ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 74

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

48. Jahrgang
23. März 2005


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II   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

411. Plenartagung am 15./16. September 2004

2005/C 074/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Aktionsplan: Europäische Agenda für unternehmerische InitiativeKOM(2004) 70 endg.

1

2005/C 074/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Tourismuspolitik und Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor

7

2005/C 074/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung für Kraftfahrzeuge hinsichtlich ihrer Wiederverwertbarkeit, Recyclingfähigkeit und Verwertbarkeit und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWR des RatesKOM(2004)162 endg. – 2004/0053 (COD)

15

2005/C 074/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rats zum Filmerbe und zur Wettbewerbsfähigkeit der einschlägigen IndustriezweigeKOM(2004) 171 endg. - 2004/0066 (COD)

18

2005/C 074/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Neufassung)KOM(2004) 246 endg. – 2004/0079 (CNS)

21

2005/C 074/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Für eine bessere Wirtschaftsführung in der EU

23

2005/C 074/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen: Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union - 2007-2013KOM(2004) 101 endg.

32

2005/C 074/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Frauenorganisationen als nichtstaatliche Akteure bei der Umsetzung des Abkommens von Cotonou

39

2005/C 074/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Hin zum 7. Rahmenprogramm für Forschung: Forschungsbedarf im Rahmen des demographischen Wandels – Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf

44

2005/C 074/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien 66/401/EWG, 66/402/EG, 2002/54/EG und 2002/57/EG hinsichtlich der amtlich überwachten Prüfungen und der Gleichstellung von in Drittländern erzeugtem SaatgutKOM(2004) 263 endg. – 2004/0086 (CNS)

55

2005/C 074/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen NormungKOM(2004) 130 endg.

57

2005/C 074/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Stadtnahe Landwirtschaft

62

DE

 


II Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

411. Plenartagung am 15./16. September 2004

23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Aktionsplan: Europäische Agenda für unternehmerische Initiative“

KOM(2004) 70 endg.

(2005/C 74/01)

Die Kommission beschloss am 11. Februar 2004 gemäß Artikel 262 EG-Vertrag, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 14. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr Butters.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September (Sitzung vom 15. September) mit 150 gegen 1 Stimme bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenhang

1.1

In den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon 2000 und in der Europäischen Charta für Kleinunternehmen wurde die Bedeutung von unternehmerischer Tätigkeit für die nachhaltige Entwicklung in Europa sowie die Notwendigkeit eines politischen Umfelds, das zur Förderung von Unternehmern beiträgt, hervorgehoben.

1.2

Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, kündigte dann auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates in Barcelona 2002 an, die Kommission werde noch vor der Frühjahrstagung 2003 ein Grünbuch zum Thema Unternehmergeist vorlegen. Im Januar 2003 veröffentlichte die Kommission das Grünbuch und führte in den darauf folgenden Monaten eine konsequente und offene Konsultation der Betroffenen durch. Auf seiner Frühjahrstagung 2003 forderte der Rat die Kommission auf, ihm auf der Frühjahrstagung 2004 einen Aktionsplan für unternehmerische Initiative vorzulegen.

1.3

Die Stellungnahme des Ausschusses zum Grünbuch wurde auf der September-Plenartagung 2003 verabschiedet (1).

1.4

Im Februar 2004 nahm die Kommission dann den „Aktionsplan: Europäische Agenda für unternehmerische Initiative“ an (2).

2.   Ziele dieser Stellungnahme

2.1

Wie schon die vorhergehende Stellungnahme des Ausschusses zum Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ zielt auch die vorliegende darauf ab, einen Beitrag zum laufenden Prozess des Verstehens und der Förderung des Unternehmertums zu leisten. Zu diesem Zweck enthält die Stellungnahme einige allgemeine Bemerkungen sowie eine genauere Analyse des Aktionsplans. Im Anschluss daran wird der Ausschuss eine Reihe konstruktiver Empfehlungen dazu unterbreiten, wie dieser Plan in realistische und greifbare Initiativen umgewandelt werden kann, aus denen die jetzige und die zukünftigen Generationen europäischer Unternehmer einen Nutzen schlagen können.

3.   Allgemeine Bemerkungen zum Aktionsplan: Erfüllt er das verkündete Ziel, einen „strategischen Rahmen zur Förderung der unternehmerischen Initiative“ zu liefern?

3.1

Im Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ wurden die Probleme und die Tragweite der Herausforderungen, die mit einer Ausweitung der unternehmerischen Initiative in der EU einhergehen, klar erkannt. Der Ausschuss hat dies in seiner Stellungnahme gewürdigt und der Kommission für das Grünbuch und den darauf folgenden offenen und konsequenten Konsultationsprozess Anerkennung gezollt.

3.2

Auf dem Grünbuch aufbauend liefert der Aktionsplan eine weitere Analyse der unternehmerischen Herausforderung Europas. Der Aktionsplan verfolgt zu Recht ehrgeizige Ziele, umfasst jedoch auch undefinierbare Zielsetzungen. Insgesamt wirkt der Aktionsplan eher vage und konservativ. Die im Grünbuch und bei der öffentlichen Konsultation beanspruchte Kreativität macht sich kaum bemerkbar, und stattdessen werden häufig bereits bestehende Initiativen zitiert. Der Aktionsplan bietet nur wenige Implementierungsmechanismen; ferner weist er die Verantwortung für die Umsetzung nicht konkret zu und legt auch keine Verfahren zur Überwachung und Bewertung fest.

3.3

Einer der Kernpunkte, die sich bei den Diskussionen während der Erarbeitung des Grünbuchs sowie bei der anschließenden Konsultation herauskristallisierten, war die große Bandbreite an Politikbereichen mit Auswirkung auf die Unternehmer und die sich daraus ergebende Notwendigkeit eines horizontalen Ansatzes, um den ermittelten Herausforderungen zu begegnen. Dem Aktionsplan ist überhaupt nicht zu entnehmen, dass die Kommissionsdienststellen dieser Initiative mehr als nur symbolische Unterstützung entgegenbringen, von der GD Unternehmen oder den einzelstaatlichen Verwaltungen abgesehen. Ohne eine angemessene Unterstützung wird der Aktionsplan jedoch nur eine minimale Auswirkung haben.

3.4

Die Kommission erhielt 250 Antworten im Rahmen der Konsultation. Der Ausschuss nimmt die Transparenz, die die Kommission mit der Veröffentlichung aller eingegangenen Beiträge auf ihrer Internetseite an den Tag gelegt hat, anerkennend zur Kenntnis. Gleichwohl enthält der Aktionsplan äußerst wenige konkrete Verweise auf die eingereichten Kommentare, und dem Leser wird nicht klar, wie die Antworten analysiert und berücksichtigt wurden. In Anbetracht des Ausmaßes dieser Konsultation sowie des Interesses, auf das sie in der gesamten EU gestoßen ist, wäre es bedauerlich, sollten diese Antworten nicht sorgfältig geprüft worden sein. Wurde ihnen jedoch Rechnung getragen, so sollte der Aktionsplan dies deutlich zum Ausdruck bringen.

3.5

Es wäre möglich gewesen, in dem Aktionsplan die Heterogenität von KMU hervorzuheben und dabei einzuräumen, dass diese Vielfalt eher zielgerichtete als allgemein gehaltene politische Lösungen erfordert. So wird in der kürzlich erarbeiteten Mitteilung der Kommission über die „Förderung der Genossenschaften in Europa“ (3) die Wichtigkeit der Förderung von Genossenschaften in Europa anerkannt. Ein entsprechender Verweis auf die spezifische Rolle der sozialwirtschaftlichen Unternehmen hätte in den Aktionsplan aufgenommen werden müssen (4). Des Weiteren sind die Bedürfnisse von Selbstständigen deutlich andere als die von Kapitalgesellschaften (5). In dem Aktionsplan sollte sowohl dieser Art von Eigentumsform von Unternehmen als auch der Notwendigkeit gezielter Ansätze für Unternehmen mit spezifischen Bedürfnissen und Merkmalen – beispielsweise innovative Start-up-Unternehmen oder etablierte, eher konventionelle Unternehmen – Rechnung getragen werden.

3.6

Nach Auffassung des Ausschusses ist es ebenfalls wichtig, eine stärker unternehmerisch geprägte Mentalität im öffentlichen Sektor zu fördern. Zwar wird in dem Aktionsplan der Schwerpunkt auf die unternehmerische Initiative in Form von Gründung, Führung und Ausbau eines Unternehmens gelegt, doch hätte erneut geltend gemacht werden können, dass unternehmerisches Denken auch in den öffentlichen Verwaltungen gefördert werden muss.

3.7   Struktur

3.7.1

In seiner Stellungnahme zum Grünbuch empfahl der Ausschuss „die Aufteilung des Aktionsplans in zwei unterschiedliche Bereiche:

Förderung des Unternehmergeistes: Hier sollte die Entwicklung einer Unternehmerkultur, die ‚Restaurierung‘ und Verbesserung des Ansehens von Unternehmern bei potenziellen Unternehmensgründern und ‚Nachfolgern‘, im Schul-, Universitäts- und Familienumfeld, im öffentlichen und im privaten Sektor, vor allem bei Finanzinstituten und in den europäischen Verwaltungen, sowie in den Mitgliedstaaten im Mittelpunkt stehen;

Schaffung eines unternehmensfreundlichen Klimas: In diesem Zusammenhang sollte ein Programm für operative Maßnahmen aufgestellt werden, um unternehmerische Tätigkeit als Antwort auf die zehn Fragen des Grünbuchs zu fördern (6).“

3.7.2

Der Ausschuss unterstützt im Allgemeinen die Aufteilung der behandelten Gebiete in fünf strategische Politikbereiche, ist jedoch besorgt darüber, dass keine spezifischen Aktionen innerhalb des jeweiligen Bereichs festgelegt wurden. Darüber hinaus vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass der vorgenannte Ansatz auf der Grundlage zweier Schwerpunktbereiche sachdienlicher gewesen wäre als die eher willkürliche Einteilung in fünf strategische Politikbereiche. Diese fünf Politikbereiche scheinen teilweise widersprüchlich zu sein und sich teilweise zu überschneiden. Sie beinhalten vier globale Herausforderungen und einen spezifischen Punkt (Verbesserung des Zugangs zu Finanzierung).

3.7.3

Der Nachvollziehbarkeit halber jedoch werden die anschließenden besonderen Bemerkungen zum Aktionsplan in dieselben fünf Bereiche eingeteilt.

3.7.4

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Kommissionsdokument den allgemeinen Handlungsrahmen skizziert. Als nächstes müssen konkrete Maßnahmen und Politiken erarbeitet, Mechanismen zur Überwachung und Bewertung entwickelt und Parameter und Daten für unternehmerische Initiativen ermittelt werden, um Fortschritte zu gewährleisten.

4.   Besondere Bemerkungen zu den fünf strategischen Politikbereichen

4.1

Jeder der fünf strategischen Politikbereiche weist eine Reihe konkreter Prioritäten auf.

4.1.1   Förderung der unternehmerischen Mentalität

4.1.1.1

Die Förderung der unternehmerischen Mentalität muss ein langfristiges Ziel bilden. Sie bedarf der Beteiligung zahlreicher Gremien auf vielen verschiedenen Ebenen. Die GD Unternehmen ist auf die Unterstützung der GD Bildung und Kultur angewiesen und hängt auch von nationalen und nachgeordneten Stellen ab, die an der Konzeption und Umsetzung der Bildungspolitik beteiligt sind.

4.1.1.2

Wie im Grünbuch hervorgehoben, zählen unter anderem der finanzielle Anreiz, die Unabhängigkeit und die Arbeitszufriedenheit zu den zahlreichen Motivationsfaktoren für Unternehmer. Unabhängig von den Beweggründen ist es von wesentlicher Bedeutung, dass sich potenzielle und existierende Unternehmer der sozialen Verantwortung bewusst werden, die einen integralen Bestandteil der Unternehmensführung bildet.

4.1.1.3

Der Ausschuss begrüßt die Empfehlungen des Aktionsplans in Bezug auf Jugendliche, hebt jedoch auch die demografisch bedingte, zunehmende Überalterung der Bevölkerung in Europa hervor. Es wäre nachlässig, nicht ein Umfeld zu schaffen, das älteren Menschen, die über die erforderlichen Voraussetzungen verfügen (Know-how, Managementfähigkeiten, Kapital etc.), um ein Unternehmen zu gründen und zu führen, die Gelegenheit hierzu bietet.

4.1.1.4

Der Ausschuss begrüßt ferner, dass im Aktionsplan der Schwerpunkt darauf gelegt wird, den spezifischen Bedürfnissen von Unternehmerinnen Rechnung zu tragen. Frauen, die ein Unternehmen aufbauen wollen, sehen sich besonderen praktischen, wirtschaftlichen und kulturellen Herausforderungen gegenüber, die sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich voneinander unterscheiden. Staatliche Stellen könnten diese Herausforderungen besser beurteilen und berücksichtigen, wenn sie erfolgreiche und erfolglose Unternehmerinnen in den politischen Gestaltungsprozess einbezögen.

4.1.1.5

In mehreren Mitgliedstaaten besteht die jahrelange Tradition, Programme zu unternehmerischer Initiative an Schulen durchzuführen. Das Rad muss nicht neu erfunden werden, und der Aktionsplan sollte auf der Analyse, gemeinsamen Inanspruchnahme und Förderung bewährter Verfahren aufbauen. In den 90er Jahren koordinierte die Kommission mehrere wertvolle BEST-Projekte auf diesem Gebiet, und die diesbezüglichen Ergebnisse und Empfehlungen dürften für die Entwicklung von Maßnahmen im Rahmen des Aktionsplans von unschätzbarem Wert sein.

4.1.1.6

Mechanismen zu einer verstärkten Beteiligung von Unternehmensverbänden an Schulprojekten sollten in das neue Mehrjahresprogramm für die KMU (2006-2010) der Kommission aufgenommen werden.

4.1.1.7

Die Schaffung einer stärker ausgeprägten Unternehmergesellschaft in Europa ist jedoch nicht nur eine Frage der Heranbildung zukünftiger Unternehmer. Dieser Ansatz wird nicht auf fruchtbaren Boden fallen, wenn Europa nicht ein Umfeld schafft, das potenziellen Unternehmern die Möglichkeit bietet, erfolgreich zu sein. In diesem Zusammenhang müssen Maßnahmen zur Sensibilisierung eines viel breiteren Spektrums an Akteuren aus der Geschäftswelt des öffentlichen und privaten Sektors und der breiten Öffentlichkeit ergriffen werden, damit sie die unternehmerische Initiative verstehen und befürworten können. Deshalb sollten sich Beamte des öffentlichen Sektors, die ihren Aufgaben wirksam nachkommen wollen, sowie diejenigen, die an der Unternehmensführung beteiligt sind, unternehmerische Initiative zueigen machen.

4.1.1.8

Nach Ansicht des Ausschusses sollten die Maßnahmen darauf abzielen, durch die Beseitigung der wahrgenommenen und tatsächlichen Barrieren zwischen den Unternehmern und dem Rest der Gesellschaft der unternehmerischen Initiative die Dramatik zu nehmen. Die heutigen Arbeitsmuster ermöglichen es, verschiedene Formen der Beteiligung an der Wirtschaft auszuprobieren und von der Rolle des Angestellten in die des Selbstständigen oder des Arbeitgebers zu schlüpfen, um danach relativ problemlos in die vorherige Form der Erwerbstätigkeit zurückzukehren. Die unternehmerische Initiative sollte daher von viel mehr Menschen als lang- oder kurzfristige Option ins Auge gefasst werden. Dies würde den doppelten Vorteil bieten, dass einerseits mehr Menschen dazu bewegt würden, Unternehmertum als eine konkrete Option in Erwägung zu ziehen, und sich andererseits die Einstellung eines breiten Spektrums wichtiger Betroffener gegenüber den Unternehmern verbessern würde. Bei der Schaffung eines solchen Umfelds muss darauf geachtet werden, dass das An- und Abmelden von Unternehmen mit dem kleinstmöglichen bürokratischen Aufwand vorgenommen werden kann. Diese Notwendigkeit ist in einigen der neuen Mitgliedstaaten besonders akut, in denen dem Vernehmen nach der Umstieg von der selbstständigen in eine abhängige Beschäftigung mit einem überzogenen Verwaltungsaufwand verbunden ist und beim Einstieg in die selbstständige Beschäftigung hohe bürokratische Hürden überwunden werden müssen.

4.1.1.9

Gleichzeitig müssen die Behörden und sonstigen maßgeblichen Akteure sicherstellen, dass der erleichterte Übergang zwischen den unterschiedlichen Formen der Berufsausübung nicht zu Missbrauch führt. Wenn hier ein Gleichgewicht erreicht werden soll, kommt es darauf an, dass Arbeitnehmer oder Arbeitslose nicht gegen ihr besseres Wissen zu einer selbstständigen Beschäftigung überredet oder gezwungen werden und von Skrupeln eher wenig geplagte Unternehmer sich nicht aus der Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern stehlen können (7).

4.1.2   Mehr Menschen zum Unternehmertum ermutigen

4.1.2.1

Der Aktionsplan deckt das zentrale Thema der Ausgewogenheit zwischen dem Risiko und den Erträgen gut ab.

4.1.2.2

Der Ausschuss sieht der angekündigten Kommissionsmitteilung über Unternehmensübertragungen mit Interesse entgegen. Es ist vorgesehen, dass diese Mitteilung auf dem wertvollen BEST-Bericht Mai 2002 beruht und weiterhin das Ziel verfolgt, die Mitgliedstaatsverwaltungen sowie die Finanzwelt stärker für diesen wichtigen Politikbereich zu sensibilisieren. Mehrere spezifische Probleme müssen gelöst werden, um Übertragungen zu erleichtern und die Kontinuität von Unternehmen so weit wie möglich zu sichern. Insbesondere die Steuerregelungen, die Erbschaftssteuern sowie das Erbschafts- und Unternehmensrecht erschweren gegenwärtig die Unternehmensnachfolge und müssen deshalb überarbeitet werden.

4.1.2.3

Im Aktionsplan wird zu Recht der Makel des unternehmerischen Scheiterns als ein wichtiger Bremsfaktor für den Ausbau unternehmerischer Tätigkeit hervorgehoben. Dieser Herausforderung kann teilweise mit erfolgreichen Strategien zur Sensibilisierung der Gesellschaft für die unternehmerische Initiative begegnet werden. Das Augenmerk muss jedoch verstärkt der Haltung von Finanzinstituten gelten, die sich an der Schließung von Unternehmen beteiligten Personen gegenüber flexibler zeigen müssen. Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Kommission den Finanzinstituten Belege dafür liefern, dass Unternehmer, die bereits über positive oder negative Erfahrungen verfügen, bei neuen Vorhaben mehr Erfolgsaussichten haben.

4.1.2.4

Dabei ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zu erzielen: Auf der einen Seite sollte „ehrlich“ gescheiterten Unternehmern ein Neuanfang ermöglicht werden, auf der anderen Seite sind illegale Praktiken zu verbieten. Folglich muss das Konkursrecht weniger stigmatisierend und transparenter gestaltet werden.

4.1.2.5

Der Ausschuss vermisst im Aktionsplan zwar eine detaillierte Beschreibung der geplanten spezifischen Maßnahmen, begrüßt jedoch den Verweis auf weitere Arbeiten der Kommission und der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialversicherungssysteme für Unternehmer.

4.1.3   Unternehmer auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit vorbereiten

4.1.3.1

Untersuchungen haben ergeben, dass bei den Unternehmern großer Bedarf an Unterstützung und Ausbildung, insbesondere im Marketingbereich besteht. Durch Praktika und engere Kontakte zwischen Forschungsinstituten und dem Mittelstand wurden beim Wissenstransfer in Richtung KMU ebenfalls erhebliche Fortschritte erzielt. Mentorprogramme, bei denen junge Unternehmen/Unternehmer von erfahrenen Kollegen lernen können, sollten weiter ausgebaut und unterstützt werden.

4.1.4   Verbesserung der Finanzierungsströme

4.1.4.1

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag, die Mitgliedstaaten zum Austausch bewährter Verfahren zu ermutigen und einen Aktionsplan zur elektronischen Auftragsvergabe auszuarbeiten.

4.1.4.2

In Bezug auf den Zugang zu Finanzierung empfiehlt der Ausschuss, einen ganzheitlicheren Ansatz zu verfolgen und dabei

den Geschäftssinn von Unternehmern zu fördern, damit sie verstehen, was zur Sicherstellung einer wachstumsorientierten Finanzierung erforderlich ist. Diese Aufgabe könnte anerkannten Unterstützungsnetzen für Unternehmen anvertraut werden;

Finanzinstitutionen für die Bedürfnisse von Unternehmen zu sensibilisieren, die wachstumsfördernder Finanzierungs- und Unterstützungsmöglichkeiten bedürfen. Dies setzt wiederum die Förderung eines besseren Verständnisses der unternehmerischen Initiative im Finanzsektor voraus;

das öffentliche Auftragswesen für kleinere Unternehmen zu öffnen. Dies ist die direkteste Form von Maßnahmen auf der Nachfrageseite, seitens des öffentlichen Sektors. Wie der Ausschuss in seiner Stellungnahme zum Grünbuch festgestellt hat, erschweren zahlreiche Hindernisse den Zugang von kleinen Unternehmen zur Vergabe öffentlicher Aufträge (8), während öffentliche Verwaltungen ihrerseits ebenfalls auf administrative Hürden stoßen. Dennoch rechtfertigen die potenziellen Vorteile für beide Parteien und für die Wirtschaft weitere Überlegungen und Maßnahmen auf diesem Gebiet. Die USA liefern ein positives Beispiel: Dort streben Bundesministerien und -behörden an, mindestens 23 % der öffentlichen Aufträge an kleine Unternehmen zu vergeben.

die Steuerbefolgungsvorschriften zu vereinfachen und zu verringern. Obwohl der Aktionsplan in diesem Bereich einige interessante Ideen birgt, ist dieser Punkt noch nicht angemessen durchdacht worden. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Durchführung konkreter Maßnahmen auf diesem Gebiet in den Zuständigkeitsbereich der nationalen und in manchen Fällen der regionalen oder sogar der örtlichen Behörden fällt. Der Ausschuss betont erneut die Notwendigkeit steuerlicher Anreize für die Reinvestition von Gewinnen  (9), die im Aktionsplan keine Erwähnung findet.

4.1.5    Schaffung eines KMU-freundlicheren Regelungs- und Verwaltungsumfelds

4.1.5.1

Der Ausschuss hob in seiner Stellungnahme zum Grünbuch hervor, dass politische Optionen zur Wahl stehen müssen, um dazu beizutragen, dass kleine Unternehmen „horizontal in alle relevanten Politikbereiche (Beschäftigung, Steuern, Umwelt, allgemeine und berufliche Bildung usw.) und vertikal auf allen Ebenen des politischen Gestaltungsprozesses eingearbeitet werden“ (10). Trotz des viel versprechenden Pakets „Bessere Rechtsetzung“ vom Juni 2002 stellen zahlreiche Dienststellen der Kommission immer noch keine angemessene Abschätzung der Auswirkungen von Politikvorschlägen auf die KMU oder andere Betroffene an. Folglich befürwortet der Ausschuss die jüngst aufgestellte Forderung nach einem Vize-Präsidenten der Europäischen Kommission mit unmittelbarer Zuständigkeit für die Überwachung der Reform des Regelungsumfelds.

4.1.5.2

Generell besteht noch ein beträchtlicher Spielraum zur Verbesserung des Verfahrens zur Abschätzung der Folgen von Rechtsvorschriften nicht nur in der Kommission, sondern auch im Parlament und im Rat.

4.1.5.3

Der Ausschuss bedauert, dass nicht länger auf den think-small-first -Ansatz (zuerst in kleinen Dimensionen denken) verwiesen wird, wonach bei der Ausarbeitung von Bestimmungen oder Rechtsvorschriften die Wesensmerkmale und Anliegen von kleinen Unternehmen berücksichtigt werden sollen. Im Mittelpunkt steht dabei die auf Kleinst- und Kleinunternehmen ausgerichtete Folgenabschätzung aller neuen und bereits erlassenen Rechtsvorschriften. Wenn dieser Ansatz auf den gesamten politischen Entscheidungsfindungsprozess in der EU angewendet würde, wäre dies für sich genommen der bedeutsamste Beitrag der Institutionen zur Förderung unternehmerischer Tätigkeit.

4.1.5.4

Mit dem Beitritt von 10 neuen Mitgliedstaaten zur EU hat sich der Kreis der KMU deutlich vergrößert. Viele von ihnen haben schon mit den geltenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften ihre Not und können sich kaum der Beobachtung neuer potenzieller Legislativvorschläge widmen. Deshalb muss die Kommission auf verschiedenen Einzelinitiativen aufbauen, in deren Rahmen die Meinung des Mittelstandes proaktiv eingeholt wird. Was noch wichtiger ist: Soll Entfremdung und kultureller Bruch zwischen EU-Institutionen und –Politiken auf der einen und kleinen Unternehmen auf der anderen Seite vermieden werden, dann muss die Kommission auch zeigen, dass sie Feedback berücksichtigt.

4.1.5.5

Der Ausschuss betont die Wichtigkeit eines effektiven Dialogs zwischen der Kommission und Vertretern der KMU. Im Mittelpunkt aller Konsultationsverfahren der Kommission sollten Konsultationen von KMU mittels ihrer Vertreterorganisationen stehen. Um dies zu erleichtern und um sicherzustellen, dass sich alle Kommissionsdienststellen des Standpunktes des Mittelstandes bewusst bleiben, empfiehlt der Ausschuss, auf der Rolle des KMU-Beauftragen aufzubauen und in der neuen Kommission ein für KMU zuständiges Kommissionsmitglied zu ernennen, dessen zentrale Aufgabe es sein sollte, die Umsetzung des think small first-Prinzips in der Arbeit der Kommission zu überwachen.

4.1.5.6

Dieselben Dialoggrundsätze gelten auch für die Sozialpartner, die sich mit zahlreichen Fragen von großer Tragweite für die jetzigen und zukünftigen Unternehmer auseinander setzen. Der Ausschuss empfiehlt, den sozialen Dialog – hauptsächlich auf EU-Ebene, aber in einigen Fällen auch auf nationaler Ebene – zu überprüfen und der Frage nachzugehen, wie eine angemessenere Beteiligung des immer wichtigeren und vielfältigeren Mittelstandes formalisiert werden kann.

4.1.5.7

In Bezug auf die Vorschriften über staatliche Beihilfen begrüßt der Ausschuss die Entwicklung eines Instruments zur Ermittlung von Beihilfen, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in erheblichem Maße auf den Wettbewerb auswirken. So ist es wichtig, dass die mit staatlichen Beihilfen zusammenhängenden Verfahren nicht die Exploration und Durchführung innovativer Abhilfen gegen Finanzierungslücken kleiner Unternehmen behindern.

5.   Empfehlungen für die Maximierung der positiven Auswirkungen des Aktionsplans

5.1

Der Ausschuss fordert folgende verfahrenstechnische Klärungen und/oder Verbesserungen:

5.1.1

Kohärente Ansätze für die Unternehmenspolitik: Innerhalb der Kommission kommt der Generaldirektion Unternehmen bei der Steuerung der Fortschritte eindeutig die Schlüsselrolle zu. Der Aktionsplan betrifft alle Bereiche der Unternehmenspolitik der Kommission, und dies muss – wie der Ausschuss bereits in seiner Stellungnahme zum Grünbuch (11) empfohlen hat – in den einzelnen politischen Maßnahmen der Generaldirektion seinen Ausdruck finden. Insbesondere muss das Mehrjahresprogramm für die KMU (2006-2010) der Kommission einen klaren Bezug zum „Aktionsplan Unternehmerische Initiative“ nehmen und dementsprechend ein Instrument bereitstellen, mit dem seinen Prioritäten entsprochen werden kann.

5.1.2

Bewertung: Obwohl in jüngster Zeit einige Verbesserungen zu verzeichnen waren, war für die Geschäftswelt der Ansatz zur Bewertung der Europäischen Charta für Kleinunternehmen nicht zufriedenstellend. Zum jetzigen Zeitpunkt können öffentliche Verwaltungen auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene die Rollen „des Richters und der Geschworenen“ auf sich vereinen. Vertreter des Mittelstands müssen unbedingt umfassender in die Bewertung des Aktionsplans eingebunden werden.

5.1.3

Ein Rahmen für zukünftige Ex-post-Bewertung muss aufgestellt werden, um eine Verbesserung laufender Maßnahmen zu ermöglichen. Daran sollten Beamte der Kommission und der Mitgliedstaaten sowie anerkannte Vertreter des Mittelstands auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene beteiligt werden.

5.1.4

Angemessene Leistungsindikatoren sind ein entscheidendes Instrument für die Zielsetzung und -bewertung im Rahmen einer stärker ausgeprägten unternehmerischen Tätigkeit. Dies wurde bereits in der vorhergehenden Stellungnahme (12) des Ausschusses empfohlen und in den Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit am 20. Februar bekräftigt. Solche Daten werden darüber hinaus die Durchführung vergleichender Studien über die einzelstaatlichen Politiken und das unternehmerische Umfeld ermöglichen.

5.1.5

Klare Zeitrahmen: In den Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit vom 20. Februar wird die Kommission aufgefordert, einen ehrgeizigeren Zeitplan festzulegen. Ein wirksamer Zeitplan muss präzise und zielgerichtet sein. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission seit der Veröffentlichung des Aktionsplans in zahlreichen Arbeitsblättern präzisere Zielsetzungen und Zeitpläne für spezifische Maßnahmen aufgestellt hat. Ähnlich wie bei der Konsultation fordert der Ausschuss die Kommission nachdrücklich auf, die Existenz dieser Arbeitsblätter bekannt und sie für Interessenten leicht zugänglich zu machen.

5.1.6

Überwachung des Prozesses und Übertragung von Zuständigkeiten: Die Kommission kann viele der erforderlichen Maßnahmen nicht durchführen – das sollte sie auch nicht. Sie muss jedoch die Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans aufmerksam überwachen und verfolgen. Dementsprechend ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Zuständigkeit für die Umsetzung verschiedener Maßnahmen auf die relevante Ebene übertragen wird und dass alle Beteiligten den Zeitplan erfahren und ihm zustimmen. Dies setzt die konzertierte Beteiligung verschiedener Akteure voraus, und der Ausschuss empfiehlt, das Engagement der Beteiligten bei der ausstehenden Arbeit über folgende Initiativen zu gewährleisten.

5.1.7

Im Hinblick auf eine umfassende Beteiligung der Kommission am Prozess sollte in der umstrukturierten Kommission nach November 2004 eine Art Ausschuss zur Überwachung des Aktionsplans eingesetzt werden. Zusammensetzen würde sich dieser Ausschuss aus Vertretern aller Generaldirektionen, die Legislativvorschläge mit Bezug auf das Unternehmertum ausarbeiten, sowie derjenigen, die für die Umsetzung von Gemeinschaftsprogrammen zuständig sind, denen der Aktionsplan zugrunde liegt.

