usw.). Die internationale Reichweite dieser Ambitionen ist jedoch aufgrund der schwachen gegenwärtigen sozioökonomischen Situation Russlands eingeschränkt (3).

2.5   Die Meinungen der EU und Russlands über mögliche Änderungen an der europäischen Sicherheitsarchitektur gehen deutlich auseinander. Russland möchte die europäische Sicherheitsarchitektur neu gestalten, wie sich in den von Dmitri MEDWEDEW im Juni 2008 vorgebrachten Vorschlägen Russlands für den Abschluss eines neuen europäischen Sicherheitspakts zeigte.

2.6   Auch auf dem Gebiet der Energiesicherheit bestehen weiterhin große Differenzen. Russland möchte als der für die EU wichtigste Lieferant von Erdgas und Erdöl eine Sonderbehandlung erreichen, was eine bevorzugte Behandlung seiner Energieunternehmen und deren Zugang zum EU-Markt sowie die Anerkennung seiner besonderen Stellung und Interessen im Energiesektor von Belarus und der Ukraine mit einschließt (4). Im August 2009 stieg Russland aus dem Vertrag über die Energiecharta (ECT) aus. Die EU betrachtet ihrerseits den ECT als Grundlage für jede weitere Liberalisierung ihres Energiemarkts, was auch dessen Öffnung für russische Energieunternehmen beinhaltet. Die von Präsident MEDWEDEW kürzlich ergriffene Initiative für einen neuen umfassenden Energiesicherheitsvertrag, der den ECT ablösen soll, war an die Mitgliedstaaten der G-20 gerichtet - und nicht ausschließlich an die EU, auch wenn die EU Russlands wichtigster Handelspartner im Energiesektor bleibt.

2.7   Russland versucht, seine Interessen gegenüber der EU durch den Aufbau besonderer Beziehungen zu den traditionellen europäischen „Schwergewichten“ zu verfechten. Tatsächlich unterhalten die EU-Mitgliedstaaten eigene bilaterale Beziehungen zu Russland, die ihre Traditionen und Interessen widerspiegeln; allerdings sollten sie sich darum bemühen, ihre Positionen und Aktivitäten im Hinblick auf die Gestaltung einer allgemeinen EU-Politik gegenüber Russland besser zu koordinieren. Der neue Vertrag von Lissabon hat den Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU gestärkt und der Union mehr Befugnisse im Bereich der Energiesicherheit übertragen.

2.8   Russland und die EU sind sich auch bezüglich der Östlichen Partnerschaft uneins. So betrachtet Russland die Östliche Partnerschaft als Versuch der EU, ihren Einflussbereich zu erweitern. Die EU hingegen versteht sie als Instrument, um ihren östlichen Nachbarländern die gemeinsamen Werte und Normen zu vermitteln, deren Umsetzung zur wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung der betreffenden Länder führt sowie zur Sicherheit und Stabilität des gesamten europäischen Kontinents beiträgt.

2.9   Die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland hat sich im Rahmen der gemeinsamen Politik der Nördlichen Dimension von EU, Russland, Norwegen und Island positiv entwickelt. Partnerschaftsprojekte haben zu konkreten Ergebnissen geführt, z.B. in den Bereichen Umwelt, Gesundheitswesen, Kultur, Verkehr und Infrastruktur. Der EWSA hat ständig zur Umsetzung dieser Politik beigetragen und in seiner Stellungnahme zur Nördlichen Dimension die Bedeutung der Einbeziehung der Zivilgesellschaft herausgestellt (5).

2.10   Ungeachtet der vorgenannten Missverständnisse und Schwierigkeiten herrscht sowohl in der EU als auch in Russland die allgemeine Auffassung vor, dass bilaterale Beziehungen von strategischer Bedeutung sind. Der politische Wille zur Aufwertung der bilateralen Beziehungen zeigt sich eindeutig in den Schlussfolgerungen des Gipfels EU/Russland in Rostow am Don (31. Mai - 1. Juni 2010), und in der gemeinsamen Stellungnahme zur Partnerschaft für Modernisierung (6).

3.   Lehren aus den Gemeinsamen Räumen

3.1   Allgemeine Bemerkungen

3.1.1   Der institutionalisierte Dialog im Rahmen der Gemeinsamen Räume (7) hat die intensivsten Gespräche ermöglicht, die die EU bis dato im Bereich ihrer Außenbeziehungen mit einem Drittstaat geführt hatte. Im Hinblick auf die Verhandlungen über das neue Abkommen zwischen der EU und Russland sind folgende Lehren aus der bestehenden Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinsamen Räume EU-Russland zu ziehen (8):

Die Struktur der Gemeinsamen Räume ist ein stabiler institutioneller Rahmen zur Aufrechterhaltung eines breiten politischen und sektoralen Dialogs zwischen der EU und Russland und sollte deswegen gewahrt werden.

Trotz gewisser Fortschritte in sektorspezifischen Fragen haben die Gemeinsamen Räume - gemessen an den ursprünglichen Erwartungen auf beiden Seiten - zu eher bescheidenen Ergebnissen geführt.

Zur Verbesserung des Dialogs und der Zusammenarbeit ist ein stärkerer politischer Wille, gegenseitiges Vertrauen und die Fähigkeit auf beiden Seiten erforderlich, sich auf Bedingungen und Werte zu einigen (einschließlich von beiden Seiten vereinbarter Standards).

3.2   Gemeinsamer Wirtschaftsraum

3.2.1   Bei der Errichtung eines Gemeinsamen Wirtschaftsraums (GWR) verfolgte die EU das Ziel, einen offenen und integrierten Markt zwischen der EU und Russland schaffen. Die Fortschritte bei der Verwirklichung dieses Ziels sind jedoch schleppend, und eine Freihandelszone scheint in weite Ferne gerückt.. Es ist wichtig, dass Russland der WTO beitritt; der EWSA begrüßt die Absicht Russlands, den Beitrittsprozess möglichst schnell zum Abschluss zu bringen. Nach der Einrichtung der Zollunion mit Kasachstan und Belarus stellt sich jedoch die Frage, inwiefern diese die Verhandlungen mit der WTO beeinflussen wird.

3.2.2   Der verschiedene Bereiche betreffende Dialog über den GWR wird auf mehreren Ebenen geführt und berührt viele wesentliche Aspekte von Wirtschaft, Handel, Finanzen und Industrie (9). Der EWSA empfiehlt, im Dialog über den GWR auch die Beschäftigungs- und Sozialpolitik unter Beteiligung der Sozialpartner, die bisher noch nicht in den Verhandlungsprozess einbezogen waren, zu untersuchen, wobei zugleich den begrenzten Befugnissen der EU in diesen Bereichen Rechnung zu tragen ist. Besondere Aufmerksamkeit sollte den Fragen des Gesundheitswesens gewidmet werden, darunter Gesundheits-, Pflanzen- und Verbraucherschutzmaßnahmen.

3.2.3   Das Diskussionsforum der Industrieunternehmen EU-Russland ist das institutionelle Forum zur Beteiligung von Unternehmen am GWR. Es gibt zwar positive Aspekte wie die nachdrückliche Unterstützung für eine vertiefte Wirtschaftsintegration seitens der Unternehmen der EU und Russlands. Einige Arbeitsgruppen, die eingesetzt wurden, um den Dialog EU/Russland über regulatorische Aspekte und Fragen der Industriepolitik zu erleichtern, sind aber immer noch nicht operationell (10); außerdem werden Empfehlungen und Vorschläge von Entscheidungsträgern in Politik und staatlicher Verwaltung nicht berücksichtigt. Eine größere und systematischere Beteiligung von Interessenträgern am Verhandlungsprozess würde zur Ermittlung und Beseitigung der „künstlichen“ Hürden beitragen, die dem Handelsaustausch und den wechselseitigen Investitionen im Wege stehen. Zur Förderung dieser Mitwirkung müssen entsprechende Instrumente eingesetzt werden. Ein solches Instrument könnte das Unternehmensforum EU/Russland sein, in dem die wichtigsten Wirtschafts- und Geschäftsakteure vertreten wären.

3.2.4   Die wichtigsten Themen aller Arbeitsgruppen im Rahmen des GWR sollten die Beseitigung von Hürden für Unternehmen und Investitionen, die Verhinderung von Protektionismus und die Gewährleistung des fairen Wettbewerbs sowie die Verhandlung über die Harmonisierung von Rechtsvorschriften und Standards sein. Der EWSA fordert, den Fortschritt verantwortlicher zu gestalten und die Kapazitäten Russlands zur Umsetzung der Änderungen auf rechtlicher und praktischer Ebene auszubauen. Darüber hinaus verleiht der Lissabon-Vertrag der EU eine Zuständigkeit im Bereich der Investitionen, sowohl was deren Regulierung als auch deren Schutz betrifft. Deshalb sollte die EU in das neue Abkommen, das das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ersetzt und aktualisiert, substanzielle Investitionsregelungen aufnehmen, einschließlich Bestimmungen für eine faire und gleiche Behandlung und insbesondere glaubwürdige und zuverlässige Schiedsklauseln zur Sicherung der Beziehungen zwischen Investor und Staat.

3.2.5   Die EU-Finanzinstrumente zur Förderung der Zusammenarbeit in diesem Bereich sollten stärker maßnahmenbezogen sein. Zudem müssen die Verwaltungsverfahren für ihren Einsatz vereinfacht werden. Die Umsetzung- und Auswertungsphasen des Prozesses müssen ausgebaut werden. Insbesondere sollten Treuhandfonds für kleinere Vorhaben eingerichtet werden, und zwar mit vereinfachten Verfahren, damit die Fonds größeren Zielgruppen und -institutionen (u.a. Unternehmerinnen, KMU und der Sozialwirtschaft) zugänglich sind und für kleine, aber konkrete und ergebnisorientierte Projekte verwendet werden (11). Eine etwaige Reduzierung verfügbarer Fonds sollte durch eine höhere Kofinanzierung durch die russische Seite kompensiert werden, die dafür mehr Einfluss auf und Teilhabe an Programmen und Projekten erhalten sollte.

3.3   Gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

3.3.1   Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist insofern besonders wichtig, als er Fragen der Demokratie sowie der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten berührt. Es liegt im Interesse beider Seiten, Herausforderungen wie organisierte Kriminalität, Terrorismus, Drogenhandel und illegale Einwanderung zu bewältigen.

3.3.2   Ein Hauptthema in den Verhandlungen ist die Visums- und Rückübernahmepolitik. Der EWSA fordert die Berücksichtigung der Ansichten der Zivilgesellschaft u.a. zu diesen Visumfragen: vereinfachte Ausstellung von Visa für Unternehmen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Studierende, Ausstellung von Mehrfachvisa für Bewohner der Grenzregionen, Reduzierung oder Abschaffung von Visumgebühren, Registrierung von Ausländern und diesbezügliche Vereinfachung, ausgewogene und diskriminierungsfreie Umsetzung der jeweiligen Regelungen über Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Dabei ist den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in diesen Punkten Rechnung zu tragen. Der EWSA spricht sich für eine rasche Vereinfachung und Liberalisierung des Visumsystems durch die Umsetzung gemeinsam festgelegter Verpflichtungen aus.

3.3.3   Die EU muss sich weiterhin darum bemühen, nichtstaatliche Akteure in die Menschenrechtskonsultationen EU-Russland einzubinden.

3.4   Gemeinsamer Raum der äußeren Sicherheit

3.4.1   Es gibt nur eine begrenzte Anzahl gemeinsamer Anstrengungen der EU und Russlands im Bereich der äußeren Sicherheit. Zweifellos sollte sich die EU nach den positiven Erfahrungen mit gemeinsamen Missionen in den Westbalkanstaaten und im Tschad darum bemühen, Russland in gemeinsame Aktionen einzubeziehen, die auf die Aufrechterhaltung der Sicherheit abzielen.

3.4.2   Russland wurde in die EU-Missionen im Westbalkan und im Tschad einbezogen. Auf der anderen Seite wurde die EU von Russland gebeten, nach dem Russland-Georgien-Konflikt im August 2008 im Streit mit Georgien zu vermitteln. Russland muss noch sämtlichen in den Abkommen vom 12. August und 8. September 2008 festgelegten Verpflichtungen nachkommen. Die Überwachungsmission der Europäischen Union (EUMM) ist ein unerlässlicher Faktor bei den Stabilisierungsanstrengungen in Georgien. Der Zugang zu Abchasien und Südossetien bliebt ein wichtiger, aber nicht realisierter Aspekt ihres Mandats. In dieser Hinsicht ist Russlands Kooperation von größter Bedeutung..

3.4.3   Trotz ihrer unterschiedlichen Positionen zur Sicherheit in Europa und in der Welt sollten beide Seiten den bilateralen Sicherheitsdialog und den Dialog im Rahmen der bestehenden internationalen Institutionen fortsetzen, die dazu genutzt werden sollten, um über die Beziehungen EU/Russland zu diskutieren: Vereinte Nationen, Europarat, OSZE und NATO-Russland-Rat.

3.4.4   Die EU darf die Interessen ihrer östlichen Nachbarn im Rahmen ihrer Beziehungen zu Russland nicht vernachlässigen - und umgekehrt. Sie muss an ihrem Engagement zur Erleichterung der Umgestaltung der östlichen Partnerländer festhalten.

3.4.5   Die Geschlossenheit in Kernfragen (Beziehungen zu Russland; Energiepolitik; Beziehungen zu den östlichen Partnern) wird die Position der EU beim Umgang mit der Russischen Föderation stärken. In erster Linie sollte die EU mit einer Stimme sprechen.

3.4.6   Trotz offizieller Kontakte kooperieren zivilgesellschaftliche Organisationen, Forschungsinstitute und Denkfabriken in der EU und Russland nach wie vor in nur wenigen Themenbereichen. Unzureichende Kontakte und mangelnde Zusammenarbeit führen zu einer klischeebehafteten Auffassung der Interessen und Intentionen des jeweils anderen Partners. Deshalb sollte der bilaterale zivilgesellschaftliche Dialog dazu beitragen, ein neues Konzept für Fragen von beiderseitigem Interesse (z.B. den internationalen Terrorismus und seine Wurzeln) zu ermitteln.

3.5   Gemeinsamer Raum der Forschung, Bildung und Kultur

3.5.1   Dieser Gemeinsame Raum ist ein Beispiel für eine besonders erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland, wobei hier naturwissenschaftliche Projekte sehr stark im Vordergrund stehen.

3.5.2   Der Erfolg zeigt sich am aktiven Engagement beider Seiten in Form der bereitgestellten Programme und Fonds sowie des von unten nach oben gerichteten Ansatzes, d.h. der Tatsache, dass die Wissenschaftler für ihre Arbeiten die Struktur und Form wählen, die ihnen am besten geeignet erscheint (12).

3.5.3   Andererseits steht dieses Konzept im Widerspruch zur relativ eingeschränkten Mobilität im Bildungsbereich, in dem etwas Austausch erreicht wurde, z.B. durch die Programme TEMPUS und ERASMUS MUNDI. Es besteht ferner die Schwierigkeit, weitere Informationen über die Arbeitsweise der Arbeitsgruppen zu erhalten. Mehr Aufmerksamkeit verdienen die Jugendmobilität und der interkulturelle Austausch. Die Zivilgesellschaft sollte an den Verhandlungen und der Weiterverfolgung der Abkommen in diesem Gemeinsamen Raum stärker beteiligt werden, um die Auswirkungen von Forschungsvorhaben auf die wissensbasierte Gesellschaft zu beobachten.

4.   Situation der Zivilgesellschaft in Russland

4.1   Den verfügbaren Informationen zufolge entsprechen die Lage der russischen Zivilgesellschaft und der soziale und zivile Dialog (13) nicht gänzlich europäischen Standards, obschon sich ihre Position und ihr Einfluss seit der letzten Beurteilung der Beziehungen EU-Russland durch den EWSA teilweise verbessert haben (14).

4.2   Die 2006 geschaffene Gesellschaftskammer der Russischen Föderation ist zur offiziellen Vertretungsinstanz der Zivilgesellschaft in Russland geworden. Sie wurde auf Erlass des Präsidenten eingerichtet, der ein Drittel ihrer Mitglieder ernennt. Der Gesellschaftskammer ist es gelungen, zu einem Sprachrohr für die Zivilgesellschaft bei wichtigen Themen auf nationaler und regionaler Ebene (viele Regionen haben eigene Kammern eingerichtet) zu werden. Sie unterbreitet Empfehlungen, äußert sich zu Gesetzesentwürfen und analysiert die Branchen und die Lage in den einzelnen Regionen. Die Positionen der Gesellschaftskammer können sehr deutlich und kritisch gegenüber der Regierungspolitik ausfallen (15).

4.3   Laut dem Bericht der Gesellschaftskammer über die Situation der Zivilgesellschaft in der Russischen Föderation von 2009 (16) liegt die Zahl der in Russland eingetragenen gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen mit Rechtspersönlichkeit bei 670 000. Zwischen 2004 und 2009 ging ihre Anzahl um 17 % zurück. Die Gesellschaftskammer empfiehlt, die Klassifizierung der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen zu ändern und die Methode der UN zu verwenden, die die von staatlicher Seite ins Leben gerufenen Nichtregierungsorganisationen nicht betrifft.

4.4   Entsprechend ihren Tätigkeitsbereichen ergibt sich folgende Rangliste von Nichtregierungsorganisationen: Soziales (54 %), Wissenschaft und Bildung (44 %), Verteidigung der Rechte (42 %), Wohltätigkeit (39 %), Fremdenverkehr und Sport (32 %), Kultur (30 %), Information (27 %), Gesundheit (22 %), Umwelt (12 %), Kommunales (9 %), Religion (9 %), Wirtschaft (6 %), Wohnungswesen (5 %) und sonstiges (5 %).

4.5   Die Gesellschaftskammer hat Beziehungen zu ausländischen Partnerorganisationen aufgenommen, auch zum EWSA (gemeinsame Absichtserklärung 2008), und ist Mitglied der AICESIS, deren Sitzung sie im Dezember 2009 ausrichtete. Die Beziehungen zwischen dem EWSA und der Gesellschaftskammer wurden seither durch die Veranstaltung gemeinsamer Seminare zu Themen von beiderseitigem Interesse und die Verabschiedung gemeinsamer Schlussfolgerungen als Ergebnis dieser Seminare intensiviert (17).

4.6   Die russische Führung wird sich zunehmend der Tatsache bewusst, dass es ohne die Einbeziehung der Zivilgesellschaft nicht möglich sein wird, das Strategieziel der Modernisierung Russlands zu verwirklichen. Im letzten Jahr wurden mehrere Änderungsanträge zu geltenden Rechtsvorschriften angenommen, um den Status der Zivilgesellschaft zu verbessern und u.a. die Beschränkungen für die Tätigkeiten der vom Ausland finanzierten NRO zu lockern.

4.7   Auch wenn das Verständnis der Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der Modernisierung des politischen Systems Russlands wächst, bleibt noch viel zu tun.

4.8   Der soziale Dialog zwischen den Sozialpartnern auf nationaler Ebene findet im russischen trilateralen Ausschuss zur Regulierung der Sozial- und Arbeitsbeziehungen statt. Die Generalabkommen werden zwischen den gesamtrussischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden unter Beteiligung der Regierung ausgehandelt. Tarifvereinbarungen werden normalerweise in den Unternehmen getroffen, in denen es Gewerkschaftsvertreter gibt; dennoch kommt es bei Meinungsverschiedenheiten gelegentlich zu Arbeitsniederlegungen. Russland hat die meisten ILO-Konventionen ratifiziert; allerdings ist es wichtig, dass diese Konventionen auch uneingeschränkt eingehalten werden.

4.9   Die Arbeitgeber sind in der Russischen Industriellen- und Unternehmerunion (RSPP), einer unabhängigen nichtstaatlichen Organisation, vertreten. Die RSPP repräsentiert über 120 regionale Verbände und Vereinigungen aus Schüsselindustrien und spielt eine aktive Rolle als Sozialpartner im russischen trilateralen Ausschuss. Sie kann neue Gesetzesentwürfe anregen. Darüber hinaus bemüht sie sich kontinuierlich um die Verbesserung der geltenden Rechtsvorschriften im Bereich Wirtschaft und Unternehmen. Die RSPP arbeitet eng mit Business Europe zusammen und unterstützt die Verbesserung der Geschäftsbeziehungen zwischen Russland und der EU und ihren Mitgliedstaaten.

4.10   Neben der RSPP gibt es weitere Organisationen zur Vertretung von Unternehmern und Arbeitgebern, z.B. die Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation (18), die russische Managervereinigung und der KMU-Verband (Opora Rossii). Sie sind alle in der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation vertreten.

4.11   Die Gewerkschaften werden von zwei großen Dachorganisationen vertreten: die Föderation der unabhängigen Gewerkschaften Russlands (FNPR) und die Konföderation der Arbeit Russlands (KTR). Beide sind Mitglieder des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) und dessen Regionalstruktur für Europa, des Paneuropäischen Regionalrates (PERC) (19).

4.12   Der EWSA ist besorgt wegen der Probleme, vor denen die Gewerkschaften in Russland stehen und die in den letzten Jahren zugenommen haben. Die unabhängigen Gewerkschaften erachten die Missachtung der grundlegenden Rechte von Arbeitnehmern auf Vereinigung, Tarifverhandlung und Streik als das dringlichste Problem. Neben Fällen von Diskriminierung gibt es eindeutige Fälle, in denen auf unverhüllte Weise Druck auf Gewerkschaften, ihre Mitglieder und ihre Führer ausgeübt wird, um ihre gesetzlich erlaubten Tätigkeiten zu behindern. Es fehlt ein wirksamer rechtlicher Schutz der Arbeitnehmer vor Maßnahmen der Regierungsbehörden, die für die Rechtsdurchsetzung im Bereich der Arbeitsbeziehungen zuständig sind.