5.1.8

Die Schaffung einer Arbeitsgruppe aus Beamten der Mitgliedstaaten würde deren Engagement für den Prozess verstärken. Die Arbeitsgruppe sollte regelmäßig zusammenkommen, um über spezifische Aspekte der Empfehlungen des Aktionsplans zu debattieren, die Fortschritte festzustellen und Mängel aufzudecken.

5.1.9

Darüber hinaus ist die Beteiligung der Geschäftswelt an der Umsetzung, Überwachung und Bewertung des Aktionsplans von entscheidender Bedeutung. Der Ausschuss meint hiermit die Geschäftswelt im weitesten Sinne, die Unternehmen aller Gesellschaftsformen und Größen umfasst und vom Selbstständigen bis hin zu multinationalen Konzernen sowie von sozialwirtschaftlichen Unternehmen bis hin zu Aktiengesellschaften reicht. Wird ein solches umfassendes Engagement nicht erreicht, so besteht die Gefahr, dass die Geschäftswelt ihren Einfluss auf den fortlaufenden Prozess verliert. Der Ausschuss empfiehlt daher, während des gesamten Prozesses systematische Konsultationen mit der Geschäftswelt vorzunehmen, und zwar mittels ihrer anerkannten Vertreter auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene.

5.1.10

Wie aus den Reaktionen auf das Grünbuch hervorgeht, interessiert sich eine zunehmende Anzahl an Akteuren über den Mittelstand hinaus für die unternehmerische Initiative. Beispielsweise wird von den Gewerkschaften die Tragweite der Unternehmenspolitik allgemein erkannt. All diese interessierten Parteien sollten an der Umsetzung des Aktionsplans beteiligt sein dürfen.

5.1.11

Allgemein empfiehlt der Ausschuss, dass die Kommission große Anstrengungen darauf verwenden sollte, den Aktionsplan im Brennpunkt des Interesses sowohl der politischen Entscheidungsträger als auch der Gemeinschaft im weitesten Sinne zu halten. Fortlaufende Werbemaßnahmen und Sensibilisierungskampagnen, die an konkrete Ziele innerhalb des Gesamtplans geknüpft sind, werden dazu beitragen, den Elan und das Engagement der vielen verschiedenen Akteure – die den Grundstock für den Erfolg dieser überaus wichtigen Initiative bilden – aufrechtzuerhalten.

6.   Schlussfolgerungen

6.1

Der Ausschuss begrüßt den Aktionsplan der Kommission und bringt erneut seine Anerkennung für die Anstrengungen zum Ausdruck, die die Generaldirektion Unternehmen seit der Aufnahme der Arbeiten Anfang 2002 unternommen hat. Der Ausschuss räumt ein, dass zahlreiche der erforderlichen Maßnahmen von politischen Entscheidungsträgern außerhalb der GD Unternehmen ergriffen werden müssen.

6.2

Der Aktionsplan bildet lediglich den Ausgangspunkt eines fortlaufenden, langfristigen Prozesses. Dieser Prozess wird nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn er horizontal eine große Bandbreite an Politikbereichen umfasst und vertikal politische Entscheidungsträger auf zahlreichen Ebenen einbezieht. Der Aktionsplan und andere damit zusammenhängende Initiativen, die die Kommission in Zukunft ergreifen wird, müssen bei diesen Entscheidungsträgern eine positive Reaktion auslösen. Insbesondere ruft der Ausschuss andere Generaldirektionen der Kommission sowie Behörden in den Mitgliedstaaten dazu auf, eine aktive Rolle zu übernehmen.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  ABl. C 10 vom 14.1.2004.

(2)  KOM(2004) 70 endg., S. 4.

(3)  KOM(2004) 18

(4)  Für zusätzliche Informationen über die Bedeutung von Unternehmen der Sozialwirtschaft siehe EWSA-Stellungnahmen 242/2000 (Olsson) und 528/2004 (Fusco & Glorieux).

(5)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 5.4 und 6.12.

(6)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 2.2.2.

(7)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 5.3.

(8)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffern 6.10.1 und 6.10.2.

(9)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 6.11.1.

(10)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 6.2.1.

(11)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 4.3.

(12)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, Ziffer 8.4, letzter Punkt.


23.3.2005   

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Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Tourismuspolitik und Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor“

(2005/C 74/02)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 29. Januar 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zum Thema „Tourismuspolitik und Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor“ zu erarbeiten.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 14. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr MENDOZA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) mit 148 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Im Rahmen seines Engagements für den Tourismussektor in Europa hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss auf seiner Plenartagung am 29. Oktober 2003 die Stellungnahme „Ein für alle zugänglicher und sozial nachhaltiger Tourismus“ verabschiedet.

1.1.1

Diese Stellungnahme wurde dann auf dem Europäischen Tourismusforum 2003 vorgestellt, als Beitrag zur Verbesserung des Tourismus im Allgemeinen und des behindertengerechten Tourismus im Besonderen (im Rahmen des Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003).

1.2

Die Stellungnahme enthält einen allgemeinen Untersuchungsansatz sowie Prinzipien und Vorschläge bezüglich der vielfältigen Möglichkeiten für die Branche in der Zukunft. Dazu werden zehn Bereiche festgelegt, für die jeweils zehn Initiativen vorgeschlagen werden. Ziel der insgesamt einhundert praxisorientierten Initiativen ist - jede für sich und alle zusammen genommen - die Gestaltung eines nachhaltigen und behindertengerechten Tourismus im 21. Jahrhundert.

1.3

Der Ausschuss schlägt in der vorliegenden Stellungnahme „Tourismuspolitik und Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor“ Aktionen und Maßnahmen vor, mit denen diese Ziele, die im Folgenden als Bezugspunkte dienen, verwirklicht werden können. Darüber hinaus berücksichtigt er die Einzelpersonen, Organisationen, Unternehmen und Einrichtungen, denen aufgrund ihrer besonderen Zuständigkeiten und Kompetenzen (in Zusammenarbeit mit den übrigen Akteuren) die Umsetzung der einschlägigen Maßnahmen obliegt.

1.4

In dieser Stellungnahme sollen Methoden der Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor, insbesondere zwischen Behörden einerseits und Unternehmern und Arbeitgeberverbänden andererseits, untersucht und empfohlen werden. Es sollen aber auch Aspekte berücksichtigt werden, die für andere Akteure des Tourismussektors (Arbeitnehmer und Gewerkschaften, Verbraucherverbände usw.) von Bedeutung sind. Letztlich geht es darum, dass alle Akteure im Rahmen ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs verantwortlich handeln. Gleichzeitig sollen Mechanismen und Instrumente aufgezeigt werden, die eingesetzt werden können, um diese Maßnahmen mit den anderen auf dem Gebiet der Tourismuspolitik und des Tourismusmanagements tätigen Akteuren zu koordinieren, um so die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Sektors zu verbessern.

1.5

Hervorzuheben ist, dass im Tourismussektor hinsichtlich seiner Entwicklung und Bedeutung in den einzelnen Ländern Europas große Unterschiede bestehen. Allerdings hat sich die öffentlich-private Zusammenarbeit überall als ein geeignetes Instrument zur Verbesserung der Qualität, der Nachhaltigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors erwiesen.

1.6

In der öffentlichen Anhörung am 15. April 2004 in Sevilla, Spanien, wurde deutlich, dass bereits zahlreiche Beispiele für eine erfolgreiche öffentlich-private Zusammenarbeit vorliegen. Der eingeschlagene Weg sollte aber fortgesetzt werden, um eine Verbesserung der Qualität, der Nachhaltigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit des Tourismussektors zu erreichen. Diese Ziele verdienen noch größere Aufmerksamkeit in einem erweiterten Europa, in dem der Tourismus eine Schlüsselstellung einnehmen wird.

2.   Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren des Tourismussektors

2.1

Ziel dieser Stellungnahme kann keine vollkommene Begriffsbestimmung bzw. Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Sektor sein. Zur Veranschaulichung und zur Eingrenzung der Analyse sollen diese beiden Sektoren im Folgenden vereinfacht und nur durch eine Aufzählung beschrieben und ihre Position bezüglich der Zusammenarbeit im Bereich des Tourismus erklärt werden.

2.2

Der öffentliche Sektor hat unterschiedliche Verwaltungsebenen (lokal, regional, national und international) und besteht aus Ämtern und Institutionen, die mehrheitlich von diesen Ebenen abhängen und sich entweder durch Steuern oder öffentliche Mittel finanzieren. Es handelt sich also um ein breites Spektrum an Institutionen, z.B. Bildungs- und Fördereinrichtungen, einschließlich privater und gemischter Unternehmen, die aber klar festgelegte Zuständigkeiten haben. Ihre Rolle in der Gesellschaft unterliegt genauen Vorschriften, wobei das Ziel letztlich in der Förderung des Allgemeinwohls besteht. An dieser Stelle sei auf die Erfahrung öffentlicher Unternehmen hingewiesen, die auf dem Markt tätig sind, z.B. der Paradores in Spanien und der Pousadas in Portugal. Der öffentliche Sektor erbringt im Allgemeinen eine Reihe von Grunddienstleistungen, auf die sich die Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Tätigkeit stützen müssen.

2.2.1

Besonders erwähnenswert sind die Einrichtungen, die für die Tourismusinformation und -förderung zuständig sind, da hier die Zusammenarbeit bei der Festlegung von Zielen und gemeinsamen Maßnahmen unabdingbar ist.

2.2.2

Für die öffentlichen Akteure können die verschiedenen Formen der öffentlich-privaten Zusammenarbeit neue Möglichkeiten der Finanzierung von Maßnahmen eröffnen, vor allem in Bezug auf Werbung, Aufbau von Infrastruktur und Qualitätsverbesserung.

2.3

Zu den privaten Akteuren gehören die Unternehmen - von Gesellschaften über Genossenschaften bis hin zu Privatunternehmen -, aber auch und vor allem die Sozialpartner – Gewerkschaften und Verbände der Arbeitgeber und der Bürger als Verbraucher und als Privatperson mit unmittelbarem Einfluss auf das Wohl der Gesellschaft. Ihre Interessen und Ziele sind grundsätzlich persönlicher und individueller Natur. Sie verfolgen aber auch insofern soziale Ziele, als sich ihre Tätigkeit direkt oder indirekt auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Deshalb tragen sie sowohl für ihr Handeln als auch für ihr Nichthandeln Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.

2.3.1

Die zahlreichen Unternehmen unterschiedlicher Art können auch nach ihrer Größe klassifiziert werden: Großunternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), Kleinstunternehmen. Die Größe ist offenbar von Bedeutung, wenn es darum geht, Kooperationsbereiche festzulegen. Dabei zeigen die KMU größeres Interesse an der Zusammenarbeit – vielleicht weil sie abhängiger sind und somit zur Erreichung ihrer Ziele mehr Unterstützung benötigen. Ein weiterer bestimmender Faktor ist das Ausmaß ihres Tätigkeitsbereichs. So sind lokale und regionale Unternehmen eher bereit zu kooperieren als multinationale Konzerne, die wegen ihrer zentralisierten Struktur und ihres uniformen Managementsystems gewöhnlich weniger beweglich sind und vielfältigere Interessen in verschiedenen Fremdenverkehrsorten und an vielen Reisezielen haben.

2.3.2

Die Wirtschafts- und Sozialakteure können gemäß den sozialen Gruppen, die sie vertreten, in Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschieden werden. Es ist offensichtlich, dass ihre Verbände bei der Schaffung einer öffentlich-privaten Partnerschaft von größter Bedeutung sind, da sie zwar grundsätzlich private Interessen verfechten, ihre kollektiven Interessen aber denen des Gemeinwohls sehr nahe stehen und deshalb einfacher zu koordinieren sind. Die Professionalität ihrer Vertreter kann für den Erfolg der Schaffung einer Partnerschaft wichtig sein (und sie ist dies gewöhnlich auch).

2.3.3

Der soziale Sektor umfasst eine breites Spektrum an privaten Organisationen und Einrichtungen, die sich wie die wirtschaftlichen und sozialen Akteure für private und kollektive Interessen engagieren, z.B. Verbraucher-, Umweltschutz- und Nachbarschaftsverbände. Sie sind normalerweise zuverlässige Partner im Rahmen von im Tourismussektor entwickelten Kooperationsvorhaben, die gelegentlich weitere Akteure zu einer Beteiligung motivieren

2.3.4

Auch wenn sie nicht im Mittelpunkt dieser Stellungnahme stehen, soll darauf hingewiesen werden, dass es andere mögliche und wünschenswerte Formen der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Ebenen der öffentlichen Verwaltung einerseits und unterschiedlichen Arten von Unternehmen gibt. Eine solche Zusammenarbeit kann vertikal oder horizontal strukturiert sein.

3.   Derzeitige Situation

3.1

Die Bandbreite der Beziehungen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren umfasst vier mögliche Szenarien, die in Reinform zwar nur selten vorkommen, aber bestimmte reale Tendenzen widerspiegeln.

3.1.1

Antagonismus: Bei diesem Szenario handelt es sich um ein konfrontatives Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, die sehen oder zu sehen glauben, dass die jeweils andere Partei ihre Ziele und Interessen ablehnt oder sogar behindert. Häufig hält der private Sektor den öffentlichen Sektor für einen Störfaktor bei der Erreichung seines Rentabilitätsziels, da letzterer seiner Auffassung nach nicht die Infrastruktur bereitstellt, die für eine angemessene Entwicklung der Tätigkeiten erforderlich wäre, und weil es darüber hinaus zu wenige oder zu schlechte öffentliche Dienstleistungen für Touristen oder Tourismusunternehmen gebe. In anderen Fällen betrachten die Unternehmen die Behörden als Steuereintreiber, die zunehmend einen Sektor schröpfen, der einem dramatischen Preiswettbewerb unterliegt. Oder sie sind der Ansicht, dass die Behörden für Wettbewerbsverzerrungen verantwortlich sind, die auf der unterschiedlichen Besteuerung auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene beruhen, und fordern deshalb eine Steuerharmonisierung, z.B. der Mehrwertsteuer auf touristische Dienstleistungen. Insgesamt haben die privaten Akteure den Eindruck, dass sie sich gegen den öffentlichen Sektor zur Wehr setzen müssen, da dieser ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht fördert, sondern schmälert.

3.1.1.1

Im Falle antagonistischer Beziehungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor erkennen aber auch die Behörden möglicherweise im privaten Tourismussektor eine Quelle von Problemen, Hindernissen und Verzerrungen bei der Erreichung ihrer öffentlichen Ziele in Bezug auf sozialen Wohlstand, Schutz und Nachhaltigkeit der Naturressourcen, sozialen Zusammenhalt und Verantwortung der Unternehmen gegenüber der ortsansässigen Bevölkerung.

3.1.1.2

Durch die Medien wird sich die Gesellschaft mehr oder weniger der aus diesen Beziehungen resultierenden internen und externen Spannungen und Konflikte bewusst; so entsteht ein Klima, das sich durch verhärtete Fronten und fortwährende gegenseitige Anschuldigungen auszeichnet und weder dem privaten noch dem öffentlichen Sektor bei der Verwirklichung ihrer Ziele dienlich ist.

3.1.1.3

Natürlich ist ein solches Klima auch nicht besonders dazu geeignet, einen sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen sowie wettbewerbsfähigen Tourismus zu erreichen. Zufrieden mit dieser Situation sind deshalb weder die Verbraucher und die lokale Bevölkerung noch die Unternehmer, die versuchen, das Potenzial des Tourismus auszuschöpfen, um Wohlstand zu schaffen und zu verteilen.

3.1.2

Koexistenz: In diesem Szenario tolerieren sich die Behörden und die Privatunternehmen; sie bemühen sich unabhängig voneinander um die Verwirklichung ihrer jeweiligen Ziele, halten sich an ihre jeweiligen Kompetenzbereiche, erfüllen ihre gesetzlichen und sozialen Pflichten und achten die Rechte der anderen Akteure des Tourismussektors. Dieses Szenario der wechselseitigen Toleranz ist zwar dem vorgenannten Szenario vorzuziehen, es reicht aber sicherlich nicht aus, um einen nachhaltigen Tourismus zu entwickeln, der nach Auffassung des Ausschusses für das 21. Jahrhundert angemessen wäre. Es handelt sich um ein relativ verbreitetes Szenario in Gebieten, in denen der Fremdenverkehr nicht die wichtigste Wirtschaftstätigkeit darstellt, sondern nur das in anderen Sektoren erworbene Einkommen ergänzt, oder in Dörfern und Städten mit diversifizierten Wirtschaftsstrukturen, in denen der Tourismus nur einen geringen Prozentsatz der lokalen Wirtschaftstätigkeit ausmacht.

3.1.3

Koordinierung: Dieses Szenario zeichnet sich durch eine gewisse Koordinierung der Maßnahmen, Strategien und Aktionen zwischen den verschiedenen öffentlichen und privaten Akteuren im Tourismussektor aus. Zwar verfolgen die Akteure eigene Ziele, sehen aber auch, dass die Verwirklichung gemeinsamer Ziele durch Partnerschaftlichkeit und wechselseitige Information erleichtert wird, was schließlich der Gesellschaft als Ganzes zugute kommt. Die Hauptinstrumente sind in diesem Szenario Information und Kommunikation (sowohl in Bezug auf Politiken als auch auf Maßnahmen) zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Kommunikation entsteht im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten wie Arbeit in Arbeitsgruppen, Foren, Informationsveranstaltungen usw. Voraussetzung ist eine relativ hohe Kooperationsbereitschaft der öffentlichen und privaten Akteure, was nach Auffassung des Ausschusses dem Ziel der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit des Tourismus förderlich ist. Dieses Szenario findet sich meist in typisch touristischen Situationen und Orten mit ausgeprägtem Fremdenverkehr und mit öffentlichen und privaten Akteuren, die sich der Bedeutung des Fremdenverkehrs für die lokale Bevölkerung bewusst sind.

3.1.4

Zusammenarbeit: In diesem Szenario verfolgen alle öffentlichen und privaten Akteure eigene Ziele; sie einigen sich aber auch auf gemeinsame Ziele in Bezug auf Maßnahmen und Strategien und sogar Politiken. Dies setzt die Vereinbarkeit der Ziele und die Vision einer hoch entwickelten, aber schwer realisierbaren Tourismusaktivität voraus. Notwendig ist zudem die konsequente Anwendung kurz-, mittel- und langfristiger Kriterien der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. Nach Auffassung des Ausschusses handelt es sich hier um das fortschrittlichste Szenario, das mittels des neuen Konzepts des nachhaltigen Tourismus verwirklicht werden muss, um zu gewährleisten, dass die Tourismusindustrie auch künftig wirtschaftlich, sozial und ökologisch nutzbringend ist.

3.1.4.1

Es gibt unterschiedliche Instrumente, um diese Form der Zusammenarbeit zu erreichen: Gemeinschaftsunternehmen, Schirmherrschaften, Stiftungen, gemeinsame Institutionen, Beiräte, Partnerschaften usw. In jedem Falle sind aber die gemeinsame Nutzung von Erfahrungen und Fachwissen sowie langfristige Investitionsvorhaben Schlüsselelemente der Zusammenarbeit und der Optimierung der Maßnahmen. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Zusammenarbeit die größten Möglichkeiten auf lokaler Ebene bietet, wo öffentliche und private Interessen konkret und unmittelbar zusammenfallen. Auf genau dieser Ebene kann das geeignete Umfeld entstehen, in dem der Tourismus die Entwicklung vorantreiben sowie hochwertige und sozial nachhaltige Arbeitsplätze schaffen kann.

3.1.4.2

Ein Tätigkeitsbereich, in dem diese Form der Zusammenarbeit häufig vorkommt, ist die gemeinsame Schaffung von Tourismusprodukten durch öffentliche und private Akteure. Es gibt einige Beispiele für erfolgreiche Produkte, die auf diese Weise erzeugt wurden.

3.2

Bei der Betrachtung der derzeitigen Situation kann festgestellt werden, dass die zuvor beschriebenen Szenarien tatsächlich existieren – gelegentlich in Reinform, aber meist mit einer Kombination von Merkmalen, was zu einer Vielzahl von Abstufungen führt. In der vorliegenden Stellungnahme wird angenommen, dass die Zusammenarbeit ein mögliches und wünschenswertes Ziel für den Tourismussektor in Europa und überall in der Welt ist, da sie die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Fremdenverkehrs verbessert. Darüber hinaus sollten die bewährten Verfahren anerkannt und verbessert werden, die in Europa und der Welt im Tourismussektor angewandt werden und die in manchen Fällen vom öffentlichen Sektor initiiert und in vielen Fällen vom privaten Sektor gefördert bzw. geschaffen wurden.

3.3

Allgemein lässt sich sagen, dass im Falle der Tourismusorte und -aktivitäten, bei denen die öffentlich-private Zusammenarbeit die Grundlage für Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung, Entwicklungsplanung, Krisenbewältigung usw. darstellt, die Effizienz und die Rentabilität der Maßnahmen erheblich verbessert werden. Dies macht die Orte bzw. Aktivitäten letztlich wettbewerbsfähiger.

3.3.1

Im Falle von Konfrontation, fehlender Koordinierung oder bloßer Unkenntnis, die bewusster oder unbewusster Natur sein können, werden hingegen die bestehenden Probleme nur noch verschlimmert, Lösungen verzögert, die Wettbewerbsfähigkeit verringert und die Rentabilität erschwert.

3.3.2

Mehrere Untersuchungen haben gezeigt und bestätigt, dass nach Ansicht von Touristen die Qualität der während einer Reise oder eines Urlaubs erhaltenen Dienstleistungen zu etwa 50 % von den Dienstleistungen des öffentlichen Sektors und zu etwa 50 % von den Dienstleistungen des privaten Sektors (die vor allem von privaten Unternehmen, genauer gesagt deren Angestellten, erbracht werden) abhängt. Dass Touristen unterschiedliche Qualitätskriterien zu Grunde legen und diese ihren Gesamteindruck von der Qualität eines Produkts beeinflussen, zeigen z.B. mehrere von der Gemeinde Calvià (und anderen Gemeinden in Spanien) im Rahmen der Pläne für touristische Spitzenleistungen durchgeführte Untersuchungen.

3.4

Es ist ermutigend zu sehen, dass eine stetige Tendenz hin zu Kooperations- und weg von Konfrontationsszenarien besteht, die vielleicht in den Anfangsjahren der Tourismusindustrie besonders verbreitet waren – also in den Zeiten des raschen Wachstums, als für die Entwicklung der besten Orte an den Küsten oder auf dem Lande noch keine Beschränkungen existierten. In diesen Zeiten verdeckte das Streben nach kurzfristigen Profiten bestimmte Nachhaltigkeitskriterien, die selbst der öffentliche Sektor nicht zu berücksichtigen, in seine Strategien einzubeziehen und in Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor weiterzuentwickeln vermochte.

3.4.1

Die Gesellschaft ist sich der langfristigen Faktoren und Grenzen vor allem in Bezug auf die Naturressourcen bewusster geworden, und die Formen des Tourismus stehen heute stärker in Einklang mit sozialen Zielen als in der Vergangenheit.

4.   Derzeitige Ziele der öffentlich-privaten Zusammenarbeit

4.1

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der Hauptzweck der Zusammenarbeit in der Förderung und Bündelung der Ziele bestehen muss, die sich in den Aufgabenbereichen, Strategien und Plänen der beiden Seiten widerspiegeln und deren gegenwärtige und künftige gesellschaftliche Daseinsberechtigung ausmachen. Jede Seite muss ihre eigenen – sowohl individuellen als auch kollektiven – Ziele einbringen und versuchen, sie mit denen der übrigen Akteure zu verbinden.

4.2

Es können mehrere Arten von Zielen für die Zusammenarbeit im Tourismussektor unterschieden werden.

4.2.1

Sektorspezifische Ziele: Wie bereits mehrfach und auf unterschiedliche Weise gezeigt wurde, ist die Tourismusindustrie von strategischer Bedeutung für die Verwirklichung der vielfältigen Ziele, die den Kern der raison d'être der Europäischen Union, für ihre Politiken und ihren Willen bilden, ein besseres Europa für heutige und künftige Generationen zu gestalten.

4.2.1.1

Wegen ihrer direkten Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in dem Umfeld, in dem sie sich vollzieht, kann und muss die Entwicklung des Tourismus ein vorrangiges Instrument zur Verbesserung der Lebensqualität der europäischen Bürger sein. Um jedoch zu gewährleisten, dass dieses Potenzial auch langfristig genutzt wird, muss der Tourismus eine Reihe von Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, die alle Betroffenen (öffentliche und private Einrichtungen, Unternehmen und Verbraucher) beachten müssen. Die öffentlich-private Zusammenarbeit kann und muss hauptsächlich auf die langfristige Sicherung der Entwicklung und der Wettbewerbsfähigkeit des Tourismussektors abzielen.

4.2.1.2

Es ist zu unterstreichen, dass sich die öffentlich-private Zusammenarbeit als sehr effizient erwiesen hat bei der Bewältigung von Rezessionen oder gar Krisensituationen im Tourismussektor an etablierten Urlaubsorten, die ihre Möglichkeit zur Wohlstandsmehrung zu verlieren drohen. Es bedarf des gemeinsamen Handelns aller Akteure, um die Wirksamkeit und Sichtbarkeit der eingeleiteten Maßnahmen zu verbessern.

4.2.1.3

Darüber hinaus zeigt sich, dass in Krisensituationen wie am 11. September 2001 in New York oder jüngst am 11. März 2004 in Madrid alle öffentlichen und privaten Akteure und Entscheidungsträger aufgefordert sind, gemeinsam zu handeln, um die negativen Folgen solcher Tragödien für den Tourismus zu mildern.

4.2.1.4

Ein Bereich, in dem sich öffentlich-private Bündnisse und Kooperationen im sektorspezifischen Umfeld als wirkungsvoll herausstellen können, ist der Verkehrssektor. Hier hat die massive Zunahme von Billigfluglinien eine generelle Absenkung der Transportkosten zur Folge gehabt. Öffentlich-private Bündnisse sollten bei dieser Art von Angeboten entsprechende Bedingungen hinsichtlich der Qualität der Dienstleistungen, der Beschäftigung und der Sicherheit gewährleisten.

4.2.1.5

Die Ausbildung von Fachkräften in einer bestimmten Branche ist ein klares Ziel im Rahmen jeder menschlichen Tätigkeit. In einer Branche wie dem Tourismus, der eine eindeutige und bedeutende menschliche Komponente aufweist, ist sie umso wichtiger. Die diesbezügliche öffentlich-private Zusammenarbeit ist von wesentlicher Bedeutung, da es im Interesse beider Sektoren ist, die allgemeine und berufliche Bildung der Arbeitnehmer zu verbessern.

4.2.2

Soziale Ziele: Es ist nicht möglich, Ziele für die öffentlich-private Zusammenarbeit festzulegen, ohne die sozialen Ziele zu berücksichtigen, die jede menschliche Tätigkeit umfassen sollte. Genauer gesagt sind die lokale Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen grundlegende Ziele des Tourismussektors und folglich auch der Zusammenarbeit in diesem Sektor.

4.2.2.1

Die Tatsache, dass Tourismus eine hauptsächlich auf durch Personen erbrachten Dienstleistungen beruhende Wirtschaftsaktivität ist, bedeutet, dass jede neue Tourismusaktivität Arbeitsplätze schafft, auch wenn ein hochwertiger und nachhaltiger Tourismus nur unter entsprechenden Beschäftigungsbedingungen möglich ist.

4.2.2.2

Die Verbesserung der sozialen Bedingungen der touristisch orientierten Gemeinden muss sicherlich eines der Ziele einer wirkungsvollen Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor sein. Die jüngsten und die künftigen Änderungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik betreffen eine Reihe europäischer Regionen, die entsprechende Anpassungen vornehmen müssen. Urlaub auf dem Bauernhof könnte als Möglichkeit gefördert werden, die traditionelle landwirtschaftliche Tätigkeit mit einer neuen Aktivität, dem Tourismus, zu verbinden und dabei eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen. Auch sollte die Förderung des Tourismus als neue Aktivität in Gebieten, die von der Umstrukturierung der Industrie, des Bergbaus usw. betroffen sind, untersucht werden. Diese Alternative für die betroffenen Regionen soll in einer Initiativstellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ausführlich behandelt werden.

4.2.2.3

Der Schutz des kulturellen, archäologischen und architektonischen Erbes gehört zu den sozialen Zielen, die durch öffentlich-private Zusammenarbeit am besten verwirklicht werden können. Dies zeigt sich am Beispiel der Paradores in Spanien und der Pousadas in Portugal, durch die zahlreiche historische Gebäude restauriert und Touristen zugänglich gemacht werden konnten und die Quelle eines beachtlichem Wohlstands in ihrer näheren Umgebung sind. Es handelt sich hier um eine Möglichkeit, öffentliche Güter in staatlicher Hand zu belassen, um für deren praktische Nutzung und Aufwertung zu sorgen. Ähnliches gilt für ländliche Gebiete, die vielen kleinen und mittleren Unternehmen wirtschaftliche Chancen eröffnen. Initiator solcher Maßnahmen müssen aber nicht nur die Behörden sein; im Gegenteil: es gibt viele Beispiele für Paläste und Denkmäler, die privat restauriert wurden und jetzt dank des Fremdenverkehrs gewinnbringende Objekte sind (wie auch bei einer Besichtigung im Rahmen der Anhörung in Sevilla festgestellt werden konnte). Der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zur EU, die ein außergewöhnliches, noch in Stand zu setzendes Kulturerbe besitzen, bietet die neuartige, große Chance, Tourismus und Denkmalpflege zu verbinden. Bei der Erreichung dieses Ziels kommt den verschiedenen Formen der öffentlich-privaten Zusammenarbeit eine große Bedeutung zu.

4.2.2.4

Die Tourismusbranche kann auch in anderen Bereichen von der öffentlich-privaten Zusammenarbeit profitieren. Dies gilt zum Beispiel für die Gastronomie als kulturell und touristisch bereicherndem und wichtigem Element, wo sich eine stärkere öffentlich-private Zusammenarbeit zur Verbesserung des Angebots an Delikatessen und Lebensmittelprodukten mit Herkunftsbezeichnungen in Zukunft sicher auch auf das touristische Angebot auswirken wird.

4.2.2.5

Ein positiver Schritt könnte die allgemeine Anwendung des Globalen Ethik-Kodex für den Tourismus sein, der vor einigen Jahren von der Welttourismusorganisation (WTO) verabschiedet wurde. Dies würde die Notwendigkeit der öffentlich-privaten Zusammenarbeit unterstreichen.

4.2.3

Wirtschaftliche Ziele: Nach allgemeiner Auffassung spielt der wirtschaftliche Aspekt im Tourismussektor eine wesentliche Rolle. Wie bereits festgestellt wurde, hat sich die Tourismusindustrie praktisch in der ganzen Welt, besonders deutlich aber in Europa (und hier vor allem in den Mittelmeerländern) als kraftvoller Motor der Schaffung von Beschäftigung und Wohlstand erwiesen. In diesem Zusammenhang machen die Nachhaltigkeitsziele eine strategische, langfristige (und nicht mittel- oder kurzfristige) Planung erforderlich. Das heißt, es sollten touristische Produkte im Hinblick auf ihre derzeitige und künftige Wettbewerbsfähigkeit entwickelt werden, die kurz-, mittel- und langfristig Gewinne erzeugen und kurz-, mittel- und langfristig ganzjährig sichere und hochwertige Arbeitsplätze schaffen. Zu den gemeinsamen Zielen einer wirksamen Zusammenarbeit zählen somit die Erreichung und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und der Wirtschaftlichkeit des Tourismussektors.

4.2.3.1

Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind ein weiterer wichtiger Aspekt für die wirtschaftlichen Ziele des Tourismussektors, bei dem Kooperationen notwendig sind, um die Ziele sowohl der Fremdenverkehrsorte (normalerweise vertreten durch die öffentlichen Akteure) als auch der Wirtschaftstätigkeit des Verkaufs touristischer Dienstleistungen (normalerweise vertreten durch die Unternehmen) zu erreichen. Allen – auch den Regionen in Randlage – zugängliche touristische Informationen sind für die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors unabdingbar.

4.2.3.2

Mit Blick auf die wirtschaftlichen Ziele der Zusammenarbeit ist darauf zu achten, dass beim Eingreifen des öffentlichen Sektors einerseits unlauterer Wettbewerb vermieden und andererseits Wettbewerbsbedingungen (z.B. Steuervorschriften, die die Markttransparenz beeinträchtigen können) vereinheitlicht werden.

4.2.4

Umweltziele: Die Tourismusindustrie ist ein Wirtschaftszweig, vielleicht sogar der einzige, dessen Grunderzeugnis in seiner „natürlichen Anziehungskraft“ besteht, also in Elementen, bei denen die Erfahrung der Natur mit ihrer Vielfalt an Landschaften, Tieren und Pflanzen sowie der Umweltschutz eine wesentliche Bedeutung für die Qualität und Attraktivität des Produkts haben, das die Verbraucher, sprich Touristen, wünschen. Es ist durchaus möglich und erstrebenswert, dass sowohl die öffentlichen als auch die privaten Akteure als Kooperationsziel die Beibehaltung dieser Bedingungen festlegen, die die Nachhaltigkeit der Naturressourcen und einen rationalen und nachhaltigen Umgang mit ihnen und damit ihre Einträglichkeit gewährleisten.

4.2.4.1

Der Umweltschutz ist einer der Bereiche, in denen die öffentlich-private Zusammenarbeit ein Instrument zur Erreichung der Umweltqualität sein könnte. In jüngster Zeit haben Ereignisse wie die durch die „Prestige“ ausgelöste Ölpest gezeigt, dass der Umweltschutz sowohl Sache des privaten als auch des öffentlichen Sektors sein muss.

4.3

Schließlich müssen die etwaigen Ziele einer angemessenen öffentlich-privaten Zusammenarbeit immer in Einklang mit einem Nachhaltigkeitskonzept stehen, das einerseits drei Dimensionen (Wirtschaft, Gesellschaft und Natur) und andererseits drei Zeiträume (kurz-, mittel- und langfristig) sowie als wesentliches und verbindendes Element die Beteiligung aller Akteure des Tourismussektors umfasst. Nachhaltigkeitspolitik und einschlägige Maßnahmen bilden die Grundlage für diese Form der Zusammenarbeit.

5.   Grundsätze und Kriterien der Zusammenarbeit

5.1

Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor im Bereich des Tourismus muss sich nach einer Reihe von Grundsätzen richten.

5.1.1

Zuständigkeit: Es liegt auf der Hand, dass die betreffenden Akteure zur Schaffung einer soliden, dauerhaften Partnerschaft in der Lage sein müssen, ihre in gegenseitigem Einvernehmen festgelegten Ziele unabhängig voneinander zu verfolgen, und dass ihr jeweiliger Zuständigkeitsbereich deshalb – entweder in Form eines ausdrücklichen rechtlichen Mandats, einer Vollmacht oder nur einer formellen bzw. informellen Vertretungsfunktion – anerkannt sein muss.

5.1.2

Mitverantwortung: Die einzelnen Akteure müssen entweder direkt oder indirekt von der Situation, für die die Partnerschaft geschaffen wird, betroffen bzw. daran beteiligt sein.

5.1.3

Freiwilligkeit: Nur die, die sich freiwillig entscheiden, aktiv an einer Partnerschaft teilzunehmen, müssen auch den diesbezüglichen Verpflichtungen nachkommen.

5.1.4

Demokratie: Die Regeln für Beschlussfassungsprozesse und Vertretungsfunktionen müssen eindeutig sein und im Einklang mit den Prinzipien der partizipativen Demokratie stehen.

5.2

Zu den Kriterien für Maßnahmen im Rahmen von Partnerschaften, die die wirkungsvolle Erreichung der Ziele gewährleisten, gehören:

5.2.1

Konkretheit: Die Ziele müssen explizit, spezifisch und, falls möglich, in wirtschaftlicher Hinsicht quantifizierbar und befristet sein sowie auf Vereinbarungen beruhen.

5.2.2

Relevanz: Die Ziele müssen für alle betreffenden Akteure von direkter oder indirekter Bedeutung sein.

5.2.3

Kontrollierbarkeit: Es ist wichtig, dass alle Betroffenen die Ergebnisse ihrer Beteiligung an einer Partnerschaft klar erkennen können; andernfalls verlieren sie das Interesse und ziehen sich zurück.

5.2.4

Verhältnismäßigkeit: Es ist unerlässlich, dass die Beteiligung der betreffenden Akteure im Verhältnis zur Größe der zu bewältigenden Aufgabe steht.

6.   Instrumente und Formen des Zusammenschlusses und der Zusammenarbeit

6.1

Um Instrumente und Formen des Zusammenschlusses zu beschreiben, ist es zunächst erforderlich, eine geeignete Ebene zu bestimmen, auf der die Zusammenarbeit sinnvoll ist; das bedeutet, dass die Ebene analysiert und definiert werden muss, auf der sich die Aufgabe stellt, eine Lösung gefunden werden kann und die Kompetenzen aller Akteure aufeinander treffen. Folglich handelt es sich um die lokale Ebene, wenn das Problem ausschließlich lokaler Natur ist und die Kompetenzen zur Ermittlung und Anwendung der Lösungen auf lokaler Ebene liegen. Entsprechendes gilt für die regionale und nationale Ebene.

6.2

Ein weiteres grundlegendes Merkmal ist das der Allgemeinheit. Es ist wichtig, dass alle Akteure etwas zur Lösung beitragen können, sei es durch Mittel, Informationen oder die Koordinierung der Aktivitäten.

6.3

Es gibt u.a. folgende konkrete Typen der Partnerschaft:

6.3.1

Informelle Partnerschaften: Die betreffenden Akteure schließen sich zu einem informellen strategischen Bündnis, einer Arbeitsgruppe, einem Forum o.Ä. (allerdings ohne Rechtspersönlichkeit) zusammen. Beschlüsse werden in diesem Fall mehrheitlich getroffen, sollten aber weder verbindlich sein, noch Verpflichtungen für die Beteiligten enthalten (mit Ausnahme freiwilliger Verpflichtungen).

6.3.2

Formelle Partnerschaften: Es handelt sich hier um Konsortien, Stiftungen, öffentliche Unternehmen, Gemeinschaftsunternehmen, Vereinigungen usw., die über Statuten verfügen, in denen die Bedingungen für den Abschluss und die Durchführung von Abkommen festgelegt sind.

6.3.3

Die Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure an der Schaffung eines dauerhaften Rahmens für die auf Rechten basierenden Arbeitsbeziehungen und die Entwicklung von Kollektivverhandlungen werden sich positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit, Rentabilität, Stabilität und soziale und wirtschaftliche Effizienz des Tourismus auswirken. Neben öffentlichen Behörden und Einrichtungen müssen auch wirtschaftliche und soziale Akteure am sozialen Dialog beteiligt werden, falls das zu erörternde Thema einen solchen Dreierdialog erfordert.

7.   Bedeutung der Netze der Akteure: Kommunen, Unternehmen, konkrete Projekte

7.1

In unserer globalisierten Welt kann eine Wirtschaftstätigkeit nicht ohne die Berücksichtigung anderer Akteure ausgeübt werden. Dieser Grundsatz gilt auch für Kommunen, und im vorliegenden Fall für Fremdenverkehrsorte und Akteure. Nach Auffassung von Fachleuten auf diesem Gebiet wird sich die neue Weltwirtschaft in territorialer Hinsicht auf Netze von Kommunen gründen, die sich um eine Koordinierung ihrer Maßnahmen bemühen. Obwohl die Verantwortlichen in Fremdenverkehrsorten zunächst Wettbewerbsstrategien verfolgen, um Finanzmittel zu erhalten, die Verkaufszahlen zu steigern und ihr internationales Profil zu stärken – kurz, um besser, wettbewerbsfähiger und wachstumsstärker zu werden –, erkennen sie in einer späteren Phase die Notwendigkeit, Beziehungen zu anderen Fremdenverkehrsorten zwecks gemeinsamer Werbemaßnahmen und gemeinsamen Lobbyings bei nationalen Regierungen und/oder internationalen Organisationen aufzubauen.

7.2

Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass der Informationsaustausch zwischen Fremdenverkehrsorten in der ganzen Welt notwendig ist, um den gemeinsamen Zielen der Nachhaltigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit ein Stück näher zu kommen. Dazu bedarf es mehrerer positiver Aspekte, insbesondere der Fähigkeit der Vermeidung strategischer Fehler und der Berücksichtigung der besten Instrumente der nachhaltigen Bewirtschaftung der Ressourcen. Ein Netz kann eine Ergänzung und eine Alternative zu den organisierten Vertretungsformen von Kommunen, Unternehmen und Institutionen sein. Nützlich ist dabei die Kommunikations- und Informationstechnologie, da sie informelle, unmittelbare und zweckdienliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern des betreffenden Netzes ermöglicht.

7.3

Die Einrichtung von Netzen ist nicht immer frei von Schwierigkeiten und negativen Aspekten. Es kommt mitunter zu Interessenkonflikten, die die Zusammenarbeit erschweren, und manchmal sind die stärksten Mitglieder eines Netzes auch die größten Profiteure.

7.4

Wie für Gemeinden sind Netze auch für Unternehmen ein effizientes Mittel zur Bereitstellung und zum Austausch von Informationen mit dem Ziel, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und ihr Ansehen bei den öffentlichen Einrichtungen zu verbessern.

7.5

Eine Reihe konkreter Tourismusprojekte basiert auf Netzen. Ein Beispiel ist das EU-Programm URB-AL, das auf die Einrichtung von Städtenetzen für die Zusammenarbeit in zahlreichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und städteplanerischen Bereichen abzielt. Zu diesen Aspekten wird gelegentlich auch der Austausch von Erfahrungen im Zusammenhang mit nachhaltigem Tourismus gefördert.

8.   Positive Beispiele für die öffentlich-private Zusammenarbeit im europäischen Tourismus

8.1

Während der Anhörung am 15. April 2004 in Sevilla wurden verschiedene positive Beispiele für die öffentlich-private Zusammenarbeit erörtert. Folgende Beispiele sind besonders erwähnenswert:

8.1.1

Turisme de Barcelona: Dieses Unternehmen wurde 1993 von der Handelskammer Barcelonas, dem Stadtrat Barcelonas und der Stiftung Barcelona Promoció gegründet, um Barcelona als Reiseziel zu fördern. In den letzten zehn Jahren hat Turisme de Barcelona dazu beigetragen, sowohl das Image als auch die touristische Infrastruktur der Stadt zu verbessern. Diese positive Entwicklung spiegelt sich in einer Zunahme von Angebot und Nachfrage, einer stärkeren Hotelauslastung und weiteren Indikatoren wider. Am aufschlussreichsten ist vielleicht, dass in diesen zehn Jahren der Anteil der öffentlichen Zuschüsse am Gesamtbudget von Turisme de Barcelona von 70 % auf nur 20 % gesunken ist, wobei die übrigen Einkünfte aus der Vermittlung von Hotelzimmern stammen. Nennenswert sind auch mehrere erfolgreiche Tourismusprodukte wie Barcelona Bus Turistic, Barcelona Card oder Barcelona Pass sowie die Programme Barcelona Convention Bureau oder Barcelona Shopping Line. Der Erfolg dieser Produkte beruht zweifellos auf der engen und verständnisvollen Zusammenarbeit der Fremdenverkehrsunternehmen und der Behörden, die sich gemeinsam für die Verbesserung der touristischen Infrastruktur in Barcelona einsetzen.

8.1.2

ICTE (Institut für spanischen Qualitätstourismus): Anfang der 90er Jahre wurden verschiedene Instrumente zur aktiven Qualitätsverbesserung entwickelt. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Gründung des Instituts für spanischen Qualitätstourismus im Jahr 2000, die als Reaktion auf die Tatsache zu sehen ist, dass die Spitzenposition der spanischen Tourismusindustrie durch den anderswo aufkeimenden Fremdenverkehr im Mittelmeerraum, in der Karibik usw. allmählich ins Wanken geriet. Es wurde eine klare Strategie für eine allgemeine Qualitätsverbesserung festgelegt, die auf der Notwendigkeit der Beteiligung sämtlicher Akteure des Tourismussektors beruht. An sämtlichen Tätigkeiten sind die im Zusammenhang mit dem Sektor stehenden Akteure beteiligt: Hotels, Restaurants, Reiseagenturen, Transportunternehmen, Anbieter von Urlaub auf dem Lande, Golfklubs, Kurorte, Gemeinden und Provinzen. Heute beteiligen sich mehr als 250 Unternehmensverbände, staatliche Stellen, die Autonomen Gemeinschaften und Stadträte, mehr als 3.000 Tourismusunternehmen, die technische Unterstützung erhalten, und 463 Unternehmen und Gremien mit einem Qualitätstourismus-Zertifikat am Integrierten System für spanischen Qualitätstourismus. Wie im Falle Barcelonas ist das ICTE ein positives Beispiel für die öffentlich-private Zusammenarbeit als Mittel zur allgemeinen Qualitätsverbesserung, einem Kernelement der Tourismusaktivität.

8.1.3

Weitere Beispiele, die während der Anhörung in Sevilla vorgestellt wurden: Das Modell für öffentlich-private Kooperation in Andalusien, das sich seit zwei Jahrzehnten entwickelt, hat bereits zu fünf Kooperationsabkommen geführt, die alle Produktionssektoren, einschließlich des Tourismussektors, betreffen. Dieses Modell beruht auf der Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Verwaltung der Autonomen Gemeinschaft, der Arbeitgebervereinigung Andalusiens und den wichtigsten andalusischen Gewerkschaften, der Unión General de Trabajadores (UGT) und den Comisiones Obreras (CCOO). Es hat insgesamt ein Klima des Vertrauens und der Stabilität geschaffen, die für die Tourismusaktivität notwendig sind.

8.2

Ein positives lokalpolitisches Beispiel ist nach Auffassung des Ausschusses, dass der Bürgermeister von Sevilla im Rahmen der Anhörung zum Thema „Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor“ die wirtschaftlichen und sozialen Akteure sowie den Tourismussektor im Allgemeinen aufgefordert hat, einen Pakt zu schließen, um zu gewährleisten, dass alle Betroffenen an der Gestaltung, Erarbeitung, Planung, Umsetzung und Bewertung der Tourismuspolitik in ihrem jeweiligen Bereich uneingeschränkt beteiligt sind. Im Rahmen der Förderung der Zusammenarbeit auf lokaler Ebene könnte diese Initiative – zusammen mit anderen derzeit erarbeiteten Initiativen – beispielhaft für Großstädte und Gemeinden unterschiedlicher Größe sein.

8.3

Es gibt mehrere Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit im Bereich des sozialen Tourismus, die darauf abzielen, möglichst vielen Menschen den Zugang zu Urlaubs- und Tourismusaktivitäten zu ermöglichen. Erwähnenswert sind hier die „Urlaubsgutscheine“ (franz. chèques-vacances), die in Frankreich von der Agence Nationale pour les Chèques-Vacances (ANCV, Nationale Agentur für Urlaubsgutscheine) und in Ungarn von der Magyar Szabadidő Társaság (Nationale Gesellschaft für Freizeitgestaltung) verwaltet werden. Weitere nennenswerte Beispiele sind die Seniorentourismus-Programme des Instituto Nacional para o Aproveitamento do Tempo Livre dos Trabalhadores (INATEL, Nationales Institut für die Freizeitgestaltung von Arbeitnehmern) in Portugal und des Instituto Nacional de Servicios Sociales (INSERSO, Nationales Institut für soziale Leistungen) in Spanien, die Förderung von Jugendherbergen in Brüssel durch die Commission Communautaire Française (COCOF, Kommission der französischsprachigen Gemeinschaft) sowie von öffentlichen Bildungsprogrammen und Maßnahmen zur Renovierung von Ferienzentren, die Verbänden wie dem Centro Turistico Giovanile (CTG, Jugendtourismuszentrum) in Italien angehören.

8.4

Es gibt zweifellos viele weitere Beispiele für den Erfolg der öffentlich-privaten Zusammenarbeit in Europa und der Welt. Erwähnenswert sind die Beispiele in der sehr nützlichen Veröffentlichung der WTO und der kanadischen Tourismuskommission mit dem Titel „Co-operation and Partnership in Tourism – A Global Perspective“ (2003). Diese Publikation enthält 18 Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit im Tourismussektor auf globaler Ebene, die als bewährte Methoden gelten können und deshalb besondere Aufmerksamkeit verdienen.

9.   Kooperationsförderung auf europäischer Ebene

9.1

Das erweiterte Europa bietet in sämtlichen Sektoren ein sehr dynamisches Umfeld, vor allem im Tourismussektor, der zahlreichen sowohl die Angebotsseite als auch die Nachfrageseite betreffenden Veränderungen unterliegt. Auf dem Gipfel von Lissabon wurde das strategische Ziel festgelegt, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, bedarf es einer weitgehenden Zusammenarbeit und Abstimmung sowohl auf institutioneller Ebene als auch auf der Ebene des öffentlichen und des privaten Sektors. In der Vergangenheit hat sich die Tourismusindustrie als Motor für Beschäftigung und Wohlstand erwiesen, und sie muss dies auch in einer EU mit 25 und mehr Mitgliedstaaten bleiben. Der Ausschuss fordert die Kommission deshalb auf, die Möglichkeit der Schaffung eines Europäischen Tourismusrates als konkrete Grundlage für die Umsetzung des Kooperationsprinzips auf europäischer Ebene zu prüfen.

9.2

Ein solcher Rat könnte sich wie folgt zusammensetzen: Vertreter der europäischen Institutionen (Kommission, Parlament, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss und Ausschuss der Regionen), des Europäischen Jugendrates, der Mitgliedstaaten, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften (in gleich hoher Zahl), Vertreter von europäischen Verbraucher-, Umweltschutz- und Behindertenorganisationen, Vertreter von Verbänden für sozialen Tourismus und Hochschulen sowie anerkannte Fachleute.

9.3

Der Europäische Tourismusrat könnte Daten über die bisherige und die künftige Entwicklung des Tourismus sammeln und auswerten, Möglichkeiten zur Förderung der bzw. Beteiligung an den Maßnahmen der Kommission vorschlagen, einen von den verschiedenen Akteuren in anderen Tourismusbereichen der Union weiterzuentwickelnden Referenzrahmen für die Zusammenarbeit vorlegen sowie das Europäische Tourismusforum vorbereiten und die hier erzielten Abkommen überwachen.

9.4

Für den Fall, dass die Kommission diesen Vorschlag für angemessen hält, erklärt sich der Ausschuss bereit, an der Gründung des Europäischen Tourismusrates mitzuarbeiten, damit er noch vor dem Europäischen Tourismusforum 2005 voll einsatzbereit ist.

10.   Schlussbemerkungen

10.1

Wir leben in einer globalisierten und doch spezialisierten Welt, die uns zwingt, die Modelle zu überdenken, auf die sich unsere Tätigkeit in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Raumordnung und Stadtplanung gründet. Dies gilt auch für den Tourismus, der die betreffenden Akteure vor zahlreiche Herausforderungen in Fragen der Qualität, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit stellt.

10.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass nur durch eine positive Einstellung der öffentlichen und privaten Akteure gegenüber der Zusammenarbeit jene großen Herausforderungen bewältigt werden können, die sich im Rahmen jeder menschlichen Aktivität stellen, insbesondere aber im Tourismussektor, der strategische Bedeutung hat, und durch die Erbringung von Dienstleistungen für Menschen geprägt ist und den kulturellen Austausch ermöglicht.

10.3

Die öffentlich-private Zusammenarbeit ist ein zunehmend wichtiger Aspekt positiver Maßnahmen im Tourismussektor. Dieser Aspekt sollte auf möglichst vielfältige Weise gefördert werden, da er zur Verwirklichung der Ziele des Sektors beiträgt. Er muss angesichts der derzeitigen globalen Veränderungen von allen Akteuren in ihren jeweiligen Handlungsstrategien berücksichtigt werden.

10.4

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, auch künftig jedes Jahr ein Europäisches Tourismusforum zu veranstalten, da hier auf europäischer Ebene unter Beteiligung der Akteure des Sektors (vor allem der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, Behörden und anderen Einrichtungen) Kooperationsrichtlinien und -kriterien festgelegt werden können, die zu vergleichbaren Initiativen in den Mitgliedstaaten, Regionen und Städten der Europäischen Union, aber auch in bestimmten Sektoren führen können.

10.5

Der Ausschuss möchte zur Zusammenarbeit im Tourismussektor beitragen, indem er Begegnungen, Gespräche und Abkommen zwischen Vertretern des Sektors fördert, vor allem zwischen wirtschaftlichen und sozialen Akteuren, nationalen, regionalen und lokalen Behörden sowie auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung tätigen Verbänden (z.B. Verbraucher-, Umwelt-, Sozialwirtschafts- und Behindertenverbänden). Er wird auch die Zusammenarbeit mit der Welttourismusorganisation (WTO) und dem Internationalen Büro für sozialverträglichen Tourismus (BITS) fortsetzen. Der Ausschuss bekräftigt deshalb sein Angebot, denjenigen als Forum zu dienen, die der Ansicht sind, dass der Tourismus ein individuelles Recht ist und nicht nur als Industrie und als eine Wirtschaftstätigkeit, sondern auch als wichtiger Faktor der persönlichen und menschlichen Selbstverwirklichung, des Verständnisses, der Annäherung und des Friedens zwischen den Völkern betrachtet werden sollte.

10.6

Der Ausschuss wird jedes Jahr den Welttourismustag, der von der Welttourismusorganisation ins Leben gerufen wurde, mit einer Erklärung unterstützen. Unter dem Titel „Erklärung von Sevilla zur Tourismuspolitik und zur Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor“ stellt die vorliegende Stellungnahme den Beitrag des Ausschusses zum diesjährigen Welttourismustag sowie zum Europäischen Tourismusforum 2004 in Budapest dar.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung für Kraftfahrzeuge hinsichtlich ihrer Wiederverwertbarkeit, Recyclingfähigkeit und Verwertbarkeit und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWR des Rates“

KOM(2004)162 endg. – 2004/0053 (COD)

(2005/C 74/03)

Der Rat beschloss am 30. März 2004 gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 14. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15. September 2004 mit 125 gegen 4 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Jedes Jahr werden in Europa etwa 16 Millionen Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge verkauft. Im gleichen Zeitraum erreichen über neun Millionen das Ende ihrer Lebensdauer, wobei mehr als acht Millionen Tonnen Müll verursacht werden.

1.2

Der Umgang mit dieser beachtlichen Menge von Abfällen war in der Vergangenheit in den einzelnen europäischen Staaten nicht homogen. Dabei wurde der Wiedergewinnung und Wiederverwertung der Materialien nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt.

1.3

In jüngerer Zeit haben seit Anfang der 90er Jahre alle Mitgliedstaaten auch dank erheblicher Bemühungen von Umweltschutzbewegungen entweder im Rahmen freiwilliger Übereinkünfte oder im Wege ihrer nationalen Gesetzgebung Regeln für die Behandlung von Altfahrzeugen aufgestellt, die sich zweifellos positiv auf die Umwelt auswirken.

1.4

Schließlich nahmen das Europäische Parlament und der Rat am 18. September 2000 (1) die Richtlinie 2000/53/EG mit dem Ziel an, die unterschiedlichen nationalen Regelungen zu harmonisieren, ohne Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen, und vor allem die Umweltauswirkungen solcher Fahrzeuge weiter zu verringern. In dieser Richtlinie werden neben den Regeln zur Sammlung und Behandlung von Altfahrzeugen auch die Ziele festgelegt, die die Mitgliedstaaten bezüglich der Abfallwiederverwendung und -verwertung verfolgen sollen. Insbesondere sind folgende Maßnahmen vorgesehen:

a)

Bis zum 1. Januar 2006 müssen die Wiederverwendung und Verwertung bei allen Altfahrzeugen auf mindestens 85 % des durchschnittlichen Fahrzeuggewichts pro Jahr erhöht werden. Innerhalb derselben Frist müssen die Wiederverwendung und das Recycling mindestens 80 % erreichen.

b)

Bis spätestens 1. Januar 2015 müssen die Quoten bei Wiederverwendung und Verwertung auf mindestens 95 % steigen und bei Wiederverwendung und Recycling auf mindestens 85 %.

1.5

Es sei daran erinnert, dass die Richtlinie 2000/53/EG, die im EU-Jargon als „End of Life Vehicles (ELV) directive“ („Richtlinie über Altfahrzeuge – ELV“) bezeichnet wird, nach eingehender Diskussion angenommen wurde und Gegenstand durchaus begründeter Kritik war, die sich auch in einer seinerzeit vom EWSA abgegebenen Stellungnahme (2) niedergeschlagen hat. Es sei außerdem darauf hingewiesen, dass die oben genannte Richtlinie, auch wenn sie nicht leicht umzusetzen war, zu einer starken Beschleunigung der positiven Entwicklung geführt hat, die auf Ebene der Mitgliedstaaten in Form von Übereinkünften mit Autoherstellern und Unternehmern im Schrottsektor bereits in vollem Gange war.

2.   Der Vorschlag der Europäischen Kommission

2.1

Der nun vom EWSA zu prüfende, intern bereits als „triple R-directive“ bezeichnete Vorschlag wurde infolge der Richtlinie über Altfahrzeuge erforderlich. Diese sah bereits in Artikel 7 Absatz 4 die Einführung von Auflagen bei der Typgenehmigung bezüglich der Wiederverwendung, des Recyclings und der Verwertung von Altfahrzeugen vor.

2.2

Der Kommissionsvorschlag sieht vor, Typgenehmigungen für Fahrzeuge der Klassen M1 und N1 nur dann zu erteilen, wenn diese so konstruiert sind, dass die in der Altfahrzeuge-Richtlinie genannten Quoten für Wiederverwendung, Recycling und Verwertung erreicht werden.

2.3

Die in diesem Richtlinienvorschlag enthaltenen Bestimmungen werden nach dessen Annahme Bestandteil des gemeinschaftlichen Typgenehmigungssystems sein und eine Änderung der Richtlinie 70/156/EWG (3), auf der das gegenwärtige System basiert, nach sich ziehen.

2.4

Die gemeinschaftliche Fahrzeug-Typgenehmigung wird dann erteilt, wenn die Genehmigungsbehörde festgestellt hat, dass der Fahrzeugtyp allen Anforderungen der verschiedenen, im Anhang der Richtlinie 70/156/EWG aufgeführten Richtlinien entspricht. Die „triple R-Richtlinie“ wird nach ihrer Annahme in diese Liste aufgenommen. Eine Typgenehmigung kann dann nicht mehr erteilt werden, wenn der entsprechende Fahrzeugtyp nicht auch allen Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht.

2.5

Der Vorschlag regelt das Verfahren, das die Hersteller im Hinblick auf die Typgenehmigung durch die zuständige Genehmigungsbehörde einhalten müssen. Im Zuge dieses Verfahrens ist der Nachweis zu erbringen, dass der Fahrzeugtyp so konstruiert und gebaut ist, dass die im Vorschlag festgelegten Werte für Recyclingfähigkeit und Verwertbarkeit eingehalten werden.

2.6

Der Hersteller muss hierfür die Berechnung der Recycling- und Verwertungsquoten im Rahmen einer Vorprüfung auf entsprechenden, von der Genehmigungsbehörde zu beglaubigenden Berechnungsbögen vornehmen. Der Hersteller hat gleichzeitig den zuständigen Behörden in einem Konstruktionshandbuch, dessen Ausarbeitung bereits in der Altfahrzeug-Richtlinie vorgesehen ist, darzulegen, welche Strategie er im Bereich der Wiederverwertung und des Recyclings des Fahrzeugtyps, dessen Genehmigung beantragt wird, empfiehlt.

2.7

Aufgrund der Tatsache, dass ein Pkw aus über 10.000 Bauteilen bestehen kann, ist es nicht möglich, alle Berechnungen detailliert und für alle Fahrzeuge zu überprüfen. Deshalb und nur zum Zwecke der Typgenehmigung ist vorgesehen, gründliche Überprüfungen nur an einem oder wenigen sogenannten „repräsentativen Fahrzeugen“ durchzuführen. Diese sind aus den Versionen eines Fahrzeugtyps auszuwählen, welche die größte Herausforderung im Bereich der „Wiederverwendbarkeit“, „Recyclingfähigkeit“ und „Verwertbarkeit“ darstellen.

2.8

Ferner wurde aus Gründen der Straßensicherheit und des Umweltschutzes eine Reihe von Bauteilen von der Wiederverwendung ausgeschlossen. Diese in einer gesonderten Liste aufgeführten Bestandteile dürfen nicht wieder in Neufahrzeuge eingebaut werden.

2.9

Schließlich sind folgende Ausnahmen von der Anwendung der Richtlinie vorgesehen: Fahrzeuge mit besonderer Zweckbestimmung (wie Krankenwagen, Wohnmobile usw.); Fahrzeuge, die in Kleinserien von jährlich höchstens 500 Fahrzeugen pro Mitgliedstaat hergestellt werden, sowie leichte Nutzfahrzeuge, die in mehreren Stufen gefertigt werden und bei denen der Hersteller des Basisfahrzeugs zum Zeitpunkt der Konstruktion noch nicht weiß, welche Art von Aufbau aufgesetzt wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Das Bemühen der Kommission um ständige Verbesserungen in der Abfallbewirtschaftung muss nochmals begrüßt werden. Dieser Ansatz kann nur unterstützt werden, da er auf die größtmögliche Reduzierung des zu entsorgenden Abfalls abzielt und ein Problem durch Wiederverwendung, Recycling und Verwertung in einen ökologischen und potenziell auch wirtschaftlichen Vorteil verwandelt.