4.13   Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Nichtregierungsorganisationen. Ihre Interessengebiete werden in Ziffer 4.4 beschrieben. Regierungskritische Menschenrechtsorganisationen (20) sind verschiedenen Formen der Behinderung, des Drucks und der Bedrohung ausgesetzt. Die meisten basisnahen Verbraucher-, Umwelt-, Sozialwirtschafts- und Jugend-NRO usw. (21) haben Finanzierungsschwierigkeiten. Neben den Organisationen der Zivilgesellschaft, die auf föderaler Ebene tätig sind, gibt es Tausende regionaler und lokaler Nichtregierungsorganisationen, von denen einige seitens der regionalen bzw. lokalen Behörden boykottiert oder abweisend behandelt werden.

5.   Vorschläge des EWSA zur Verbesserung des Beziehungen EU-Russland

5.1   Allgemeine Vorschläge

5.1.1   Es ist dringend notwendig, gegenseitiges Vertrauen zwischen Russland und der EU aufzubauen. Diese Aufgabe kommt vornehmlich den politischen Entscheidungsträgern zu, aber auch der Zivilgesellschaft auf beiden Seiten, die bei diesem Prozess unterstützend tätig werden sollte. Ohne Vertrauen sind weitere Fortschritte in den Verhandlungen zwischen der EU und Russland über das neue Abkommen und im Dialog innerhalb der Struktur der Gemeinamen Räume kaum möglich.

5.1.2   Auf Seiten der EU könnten ein von den Mitgliedstaaten vereinbartes gemeinsames Vorgehen, klarere Zielsetzungen, realistische Ambitionen und größere Flexibilität dazu beitragen, die Beziehungen EU-Russland im Allgemeinen und den Aufbau der vier Gemeinsamen Räume im Besonderen voranzubringen.

5.1.3   Die Beziehungen EU-Russland benötigen einen neuen politischen Impuls, um beiden Seiten zu ermöglichen, ihre Zusammenarbeit neu zu beleben und das Bewusstsein für eine strategische Partnerschaft wiederzuentdecken. Die auf dem Gipfel am 1. Juni 2010 in Rostow am Don vereinbarte Agenda der Partnerschaft für Modernisierung sollte von der EU als ein zukunftsorientiertes Paket von Kooperationsvorschlägen betrachtet werden. Diese Vorschläge sollten den Beziehungen EU-Russland auf der Grundlage der Lehren aus den Gemeinsamen Räumen einen neuen Impuls verleihen und gleichzeitig die Östliche Partnerschaft, die bereits sechs osteuropäischen Ländern angeboten wurde, ergänzen.

5.1.4   Der EWSA begrüßt, dass die Agenda der Partnerschaft für Modernisierung nicht nur technologische und ökonomische Aspekte umfasst, sondern auch die Förderung persönlicher Kontakte und die Stärkung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft für mehr Teilhabe von Bürgern und Unternehmen vorsieht. Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Modernisierung der russischen Gesellschaft nicht erreicht werden kann, wenn Themen wie Menschenrechte, Demokratie, Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit, sozialer Dialog und Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft an der Vorbereitung, Umsetzung und Weiterverfolgung der notwendigen Reformen keine besondere Aufmerksamkeit erhalten.

5.1.5   Um die Zugänglichkeit und Effizienz von EU-Unterstützung für Tätigkeiten der russischen Nichtregierungsorganisationen zu verbessern, empfiehlt der EWSA zu erwägen, ob der obligatorische Kofinanzierungsanteil von 20 % für russische Nichtregierungsorganisationen gesenkt werden kann, falls sie Unterstützung im Rahmen des Förderprogramms der Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) beantragen. Die Kofinanzierung als Voraussetzung für die Bewilligung von EIDHR-Hilfen schränkt die Bandbreite der für EU-Unterstützung in Frage kommenden russischen Nichtregierungsorganisationen erheblich ein.

5.1.6   Dass Russland Bedenken gegen die Initiative der Östlichen Partnerschaft hegt, sollte nicht bedeuten, dass die EU in Bezug auf bestimmte Regionen und regionale Projekte nicht eine Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Russland vorschlagen kann unter der Voraussetzung, dass ihre gemeinsamen Nachbarn gleichberechtigt und konstruktiv daran beteiligt werden. In dieser Hinsicht sollten die Empfehlungen aus den Stellungnahmen zur Nördlichen Dimension (5), zur Ostseestrategie (22), zur Schwarzmeersynergie (23), zur Östlichen Partnerschaft (24) und zur Donaustrategie berücksichtigt werden. Die Ziele, die die EU mit ihren östlichen Partnern und Russland vereinbart hat, müssen möglichst kompatibel sein. Die sektoralen Dialoge mit der Russischen Föderation und die mit den östlichen Partnern vereinbarten Aktionspläne sollten vom Grundgedanken her in dieselbe Richtung zielen, auch wenn sie sich in Umfang und Zielsetzung höchstwahrscheinlich unterscheiden dürften.

5.1.7   Die EU, die Russische Föderation und ihre gemeinsamen Nachbarn sollten übergreifende Projekte in Bereichen wie Energiepolitik, Infrastrukturaufbau, Grenzschutz, Umweltschutz und Angleichung von Standards entwickeln, die dazu beitragen, die Trennlinien zu überwinden, welche letztlich aus der Verwirklichung der Östlichen Partnerschaft resultieren könnten.

5.1.8   Die Zivilgesellschaft sollte an der Ermittlung von Projekten, die für die EU, die Länder der Östlichen Partnerschaft und Russland von Interesse sind, beteiligten werden, und die Organisationen der russischen Zivilgesellschaft sollten eingeladen werden, an den Sitzungen der betreffenden Arbeitsgruppen des Zivilgesellschaftlichen Forums der Östlichen Partnerschaft teilzunehmen, wenn für die gesamte Region relevante Fragen zur Diskussion anstehen. Das Zivilgesellschaftliche Forum EU/Russland könnte ein Instrument für die Beteiligung russischer zivilgesellschaftlicher Organisationen an der Entwicklung der Beziehungen EU-Russland sein.

5.2   Rolle des EWSA

5.2.1   Der EWSA und die unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen Russlands sollten eingeladen werden, an den seit 2005 stattfindenden Konsultationen teilzunehmen.

Im Interesse einer stärkeren Interaktion zwischen der Zivilgesellschaft in der EU und der russischen Zivilgesellschaft sollten folgende Schritte unternommen werden:

5.2.2.1   Innerhalb der Fachgruppe REX des EWSA sollte eine neue Kontaktgruppe eingerichtet werden, die sich mit den Beziehungen EU/Russland beschäftigt.

5.2.2.2   Es sollte die Einrichtung eines gemeinsamen zivilgesellschaftlichen Gremiums des EWSA und der russischen Zivilgesellschaft als ein Punkt des künftigen Abkommens zwischen der EU und Russland vorgeschlagen werden. Ziel des zivilgesellschaftlichen Gremiums sollte es sein, einen Beitrag zur Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland zu leisten.

5.2.3   Die gegenseitigen Kontakte zur Gesellschaftskammer der Russischen Föderation und die Schritte hin zu einem verstärkten, letztlich ständigen und regelmäßigen Dialog sollten fortgesetzt und ausgebaut werden. Gleichzeitig sollte der EWSA die russische Seite darum ersuchen, Vertreter anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, die in der Gesellschaftskammer derzeit nicht vertreten sind, zu den gemeinsamen Tätigkeiten einzuladen.

5.2.4   Der EWSA sollte auch weiterhin zu den bestehenden Kontakten zwischen der Zivilgesellschaft der EU und der russischen Zivilgesellschaft im Rahmen der Nördlichen Dimension, der Ostseestrategie, der Schwarzmeersynergie und weiterer relevanter Regionalinitiativen beitragen.

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Treffen von Vertretern des EWSA mit dem Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten der Russischen Förderation, Alexander ZHUKOV, am 29. Juni 2010.

(2)  Vgl. die nationale Sicherheitsstrategie der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020, genehmigt per Erlass Nr. 537 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 12. Mai 2009.

(3)  Nationale Sicherheitsstrategie der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020, genehmigt per Erlass Nr. 537 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 12. Mai 2009; siehe Teil 2. Die moderne Welt und Russland: Stand der Dinge und Entwicklungstendenzen, S. 4-8; und Teil 9: Strategische Stabilität und gleichberechtigte strategische Partnerschaft, S. 29-31.

(4)  Energiestrategie Russlands für den Zeitraum bis 2030, genehmigt per Erlass der Regierung der Russischen Föderation Nr. 1715-r vom 13. November 2009; siehe Teil 9: Energieaußenpolitik, S. 55-58.

(5)  ABl. C 309, 16.12.2006, S. 91-95.

(6)  Vorrangige Ziele der Partnerschaft für Modernisierung: Ausbau von Investitionsmöglichkeiten in wachstums- und innovationsfördernden Schlüsselbranchen; Verstärkung und Vertiefung der bilateralen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen; Förderung der Harmonisierung technischer Regelungen und Normen sowie weitgehende Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums; Verbesserung des Verkehrswesens; Förderung einer nachhaltigen kohlenstoffarmen Wirtschaft und der Energieeffizienz sowie internationaler Verhandlungen über die Bekämpfung des Klimawandels; Stärkung der Zusammenarbeit bei Innovation, Forschung und Entwicklung sowie Raumfahrt; Gewährleistung einer ausgewogenen Entwicklung durch die Bewältigung der regionalen und sozialen Folgen der wirtschaftlichen Umstrukturierung; Sicherstellung des effektiven Funktionierens des Gerichtswesens und verstärkte Korruptionsbekämpfung; Förderung direkter persönlicher Kontakte; Ausbau des Dialogs mit der Zivilgesellschaft für mehr Teilhabe von Bürgern und Unternehmen.

(7)  Im Mai 2003 verständigten sich die EU und Russland auf eine neue Kooperationsstruktur in Form von vier Gemeinsamen Räumen: Gemeinsamer Wirtschaftsraum; Gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; Gemeinsamer Raum der äußeren Sicherheit; Gemeinsamer Raum der Forschung, Bildung und Kultur. Im Mai 2005 handelten beide Seiten eine Reihe von Fahrplänen zur Verwirklichung der Gemeinsamen Räume aus. Vgl. auch: http://ec.europa.eu/external_relations/russia/docs/commonspaces_prog_report_2009_en.pdf.

(8)  „Searching for New Momentum in EU-Russia Relations. Agenda. Tools and Institutions“, Bratislava, Forschungszentrum der slowakischen Vereinigung für Außenpolitik, 2009.

(9)  In Bezug auf den Gemeinsamen Wirtschaftsraum gibt es folgende Hauptarbeitsgruppen: Verkehr; Industrie- und Unternehmenspolitik; Dialog über die Regulierung von Industrieprodukten; Weltraum; Informationsgesellschaft; Landwirtschaft; Fischerei; makroökonomische Politik; Finanzdienstleistungen; Energie; Beschaffungswesen; Umwelt; Handelserleichterungen; Rechte des geistigen Eigentums; Investitionen; interregionale Zusammenarbeit; Statistiken; Wirtschafts- und Finanzfragen;

(10)  Beispielsweise die Arbeitsgruppen zu Bauprodukten, Maschinen und elektrischen Geräten, Konformitätsprüfung und Standardisierung, Luftfahrt, Wettbewerb und Gesundheitswesen.

(11)  Welthandel, fairer Handel, lauterer Wettbewerb, Zugang zur Gerichtsbarkeit, Datenschutz und Privatsphäre, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Wasserversorgung, Verbraucheraufklärung, elektronischer Handel, Lebensmittelpolitik, Sammelklagen, Gesundheit, Haftung für mangelhafte Produkte und Dienstleistungen, Finanzfragen, Telekommunikation, Vertragsbestimmungen usw.

(12)  Es gibt Arbeitsgruppen in den Bereichen: Gesundheit, Lebensmittel, Landwirtschaft und Biotechnologie, Nanotechnologien und neue Materialien, Energie, Luftfahrt und Umwelt, Kernspaltung und Kernfusion, Informations- und Kommunikationstechnologien. Sieben Gruppen wurden im Bereich der Zusammenarbeit im Raumfahrtsektor eingesetzt.

(13)  Bericht über die Situation der Zivilgesellschaft in der Russischen Föderation, veröffentlicht von der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation, 2009 (http://www.oprf.ru/documents/1151/1256/); Informationspapier der GD RELEX für das Europäische Parlament, Februar 2009.

(14)  ABl. C 294 vom 25.11.2005, S. 33-37.

(15)  Siehe das Internetportal der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation, einschließlich einer Reihe von Dokumenten (Stellungnahmen, Monitoringberichte, Maßnahmen usw.): http://www.oprf.ru. Über größere Fortschritte durch Maßnahmen gegenüber staatlichen Behörden auf föderaler und regionaler Ebene informiert die Rubrik „We did it!“ (http://ww.oprf.ru/ru/press/984/).

(16)  Siehe Fußnote 13.

(17)  Informationen über gemeinsame Seminare und der Text der Schlussfolgerungen sind abrufbar unter: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-eu-russia-june-2010 (Englisch).

(18)  Die Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation ist Mitglied von Eurochambers.

(19)  Der Präsident der FNPR wurde vor Kurzem zum Präsidenten des PERC gewählt. Satzungsgemäß fungiert der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) als Generalsekretär des Paneuropäischen Regionalrates (PERC).

(20)  Zu den herausragenden Organisationen zählen: das Zentrum für die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten, das Menschenrechtsinstitut Russlands, die Jugend-Menschenrechtsbewegung, die Stiftung „Public Verdict“, die Stiftung Glasnost', die Vereinigung zum Schutz der Rechte von Wählern Golos, die russische Vertretung von Human Rights Watch, die Menschenrechtsorganisation Memorial und SOVA.

(21)  Beispielsweise die Interregionale Automobilistenorganisation Wahlfreiheit, Greenpeace Russland, die Umweltschutzorganisationen Bellona, das Institut für Kollektivmaßnahmen, die Bewegung gegen illegale Einwanderung, die Denkmalschutzorganisation Pamjat, die Russisch-Orthodoxe Kirche, die Russisch-Tschetschenische Freundschaftsgesellschaft, das Zentrum für analytische Informationen Sowa, die Union der Ausschüsse von Soldatenmüttern, die russische Ausgabe des World Wildlife Fund.

(22)  ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 42-48.

(23)  ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 144-151.

(24)  ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 30-36.


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010

19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/31


467. PLENARTAGUNG AM 8./9. DEZEMBER 2010

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im Messwesen“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2010) 507 endg. — 2010/0260 (COD)

(2011/C 54/06)

Das Europäische Parlament beschloss am 7. Oktober und der Rat am 15. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im Messwesen“

KOM(2010) 507 endg. – 2010/0260 (COD).

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 85 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von Kraftfahrzeugen“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2010) 508 endg. — 2010/0261 (COD)

(2011/C 54/07)

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 15. bzw. 7. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von Kraftfahrzeugen“ (kodifizierter Text)

KOM(2010) 508 endg. – 2010/0261 (COD).

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über hinten angebrachte Umsturzschutzvorrichtungen an land- und forstwirtschaftlichen Schmalspurzugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2010) 510 endg. — 2010/0264 (COD)

(2011/C 54/08)

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 15. November bzw. 7. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über hinten angebrachte Umsturzschutzvorrichtungen an land- und forstwirtschaftlichen Schmalspurzugmaschinen auf Rädern“

KOM(2010) 510 endg. – 2010/0264 (COD).

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Angaben oder Marken, mit denen sich das Los, zu dem ein Lebensmittel gehört, feststellen lässt“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2010) 506 endg.— 2010/0259 (COD)

(2011/C 54/09)

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 7. bzw. am 15. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Angaben oder Marken, mit denen sich das Los, zu dem ein Lebensmittel gehört, feststellen lässt“

KOM(2010) 506 endg. – 2010/0259 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 88 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 460/2004 zur Errichtung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit bezüglich deren Bestehensdauer“

KOM(2010) 520 endg.— 2010/0274 (COD)

(2011/C 54/10)

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 19. bzw. 29. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 460/2004 zur Errichtung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit bezüglich deren Bestehensdauer“

KOM(2010) 520 endg. - 2010/0274 (COD).

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 101 Stimmen bei 1 Gegenstimme, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/36


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regelung des Zugangs zum öffentlich-staatlichen Dienst, der von dem weltweiten Satellitennavigationssystem bereitgestellt wird, das aus dem Programm Galileo hervorgegangen ist“

KOM(2010) 550 endg.— 2010/0282 (COD)

(2011/C 54/11)

Der Rat beschloss am 29. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 172 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regelung des Zugangs zum öffentlich-staatlichen Dienst, der von dem weltweiten Satellitennavigationssystem bereitgestellt wird, das aus dem Programm Galileo hervorgegangen ist“

KOM(2010) 550 endg. – 2010/0282 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 97 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen“

KOM(2010) 289 endg. — 2010/0160 (COD)

(2011/C 54/12)

Berichterstatter: Carmelo CEDRONE

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union beschlossen am 23. Juni 2010 bzw. am 13. Juli 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen“

KOM(2010) 289 endg. - 2010/0160 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 25. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 172 gegen 12 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Diese Stellungnahme befasst sich mit der zweiten Phase des dreistufigen Ansatzes der Kommission bezüglich der Regulierung von Ratingagenturen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die EU angesichts eines so wichtigen Problems, das unserer Wirtschaft, unseren Unternehmen und unseren Bürgern großen Schaden zugefügt hat (und das noch nicht gelöst ist), - auch mit dem hier behandelten Vorschlag – tatkräftig reagiert und analoge Maßnahmen auf internationaler Bühne angestoßen hat. Der EWSA hofft, dass diese Arbeit mit Beständigkeit und Kohärenz fortgesetzt wird.

1.2   Der EWSA ist außerdem der Ansicht, dass die Unterschiede zwischen dem Integrationsgrad des Finanzmarkts und dem der Aufsicht (die im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verblieb) rasch beseitigt werden müssen, da sie zu den Ursachen der Krise gehören. Aus diesen Gründen befürwortet er den Vorschlag, die Aufsicht über die Ratingagenturen der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) (1) anzuvertrauen. Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist die Angleichung der einschlägigen nationalen Vorschriften und die Beseitigung der nach wie vor vorhandenen Systemlosigkeit. Dabei muss, wie dies von einigen Mitgliedstaaten gefordert wird, über die vorliegenden Vorschläge hinausgegangen werden.

1.3   Der EWSA begrüßt auch die in der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen (2) enthaltenen Vorschläge in Bezug auf Kernprobleme wie: Transparenz und Interessenkonflikte, Information, Wettbewerb und Ratingagenturen in Drittstaaten. Der EWSA bedauert indes - wenngleich er sich der Komplexität der Materie bewusst ist - die Verzögerung beim Inkrafttreten dieser Verordnung, die bereits die Vorschriften des derzeitigen Änderungsvorschlages hätte enthalten müssen.

1.4   Der EWSA ist auch angesichts der besonderen Natur staatlicher Schuldtitel besorgt und bedauert insbesondere, dass die Einrichtung eines europäischen Gremiums zur Bewertung staatlicher Schuldtitel gescheitert ist. Er sieht den Ergebnissen der laufenden öffentlichen Konsultation (3) für eine künftige Verordnung erwartungsvoll entgegen.

1.5   Für den EWSA ist es von zentraler Bedeutung, dass die europäischen Tochterunternehmen von Muttergesellschaften mit Sitz außerhalb der EU der neuen Aufsichtsregelung unterworfen werden. Der EWSA begrüßt in diesem Zusammenhang die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung von 2009. Die beste Lösung wäre ein Abkommen auf Ebene der G20, um weltweite Vorschriften zu erlassen, die verschiedenen Rechtssysteme in diesem Bereich aufeinander abzustimmen und internationale Verhaltenskodizes einzuführen, die von allen Ratingagenturen zu beachten sind. Die Aufsicht sollte einem Rat für Finanzstabilität anvertraut werden, der auch die Befugnis haben sollte, im Einklang mit den Aufsichtsbehörden der verschiedenen Staaten Strafen zu verhängen. Der EWSA begrüßt, dass dieser Prozess auf Veranlassung der EU bereits eingeleitet wurde.

1.6   Der EWSA ist der Auffassung, dass der bereits begonnene Reformprozess möglichst rasch abgeschlossen werden muss.

1.7   Es ist in der Tat unerlässlich, das Vertrauen der „Verbraucher“ und Investoren in den Finanzmarkt wiederherzustellen. Dies kann nur erreicht werden, wenn der Eindruck und die Sicherheit vermittelt wird, dass wirklich gehandelt wird. Dafür müssen Vorschriften erlassen werden, und gegen die „Akteure“, die sich nicht an die Regeln halten, muss entschlossen vorgegangen werden.

1.8   Der EWSA begrüßt, dass angesichts der Rolle der Ratingagenturen in der jüngsten weltweiten Krise der Wertpapier- und Finanzmärkte ein dreistufiges Programm zur Regulierung der Aufgaben dieser Agenturen, die sie für Investoren und Verbraucher verfolgen, gestartet wurde (siehe das von der Kommission vorgelegte Dokument zur diesbezüglichen öffentlichen Konsultation). Die Aufgabe der Ratingagenturen, die für die Vermeidung unverhältnismäßig hoher Risiken bei Kreditgeschäften notwendigen Informationen zu gewährleisten – was allein schon für die Sicherstellung von Stabilität und Sicherheit der Finanzmärkte wichtig ist –, ist von großer Bedeutung. Ihre Aktivität bei der Bewertung der Bonität von souveränen Staaten scheint eher Fragen aufzuwerfen. Der EWSA begrüßt, dass staatliche Schuldtitel Gegenstand der laufenden öffentlichen Konsultation sind.

1.9   Die Gründe dafür, über das Oligopol einiger weniger Ratingagenturen nachzudenken, das diese bei der Risikobewertung von Finanzinstrumenten oder Verbindlichkeiten von Investoren, Banken, Versicherungen oder auch nationalen Regierungen haben, liegen in erster Linie darin, dass die von diesen Agenturen veröffentlichten Informationen die Eigenschaft eines öffentlichen Gutes haben. Folglich sind die von ihnen erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Der EWSA begrüßt es deshalb, dass es einige im Ratingsektor neue europäische Unternehmen waren, die als erste die Zulassung als Ratingagentur bei der ESMA beantragt haben.

1.10   Bewerten Ratingagenturen die langfristige Tragfähigkeit des öffentlichen Haushalts eines souveränen Staates (Länderrisiko) - wie unlängst im Falle der Senkung der Bonitätseinstufung der öffentlichen Schuldtitel Griechenlands und anderer, auf den internationalen Märkten hochverschuldeter EU-Staaten -, dann stellt sich unmittelbar ein Problem der Kohärenz ihres Vorgehens mit den von ihnen verfolgten Zielen (auf transparente und verantwortliche Art und Weise dem Markt geeignete Informationen liefern). Es kann aber auch zu einem Interessenkonflikt kommen zwischen den privaten internationalen Investoren (die dieses Rating für die Risikobewertung ihrer Investitionstätigkeit verwenden) einerseits und den Bürgern/Verbrauchern des von den Folgen einer Erklärung der voraussichtlichen Zahlungsunfähigkeit bei staatlichen Schuldtiteln des betroffenen Landes andererseits – unbeschadet der Tatsache, dass die Zahlungsunfähigkeit durch Inkompetenz und grobes Verschulden von Politikern verursacht wurde.

1.11   Die Ratingagenturen können öffentliche Schuldtitel nur dann wirkungsvoll bewerten, wenn sie über die geeigneten Instrumente und Verfahren verfügen und bei ihrem Vorgehen die Vorschriften der zuständigen Aufsichtsbehörden einhalten.

1.12   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bewertung staatlicher Schuldtitel eine Frage des öffentlichen Interesses ist. Er begrüßt die von der Kommission eingeleitete öffentliche Konsultation und wird zu gegebener Zeit eine fundierte Stellungnahme vorlegen. Der EWSA spricht sich jedoch dafür aus, dass staatliche Schuldtitel im Interesse der Allgemeinheit von einer unabhängigen internationalen oder europäischen Agentur bewertet werden, die zu diesem Zweck eingerichtet wird. Diese Agentur sollte zeitnah, transparent und mit geeigneten Instrumenten arbeiten.

1.13   Entscheidend ist, dass es bei dem Rating zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen voneinander und von Dritten unabhängigen Ratingagenturen kommt. Der EWSA empfiehlt des Weiteren, bei Verzögerungen oder fehlenden internationalen Übereinkünften auch die Möglichkeit der Einrichtung einer europäischen Agentur für die öffentlichen Schuldtitel zu erwägen. Außerdem sollte die Schaffung einer maßgeblichen europäischen Agentur für das Rating normaler Schuldtitel gefördert werden, um den Wettbewerb in diesem Bereich zu stärken.

1.14   Der EWSA begrüßt, dass zusammen mit dem Vorschlag bezüglich der Beaufsichtigung der Ratingagenturen auch damit verbundene Fragen wie Sanktionen, Wettbewerb, Interessenkonflikte und Information durch die Verordnung von 2009 geklärt wurden (4).

1.15   Der Ausschuss begrüßt, dass in den Rechtsvorschriften zur Regulierung der Branche der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten eingeschränkt wird. Damit soll der Informationsaustausch sowie die Kohärenz der verschiedenen Rechtssysteme gefördert werden, um zu verhindern, dass die Auswirkungen der europäischen Aufsicht neutralisiert werden.

1.16   Der EWSA schlägt vor, die Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zum Schutz der Nutzer von Finanzprodukten und -dienstleistungen (Verbraucher, Unternehmen usw.) zu erleichtern. Ferner könnte auf Vorschlag der Sozialpartner und der Verbraucherschutzverbände eines oder mehrerer Verbrauchervertreter in die europäischen Aufsichtsbehörden (nunmehr Europäisches Finanzaufsichtssystem - ESFS) entsandt werden.

1.17   Der EWSA regt an, das System der Erstellung von Finanzinformationen umfassend zu fördern und dabei eine Vielzahl von Akteuren sowie neue Bestimmungen für erhöhte Transparenz und Wirksamkeit der Bewertungsverfahren – insbesondere für Derivate – anzustreben.

1.18   Der EWSA empfiehlt, das derzeitige System der Selbstregulierung auch auf internationaler Ebene zu überwinden. Es bedarf eines Prozesses der Koordinierung der verschiedenen zuständigen Behörden und der Ermittlung strikter Vorschriften, die für alle zu gelten haben, sowie der Gewissheit, dass die Vorschriften auch angewendet werden. Die EU muss sich voll und ganz für die Durchsetzung dieses Ziels in den internationalen Institutionen einsetzen.

1.19   Der EWSA schlägt schließlich vor, die Verordnung zu vereinfachen und zu verdeutlichen, damit sie verständlicher und ihre Anwendung erleichtert wird. Komplizierte Vorschriften sind einfacher zu umgehen.

1.20   Der EWSA fordert, die Pflicht abzuschaffen, Wertpapiere vor ihrem Verkauf von Ratingagenturen bewerten zu lassen (wie auch vom Rat für Finanzstabilität vorgeschlagen wurde). Die Beseitigung dieser Voraussetzung für die Neuemission von Wertpapieren würde die passive Akzeptanz hochriskanter Finanzinstrumente, auch wenn sie über ein hervorragendes Rating verfügen, vermeiden! Der EWSA teilt die Besorgnis der de Larosière-Gruppe, dass mit der Verwendung von Ratings für Eigenkapital den Finanzinstituten zu viel Verantwortung abgenommen und gleichzeitig das Oligopol der Ratingagenturen zementiert wird. Der EWSA begrüßt, dass diese Frage in der laufenden öffentlichen Konsultation aufgegriffen worden ist.

2.   Einleitung

2.1   Bekanntlich gehören die gravierenden Mängel bei der Regulierung und Überwachung der internationalen Finanzen zu den tieferen Ursachen der jüngsten Krise. Außerdem hat die Krise den Widerspruch deutlich gemacht, dass Finanzinstitute und Banken zwar international agieren, aber als Einrichtungen des nationalen Rechts reguliert werden und Pleite gehen (Mervyn King, Gouverneur der Bank von England).

2.2   Das gilt auch für die Ereignisse innerhalb der EU, weshalb die Krise die Notwendigkeit verstärkt hat, rasch einen europäischen Bezugsrahmen sowohl für die Regulierung als auch für die Aufsicht zu schaffen. Angesichts eines immer stärker integrierten Finanzmarkts wurde deutlich, dass die Mitgliedstaaten über stark voneinander unterscheidende Vorschriften und Aufsichtssysteme verfügen.

2.3   Die Europäische Kommission hat einen stufenweisen Ansatz für die Regulierung der Ratingagenturen gewählt. Unmittelbar nach der Bankenkrise stand die Regulierungs- und Aufsichtsproblematik im Vordergrund, mit besonderem Schwerpunkt auf der Bewertung komplexer Derivate und den entsprechenden Interessenkonflikten. Das Versagen bei der Bewertung dieser Instrumente hat in erheblichem Maße zur Krise beigetragen (5)

2.4   Parallel zum Rechtssetzungsprozess, der in der Verordnung von 2009 gipfelte, haben die Ergebnisse der de Larosière-Gruppe zu dem Beschluss geführt, die Regulierung des Finanzsektors und die Finanzmarktaufsicht in der EU grundlegend zu überarbeiten. Mittlerweile wurde ein Vorschlag angenommen, mit dem ein zweiteiliger aufsichtsrechtlicher Rahmen in der EU geschaffen wird. Der erste Teil besteht aus drei spezifischen Aufsichtsbehörden, und eine davon ist die für Ratingagenturen zuständige Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority - ESMA). Der Verordnungsvorschlag, der Gegenstand der vorliegenden Stellungnahme ist, befasst sich ausschließlich mit den Änderungen der Verordnung von 2009, die notwendig wurden, um Vorschriften über die Befugnisse der ESMA in die Verordnung von 2009 aufzunehmen.

2.5   Da die Finanzkrise, die vor allem die Banken erfasst hatte, von der Staatsschuldenkrise abgelöst wurde, ist eine Reihe neuer Fragen aufgekommen, die sich u.a. auf die Rolle der Ratingagenturen bei Staatsschuldtiteln beziehen. Möglicherweise führen diese Vorgänge zu einer dritten Verordnung über Ratingagenturen, zu der derzeit nur ein Dokument vom 5.11.2010 zur öffentlichen Konsultation vorliegt. Die Kapitelüberschriften geben einen Hinweis auf die betroffenen Themen: Vertrauen in Ratings für Eigenkapital, Staatsanleihe-Ratings, Stärkung des Wettbewerbs im Ratingsektor, zivilrechtliche Haftung von Ratingagenturen und mögliche Interessenkonflikte. Es ist davon auszugehen, dass der EWSA zu diesen Themen im Rahmen der angedeuteten neuen Verordnung zu gegebener Zeit eine fundierte Stellungnahme abgeben wird.

2.6   Außerdem lassen auch die auf europäischer Ebene harmonisierten Vorschriften viel Raum für Ermessen und nationale Optionen, abgesehen vom den nationalen „Auslegungen“ in der Umsetzungsphase.

2.7   Die gleichen gravierenden Mängel sind laut de Larosière auch bei den Ratingagenturen zutage getreten, die insbesondere in Bezug auf komplexe Derivate (4) in puncto angewandte Bewertungsverfahren, fehlende Informationen, Transparenz und natürlich vorhandene Interessenkonflikte alle an ihre Grenzen gestoßen.

2.8   Außerdem besteht hier ein echtes Oligopol, da nur drei, fast ausschließlich amerikanische Ratingagenturen (Moody's, Standard & Poor's und Fitch) ca. 90 % des Markts für Ratings beherrschen. Diese haben bekanntlich eine wichtige Rolle bei der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise gespielt. Das Verfahren, bei dem der Emittent für das Rating bezahlt, funktioniert zwar für Staats- und Unternehmensschuldtitel relativ gut, verursachte aber bei der Bewertung komplexer Derivate einen größeren Interessenkonflikt, was zu einem Teufelskreis auf Kosten der Transparenz der abgewickelten Transaktionen geführt hat.

2.9   Diese Ratingagenturen geben nach wie vor, als sei nichts geschehen, nicht unbedingt objektive Bewertungen ab. So stufte Standard & Poor's im vergangenen April (26.4.2010) die griechischen Staatsschulden auf das Niveau Aserbaidschans herab – trotz der Bewilligung von 110 Mrd. EUR für Griechenland durch die EU.

2.10   Erst aufgrund dieser Ereignisse und der Kritik einflussreicher europäischer Führungspersönlichkeiten an der Funktionsweise der Ratingagenturen hat der Europäische Rat beschlossen, die genannte öffentliche Konsultation einzuleiten, die sich auch auf staatliche Schuldtitel erstreckt. Den Regierungen bestimmter Mitgliedstaaten missfällt überaus die Vorstellung, dass der Markt die Fehler und Fehleinschätzungen verschwenderischer Regierungen bloßlegen könnte, obgleich es Staatsbankrotte bereits seit Menschengedenken gibt. Diese Stellungnahme bezieht sich indes auf die Verordnung von 2009.

2.11   Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 2. Juni 2010 (siehe Tabellen im Anhang (6)) eine Bestandsaufnahme vorgenommen, was bezüglich des Aufbaus eines europäischen Finanzsystems bislang geleistet wurde und was noch zu tun ist, um ein sichereres, transparenteres und verantwortlicheres Finanzsystem, das für die Realwirtschaft und die Gesellschaft insgesamt arbeitet, zu schaffen.

2.12   Deshalb wird eine zentrale Aufsicht über die in der EU tätigen Ratingagenturen gefordert, wobei die Zuständigkeit dem neuen Europäischen Finanzaufsichtssystem und den drei Europäischen Aufsichtsbehörden übertragen wird. Die Behandlung damit verbundener grundlegender Fragen wird auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

3.   Die Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 im Überblick

3.1   Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen (Änderungen zu Titel I)

3.1.1   Der zentrale und wichtigste Punkt betrifft, wie bereits angesprochen, den Übergang der Aufsicht von der einzelstaatlichen auf die europäische Ebene, wobei die Aufsichtsbefugnis über die Ratingagenturen, die in der EU tätig sind oder die ihren Sitz in Drittstaaten haben (europäische Tochterunternehmen), großteils der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) übertragen wird.

3.1.2   In Artikel 4 werden die Verwalter alternativer Investmentfonds aufgeführt, um sie hinsichtlich der Verwendung von Ratings so behandeln zu können wie andere Finanzinstitute in der EU. Dies bedeutet, dass von alternativen Investmentfonds verwendete Ratings von einer gemäß der neuen Verordnung registrierten oder zertifizierten Ratingagentur vergeben worden sein müssen.

3.2   Abgabe von Ratings, Informationszugang (Änderungen zu Titel II)

3.2.1   Emittenten von strukturierten Finanzinstrumenten oder mit ihnen verbundene Dritte müssen auch den Agenturen, die mit den von ihnen beauftragten Ratingagenturen konkurrieren, Zugang zu den Informationen gewähren, die nicht für andere Zwecke als für die Abgabe eines Ratings verwendet werden dürfen. Damit sollen Interessenkonflikte bei den Agenturen verhindert werden, die ja vom Emittenten, d.h. vom Auftraggeber des Ratings (sic!) bezahlt werden (gemäß dem „Modell des zahlenden Emittenten“).

3.3   Registrierungsverfahren und Beaufsichtigung der Ratingtätigkeit (Änderungen zu Titel III)

3.3.1   Infolge der Einrichtung einer zentralen Aufsichtsbehörde auf europäischer Ebene sind bestehende Bestimmungen über die kollegiale Aufsicht zu streichen (Abschaffung des Kollegiums), um eine wirksame Aufsicht über die in verschiedenen Gebieten tätigen Ratingagenturen zu gewährleisten. Die europäische Aufsichtsbehörde kann außerdem die Kommission ersuchen, das Registrierungsverfahren zu regeln und Normen für die beizubringenden Informationen festzulegen. Sie kann auch selbst Informationen anfordern und bei eventuellen Verstößen gegen die Verordnung Nachforschungen und Prüfungen vor Ort durchführen usw.

3.4   Zusammenarbeit zwischen der ESMA und den einzelstaatlichen Behörden (Änderungen zu Titel III)

3.4.1   Die einzelstaatlichen Behörden sind weiterhin für die Kontrolle der Nutzung von Ratings durch beaufsichtigte Unternehmen (wie Banken, Versicherungen, Wertpapierfirmen) zuständig. Sie tauschen die Informationen über die Ratingagenturen mit der ESMA aus, arbeiten mit dieser zusammen und unterstützen sie.

3.4.2   Die ESMA kann - auch aus Kostengründen - bestimmte Aufgaben an die nationalen Behörden delegieren. Insbesondere können folgende Aufgaben übertragen werden: Nachforschungen und Prüfungen vor Ort, Bewertung des Antrags auf Registrierung und mögliche Aspekte im Zusammenhang mit der Aufsicht. Diesbezüglich muss die ESMA, die jedenfalls die Zuständigkeit in diesem Bereich behält, spezifische Leitlinien erarbeiten.

3.5   Sanktionen und Ausschussverfahren (Änderungen zu Titel IV Kapitel I)

3.5.1   Die europäische Aufsichtsbehörde ist befugt, der Kommission die Verhängung von Sanktionen gegen Ratingagenturen vorzuschlagen, um einen Verstoß abzustellen und dies öffentlich bekannt zu geben, die angeforderten Informationen beizutreiben oder die Ratingagenturen einer Untersuchung zu unterziehen. Verstößt eine Ratingagentur gegen die Verordnung, darf die ESMA eine Geldbuße und ein befristetes Verbot, Ratings abzugeben, veranlassen, die Agentur auffordern, den Verstoß abzustellen oder sogar den Widerruf der Registrierung einer Ratingagentur veranlassen.

3.5.2   Die Ausschussverfahren wurden entsprechend dem Vertrag von Lissabon angepasst.

3.6   Übergangs- und Schlussbestimmungen (Änderungen zu Titel IV Kapitel II)

3.6.1   Nach Aufnahme der Tätigkeit der ESMA müssen die einzelstaatlichen Behörden ihre Kompetenzen in diesem Bereich abgeben. Die Modalitäten für die Übermittlung der Unterlagen und Informationen seitens der nationalen Behörden müssen noch festgelegt werden.

3.7   Der EWSA ist der Auffassung, dass der Inhalt der von der Europäischen Kommission gestarteten öffentlichen Konsultation zum Thema Ratingagenturen mit den Schlussfolgerungen der vorliegenden Stellungnahme im Großen und Ganzen übereinstimmt. Er behält sich vor, die bei der Konsultation angesprochenen Themen gegebenenfalls zu vertiefen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der neue Kommissionsvorschlag geht, was die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufsicht von der nationalen auf die europäische Ebene anbelangt, in die richtige Richtung. Dies ist eine sehr komplexe Tätigkeit, die keine zufriedenstellenden Ergebnisse zeitigen kann, wenn sie - gemäß dem vorhergehenden Verordnungsvorschlag (7) - lediglich von den Mitgliedstaaten auf kollegiale Art und Weise durchgeführt wird. Außerdem entspricht der neue Vorschlag dem bereits im de Larosière-Bericht (8) vorgegebenen richtigen Ansatz. Die Rechtsvorschrift ist vielleicht etwas zu vage, da nicht immer eindeutige Lösungen vorgegeben werden.

4.2   Davon abgesehen werden indes die Vorschriften, denen Ratingagenturen im Hinblick auf ihre Registrierung und die Ausübung ihrer Aktivität entsprechen müssen, im neuen Vorschlag gegenüber der Verordnung vom September 2009 nicht maßgeblich verändert.

4.3   Die wichtigste Frage betrifft jedoch die außerhalb der EU tätigen Ratingagenturen, die von den vorgeschlagenen Änderungen de facto nicht berührt werden: Wer ist wirklich von der Verordnung betroffen? Wie können z.B. von Moody's, Standard & Poor's und Fitch (die trotz der von ihnen verursachten Desaster nach wie vor die einflussreichsten Agenturen sind) abgegebene Ratings neutralisiert werden? Reicht es aus, ihre europäischen Tochterunternehmen zu kontrollieren, um ihr weltweites Oligopol zu brechen?

4.4   Die wichtigsten, weltweit tätigen Ratingagenturen sind bekannt: Moody's, Standard & Poor's, Fitch ratings, Dun & Bradstreet, A.M. Best, Egan-Jones Rating Company (alles US-amerikanische Unternehmen), Dominion Bond Rating (Kanada), Baycorp Advantage (Australien), China Credit Information Service (China), Japan Credit Rating (Japan), Rating Agency Malaysia (Malaysia), NKC Independent Economists (Südafrika). Und wo bleibt Europa? Fakt ist, dass Europa, die größte Wirtschaftsmacht der Welt, über KEINE Ratingagentur verfügt, auch nicht für die Bewertung öffentlicher Schuldtitel.

4.5   Die angelsächsische Gruppe von Agenturen bringt die frühere Vorherrschaft des angelsächsischen Kapitalismus zum Ausdruck, die auch durch die beiden Weltkriege nicht unterbrochen wurde; zudem spiegelt die Zusammensetzung die besonderen operativen Erfordernisse der asiatischen Volkswirtschaften wider. Erstaunlicherweise ist seit Einführung des gemeinsamen Marktes keine europäische Ratingagentur entstanden, wobei Fitch zwar in französischem Besitz ist, ihren Sitz jedoch außerhalb Frankreichs hat. Die Tatsache, dass die EU seit 1957 keine weltweit operierende Ratingagentur hervorgebracht hat, kann mit dem ebenso schwachen Abschneiden der EU bei den Hochtechnologiebranchen im gleichen Zeitraum verglichen werden. Die EU betreibt keine Wirtschaftsförderung für Unternehmer in den modernen Branchen. Im Rahmen der Konsultation über eine neue Verordnung soll auch die Frage des Wettbewerbs überprüft werden. Der Mangel an unternehmerischer Initiative muss angegangen werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Der EWSA begrüßt die Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde. Der Vorschlag ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, der den europäischen Rechtsrahmen besser an die zutage getretenen Erfordernisse anpasst und den Märkten, den Bürgern und den Unternehmen Vertrauen und Sicherheit geben soll. Der Vorschlag ist gleichwohl noch nicht ausreichend, um den erklärten Zielen gerecht zu werden.

5.2   Begrüßt wird auch der Vorschlag, alternative Investmentfonds auf Antrag von registrierten oder zertifizierten Ratingagenturen bewerten zu lassen.

5.3   Schwieriger erscheint hingegen, mit dem vorliegenden Vorschlag das „Modell des zahlenden Emittenten“ transparent, objektiv und wettbewerbsfähig werden zu lassen, zumal der diesem System innewohnende Interessenkonflikt nicht beseitigt wird. Ratingagenturen, die sich in einer solchen Lage befinden, müsste vielmehr die Abgabe von Ratings ihrer Geschäftspartner untersagt werden. Es ist zu begrüßen, dass ein internationaler Prozess der Angleichung der Regelungen begonnen hat, wie in den USA, Japan usw. zu sehen ist.