3.2

Die entscheidende Rolle der Automobilindustrie muss ebenfalls anerkannt werden. Diese investiert bereits seit Jahren in Untersuchungen und Forschungsprojekte zur Fahrzeugkonstruktion, bei der ohne Verzicht auf andere Prioritäten Recyclingmöglichkeiten bevorzugt werden.

3.3

Die positive Verbindung des Impulses der Kommission mit dem Einsatz der Hersteller und der Gesetzgebung zahlreicher Mitgliedstaaten hat dazu geführt, dass die in der Altfahrzeuge-Richtlinie postulierten Werte heute in unmittelbarer Reichweite liegen. Dies wird in dem unlängst vom Verband europäischer Automobilhersteller (ACEA) veröffentlichten Bericht bestätigt, der auf die Umsetzung dieser Richtlinie in den (bis Mai 2004) 15 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen eingeht.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die Entscheidung der Kommission, die in Artikel 7 Absatz 4 der Altfahrzeuge-Richtlinie aufgeführten Ziele mittels einer diesbezüglichen Richtlinie – dem hier erörterten Vorschlag – zu erreichen, anstatt andere mögliche Wege einzuschlagen, ist fachlich richtig und wird hier sicherlich nicht in Frage gestellt.

4.2

Bezüglich der vorgeschlagenen Verfahren sind allerdings einige problematische Aspekte zu nennen, welche die Fahrzeughersteller – im Hinblick auf erhöhte Kosten – sowie die technischen Dienste und Genehmigungsbehörden betreffen. Letztere laufen Gefahr, die Kontrolle der äußerst umfangreichen, in Anhang II des Vorschlags aufgeführten Angaben nicht bewältigen zu können. Dabei sind einige dieser Angaben (wie Anzahl und Anordnung der Zylinder, Hubvolumen usw.) nicht einmal zweckdienlich.

4.3

Diese Probleme können durch einige Änderungen gelöst werden, die nach Auffassung des Ausschusses die Wirksamkeit des Verfahrens steigern, ohne Zielsetzungen und Tragweite des Vorschlags zu entstellen oder einzuschränken. Insbesondere sollten die folgenden Artikel überarbeitet werden:

Artikel 4 Absatz 5: Das repräsentative Fahrzeug, an dem die Überprüfungen im Zuge der Typgenehmigung durchgeführt werden, wird als die Version eines Fahrzeugs definiert, die von der Genehmigungsbehörde unter den Gesichtspunkten Wiederverwendbarkeit, Recyclingfähigkeit und Verwertbarkeit als die problematischste betrachtet wird. Angesichts der zahlreichen, für denselben Fahrzeugtyp im Allgemeinen möglichen Ausstattungen ist die Bestimmung des repräsentativen Fahrzeugs mitunter nicht einfach. Um Missverständnissen und dem Verlust wertvoller Zeit vorzubeugen, sollte in gemeinsamem Einverständnis zwischen Hersteller und Genehmigungsbehörde ausdrücklich angegeben werden, welches repräsentative Fahrzeug unter den Gesichtspunkten Wiederverwendbarkeit, Recyclingfähigkeit und Verwertbarkeit als das problematischste angesehen wird.

Artikel 5 Absatz 3: In der einleitenden Begründung des Richtlinienvorschlags ist unter Ziffer 6.2.2 die physische Kontrolle an Fahrzeugprototypen der zu genehmigenden Fahrzeugtypen vorgesehen, um die vom Hersteller und seinen Zulieferern übermittelten Angaben im Hinblick auf Kennzeichnung, Art der Werkstoffe, Masse der Bauteile etc. zu überprüfen. In Artikel 5 Absatz 3 ist insbesondere die physische Kontrolle der Kennzeichnung der aus Polymeren oder Elastomeren hergestellten Bauteile vorgesehen. Tatsächlich wird die Kontrolle im Rahmen der Typgenehmigung an Prototypen durchgeführt, deren Bauteile – eben weil noch nicht in Serie gefertigt – nicht gekennzeichnet sind. Die buchstabengetreue Anwendung dieser Bestimmung würde dazu führen, dass nur für diese Untersuchung besondere Prototypen hergestellt werden müssten. Dies würde die bereits erhöhten Kosten, welche die Einhaltung der übrigen Bestimmungen dieses Richtlinienvorschlags mit sich bringt, zusätzlich erhöhen. Eine kostenneutrale Lösung wäre eine dahingehende Änderung von Artikel 5 Absatz 3, bei der die Genehmigungsbehörden sicherstellen, dass der Hersteller auf eigene Verantwortung eine vorschriftsgemäße Kennzeichnung der aus Polymeren oder Elastomeren hergestellten Bauteile in der Serienproduktion vorsieht. Die physischen Kontrollen können immer noch vor der Vermarktung des Fahrzeugs erfolgen, wofür diejenigen Fahrzeuge verwendet werden könnten, die für die verschiedenen Genehmigungsverfahren und Prüfungen (Bremsen, Geräuschentwicklung, Sicherheit etc.) verwendet werden. Besser noch wäre es, die physischen Kontrollen an den für die Konformitätsprüfungen der Produktion verwendeten Fahrzeugen durchzuführen.

Artikel 10 Absatz 3: Dieser Artikel sieht vor, dass die Vorschriften 36 Monate nach Inkrafttreten der Richtlinie sowohl für Fahrzeuge mit neuer Typgenehmigung (neue Fahrzeugtypen) als auch für neu zugelassene Fahrzeuge (d.h. die gesamte Produktion) gelten. Dieser Zeitplan widerspricht eindeutig den in ähnlichen Bestimmungen gefundenen Lösungen. Die vorgesehenen Auflagen gelten im Allgemeinen bei der Neuzulassung von Fahrzeugen erst zwei oder drei Jahre später als bei Fahrzeugen mit neuer Typgenehmigung, damit die Fahrzeuge in der laufenden Produktion von den Herstellern an die neuen Vorschriften angepasst werden können. Ein einheitlicher Anwendungszeitpunkt würde den Herstellern sowohl in puncto Anpassung der Produktion als auch im Hinblick auf Zeit und Möglichkeiten der Typgenehmigung für alle Fahrzeugmodelle große Schwierigkeiten bereiten. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass an den Typgenehmigungsverfahren neben den Herstellern auch die technischen Dienste und die Genehmigungsbehörden beteiligt sind, die bei der kurzfristigen Typgenehmigung einer Vielzahl von Fahrzeugtypen ebenfalls Schwierigkeiten haben könnten. Angesichts dieser Ausführungen – und ohne die Position vertreten zu wollen, Fahrzeuge der laufenden Produktion von der betreffenden Richtlinie auszunehmen – hält der EWSA eine dahingehende Änderung von Artikel 10 Absatz 3 für sinnvoll, für neu zugelassene Fahrzeuge eine längere Übergangsfrist (von 48 oder 60 Monaten) anstelle der geplanten 36 Monate vorzusehen.

Anhang I Ziffer 9: In dieser Ziffer wird bestimmt, dass der Hersteller für die Zwecke der Prüfung der Werkstoffe und der Massen der Bauteile der Genehmigungsbehörde für jede Aufbauart repräsentative Fahrzeuge und Bauteile, die serienmäßig in diese Fahrzeuge eingebaut werden, zur Verfügung stellt. Auch diese Auflage führt zu erheblichen Belastungen der Hersteller und der Genehmigungsbehörden, ohne indes für die korrekte Abwicklung der Typgenehmigungsverfahren unabdingbar zu sein. So scheint eine Prüfung aller Aufbauarten (dreitürig, fünftürig, Kombi etc.) nicht sinnvoll zu sein. Auch in diesem Fall wäre es viel einfacher, für die Typgenehmigung diejenige Version des Fahrzeugtyps zu verwenden, die unter dem Gesichtspunkt der Recyclingfähigkeit die größte Herausforderung darstellt.

5.   Zusammenfassung und Schlussfolgerung

5.1

Der EWSA bestätigt seine volle Wertschätzung für die Arbeit, die die Europäische Kommission über die Jahre geleistet hat. Eine Arbeit, die darauf ausgerichtet war, eine ordnungsgemäße und intelligente Behandlung von Abfällen, die bei der Verschrottung von Kraftfahrzeugen entstehen, zu garantieren.

5.2

Insbesondere wurden mit der Richtlinie über Altfahrzeuge (ELV) 2000/53/EG die Vorschriften, die die Mitgliedstaaten bereits für das Sammeln und die Behandlung von Altfahrzeugen aufgestellt hatten, auf europäischer Ebene endlich harmonisiert. Durch dieselbe Richtlinie wurden darüber hinaus die Minimalziele für die Wiederverwendung und Verwertung der Abfälle und die zeitlichen Vorgaben aufgestellt.

5.3

Bei dieser Gelegenheit empfiehlt der EWSA den Mitgliedstaaten, den ordnungsgemäßen Umgang mit Verschleiß- und Ersatzteilen (Batterien, Reifen usw.) von Fahrzeugen, die noch im Gebrauch sind, auch weiterhin sehr aufmerksam zu überwachen, da diese ebenfalls eine mögliche Quelle für Umweltverschmutzung sind.

5.4

Der EWSA unterstützt ganz und gar den diesem Vorschlag zugrunde liegenden Ansatz, dem zufolge Fahrzeuge, um die EG-Fahrzeug-Typgenehmigung zu bekommen, so hergestellt werden müssen, dass sie die Prozentsätze der Wiederverwendung und Verwertung, die schon in der Altfahrzeugrichtlinie vorgesehen sind, erreichen können.

5.5

Der EWSA ist hingegen befremdet vom ausgewählten Mittel; d.h. anstatt eine neue Richtlinie aufzulegen, hätte man das gleiche Ergebnis leichter und schneller auf eine andere Art erreichen können. Es hätte tatsächlich ausgereicht, in Anlage X der Richtlinie 70/156/EWG, die schon als Grundlage für das System der Typengenehmigung angelegt wurde, ein „assessment of manufacturers' capability“ einzufügen - analog zu dem, was zur Feststellung der Fähigkeit des Konstrukteurs, Fahrzeuge zu bauen, die der Typengenehmigung entsprechen, vorgesehen ist.

5.6

Doch wie bereits erwähnt, ist die Entscheidung der Kommission für eine Richtlinie verfahrenstechnisch richtig und kann von daher nicht in Frage gestellt werden, auch wenn dies nicht in die Richtung einer Vereinfachung des europäischen Rechts geht, die immer häufiger und von immer mehr Seiten gefordert wird.

5.7

Aus diesen Gründen hofft der EWSA, dass die Europäische Kommission die vorgeschlagenen Änderungen zu ihrem Richtlinienvorschlag berücksichtigen wird. Diese Vorschläge ändern weder den Geist noch das Ziel des Vorschlags selbst, haben indes den Vorteil, den gesamten Prozess für die Hersteller, für die technischen Dienste, für die Genehmigungsbehörden und letztendlich auch für die Verbraucher weniger kompliziert und kostspielig zu machen. Auf Letztere fallen schließlich jeder zeitliche Mehraufwand und alle Mehrkosten zurück, die durch eine Rechtsetzung hervorgerufen werden, die komplizierter ist als notwendig.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  ABl. L 269 vom 21.10.2000.

(2)  ABl. C 129 vom 27.4.1998.

(3)  ABl. L 42 vom 23.2.1970.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rats zum Filmerbe und zur Wettbewerbsfähigkeit der einschlägigen Industriezweige“

KOM(2004) 171 endg. - 2004/0066 (COD)

(2005/C 74/04)

Der Rat beschloss am 26. März 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 157 EG-Vertrag um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr BRAGHIN.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15. September 2004 mit 129 gegen 3 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Das Kommissionsdokument besteht aus zwei Teilen: einer Mitteilung darüber, dass die Gültigkeitsdauer der spezifischen Kriterien für die Zulässigkeit von Beihilfen für Kino- und Fernsehproduktionen, die bis Juni 2004 Gültigkeit haben, bis zum 30. Juni 2007 verlängert wird, und einer Empfehlung zum Filmerbe und zur Wettbewerbsfähigkeit der einschlägigen Industriezweige.

1.2

Die Empfehlung deckt im Wesentlichen alle Aspekte des Filmerbes ab (Erfassung, Katalogisierung, Einrichtung von Datenbanken, Bewahrung, Restaurierung und Verwendung im Bildungs-, Hochschul-, Kultur- und Forschungsbereich sowie Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen Einrichtungen auf europäischer Ebene) und sieht in der Rechtspflicht zur Hinterlegung von Kinofilmen ein Instrument zur Erhaltung und zum Schutz des europäischen audiovisuellen Erbes. Zu diesem Dokument wird der Ausschuss um Stellungnahme ersucht.

1.3

Gegenstand der vom Ausschuss zu erarbeitenden Stellungnahme, ist lediglich die Empfehlung. In Bezug auf die Mitteilung befürwortet der EWSA den Ansatz der Kommission, die gewillt ist, „spätestens während der nächsten Überarbeitung der Mitteilung, höhere Beihilfebeträge zuzulassen, unter der Voraussetzung, dass die Beihilferegelungen die allgemeinen rechtlichen Bestimmungen des Vertrages erfüllen und dass insbesondere die Hindernisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in der EG in diesem Sektor verringert werden“. Der EWSA wird ggf. die Ergebnisse der Studie über die Folgen bestehender staatlicher Beihilferegelungen analysieren, um sowohl ihre wirtschaftlichen als auch kulturellen Auswirkungen zu bewerten und anschließend zu prüfen, ob die bestehenden Mechanismen wirksam sind oder ob nicht andere Mechanismen und Instrumente zum Einsatz kommen sollten.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der industriellen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Filmerbe verbessert werden müssen, insbesondere was die Nutzung der technischen Neuerungen (z.B. Digitalisierung) anbelangt. Daraus leitet sich die auf Artikel 157 EG-Vertrag beruhende Rechtsgrundlage für diese Empfehlung ab.

2.1.1

Der EWSA befürwortet die Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates, eine Empfehlung auszuarbeiten, da sie die Erreichung der Ziele einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und die Ausweitung der politischen Debatte über ein Thema von solch großer kultureller Bedeutung ermöglicht.

2.1.2

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Kommission die Informationen, die die Mitgliedstaaten über die aufgrund dieser Empfehlung ergriffenen Maßnahmen alle zwei Jahre vorlegen müssen, gründlich analysiert. Ferner sollte sie bewerten, mit welchen Maßnahmen - auch rechtlicher Art - die für den Schutz und die wirtschaftliche Nutzung des audiovisuellen Erbes erforderliche Zusammenarbeit und Koordinierung gefördert werden können.

2.2

Der EWSA begrüßt, dass die Übertragung des Eigentums an Kinofilmen an die Archivierungsstellen nicht zur automatischen Übertragung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte führt. Allerdings können die Mitgliedstaaten gemäß Richtlinie 2001/29/EG (1) Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf bestimmte Vervielfältigungshandlungen von öffentlich zugänglichen Bibliotheken oder Archiven vorsehen, die keinen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Zweck verfolgen. Der EWSA befürwortet ebenfalls die Empfehlung, die Reproduktion der hinterlegten Kinofilme zum Zweck der Restaurierung zu ermöglichen (Ziffer 9 der Empfehlung).

2.3

Die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit den Urheberrechten, bestimmten Vervielfältigungshandlungen von öffentlich zugänglichen Bibliotheken oder Archiven und der Reproduktion zum Zweck der Restaurierung sollten dringend angegangen und gelöst werden. Der EWSA schlägt vor, eine hochrangige Gruppe mit dieser spezifischen Aufgabe zu betrauen und gegebenenfalls das Netz der bereits konsultierten nationalen Sachverständigen auszuweiten.

2.4

Der EWSA spricht sich für eine Verkürzung der Frist für die Hinterlegung der Filme nach ihrer Freigabe für die Öffentlichkeit aus. Ferner hält er es für wünschenswert, dass vor der Festlegung der Hinterlegungspflicht im Sinne der Empfehlung auch Mechanismen zur Förderung der Hinterlegung von Kinofilmen und audiovisuellen Werken eingeführt werden, die Teil des nationalen audiovisuellen Erbes sind.

2.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass Kinofilme und audiovisuelle Werke ein industrielles und gleichzeitig kulturelles Gut sind, das als gemeinsames europäisches Erbe geschützt, als Garant des Pluralismus gefördert und wirtschaftlich genutzt werden muss. Vor diesem Hintergrund ist es wünschenswert, auch für spezifische Arten von Fernsehproduktionen auf nationaler Ebene operierender Sender die verbindliche und nicht die freiwillige Hinterlegung einzuführen, da solche Produktionen Ausdruck einer dynamischen Kultur sind und viel enger mit den aktuellen soziokulturellen Geschehnissen zusammenhängen als ein Kinofilm. Obwohl der EWSA weiß, dass sich die Sender gegen einen solchen Hinterlegungszwang ausgesprochen haben, fordert er die Kommission auf, diesen Aspekt durch einschlägige Studien zu vertiefen und zu prüfen, ob nicht wenigstens die aus soziokultureller Sicht relevantesten Fernsehprogramme einem Hinterlegungszwang unterworfen werden sollten, weil sie audiovisuelles Kulturerbe sind.

2.6

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Filmindustrie einen großen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen, auch in Bezug auf den Schutz des Filmerbes, leisten kann. Dies gilt jedoch umso mehr für den audiovisuellen Sektor im weiteren Sinn, berücksichtigt man die Vielfalt der Trägermedien und Übertragungsarten sowie die Möglichkeiten der Digitaltechnik. Der Ausschuss spricht sich deshalb dafür aus, dass jegliche Form der Förderung auf die Gesamtheit der audiovisuellen Werke ausgeweitet und stärker auf die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors in seinen verschiedenen Facetten ausgerichtet wird. Ferner sollten die Ausbildungsmöglichkeiten nicht vornehmlich auf die Filmwirtschaft begrenzt oder konzentriert werden, sondern dem audiovisuellen Sektor in seiner ganzen Bandbreite Rechnung tragen.

2.7

Der EWSA teilt die Auffassung, dass ein System zur freiwilligen Hinterlegung von Sekundär-, Werbe- und Bewegtbildmaterial sowie von Werken aus früheren Zeiten erforderlich ist, da sie einen bedeutenden Bestandteil des europäischen audiovisuellen Erbes bilden. Er hebt hervor, dass es notwendig ist, geeignete Anreize für eine solche Erfassung zu ermitteln und die zuständigen Stellen mit angemessenen Mitteln auszustatten, damit sie in vertretbarer Zeit mit dem Bestand ein systematisches Zeugnis vom Reichtum der kulturellen Identitäten Europas und von der Vielfalt seiner Völker ablegen können.

3.   Schlussbemerkungen

3.1

Nach Auffassung des EWSA ist es für die Erreichung der wichtigsten Zielvorgaben ausschlaggebend, dass die Kommission entsprechend der im zu prüfenden Dokument erklärten Absicht von nun an eine proaktive Rolle übernimmt und

die Hinterlegungsverfahren festlegt, die die Vernetzung und gegenseitige Kompatibilität der nationalen Systeme ermöglichen, und die europaweite Standardisierung von Katalogen fördert;

die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für Online-Hinterlegungen schafft, die angemessen geschützt und in Echtzeit aktualisiert werden und den Grundstock für eine zukünftige „europäische“ Datenbank bilden können;

einen Standardvertrag auf europäischer Ebene zwischen den benannten Stellen, den Hinterlegern und gegebenenfalls den Rechtinhabern im Einklang mit der Richtlinie 2001/29/EG vorschlägt, der eine Restaurierung des Materials und seine anschließende Bereitstellung für Studien- und Unterrichtszwecke erleichtert;

in Zusammenarbeit mit den betroffenen Stellen die Bedingungen ermittelt, unter denen die hinterlegten Werke der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden;

die Zusammenarbeit zwischen den nationalen und/oder regionalen Stellen nötigenfalls auch mit Hilfe entsprechender Strukturen und spezifischer Zuschüsse fördert;

das Benchmarking bewährter Verfahren unterstützt und die erzielten Fortschritte anhand der vorgesehenen regelmäßigen Berichterstattung prüft.

3.2

Darüber hinaus ist der EWSA der Ansicht, dass die Kommission unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips den Sektor mit angemessenen Finanz- und Humanressourcen aktiv unterstützen muss, um die folgenden Ziele zu erreichen:

Zusammenstellung einer europäischen audiovisuellen Filmographie und Ausarbeitung gemeinsamer Forschungs- und Bildungsprojekte, da aufgrund der unterschiedlichen Ressourcen und kulturellen Traditionen der 25 Mitgliedstaaten eine freiwillige Zusammenarbeit kaum zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen kann;

Hinterlegung der Werke aus früheren Zeiten auch aus den neuen Mitgliedstaaten, die in der Tat über eine bedeutende Kinoproduktion, jedoch nur begrenzt über finanzielle Mittel für ihre Hinterlegung verfügen. Diese Werke legen Zeugnis von Geschichte und Kultur, vom Lebensstil sowie von Bräuchen und Traditionen ab, die andernfalls verloren gehen könnten;

Schaffung einer Struktur zum effizienteren Einsatz der in den nationalen und/oder regionalen Einrichtungen vorhandenen Ressourcen, um so ihre Verbreitung auf europäischer und internationaler Ebene zu fördern, und zwar mit Hilfe modernster Multimedia (beispielsweise DVD, die Archivmaterial mit Untertiteln in mehreren europäischen Sprachen verwenden, so dass auch Werke aus früheren Zeiten rentabel werden). Dies gilt insbesondere für Werke, die sich mit gemeinschaftlichen Themen und Politiken (beispielsweise Jugendschutz oder Frauenwürde) oder spezifischen Traditionen befassen (u.a. Animations-, Kinder- und Dokumentarfilme);

Aufwertung der bei verschiedenen thematischen Festivals auf regionaler und lokaler Ebene vorgestellten Werke, um unabhängige Produktionen und Regisseure, deren Arbeit nicht kommerzialisiert wird, zu fördern – nach Bedarf auch mit Hilfe der verbindlichen Hinterlegung;

Unterstützung der beruflichen Bildung in den Bereichen Bewahrung und Restaurierung mit angemessenen EU-Mitteln (vorzugsweise im Rahmen des zu aktualisierenden Programms MEDIA-Ausbildung), da diese Bereiche Fachwissen und technische Neuerung erfordern.

3.3

Der EWSA spricht sich ebenfalls dafür aus, dass in der bereits eingeleiteten Debatte über das neue Programm MEDIA-Ausbildung die Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der neuen Technologien, die an neue Erfordernisse auf dem Gebiet der Erfassung, Katalogisierung, Bewahrung und Restaurierung von Kino- und Fernsehfilmen und von Bewegtbildmaterial im Allgemeinen geknüpft sind, mehr Berücksichtigung finden. Die Ausbildung sollte auf die Verwendung und Kenntnis der neuen Archivierungstechniken und -methoden sowie auf die Verwaltung von Datenbanken und standardisierten Methoden zur hochwertigen digitalen Aufbewahrung ausgeweitet werden und Ausbildungsmaßnahmen für Betreiber umfassen, damit die geleistete Arbeit für eine breitere Öffentlichkeit und insbesondere für Lehr- und Lernzwecke von Nutzen sein kann.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167 vom 22.6.2001.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Neufassung)“

KOM(2004) 246 endg. – 2004/0079 (CNS)

(2005/C 74/05)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 30. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten des Ausschusses beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 13. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15. September 2004 mit 147 gegen 6 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der zu erörternde Richtlinienvorschlag (1) fällt nicht unter das normale Verfahren für die Kodifizierung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften. Die Kommission wies darauf hin, dass die MwSt-Bestimmungen, die ursprünglich Gegenstand der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates waren und seitdem zahlreichen Änderungen unterzogen wurden, einer grundlegenden Überarbeitung bedurften. Denn im Laufe der Jahre wurden die Vorschriften mehrfach überarbeitet, korrigiert und erweitert, was zwangsläufig zu Wiederholungen, unklaren Bestimmungen und Überschneidungen führte. Deshalb waren Änderungen erforderlich, mit denen der Text klarer und verständlicher würde, ohne dass die Vorschriften indes inhaltlich geändert würden: eine Arbeit also, die weit über eine einfache Kodifizierung hinausgeht.

1.2

Vor diesem Hintergrund wurden darüber hinaus weitere Änderungen vorgenommen, um die zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission vereinbarten Grundsätze guter Rechtsetzungstechnik zu gewährleisten. Der neue Wortlaut wird dem Rat und dem Europäischen Parlament zur Genehmigung unterbreitet: auch wenn es um im Wesentlichen formale Änderungen geht, handelt es sich nicht um eine Kodifizierung sondern um eine technische „Neufassung“, die es ermöglicht, die Rechtsakte mit einem einzigen Rechtstext gleichzeitig zu ändern und zu kodifizieren, wie es die interinstitutionelle Vereinbarung aus dem Jahr 2001 vorsieht (2).

1.3

Der Wortlaut des Richtlinienvorschlags, den die Kommission nach beeindruckender Arbeit nun vorlegt, hebt die Sechste MwSt-Richtlinie auf und ersetzt sie; jeder einzelne Artikel wurde auf Kürze und Prägnanz hin überarbeitet, sodass aus bisher 53 Artikel 402 neue Artikel wurden; der Wortlaut enthält auch ein Inhaltsverzeichnis zur raschen und leichten Konsultation: eine sicherlich willkommene Innovation.

2.   Bemerkungen des Ausschusses

2.1

Da es sich letztendlich um eine Neufassung und nicht um eine neue Richtlinie handelt, könnte sich der EWSA darauf beschränken, die von der Kommission geleistete Arbeit zur Kenntnis zu nehmen und das gute Ergebnis zu würdigen: für die Wirtschaftsteilnehmer und Behörden sicherlich ein Gewinn in puncto schnelle Handhabung und weniger Grauzonen bei der Auslegung. Der Berichterstatter muss andererseits den Aussagen der Kommission vertrauen, dass der neue Wortlaut in seiner Tragweite den heute geltenden Texten entspricht: eine detaillierte Kontrolle wäre nicht machbar und wurde im Übrigen bereits von den nationalen Sachverständigen und Wirtschaftsbeteiligten vorgenommen, die in angemessener Weise konsultiert wurden.

2.2

Außerdem können im Rahmen einer weniger eingehenden Prüfung einige inhaltliche Bemerkungen zur MwSt-Politik und im Allgemeinen zu einer Steuerpolitik formuliert werden, deren erklärtes Ziel es ist, die Bedingungen für die Funktionsweise des Binnenmarktes zu harmonisieren. Diesbezüglich besagt der Richtlinienvorschlag (Erwägungsgrund 5), dass „die größte Einfachheit und Neutralität eines Mehrwertsteuersystems erreicht (wird), wenn die Steuer so allgemein wie möglich erhoben wird. (Es) liegt folglich im Interesse des Gemeinsamen Marktes und der Mitgliedstaaten, ein gemeinsames System anzunehmen, …“.

2.3

In den folgenden zwei „Erwägungen“ lässt die Kommission gleichwohl Bedacht walten: „es ist notwendig, schrittweise vorzugehen, da die Harmonisierung der Umsatzsteuern zu erheblichen Änderungen der Steuerstruktur führt“; sie erklärt anschließend, dass das (harmonisierte) MwSt-System - selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht „völlig“ harmonisiert werden - eine Wettbewerbsneutralität innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten bewirken sollte.

2.4

Der Ausschuss weist darauf hin, dass diese Überlegungen aus dem ursprünglichen Wortlaut der Sechsten Richtlinie übernommen wurden: wenn man meint, diese nach beinahe 40 Jahren offenbar immer noch wiederholen zu müssen, dann scheinen wir seit damals kaum vom Fleck gekommen zu sein. Die Harmonisierung tritt offenbar auf der Stelle und andere Signale, von denen in den folgenden Abschnitten die Rede ist, stimmen nicht gerade optimistisch.

2.5

Es sollte noch einmal betont werden, dass die mit der Sechsten Richtlinie eingeführte und weiterhin geltende MwSt-Regelung eine „Übergangsregelung“ ist und es keinerlei Anzeichen für ein entschlossenes Hinwirken auf ein „endgültiges“ System gibt: dies scheint ein eindeutiger Anhaltspunkt dafür zu sein, dass man sich über die Zweckmäßigkeit eines Systems im Unklaren ist, das der Ausschuss in seiner Stellungnahme zum „Ort der Besteuerung von Dienstleistungen“ mit konkreten Vorschlägen kommentiert hat (3) .

2.6

Die Ausnahmeregelungen, die – wenn schon erforderlich – dann wenigstens im Interesse des Binnenmarktes immer zeitweilig sein sollten, sind ein weiterer zu vertiefender Aspekt. Die jüngsten wurden den zehn neuen Mitgliedstaaten zum Teil vorübergehend, zum Teil ohne Fristangabe gewährt. Andere Ausnahmeregelungen, die den Staaten der „zweiten Beitrittswelle“ (Österreich, Griechenland, Finnland, Portugal, Spanien und Schweden) gewährt wurden, sind nach wie vor rechtskräftig. In diesem Zusammenhang ist sicherlich interessant, dass nur einige in den Richtlinien zur Änderung der Sechsten Richtlinie aufgegriffen wurden; der größte Teil „versteckte“ sich in den Beitrittsakten. Ein Vorteil dieses neuen Richtlinienvorschlags besteht darin, dass sämtliche Ausnahmeregelungen ans Licht kommen.

2.7

Die Ausnahmen, auch jene, die vor langer Zeit gewährt wurden, sollen offenbar nicht mit Blick auf ihre etwaige Aufhebung geprüft werden. Andererseits haben wohl auch die „Gründerstaaten“ kein Interesse, sich mit diesem Thema zu befassen: auch sie sind seinerzeit in den Genuss von Ausnahmen gekommen, die sie jetzt natürlich nicht in Frage stellen wollen (zumindest solange nicht, wie die „Übergangsregelung“ aufrechterhalten wird); so u.a. der berühmte „Nullsatz“, der ursprünglich zwei Ländern gewährt wurde. Und statt aufgehoben worden zu sein, wurde der „Nullsatz“auf mehrere neue Staaten ausgedehnt.