5.4   Der EWSA begrüßt, dass - auch aus Kostengründen - bestimmte Aufgaben an die nationalen Behörden delegiert werden, aber unter der Bedingung, dass die Zuständigkeiten zwischen europäischen und nationalen Behörden stets klar abgegrenzt werden. Insbesondere müssen in Bezug auf korrekte Informationen, Registrierung und Inspektionen vor Ort die Auflagen eingehalten und die Maßnahmen definiert werden.

5.5   Der EWSA begrüßt die Einführung des Grundsatzes, dass gegen Ratingagenturen, die ihren Pflichten nicht nachkommen oder die gegen die Verordnung verstoßen, Sanktionen verhängt werden können.

5.6   Die wirkliche Herausforderung für die Politik besteht angesichts der Tatsache, dass es sich hier nicht um Novizen handelt, nicht nur darin, klare und abschreckende Bestimmungen zu finden, sondern vielmehr in ihrer Durchsetzung. Deshalb sollten auch Sanktionen für die Leiter und Verantwortlichen der europäischen und internationalen Aufsichtsbehörden vorgesehen werden, falls sie ihre Aufsichtspflichten missachten - angesichts des Schadens, der ihre Untätigkeit den gesunden Banken und Finanzinstituten sowie der Wirtschaft, den Unternehmen und den Bürgern zufügen kann. Damit erweisen sie allenfalls der Spekulation und sämtlichen damit verbunden Interessen einen großen Gefallen. Jedenfalls sollten sie persönlich für die Nichterfüllung ihrer Pflicht aufkommen. Die in diesen turbulenten Zeiten von vielen beschworene „Ethik“ kann ohne Verantwortlichkeit – und folglich ohne Sanktionen – kaum erreicht werden.

5.7   Außerdem ist der Teil, der sich mit den internationalen Aspekten befasst, nicht ganz angemessen. Auch auf Fragen bezüglich der Nutzer von Finanzprodukten - Unternehmen und vor allem Bürger - müssen bessere Antworten gefunden werden.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  European Securities Market Authority.

(2)  Im Folgenden: „Verordnung von 2009“.

(3)  Öffentliche Konsultation zum Thema Ratingagenturen, 5.11.2010.

(4)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen“, ABl. C 277/25 vom 17.11.2009, S. 117.

(5)  Einen Überblick über die Verordnung von 2009 bietet Ziffer 3 der Stellungnahme des EWSA zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Ratingagenturen“, ABl. C 277/25 vom 17.11.2009, S. 117.

(6)  KOM(2010) 301 endg.: Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum.

(7)  Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen.

(8)  Vgl. die Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorschlägen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, KOM(2009) 499 endg. - 2009/0140 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, KOM(2009) 501 endg. – 2009/142 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, KOM(2009) 502 endg. - 2009/143 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 503 endg. – 2009/144 (COD), ABl. C 339/08 vom 14.12.2010, S. 34.


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EU) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von land- und forstwirtschaftlichen Fahrzeugen“

KOM(2010) 395 endg. — 2010/0212 (COD)

(2011/C 54/13)

Hauptberichterstatter: Ludvík JÍROVEC

Der Rat beschloss am 7. September 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung (EU) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von land- und forstwirtschaftlichen Fahrzeugen

KOM(2010) 395 endg. – 2010/0212 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 14. September 2010 mit den Vorarbeiten zu dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 9. Dezember), Ludvík JÍROVEC gemäß Artikel 57 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 142 gegen 2 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung und Inhalt des Kommissionsvorschlags

1.1   Ziel des Verordnungsvorschlags ist die Festlegung harmonisierter Vorschriften für den Bau von land- und forstwirtschaftlichen Fahrzeugen. Bestehendes Recht soll ersetzt werden, um es mit den Grundsätzen der besseren Rechtsetzung und der Vereinfachung der Rechtsvorschriften in Einklang zu bringen. Der Vorschlag trägt dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu erhöhen und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten.

1.2   Die vorgeschlagene Verordnung folgt der von der Gruppe CARS 21 in ihrem Bericht ausgesprochenen Empfehlung und vereinfacht das Typgenehmigungsrecht erheblich: 24 Basisrichtlinien (und rund 35 damit verbundene Änderungsrichtlinien) auf dem Gebiet der technischen Anforderungen für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen werden durch eine einzige Verordnung des Rates und des Europäischen Parlaments ersetzt.

1.3   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass die Kodifizierung aller bestehenden Rechtsvorschriften in Form einer einzigen Verordnung von großem Nutzen wäre, zumal der Vorschlag die Zusage enthält, dass keine wesentlichen Änderungen vorgenommen werden. Die Kodifizierung dient ausschließlich dazu, das EU-Recht eindeutig und transparent zu gestalten. Der EWSA unterstützt diese Zielsetzung vorbehaltlos und begrüßt den Vorschlag vor dem Hintergrund dieser Zusage.

2.   Bemerkungen

2.1   Da Typgenehmigungsverfahren sehr zeitaufwendig sind, fürchtet der EWSA, sie könnten bei der Einführung neuer Maschinen zu Verzögerungen führen, die für die kleinen Hersteller schwerwiegende Folgen hätten. Daher muss die neue Verordnung flexibel genug sein, um die kontinuierliche Weiterentwicklung bereits bestehender Maschinen und die Einführung neuer Maschinentypen zu ermöglichen.

2.2   Für einige Zugmaschinentypen, die ausschließlich zur Nutzung im Gelände konzipiert wurden, sollten Ausnahmeregelungen für die Straßenbenutzung in Erwägung gezogen werden. Gerade für Spezialfahrzeuge ist dies ein besonderes Problem.

2.3   Der EWSA vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass die Vorschriften auf mehr als – bislang - nur zwei Geschwindigkeitsklassen beruhen sollten. Durch den technologischen Fortschritt werden die Straßenlage und Bremskraft der Zugmaschinen verbessert, so dass sich auch die Geschwindigkeit der Straßenzugmaschinen erhöhen wird. Für langsamere Fahrzeugtypen, die in der Land- und Forstwirtschaft verwendet werden, sollten neue Perspektiven für die Straßenbenutzung eröffnet werden. Der EWSA ist der Ansicht, dass durch den Verordnungsvorschlag die Befolgungskosten unnötig in die Höhe getrieben und damit die Entwicklung kleinerer Zugmaschinen beeinträchtigt werden könnte, während gleichzeitig die erforderlichen Veränderungen für Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit bis zu 65 km/h – oder künftig noch höheren Geschwindigkeiten – nicht erkannt werden.

2.4   Der EWSA ruft die Kommission dazu auf, auch mit der Verwendung land- und forstwirtschaftlicher Fahrzeuge auf Straßen zusammenhängende Fragenkomplexe zu behandeln. Insbesondere spricht sich der EWSA für einheitliche europäische Standards im Bereich des Führerscheins, der Fahrzeugkontrolle und der Straßenbenutzung aus. Dadurch könnte ein Beitrag zur Ablösung der unterschiedlichen nationalen Regeln durch unionsweit einheitliche Regelungen und Vorschriften über die Verwendung von Zugmaschinen geleistet werden.

2.5   Die Hersteller sollten nach Ansicht des EWSA in der Lage sein, die mit dem Inkrafttreten der Verordnung geltenden Anforderungen – auch die technischen – zu erfüllen. Soweit dies nicht möglich ist, sollten angemessene Ausnahme- oder Übergangsregelungen greifen.

2.6   Der EWSA hält es mit Blick auf Artikel 8 „Anforderungen für die Sicherheit am Arbeitsplatz“ für angezeigt, weitere Rechtsvorschriften nicht durch eine künftige Richtlinie über Typgenehmigungen, sondern eher im Rahmen der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG zu erlassen.

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister“

KOM(2010) 484 endg. — 2010/0250 (COD)

(2011/C 54/14)

Hauptberichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 13. Oktober 2010 bzw. am 7. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister“

KOM(2010) 484 endg. - 2010/0250 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 20. Oktober 2010 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember), Edgardo Maria IOZIA zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 144 gegen 4 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Bemerkungen und Empfehlungen

1.1   Der Nominalwert aller Derivate zusammengenommen belief sich Ende 2009 laut Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auf ca. 615 Billionen USD (615 000 000 000 000), d.h. mehr als das Zehnfache des globalen BIP. 2010 werden die Banken voraussichtlich bis zu 150 Milliarden USD Gewinne aus diesen Derivaten erzielen. 40 % dieses Umsatzes entfällt auf außerbörslich gehandelte Derivate („over the counter“ – OTC-Derivate). Der jüngsten Studie einer großen weltweit operierenden Bankengruppe zufolge werden die künftigen Reformen des außerbörslichen Handels in Europa und den USA zu Mindereinnahmen von mindestens 15 Milliarden USD führen.

1.2   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag für eine Verordnung über Derivate, den außerbörslichen Handel, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister. Er teilt die Ansicht von Kommissionsmitglied Michel Barnier, der unlängst erklärte: „Auf den Finanzmärkten darf es nicht zugehen wie im Wilden Westen. OTC-Derivate haben große Auswirkungen auf die Realwirtschaft und beeinflussen die Hypothekenzinssätze ebenso wie die Lebensmittelpreise. Das Fehlen jeglichen Regelungsrahmens für OTC-Derivate war Mitursache der Finanzkrise und ihrer schweren Folgen, unter denen wir alle leiden.“

1.3   Die Entscheidung, für die Regulierung dieses Bereichs eine Verordnung zu erlassen, ist angemessen und entspricht dem Erfordernis, allgemeine und einheitliche Pflichten für alle Akteure des Sektors einzuführen.

1.4   Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, dass standardisierte OTC-Derivate grundsätzlich über eine zentrale Gegenpartei (CCP) abgewickelt werden müssen und dass die CCPs – die infolgedessen erhebliche Risiken eingehen – einheitlichen Aufsichtsregeln unterliegen sollten. Dies wurde im Übrigen bereits in einer früheren Stellungnahme des EWSA empfohlen: „Der OTC-Markt sollte nicht für den bilateralen Handel offenstehen, sondern ausschließlich mit einer zentralen Gegenpartei abgewickelt werden, die durch die Überwachung des Gesamtrisikos für zu stark gefährdete Parteien den Zugang zu den Transaktionen begrenzen kann. Außerdem sollten die Transaktionen entweder über eine einzige Plattform oder höchstens eine festgelegte Anzahl von Plattformen abgewickelt werden, um die Transparenz der Märkte zu verbessern.“

1.5   Der Ausschuss betrachtet es als sehr positiv, dass die Zuständigkeit für die Überwachung der Märkte für außerbörsliche gehandelte Derivate (OTC-Derivate), die Ermittlung der einzelnen zentral abzuwickelnden Derivatekategorien, die Erteilung bzw. der Entzug und die Änderung von Zulassungen für CCPs und ähnliche Befugnisse bezüglich Transaktionsregistern den nationalen Behörden und der ESMA zusammen übertragen werden.

1.6   Er hält es für unbedingt erforderlich, die Zusammenarbeit zwischen der ESMA und den einzelstaatlichen Behörden zu verstärken, da letztere sicherlich herangezogen werden, um ihre Erfahrungen und ihre Kenntnis der lokalen Märkte beizusteuern und zur allmählichen Steigerung der Interoperabilität zwischen den einzelnen CCPs beizutragen, indem sie deren Kompetenzniveau, interne Organisation und Fähigkeit zur Bewältigung von Risiken bewerten. Der Ausschuss hält die Entscheidung, die Interoperabilität zunächst auf Kassageschäfte zu beschränken, für zweckmäßig.

1.7   Mit dem Vorschlag für eine Verordnung werden die Empfehlungen des Financial Stability Board (Rat für Finanzstabilität, FSB) umgesetzt, wonach die Pflicht zur Abwicklung über eine zentrale Gegenpartei auf alle standardisierten OTC-Derivatekontrakte ausgedehnt werden sollte. Die G20-Staatengruppe hat festgelegt, dass diese Kontrakte spätestens Ende 2012 an Börsen bzw. elektronischen Handelsplattformen gehandelt und über CCPs gecleart werden müssen. Zudem müssen OTC-Derivatekontrakte an Transaktionsregister gemeldet werden.

1.8   Auf internationaler Ebene hat die gemeinsame CPSS-IOSCO-Arbeitsgruppe im Februar 2010 eine umfassende Überarbeitung der Standards für Marktinfrastrukturen (Zahlungs- und Wertpapierabrechnungssysteme sowie zentrale Gegenparteien) eingeleitet. Damit sollen die derzeitigen Grundsätze bzw. Empfehlungen auf den neuesten Stand gebracht und gestärkt werden, um den Lehren aus der jüngsten Finanzkrise Rechnung zu tragen. Als erstes wichtiges Ergebnis dieser Arbeiten wurden im Mai 2010 Empfehlungen für Transaktionsregister auf OTC-Derivatenmärkten (Considerations for trade repositories in OTC derivatives market) vorgelegt. Im Hinblick auf die Rolle der CCPs hatte der Technische Ausschuss der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (International Organization of Securities Commissions) bereits im März 2004 sinnvolle Empfehlungen vorgelegt, die leider unberücksichtigt blieben.

1.9   Der Vorschlag der Kommission enthält keine gesonderte Bestimmung über Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps – CDS). Der EWSA wünscht den baldigen Erlass einer weiteren Rechtsvorschrift über CDS, für die - ebenso wie für Leerverkäufe – ab dem 1. Juli 2012 Restriktionen festgelegt werden, während dies bei Derivaten spätestens Ende 2012 erfolgt.

1.10   Im Oktober 2009 hat die Kommission eine Mitteilung über die künftigen Maßnahmen zur Regulierung des Derivatemarkts veröffentlicht. Damit sollen die Transparenz verbessert, die operationellen Risiken durch Standardisierung verringert und Märkte für standardisierte Kontrakte entwickelt werden, wobei die MiFID-Richtlinie entsprechend zu ändern ist.

1.11   Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass die vorgeschlagenen Verfahren die Markttransparenz verbessern werden, vor allem durch die wachsende Bedeutung der Transaktionsregister, womit die Gegenparteiausfallrisiken durch eine allmähliche Zunahme der über CCPs abgewickelten Geschäfte verringert werden. Die CCPs werden ihrerseits strengeren Vorschriften hinsichtlich ihrer Verwaltung, internen Organisation und Kapitalanforderungen unterworfen, wodurch die operationellen Risiken sinken. Dazu kommen elektronische Abwicklungsverfahren zur Bestätigung der Bedingungen der OTC-Derivatekontrakte zur Anwendung.

1.12   Der EWSA erklärt sich sowohl mit dem Vorschlag bezüglich der zentralen Gegenparteien als auch mit der Beschränkung von Leerverkäufen einverstanden. Es gehört zu den Zielen der Kommission, für die Transparenz der Transaktionen und die Eigenverantwortung und Rechenschaft der Marktteilnehmer und Gegenparteien zu sorgen sowie zügellosen Spekulationen Einhalt zu gebieten. Die Kommission verfolgt diese Ziele auf wirksame Art und Weise, indem sie geeignete Maßnahmen auf den Weg bringt, um die bestehende Regelungslücke, die ja Mitursache der Finanzkrise war, zumindest zum Teil zu schließen.

Der Ausschuss gibt jedoch zu bedenken, dass damit auch nicht zu unterschätzende Risiken verbunden sind, so z. B. übersteigerte Erwartungen an die kurzfristigen positiven Auswirkungen der CCPs auf die CDS-Märkte. Die wettbewerbsorientierte Aktivität der verschiedenen CCPs im Clearinggeschäft und bei der Fragmentierung des gesamten Prozessesdarf ebenso wenig übersehen werden wie das Risiko einer Einschränkung der Palette zur Verfügung stehender Derivate und eines Anstiegs der Transaktionskosten für Finanzgeschäfte.

1.13.1   Um solchen Risiken wirkungsvoll zu begegnen, sollten vor allem die Fragen der Interoperationalität der CCP, die Vertraulichkeit des Datenaustausches, der Konzentration der Datensammlung und Meldepflichten bei der zentralen Gegenpartei und die Einbeziehung der Kunden bei der Governance der CCP sorgfältig geprüft werden.

1.14   Der EWSA empfiehlt den europäischen Institutionen:

die Verordnung über OTC-Derivate alsbald zu erlassen, um das Vertrauen in die Märkte wiederherzustellen, für Besonnenheit zu sorgen und die Sparer zu schützen;

die neuen Vorschriften über Derivate wie von der Kommission angekündigt zu ergänzen;

für die Vervollständigung der Reform der Finanzmarktregulierung auf institutioneller Ebene und bei den Rechtsvorschriften zu sorgen und diesen Prozess zu beschleunigen.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1   Die G-20-Staatengruppe hat wiederholt bekräftigt, dass sie die Einführung weitreichender Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und zur Schließung der Regelungslücke bei OTC-Derivaten beschleunigen will.

2.2   In der vorgeschlagenen Verordnung werden zahlreiche Maßnahmen aufgeführt, die auch in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Juni 2010 zu „Derivatemärkten – Künftige politische Maßnahmen“ empfohlen werden; der Verordnungsvorschlag liegt zudem auf einer Linie mit dem diesbezüglichen US-amerikanischen Gesetz, dem jüngst verabschiedeten Frank-Dodd Act.

2.3   Im Bereich Clearing, Meldepflicht und Risikominderung für OTC-Derivate ist das Clearing über CCPs allein für standardisierte OTC-Kontrakte vorgesehen. Um sicherzustellen, dass möglichst viele OTC-Derivate der Clearingpflicht unterliegen, sieht Verordnung für die Entscheidung der Frage, welche Kontrakte clearingpflichtig sind, zwei Ansätze vor.

2.4   Der erste Ansatz ist ein Bottom-up-Konzept, wonach eine CCP entscheidet, bestimmte Kontrakte zu clearen, wozu sie von der zuständigen Behörde ermächtigt wird. Diese Behörde muss wiederum die ESMA informieren, wenn sie der betreffenden CCP das Clearing der besagten Kontrakte erlaubt. Die ESMA kann dann entscheiden, ob für alle derartigen Kontrakte in der EU eine Clearingpflicht gelten sollte.

2.5   Der zweite Ansatz ist ein Top-Down-Konzept, um diejenigen Kontrakte zu ermitteln und zu erfassen, die nicht durch eine CCP gecleart wurden. Diesem Konzept zufolge soll die ESMA gemeinsam mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken festlegen, welche Kontrakte potenziell der Clearingpflicht unterliegen sollten. Clearingpflichtige Gegenparteien müssen auf eine CCP zurückgreifen.

2.6   Nichtfinanzgegenparteien (in Unternehmensform) fallen grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung, es sei denn, ihre OTC-Derivatepositionen erreichen einen bestimmten Schwellenwert und werden als systemisch bedeutend angesehen.

2.7   Mit der Verordnung wird ein Verfahren eingeführt, mit dem nichtfinanzielle Institute mit systemisch wichtigen Positionen in OTC-Derivaten ermittelt werden können und bestimmten Verpflichtungen unterworfen werden. Dieses Verfahren gründet sich auf zwei Schwellenwerte: a) einen Informationsschwellenwert und b) einen Clearingschwellenwert.

2.8   Dabei schreibt die Verordnung die Nutzung elektronischer Mittel und das Bestehen von Risikomanagementverfahren vor. Und schließlich müssen finanzielle und nichtfinanzielle Gegenparteien oberhalb der Clearingschwelle die Einzelheiten eingegangener Derivatekontrakte und jede Änderung derselben an ein Transaktionsregister melden.

3.   Anforderungen an CCPs

3.1   Da die CCPs zusätzlichen Risiken ausgesetzt sind, sieht die Verordnung für sie und zur Gewährleistung ihrer Sicherheit strenge organisatorische und aufsichtsrechtliche Anforderungen (Governance-Regelungen, verschärfte Kapitalanforderungen usw.) vor.

3.2   Eine CCP muss solide Governance-Regelungen haben, die potenziellen Interessenkonflikten zwischen Eigentümern, Geschäftsführung, Clearingmitgliedern sowie mittelbar Beteiligten gerecht werden. Die Rolle unabhängiger Mitglieder des Leitungsorgans ist von besonderer Bedeutung. Für die Zulassung zur Ausübung der Tätigkeiten einer CCP muss außerdem eine Mindestkapitalausstattung vorhanden sein. Der Verordnung zufolge muss eine CCP über einen Ausfallfonds verfügen, zu dem ihre Mitglieder einen Beitrag leisten.

4.   Zulassung und Beaufsichtigung von Transaktionsregistern

4.1   Die Verordnung sieht zur Steigerung der Transparenz des Derivatemarktes eine Meldepflicht für Transaktionen mit OTC-Derivaten vor, die an Transaktionsregister gemeldet werden müssen. Die Registrierung der Transaktionsregister erfolgt bei der ESMA, die auch deren Beaufsichtigung übernimmt.

4.2   Die Verordnung enthält überdies Bestimmungen, die gewährleisten, dass Transaktionsregister einer Reihe von Standards entsprechen. Damit soll sichergestellt werden, dass die von Transaktionsregistern für Regelungszwecke vorgehaltenen Informationen zuverlässig, gesichert und geschützt sind. Transaktionsregister werden insbesondere organisatorischen und operationellen Anforderungen unterliegen und müssen einen angemessenen Schutz gewährleisten.