2.8

Nicht alle Ausnahmen sind jedoch unberechtigt; einige mit ständigem Charakter betreffen die Überseegebiete, Inseln und Regionen in äußerster Randlage, die zum Zeitpunkt der Gewährung einen gewissen Entwicklungsrückstand aufwiesen. Gleichwohl wäre es angesichts der inzwischen vergangenen Zeit sinnvoll, das Verzeichnis der gebietsbedingten Befreiungen daraufhin zu prüfen, ob die damals sie legitimierenden Voraussetzungen weiterhin gegeben sind.

2.9

Andere, nicht unbedeutende Ausnahmen betreffen die kleinen Unternehmen: 16 Mitgliedstaaten (die neuen und jene der „zweiten Beitrittswelle“) dürfen die MwSt-Befreiung auch dann gewähren, wenn ihr Umsatz über den Höchstwerten der Sechsten Richtlinie liegt. Der Ausschuss kann sein Befremden darüber nicht verbergen: wenn für die zehn neuen Mitgliedstaaten die Befreiung in gewisser Hinsicht begründet sein kann, so ist nicht nachvollziehbar, warum sie auch für die übrigen – 12 Jahre nach ihrem Beitritt – beibehalten werden sollte.

2.10

Nach Ansicht des Ausschusses kann die MwSt-Befreiung für die vorgenannten Unternehmen eine Wettbewerbsverzerrung – wenn auch kleinerer Größenordnung – darstellen. Die Mitgliedstaaten sollten gemeinsam mit der Kommission diesen Aspekt vertiefen.

3.   Schlussbemerkungen

3.1

Der Ausschuss möchte die Kommission zu ihrer großartigen Arbeit beglückwünschen, die sie mit Sorgfalt und Präzision und vor allem transparent durchgeführt hat; ohne Transparenz wäre es kaum möglich gewesen, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wieviele im Prinzip allgemeingültige Regeln mit Ausnahmen, Befreiungen und Sonderbestimmungen versehen sind. Es versteht sich von selbst, dass nicht alle Abweichungen von einem Grundsatz unberechtigt sind; gleichwohl ist es offenbar notwendig, dass die Mitgliedstaaten über jene Ausnahmen neu verhandeln und sie möglichst aufheben, deren Gültigkeit keine Existenzberechtigung mehr hat.

3.2

Der Ausschuss kann dieses Bestreben kaum erkennen; im Gegenteil: ein größerer Mitgliedstaat hat bereits „allgemeine Vorbehalte“ geäußert, die sogar die Verabschiedung des Richtlinienvorschlags der Kommission in Frage stellen könnten. Mit Blick auf die Vergangenheit scheinen die Aussichten nicht gerade rosig zu sein: eine Mitteilung der Kommission aus dem Jahr 1996, die ein Arbeitsprogramm und einen Vorschlag zur Steuerharmonisierung umfasste, liegt immer noch beim Rat und wurde niemals erörtert; die Mitteilung aus dem Jahr 2000 zu einer neuen MwSt-Strategie stieß offenbar auf kein großes Echo.

3.3

Der EWSA möchte mit diesem Dokument die MwSt-Politik der Mitgliedstaaten nicht abstrafen; er ist sich der Tatsache bewusst, dass ihre Entscheidungen immer noch von zu vielen internen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren abhängen. Er plädiert im Übrigen dafür, dass die gesamte Thematik in nicht allzu ferner Zukunft erneut überprüft wird, damit ein endgültiges System eingeführt und somit eines der größten Hindernisse, die der Vollendung des auf gemeinsamen Regeln beruhenden Binnenmarktes im Wege stehen, abgebaut bzw. ganz beseitigt werden kann.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  KOM(2004) 246 endg. – 2004/0079 (CNS).

(2)  ABl. C 77 vom 28.3.2002.

(3)  ABl. C 117 vom 30.4.2004.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/23


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Für eine bessere Wirtschaftsführung in der EU“

(2005/C 74/06)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 29. Januar 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Für eine bessere Wirtschaftsführung in der EU“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 13. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr van IERSEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) mit 130 gegen 3 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

ZUSAMMENFASSUNG

Die Europäische Union tritt in ein neues Stadium ein. 2004 ist das Jahr des Beitritts zehn neuer Mitgliedstaaten, einer neuen Kommission, eines neuen Europäischen Parlaments und hoffentlich auch das Jahr der Verfassung. In diesem Jahr wird die Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie für 2005 vorbereitet. Die Analysen der Kommission, unter anderem in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik, zeigen mangelnde Fortschritte bei der Integration. Diese sind teils auf die schwache Konjunktur, teils jedoch auch auf die fehlende Bereitschaft der Mitgliedstaaten zurückzuführen, sich strikt an die von ihnen selbst gesetzten Ziele und getroffenen Absprachen zu halten. Es ist sehr wichtig, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und die Lissabon-Strategie wiederzubeleben. In dieser Stellungnahme wird der Schwerpunkt auf die Regieführung bei diesem strategischen Konzept gelegt, die für die Glaubwürdigkeit und die Schlagkraft der Union unabdingbar ist. Es ist dringend ein vertrauenerweckender institutioneller Rahmen erforderlich, bei dem das Augenmerk auf einer angemessenen Verteilung der Aufgaben innerhalb der Union - wer ist wann für was verantwortlich? - sowie auf der Durchführung und Umsetzung der Ziele und Richtlinien in den Mitgliedstaaten liegt, die der Europäische Rat und die Fachministerräte beschlossen haben. Es gibt erfolgreiche Beispiele für eine Lissabon-Strategie „neuen Stils“, wie „Europa 92“ und die Wirtschafts- und Währungsunion. Es wird nachdrücklich für die Gemeinschaftsmethode plädiert. Es ist ein integraler Ansatz auf der Grundlage eines zuvor festgelegten mehrstufigen Plans erforderlich.

1.   Einleitung

1.1

Die Europäische Union befindet sich in einer kritischen Phase. Sie steht vor entscheidenden Herausforderungen: der Erweiterung, der Schaffung positiver Impulse für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit, dem Verfassungsentwurf und der Aufgabe, eine geeignete Antwort auf das sinkende Vertrauen in die Union zu finden. Diese schweren Aufgaben erfordern effektiv eine kohärente Politik sowie eine adäquate Umsetzung. Anlässlich der Veröffentlichung der „Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003 bis 2005“ hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hierzu im vergangenen Jahr zwei Stellungnahmen veröffentlicht (1).

1.2

Es sind jedoch weitergehende Überlegungen erforderlich. Wirksame Politik und Integration sind ohne einen klaren und glaubwürdigen institutionellen Rahmen, der die Folgemaßnahmen für die europäischen Vereinbarungen sicherstellt, nicht denkbar.

1.3

Die Analysen der Kommission, insbesondere diejenigen, die sie in ihrer Mitteilung vom 21. Januar 2004 (2) und in ihrer Empfehlung für die 2004 aktualisierten Grundzüge der Wirtschaftspolitik (3) vornimmt, bestätigen die Tendenzen von 2003. Das gilt auch für die Dringlichkeit ihrer Empfehlungen. Deshalb geht der Ausschuss in dieser Stellungnahme ausdrücklich auf institutionelle und verwaltungstechnische Rahmenbedingungen, also auf verantwortungsvolles Regieren, ein. Die Führung der Gesamtregie ist für die EU-25 das zentrale Thema (4).

1.4

Viele teilen die Sorgen des Ausschusses. Der letzte und der augenblickliche Vorsitz - Irland und die Niederlande - legen nach dem Wunsch der Kommission sowie von Wirtschaft und Gesellschaft sehr großen Wert auf konkrete Maßnahmen und ihre Umsetzung. Feierliche Erklärungen ohne Folgemaßnahmen sind kontraproduktiv. Die Umsetzung ist ein entscheidendes Ziel (5).

1.5

In den Grundzügen der Wirtschaftspolitik werden die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, die Beschäftigungspolitik sowie die Fortschritte des Binnenmarkts beurteilt. Dadurch ergibt sich ein konkretes Bild sowohl von den unterschiedlichen Zuständigkeiten der EU und der einzelstaatlichen politischen Ebenen als auch von den unterschiedlichen Realitäten in den Mitgliedstaaten.

1.6

Das verhaltene Wirtschaftswachstum und die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten die Vereinbarungen, die der Europäische Rat getroffen hat, nicht einhalten, ergeben folgendes Bild:

allmählich zunehmender Rückgang der Haushaltsdisziplin;

verzögerter Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit durch eine wissensbasierte Wirtschaft;

unzureichende Investitionen in IKT Wissen und Ausbildung zur Steigerung der Produktivität;

unsicheres Investitionsklima;

Verlagerung bestimmter Investitionen in Regionen außerhalb der EU;

Beschäftigungsdruck;

unzureichende arbeitsmarktpolitische Reformen und Anpassungen.

1.7

Das Bild der Wirtschaft in Europa sieht inzwischen etwas positiver aus, aber der Aufschwung ist nach wie vor prekär. Die Vereinigten Staaten haben ein höheres Wirtschaftswachstum. In der Zwischenzeit verblüffen vor allem China und Indien mit immer stärkerer Präsenz.

1.8

Es findet eine Globalisierung der Finanzströme und Investitionen statt, aber zwischen den Weltregionen gibt es entscheidende sozioökonomische und politische Unterschiede. All das bildet den Bezugsrahmen für Europa.

1.9

Dieses Jahr müssen Kommission und Rat weitere Überlegungen zum Ansatz und zu den Instrumenten anstellen:

Für die EU beginnt eine völlig neue Phase: zehn neue Mitgliedstaaten, ein neues Europäisches Parlament, eine neue Kommission, allmähliche Anpassung des Kommissionsapparats an die neuen Gegebenheiten. Und bei all dem ist die Verfassung noch nicht angenommen.

Die Erweiterung ist quantitativ enorm, aber auch qualitativ kommt die Union in ein neues Fahrwasser. Die Vielfalt innerhalb der Union wird erheblich größer.

Die weltweiten Entwicklungen auf den Produkt- und Dienstleistungsmärkten sowie die anhaltende Nervosität auf den Finanzmärkten zwingen die Mitgliedstaaten immer mehr zu denselben politischen Ansätzen und zu effektiver Integration.

2.   Die Analyse 2004

2.1

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005 sehen ein umfassendes Konzept vor für:

eine wachstums- und stabilitätsorientierte makroökonomische Politik;

Erhöhung des Wachstumspotenzials Europas durch Wirtschaftsreformen;

Stärkung der Nachhaltigkeit des Wachstums.

2.2

Der Wachstums- und Stabilitätspakt hat jahrelang für eine solide Grundlage und Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gesorgt. Die ungünstige Konjunktur untergräbt die vereinbarte Disziplin. Die Verfahrensregeln sind deutlich genug. Aber die fehlende Möglichkeit, die Erfüllung der Vereinbarungen zu erzwingen, erweist sich als Problem. Nichtsdestotrotz bemüht sich ein Großteil der Mitgliedstaaten innerhalb (und außerhalb) der Eurozone nach wie vor darum, die erforderliche Haushaltsdisziplin einzuhalten. Besonders die skandinavischen Mitgliedstaaten sind dabei erfolgreich.

2.3

Meinungsverschiedenheiten über die Verfahren im Rahmen des Wachstums- und Stabilitätspakts veranlassten die Kommission im vergangenen November dazu, beim Europäischen Gerichtshof einen Prozess gegen den Rat anzustrengen (6). Sie ist der Ansicht, dass der Rat ihr zugeteilte Befugnisse missachtet hat. Eine derart tiefgehende Meinungsverschiedenheit ist für die Verhandlungen zwischen den Partnern im Rat Wirtschaft und Finanzen nicht förderlich.

2.4

Die Kommission stellt fest, dass der Handlungsspielraum der Regierungen beträchtlich abgenommen hat. Nur fünf Mitgliedstaaten verzeichneten 2003 ein Haushaltsgleichgewicht bzw. einen Haushaltsüberschuss, die anderen hingegen ein anhaltendes und zunehmendes Haushaltsdefizit. Aus der Berichterstattung der Kommission für die 2004 aktualisierten Grundzüge der Wirtschaftspolitik vom 7. April dieses Jahres geht hervor, dass sich die Haushaltslage in mehreren Mitgliedstaaten rapide verschlechtert, was zu einer höheren Staatsverschuldung führt. Die erforderliche Schuldensanierung geht dann auf Kosten von Investitionen in Wachstum und Beschäftigung.

2.5

Die Kommission spricht für diese Mitgliedstaaten besondere Empfehlungen aus. Trotz derselben Konjunkturentwicklung weichen die budgetären Zielsetzungen der Mitgliedstaaten stark voneinander ab. Daraus ergibt sich eine breite Palette von Empfehlungen.

2.6

Die Kommission verfügt eindeutig nicht über die erforderlichen Instrumente, um die Qualität der staatlichen Ausgaben in den Mitgliedstaaten hinreichend einschätzen zu können. Dadurch ist es schwierig, diese am vereinbarten Haushaltsrahmen zu messen.

2.7

Im Jahresbericht wird auf die soziale Sicherheit, den Arbeitsmarkt, den Binnenmarkt und den Lissabon-Prozess eingegangen. Er ist eine Palette vieler kleiner und großer Zielsetzungen. Ihre Umsetzung beruht nur teilweise auf den Beschlüssen der Gemeinschaft. Viele Politikfelder sind den Mitgliedstaaten vorbehalten. Daneben gibt es auch Fragen, auf die die zentralen Behörden selbst nur geringen Einfluss haben, wie die Erhöhung von „Wissen“.

2.8

Die Befugnisse der Gemeinschaft konzentrieren sich auf den Binnenmarkt. Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit, Renten, Haushaltspolitik, Forschung und Entwicklung, Steuern sowie Infrastruktur sind hauptsächlich Sache der Mitgliedstaaten, selbst wenn die politische Freiheit der Mitgliedstaaten in einigen Fällen durch „Brüssel“ eingeschränkt ist. Zwar spricht die Kommission auch in diesen Fällen häufig richtungsweisende Empfehlungen aus, aber inwieweit diese berücksichtigt werden, ist von Land zu Land verschieden.

2.9

Die Arbeitsmärkte bestehen aus verschiedenen Segmenten, zwischen denen nur in begrenztem Maße ein Austausch stattfindet. Das führt die Kommission zu der Feststellung, dass neben der Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze in den letzten Jahren auch ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist. Der Prozentsatz älterer Arbeitnehmer ist immer noch niedrig, und nach wie vor bestehen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt Hindernisse. Inaktivität wirkt sich auch entsprechend negativ auf die einzelstaatlichen Haushalte aus.

2.10

Die Beschäftigungsquote soll 2005 in der gesamten Union 64,5 % betragen, obwohl hier mittlerweile große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In den Staaten, in denen sich die Sozialpartner über die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und der Arbeitszeit sowie die dazu erforderliche Vorgehensweise einig sind, entwickelt sich die Beschäftigungslage besser. Laut der Kommission hängt die Verwirklichung des Beschäftigungsziels von 70 % im Jahr 2010 entscheidend von der Durchführung weiterer Arbeitsmarktreformen ab (7). Dadurch erklärt sich ihr energisches Plädoyer für die Durchführung der Empfehlungen der Task-Force Kok (8).

2.11

Neben Anpassungen der sozialen Sicherheit tritt die Kommission für eine stärkere Differenzierung bei der Lohnpolitik, größere Flexibilität des Arbeitsmarkts unter Wahrung eines ausreichenden Arbeitsschutzes und mehr Mobilität ein. Infolge divergierender Rechtsetzungswege und unterschiedlicher Schlussfolgerungen aus sozioökonomischen Überlegungen gibt es zwischen den Mitgliedstaaten beträchtliche Unterschiede. Dies zeigt sich u.a. in der tatsächlichen Anzahl an geleisteten Arbeitsstunden und der Arbeitsproduktivität. Teilweise erklärt dies den Wachstumsunterschied zwischen der EU und den Vereinigten Staaten.

2.12

Die Kommission stellt fest, dass die Tendenz zu einer geringeren Produktivitätssteigerung in Europa seit 1995 anhält. Auch hier bestehen wieder erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. In Europa halten Finnland, Schweden und Irland mit den Vereinigten Staaten Schritt. Eine rückläufige Produktivitätssteigerung ist u.a. die Folge von Unterschieden bei der Einführung von IKT und bei Innovationen in der Wirtschaft ganz allgemein. Neue Investitionen zur Produktivitätssteigerung werden in Europa langsamer getätigt. Das wirkt sich besonders in geringeren Investitionen in die so genannten 'Hochtechnologiesektoren' aus.

2.13

Die demografische Entwicklung und die Überalterung der Bevölkerung bereiten immer größere Sorge, sowohl auf Grund des Drucks auf die Haushalte als auch wegen der (negativen) Wachstumswirkung. Einige Staaten haben aussichtsreiche Rentenreformprojekte eingeleitet, die auf die effektive Erhöhung des Rentenalters hinauslaufen.

2.14

Der Wettbewerb auf den Produkt- und Dienstleistungsmärkten ist unzureichend. Nach wie vor gibt es einzelstaatliche Schutzmaßnahmen. Der Binnenmarkt ist niemals ein für allemal vollendet. In der Wettbewerbspolitik wurden neue Vorschläge auf den Weg gebracht. Die Legislativarbeit im Bereich „Finanzdienstleistungen“ macht erhebliche Fortschritte: 36 der 42 vorgesehenen Maßnahmen sind endgültig beschlossen. Auch die Steuervorschriften für private Investitionen werden immer besser.

2.15

Die Umsetzung von Richtlinien der Gemeinschaft in einzelstaatliches Recht wird immer nachlässiger. Die Fristen werden unzureichend eingehalten, und die „Übertragung“ von Richtlinien in Gesetze ist häufig national geprägt. Das ist unter anderem der Fall, wenn Mitgliedstaaten in Brüssel im Hinblick auf einen Kompromiss im Rat Zugeständnisse gemacht haben, die sie später bedauern. Es wird immer schwieriger, dies zu kontrollieren.

2.16

Wissen und Innovation beinhalten zweifellos positive Signale, aber auf Grund von zu wenig Risikokapital, Forschung und Entwicklung, Patenten und IKT bleiben die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück. Von der auf dem Gipfel von Barcelona beschlossenen Zielsetzung, mindestens 3 % des BSP in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist in den meisten Mitgliedstaaten wenig zu merken. Die Skandinavier sind hier am erfolgreichsten. Die angestrebten 3 % sollten zu einem Drittel von der öffentlichen Hand und zu zwei Dritteln von der Wirtschaft getragen werden. In den meisten Fällen erreichen weder die öffentliche Hand noch die Wirtschaft das gesetzte Ziel.

2.17

Auch in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation erfordert die Nachhaltigkeit der Wirtschaft Beachtung und gezielte Rechtsvorschriften. Nachhaltigkeit hat verschiedene Seiten. Der Energiesektor ist hierfür ein gutes Beispiel. Die Kommission betont zurecht die Umweltaspekte und weist insbesondere auf die ungünstige Lage in den neuen Mitgliedstaaten hin. Die Kommission prüft die Entwicklung auf ihre Kompatibilität mit globalen Vereinbarungen. Aber Energie kann durch die Preissteigerung infolge der Nachfrage (China) und durch die politische Abhängigkeit von Energiequellen auch eine Bedrohung für das nachhaltige Wachstum darstellen.

2.18

Um nach den Finanzskandalen in mehreren Unternehmen das Vertrauen in Unternehmen und in die Aktienmärkte wiederherzustellen, werden Vorschläge für eine europäische Variante der „Corporate Governance“ ausgearbeitet.

2.19

Dieser erste Fortschrittsbericht über einen Zeitraum von mehreren Jahren (2003-2006) liefert ein gemischtes Bild. In ihrem abschließenden Urteil stellt die Kommission gewisse Fortschritte bezüglich Arbeitsmarkt, Wettbewerbspolitik, Unternehmensumfeld, neue Technologien, Bildungswesen und Renten fest. Weniger gut steht es um die Integration der Märkte, Forschung und Entwicklung sowie soziale und ökologische Anpassungen. Die rapide Verschlechterung der Haushaltslage mehrerer Mitgliedstaaten und den fehlenden politischen Willen, daran etwas zu ändern, bezeichnet die Kommission als rundweg besorgniserregend. Sie schlussfolgert, dass das vereinbarte Ergebnis 2006 unmöglich zu erreichen ist, wenn die Reformen nicht beschleunigt werden. Das Gleiche gilt für das Ergebnis des Lissabon-Prozesses im Jahr 2010.

2.20

In ihrer Empfehlung für die 2004 aktualisierten Grundzüge der Wirtschaftspolitik kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Probleme der neuen Mitgliedstaaten bezüglich Haushaltssituation, Schuldenlage und Beschäftigung denen der EU-15 vergleichbar sind. Die Zehn haben bisher bewundernswerte Fortschritte gemacht, was sich u.a. in einem höheren Wirtschaftswachstum als dem der EU-15 zeigt, auch wenn zwischen den Zehn große Entwicklungsunterschiede bestehen. Gleichzeitig erklärt auch die Kommission, dass zwischen den Zehn und der EU-15 noch eine riesige Kluft zu überbrücken ist.

2.21

„Vergleichbare Probleme“ bedeuten nach Ansicht des Ausschusses allerdings nicht, dass die neuen Mitgliedstaaten dasselbe Muster aufweisen wie die EU-15. Ein Vergleich mit den so genannten „Kohäsionsländern“ trifft nur teilweise zu. Die neuen Mitgliedstaaten gehören zu den aufstrebenden Märkten. Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Staaten und insbesondere in mehreren Regionen sehr hoch. Die industrielle Umstrukturierung ist in vollem Gang und führt zu hohen Prozentsätzen friktionsbedingter Arbeitslosigkeit. Die Abhängigkeit von ausländischen Investitionen ist sehr groß.

2.22

Die Anpassung der Gesetzgebung sowie der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Praktiken an das hoch entwickelte Niveau der EU-15 wird möglicherweise Schocks auslösen. Die für die Beibehaltung des steigenden Niveaus inländischer und ausländischer Investitionen erforderliche Stabilität setzt eine effektive Finanz- und Währungsaufsicht und eine hinreichende Vorhersehbarkeit der Rechtsetzungsprojekte voraus. Ein solches stabiles Wirtschaftsklima ist nicht sichergestellt und hat deshalb hohe Priorität. Der Ausschuss ist sich mit der Kommission darüber einig, dass im Hinblick auf eine stabile Entwicklung innerhalb der Zehn für diese Länder ein eigener Zeitplan für die Verwirklichung der finanzökonomischen Ziele wünschenswert ist.

2.23

In der Tat wird sich die Union bewusst, dass die Zeit drängt. Gemeinsame Leitlinien finden sich regelmäßig in den Schlussfolgerungen der Kommission, der Fachministerräte und des Europäischen Rates. Jüngeren Datums sind Schreiben von Staats- und Regierungschefs, denen dieselben Besorgnisse zugrunde liegen (9). Im Grunde zeichnet sich ein gemeinsamer Kurs ab, aber es ist nicht klar, wem zu welchem Zeitpunkt die Verantwortung für die Regieführung und die Einhaltung des Kurses auferlegt werden kann.

3.   Binnenmarkt, Beschäftigung und Lissabon-Prozess

3.1

Für den Binnenmarkt sieht die Kommission für das kommende Jahr dringenden Handlungsbedarf an zwei Fronten (10):

Neue Anstrengungen in Kernbereichen, wie beispielsweise dem Gemeinschaftspatent, der Richtlinie über das geistige Eigentum, der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und dem Aktionsplan für Finanzdienstleistungen, die für Wachstum und Beschäftigung unabdingbar sind. Ein weiterer Aufschub könnte einen Dominoeffekt verursachen.

Die Mitgliedstaaten werden zu besserer Regierungsführung aufgerufen, d.h. zu besserer Zusammenarbeit und effektiver Umsetzung.

3.2

Beides ist für „Lissabon“ und als Basis für einen „umfassenden“ Binnenmarkt erforderlich. Mehr Binnenhandel und Wettbewerb zwingen die Unternehmen zu größerer Effizienz und höherer Produktivität, die in einer Region wie der EU mit relativ hohen Löhnen der Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit und langfristigen Wohlstand sind.

3.3

In der Praxis ist der Binnenhandel inzwischen rückläufig, während die Preise innerhalb der Union eher divergieren als konvergieren. Der Saldo zwischen den EU-Investitionen in der Welt und ausländischen Investitionen in der EU fällt für die Union negativ aus.

3.4

Zum Binnenmarkt zeichnet die Kommission folgendes Bild. Es wird jetzt an den so genannten „Richtlinien nach dem neuen Konzept“ gearbeitet. Es gibt immer noch keinen echten Dienstleistungsbinnenmarkt. Die Dienstleistungen machen mehr als 50 % des Europäischen BSP aus und sorgen für 60 % der Arbeitsplätze, was die Priorität der kürzlich vorgelegten Richtlinie zum freien Dienstleistungsverkehr erklärt. Die Liberalisierung der Netzindustrien (Energie, Verkehr und Telekommunikation) ist im Gange, aber es ist bekannt, mit wie vielen Problemen und Blockaden diese einhergeht. Die fehlende Harmonisierung einiger Steuern ist nach wie vor eine große Belastung für den Binnenmarkt. Aber die Beseitigung steuerlicher Verzerrungen kommt gut voran. Das gilt auch für den Aktionsplan für Finanzdienstleistungen. Die Kommission geht davon aus, dass die mangelnde Anwendung der Bestimmungen für öffentliche Ausschreibungen durch die Behörden die Preise erheblich in die Höhe treibt. Dieses Thema wird erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Mit Blick auf die Überalterung will die Kommission auch den internationalen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen fördern. Der Verhandlungsprozess um das europäische Patent kommt nach wie vor nur schleppend voran.

3.5

Die Vereinfachung der Bestimmungen wird auf der Grundlage des „Aktionsplans zur Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ angegangen. Aber der Weg dahin ist noch weit. Verschiedene Mitgliedstaaten führen die vereinbarten Folgenabschätzungen nicht durch.

3.6

Die Umsetzung ist ein ernsthaftes Problem. Der Binnenmarkt beruht auf Vertrauen, das angesichts der Erweiterung gerade gestärkt werden muss. Für die neue Phase, in die die Union eintritt, ist folgende Feststellung bezeichnend: „Aber ein wirklicher Erfolg eines Binnenmarktes mit 28 Mitgliedstaaten setzt eine andere Einstellung und andere Arbeitsbeziehungen voraus. Die Mitgliedstaaten müssen ihren Binnenmarkt wirklich in Besitz nehmen und partnerschaftlich untereinander und mit der Kommission zusammenarbeiten, wenn er in der Praxis funktionieren soll.“ (11)

3.7

Auch an der Beschäftigungsstrategie wird gearbeitet. Hierfür sind hauptsächlich die Mitgliedstaaten verantwortlich. Aber auch auf europäischer Ebene stehen die Sozialsysteme auf der Tagesordnung – erstens wegen der innerhalb des Europäischen Rahmens zu führenden Haushaltspolitik und zweitens im Zusammenhang mit den Arbeitsmarktreformen und der Überalterung.

3.8

Wie die Empfehlungen der Task-Force Kok angegangen und umgesetzt werden, hängt von der einzelstaatlichen Beschlussfassung ab. Mit diesen Empfehlungen wird der Lissabon-Prozess nachdrücklich unterstützt. Dieser betrifft große Bereiche: mehr Flexibilität zur Förderung von Unternehmertum und Innovation, Erhöhung der Erwerbsquote, mobilisierende soziale Sicherheit, Investitionen in Bildung und Ausbildung sowie Partnerschaften im Hinblick auf Veränderungen, d.h. aktives Engagement aller Partner, für die die Teilnahme an Veränderungsprozessen von Nutzen ist. Das Ganze lässt sich kaum besser zusammenfassen als in dem Passus: „Europa benötigt mehr arbeitende Menschen und produktiver arbeitende Menschen.“ In einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme hat der EWSA einige kritische Anmerkungen gemacht, sich jedoch insgesamt mit den genannten Empfehlungen der Task-Force Kok einverstanden erklärt (12).

3.9

Der Zusammenhang zwischen dem übergeordneten Lissabon-Prozess und einer stabilen Haushaltspolitik ist offensichtlich. Laut dem Bericht für den Frühjahrsgipfel (13) kommen die mangelnden Fortschritte im Lissabon-Prozess infolge geringeren Wachstums, unzureichenden Beschäftigungszuwachses und des Rückstands bei Ausbildungen sowie Forschung und Entwicklung Europa teuer zu stehen.

3.10

Im Frühjahrsbericht werden weiter oben bereits genannte Entwicklungen des Binnenmarkts und der Beschäftigung aufgegriffen. In Bezug auf das Wissen plädiert die Kommission für mehr Investitionen in Netzwerke und Wissensträger, wie z.B. die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie allgemeine und berufliche Bildung.

3.11

Nach wie vor fehlt es an Interaktion zwischen Universitäten und Unternehmen, die zu weit auseinander liegen. Dies verträgt sich nicht mit den Bestrebungen einer wissensbasierten Wirtschaft. Interaktion - wie in den Vereinigten Staaten - sollte die Produktivität gerade steigern und Unternehmen stärken. Ein Großteil des Mehrwerts geht derzeit verloren. Einen besonderen Hinweis verdient der Braindrain aus Europa: der nach wie vor negative Saldo von ein- und auswandernden Wissensarbeitern (14) steigt.

3.12

Im Einklang mit anderen Berichten unterbreitet die Kommission in ihrem Frühjahrsbericht eine Reihe klarer Vorschläge auf der Grundlage der drei Eckpfeiler: Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit, Reformen.

3.13

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Berichte über den Binnenmarkt, die Beschäftigungsstrategie und den Lissabon-Prozess lassen sich von Themen und Einschätzung her vergleichen. Die Kommission setzt die öffentlichen Finanzen und zahlreiche sozio-ökonomische Fragen zueinander in Beziehung. Dadurch werden die Probleme, die entstehen, wenn die öffentliche Hand produktive statt konsumptive Ausgaben tätigt, gut sichtbar.

4.   Der institutionelle Rahmen

4.1

Der Ausschuss stellt fest, dass es in der jetzigen Lage erforderlich ist,

den einschneidenden Übergang von einer Union mit 15 Mitgliedern zu einer Union mit 25 Mitgliedern unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen möglichst ausgewogen zu gestalten,

gleichzeitig Rückstände bei früheren vom Europäischen Rat getroffenen Vereinbarungen, die immer noch aktuell sind, aufzuholen und

auch zügig voranzukommen und neue Impulse zu geben.

4.2

All das ist nach Ansicht des Ausschusses nicht nur eine Frage der Konzipierung von Politik. Auch organisatorische (vor allem Kontrolle und Überwachung) und politisch-kulturelle Faktoren spielen eine Rolle. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss die Analysen und Schlussfolgerungen der Kommission in ihrer Mitteilung vom 21. Januar 2004 und in ihrer Empfehlung vom 7. April 2004 zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit vom 17./18. Mai (15) sind leider zu allgemein und zu wenig konkret.