5.   Bemerkungen des EWSA

5.1   Bei den Infrastrukturen der Wertpapiermärkte wurden erhebliche Mängel beim Risikomanagement für das Kontrahentenrisiko und hinsichtlich der Transparenz beim Handel auf den Märkten für OTC-Derivate - insbesondere für Kreditausfallversicherungen (CDS) - festgestellt, die für die große Rezession verantwortlich gemacht werden.

5.2   Dabei handelt es sich um atypische Kontrakte, die zu einer verminderten Risikowahrnehmung und zur Ausbreitung der derzeit andauernden Krise beitrugen, die insbesondere die Emittenten dieser Wertpapiere und damit schließlich die Sparer traf. In Bezug auf die Emittenten ist festzustellen, dass die von den Banken betriebene Spekulation in Form ungedeckter Leerverkäufe von CDS zu höheren Prämien und damit zu höheren finanziellen Belastungen für die Emittenten führte, die diese mitunter in den Bankrott trieben.

5.3   Aus diesem Grunde wurden sie auch als „bleierne Fallschirme“ bezeichnet, d.h. sie stellen ein potenziell tödliches Risiko für das weltweite Finanzsystem dar. Als einzige konkrete Lösung wurde beschlossen, keine Insolvenzen von Finanzinstituten zuzulassen, indem diese mit staatlichem Kapital ausgestattet und damit verstaatlicht werden. Diese Intervention führte schlicht und einfach dazu, dass die öffentlichen Schulden unweigerlich stiegen, was das Problem vom Bankensektor auf den jeweiligen Sitzstaat verlagerte, in der Eurozone starke Turbulenzen auf den Devisenmärkten verursachte und alle Länder zu harten Sparmaßnahmen zwang, die zu einer Verlangsamung der schwachen wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben.

5.4   In den USA hat die Depository Trust and Clearing Corporation (DTCC) eigens eine Gesellschaft (Trade Information Warehouse) gegründet, die für die CDS als Transaktionsregister zugelassen ist. Die dortige Regierung hat eine Legislativreform für den Handel mit OTC-Derivaten auf den Weg gebracht, die für standardisierte Kontrakte eine Pflicht zum Clearing über zentrale Gegenparteien und die Zusammenfassung des Handels auf regulierten Märkten oder organisierten Plattformen vorsieht.

5.5   In Europa arbeitet die Europäische Kommission derzeit an einem Legislativvorschlag (European Market Infrastructures Legislation), mit dem die Transparenz und Stabilität des OTC-Derivatemarktes verbessert werden sollen. Die geplanten Maßnahmen liegen auf einer Linie mit dem US-amerikanischen Gesetzesvorschlag, da aufsichtliche Arbitrage vermieden werden soll (was wichtig ist).

5.6   Der EWSA möchte auch vor bestimmten Risiken warnen, die mit den vorgeschlagenen Maßnahmen für den Derivatemarkt verbunden sein könnten. Die Schuld für den Zusammenbruch der Finanzmärkte ist nämlich nicht nur bei den Derivaten, dem Fehlen von zentralen Gegenparteien oder eines Verbots von Leerverkäufen zu suchen.

5.7   Seit den achtziger Jahren finden immer komplexere Derivate auf den Finanzmärkten Verbreitung, welche die Effizienz dieser Märkte verbesserten und sie dem von der Wirtschaftswissenschaft beschrieben Ideal vollendeter Märkte näher brachten. In der Folge wurden auch die Regulierung, Überwachung und Beaufsichtigung dieses Sektors komplizierter, wobei die zur Debatte stehenden Reformpakete allesamt auf eine stärkere Marktkontrolle abstellen, die oft der Effizienz der Märkte abträglich ist.

5.8   Ein Markt ist um so effizienter, je besser der Preis (oder die Rendite) eines Wertpapiers die zur Verfügung stehenden Informationen widerspiegelt. Um einen Markt effizienter zu gestalten, sollte daher der Austausch und Umlauf der Informationen gefördert werden, damit diese möglichst schnell in die Preisbildung der Wertpapiere einfließen können. Es kommt darauf an, welche Trade-offs in puncto Effizienz zu erwarten sind.

5.9   Zunächst ist festzustellen, dass die Maßnahmen zur Einschränkung der Angebotspalette bei Finanzinstrumenten wie die Einschränkungen, die den sogenannten ungedeckten CDS oder Leerverkäufen auferlegt werden, die Markteffizienz möglicherweise nicht erhöhen. Eine Einschränkung der Angebotspalette verringert nämlich die Fähigkeit der Märkte, die den Marktteilnehmern zur Verfügung stehenden Informationen zu absorbieren und zu verbreiten.

5.10   Sicherlich kann man über den Nutzen ungedeckter CDS streiten, darüber, welche zusätzlichen Informationen sie im Vergleich zu anderen Instrumenten tragen und inwieweit sie die Finanzierungskosten beeinflussen. Ihr Verbot brächte jedoch keine großen Effizienzgewinne. Die Einschränkung der Möglichkeit von Leerverkäufen verringert die Liquidität des Systems und damit dessen Fähigkeit, auf neue verfügbare Informationen unmittelbar zu reagieren. Zudem könnte die Einschränkung des Handels mit OTC-Wertpapieren durch Einführung einer Pflicht für alle Marktteilnehmer, Derivate nur auf regulierten Märkten und über Clearingstellen zu handeln, zweierlei bewirken.

5.11   Zum einem würde dies zu mehr Markttransparenz beitragen (es wäre zum Beispiel einfacher, die Höhe und Risikobehaftetheit der von den Marktteilnehmern gehaltenen Wertpapieren zu überwachen) und erlauben, potentielle Quellen für Instabilität zumindest teilweise einzuschränken. Bei Spannungen auf den Finanzmärkten reicht jedoch Transparenz allein vielleicht nicht aus. Im Vorschlag der Kommission werden den nationalen Regulierungsbehörden klare Befugnisse eingeräumt, in Ausnahmesituationen das Verbot von Leerverkäufen für jedes beliebige Finanzinstrument zeitweilig einzuschränken oder auszusetzen, wobei sie sich dabei mit der ESMA abstimmen müssen. Letztere kann in jedem Fall selbst tätig werden, sofern zwei Voraussetzungen gegeben sind: wenn eine Bedrohung für das ordnungsgemäße Funktionieren bzw. die Integrität der Finanzmärkte besteht oder wenn die nationalen Behörden keine oder nur unzureichende Maßnahmen ergriffen haben.

5.12   Andererseits besteht wiederum die Gefahr eines eingeschränkten Angebots der zur Verfügung stehenden Finanzinstrumente und höherer Transaktionskosten für Finanzgeschäfte. Der Markt für Futures (börsengehandelte Termingeschäfte) ist stark vereinheitlicht und reguliert (damit die Preise der gehandelten Titel beobachtet werden können), während der Markt für Fowards (nicht börsengängige Termingeschäfte, ein den Futures ähnliches Finanzinstrument) dagegen an die Bedürfnisse der Gegenpartei angepasst ist und den Marktteilnehmern die flexible Gestaltung von Preis und Wert (payoffs) gestattet. Diese Titel sind kaum standardisiert und ohne Einschränkung der den Anlegern zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nur schwer in einem traditionellen regulierten Markt denkbar.

5.13   Die CCPs gelten als das Instrument, das Heilmittel, um Systemrisiken in den Griff bekommen zu können und die OTC-Märkte effizienter und transparenter zu machen. CCPs sind sicherlich ein wichtiger Faktor für die Senkung des Risikos und die Verbesserung der Effizienz der Märkte und sind bei börsennotierten Derivaten unverzichtbarer Bestandteil der Marktinfrastruktur. Die CCPs dürften also zur Weiterentwicklung der OTC-Märkte beitragen. Zahlreiche Finanzinstitute und Politiker blicken jedoch zu sehr auf die Vorteile, die die CCPs den CDS-Märkten kurzfristig bieten können.

5.14   Die CCPs können nämlich nicht als Lösung für das Gegenparteirisiko angesehen werden und sind möglicherweise auch nicht in der Lage, der Markt effizienter zu machen, wenn man bedenkt, in welchem Zustand sich dieser derzeit befindet. Unter den gegenwärtigen Umständen – Bestehen mehrerer CCPs in jeder Region, die sich nach CCPs für Kreditderivate und CCPs für Zinsswaps (interest rate swap - IRS) unterscheiden - ist die Möglichkeit, effizient akzessorische Sicherheiten einzusetzen und das Gegenparteirisiko zu vermindern, stark beeinträchtigt. Eine CCP kann das Risiko bei multilateralen Geschäften ausgleichen, jedoch nur für die Region, die Gegenparteien und die Klassen von Derivaten, die diese CCP handhabt. Das bedeutet, dass ein Clearing zwischen CDS-Positionen und IRS-Positionen nicht möglich ist.

5.15   Das bilaterale Clearing von Risikopositionen in mehreren Klassen von OTC-Derivaten mit einer einzigen Gegenpartei außerhalb der CCP kann einen effizienteren Einsatz akzessorischer Sicherheiten bewirken. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass Derivate immer innovative und maßgeschneiderte Finanzinstrumente bleiben werden und es stets eine große Zahl von Kontrakten geben wird, die sich nicht für ein Clearing eignen. Diese Positionen müssen unter Berücksichtigung des Kreditrisikos durch ein geeignetes Verfahren zur Handhabung der Besicherung, jedoch ohne die CCP, aufeinander abgestimmt werden.

5.16   Die CCPs bringen einen zusätzlichen Nutzen und tragen zur Aufteilung und Abgrenzung des Risikos für einen einzelnen Marktteilnehmer bei. Hierin stimmt der EWSA der Kommission zu. Ihre Beliebtheit wird zunehmen und die Vervollkommnung und Transparenz dieses Marktes beschleunigen, was eine wünschenswerte Ausweitung der OTC-Geschäfte in der Zukunft mit sich bringen wird.

5.17   Die CCPs sind jedoch nur ein Element einer soliden Infrastruktur für das Risikomanagement. Das Gegenparteirisiko wird nicht ausgeschaltet und das bilaterale Risiko muss für Positionen außerhalb der CCP weiterhin berücksichtigt werden.

5.18   Hinzu kommt schließlich, dass viele Gesellschaften nicht in Risikomanagementsysteme für das Risiko ihres eigenen Derivate-Bestands investieren. Diese Gesellschaften hegen wahrscheinlich auch weiterhin Erwartungen hinsichtlich ihrer Rettung, auch wenn ihr Risikomanagement völlig unangemessen ist.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/48


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Belehrung in Strafverfahren“

KOM(2010) 392 endg. — 2010/0215 (COD)

(2011/C 54/15)

Hauptberichterstatter: Antonello PEZZINI

Der Rat beschloss am 29. September 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Belehrung in Strafverfahren“

KOM(2010) 392 endg. – 2010/0215 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft am 20. Oktober 2010 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) Antonello PEZZINI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 161 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Arbeit der Kommission, die ein umfassendes Paket legislativer Maßnahmen erarbeiten möchte, um in den Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Bestand an Verfahrensrechten in Strafverfahren zu gewährleisten.

1.2   Das Recht auf fristgerechte und korrekte Belehrung, das Teil der Rechtstradition der Europäischen Union ist, gewinnt aufgrund der Mobilität der Unionsbürger im Binnenmarkt an Bedeutung.

1.3   Für Drittstaatsangehörige, die immer zahlreicher in die EU einreisen, müssen sollten sowohl die europäische Rechtskultur als auch klare Verfahren erkennbar sein, die – auch im Falle eines Strafverfahrens – die Achtung der Menschenrechte garantieren.

1.4   Die dem Richtlinienvorschlag zugrunde liegende Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften muss nach Auffassung des EWSA zum zentralen Element der justiziellen Zusammenarbeit werden, um auch der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Bestandteil des Vertrags über die Europäische Union (EUV und AEUV) ist, gerecht zu werden.

1.5   Der EWSA ist der Auffassung, dass der Schutz der Grundrechte des Einzelnen mittels gemeinsamer und einheitlicher Verfahren den Zusammenhalt und die Freizügigkeit in der EU zweifellos in erheblichem Maße stärkt.

2.   Allgemeine Überlegungen

2.1   Die EU hat zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigten oder Beschuldigten in Strafverfahren eine spezifische Maßnahme ergriffen, um das Grundrecht auf einen fairen, dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entsprechenden Strafprozess zu gewährleisten.

2.2   Dadurch werden auch die Verteidigungsrechte gestärkt. Diese gemeinsame Maßnahme ist sehr wichtig, um insbesondere das gegenseitige Vertrauen im europäischen Raum des Rechts zu steigern und den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen umzusetzen.

2.3   Der Wegfall der Binnengrenzen und die zunehmende Inanspruchnahme des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts haben zwangsläufig dazu geführt, dass heute gegen eine größere Zahl von Personen ein Strafverfahren in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnsitzmitgliedstaat eingeleitet wird.

2.4   Mit der Entschließung des Rates 2009/C 295/01 vom 30. November 2009 wird unter Verweis auf

die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Tampere 1999,

das Haager Programm von 2004 und

das im Dezember 2009 angenommene Stockholmer Programm für 2010-2014

das allgemeine Ziel verfolgt, schrittweise die uneingeschränkte Umsetzung und kohärente Einhaltung des „Rechts auf ein faires Verfahren“ zu gewährleisten.

2.4.1   Dies entspricht dem in Artikel 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten explizit aufgeführten Grundsatz, der die gemeinsame Grundlage für den Schutz der Rechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren bildet.

2.5   Das Recht auf ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte sind im Übrigen in Artikel 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (1) verankert.

2.6   In dem mit der oben genannten Entschließung des Rates angenommenen, sechs Punkte umfassenden Fahrplan werden insbesondere folgende Maßnahmen als prioritär eingestuft:

Maßnahme A: angesichts der Tatsache, dass zur umfassenden Wahrnehmung der Verteidigungsrechte diese auch bekannt sein müssen, wird das Recht festgeschrieben, dass ein Verdächtigter oder Beschuldigter, der die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, durch einen Dolmetscher unterstützt wird und ihm eine Übersetzung der wesentlichen Unterlagen (2) übermittelt wird;

Maßnahme B: Es wird vorgeschrieben, dass eine Person, die verdächtigt oder beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben, mündlich oder gegebenenfalls schriftlich, z. B. in Form einer Rechtsbelehrung, über ihre elementaren Rechte unterrichtet werden sollte. Ferner wird verfügt, dass diese Person unverzüglich Informationen über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung sowie zu gegebener Zeit die Informationen, die für die Vorbereitung ihrer Verteidigung erforderlich sind, erhält.

3.   Inhalt des Vorschlags der Kommission

3.1   Die Kommission hat gemäß dem ihr in der oben genannten Entschließung des Rates erteilten Auftrag am 27. Juli 2010 einen Vorschlag für eine Richtlinie (KOM(2010) 392 endg.) „über das Recht auf Belehrung im Strafverfahren“ vorgelegt.

3.2   Mit dem Vorschlag soll eine fristgerechte Umsetzung der Maßnahme B des genannten Fahrplans mittels Einführung gemeinsamer Mindestnormen für das Recht auf Belehrung in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union ermöglicht werden.

3.3   Die Strafverfolgungsbehörde hat der neuen Vorschrift zufolge nicht nur die Pflicht, dem Verdächtigten die erforderlichen Informationen bereitzustellen, sondern sie muss auch von sich aus tätig werden und die Verteidigung davon in Kenntnis setzen.

3.4   Diese begrüßenswerten und sinnvollen Maßnahmen dürften außerdem dazu führen, dass Fristen und Kosten der Strafverfahren verringert, Justizirrtümer vermieden und die Zahl der Berufungen gesenkt werden.

3.5   Auf diese Weise könnte eine Art positiver Ausgleich für die – gleichwohl begrenzten – zusätzlichen wirtschaftlichen Belastungen erfolgen, die die Vorbereitung und die effektive Anwendung der Maßnahmen bezüglich der Belehrung zweifellos mit sich bringen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Erwägungsgrund (18): Der Wortlaut „sollten unmittelbar nach Einleitung eines Strafverfahrens mündlich oder schriftlich über ihre Rechte belehrt werden (3) mag widersprüchlich erscheinen, weshalb der genaue Zeitpunkt angegeben werden sollte, zu dem die mündliche oder schriftliche Belehrung über die Anklage erfolgen sollte.

4.2   Erwägungsgrund (19): Der Text am Anfang des Absatzes „über diese unmittelbar relevanten Verfahrensrechte (…) zu belehren“ scheint zu unbestimmt zu sein. Deshalb sollte die Natur und der Umfang dieser relevanten Verfahrensrechte insbesondere zum Zwecke einer wirksamen Verteidigung spezifiziert werden.

4.3   Erwägungsgrund (21): Der Wortlaut am Ende des Absatzes „oder die innere Sicherheit des Mitgliedstaats ernsthaft gefährdet“ ist eventuell zu vage. Auf das Adverb „ernsthaft“ sollte keinesfalls verzichtet werden, um jedes „politische“ Ermessen der Mitgliedstaaten mit dem Anspruch, die „innere Sicherheit“ zu gewährleisten, auszuschließen.

4.4   Erwägungsgrund (22): Die Textstelle „sollten ein Verfahren besitzen, anhand dessen geprüft werden kann“ sollte spezifiziert und durch die Einfügung von „durch förmliche Maßnahmen“ nach „anhand dessen“ transparenter gemacht werden.

4.5   Artikel 3 Absatz 1: Das Wort „unverzüglich“ sollte sinnvoller Weise durch „ab der ersten Amtshandlung“ ersetzt werden.

4.6   Artikel 3 Absatz 2, letzter Spiegelstrich: Betrifft nicht die deutsche Fassung. [In der italienischen Fassung soll der Wortlaut „essere prontamente tradottidurch „essere al più presto tradotti“ ersetzt werden, auch um den Wortlaut an Artikel 5 Absatz 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) anzugleichen. In der deutschen Fassung wird dies in beiden Fällen mit „unverzüglich“ wiedergegeben.]

4.7   Artikel 4 Absatz 1: Das Wort „unverzüglich“ sollte zweckmäßigerweise durch die Formulierung „im gleichen Zuge“ ersetzt werden.

4.8   Artikel 6: Da in der Richtlinie das Recht auf Belehrung über den Tatvorwurf nicht nur in der Phase der Hauptverhandlung, sondern auch der Ermittlung vorgesehen wird, sollte spezifiziert werden, dass die Belehrung über den Tatvorwurf auch im Zuge von der Kriminalpolizei durchgeführter Vorgänge erfolgen sollte, zumindest dann, wenn diese im Auftrag der Justizbehörden handelt und zumindest dann, wenn die erste Anschuldigung zugestellt wird.

4.9   Artikel 6 Absatz 1 sollte folgenden Wortlaut erhalten: „Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ein Verdächtiger oder Beschuldigter hinlängliche Informationen über den Tatvorwurf und eine entsprechende Begründung erhält, damit ein faires Strafverfahren gewährleistet ist“. Hiermit wird ausdrücklich das Konzept der der EMRK (Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a)) berücksichtigt, das sich auf den „Grund der Beschuldigung“ bezieht.

4.10   Artikel 6 Absatz 2: Das Wort „unverzüglich“ muss zur Angleichung an die EMRK, zu der bereits eine umfangreiche Rechtsprechung besteht, durch den Wortlaut „in möglichst kurzer Frist“ ersetzt werden.

4.11   Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a): Statt „Beschreibung der Umstände der Tatbegehung“ sollte es „Beschreibung der Umstände der angenommenen Tatbegehung“ heißen, da zum Zeitpunkt der Anklageerhebung noch gar nicht feststeht, dass eine Straftat auch wirklich begangen wurde. Ein solcher Schluss ist erst nach dem Prozess möglich.

4.12   Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a): Der Wortlaut von „einschließlich der Tatzeit, des Tatorts und des Grads der Tatbeteiligung“ sollte verdeutlicht werden, indem „Grad“ durch „tatsächliche Rolle bei der“ ersetzt wird.

4.13   Artikel 6 Absatz 3: drei neue Buchstaben mit folgendem Wortlaut hinzufügen:

„c)

das für die oben beschriebene Straftat geltende Strafmaß;

d)

die Verteidigungsmittel und -fristen und Beweismöglichkeiten;

e)

die relative Bedeutung eines eventuellen Geständnisses.“

4.14   Artikel 7 Absatz 2: Bei der Einstufung von Akten als vertraulich, womit der Zugang zu bestimmten Aktenunterlagen verweigert werden kann, sollte ein übergroßer Ermessensspielraum der Justizbehörden verhindert werden, zumal nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen im Allgemeinen Akteineinsicht gewährt wird.

4.15   Artikel 7 Absatz 3: Alle Sprachfassungen der Richtlinie sollten sich auf „Ermittlungen“ („indagini preliminiari“) beziehen und den Ausdruck „Vorverfahren“ („fase istruttoria“) vermeiden, da ein solches vielen Prozessordnungen fremd ist.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  In Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wird verfügt, dass Jeder Festgenommene (…) in möglichst kurzer Frist und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden (muss).

Im anschließenden Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) Absatz 3 heißt es sodann, dass Jeder Angeklagte (…) insbesondere die folgenden Rechte (hat): a) in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden; b) über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen; e) die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn der Angeklagte die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.

Die gleichen Garantien für ein faires Verfahren sind expressis verbis in Artikel 111 der italienischen Verfassung, geändert durch das Verfassungsgesetz Nr. 2 von 1999, aufgeführt.

(2)  Richtlinie 2010/64, veröffentlicht im ABl. L 280 vom 26. Oktober 2010, in Kraft getreten am 20. Oktober 2010.

(3)  Dies betrifft in erster Linie die italienische Fassung, in der von „sin dall'inizio“ - „von Anfang an“ die Rede ist.


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen“

KOM(2010) 375 endg. — 2010/0208 (COD)

(2011/C 54/16)

Berichterstatter: Gerfried GRUBER

Am 7. September 2010 beschloss das Europäische Parlament und am 10. September 2010 der Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen“

KOM(2010) 375 endg. – 2010/0208 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 9. Dezember) mit 169 gegen 12 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erkennt an, dass die Verwendung gentechnisch veränderter Organismen in der europäischen Landwirtschaft in weiten Bevölkerungskreisen große Bedenken hervorruft. Daher würdigt der EWSA die Absicht der Europäischen Kommission, die sensible Frage der Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Anbau von GVO mit dem Ziel anzugehen, eine praktikable Lösung zu finden und einen europäischen Rahmen abzustecken, der mit der guten Funktionsweise des Binnenmarktes vereinbar ist. Nach Ansicht des EWSA ruft der vorgelegte Vorschlag, der im Wesentlichen auf ethischen und moralischen Kriterien beruht, jedoch mehr Zweifel denn Gewissheit hervor und könnte praktisch zu einer Vielzahl unterschiedlicher (und rechtlich unsicherer) Maßnahmen in den Staaten und Regionen führen. Dies wiederum könnte die Funktionsweise des Binnenmarktes in der EU, die Rechtssicherheit der Wirtschaftsbeteiligten und die Glaubwürdigkeit des Systems insgesamt beeinträchtigen.

1.2   Zum vorliegenden Entwurf besteht nach Ansicht des Ausschusses im Sinne der obigen Ausführungen jedoch erheblicher Verbesserungs- und Konkretisierungsbedarf, vor allem im Hinblick auf Rechtssicherheit für die Betroffenen. Nach Ansicht des Ausschusses könnte diese Rechtssicherheit zum Beispiel dadurch erzielt werden, dass im Sekundärrecht der EU eine konkrete und durchsetzbare Rechtsgrundlage geschaffen wird, die die auf nationale Maßnahmen anwendbaren spezifischen Grundlagen, Voraussetzungen und Verfahren enthält. Allgemeiner fordert der Ausschuss dringend dazu auf, die Rechtsgrundlage des Vorschlags und die Vereinbarkeit möglicher Verbote durch die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Artikel 26b mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und dem Handelsrecht der WTO sowie anderer internationaler rechtlicher Verpflichtungen genauer zu klären.

1.3   Die Frage der Einschränkung des Anbaus von GVO auf nationaler Ebene ist eng verknüpft mit den Fragen der Koexistenz und der Haftung bei Schäden durch GVO und unbeabsichtigte Vermischung. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass diese Themen als Teil einer umfassenderen Überprüfung des Rechtsrahmens der EU für Biotechnologie und in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Rates Umwelt vom Dezember 2008 zusammen oder in parallelen Legislativvorschlägen erörtert werden sollten.

1.4   Angesichts des Zeitplans für den derzeitigen Kommissionsvorschlag im Vorfeld der laufenden allgemeinen Prüfung des bestehenden Rechtsrahmens lässt sich noch keine abschließende Meinung zu dem Entwurf abgeben, der nur in Zusammenhang mit der laufenden Evaluierung des Zulassungssystems und des Rechtsrahmens insgesamt ausreichend bewertet werden kann. Allerdings sollte die Verbesserung des derzeitigen Vorschlags dadurch nicht über Gebühr verzögert werden.

2.   Hintergrund und Inhalt des Verordnungsentwurfs

2.1   Die Europäische Union (EU) verfügt über einen umfassenden Rechtsrahmen für die Zulassung von genetisch veränderten Organismen (GVO). Regelungen bezüglich des Anbaus von GVO finden sich in der Richtlinie 2001/18/EG (1) und der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 (2). Einschränkungen des Anbaus von bereits zugelassenen GVO auf Ebene der Mitgliedstaaten sind im Wege von Schutzmaßnahmen, die auf zusätzlichen wissenschaftlichen Informationen beruhen, die den Schluss zulassen, dass ein bestimmter GVO ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, gemäß Artikel 23 Richtlinie 2001/18/EG unter den dort verankerten Bedingungen möglich. Außerdem können Mitgliedstaaten nach Artikel 26a geeignete Maßnahmen ergreifen, um das unbeabsichtigte Vorhandensein von GVO in anderen Produkten zu verhindern (Koexistenz).

2.2   Im März 2009 wurde der Antrag der Europäischen Kommission, bestehende nationale Schutzmaßnahmen (namentlich in Österreich und Ungarn) wegen mangelnder wissenschaftlicher Begründung aufzuheben, im Rat abgelehnt. Dieses Bild spiegelt sich in ähnlichen, vorangegangenen Abstimmungen des Rates wider, sodass von einer politisch festgefahrenen Situation gesprochen werden kann, ähnlich wie beim Zulassungssystem. 13 Mitgliedstaaten (3) haben im Juni 2009 in einer gemeinsamen Erklärung die Europäische Kommission aufgefordert, Vorschläge mit dem Ziel zu erarbeiten, die Entscheidung über den Anbau von GVO den Mitgliedstaaten zu überlassen.

2.3   Ausgehend von den politischen Leitlinien von Kommissionspräsident Barroso hat die Europäische Kommission in Folge mit Beschluss vom 13. Juli 2010 einen Legislativvorschlag vorgelegt, mit dem es den Mitgliedstaaten überlassen werden soll, über den Anbau von GVO selbst zu entscheiden. Die Vorschläge der Kommission bestehen aus einer Mitteilung zur Freiheit der Mitgliedstaaten, über den Anbau von genetisch veränderten Kulturen zu entscheiden (4), und einem Entwurf einer Verordnung, mit welcher der Rechtsrahmen entsprechend angepasst wird (5).

2.4   Rechtstechnisch erfolgt die Ergänzung der Richtlinie 2001/18/EG um einen neuen Artikel 26b mittels Verordnung. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen erlassen können, um den Anbau von bereits am Binnenmarkt zugelassenen GVO auf ihrem Hoheitsgebiet oder in Teilen desselben zu beschränken oder zu untersagen, sofern es sich um Begründungen handelt, die nicht im Zusammenhang mit ökologischen oder gesundheitlichen Risiken stehen, die bereits vom geltenden Zulassungssystem umfasst sind und die im Einklang mit den Verträgen stehen.

2.5   Ziel des Verordnungsentwurfs ist es, den Mitgliedstaaten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips mehr Entscheidungsfreiheit betreffend den Anbau von GVO einzuräumen und die erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen. Die Kommission geht davon aus, dass der Verordnungsvorschlag im Einklang mit den Regeln des Binnenmarktes und internationalen Verpflichtungen steht. Die neue Regelung steht nach Meinung der Kommission auch nicht im Widerspruch zum geltenden Zulassungssystem, sondern soll dieses lediglich ergänzen.

2.6   Am 5. November gab der Juristische Dienst des Rates ein Gutachten über die Wahl der Rechtsgrundlage, die möglichen nationalen Maßnahmen und die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen mit den GATT-Abkommen ab. Der Juristische Dienst argumentiert, dass die gewählte Rechtsgrundlage nicht gültig ist, äußert erhebliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten verabschieden könnten, mit den Verträgen oder dem GATT und unterstreicht, dass eine von einem Staat oder einer Region auf der Grundlage ethischer oder moralischer Kriterien verabschiedete Maßnahme vor dem Gerichtshof oder der WTO nur schwerlich zu verteidigen wäre. Diese Bedenken wurden teilweise vom Juristischen Dienst des Europäischen Parlaments unterschrieben, der sich in seiner Stellungnahme vom 17. November 2010 ähnlich kritisch zur Vereinbarkeit nationaler, z.B. ethisch begründeter, Einschränkungen mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und dem Handelsrecht der WTO.

3.   Zum geltenden Zulassungssystem von GVO

3.1   Das auf europäischer Ebene etablierte Zulassungsverfahren soll sicherstellen, dass das Leben und die Gesundheit der Menschen, die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere, die Belange der Umwelt und die Interessen der Verbraucher in hohem Maße geschützt werden und gleichzeitig das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet wird.

3.2   Die geltenden Regeln zur Zulassung und Verwendung von GVO beruhen auf einer Reihe von (rechtlichen) Grundprinzipien, die aus Sicht des EWSA Beachtung finden sollten. Hierbei sind insbesondere zu nennen:

eine unabhängige, wissenschaftlich basierte Zulassung,

ein hohes Schutzniveau in Bezug auf Gesundheit und Umwelt gemäß dem Vorsorgeprinzip,

die Einhaltung des Binnenmarktes und internationaler Verpflichtungen,

Wahlfreiheit und Transparenz entlang der Lebensmittelkette,

Rechtssicherheit, sowie

Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.

3.3   Die Vorschläge der Europäischen Kommission sind im zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit der Umsetzung der Schlussfolgerungen des Rates vom Dezember 2008 zu sehen, die u.a. eine Überprüfung des geltenden Zulassungssystems fordern, die voraussichtlich Ende 2010 abgeschlossen sein wird. Es handelt sich hierbei insbesondere um eine Neuregelung der Leitlinien der EFSA betreffend die Bewertung der potenziellen Risiken für Gesundheit und Umwelt (6), einen Bericht der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Umweltüberwachung nach erfolgter Zulassung sowie eine Studie betreffend die sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen des GVO-Anbaus. Außerdem erfolgt eine Bewertung des Rechtsrahmens sowohl für GVO-Lebens- und Futtermittel, als auch für den Anbau von GVO. Bis 2012 soll eine vollständige Überarbeitung des gesamten Zulassungssystems von GVO erfolgen.

3.4   Darüber hinaus ist das Verhältnis von nationalen Anbauverboten oder -einschränkungen auf die Regeln zur Koexistenz hin zu beleuchten, da beide Fragen eng verknüpft sind und die Europäische Kommission auch hier den Mitgliedstaaten eine größere Flexibilität einräumen möchte. In diesem Zusammenhang sind die Feststellungen der Kommission in ihrem Bericht vom 3. April 2009 über die Umsetzung der Leitlinien zur Koexistenz (7) von Bedeutung.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Auch wenn sich der Ausschuss naturgemäß noch nicht zur konkreten Ausgestaltung nationaler Anbauverbote geäußert hat, so finden sich doch Aussagen, die im inhaltlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf zu sehen sind und als Diskussionsbeiträge bzw. Vorschläge nach wie vor Gültigkeit aufweisen.

4.2   So hat sich der Ausschuss in seiner Initiativstellungnahme vom 16. Dezember 2004 (8) eingehend zur Koexistenz von GVO, konventioneller und biologischer Landwirtschaft geäußert und Vorschläge betreffend die Regelungsebene unterbreitet. Er führt darin u.a. aus, dass bestimmte Maßnahmen, mit denen Auskreuzungen nach den jeweiligen regionalen Bedingungen vermieden werden sollen, sowie regionale Bestimmungen zum Anbau oder eines Anbauverbotes auf nationaler Ebene geregelt werden sollten. Außerdem wird die Notwendigkeit von EU-Mindestnormen für Koexistenz und Haftung hervorgehoben.

4.3   Ein besonderes Augenmerk ist auf Maßnahmen zum Schutz von Naturschutzgebieten und ökologisch sensiblen Gebieten zu legen. Zu berücksichtigen sind ferner Maßnahmen zum Schutze regionaler Wirtschafts- und Kulturinteressen sowie andere sozioökonomische Auswirkungen.

4.4   Der Ausschuss hat in dieser Stellungnahme außerdem darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Koexistenz je nach regionalen Bedingungen variieren und insbesondere bei einer kleinteiligen Landwirtschaft der parallele Anbau von GVO und Nicht-GVO, sowohl konventionell als auch ökologisch, innerhalb einer Region nicht praktikabel erscheint.

4.5   In diesem Zusammenhang wurden in der Stellungnahme Vermarktungschancen regionaler Qualitätsmarken und Herkunftsgarantien behandelt, für welche – im Hinblick auf die Erwartung der Konsumenten – auf den Einsatz von GVO verzichtet wird. Vor diesem Hintergrund haben sich viele Regionen als gentechnikfrei deklariert, wobei der Ausschuss auf die damit verbundenen rechtlichen Unsicherheiten verwiesen hat, die einer Klärung zuzuführen sind.

5.   Besondere Bemerkungen und offene Fragen

5.1   Kriterien eines möglichen Anbauverbots/einer Anbaubeschränkung

5.1.1   Mit der Richtlinie 2001/18/EG wurden die Bestimmungen zur Zulassung von GVO, inklusive der Ergreifung von Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 23 und der Koexistenz gemäß Artikel 26a harmonisiert. Grundlage ist Artikel 114 AEUV (vormals Artikel 95 EUV) zur Angleichung von Rechtsvorschriften zur Erreichung der Ziele des Binnenmarktes. Mit dem neuen Artikel 26b wird nun verfügt, dass Mitgliedstaaten selbst bei einer EU-einheitlichen Zulassung den Anbau von GVO untersagen können.

5.1.2   Es stellt sich zunächst die Frage, inwiefern ein nationales Anbauverbot vom harmonisierten Rechtsbereich ausgenommen werden kann und ob dieses nicht den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Binnenmarktes widerspricht. Darüber hinaus scheint laut einem vor kurzem abgegebenen Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates (9) angesichts der Ziele, des Inhalts und des Umfangs des Vorschlages für Artikel 26b die Rechtsgrundlage des Artikels 114 AEUV unzutreffend zu sein. Der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments hingegen stellt Artikel 114 AEUV nicht als Rechtsgrundlage des Vorschlags in Frage, was zeigt, dass es in dieser Frage auf EU-Ebene unterschiedliche juristische Interpretationen gibt, die einer Klärung und Lösung bedürfen.

5.1.3   Der Entwurf enthält keine Auflistung von Begründungen, sei es abschließend oder beispielhaft, die den Mitgliedstaaten als Anhaltspunkt für ein Anbauverbot dienen können. In Artikel 26b ist einzig angeführt, dass die Gründe andere sein müssen, als jene, die im Rahmen der Zulassung überprüft werden. Es ist daher nicht möglich, sich auf Gründe zu stützen, die bei der Bewertung des Risikos für Gesundheit und Umwelt im Rahmen des EU-weiten Zulassungssystems herangezogen werden oder die einen Bezug hierzu aufweisen. Die Rechtssicherheit, die der Vorschlag bietet, könnte nach Auffassung des EWSA dadurch gestärkt werden, dass Artikel 26b um eine beispielhafte (aber nicht abschließende) Liste konkreter Gründe erweitert wird, auf die die Mitgliedstaaten sich berufen können, um den Anbau genetisch veränderter Kulturen zu beschränken oder zu untersagen. Zu diesen Gründen könnten neben ethischen, moralischen und religiösen Motiven auch bestimmte sozio-ökonomische Belange gehören. Eine derartige Klarstellung im Sekundärrecht wäre eine Lex specialis gegenüber den Gründen, die in Artikel 36 AEUV aufgeführt sind und in der Rechtsprechung des EuGH weiterentwickelt wurden, und würde somit die Vereinbarkeit mit den Binnenmarktregeln und den Verträgen verbessern.

5.2   Rechtssicherheit

5.2.1   Zur Frage der Rechtssicherheit ist der Ausschuss der Ansicht, dass diese durch einen bloßen Verweis auf das Primärrecht nicht erfüllt werden kann. Diesbezüglich ist beispielhaft auf das EuGH-Urteil C-165/08 (10) zu verweisen, in welchem ein nationales Verbot der Zulassung von GVO-Saatgut als nicht mit den EU-Bestimmungen vereinbar betrachtet wurde. Dieses Urteil verdeutlicht die Schwierigkeit für Mitgliedstaaten, sich auf andere Begründungen als Aspekte des Gesundheits- und Umweltschutzes zu stützen.

5.2.2   Der EWSA erkennt jedoch an, dass angesichts der gegenwärtigen rechtlichen und politischen Situation die Schaffung einer klaren und soliden Rechtsgrundlage den Mitgliedstaaten eine erhöhte Rechtssicherheit gegenüber dem Status quo bringen sollte. Dies ist jedoch eher mit einer konkreten und detaillierten Rechtsgrundlage im Sekundärrecht (d.h. der RL 18/2001/EG) zu erreichen als durch einen Verweis auf enge und unklare Spielräume aufgrund der allgemeinen Regeln des Binnenmarktes.

5.3   Prüfumfang der EFSA – Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten

5.3.1   Zur Absicherung des wissenschaftlich basierten Zulassungssystems ist auf die Überarbeitung der EFSA-Leitlinien zur Bewertung der potenziellen Risiken für Gesundheit und Umwelt hinzuweisen, die nach Zustimmung der Mitgliedstaaten auch normativen Charakter aufweisen sollen. Der EWSA erhofft sich in diesem Zusammenhang eine Weiterentwicklung des Systems der wissenschaftlich basierten und unabhängigen Prüfung im Zulassungsverfahren im Sinne des Vorsorgeprinzips.

5.3.2   Der EWSA gibt zu überlegen, ob nicht im Rahmen der wissenschaftlichen Risikobewertung von GVO durch die EFSA für spezielle Thematiken die Mitgliedstaaten verstärkt einbezogen werden sollten. So ist die EFSA durch die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (11) ursprünglich für die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten zu der Lebens- und Futtermittelsicherheit unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Risiken für die Umwelt eingerichtet worden. Natürlich werden die Auswirkungen von GVO auf die Umwelt auch in den Mitgliedstaaten untersucht. Die unterschiedlichen umweltbezogenen Gegebenheiten können auch genauer von den jeweiligen Mitgliedstaaten für den eigenen Hoheitsbereich untersucht werden und die Ergebnisse wären dann von der EFSA noch zu bestätigen.

5.3.3   Generell sollten Methodologiekriterien aufgestellt werden, denen alle wissenschaftlichen Arbeiten für die EFSA und der EFSA entsprechen müssen. Dies sollte bis zu peer reviews gehen und könnte helfen, die Koordinierung zwischen der EFSA und den Mitgliedstaaten zu verbessern (12). Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass von der EFSA formell strengste und völlig unabhängige wissenschaftliche Kriterien zur Risikobewertung angelegt werden, weshalb diese EU-Einrichtung auch international ein hohes Ansehen genießt. Forschungseinrichtungen, Universitäten und einzelne Forscher, die in den Mitgliedstaaten Risikobewertungen durchführen, sollten enger als bisher mit der EFSA bei der Konzipierung von Untersuchungsmethoden zusammenarbeiten.

5.3.4   Ungeachtet der vorstehenden Aussagen schlägt der EWSA im Sinne von mehr Transparenz und Qualität der wissenschaftlichen Prüfverfahren für GVO eine Reform der EFSA vor, damit alle Interessenträger (Verbraucher, Industrie, Handel, Öko-Landwirte und -Viehzüchter, Konsumgenossenschaften, Ernährungswissenschafter, Mediziner usw.) und nicht nur eine Gruppe von Forschern im GVO-Gremium vertreten sind.

5.4   Binnenmarkt

5.4.1   Die Europäische Kommission geht davon aus, dass mit der Möglichkeit nationaler Anbauverbote der Binnenmarkt für GVO als Saatgut, Lebens- oder Futtermittel nicht gestört wird. Auch diese Annahme ist fragwürdig, da es zumindest in den Gebieten oder Mitgliedstaaten, in denen ein Anbauverbot erlassen wurde, zu einer Einschränkung des Handels mit zugelassenem GVO-Saatgut kommen könnte. Diese Einschätzung ergibt sich aus der bestehenden Rechtsprechung des EuGH in vergleichbaren Fällen (13).

5.4.2   Ob durch ein Anbauverbot Wettbewerbsverzerrungen eintreten können, ist vom jetzigen Standpunkt schwer abzuschätzen. Da es jedoch auf EU-Ebene keine (Mindest-)Normen für Koexistenz und Haftungsfragen gibt, kann man davon ausgehen, dass die Wettbewerbsbedingungen in den landwirtschaftlichen Branchen, die nicht auf GVO zurückgreifen, beeinträchtigt werden. Jedenfalls sind mit den notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Koexistenz Aufwand und Kosten verbunden, die bei allen künftigen Lösungen mit zu berücksichtigen sind. Andererseits könnte eine GVO-Freiheit allenfalls Vermarktungs-vorteile mit sich bringen, wobei die Preisbildung stets vom Konsumverhalten abhängen wird.

5.4.3   Gentechnisch veränderte Pflanzen benötigen im Vergleich zu konventionellen Pflanzen zum Teil andere kulturtechnische und pflanzenbauliche Maßnahmen, wie zum Beispiel andere Pflanzenschutzmittel, wobei es auf Grund des fehlenden und nicht funktionierenden Binnenmarktes für Pflanzenschutzmittel zu Problemen mit deren Verfügbarkeit kommen kann. Mit diesem Beispiel soll illustriert werden, wie vielfältig die Bedingungen sind, unter denen Landwirte ihre Produktionsentscheidungen zu treffen haben.

5.5   Sozioökonomische Auswirkungen

5.5.1   Betreffend sozioökonomische Auswirkungen von GVO-Zulassungen ist auf den Ende 2010 zu erwartenden Bericht der Europäischen Kommission zu verweisen. Die darin enthaltenen Erkenntnisse sollten jedenfalls bei der Bewertung des vorliegenden Vorschlages mit einbezogen werden, da vermutlich vor allem Auswirkungen auf Wirtschaft, Soziales und Umwelt bei der Begründung von Anbauverboten gemäß Artikel 26b herangezogen werden. Bis zur Fertigstellung dieses Berichts ist es nicht möglich, zu dem derzeitigen Vorschlag umfassend Stellung zu nehmen.