4.3

Die Erweiterung der Union erfordert noch größere Bemühungen um eine gute institutionelle Einbettung und um eine sorgfältige Abgrenzung von Befugnissen und Zuständigkeiten, sonst drohen noch mehr Disziplinlosigkeit und Verwässerung (16).

4.4

Im Lauf der Jahre ist eine bunte Mischung divergierender gemeinschaftlicher und zwischenstaatlicher Zuständigkeiten und Beschlussfassungsprozesse entstanden. Auch beim Verfassungsentwurf wird davon ausgegangen, dass eine Union von 25 Ländern unmöglich auf dieselbe Art und Weise funktionieren kann wie eine Union mit 15 Mitgliedstaaten.

4.5

Die Einführung des Euro hätte neben einem gut funktionierenden Wachstums- und Stabilitätspakt mehr Konvergenz in der Wirtschaftspolitik nach sich ziehen sollen. Aber es gibt zu viele Vereinbarungen und Beschlüsse, die nicht verbindlich sind.

4.6

Die Tatsache, dass die getroffenen Vereinbarungen keine effektiven Ergebnisse zeitigen, stellt die Belastbarkeit der Europäischen Union auf eine harte Probe.

4.7

Der Europäische Rat ist sich über die Zielsetzungen einig, auch wenn sie häufig zu allgemein und zu ungenau definiert sind. Aber politisch gut gemeinte Absichten münden nicht in leicht zu handhabende Rechtsvorschriften und Regelungen, die tatsächlich eingehalten werden.

4.8

In den vergangenen Jahren wurde große Hoffnung in den politischen Wettbewerb, die öffentliche Anprangerung von Missständen und die Methode der offenen Koordinierung gesetzt. Aber bei einem weniger günstigen Wirtschaftsklima erweisen sich diese als unzulänglich. In der Praxis sprechen die Mitgliedstaaten einander nicht oder zu wenig auf ihre jeweiligen Schwächen an. In diesem Fall ist der Handlungsspielraum der Kommission selbst begrenzt. In der Praxis gibt es keine befriedigende Alternative für die Gemeinschaftsmethode.

4.9

Der Binnenmarkt bereitet Sorgen: Zielsetzungen und Vereinbarungen zu Freizügigkeit und Bedingungsgleichheit werden nicht oder unzureichend eingehalten. Die Ergebnisse der Länder zeigen, dass die Disziplin bei der einzelstaatlichen Umsetzung von Binnenmarktrichtlinien abnimmt, teilweise in bedrohlichem Maße (17).

4.10

Die Subsidiarität ist ein positives Prinzip. Zu wenig beachtet wird jedoch der Aspekt, dass eine inkorrekte Inanspruchnahme der Subsidiarität in den Mitgliedstaaten recht häufig zu divergierenden Auslegungen europäischer Regelungen führt.

4.11

Es gibt auch mehrere Geschwindigkeiten, wie im Fall der WWU. Auf 12 Mitglieder kommen nun 13 Nichtmitglieder. Eine WWU mit 12 Mitgliedern gegenüber 3 Nichtmitgliedern ist etwas anderes als eine WWU mit 12 Mitgliedern gegenüber 13 Nichtmitgliedern, selbst wenn die zehn neuen Mitgliedstaaten neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen. Am Erfordernis der Haushaltsdisziplin, wie sie im Vertrag vorgesehen ist, wird strikt festgehalten werden müssen.

4.12

Der Euro wird durch die Wirtschaftspolitik der Staaten und die weitere Verwirklichung und Vertiefung der Integration insgesamt gestärkt werden müssen.

4.13

Der rechtsstaatliche Charakter der Union muss unter allen Umständen gewahrt werden.

4.14

Es muss also eine Methode gefunden werden, um zu verhindern, dass Kommission und Rat sich darauf beschränken, auf Mängel hinzuweisen oder einen dringenden Appell an die Mitgliedstaaten zu richten, um dann zur Tagesordnung überzugehen. „Lissabon“ und die beträchtliche Erweiterung zwingen schlechthin zu einer strafferen Regieführung.

4.15

Die Lissabon-Strategie ist ein strategisches Konzept. Insofern ist sie mit früheren strategischen Konzepten, die die Integration entscheidend vorangebracht haben, vergleichbar. In diesen Fällen ging es um einen in enger Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten durchgeführten mehrstufigen Plan mit einem genauen Zeithorizont und einer straffen Umsetzungsregie. Dies galt in den sechziger Jahren für die im Vertrag verankerte Zollunion. Auch der Erfolg von „Europa 92“ war das Ergebnis einer derartigen Planung. Durch die Erstellung eines Programms von 279 Richtlinienentwürfen auf der Grundlage der Einheitlichen Akte von 1987 wurde die Stagnation überwunden und wurden erhebliche Fortschritte im Binnenmarkt erzielt. Die Währungsunion ist ein weiteres erfolgreiches Beispiel. Ab 1993 sanken die Haushaltsdefizite bei allen Kandidaten beständig. Das galt auch für die Inflation und damit für die Zinssätze. Planmäßig konnten dann der Euro und eine durch eine unabhängige Zentralbank gewährleistete Währungspolitik eingeführt werden.

4.16

In den genannten Fällen wurde entweder die Gemeinschaftsmethode erfolgreich angewandt - wie bei der Zollunion und Europa 92 - oder die Mitgliedstaaten erzielten durch ihre positive Mitarbeit ein sehnlichst gewünschtes Ergebnis, nämlich die Teilnahme an der WWU. Das Problem ist, dass derzeit keine der beiden Situationen vorliegt. Zufriedenstellende Fortschritte hängen nun wirklich völlig vom politischen Willen ab.

4.17

Der Europäische Rat am 25./26. März dieses Jahres schließt sich faktisch der Analyse und den Schlussfolgerungen der Kommission an. Er unterstreicht, wie wichtig ein ausgeglichener Haushalt, ja sogar ein Haushaltsüberschuss, sowie Preisstabilität sind und dringt auf die Einhaltung des Wachstums- und Stabilitätspakts. Unter Berücksichtigung des sozialen Zusammenhalts und der Nachhaltigkeit sieht der Rat drei Prioritäten für den Rat Wettbewerbsfähigkeit: Wettbewerbsfähigkeit, Dynamisierung des Binnenmarkts und bessere Rechtsetzung. Auf der ganzen Linie muss in Wissen investiert werden. Was die Arbeitsmarktpolitik angeht, so plädiert der Europäische Rat für die weitere Ausarbeitung des Berichts der Task-Force Kok.

5.   Europa erneut an einem Scheideweg

5.1

Europa steht erneut an einem Scheideweg. Die wirtschaftliche Erholung ist noch sehr verhalten. Die an den Lissabon-Prozess geknüpften Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Die Europäische Union tritt in eine neue Phase mit einem Bevölkerungsanstieg von 20 % und einer Zunahme der Heterogenität ein. Gleichzeitig entstehen infolge der Erweiterung neue Impulse und eine neue Perspektive für Wachstum und Wohlstand.

5.2

Es geht um die Glaubwürdigkeit der Union. Dabei ist der Stellenwert der öffentlichen Meinung und der abnehmenden Befürwortung des Integrationsprozesses zu berücksichtigen.

5.3

Die Erweiterung darf nicht dazu führen, dass die Union sich nur noch auf sich selbst konzentriert. Die Welt ist das Spielfeld. Der EWSA hält die Position der Union in der Welt für den Dreh- und Angelpunkt schlechthin. Es geht nicht nur um die Vereinigten Staaten, sondern um das Gesamtbild, einschließlich sich schnell entwickelnder, großer aufstrebender Märkte, wie China, Südostasien und Indien, die einen eigenen Platz im Rahmen der Globalisierung fordern.

5.4

Die Analysen mit Empfehlungen der Kommission und des Ratsvorsitzes für den Frühjahrsgipfel weisen jedes Jahr denselben Tenor auf. Es gibt zwischen den Institutionen kaum Meinungsunterschiede in der Frage, was die Union und die Mitgliedstaaten zu tun haben. Die Wettbewerbsfähigkeit rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Aber jedes Mal weichen die Mitgliedstaaten wieder von den Empfehlungen ab, und die gefassten Beschlüsse werden nicht oder nur teilweise umgesetzt. Durchführung und Umsetzung verursachen ernsthafte Probleme.

5.5

Aus all diesen Gründen ist es von großer Bedeutung, dass der Lissabon-Prozess jetzt entscheidend vorankommt. Auch der EWSA hält diesen langfristigen Zeithorizont für sehr wichtig. Er befürwortet den von der Kommission und vom Europäischen Rat gesetzten Schwerpunkt und einen gemeinsamen Kurs für die alten und neuen Mitgliedstaaten.

5.6

Mit diesem Kurs kann nur eine Vertiefung der Integration bezweckt werden. Ohne Vertiefung kann eine Union mit 25 Mitgliedstaaten nicht mehr als eine Freihandelszone sein. Im Kräftespiel der Welt von morgen ist das für die europäische Wirtschaft, für die Unternehmen und die Bürger nicht wünschenswert.

5.7

Dem Lissabon-Prozess „neuen Stils“ auf Unionsebene Form zu geben - Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Wissensintensität der Wirtschaft, Förderung der Nachhaltigkeit sowie Tarifverhandlungen und sozialer Dialog -, kann sich auch auf die selbstständige Politik der Mitgliedstaaten günstig auswirken.

5.8

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik machen deutlich, dass gesunde öffentliche Finanzen sowie öffentliche und private Investitionen einen zusammenhängenden, transparenten und vertrauenerweckenden Rahmen erfordern, für den der Rat und die Kommission Garant sein müssen. Die Union braucht dringend Schlagkraft. Europa steht wieder an einem Scheideweg.

6.   Empfehlungen und Schlussbemerkungen

6.1

In diesem Prozess geht der Ausschuss von folgenden Ausgangsbedingungen aus:

bei der Analyse und den Zielsetzungen wird genau unterschieden, was bei der Beschlussfassung „Brüssel“ und was den Mitgliedstaaten obliegt;

zur Wahrung der Glaubwürdigkeit und zur Vermeidung von Enttäuschungen werden nur Ziele angestrebt, bei denen begründete Aussicht auf Erfolg besteht;

bei diesen Zielen stehen Wirtschaftswachstum und der Lissabon-Prozess „neuen Stils“ im Mittelpunkt, sowohl um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern als auch um strukturelle Anpassungen zu unterstützen;

die Mitgliedstaaten dürfen „Brüssel“ keine Vorwürfe zu europäischen Zielsetzungen machen, die sie gemeinsam beschlossen haben.

6.2

Transparenz erfordert die gebührende Berücksichtigung der institutionellen Dimension. Die divergierende Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Union ist nicht genügend Gegenstand seriöser Verhandlungen. Unverbindlichkeit ist Bürgern und Unternehmen nicht zu vermitteln.

6.3

Mehr Verbindlichkeit bietet den Mitgliedstaaten und der Kommission bei ihrer internen und externen Arbeit mehr Halt. Denn die Kommission benötigt in der erweiterten Union eine feste Verankerung.

6.4

Die Mitgliedstaaten müssen sich an die Haushalts- und Wirtschaftsdisziplin halten, die sie selbst im Wachstums- und Stabilitätspakt vereinbaren.

6.5

Die zwischenstaatlichen Reflexe nehmen tendenziell zu. Der EWSA warnt nachdrücklich vor dieser Tendenz. Weder ein einzelner Mitgliedstaat noch eine Gruppe von Mitgliedstaaten ist in der Lage, die besondere Rolle der Kommission zu übernehmen. Denn jeder Mitgliedstaat argumentiert ausgehend von der eigenen Situation und setzt eigene politische Akzente, selbst wenn Distanz, Objektivierung und differenzierte Überwachung geboten sind.

6.6

Der Verfassungsvertrag zielt darauf ab, die politische Gesamtregie in der Union-25 zu verbessern. In dieser entscheidenden Phase wird sich die Ausdehnung von Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit positiv auswirken. Andernfalls wird es nach wie vor unerwünschte Blockaden geben. Wirtschaft, Sozialpartner und andere gesellschaftliche Akteure (wie Universitäten und Forschungseinrichtungen) können sich diese verbesserte politische Regieführung zunutze machen.

6.7

Ständig droht Zersplitterung, weshalb der EWSA für einen integrierten Ansatz plädiert. Dies lässt sich durch höhere Effizienz des Rates Wettbewerbsfähigkeit in Zusammenarbeit mit dem Rat Wirtschaft und Finanzen sowie durch eine bessere Öffentlichkeitsarbeit erreichen. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates gehen in dieselbe Richtung ebenso wie die Argumentation, die dem Plädoyer einiger Staats- und Regierungschefs (18) für einen Superkommissar für Wirtschaftspolitik zugrunde liegt.

6.8

Der Ausschuss plädiert seinerseits auf jeden Fall für eine größere Transparenz des Rates Wettbewerbsfähigkeit. Darin liegt ein konkreter Ausgangspunkt für die Verbesserung der Regieführung. Dieser Ratsformation ist nicht damit gedient, dass mehrere Kommissionsmitglieder in Gesellschaft ständig wechselnder Regierungsmitglieder aus den Mitgliedstaaten, die für verschiedene Politikbereiche zuständig sind, den Sitzungssaal bevölkern. Als Erstes muss die Kommission dafür sorgen, dass die Koordinierung des Rates Wettbewerbsfähigkeit transparent und für die Öffentlichkeit gut nachvollziehbar ist. Aufgrund der Bedeutung der Lissabon-Agenda ist hier gerade auch der Kommissionspräsident selbst gefordert. Zweitens wird eine bessere Organisation des Rates Wettbewerbsfähigkeit und eine straffere Koordinierung auf EU-Ebene auch zu einem international besser erkennbaren System der Zuständigkeiten der einzelstaatlichen Regierungsmitglieder führen müssen. Das wird der Überzeugungskraft gegenüber der Öffentlichkeit und der gegenseitigen Verantwortlichkeit für die gemeinsam getragene Politik zugute kommen.

6.9

Es gibt für die Union keine brauchbare offizielle Definition eines Europas mit mehreren Geschwindigkeiten. Dafür gibt es erfolgreiche Beispiele wie die WWU und das Schengener Abkommen. Aber unterschiedliche Situationen und Verfahren in den Mitgliedstaaten, wie sie in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik dargelegt sind, stellen keine interessante Perspektive für schlecht definierte „mehrere Geschwindigkeiten“ dar, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen können. Das im Verfassungsentwurf vorgesehene Verfahren bietet positive Anknüpfungspunkte.

6.10

Für den Binnenmarkt - der immer noch den Kern der Integration bildet - sind „mehrere Geschwindigkeiten“ wenig reizvoll, da dies in den verschiedenen Teilbereichen zu wechselnden Koalitionen führen und für oponierende Staaten eine zu einfache Lösung darstellen würde.

6.11

In den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Bereichen lässt sich nur schwer ein allgemeines Paket an Maßnahmen und Anpassungen anbieten. Die Art und Weise, in der diesem Problem begegnet wird, nämlich durch genaue Beschreibungen der Lage in den einzelnen Staaten sowie durch vorbildliche Verfahrensweisen, verdient uneingeschränkte Unterstützung. Diese Methodik muss, insbesondere was die Vergleichbarkeit der Daten betrifft, weiter verfeinert werden. Die Kommission muss auch über Instrumente zur besseren Bewertung der Art der öffentlichen Ausgaben verfügen.

6.12

Der EWSA spricht sich nach wie vor für politischen Wettbewerb und die Methode der offenen Koordinierung für genau festgelegte Politikfelder aus, für die die Gemeinschaftsmethode nicht gilt. Allerdings ist er sich durchaus bewusst, dass diese (zumindest kurzfristig) nur begrenzt Ergebnisse zeitigen werden, da sich die Mitgliedstaaten nicht gegenseitig bewerten. Einige Mitgliedstaaten nehmen in bestimmten politischen Bereichen erhebliche Anpassungen vor, z.B. bei den Renten und beim Arbeitsmarkt. Die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit muss verbessert werden.

6.13

Der Europäische Rat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission einen Fahrplan zur Stärkung und effektiven Umsetzung der Lissabon-Strategie ausarbeiten wird. Bessere Regierungsführung ist einer der Hauptausgangspunkte dafür. Vertrauen und Stabilität erfordern einen eindeutigen institutionellen Rahmen.

6.14

Der EWSA spricht sich dafür aus, beim Lissabon-Prozess „neuen Stils“ an die erfolgreiche Methodik von „Europa 92“ anzuknüpfen. Auf der bisherigen Praxis aufbauend bedeutet dies, dass die Berichte über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik, den Binnenmarkt, die Beschäftigung und den Lissabon-Prozess zu einem klaren mehrstufigen, zeitlich unterteilten Plan zusammengefasst werden, aus dem deutlich hervorgeht, welche Maßnahme aufgrund welchen Beschlussfassungsprozesses von wem (Kommission, Rat, Europäisches Parlament, Mitgliedstaaten) bis zu welchem Zeitpunkt durchzuführen ist. In diesem Zusammenhang unterstreicht der Ausschuss die bedeutende Rolle der Kommission und der Gemeinschaftsmethode, die beide für den Erfolg von 'Europa 92' gebürgt haben. Die Kommission legt jedes Jahr einen Fortschrittsbericht vor. und nach Anhörung des Europäischen Parlaments bestimmen der Rat Wirtschaft und Finanzen und der Rat Wettbewerbsfähigkeit dann die Prioritäten, die die Grundlage für die Vorschläge der Kommission bilden.

6.15

Die einzigen wirklichen Fortschritte im Lissabon-Prozess sind beim Binnenmarkt zu verzeichnen, zumindest was die Festlegung von Rechtsvorschriften und Bestimmungen betrifft. Denn die Umsetzung lässt regelmäßig zu wünschen übrig. Die Fortschritte sind direkt der Gemeinschaftsmethode zu verdanken. Der EWSA plädiert dafür, alle Fragen des Binnenmarkts in einem klaren Zeitplan zusammenzufassen:

alle offenen Punkte des Aktionsplans für den Binnenmarkt;

die offenen Punkte des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen;

Fragen des Wissenssektors, die in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft fallen;

Überprüfung und Lockerung unflexibler und zu detaillierter Regelungen;

Umsetzung und Durchführung.

6.16

Für die Kapitel, die der einzelstaatlichen Beschlussfassung unterliegen, wie soziale Sicherheit, Arbeitsmarkt (Task-Force Kok) und Steuern, schlägt der EWSA vor, dass der Rat – in Anlehnung an den politischen Wettbewerb und die offene Koordinierung – auf Vorschlag der Kommission ebenfalls über Ziele und Durchführung entscheidet. Aber gleichzeitig ist die Überwachung der Fortschritte dieser einzelstaatlichen Prozesse in diesem mehrstufigen Plan vorzusehen. In diesen Bereichen ist die Regieführung am schwierigsten. Aber Vereinbarungen ohne Umsetzung haben nun einmal wenig Sinn.

6.17

Auch andere Fragen, die keinerlei Regelungen und manchmal nur teilweise staatlicher Beschlussfassung unterliegen, aber sehr wohl mit Wettbewerbsfähigkeit, Wissen und Wirtschaftskraft zusammenhängen, verdienen einen Platz im Lissabon-Prozess „neuen Stils“, u.a.:

Industriepolitik für bestimmte Bereiche, die in gegenseitiger Abstimmung zwischen Wirtschaft (einschließlich der Tarifparteien), Kommission und Rat zustande kommt (19);

die Ergebnisse von Technologieprogrammen und -plattformen der EU, mehr grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen Wissenseinrichtungen und Wissensträgern in der Union sowie die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Marktteilnehmern;

Regionalpolitik mit besonderem Gewicht auf Wissen und Innovation.

6.18

Die Kommission und der Europäische Rat treten für eine „Partnerschaft für Veränderungen“ („partnership for change“) ein. Der EWSA schließt sich diesem Bestreben uneingeschränkt an. Dieser Gedanke kann tragende Bedeutung bekommen. Die Lissabon-Strategie wurde niemals als reiner Prozess von oben nach unten angesehen. Ihr Erfolg erklärt sich dadurch, dass die Konzipierung der Politik sowie die Durchführung und Umsetzung von vielen Akteuren abhängt: Sozialpartnern auf allen Ebenen, Unternehmen, Hochschulen, zahlreichen weiteren gesellschaftlichen Einrichtungen sowie der Zivilgesellschaft. Eine klare Darlegung der Ziele, die allen politischen und gesellschaftlichen Akteuren deutlich macht, was von ihnen erwartet wird, kann neue, so dringend erforderliche Impulse bringen.

6.19

Die „Partnerschaft für Veränderungen“ birgt große Möglichkeiten in sich, wenn das Konzept richtig vermittelt wird. Es kann zu einer neuen Kommunikation und neuen Allianzen zwischen den zahlreichen Interessenträgern im europäischen Integrationsprozess führen. Auch das gehört zur verantwortungsvollen Regierungsführung.

6.20

Der Europäische Rat hat die Kommission gebeten, eine hochrangige Gruppe einzurichten, die der Kommission bis zum 1. November über das weitere Vorgehen im Lissabon-Prozess berichtet. Die Berichterstattung und die Ansichten dieser hochrangigen Gruppe werden für die Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie auf dem Frühjahrsgipfel 2005 eine wichtige Rolle spielen. Der Europäische Rat hat ferner den Ausschuss gebeten, gleichzeitig Empfehlungen zu dieser Halbzeitbewertung vorzulegen.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  ABl. C 133 vom 6.6.2003 und

ABl. C 80 vom 30.3.2004.

(2)  Mitteilung der Kommission über die Umsetzung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005, (KOM(2004) 20 endg.).

(3)  Empfehlung der Kommission für die 2004 aktualisierten Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (im Zeitraum 2003-2005) (KOM(2004) 238 endg.).

(4)  Hierzu hat der Ausschuss 2002 eine erste Stellungnahme abgegeben – siehe ABl. C 221 vom 17.9.2002.

(5)  Gleichzeitig wird immer mehr Gewicht auf eine bessere EU-Rechtsetzung gelegt, siehe hierzu den „Aktionsplan zur Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds 2003“ sowie die Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit vom 17./18. Mai 2004.

(6)  Siehe Urteil des Gerichtshofs (Plenum) vom 13. Juli 2004, Rechtssache C-27/04.

(7)  Economic Forecast, Spring 2004, S. 31.

(8)  Jobs, Jobs, Jobs – Mehr Beschäftigung in Europa schaffen – Bericht der Task-Force Beschäftigung unter dem Vorsitz von Wim Kok, 26. November 2003.

(9)  Schreiben von Premierminister Blair, Präsident Chirac und Bundeskanzler Schröder vom 18. Februar 2004 sowie der „Gemeinsame Beitrag zum Frühjahrsgipfel 2004“ („Joint Contribution to the Spring Council 2004“) der Regierungschefs Aznar (Spanien), Balkenende (Niederlande), Berlusconi (Italien), Durão Barroso (Portugal), Miller (Polen) und Parts (Estland).

(10)  Bericht über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie (2003-2006) vom 21. Januar 2004– KOM(2004) 22 endg.

(11)  Bericht über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie (2003-2006) vom 21. Januar 2004 – KOM(2004) 22 endg.

(12)  Stellungnahme „Beschäftigungspolitische Maßnahmen“ – ABl. C 110 vom 30.4.2004 – SOC/159.

(13)  Bericht der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates: Die Lissabon-Strategie realisieren - Reformen für die erweiterte Union - KOM(2004) 29 endg./2.

(14)  Stellungnahmen zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Forscher im europäischen Forschungsraum: ein Beruf, vielfältige Karrieremöglichkeiten“ – ABl. C 110 vom 30.4.2004 – INT/216 und zu der „Mitteilung der Kommission Europa und die Grundlagenforschung“ – ABl. C 110 vom 30.4.2004 – INT/229.

(15)  Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit vom 17./18. Mai 2004.

(16)  Der Ausschuss hat hierzu eine Stellungnahme abgegeben – siehe ABl. C 221 vom 17.9.2002.

(17)  Siehe Binnenmarktanzeiger, Ausgabe 13 vom 13. Juli 2004: http://www.europa.eu.int/comm/internal_market/score/docs/score13/score13-printed_en.pdf

(18)  Schreiben von Premierminister Blair, Präsident Chirac und Bundeskanzler Schröder vom 18. Februar 2004.

(19)  Siehe die Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit vom 26./27. November 2003.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen: Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union - 2007-2013“

KOM(2004) 101 endg.

(2005/C 74/07)

Die Kommission beschloss am 18. März 2004, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 13. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr DASSIS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) mit 143 gegen 26 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Bezugsrahmen der Stellungnahme

1.1

Am 1. Mai 2004 machte die Europäische Union einen gewaltigen Sprung zur Verwirklichung des Traums der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft von 1952. Dies war auch der Traum von Menschen, die Kriege, Zerstörung und Unglück erlebt und in Armut und Elend gelebt hatten. Der Weg zur tatsächlichen Verwirklichung des europäischen Einigungswerks ist nicht mehr ganz so weit. Das Europa der 25 ist Realität und das Europa der 27 bereits beschlossene Sache.

1.1.1

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gefahr eines Rückschritts mit unabschätzbaren Folgen gebannt wäre. Das gemeinsame europäische Einigungswerk braucht den entsprechenden Rückhalt. Die beste Stütze besteht darin, dass die europäischen Bürger fühlen, dass sie ein fester Bestandteil dieses Einigungswerks sind. Sie müssen stolz darauf sein, dass sie einem großen geographischen Gesamtgefüge angehören, das demokratisch ist, den Frieden und die Respektierung der Menschenwürde sichert und garantiert und Wohlstand für alle anstrebt, dass sie in einem Gemeinwesen leben, in dem die Solidarität von allen als grundlegendes Verhaltensmuster verstanden wird. Die Bürger müssen patriotische Gefühle gegenüber Europa hegen und stolz darauf sein, dort zu leben.

1.2

Damit all dies eintritt, muss die Europäische Union ihre bereits vorhandenen gemeinsamen Politiken konsolidieren und kontinuierlich im Wege demokratischer Verfahren die Konzipierung und praktische Umsetzung der Politik in allen verbleibenden Bereichen vorantreiben, so dass sie neben einer Wirtschafts- und Währungsunion auch eine soziale und politische Einheit bildet.

1.3

Die Konzipierung und Umsetzung dieser Politiken ist gewiss mit gewissen Kosten verbunden, die gerecht und entsprechend den finanziellen Möglichkeiten des einzelnen Bürgers, des einzelnen Landes verteilt werden müssen.

1.4

In dem Anliegen, einen Beitrag zur Diskussion über die Festsetzung des Haushaltsplans während des neuen Planungszeitraums 2007-2013 zu leisten, gibt der von der Kommission mit dem Thema befasste EWSA diese Stellungnahme ab, in der die „Mitteilung der Kommission: Dritter Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ (1) in die Überlegungen einbezogen wird.

1.5

Der EWSA beschränkt sich in seiner Stellungnahme aber nicht auf die kritische Betrachtung dieser beiden Dokumente, sondern geht auch auf politische Themen, Fragen und Aspekte ein, die in diesen beiden Dokumenten nicht angeschnitten werden, trotz ihrer substanziellen Bedeutung für den Aufbau der gemeinsamen europäischen Zukunft bzw. das haushaltsmäßige Funktionieren der Union während des betrachteten Planungszeitraums.

1.6

Aufgrund der Wesensart und der Zusammensetzung des EWSA, indes ohne diese Dokumente und dabei zumal die Mitteilung der Kommission über die finanzielle Vorausschau 2007-2013 ignorieren zu wollen, kann man sich deswegen nicht auf eine kritische Betrachtung der Kommissionsmitteilung beschränken, sondern muss sich auch mit politischen Themen, Fragestellungen bzw. Aspekten beschäftigen, die in der Kommissionsmitteilung nicht berührt werden.

1.7

Anders gesagt, neben der Darlegung seiner (zustimmenden oder abweichenden) Auffassung zu den Sichtweisen und Vorschlägen der Europäischen Kommission im Einzelnen muss der EWSA seinen Beitrag leisten, um die Diskussion über die gemeinsame europäische Zukunft weiter voranzubringen, indem er andere mit diesem Fragenkomplex zusammenhängende Aspekte aufzeigt.

2.   Allgemeiner Überblick über die Mitteilung der Europäischen Kommission

2.1

In ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament „Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen: Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013“ (2) legt die Kommission dar, wie sie sich die Zukunft der Europäischen Union und ihre weitere Haushaltsplanung für den Zeitraum 2007-2013 vorstellt.

2.2

Drei Aktionsprioritäten sollen es ermöglichen, die mit der Erweiterung verbundenen Vorteile voll auszuschöpfen und den Wohlstand Europas zu fördern: nachhaltige Entwicklung, Förderung der Interessen der EU-Bürger und Stärkung der Rolle der Union als Global Player.

2.3   Nachhaltige Entwicklung: Wachstum, Kohäsion und Beschäftigung

2.3.1

Auf der Tagung des Europäischen Rates von Lissabon im Jahr 2000 haben sich die Staats- und Regierungschefs auf ein Aktionsprogramm verständigt, das als Grundlage für den Aufbau Europas dient, mit dem Ziel, Europa „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“.

2.4

Nach Ansicht der Kommission muss dieser Prozess neue Anstöße in Form von überzeugenden, realistischen Zielvorgaben auf nationaler wie auch auf gemeinschaftlicher Ebene erhalten: Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auf dem Binnenmarkt, Intensivierung der F+E-Anstrengungen, Vernetzung Europas, Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildungssysteme in der EU, stärkere Förderung der sozialpolitischen Agenda und Unterstützung der Gesellschaft bei der Bewältigung des sozialen Wandels.

2.5

Den Zielen Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sollte auch im Rahmen der nächsten Reihe regional- und kohäsionspolitischer Maßnahmen höchste Priorität eingeräumt werden, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf Regionen mit Entwicklungsrückstand liegen muss. Wachstum und Kohäsion müssen einander mehr denn je ergänzen.

2.6

Die Kohäsionspolitik der Zukunft muss sich systematisch mit dem Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit befassen, damit immer mehr EU-Regionen einen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung leisten können.

2.7

Außerdem verweist die Kommission in ihren Vorschlägen ausdrücklich auf die Beschlüsse des Rates von 2003, die Gemeinsame Agrarpolitik zu reformieren und die Agrarausgaben für Marktstützungsmaßnahmen wie auch für Direktbeihilfen bis 2013 festzulegen. Mit dieser Reform wird durch die Entkopplung von Beihilfen und Produktion eine radikale Neuausrichtung der GAP auf eine nachhaltige Entwicklung angestrebt. Die künftige, in einem einzigen Instrument zusammengeführte Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums soll die Wettbewerbsfähigkeit im Agrarbereich steigern, den Umweltschutz verbessern und die Vielfalt des ländlichen Raums fördern. Der dadurch entstehende Mehrbedarf wird durch eine teilweise Umschichtung der Finanzierungsmittel von den Direktzahlungen an die Landwirte auf zusätzliche Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum gedeckt.