5.5.2   Es ist jedenfalls zu erwähnen, dass es die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 unter bestimmten Bedingungen bereits jetzt zulässt, bei Einzelfallprüfungen weiteren berücksichtigungswürdigen Faktoren im Verlaufe des Risikomanagements, das an die Bewertung des Risikos für Gesundheit und Umwelt anschließt, Rechnung zu tragen.

5.5.3   Aufgrund fehlender Erkenntnisse in Bezug auf die ökonomischen und wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen sollte im Entwurf eine Evaluierungsklausel vorgesehen und von der Europäischen Kommission vorab eine entsprechende Folgenabschätzung durchgeführt werden.

5.6   Internationale Verpflichtungen

5.6.1   Ein wichtiger Aspekt ist aus Sicht des Ausschusses die Klärung der Einhaltung internationaler Verpflichtungen, speziell jener der WTO/GATT als auch des Protokolls von Cartagena. Da zu erwarten ist, dass sich Mitgliedstaaten, die ein Anbauverbot verhängen wollen, nun auch auf den neuen Artikel 26b stützen, ist es von besonderer Bedeutung, dass die Entscheidungen dazu auf einer soliden, international abgesicherten Rechtsgrundlage erfolgen.

5.6.2   Angesichts der Bedeutung dieser Frage vermisst der EWSA nähere Erläuterungen der Europäischen Kommission zur Konformität mit internationalen Verpflichtungen der EU. Diesbezüglich sollten auch Gutachten der juristischen Dienste der europäischen Institutionen zur WTO-Verträglichkeit berücksichtigt werden, insbesondere das jüngste Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates (9), in dem starke Zweifel daran geäußert werden, dass etwaige Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten unter Berufung auf den neuen Artikel 26b ergreifen - wie dies von der Kommission vorgeschlagen wird - mit den Verträgen oder mit dem GATT-Abkommen vereinbar sind. Auch im Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments werden ähnliche Zweifel an der Vereinbarkeit möglicher ethischer Begründungen mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und dem WTO-Handelsrecht geäußert.

5.7   Wahlfreiheit entlang der Lebensmittelkette

5.7.1   Ebenso wichtig ist es, die Wahlfreiheit sowohl der Produzenten und der Einzelhändler als auch der Konsumenten ausreichend zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte es den Produzenten als Unternehmern erlaubt sein, über Anbaumethoden frei zu entscheiden. Gleichermaßen sollen Importeure und Händler ungeachtet des vorgeschlagenen neuen Artikels 26b ihrer rechtmäßigen Berufstätigkeit nachgehen können.

5.7.2   Nationale Einschränkungen oder Verbote des Anbaus sollten sich daher an den allgemeinen Grundsätzen der Verträge, insbesondere den Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit orientieren.

5.7.3   Damit auch die Verbraucher die Freiheit haben, zwischen Lebensmitteln mit und ohne GVO zu wählen, bedarf es einer reibungslos funktionierenden Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung, aber auch eines entsprechenden Angebotes, das die Konsumenten auch annehmen wollen. Hierbei ist insbesondere auf die regionale Verfügbarkeit der Produkte Bedacht zu nehmen. Der europäische Verbraucher muss sich im Klaren darüber sein, dass durch ein potenzielles Verbot des GVO-Anbaus in seiner Region oder seinem Land die freie Kommerzialisierung von GVO in diesem Gebiet nicht verhindert würde und dass es weiterhin massive Einfuhren von GVO für die Tierernährung oder den menschlichen Verzehr aus Drittländern mit zweifelhafter Rückverfolgbarkeit geben würde.

5.8   Wechselwirkung mit Fragen der Koexistenz

5.8.1   Ziel der Koexistenz ist generell die Vermeidung zufälliger Vermischung von konventionellen oder biologischen mit gentechnisch veränderten Produkten, um einerseits den Produzenten und Konsumenten die Wahlfreiheit zu erhalten und andererseits wirtschaftliche Schäden auf Unternehmerseite zu vermeiden.

5.8.2   Der EWSA erachtet die effektive Umsetzung und Sicherung der Koexistenz als einen wesentlichen Faktor in der gesamten Frage der Anwendung von GVO, wobei noch viele Unklarheiten bestehen und weitere Erkenntnisse vor allem zu den Langzeitfolgen auf allen Ebenen zu sammeln sind.

5.8.3   Ein mögliches Anbauverbot gemäß dem Kommissionsvorschlag kann zwar das Problem zufälliger Vermischungen oder Auskreuzungen in den betroffenen Gebieten vermindern, soll die Bemühungen um Entwicklung von Regeln für ein langfristiges Nebeneinander der verschiedenen Anbaumethoden jedoch in keiner Weise schmälern. Entsprechend den Empfehlungen des Ausschusses aus dem Jahr 2004 (14) wird für die Koexistenz- und Haftungsnormen ein Mindestmaß an Harmonisierung auf EU-Ebene (oder alternativ dazu in Artikel 26a eine rechtliche Grundlage, die Mitgliedstaaten verpflichtet, entsprechende Regeln auf nationaler oder regionaler Ebene einzuführen) zwingend erforderlich sein, um die Wahlfreiheit, gleiche Wettbewerbsbedingungen im Agrarsektor und die Kontrolle der sozio-ökonomischen Folgen des Anbaus von GVO zu gewährleisten. Dies wird insbesondere für Grenzregionen von Bedeutung sein.

5.8.4   Sollte die Ausgestaltung der Koexistenz-Regelungen stärker auf nationaler und regionaler Ebene entwickelt werden, ist der Austausch von Wissen und guten Praktiken um so mehr von Bedeutung. Die Arbeit des Europäischen Büros für Koexistenz (ECoB) ist entsprechend darauf auszurichten, die Stakeholder auf allen Ebenen entsprechend einzubinden.

5.8.5   Immer noch offen sind zudem die Fragen nach einem Grenzwert für GVO in Saatgut sowie einem Grenzwert für nicht in der EU zugelassene GVO bei Einfuhren in die EU (dies betrifft hauptsächlich Futtermittel). Diese Fragen sind noch von der Europäischen Kommission zu beantworten bzw. es sollte zügig an einer Umsetzung von vorgelegten Vorschlägen der Kommission gearbeitet werden.

5.9   Grenzüberschreitende Sachverhalte und Haftungsfragen

5.9.1   Weiterhin ungeklärt bleiben Haftungsregelungen bei zufälliger Vermischung mit GVO, vor allem bei Kontaminationen über nationale Grenzen hinweg. Es bestehen zurzeit zwischen benachbarten Mitgliedstaaten keine gegenseitigen Verpflichtungen zur Information darüber, wo GVO angebaut werden. So werden Informationen vielfach nur aufgrund persönlicher Kontakte ausgetauscht.

5.9.2   Ein Vorschlag könnte sein, dass Mitgliedstaaten, an deren Grenzen GVO angebaut werden, verpflichtet werden, Informationen über den Anbau von GVO auch in der Sprache der Nachbarstaaten im Internet zu veröffentlichen. Mit einer solchen Maßnahme könnten auch über nationale Grenzen hinweg Ansprüche im Falle zufälliger Vermischung mit GVO und daraus resultierender wirtschaftlicher Einbußen möglicherweise besser rechtlich geltend gemacht werden.

5.9.3   Eine Verbesserung wird die am 12. Oktober 2010 beschlossene Ergänzung zum Cartagena-Protokoll bringen, in welcher gemeinsame Regeln zur Haftung und Wiedergutmachung bei Schäden an der biologischen Vielfalt bei grenzüberschreitendem Transport festgelegt wurden. Eine Umsetzung der dort vorgesehenen Verpflichtungen sollte ohne unnötige Verzögerung erfolgen.

5.9.4   Der EWSA regt darüber hinaus an zu prüfen, inwiefern verbindliche europäische Mindestnormen für Koexistenz und Haftungsfragen (oder alternativ dazu eine Rechtsgrundlage in Artikel 26a, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, entsprechende Regeln auf nationaler oder regionaler Ebene einzuführen) zumindest für Grenzregionen von den Mitgliedstaaten eingeführt werden könnten und privatrechtliche Haftungsrisiken vermindert sowie Zweifelsfragen zwischen Mitgliedstaaten geklärt werden können. Angesichts der Tatsache, dass die Versicherungsgesellschaften derzeit noch keinen Versicherungsschutz für Schäden im Zusammenhang mit GVO anbieten und dass die gegenwärtige EU-Umwelthaftungsregelung gemäß Richtlinie 2004/35/EG nur unzureichenden Schutz für diese Art von Schäden bietet, stellt der Ausschuss fest, dass derartige Haftungsregelungen dringend benötigt werden.

Brüssel, den 9. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates. ABl. L 106 vom 17.4.2001, S. 1.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel; ABl. L 268 vom 18.10.2003, S. 1.

(3)  AT, BG, IE, EL, CY, LV, LT, HU, LU, MT, NL, PL und SI.

(4)  KOM(2010) 380 endg.

(5)  KOM(2010) 375 endg.

(6)  Siehe die eingeleitete öffentliche Anhörung zu dem am 12. November vorgelegten Entwurf der neuen Leitlinien der EFSA, die bis zum 24. Januar 2011 laufen wird,

im Internet: http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/gmo101112.htm.

(7)  KOM(2009) 153 endg.

(8)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 155.

(9)  Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates vom 5.11.2010; 2010/0208(COD), Nr. 15696/10.

(10)  Urteil des Europäischen Gerichtshofs C-165/08 (Europäische Kommission gegen Republik Polen) vom 16. Juli 2009.

(11)  Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit; ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1.

(12)  Siehe Klage Ungarn gegen Europäische Kommission in der Rechtssache T-240/10 betr. Amflora.

(13)  Siehe z.B. die Rechtssachen C-110/05, Kommission vs. Italien; C-142/05, Mickelsson und Roos; C-188/04, Alfa Vita; und C-416/00, Morellato.

(14)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 155.


ANHANG

Die folgende Textstelle wurde infolge eines im Plenum angenommenen Änderungsantrages gestrichen, wobei jedoch mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf ihre Beibehaltung entfiel:

Ziffer 5.8.5

„Die Lösung für den niedrigen Anteil an nicht zugelassenen GVO sollte technischer Art sein, indem ein Grenzwert auf niedrigstem Niveau festgelegt wird, der sowohl für Futtermittel als auch für Lebensmittel gilt.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 83

Nein-Stimmen: 79

Stimmenthaltungen: 29


19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine Digitale Agenda für Europa“

KOM(2010) 245 endg.

(2011/C 54/17)

Berichterstatter: Thomas McDONOGH

Die Europäische Kommission beschloss am 19. Mai 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine Digitale Agenda für Europa“

KOM(2010) 245 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 16. November 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember) mit 83 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission zu einer Digitalen Agenda für Europa und teilt die darin geäußerten Bedenken in Bezug auf den Schaden, den die Finanzkrise dem wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in Europa zugefügt hat. Der Ausschuss stimmt der Aussage der Europäischen Kommission zu, dass das große Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für die Mobilisierung der digitalen Wirtschaft genutzt werden kann, um einen absolut notwendigen Impuls für Wachstum und verbesserte Lebensbedingungen für die Unionsbürger zu geben. Er pflichtet ihr außerdem darin bei, dass die verschiedenen politischen Initiativen in den Bereichen IKT und Digitale Agenda vereinheitlicht und in einen kohärenten Aktionsplan gestellt werden müssen.

1.2   Auch wenn einige Abschnitte der Kommissionsmitteilung gut formuliert sind und die erforderlichen politischen Initiativen klar und deutlich darlegen, sind andere Abschnitte wie etwa „IKT-gestützte Vorteile für die Gesellschaft in der EU“ und „Internationale Aspekte der Digitalen Agenda“ in Bezug auf den Aktionsplan doch noch sehr vage gehalten. Der Ausschuss erwartet, dass alle Aspekte der Digitalen Agenda zu gegebener Zeit in geeigneter Form ausgearbeitet werden und er zu sämtlichen Einzelinitiativen, in die er sich gebührend einbringen wird, angehört wird.

1.3   Der Ausschuss nimmt die von der Europäischen Kommission ermittelten Probleme zur Kenntnis, die die Entwicklung einer pulsierenden digitalen Wirtschaft in Europa beeinträchtigen, insbesondere die Probleme einer in kommerzieller, kultureller und rechtlicher Hinsicht fragmentierten EU mit 27 Mitgliedstaaten, und die beharrliche Unterinvestition in Netze, IKT-Bildung sowie Forschung und Innovation.

1.4   Diese Probleme stehen allerdings schon seit langem im Mittelpunkt der Bemühungen der EU. Trotz jahrelanger entsprechender politischer Schwerpunktsetzung und Aktionspläne blieb der Fortschritt hinter den Erwartungen zurück. Es ist unannehmbar, dass im Jahr 2010 immer noch 30 % aller EU-Haushalte keinen Internetanschluss haben (1) und Europa inmitten der Wirtschaftskrise sich für eine rasche Konjunkturerholung nicht genügend auf das Wachstum der digitalen Wirtschaft stützen kann.

1.5   Auch wenn Europa eine der weltweit am stärksten vernetzten Regionen ist, bilden die Komplexität, die ungenügende Barrierefreiheit und die geringe Benutzerfreundlichkeit vieler IKT-Produkte und -Dienstleistungen ein großes Hindernis für die Integration vieler Menschen, insbesondere für ältere Menschen sowie für Menschen mit körperlichen Behinderungen. Europa muss sich darauf konzentrieren, wie durch eine besseren Konzeption von IKT-Produkten und -Dienstleistungen den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft und von Menschen mit Behinderungen entsprochen werden kann, wobei auch die Ziele der einschlägigen UN-Übereinkommen berücksichtigt werden müssen.

1.6   Es ist für den Ausschuss unerquicklich, immer wieder vergeblich die Aufnahme des Internetzugangs in die Universaldienstverpflichtung zu fordern. Wenn es die EU mit ihrer Digitalen Agenda und dem Grundsatz der digitalen Integration (eInclusion) wirklich ernst meint, dann ist hierzu umgehendes Handeln angesagt. Der Ausschuss ist sich der finanziellen Herausforderung für die Verwirklichung dieser Maßnahme durchaus bewusst und empfiehlt, auf der Grundlage transparenter, objektiver und verhältnismäßiger Kriterien EU-Mittel für die Infrastrukturbetreiber bereitzustellen.

1.7   Jeden Tag fällt die EU bei fortgeschrittener IKT-Infrastruktur, Investitionen in IKT-Forschung und -Entwicklung sowie der Teilhabe der Bürger an der digitalen Wirtschaft weiter hinter ihre Konkurrenten aus den USA, Japan und Südkorea zurück. Dieser Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit muss durch eine Offensive an wirksam umgesetzten politischen Initiativen umgekehrt werden.

1.8   Nach Meinung des Ausschusses sind die unzureichenden Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele für IKT und die digitale Wirtschaft in Europa in erster Linie auf die unzulängliche Umsetzung der politischen Initiativen auf europäischer und nationaler Ebene zurückzuführen. Es war klar, was zu tun war, aber es wurde einfach nichts unternommen. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, die Richtlinien und Empfehlungen zur Digitalen Agenda unverzüglich umzusetzen.

1.9   Der Ausschuss ist außerdem der Ansicht, dass die Selbstregulierungskräfte des Marktes nicht ausreichen, um das öffentliche Wohl angemessen sicherzustellen. Daher bedarf es eines ausgewogenen Rechtsrahmens, um die mehrheitlichen Interessen der Bürger voranzubringen, wie dies mit der EU-2020-Strategie bezweckt wird.

1.10   Die Mitteilung kommt zum rechten Zeitpunkt als Ausdruck einer dringlichst benötigten Führungsstrategie und eines Managementkonzepts für die Verwirklichung der „Digitalen Agenda für Europa“ als Teil der Europa-2020-Strategie (2). Der Ausschuss begrüßt die in der Kommissionsmitteilung enthaltenen Governance- und Managementbestimmungen, mit denen eine korrekte und zeitgerechte Umsetzung dieser wichtigen Agenda sichergestellt werden soll. Die Europäische Kommission muss jetzt jedoch ein detailliertes Dokument zur strategischen Durchführung der Digitalen Agenda vorlegen, das auf ihre wirksame Umsetzung ausgerichtet ist.

1.11   Der Ausschuss befürwortet den in der Kommissionsmitteilung dargelegten Aktionsplan mit sieben Handlungsschwerpunkten und beglückwünscht die Europäische Kommission zu ihrer Arbeit. Zwar müssen einzelne Details dieses Aktionsplans für eine korrekte Bewertung noch viel weiter ausgearbeitet werden, doch ist er in der vorliegenden Form bereits relativ umfassend und zumeist vom Ansatz her richtig.

1.12   Der Ausschuss ist jedoch überrascht, dass eine so bedeutende Investition für die IKT-Zukunft Europas wie das Galileo-Programm aus dieser Mitteilung ausgeklammert wurde. Er fordert die Europäische Kommission auf, Galileo ausdrücklich in den Aktionsplan für die Digitale Agenda für Europa aufzunehmen, und verweist diesbezüglich auf seine einschlägigen Stellungnahmen (3).

1.13   Der Ausschuss sieht seiner Befassung mit den zu gegebener Zeit vorgelegten spezifischen Kommissionsmitteilungen zu den einzelnen Aspekten der Digitalen Agenda mit Interesse entgegen.

In diesem Zusammenhang möchte er die Europäische Kommission an zahlreiche frühere Stellungnahmen erinnern (4), in denen sich der Ausschuss zur Notwendigkeit einer sicheren und pulsierenden Informationsgesellschaft, einer starken IKT-Industrie in Europa und einer produktiven digitalen Wirtschaft mit großem Wachstumspotential geäußert hat.

2.   Empfehlungen

2.1   Flächendeckende Hochgeschwindigkeitsanschlüsse müssen mit angemessenen Finanzierungsmechanismen in die Definition des Universaldienstes aufgenommen werden (5).

2.2   Außerdem sollten umfangreichere Mittel für den Aufbau von Qualifikationen und Know-how sowie Sensibilisierungsprogramme für Bürger und KMU im IKT-Bereich bereitgestellt werden. In den Mitgliedstaaten sollten Informations- und Beratungsstellen eingerichtet werden, um den KMU und den Bürgern die digitale Wirtschaft begreifbar zu machen und sie an ihr teilhaben zu lassen.

2.3   Angesichts des Engagements für die digitale Integration (eInclusion) im Rahmen der Digitalen Agenda sollte der Rat EU-weite Initiativen unterstützen, um Schulkinder, ältere Menschen und sozial benachteiligte Bürger mit der Breitbandtechnologie vertraut zu machen (z.B. Online-Lernangebot, Videokonferenzen, elektronische Behördendienste). Die Bildungsprogramme sollten auf bewährten Verfahren beruhen.

2.4   Im IKT-Bereich des 7. Forschungsrahmenprogramms (RP7) sollte besondere Aufmerksamkeit der Entwicklung einer neuen Generation von Produkten und Dienstleistungen gewidmet werden, die den besonderen Bedürfnissen älterer Menschen, von Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Lese- und Rechtschreibproblemen gerecht werden.

2.5   Die Anregung und Förderung offener Standards für IKT-Produkte und -Dienstleistungen in Europa sollte ausdrücklich Bestandteil der Digitalen Agenda sein. Offene Standards erleichtern den Wettbewerb und ermöglichen KMU Wachstum und internationale Konkurrenzfähigkeit.

2.6   Die Europäische Kommission muss nicht nur für eine Aufstockung der Mittel für Innovationen sowie Forschung und Entwicklung im IKT-Bereich Sorge tragen, sondern auch für eine ordnungsgemäße Rechenschaftslegung und ein angemessenes Preis-Leistungsverhältnis für die Investitionen. Es gilt, bewährte Managementverfahren auf diese Investitionen anzuwenden, d.h. die Investitionen sollten auf der Basis des zu erwartenden wirtschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Nutzens getätigt werden, und sämtliche Investitionen sollten einer strengen Rechnungslegungspflicht unterliegen, um zu gewährleisten, dass die prognostizierten Nutzeffekte auch tatsächlich erzielt werden.

2.7   Im Rahmen der Governance für FuE-Investitionen muss eine gute Koordinierung zwischen den einzelnen Programmen und Vorhaben sichergestellt werden, um ihren Nutzen zu maximieren und Verschwendungen infolge von Überschneidungen zu vermeiden.

2.8   Die Anstrengungen im FuE-Bereich sollten vor allem auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein, indem in Technologien investiert wird, die den Teufelskreis „Wirtschaftswachstum = Umweltschaden“ durchbrechen.

2.9   Die Finanzierung von innovativen Technologien, die auf der weltweiten Führungsposition Europas in Drahtlos- und Mobilkommunikation aufbauen, sollte Vorrang genießen, um einen universellen Hochgeschwindigkeits-Internetzugang bereitzustellen - evtl. unter Nutzung von Funkfrequenzen, die durch den sinkenden Breitbandbedarf für Fernsehübertragungen und andere Zwecke frei werden (die so genannten „Weißen Räume“ oder „White Spaces“) (6).

2.10   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, das Galileo-Programm ausdrücklich unter den Zielen und Ressourcen der Digitalen Agenda aufzuführen. Ferner sollten auch Mittel für Technologien und Anwendungen bereitgestellt werden, die die durch die Galileo-Dienste gelieferten hochpräzisen globalen Ortungssignale verarbeiten können (7).

2.11   Die EU sollte Forschung und Entwicklung betreffend das Internet der Dinge (8) auch weiterhin fördern, das sich durch technologische Fortschritte in drahtlosen Technologien, Internet und Galileo manifestieren wird.

2.12   FuE-Investitionen zum Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen sollten ebenfalls erheblich aufgestockt werden (9).