2.8

Die neue reformierte Gemeinsame Fischereipolitik zielt auch weiterhin schwerpunktmäßig auf eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen ab. Die Umweltpolitik soll sowohl den Erwartungen der einzelnen Bürger, die nach einer besseren Lebensweise und mehr Solidarität zwischen den Generationen streben, gerecht werden, als auch den Verpflichtungen der Union auf internationaler Ebene nachkommen sowie Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit fördern.

2.9   Gesellschaft der Bürger

2.9.1

Seit dem Vertrag von Amsterdam wurde die Mehrzahl der politischen Maßnahmen in den Bereichen Freiheit, Sicherheit und Recht in den Kompetenzbereich der Gemeinschaft verlagert. Heutzutage kann den politischen Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der Einwanderung, der Asylproblematik und der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus stellen, mit Maßnahmen ausschließlich auf nationalstaatlicher Ebene nicht mehr hinlänglich begegnet werden. Gleiches gilt auch für Interventionen im Falle von Naturkatastrophen oder Gesundheits- und Umweltkrisen, für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen sowie für Verbraucherschutz und Gesundheit.

2.10

Das die EU auf all diesen Gebieten die nötigen Maßnahmen ergreift, soll durch ein verbessertes Instrumentarium und ausreichende Finanzierungsmittel ermöglicht werden.

2.11   Stellung der Europäischen Union in der Welt

2.11.1

Die erweiterte Union wird künftig eine bedeutendere Rolle zu spielen haben - sowohl in ihrer Führungsposition auf regionaler Ebene als auch als globaler Partner. Sie kann diesen Erwartungen nur gerecht werden, wenn es ihr gelingt, zu einem politisch verantwortlichen Akteur auf einem ihrem wirtschaftlichen Gewicht entsprechenden Niveau zu werden.

2.12

Die Union muss aber auch auf der weltpolitischen Bühne und im Bereich der strategischen Sicherheit die ihr zustehende Rolle angemessen wahrnehmen. Hierbei geht es um die Verteidigung gegen äußere Bedrohungen, die Gewährleistung der zivilen Sicherheit und den Schutz der Bürger vor verschiedenen Gefahren.

2.13   Finanzierungsbedarf

2.13.1

Diese Zielsetzungen lassen sich für eine Union mit 27 Mitgliedstaaten ohne eine Anhebung des derzeitigen Ausgabenplafonds erreichen.

2.14

Die Herausforderung, die in der Entwicklung eines politisch glaubwürdigen Projekts besteht, kann nur durch die Bereitstellung der notwendigen Finanzierungsmittel bewältigt werden. Die Kommission hat für den Bezugszeitraum ein durchschnittliches Ausgabenniveau von 1,14 % errechnet. Innerhalb des EU-Haushalts wird eine signifikante Gewichtsverlagerung zugunsten der neuen Prioritäten vorgenommen werden. Das Ausgabenniveau wird zunächst ansteigen, um die Auswirkungen der Erweiterung aufzufangen, sich bis zum Ende des Zeitraums dann jedoch auf einem praktisch dem Ausgangsstand entsprechenden Wert einpendeln. Das Zahlungsvolumen bliebe unterhalb der derzeitigen Obergrenze von 1,24 % des BNE.

2.15

Die Kommission schlägt vor, die Einführung eines allgemeinen Korrekturmechanismus ins Auge zu fassen, der als transparentes und objektives Ausgleichsinstrument für die Haushaltsbelastung eines Mitgliedstaats im Verhältnis zu seinem relativen Wohlstand eintreten soll.

2.16

Noch in diesem Jahr wird die Kommission Vorschläge für entsprechende Rechtsakte sowie einen konkreten Zeitplan für die Verwirklichung der Zielvorgaben unterbreiten.

3.   Bemerkungen des EWSA zum Text und zu den Vorschlägen der Kommission

3.1

Der EWSA befürwortet grundsätzlich die Kommissionsmitteilung. Im Einzelnen lässt sich dieses Dokument insgesamt charakterisieren als:

kohärenter Text, dessen einzelne Abschnitte logisch aufgebaut sind und ein in sich geschlossenes Ganzes ohne Widersprüchlichkeiten, Ungereimtheiten und Lücken bilden;

Text mit einem soliden und visionären politischen Unterbau: er steckt in ausführlicher, umfassender und visionärer Weise die politische Basis für die Ziele ab, die das Streben nach einer gemeinsamen Zukunft rechtfertigen;

Text mit klaren und logischen Optionen und Prioritäten für die politische Praxis: es werden Aktionen und die Ergreifung von nach den festgelegten politischen Zielen ausgerichteten Maßnahmen vorgeschlagen;

ausgewogener Text: Kompromisse oder die Schaffung mannigfaltiger neuer Gleichgewichte und entsprechender Formationen werden nicht von vornherein ausgeschlossen. Der Text hebt darauf ab, die verfügbaren Finanzmittel auf die entsprechenden Erfordernisse abzustimmen, die für die Erreichung der politischen Ziele im Wege der spezifischen politischen Weichenstellung gegeben sein müssen.

3.2

Der EWSA wertet auch bestimmte im Kommissionstext dargelegte Optionen und Sichtweisen als positiv (oder äußerst positiv) und unterstützt sie denn auch, und zwar:

3.2.1

Bedeutung und Inhalt des Begriffs nachhaltige Entwicklung und das entsprechende Zusammenspiel des wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekts.

3.2.1.1

In Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Sichtweisen der Europäischen Kommission stellt der EWSA fest, dass nachhaltige Entwicklung ein komplexer Begriff ist, der Folgendes beinhaltet:

den Schutz der natürlichen Ressourcen der Europäischen Union ( Umweltdimension );

die Schaffung eines Klimas, das

1)

der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ( wirtschaftlich-quantitative Komponente ) sowie

2)

der Steigerung der Solidarität (sozial-qualitative Komponente) zuträglich ist, wobei den Bürgern, die der Gefahr der sozialen Ausgrenzung ausgesetzt sind, besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird; die Gewährleistung größeren Wohlstands und größerer Sicherheit für alle Europäer.

3.2.1.2

Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung beschränkt sich also nicht auf quantitative Elemente wirtschaftlichen Wachstums, sondern beinhaltet auch qualitative (soziale, ökologische) Komponenten.

3.2.1.3

Der EWSA kritisiert, dass in anderen Texten die Begriffe „nachhaltiges Wachstum“ und „nachhaltige Entwicklung“ durcheinandergeworfen werden. In seiner Stellungnahme zur „Bewertung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung“ (3) stellt der EWSA fest, dass die Finanzielle Vorausschau eine Gelegenheit wäre, der nachhaltigen Entwicklung einen entscheidenden Impuls zu geben. Ferner gibt er zu bedenken, dass es nicht ausreicht, bisherige Politiken, die sich durchaus als problematisch für die nachhaltige Entwicklung erwiesen haben, fortzusetzen und sie zukünftig unter dem Haushaltstitel „Nachhaltiges Wachstum“ zu führen. Außerdem trägt er vor, dass „nachhaltiges Wachstum“ und „nachhaltige Entwicklung“ zwei unterschiedliche Dinge sind, die miteinander in Konflikt geraten können.

3.2.1.4

Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass für die Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklung dringlichst mehr Mittel als bisher und selbst mehr Mittel als in der finanziellen Vorausschau 2007-2013 vorgesehen bereitgestellt werden müssen. Da aber die Finanzmittel nicht ausreichen und die Umwelt ein öffentliches Gemeingut darstellt, das die Grenzen überschreitet, aber auch ein substanzielles Element der Strategie für nachhaltige Entwicklung bildet, fragt sich der EWSA, ob es nicht angezeigt wäre, die betreffenden Investitionen aus der Berechnung des Haushaltsdefizits, wie sie im Rahmen des Stabilitäts- und Entwicklungspakts vorgesehen ist, herauszunehmen (4).

3.2.1.5

Europa hat das Zeug, eine maßgebliche Rolle in der globalisierten Wirtschaft zu spielen und die Entwicklungen in Richtung einer stärker nachhaltigen Entwicklung zu beeinflussen. Aber dafür reichen die vorgesehenen Mittel nicht aus. Die Europäische Union muss mit einer Stimme sprechen. Die Mitgliedstaaten, so groß und bedeutend sie auch sein mögen, können die weltweite Entwicklung nur sehr wenig beeinflussen. Die Abstimmung ihrer Anstrengungen auf die Verwirklichung gemeinsamer Ziele als Europäische Union ist zwingend geboten.

3.2.2

Die wirtschaftliche Effizienz des sozialen Zusammenhalts und die eindeutige Feststellung, dass der Prozess des Zusammenhalts neben seiner sozialen Funktion und dem Abbau von Unterschieden auch quantitative Verbesserungen der Elemente des wirtschaftlichen Wachstums an sich herbeiführt.

3.3

Das gesamte Konzept für die Inangriffnahme und Verwirklichung dieser politischen Gesamtvision (politisches Projekt) basiert auf der Grundidee der nachhaltigen Entwicklung, wie sie im Gefüge ihrer wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension zu verstehen ist.

3.4

Entsprechend den diesbezüglichen Analysen des „Dritten Berichts über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ wirft die Kommission das Problem und die Frage der Organisation und des Verfahrens der Förderung der interregionalen Zusammenarbeit auf.

3.4.1

Es wird vorgeschlagen, die „Ergänzungen zur Programmplanung“ der GFK bzw. die Gemeinsamen Förderkonzepte als Verwaltungsinstrument überhaupt abzuschaffen und durch einen entsprechenden Text über eine gemeinschaftsweit ausgewogene Strategie für den Zusammenhalt zu ersetzen.

3.4.2

Ferner wird festgestellt, dass die bisherige Praxis mit den in den alten Texten festgeschriebenen 60-70 Prioritäten sich nicht bewährt hat, und es wird vorgeschlagen, für jeden Mitgliedstaat differenziert jeweils 3-4 Prioritäten vorzusehen, allerdings mit der Verwaltungsreform als gemeinsamer Priorität. Um den besonderen Gegebenheiten der Mitgliedstaaten besser Rechnung zu tragen, könnte die Europäische Kommission flexiblere und dezentralere Verwaltungsmodalitäten festlegen, bei denen gleichwohl volle Transparenz und strikte Einhaltung der Vorschriften gegeben sein muss.

3.4.3

Genauso wichtig dürfte der Vorschlag sein, die Methode für die Kontrolle der Haushaltsführung zu modifizieren: Statt einer Kontrolle jedes einzelnen Vorhabens wird vorab ein Vertrauenspakt unterzeichnet, durch den die Verwaltungsbestimmungen festgelegt werden. Dies bedeutet allerdings, dass die Kontrollmethode in einem einheitlichen Rahmen zur Anwendung kommt und von allen betroffenen Institutionen akzeptiert wird.

3.4.4

Des Weiteren ist der EWSA besorgt über die wachsende Kluft zwischen den Mittelbewilligungen und den Ausgaben. Es wird angenommen, dass die Differenz am Ende des Programmzeitraums 2007-2013 sich auf 188 Mrd. Euro belaufen wird, d.h. dem Budget eines Haushaltsjahres entsprechen wird. Die Möglichkeit zur Streckung der Mittelausführung der im Rahmen der Strukturfonds eingegangenen Verpflichtungen um ein weiteres Jahr (Umwandlung der n+2-Regel in eine n+3-Regel) wird die bequemere und zeitdruckfreie und somit rationellere und effizientere Nutzung und Valorisierung der bereitgestellten Mittel erleichtern.

3.5

Bei der Diskussion sollte die Feststellung im Mittelpunkt stehen, dass der Gemeinschaftshaushalt und die Finanzinstrumente der EU unmittelbar abhängen vom Grad der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten und der Höhe ihres BIP.

3.5.1

Deswegen schafft der Gemeinschaftshaushalt durch seinen Beitrag zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung auch der zehn neuen Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für eine künftige Verbesserung und Erweiterung der Grundlage für die Berechnung der Eigenmittel. Die Stärkung der einzelstaatlichen Kapazitäten und die Steigerung des BIP der einzelnen Mitgliedstaaten bewirken eine Stärkung des Gemeinschaftshaushalts aufgrund der höheren Beiträge der Mitgliedstaaten (Prozentwert auf breiterer Grundlage).

3.5.2

Ferner ist festzustellen, dass die Integration der Märkte der neuen Mitgliedstaaten in den EU-Binnenmarkt die Verbesserung der Wachstumsperspektiven der EU-15 garantiert. Es wäre nicht besonders schwierig, die Größenordnung des zusätzlichen Wachstums zu bewerten, das jeder einzelne Mitgliedstaat der EU-15 von den vielschichtigen Auswirkungen der Entwicklung der neuen Mitgliedstaaten und der Integration ihrer Märkte in den europäischen Binnenmarkt erwarten kann. Auf jeden Fall wird dieses zu erwartende zusätzliche Wachstum der Mitgliedstaaten der EU-15 ein Mehr an Mitteln für den Gemeinschaftshaushalt bedeuten.

3.5.3

Darüber hinaus sollte nach dem Dafürhalten des EWSA mit Blick auf eine Verteilung der EU-Mittel entsprechend dem grundlegenden Ziel – der Konvergenz – vorrangig den Bedürfnissen der neuen Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden, in denen sich der größte Teil der weniger entwickelten Regionen befindet und der Integrationsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

3.5.4

Der EWSA ist der Ansicht, dass nicht nur bei der Obergrenze des EU-Haushalts, sondern auch bei den Prognosen für diesen Haushalt besondere Umsicht an den Tag gelegt werden muss. Denn der Haushaltsplan basiert auf dem Bruttoeinkommen der EU, das jedoch nur anhand einer Arbeitshypothese hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, der Wechselkursrelation zwischen Euro und Dollar, des Rohölpreises usw. vorausgeschätzt werden kann. Folglich gibt es zahlreiche Unwägbarkeiten, die den Gesamtumfang der Finanzmittel beeinflussen. Deswegen empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, alternative Szenarien auf der Grundlage pessimistischer bzw. optimistischer Annahmen auszuarbeiten, um zu einer Bandbreite zu gelangen, in der sich die Haushaltspläne in den Jahren 2007-2013 bewegen.

3.6

Das Problem, die beiden Parameter finanzielle Bewertung (Abschätzung der Kosten) der großen politischen Ziele und verfügbare (unzureichende) Mittel unter einen Hut zu bringen, lässt sich nach Meinung des EWSA dadurch lösen, dass geprüft wird, inwieweit die verfügbaren Mittel ausreichen, um die Ziele zu verwirklichen.

3.7

Bei dem Prozess der Vereinbarung dieser beiden Faktoren ergibt sich folgendes Dilemma: müssen die politischen Ziele und die sich darauf gründenden Visionen entsprechend den verfügbaren Mitteln heruntergeschraubt werden oder aber müssen die Mittel entsprechend aufgestockt werden, damit die hohen Ziele erhalten bleiben können? Wenn in realistischer und effizienter Weise darauf hingewirkt wird, dass die entsprechenden Mittel verfügbar sind, kann dieser Konflikt rein theoretisch bleiben.

3.8

Da diese Ziele jedoch für die effiziente Gestaltung einer gemeinsamen europäischen Zukunft als notwendig anzusehen sind, erscheint jedwede „Verwässerung“ dieser Ziele problematisch. Deswegen ist nicht recht einzusehen und auch schwer nachzuvollziehen, warum die Europäische Kommission die erforderlichen Gleichgewichte neu definieren möchte, denn dadurch würden ihre politischen Ziele mit Sicherheit beeinträchtigt.

4.   Optionen für die Obergrenze der Finanzierung des EU-Haushalts

4.1

Wie aus der Kommissionsmitteilung hervorgeht, hat die Europäischen Kommission vor der Unterbreitung ihres Kompromissvorschlags drei denkbare Optionen für die Obergrenze der Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts erwogen und dabei die jüngsten einschlägigen Entwicklungen in die Überlegungen einbezogen.

4.2

Die erste Option bestand darin, die Obergrenze auf 1 % des BIP festzusetzen, was auch den erklärten Vorstellungen einiger Mitgliedstaaten entsprach. Die Europäische Kommission bewertet diese Höhe des Beitrags zur Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts ohne Umschweife als völlig unzureichend.

4.3

Die zweite Option sah eine Obergrenze von 1,3 % des BIP vor. Nach Einschätzung der Kommission ist dieser Beitragssatz nicht übermäßig hoch, ermöglicht es aber der Europäischen Union, den Erfordernissen für eine Erreichung ihrer sämtlichen politischen Ziele besser gerecht zu werden.

4.4

Die dritte Option war die Festsetzung der Obergrenze auf 1,24 % des BIP, sprich den derzeit geltenden Finanzrahmen. Die Europäische Kommission stellt allerdings fest, dass wenn die Wahl letztlich auf eine Obergrenze von 1,24 % des BIP fällt, Umstellungen im EU-Haushaltsplan vorgenommen werden müssen, um entsprechenden Handlungsspielraum für die Finanzierung neuer Prioritäten zu haben.

4.5

Schließlich entschied sich die Europäische Kommission für die dritte Option, die aber zwangsläufig Folgendes nach sich zieht:

4.5.1

Erstens die Beibehaltung des derzeitigen Haushaltsrahmens: Dies wirft die Frage auf, ob es letztlich möglich sein wird, mit denselben Haushaltsmitteln, die bislang für weniger Prioritäten verwendet werden, auch neue Prioritäten in Angriff zu nehmen und zu finanzieren. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Entwicklungsstand der meisten der 10 (und später dann 12) neuen Mitgliedstaaten beträchtlich hinter dem Entwicklungsniveau der Mitgliedstaaten der EU-15 zurückbleibt, und deswegen werden für die effiziente finanzielle Förderung zur Sicherstellung der Entwicklung der neuen Mitgliedstaaten umfangreiche neue Mittel erforderlich sein. In der Kommissionsmitteilung wird hierzu Folgendes festgestellt: „In der erweiterten Union wird das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP mehr als 12 % niedriger liegen als in der Union der Fünfzehn, das Einkommensgefälle wird sich insgesamt verdoppeln.“

4.5.2

Zweitens Umstrukturierungen und Neugewichtungen beim Gemeinschaftshaushalt: Dies wirft die Frage auf, ob diese erforderlichen Umstellungen und Neugewichtungen nicht zu einer „Verwässerung“ der in der Mitteilung der Europäischen Kommission abgesteckten politischen Ziele führen und dadurch die Grundlagen für den Aufbau einer neuen europäischen Zukunft Schaden nehmen.

4.5.3

Drittens wird mit der Verabschiedung und Inkraftsetzung des Verfassungsvertrags die EU in größerem Maße eine bundesstaatliche Struktur und Funktionsweise annehmen im Sinne rückläufiger Subsidiarität, der Erweiterung und des Ausbaus der gemeinsamen europäischen Politiken und folglich auch der hierfür erforderlichen Mittel.

4.5.4

Der EWSA greift einige Textpassagen der Mitteilung heraus, in denen aufgezeigt wird, welche Finanzlücken während des Planungszeitraums 2007-2013 möglicherweise auftreten könnten, so dass die politischen Prognosen über den Haufen geworfen würden und das abgesteckte und vorgeschlagene Projekt nicht in Angriff genommen werden könnte.

4.5.5

Die konziliante, gemäßigte und ausgewogene Darstellungsweise des Kommissionsdokuments hindert die Kommission nicht daran, in (der Einleitung) ihrer Mitteilung folgende Feststellung zu machen: „Da aber die Erweiterung einen asymmetrischen Effekt für den Gemeinschaftshaushalt haben wird - die Ausgaben steigen stärker als die Einnahmen - bedeutet selbst die einfache Erhaltung des “Besitzstandes„ eine Intensivierung der finanziellen Anstrengungen.“ Diese elegant formulierte Feststellung lässt keinen Zweifel daran, dass (nicht etwa eine Steigerung sondern die) schlichte Aufrechterhaltung des gemeinschaftlichen Besitzstands nicht möglich sein wird, wenn die Finanzmittel nicht aufgestockt werden.

4.5.6

Die Kommission untermauert ihre Feststellung (in der Einleitung der Kommissionsmitteilung) mit ihrem Verweis auf die Vergrößerung der Kluft zwischen den politischen Ambitionen der EU und der Unfähigkeit ihrer Umsetzung sowie die wegen des mangelnden politischen Willens und unzureichender Ressourcen eingeschränkte Fähigkeit der EU, die Versprechungen in vielen der neuen prioritären Bereiche zu erfüllen.

4.5.7

Feststellungen dieser Art sind auch an anderen Stellen in der Mitteilung zu finden. So wird beispielsweise (in Kapitel II) festgestellt dass, „die Kluft zwischen den Forderungen, die an die Union gestellt werden, und den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln … zu breit geworden ist“, und unmittelbar anschließend wird folgender Warnhinweis gegeben: „Der Union eine Reihe von Zielen aufzutragen und ihr dann die dafür erforderlichen Mittel zu verweigern, würde bedeuten, sie der berechtigten Kritik der Bürger auszusetzen, die sich in ihren legitimen Erwartungen enttäuscht sehen.“

4.5.8

Nach Meinung des EWSA trifft die Erklärung der Kommission zu, dass wenn eine Einigung über die Ziele des europäischen Projekts nicht zustande kommt und die dazu erforderlichen Mittel nicht bereitgestellt werden, „alle Mitgliedstaaten nur verlieren können“.

4.5.9

Diese Einschätzung muss im Verbund mit der Feststellung gesehen werden, dass infolge der im Rahmen des neuen Programmzeitraums 2007-2013 vorgenommenen Integration des Europäischen Entwicklungsfonds in den Gemeinschaftshaushalt der Gemeinschaftshaushalt real nicht mehr in gleicher Höhe bleibt, sondern geringer ausfällt.

4.5.10

Während des neuen Planungszeitraums 2007-2013 würden die gemeinsamen europäischen Politiken gestärkt, während die entsprechenden einzelstaatlichen Politiken begrenzt würden. Diese Entwicklung ist dadurch gerechtfertigt, dass die EU nicht zum reinen Verwalter einzelstaatlicher Politiken mutieren darf. Das gemeinsame Interesse erfordert die Konzipierung und Umsetzung gemeinsamer europäischer Politiken.

4.5.11

Die Steigerung des Mehrwerts kann nicht den einzelstaatlichen Politiken überlassen werden. Die Kommission stellt in aller Deutlichkeit und unmissverständlich fest, dass eine wirksame Steigerung des Mehrwerts eine größere kritische Masse auf transnationaler Ebene erfordert und folglich am besten im Wege gemeinsamen politischen Handelns ins Werk gesetzt wird (Seite 4 der Kommissionsmitteilung).

4.5.12

Deshalb wäre es ein Fehler, dieses Problem durch eine einfache Umverteilung von Ressourcen zwischen den Mitgliedstaaten angehen zu wollen. Es muss vielmehr als Frage der Maximierung der Wirkung der gemeinsamen europäischen Politiken mit dem Ziel einer weiteren Steigerung des Mehrwerts der hierfür bereitgestellten EU-Haushaltsmittel verstanden werden (Seite 4 der Kommissionsmitteilung).

4.5.13

Des Weiteren macht die Kommission in ihren zahlreichen Feststellungen auch auf die Bedeutung gemeinschaftlichen Handelns und die entsprechende Herbeiführung eines europäischen Mehrwerts bei jedem Euro, der aus dem EU-Haushalt ausgegeben wird, aufmerksam.

4.5.14

Ähnliche Hinweise finden sich auch an folgenden Stellen der Kommissionsmitteilung:

in der Einleitung, in der es unter anderem heißt: „Ziel muss es sein, die Wirkung öffentlicher Ausgaben zu maximieren und nationale und europäische Bemühungen so auszurichten, dass sie mehr als die Summe der Einzelelemente darstellen“;

im Abschnitt I.A.1 e), in dem die Funktion der gemeinsamen europäischen Politiken als Katalysator für die Umsetzung der sozialpolitischen Agenda, eines integralen Bestandteils der Lissabon-Strategie, seitens der Mitgliedstaaten analysiert wird;

im Abschnitt I.A.2, in dem der Zusatznutzen der Kohäsionspolitik untersucht wird;

im Abschnitt I.A.3, in dem der von der GAP bewirkte Zusatznutzen aufgezeigt wird;

in Abschnitt I.C., in dem es u.a. heißt: „kohärente Außenbeziehungen können ihren Einfluss weit über das hinaus ausdehnen, was die Mitgliedstaaten für sich oder auch unter Beachtung paralleler Handlungslinien erreichen können“;

in Abschnitt I.C.2, in dem folgendes ausgesagt wird: „die Hebelwirkung der EU-Finanzhilfen (...) würde durch eine derartige gemeinsame Präsenz in den Organen der multilateralen Wirtschaftssteuerung, etwa in der Weltbank, im IWF und in den UN-Wirtschaftsagenturen beträchtlich gesteigert, insbesondere würde der Gegenwert für jeden in diesem neuen Kontext ausgegebenen Euro deutlich zunehmen“;

in Abschnitt I.C.3, in dem der zusätzliche Nutzen der Unterstützung betrachtet wird, die die EU Drittländern gewährt (Vorteile eines EU-Konzepts bei der Krisenbewältigung im Außenbereich);

in Abschnitt III.B, in dem es um die Frage des Zusatznutzens der Einrichtung und des Einsatzes eines neuen Nachbarschaftsinstruments geht.

4.5.15

Der EWSA legt Wert auf die Feststellung, dass es keinen Sinn macht, mit weniger Mitteln mehr Europa erreichen zu wollen. Außerdem wird die Begrenzung der Eigenmittel auf 1 % des BNE letztlich zu Kürzungen der Finanzmittel für die Strukturpolitiken und der Politiken für den Zusammenhalt führen. Bei dem für die GAP bis 2013 vorgesehenen Finanzrahmen werden etwaige weitere Kürzungen infolge der Verringerung des Gemeinschaftshaushalts die Politik für den Zusammenhalt treffen mit dramatischen Folgen bezüglich der Herausforderungen und Erfordernisse, die sich aus der EU-Erweiterung ergeben. Außerdem wird eine derartige Entwicklung alle Entwicklungsinitiativen und –anreize ihres Inhalts und Werts berauben.

4.5.16

Im Lichte der vorstehenden Feststellungen sollten die Vorbehalte der Kommission überwunden werden und eine Anhebung der Eigenmittel des Gemeinschaftshaushalts für den neuen Planungszeitraum 2007-2013 gegenüber dem derzeitigen Finanzrahmen auf eine Obergrenze von 1,30 % des BNE vorgesehen werden. Hierbei muss gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass bei der Annäherung an diese Obergrenze von Jahr zu Jahr keine ungewöhnlichen Abweichungen auftreten.

4.5.17

Diese Auffassung wird durch die Feststellung untermauert, dass ein Teil der aus den Strukturfonds bereitgestellten Mittel über die Ausfuhren der EU-Nettozahler wieder in deren Wirtschaft zurückfließt. Dieser Fragenkomplex wurde bereits auf EU-15-Ebene untersucht und es wird angenommen, dass dieser Mechanismus in gleicher Weise in der EU-25 funktionieren wird. Folglich wird ein wesentlicher Teil der Finanzmittel, die für die Entwicklung der zehn neuen Mitgliedstaaten bereitgestellt werden, in die Nettozahlerländer zurückfließen (IKT-Markt, Erbringung hochspezialisierter Dienstleistungen, Know-how-Importe usw.). Diese Dimension darf mit Blick auf die Konzipierung des neuen Gemeinschaftshaushalts nicht außer Acht gelassen werden. In der Mitteilung nimmt die Kommission auf diesen speziellen Aspekt Bezug mit der Bemerkung, dass die Anwendung der Binnenmarktregeln auf die Kohäsionspolitik einen messbaren Zusatznutzen infolge eines Anstiegs des innergemeinschaftlichen Handels zwischen den rückständigeren Mitgliedstaaten und Regionen einerseits und dem Rest der EU andererseits herbeiführt. Diese Steigerung des innergemeinschaftlichen Handels ist darauf zurückzuführen, „dass rund ein Viertel der Ausgaben des Programms für diese Gebiete in Form verstärkter Exporte in den Rest der Union zurückfließt.“

4.6

Der EWSA ist voll und ganz mit den Sichtweisen der Kommission bezüglich der Auswirkungen der Verwirklichung der Unionsbürgerschaft einverstanden. Die Vorteile dürfen sich nämlich nicht auf die Freiheiten des Marktes beschränken. Neben Freiheit, Recht und Sicherheit muss auch der Zugang zu den öffentlichen Grunddiensten auf europäischer Ebene garantiert sein. Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass sichergestellt werden muss, „dass der Nutzen eines Europas ohne Grenzen für alle zu gleichen Bedingungen zugänglich ist“. Die Union muss die diesbezüglichen Bemühungen der Mitgliedstaaten ergänzen, was jedoch mit gewissen Kosten verbunden ist.

4.7

Zutreffend ist nach Meinung des EWSA auch die Darstellung der Kommission, dass die geeigneten Instrumente, aber auch die entsprechenden Mittel erforderlich sind, um diese Instrumente nutzen zu können, so dass Europa tatsächlich als regionaler Leader auftreten kann (Entwicklungshilfe, Handelspolitik, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, externe Aspekte anderer Politikbereiche - vgl. S. 5 der Kommissionsmitteilung).

4.7.1

Außerdem beschränkt sich aufgrund der Bestimmungen des zur Verabschiedung anstehenden EU-Verfassungsvertrags der von der EU angestrebte Schutz des europäischen Bürgers nicht auf die Anerkennung dieses Schutzanspruchs, sondern schafft auch eine entsprechende rechtliche Zuständigkeit der EU für die Gewährleistung dieses Schutzes und folglich auch Schadenersatzansprüche und -verpflichtungen (beispielsweise Opfer von Terroranschlägen oder Naturkatastrophen).

4.8

Der EWSA befürwortet die Fortschritte bei bestimmten Haushaltstiteln. Allerdings darf dabei die Angemessenheit der finanziellen Umstellungen nicht außer Acht gelassen werden. Für das Kapitel „Unionsbürgerschaft, Freiheit, Sicherheit und Recht“ wird für den Zeitraum 2007-2013 eine Anhebung der Mittel um 162 % vorgesehen, die aber nur 2,239 Milliarden Euro entspricht. Im gleichen Zeitraum werden die Agrarmittel um 3 % (1,442 Milliarden Euro) gekürzt. Am Ende des Programmzeitraums werden die Mittel der beiden Kapitel 2 bzw. 26 % des Haushalts betragen. Beim Anteil der Agrarmittel ist zu beachten, dass durch die EU-Erweiterung und Reform weiterer Gemeinsamer Marktorganisationen neue große Herausforderungen für die GAP zu bewältigen sind.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Ein Aspekt, der weder in der Kommissionsmitteilung noch im „Dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ angesprochen wird, sich aber je nach Handhabung auf den Gemeinschaftshaushalt auswirken dürfte, ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den zehn neuen Mitgliedstaaten auf den Arbeitsmärkten der 15 bisherigen Mitgliedstaaten und die Anwendung des zwei-, fünf- oder siebenjährigen Übergangszeitraums. Es wäre zu untersuchen, in welchem Maße die Beschränkungen der Beschäftigung von Arbeitnehmern aus den zehn neuen Mitgliedstaaten in den 15 alten Mitgliedstaaten die zu erwartende wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Beitrittsstaaten beeinträchtigen würde.