2.13   Für den wirksamen Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen in der gesamten EU sollte die Europäische Union eine geeignete Regulierungsbehörde, der auch Mitglieder der Europäischen Agentur für Grundrechte angehören, einrichten und diese mit den entsprechenden Zuständigkeiten ausstatten (10).

2.14   Es sollte eine starke, kohärent und koordiniert organisierte Informationssicherheitsindustrie in Europa gefördert werden, um dem Know-how der über umfangreiche Finanzmittel verfügenden US-amerikanischen Unternehmen etwas Gleichwertiges entgegensetzen zu können. (11).

2.15   Die Europäische Kommission muss bei der Zusammenarbeit mit internationalen IKT-Unternehmen zur Verwirklichung der Digitalen Agenda die Interessen der Unionsbürger wahren.

2.16   Als allgemeiner politischer Grundsatz sollte dem öffentlichen Interesse, also dem „öffentlichen Wohl“, gleiche Bedeutung wie privaten oder wirtschaftlichen Interessen beigemessen werden.

2.17   Die Europäische Kommission sollte alle denkbaren Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten den Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsdienste (12) auch strikt umsetzen und diese Umsetzung in allen 27 Mitgliedstaaten gleichermaßen, ausgewogen und flächendeckend erfolgt.

2.18   Zur Gewährleistung einer entsprechenden Einhaltung der Rechtsvorschriften sollten die Befugnisse der Regulierungsbehörden im Kommunikationsbereich in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene nach dem Vorbild der Befugnisse und Zuständigkeiten der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) gestärkt werden (13).

2.19   Angesichts der wachsenden Bedeutung von Mobil-IKT sollte Europa rasch auf einen stärker marktorientierten Ansatz für die Frequenzverwaltung hinwirken, in dem die Kompetenzen der Marktteilnehmer gestärkt werden, ein breiter angelegter Frequenzhandel eingeführt wird und die bürokratischen Vorschriften der Mitgliedstaaten für die Breitbandzuteilung abgebaut werden (14).

2.20   Die Mitgliedstaaten sollten von der Europäischen Kommission dazu angehalten werden, ihre nationalen Interessen für die Entwicklung und Nutzung von Übermittlungen über das Hauptversorgungskabel (Trunk) und Netzwerkkoppelungen (Switches) zur Verwicklung ihrer nationalen Ziele wie der Überbrückung der Breitbandkluft geltend zu machen. Dies kann durch die Zusammenarbeit mit Telekommunikationsunternehmen in öffentlich-privaten Partnerschaften erreicht werden (15).

2.21   In dichtbesiedelten Regionen in der EU sollten für Infrastrukturbetreiber Anreize geschaffen werden, um Glasfaser-Hausanschlüsse (FTTH) zu installieren.

2.22   Die Verfügbarkeit nützlicher Online-Inhalte und -Dienste ist ein entscheidender Impulsgeber für Online-Tätigkeiten. Regierungen, Behörden, Versorgungsbetriebe und sonstige Unternehmen sollten ihre Web-Entwicklungen und die Umstellung ihres Kundenverkehrs auf die Online-Abwicklung stärker vorantreiben.

2.23   Es sollte nach innovativen Konzepten zur Beschleunigung der Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Online-Diensten seitens der Unternehmen für ihre Kunden gesucht werden. Diesbezüglich sollte Entwicklungen bei der Nutzung von Online-Videoinhalten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

2.24   Investitionen sollten auf die Erschließung innovativer Lösungen für die auf die Sprachenvielfalt in der EU zurückzuführenden Schwierigkeiten ausgerichtet werden. Die Vereinigten Staaten und andere Wirtschaftsmächte, die in einer Verkehrssprache, d.h. einer Lingua franca arbeiten, verfügen bei der Errichtung eines einheitlichen, kohärenten Online-Markts für Waren und Dienstleistungen über einen Wettbewerbsvorteil. Die Sprachenvielfalt ist bei der Verwirklichung der EU-2020-Strategie eine besondere Herausforderung.

2.25   Des Weiteren sollte auch eine europäische elektronische Identität (eID) für die Unionsbürger in Betracht gezogen werden, um die Erbringung elektronischer Dienste und die Durchführung des elektronischen Geschäftsverkehrs zu erleichtern.

2.26   Die Europäische Kommission sollte ein EU-weites Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystem für Online-Unternehmen einführen, damit die Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen im Internet über die Landesgrenzen hinweg universell geschützt sind. Mit einem derartigen System würde auch das Vertrauen der Verbraucher in den elektronischen Geschäftsverkehr gestärkt.

2.27   Bei grenzübergreifenden Käufen müssen die Bürger darauf vertrauen können, dass ihre personenbezogenen Daten und Geldtransaktionen geschützt werden. Es gilt, den Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit der Datenspeicherung zu gewährleisten.

2.28   Die Europäische Kommission muss ein Genehmigungssystem für Anrufzentralen einrichten, damit der Schutz der personenbezogenen Daten aller EU-Bürger und ihrer Geldtransaktionen in dem Geschäftsverkehr gewährleistet ist, der über Anrufzentralen insbesondere mit Sitz in Drittländern abgewickelt wird.

2.29   Mechanismen für den Schutz von Verbrauchern, denen bei der Bestätigung einer Online-Bestellung ein Fehler unterläuft, sollten ebenfalls bedacht werden. Derzeit können Verbrauchern bei einer Flugbuchung oder einem Kauf im Internet viel zu einfach teure Fehler unterlaufen. Vielleicht sollte es bei jedweden Transaktionen dieser Art eine Taste „Löschen“ geben.

2.30   Dem elektronischen Geschäftsverkehr mit Kindern muss besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, dergestalt dass angemessene Bestimmungen und ein Verhaltenskodex festgelegt werden.

2.31   Die EU sollte Mittel für die Verbesserung der Möglichkeiten von Europol zur Bekämpfung von Cyberkriminalität bereitstellen. Sie muss diese Art von Kriminalität unnachgiebig verfolgen und einheitliche strenge Strafmaßnamen in der gesamten EU für die Täter durchsetzen.

2.32   Die Europäische Kommission sollte ein Dokument zur strategischen Durchführung vorlegen, um das in dieser Mitteilung enthaltene Kapitel „Durchführung und Verwaltung“ zu erläutern. Nach Ansicht des Ausschusses können die Ziele der Digitalen Agenda ohne einen detaillierten und koordinierten Durchführungsplan nicht erreicht werden.

2.33   Die Europäische Kommission sollte auf eine größtmögliche Nutzung von Instrumenten zur IKT-Governance setzen, um die Verwirklichung der Digitalen Agenda zu unterstützen.

2.34   Der Ausschuss wird eine ständige Arbeitsgruppe einrichten, die sich kontinuierlich mit der grundlegenden Weiterentwicklung und Durchführung der Digitalen Agenda befasst.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

3.1   Die Digitale Agenda für Europa ist eine der sieben Leitinitiativen der Europa-2020-Strategie, die aufgestellt wurde, um die grundlegende Rolle zu definieren, die dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zukommen muss, wenn Europa seine ehrgeizigen Ziele für 2020 verwirklichen will. Diese wichtige politische Initiative wurde von den für die Informationsgesellschaft zuständigen Ministern der EU auf ihrem informellen Treffen im April 2010 in Granada (Spanien) voll unterstützt (16).

3.2   Die Notwendigkeit einer Digitalen Agenda für Europa

3.2.1   Die Digitale Agenda soll den Weg weisen zur bestmöglichen Entfaltung des sozialen und wirtschaftlichen Potenzials der IKT.

Das große Potenzial der IKT kann durch einen funktionierenden Erfolgszyklus mobilisiert werden. Dieser Prozess ist in Abbildung 1 als äußerer Ring dargestellt.

Abbildung 1

Erfolgszyklus der digitalen Wirtschaft

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3.2.3   Die transformative Kraft der IKT steht zwar außer Frage – um diese Kraft zu zügeln, müssen aber ernste Herausforderungen bewältigt werden. Die Europäische Kommission hat die sieben größten Hindernisse ermittelt; diese sind in Abbildung 1 im inneren Ring aufgeführt.

3.2.4   Aufgrund all dieser Hindernisse liegt Europa hinter seinen Industriepartnern zurück: Noch immer haben 30 % der Europäer noch nie das Internet genutzt; Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetze haben in Europa einen Verbreitungsgrad von 1 %, während es in Japan 12 % und in Südkorea 15 % sind; und die Ausgaben für die IKT-Forschung und -Entwicklung betragen in der EU nur 40 % der Ausgaben in den USA.

3.3   Die Digitale Agenda enthält Vorschläge für Maßnahmen, die dringend ergriffen werden müssen, um diese sieben größten Hindernisse anzugehen, die die transformative Kraft der IKT beeinträchtigen, und Europa wieder auf den Weg zu einem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum zu bringen.

3.4   Die Digitale Agenda umfasst hundert Maßnahmen und 13 wichtige Leistungsziele, die in den kommenden zehn Jahren umgesetzt werden sollen, darunter mehr als 30 Legislativinitiativen. Sie beruht auf sieben Säulen, in denen allesamt die zur Erreichung der gesteckten Ziele unabkömmliche internationale Dimension anerkannt wird.

3.5   Durchführung und Verwaltung

In dem nachstehenden Diagramm ist die vorgeschlagene Verwaltungsstruktur für die Durchführung der Digitalen Agenda dargelegt:

Abbildung 2

Europäischer Politikgestaltungszyklus im Rahmen der Digitalen Agenda

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4.   Bemerkungen

4.1   Eine unzulängliche Umsetzung der politischen Initiativen hat die Stagnation in der europäischen digitalen Wirtschaft aufgrund von Fragmentierung und Unterinvestition noch verstärkt. Die Europäische Kommission muss die Leitinitiative „Europäische Digitale Agenda“ nutzen, um eine gute Führungsstrategie und ein effizientes Managementkonzept zu schaffen, um Europa mit der digitalen Wirtschaft mit großem Wachstumspotential auszustatten, die es notwendig hat.

4.2   Mit der Zunahme der Größenordnung und der Intensität der IKT-Investitionen und der Verstärkung der Impulse für die digitale Wirtschaft muss die Vergabe von EU-Mitteln mit besserer und strikterer Rechnungslegung- und Rechenschaftspflicht verknüpft werden.

4.3   Die in der EU bereitgestellten FuE-Mittel für IKT müssen unbedingt effizient und wirksam eingesetzt werden, da der Nutzen aus den erheblichen zukünftigen Investitionen optimiert werden muss. Es ist wichtig, dass die FuE-Programme und -Vorhaben unterschiedlich sind und sich nicht unter Vergeudung von Mitteln auf nationaler, internationaler und Technologiebereichsebene überschneiden.

4.4   Europa ist viel zu stark von weltweiten IKT-Giganten für Software und Online-Dienste abhängig. Nur ein einziges europäisches Unternehmen befindet sich jeweils unter den ersten zehn auf der Liste der weltweiten Marktführer im IKT- bzw. Softwarebereich, und zwar Nokia bzw. SAP.

Offene Standards haben für die Entwicklung und den Erfolg des Internets eine wichtige Rolle gespielt. Europa sollte offene Standards ausdrücklich fördern, um den Wettbewerb zu erleichtern und die Markteintrittsbarrieren für Unternehmensneugründungen, einschl. Privatunternehmen und Unternehmen der Sozialwirtschaft, abzubauen. Energische Unterstützung für offene Standards im Rahmen des Aktionsplans für Interoperabilität und Normen würde auch der Entwicklung europäischer, international konkurrenzfähiger IKT-Unternehmen zugute kommen.

4.5.1   Die EU muss ein geeignetes Wirtschaftsumfeld für die Gründung innovativer und starker IKT-Unternehmen in Europa schaffen, die letztlich auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind.

4.5.2   Ein guter „Inlandsmarkt“ ist unumgänglich, um aus den dynamischen KMU von heute die internationalen Giganten von morgen zu machen. Die Fragmentierung der digitalen Märkte und die fehlende Interoperabilität müssen als Problematik angegangen werden, um das vorhandene Potenzial der europäischen IKT-Unternehmen zu fördern.

4.6   Die massiven IKT-Investitionen der USA führen zur Abwanderung der besten Köpfe aus Europa. Der kumulative Wert des IT-Marktes der US-amerikanischen Regierungsbehörden wird auf 530 Mrd. USD zwischen 2011 und 2015 geschätzt (mit jährlichen Ausgaben in Höhe von 115 Mrd. USD bis 2015). Europa muss intensiv und gezielt in IKT investieren, wenn es mit dem Entwicklungstempo des Digitalzeitalters mithalten will.

Nach den Meldungen über Stuxnet-Virusattacken auf kritische industrielle Steuerungsprozesse (17) stehen die Themen Cybersicherheit und Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen ganz oben auf der politischen Tagesordnung.

4.7.1   Europa ist bei seinen Bemühungen zur Schaffung von Wohlstand und für die Lebensqualität seiner Bürger bereits jetzt sehr stark auf IKT angewiesen. Diese wachsende IKT-Abhängigkeit muss mit immer ausgefeilteren Sicherheitsmaßnahmen einhergehen, um mit kritischen Informationen verbundene Infrastrukturen (Strom, Wasser, Verkehr, Sicherheitssysteme usw.) ebenso wie die Bürger selbst vor Cyberkriminalität zu schützen.

4.7.2   Der Ausschuss verweist die Europäische Kommission auf seine Stellungnahme zum Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen (18). Um diese vor Angriffen schützen zu können, muss es nach seiner Auffassung in der EU eine starke Führungsrolle und eine mit angemessenen Befugnissen ausgestattete Behörde geben.

4.8   In dem Grünbuch der Europäischen Kommission zum demografischen Wandel wird auf die rasch alternde Bevölkerung im Verbund mit einer abnehmenden Zahl junger Menschen hingewiesen. Zahlreiche Probleme sind die Folge, doch eröffnen sich auch neue Chancen, u.a. im Bereich der technologischen Innovation, um die Lebensqualität von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen zu verbessern, die wirtschaftlichen Probleme einer immer älter werdenden Bevölkerung abzufedern und neue Möglichkeiten für Wirtschaft und Unternehmen in Europa zu schaffen. Neue IKT für ältere Menschen werden voraussichtlich eine wichtige Rolle bei der Lösung einiger künftiger Probleme spielen. Europa muss daher vorausplanen, welche Lösungen die Technologie für die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung bieten kann. IKT können älteren Menschen dabei helfen, ihre Lebensqualität zu verbessern, gesünder und länger unabhängig zu bleiben und sich aktiv am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft zu engagieren. In Bereichen wie Kommunikation, Einkaufen, Sicherheit und Gesundheit usw. könnten zahlreiche Dienstleistungen angeboten werden.

4.9   Da die Interessen der EU-Bürger und der internationalen IKT-Unternehmen nicht immer übereinstimmen, sollten den Interessen der Bürger das gleiche Gewicht wie den wirtschaftlichen Interessen beigemessen werden.

4.10   Die Sprachenvielfalt ist für die Errichtung eines pulsierenden Binnenmarktes für Online-Waren und -Dienstleistungen eine besondere Herausforderung für Europa. Es sind mehr Investitionen erforderlich, um hierfür innovative Lösungen zu finden.

4.11   Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Online-Inhalte und -Dienste ist als Impulsgeber für die Bereitschaft zur Internet-Nutzung von grundlegender Bedeutung. Die Regierungen und Behörden in der EU haben elektronische Dienste nur sehr bruchstückhaft eingeführt. Es muss mehr unternommen werden, um die Nachzügler bei der Förderung ihrer Programme zu unterstützen. So könnte insbesondere im Bereich der elektronischen Vergabe öffentlicher Aufträge (eProcurement) noch viel getan werden.

4.12   Die Förderung einer Wirtschaft mit einer starken grenzübergreifenden Online-Handelskomponente ist eine äußerst komplexe Angelegenheit in der EU. Um neue Anwender zu gewinnen, muss der elektronische Geschäftsverkehr benutzerfreundlich und sicher sein. Die rechtliche, sprachliche, kulturelle und technologische Fragmentierung zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten schafft erhebliche Hindernisse für die Herbeiführung eines offenen und EU-weiten elektronischen Geschäftsverkehrs. Diese Probleme müssen zwar nach und nach angegangen werden, doch wäre die Einführung einer europäischen elektronischen Identität (eID) für alle Unionsbürger und einer gesamteuropäischen Zertifizierung von Online-Händlern ein Quantensprung für ihre Bewältigung.

4.13   Ein Musterbeispiel für die Zertifizierung von Online-Händlern gibt es in den Niederlanden. Der Berufsverband der Online-Händler hat ein Zertifizierungsinstitut eingerichtet, das von einem unabhängigen Gremium überwacht wird. Sämtliche Mitglieder des Berufsverbandes müssen einen Verhaltenskodex einhalten und einen genormten Kundenvertrag verwenden, der mit dem niederländischen Verbraucherschutzverband „Consumentenbond“ vereinbart wurde. Im Geschäftsverkehr mit zertifizierten Online-Händlern können Kunden auf ein strukturiertes Beschwerdeverfahren zur Lösung von Streitigkeiten zurückgreifen. Das Bewusstsein für diese Zertifizierung ist hoch, kennen doch 83 % der Online-Kunden die Zertifizierungskennzeichnung. Der Ausschuss vertraut darauf, dass die Europäische Kommission Maßnahmen zur Einführung eines EU-weiten Zertifizierungssystems für Online-Unternehmen ergreift.

4.14   Internet-Erstnutzer sind besonders anfällig für cyberkriminelle und skrupellose Händler. Diese Nutzergruppe, Erwachsene wie auch Kinder, müssen geschützt werden, um sicher im Internet surfen zu können (19).

4.15   Die Europäische Kommission könnte ein gesondertes Kapitel zum Thema „Menschen mit Behinderungen“ in ihren jährlichen Fortschrittsbericht aufnehmen, um die in diesem Bereich im Rahmen der Digitalen Agenda für Europa erzielten Fortschritte zu ermitteln und zu bewerten.

4.16   In einer derartigen europäischen Online-Wirtschaft ohne Grenzen muss Europol über die entsprechende Ausstattung für die Überprüfung der kommerziellen und sozialen Online-Tätigkeiten verfügen, um deren Sicherheit für alle Nutzer dauerhaft zu gewährleisten.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe Pressemitteilung von Eurostat STAT/09/176.

(2)  „Mitteilung der Kommission: EUROPA 2020Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“, KOM(2010) 2020 endg.

(3)  ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 73; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 41; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 37; ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 210; ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 28; ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 35;ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 42.

(4)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Ummünzung der digitalen Dividende in sozialen Nutzen und wirtschaftliches Wachstum“ (noch nicht im ABl. veröffentlicht); ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 116 und ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 60; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung der Modelle ‚partizipativer öffentlich-privater Partnerschaft‘ beim Aufbau elektronischer Dienste für alle in der EU-27“ (noch nicht im ABl. veröffentlicht); ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 98; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 69; ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 84; ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 36; ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 8; ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 92; ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 87; ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 63; ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 61; ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 50; ABl. C 97 vom 28.4.2007, S. 27; ABl. C 97 vom 28.4.2007, S. 21; ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 78; ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 222; ABl. C 110 vom 9.5.2006, S. 83; ABl. C 123 vom 25.4.2001, S. 36.

(5)  KOM(2005) 203 endg. und Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie).

(6)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Ummünzung der digitalen Dividende in sozialen Nutzen und wirtschaftliches Wachstum“ (noch nicht im ABl. veröffentlicht) und http://www.economist.com/blogs/babbage/2010/09/white-space_wireless.

(7)  Zu den Galileo-Diensten zählen der offene Dienst (Open Service, OS), der kommerzielle Dienst (Commercial Service, CS), der sicherheitskritische Dienste (Safety-Of-Life Service, SoL), der öffentliche regulierte Dienst (Public Regulated Service, PRS) und der Such- und Rettungsdienst (Search and Rescue Service, SAR).

(8)  Siehe ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 116 und ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 60.

(9)  Siehe ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 98.

(10)  Ebda.

(11)  Das kumulative Marktvolumen des Cyber-Sicherheitsmarkts der US-amerikanischen Regierungsbehörden wird auf 55 Mrd. USD geschätzt (2010-2015), mit einer kumulativen jährlichen Wachstumsrate von 6,2 % über die kommenden sechs Jahre (siehe http://www.marketresearchmedia.com/2009/05/25/us-federal-cybersecurity-market-forecast-2010-2015).

(12)  Siehe Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie) und Richtlinie 2002/77/EG der Kommission über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste.

(13)  http://easa.europa.eu.

(14)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Ummünzung der digitalen Dividende in sozialen Nutzen und wirtschaftliches Wachstum“ (noch nicht im ABl. veröffentlicht) sowie ABl. C 97 vom 28.4.2007, S. 27 und ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 50.

(15)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung der Modellepartizipativer öffentlich-privater Partnerschaftbeim Aufbau elektronischer Dienste für alle in der EU-27“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(16)  Siehe http://www.eu2010.es/export/sites/presidencia/comun/descargas/Ministerios/en_declaracion_granada.pdf.

(17)  Siehe http://www.nytimes.com/2010/09/27/technology/27virus.html und http://www.ft.com/cms/s/0/e9d3a662-c740-11df-aeb1-00144feab49a.html?ftcamp=rss.

(18)  ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 98.

(19)  Der Ausschuss hat in den letzten 15 Jahren mehrere Stellungnahmen zu diesem Thema ausgearbeitet, die beiden letzten Stellungnahmen wurden im ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 69 („Die Auswirkungen von sozialen Netzwerken im Internet auf Bürger und Verbraucher“) und im ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 61 („Schutz der Kinder bei der Nutzung des Internet“) veröffentlicht.