5.2

Ein weiterer erörternswerter Punkt wäre, die Bereitstellung von Gemeinschaftsmitteln an den Grad der ordnungsgemäßen Umsetzung und Erfüllung der Verpflichtungen zu koppeln, die die zehn neuen Mitgliedstaaten bereits eingegangen sind.

5.3

Die Prüfung der wirtschaftlichen Perspektiven eines Zeitraums erfordert auch die gesonderte Betrachtung der Eigenmittel gegenüber den Haushaltsausgaben. In diese Richtung geht auch der Denkansatz der Kommissionsmitteilung: In Abschnitt IV wird der neue Finanzrahmen mit besonderem Schwergewicht auf dem Ausgabenaspekt erörtert, während in Abschnitt V dann Überlegungen zum Finanzierungssystem angestellt werden.

5.4

In der vorliegenden Stellungnahme liegt das Hauptgewicht auf dem Ausgabenaspekt, denn der EWSA möchte auf das Kapitel Eigenmittel wieder zurückkommen, wenn die Kommission dem Rat den diesbezüglichen Bericht vorgelegt hat.

5.5

In der jetzigen Phase möchte der EWSA trotzdem seine Ansicht in zwei Punkten umreißen:

Die Einführung bestimmter EU-Steuern (die unmittelbar von den europäischen Bürgern an den Gemeinschaftshaushalt abgeführt werden, um dessen Mittel zu erhöhen) ist ein positiver und durchaus interessanter Vorschlag. Bei der Verwirklichung dieses Ansatzes ist allerdings besonders große Umsicht geboten, um zu vermeiden, dass möglicherweise antieuropäische Reaktionen geweckt werden.

Die Einführung eines neuen Beitragssystems, das gerechter ist als das derzeitige System, erscheint wünschenswert. Die einfache Betrachtung der Zahlungsbilanz der Mitgliedstaaten im Vergleich zu ihren Ausgaben zeigt, dass beim gemeinschaftlichen Beitragssystem, so wie es heute angelegt ist, das Pro-Kopf-Einkommen der einzelnen Mitgliedstaaten – das ein zuverlässiger Indikator für den Wohlstand der Bürger des betreffenden Landes ist – nicht berücksichtigt wird.

5.5.1

Andererseits meldet der EWSA erhebliche Vorbehalte hinsichtlich des allgemeinen Korrekturmechanismus an, der nur dazu führen würde, das Prinzip der „angemessenen Gegenleistung“ zu institutionalisieren. Hierbei handelt es sich um eine Form der Solidarität der ärmeren Länder mit den reicheren Ländern, die nicht hinnehmbar ist. In einem Bericht von 1998 (5) hatte die Kommission bereits Simulationen in Bezug auf die Auswirkungen eines solchen Mechanismus durchgeführt. Daraus ergab sich Folgendes: wäre im Jahr 1996 der allgemeine Korrekturmechanismus auf fünf Länder (UK, DE, NL, AT, SE; 48,7 % des BIP) angewandt und wären diese von der Finanzierung der Korrektur ausgeschlossen worden, wäre die finanzielle Last auf die übrigen zehn Länder mit 48,9 % des BSP der EU verteilt worden! Die jüngst erfolgte Erweiterung auf Länder mit einem niedrigeren Lebensstandard würde diese Ungerechtigkeit noch verstärken.

5.5.2

Für den Fall, dass sich ein allgemeiner Korrekturmechanismus als erforderlich erweisen würde, sollten nach Ansicht des EWSA auf jeden Fall bei der Korrektur der Ungleichgewichte nicht die Ausgaben für Strukturmaßnahmen berücksichtigt werden, da mit diesen ausdrücklich das Ziel einer Umverteilung verfolgt wird.

5.5.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Hinblick auf einen gegebenenfalls einzuführenden allgemeinen Korrekturmechanismus die Haushaltssalden nur an Hand der operativen Ausgaben berechnet werden sollten, wie dies bereits 1999 in Berlin erwogen worden war. So könnten nachteilige Auswirkungen vermieden werden, die dadurch entstehen, dass die Verwaltungsausgaben der Union und die Ausgaben für die gemeinschaftlichen Politikbereiche dem Land zugewiesen werden, in dem diese Ausgaben tatsächlich getätigt werden. Das entspräche im Übrigen eher dem Konzept der „maßnahmenbezogenen Mittelveranschlagung“, bei der die Verwaltungsausgaben an die sie verursachenden operativen Ausgaben gekoppelt sind und die Mittel für Verwaltungsausgaben auf alle Ausgabenkategorien aufgeschlüsselt werden.

5.6

Was im Übrigen den Bereich der indirekten Steuern angeht, möchte der EWSA den Vorschlag aufgreifen, der in seiner Stellungnahme zur allgemeinen Einführung und der Interoperabilität elektronischer Mautsysteme in der Gemeinschaft (6) ausgeführt ist und dem zufolge ein europäischer Verkehrsinfrastrukturfonds eingerichtet werden könnte, der durch die Erhebung von 1 Eurocent pro Liter Kraftstoff, der von sämtlichen Kfz verbraucht wird, gespeist werden soll.

5.7

Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, den Zeitraum der Finanziellen Vorausschau auf die Mandatsperiode der europäischen Institutionen (Europäisches Parlament, Kommission) abzustimmen.

5.7.1

Der EWSA begrüßt, dass die Finanzielle Vorausschau in der Verfassung verankert wurde. Dies wird dem Haushaltsrahmen der EU eine größere Stabilität verleihen.

5.7.2

Der EWSA bedauert jedoch, dass sich der Europäische Rat nicht die Fortschritte des Europäischen Konvents zunutze machen konnte, die die mittelfristige Verabschiedung der Finanziellen Vorausschau mit qualifizierter Mehrheit beinhalteten. Der Europäische Rat hat es bevorzugt, die einstimmige Beschlussfassung beizubehalten und sie mit der Möglichkeit zu kombinieren, zur qualifizierten Mehrheit überzugehen, sofern dies einstimmig vom Europäischen Rat beschlossen wird! Der EWSA befürchtet, dass das Festhalten an der Einstimmigkeit die Union in eine schwere Verfassungskrise stürzen könnte oder die politischen Ambitionen der Union nach unten revidiert werden könnten.

5.8

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, dem zufolge das Europäische Parlament zum maßgeblichen, für den Gemeinschaftshaushalt zuständigen Gremium erhoben wird, dergestalt, dass das Parlament für den gesamten Haushalt (sprich die obligatorischen wie auch die nicht-obligatorischen Ausgaben) zuständig ist.

5.9

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass trotz der von der Lissabon-Strategie geschaffenen Herausforderungen und des von ihr implizierten Bedarfs an Initiativen im Kommissionstext keine konkreten Maßnahmen vorgeschlagen werden, die geeignet sind, Initiativen zur wirtschaftlichen Entwicklung in der EU auszulösen. Die einzige konkrete Idee, die im Kommissionstext angesprochen wird, ist die Einrichtung eines „Sonderfonds zur Förderung des Wirtschaftswachstums“ (IV. Der neue Finanzrahmen: C. Flexibilität). Die für diesen Fonds vorgesehene Mittelausstattung ist aber völlig unzureichend. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Umsetzung der Lissabon-Ziele von einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 3 % im Jahr ausgeht, die Prognosen für die kommenden Jahre aber lediglich mit lediglich 2,3 % für die EU-27 angenommen werden. Dies bedeutet, dass das dürftige Wirtschaftswachstum seit dem Jahre 2000 den Ausgleich dieses „Wirtschaftswachstumsdefizits“ nicht gestatten wird.

5.10

Folglich müssen diese Mittel nach oben korrigiert werden, damit die grundlegende Voraussetzung für die Förderung und Verwirklichung der Strategie von Lissabon erfüllt werden kann, die eine Änderung unseres Systems für die Investition in Bildung und Forschung nahe legt.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  KOM(2004) 107 endg.

(2)  KOM(2004) 101 endg. vom 10. Februar 2004.

(3)  CESE 661/2004 vom 28.4.2004.

(4)  Stellungnahme EWSA „Haushaltspolitik und Investitionen“, ABl. C 110 vom 30.4.2004, S. 111.

(5)  Die Finanzierung der Europäischen Union: Bericht der Kommission über das Funktionieren des Eigenmittelsystems.

(6)  ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 36, Ziffer 4.1.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Frauenorganisationen als nichtstaatliche Akteure bei der Umsetzung des Abkommens von Cotonou“

(2005/C 74/08)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Juli 2003 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Rolle der Frauenorganisationen als nichtstaatliche Akteure bei der Umsetzung des Abkommens von Cotonou“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 7. Juli 2004 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) mit 115 gegen 8 bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Bei den Maßnahmen der Europäischen Union zugunsten der Entwicklungsländer – insbesondere der AKP-Länder – konnte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Herausformung der Entwicklungszusammenarbeit der EU beobachten. Diese tendiert immer mehr zu einem partizipativen Ansatz, d.h. zur Beteiligung und Anerkennung der Rolle der nichtstaatlichen Akteure (NSA) bei der Definition und Durchführung der Maßnahmen. Institutionen und NSA ergänzen sich dadurch gegenseitig im Sinne einer gesteigerten Wirkung der Entwicklungsprogramme.

Das Abkommen von Cotonou ist derzeit das einzige Beispiel für die Institutionalisierung einer solchen Beteiligung, denn in ihm werden die Regierungen zur umfassenden Beteiligung nichtstaatlicher Akteure an den verschiedenen Etappen nationaler Entwicklungsstrategien aufgefordert.

1.2

In Anbetracht dieser Grundgedanken sowie der Tatsache, dass der Ausschuss sich bereits in einer Stellungnahme zur „Rolle der Zivilgesellschaft in der europäischen Entwicklungspolitik“ äußerte, erscheint es ihm wichtig, die Frage der Beteiligung der Frauen und ihres grundlegenden, eigenen Beitrags zur Definition und Durchführung entwicklungspolitischer Maßnahmen in den AKP-Ländern im Rahmen des Cotonou-Abkommens zu vertiefen. Der Ausschuss will darauf hinweisen, wie wertvoll ihr Beitrag sein und wie dieser im Rahmen der Cotonou-Abkommen sowie bei allen entwicklungspolitischen Maßnahmen umfassend zur Geltung gebracht werden kann.

1.3

Ferner hat der Ausschuss als Sprachrohr der organisierten Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene früher schon „… die grundlegende Rolle der Frauen als erstrangige Akteure der Entwicklung“ hervorgehoben und die Notwendigkeit betont, „ihre Organisationen zu fördern und ihnen eine gleichberechtigte Teilnahme an den Beratungs- und Entscheidungsgremien zu sichern“ (Stellungnahme zu dem „Grünbuch über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten an der Schwelle zum 21. Jahrhundert - Herausforderungen und Optionen für eine neue Partnerschaft“, Berichterstatter: Herr Malosse, EXT 152/1997).

Von einer wirklichen Beteiligung der nichtstaatlichen Akteure im Allgemeinen und der Frauenorganisationen im Besonderen kann allerdings noch lange nicht gesprochen werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Im jüngsten Bericht der Weltbank (World Development Report 2004) ist von einem globalen Markt die Rede, der nicht mehr den Erfordernissen der Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Beschäftigung entspricht, insbesondere was die Beseitigung der Hemmnisse betrifft, die ein gerechtes und nachhaltiges Wachstum in allen Ländern auf der Nord- und Südhalbkugel behindern. Im Jahr 2002 betrug das Pro-Kopf-Einkommen von fünf Sechsteln der Weltbevölkerung weniger als 1.200 Dollar, wohingegen das restliche Sechstel der größtenteils in den reichsten Ländern der Erde lebenden Weltbevölkerung über ein Jahreseinkommen von durchschnittlich über 26 000 Dollar verfügte.

2.2

Bis heute kann keine der internationalen Institutionen (IWF, Weltbank, WTO, IAO, UNO usw.) uneingeschränkt als demokratische und weltweit agierende Regelinstanz operieren und von sich aus die Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung von Ländern und sozialen Schichten eindämmen.

2.3

Ferner sind die Entwicklungsländer insbesondere in einer Zeit eines in den meisten Ländern schwachen Wirtschaftswachstums dazu gezwungen, von internationalen Einrichtungen empfohlene oder geforderte strukturökonomische Anpassungsmaßnahmen durchzuführen, die für sie schwer tragbar sind und in erster Linie die ärmeren Bevölkerungsteile treffen. Strukturwandel ohne angemessene soziale Schutzmaßnahmen hat zum Anstieg der Armut, prekären Lebensverhältnissen und zu Unsicherheit in den einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen – sowohl des Nordens wie des Südens – geführt.

2.4

Im Laufe der letzten Jahre verschärfte sich außerdem die Diskrepanz zwischen regulärer Weltwirtschaft und lokaler Schattenwirtschaft. Personen mit irregulären Beschäftigungsverhältnissen haben keine Arbeitnehmerrechte, auch wenn sie einen realen Beitrag zum Wirtschaftswachstum ihres Landes leisten.

2.5

In dem von diesem Phänomen betroffenen Bevölkerungssegment stellen die Frauen die Mehrheit und sind deshalb am meisten durch diese Verhältnisse benachteiligt. Frauen, die in den Entwicklungsländern in Armut leben, haben nicht nur keinen Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, sondern sind häufig auch Opfer schwerer Verstöße gegen die Menschenrechte sowie gegen ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rechte.

2.6

Gerade Frauen sind von Armut, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betroffen.

2.7

Auf den verschiedenen Konferenzen der Sonderorganisationen und Organe der Vereinten Nationen wurden zahlreiche Vorschläge für frauenfördernde Maßnahmen, Aktionen und Projekte erarbeitet. Unlängst wurden auf dem Millenniumsgipfel der VN zwei Schlüsseldokumente zu den „Millenniums-Entwicklungszielen“ angenommen. In beiden Texten gehören die Gleichstellung der Geschlechter und die volle Teilhabe der Frauen an den Entscheidungsprozessen sowie die Notwendigkeit der Prävention von Krankheiten und die Gesundheitsfürsorge zu den wichtigsten Themen.

3.   Europäische Institutionen und Maßnahmen zum „gender mainstreaming“

3.1

Nach Artikel 3 EGV wirkt die EU bei allen vorgesehenen Tätigkeiten – einschließlich Entwicklungszusammenarbeit - darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.

3.2

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben die auf der vierten Weltfrauenkonferenz in 1995 in Peking verabschiedete Erklärung und Aktionsplattform unterzeichnet. Darin wurde eine umfassende Strategie zur Beseitigung aller Hindernisse, die der Gleichstellung im Wege stehen, lanciert und der Grundsatz des „mainstreaming“ zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter festgelegt. Als direkte Folge der in Peking eingegangenen Verpflichtungen und der Unterstützung für die Aktionsplattform wurde die Verordnung (EG) Nr. 2836/98 über die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Entwicklungszusammenarbeit angenommen.

3.3

Dieses Rechtsinstrument, das bis Dezember 2003 galt, wurde durch eine neue Verordnung für den Zweijahreszeitraum 2004-2006 ersetzt, welche die Zielsetzungen, d.h. „mainstreaming“ zusammen mit spezifischen Maßnahmen der Frauenförderung unter Förderung der Gleichstellung der Geschlechter verstärkt und als wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung bekräftigt. Darin wird ferner die Unterstützung für öffentliche und private Aktionen in den Entwicklungsländern festgeschrieben, die das Ziel der Förderung der Gleichstellung verfolgen.

3.4

Die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die „Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit“ ist ein wichtiger Bezugspunkt für die Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Als prioritäres und wichtiges Handlungsfeld wird die Möglichkeit von Frauen genannt, auf Ressourcen und Leistungen - insbesondere in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Teilhabe an der politischen Beschlussfassung - zurückzugreifen und darauf Einfluss zu nehmen. In dem Dokument wird auch die Notwendigkeit geschlechts- und altersspezifischer Statistiken betont, damit neue Methoden für die Maßnahmen, Untersuchungen, Wirkungsanalysen usw. entwickelt und verbreitet werden können.

4.   Cotonou: Partizipativer Ansatz und Geschlechterfragen

4.1

Das am 23. Juni 2000 mit den AKP-Ländern unterzeichnete Abkommen von Cotonou stellt einen Wendepunkt in der Wirtschafts- und Handelspolitik der EU dar. Denn erstmals wird darin die Einbindung der nichtstaatlichen Akteure (NSA) in die Ausarbeitung der nationalen Entwicklungsstrategien festgeschrieben, denen somit neben den staatlichen Institutionen eine wichtige Rolle zukommt. In dem Abkommen werden als NSA definiert: der Privatsektor, die wirtschaftlichen und sozialen Gruppen einschließlich der Gewerkschaftsorganisationen sowie die Zivilgesellschaft in all ihren einzelstaatlichen Ausprägungen.

4.2

Das Abkommen sieht vor, dass die nichtstaatlichen Akteure über die Kooperationspolitiken und -strategien, über die Prioritäten der Zusammenarbeit in dem sie unmittelbar betreffenden Bereich und über den politischen Dialog informiert und angehört werden, Zugang zu den Mitteln für die Förderung der lokalen Entwicklungsprozesse erhalten und in die Durchführung der Strategien und Programme in den sie betreffenden Gebieten oder Sektoren einbezogen werden müssen. Außerdem sollen sie Unterstützung und Hilfe beim Ausbau ihrer Kapazitäten erhalten. Dadurch sollen ihre Kompetenzen gesteigert werden, insbesondere in Bezug auf die Organisation, Vertretung und Durchführung der Verfahren der Konsultation, des Austausches und des Dialogs zum Zweck der Förderung strategischer Bündnisse.

4.3

Darüber hinaus rückt das Abkommen entsprechend der geltenden Gemeinschaftspolitik den Bezug zwischen Politik, Handel und Entwicklung in den Vordergrund. So stützt sich denn auch die Partnerschaft auf die Wechselbeziehung folgender fünf Säulen: umfassende politische Dimension, Förderung des partizipativen Ansatzes, Ziel der Armutsbekämpfung, Schaffung eines neuen Rahmens für die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit und Reform der finanziellen Zusammenarbeit.

4.4

Die Entwicklungsstrategien sollen darüber hinaus systematisch die Gleichstellung von Männern und Frauen berücksichtigen, die eine von drei Querschnittsfragen des Abkommens (Artikel 8 und 31) darstellt.

4.5

Vor diesem Hintergrund institutionalisiert das Abkommen von Cotonou die Rolle des Ausschusses als bevorzugter Ansprechpartner der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen der AKP-Länder. Er hat einen ausdrücklichen Konsultationsauftrag für die Organisationen der Zivilgesellschaft.

5.   Mitwirkung der Vereinigungen, NRO und Organisationen von Frauen

5.1

Mit Blick auf die Leitlinien der Union für die Beteiligung und Geschlechterperspektive und angesichts der Bedeutung, die dem Ausschuss in diesem Abkommen zugewiesen wird, soll die spezielle Rolle der Frauen und ihre Mitwirkung am zivilen Dialog im Rahmen des Abkommens von Cotonou genauer beleuchtet werden.

5.2

Selbstverständlich können die Frauen der AKP-Länder nicht als eine homogene Gruppe betrachtet werden, da sie in einer sehr großen Anzahl von Ländern in unterschiedlichen Regionen leben. Dabei handelt es sich um grundlegende Unterschiede in puncto Religion, kulturellem Hintergrund, wirtschaftlicher und gesellschaftliches Stellung, Einkommenshöhe oder ländliches bzw. städtisches Lebensumfeld. Gleichwohl muss nach Wegen gesucht werden, die Frauen in die im Cotonou-Abkommen eingeführten Partizipationsprozesse einzubeziehen – wobei sich Verallgemeinerungen allerdings nur schwer vermeiden lassen.

5.3

Eine erste Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass die Geschlechterfragen in den „Leitlinien für die Grundsätze und guten Praktiken einer Mitwirkung der nichtstaatlichen Akteure“ an den Konsultationen und im Dialog über die Entwicklung nur am Rande erwähnt werden. Auch in der „Ersten Bewertung der Bestimmungen des Abkommens von Cotonou im Hinblick auf die Beteiligung der nichtstaatlichen Akteure an den Planungsprozessen“ (vom 23.1.2004) fehlen noch quantitative und qualitative Daten über die Beteiligung der Frauen.

5.4

Aussagen in verschiedenen Foren und regionalen Seminaren zufolge scheint in den meisten Fällen die Beteiligung der Vereinigungen, NRO und Organisationen von Frauen an der Ausarbeitung der nationalen Strategien bislang ziemlich dürftig zu sein.

5.5

Offenbar klafft zwischen den Absichtsbekundungen und den Erklärungen des Abkommens und ihrer tatsächlichen Umsetzung eine große Kluft. Eher spärlich sind wohl auch die Aktionen und Maßnahmen zur Förderung der Frauenbeteiligung.

5.6

Natürlich ist es in einem Umfeld, in dem die Errichtung und Strukturierung eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft an sich schon schwierig ist, noch schwieriger, den Raum zu vergrößern, der den Frauen zukommt. Darüber hinaus ist die Umsetzung der Bestimmungen des Abkommens in Bezug auf die Beteiligung von Frauen ein Prozess, der noch in den Anfängen steckt und bei dem sowohl der Kommission, deren Rolle unserer Meinung nach ausschlaggebend sein kann, als auch den Regierungen und den nichtstaatlichen Akteuren selbst, deren Leistungsfähigkeit, Befugnisse und Organisationsgrad je nach Bereich unterschiedlich ausgeprägt sind, die Schlüsselrolle zukommt.

5.7

Die Hindernisse, die der Umsetzung eines partizipativen Ansatzes im Allgemeinen im Wege stehen, sind vielfältig und unterschiedlicher Natur. U.a. wurde in einer früheren Stellungnahme (1) auf folgende Punkte hingewiesen:

der vehemente Widerstand der meisten Regierungen der Drittstaaten gegen einen Dialog mit den nichtstaatlichen Akteuren;

auch dort, wo dieser Dialog vorgesehen ist, sind die Möglichkeiten der nichtstaatlichen Akteure, de facto Einfluss auf die Festlegung der Programme und der Entwicklungsstrategien zu nehmen, sehr stark begrenzt;

aufgrund des hohen Zentralisierungsgrades der Verwaltung in diesen Ländern, der die Teilnahme der nichtstaatlichen Akteure im Allgemeinen nicht fördert, werden die lokalen Betroffenen an der Peripherie, vor allem die Betroffenen im ländlichen Raum, die besonders schwer zu erreichen und häufig auch am ärmsten sind, ins Abseits gedrängt;

es fehlen präzise Regeln und Normen für eine wirksame Teilnahme der nichtstaatlichen Akteure; in vielen Fällen ist die Zivilgesellschaft in den Drittstaaten kaum organisiert: oft ist das Hauptproblem die Entwicklung der Fähigkeiten der Personen, die am Prozess teilnehmen sollten;

der Zugang zu Finanzmitteln, der in engem Zusammenhang mit der Verbreitung und dem Zugang zu Informationen steht. Die nichtstaatlichen Akteure in den Drittländern beklagen, dass häufig keinerlei systematische Informationsverbreitung erfolgt, und die Verfahren für die Gewährung von Krediten sind – wie die nichtstaatlichen Akteure belegen – in den meisten Fällen allzu aufwendig und kompliziert.

5.8

Im Hinblick auf die Beteiligung der Frauen werden diese Hindernisse noch durch objektive Bedingungen verschärft, die einerseits auf sozioökonomische, kulturelle und religiöse Faktoren und andererseits darauf zurückzuführen sind, dass viele Regierungen mit den Grundrechten im Allgemeinen und mit denen der Frauen im Besonderen nur in geringem Maße vertraut sind.

5.9

Unter diesem Gesichtspunkt beruft sich das Cotonou-Abkommen auf die Achtung der Menschenrechte, der Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit als wesentliche Elemente der Partnerschaft und sieht vor, dass im Falle schwerwiegender Verstöße entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und diese dem Vertragspartner mitzuteilen sind. Es wäre gleichwohl wünschenswert - und der Ausschuss hat darauf bereits in einer früheren Stellungnahme (Partnerschaftsabkommen AKP-EU, 521/2002, Baeza San Juan) hingewiesen -, dass genauere Kriterien für die Achtung dieser Grundsätze festgelegt werden.

6.   Frauen in Entwicklungsprozessen und wichtigste Handlungsfelder

6.1

Im Grunde steht die Frage nach der Mitwirkung der weiblichen Zivilgesellschaft in engem Zusammenhang mit der Rolle der Frau in den Entscheidungsprozessen und im gesamten Entwicklungsprozess. Von daher wäre ein breiterer Überlegungshorizont angebracht.

6.2

Frauen können nicht nur einen wichtigen Beitrag zu Entwicklungsprozessen leisten, sondern sie sollten auch von den Vorteilen und Chancen der Entwicklung profitieren können.

6.3

Denn in den Entwicklungsländern und insbesondere in den AKP-Staaten sind die Frauen ein schwaches Glied der Gesellschaft und leiden noch stärker an Armut und Entbehrungen, gerade weil sie keinen ausreichenden Zugang zu den Ressourcen und ihrer Kontrolle haben, was es ihnen ermöglichen würde, die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern und zur Wirtschaftsentwicklung ihres Landes beizutragen.

6.4

Der Zugang zu den Ressourcen und ihrer Kontrolle erweist sich somit als eine unabdingbare Voraussetzung für die Bekämpfung von Armut und das Ingangsetzen zukunftsfähiger und nachhaltiger Entwicklungsprozesse.

Ferner erfolgt die Beteiligung von Frauen am Wirtschaftsleben meistens im Rahmen der Schattenwirtschaft, die aber gerade von makroökonomischen Strukturmaßnahmen am unmittelbarsten betroffen ist.

6.5

Trotz der Millenniums-Entwicklungsziele, die die Union in der Absicht befürwortet hat, die Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren, besteht die Gefahr, dass sich die Verhandlungsführer beider Seiten nur um politische und makroökonomische Wirkungen kümmern und darüber die umfassenderen Ziele der Auswirkungen der ausgehandelten Ziele auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen außer Acht lassen. Die Initiativen, welche die Europäische Kommission zur Schaffung von Überwachungsinstrumentarien zur Bewertung der Auswirkungen dieser Abkommen ergreift, müssen unterstützt werden.

6.6

Unter den von den Vereinten Nationen, der FAO und anderen internationalen Organisationen ausgemachten Problembereichen lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende prioritäre Handlungsbereiche herausfiltern:

—   Bildung und Ausbildung

Es ist belegt, dass die Förderung der Bildung und Ausbildung nicht nur das Leben des Einzelnen verbessert, sondern auch positive Folgen für die lokale Gemeinschaft zeitigt. Die Korrelation zwischen Bildung und anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen und ihre Auswirkung auf die Rolle der Frauen (mit Schulbildung) geht aus vielen Untersuchungen, Forschungen und Statistiken hervor. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, dass schulische Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten auch in den ländlichen und den am meisten benachteiligten Gebieten der Entwicklungsländer zur Verfügung stehen und der kostenlose Zugang sowohl für Frauen als auch für Männer gewährleistet ist. Weltweit besuchen selbst heute noch 24 % der Mädchen im Grundschulalter keine Bildungseinrichtung (bei Jungen beträgt diese Quote 16 %). In den Entwicklungsländern verfügen 61 % aller Männer zumindest über eine Grundschulausbildung, dagegen nur 41 % der Frauen.

—   Zugang zu Ressourcen

Der Zugang von Frauen zu Kapitalmitteln, insbesondere die Möglichkeit des leichten Zugangs zu Bank- und Kleinstkrediten, zu Sparmöglichkeiten und Versicherungsdienstleistungen muss als vordringliches Handlungsfeld angesehen werden. Die Verbreitung von Informationen über diese Instrumente gehört zu den zentralen Handlungsmöglichkeiten. Von den Vereinten Nationen wurde bereits eine Reihe diesbezüglicher Empfehlungen vorgelegt, die insbesondere die Verbesserung des Zugangs von Frauen zu Finanzmitteln betreffen. Ferner müssten in Anbetracht der raschen Veränderungen der Wirtschaft und des Weltmarkts alle Aspekte förderungsrelevanter Ressourcen unter frauenspezifischen Gesichtspunkten untersucht werden. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Zugang zu und der Kontrolle von wirtschaftlichen Ressourcen, öffentlichen Gütern und Dienstleistungen sowie Grundeigentum haben die Frauen ihrer Grundrechte, ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, ihres Einflusses und einer unabhängigen Position in den politischen und sonstigen Entscheidungsprozessen beraubt.

—   Beschäftigungspolitische Maßnahmen

Trotz einiger kleiner Fortschritte im Bereich der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt kann in den AKP-Ländern in Bezug auf den Zugang zum offiziellen Arbeitsmarkt mit angemessenen Löhnen sicherlich nicht von Chancengleichheit gesprochen werden. In den Entwicklungsländern bietet die Schattenwirtschaft die größten Verdienst- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen. In vielen AKP-Ländern ging der Verlust von Arbeitsplätzen vor allem zu Lasten der Frauen, und häufig ist das Schicksal der Frauen von Arbeitslosigkeit oder von rechtlich nicht geschützter Arbeit, von Schwarzarbeit oder von prekären Arbeitsverhältnissen mit oft unterhalb des Existenzminimums liegender Entlohnung gekennzeichnet. Die Möglichkeit des Zugangs zu Kleinstkrediten, der Förderung von Kleinstunternehmerinnen sowie des Landbesitzes ist für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens des Großteils der Männer und Frauen von grundlegender Bedeutung. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen wird dieses Recht Frauen in zahlreichen Entwicklungsländern praktisch verwehrt. Eine Untersuchung der Kreditvergabe in fünf afrikanischen Ländern hat ergeben, dass 10 % der Kredite für Kleinlandwirte an Frauen ausbezahlt wurden – und die restlichen 90 % an Männer.

—   Frauen und Gesundheit

Die reproduktive Gesundheit und das allgemeine Recht der Frau auf Gesundheit sind in vielen Entwicklungsländern keine geläufigen Begriffe, und dies hat äußerst negative Folgen nicht nur für die einzelnen Frauen, die lebensgefährlichen Risiken ausgesetzt sind, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Die Schwierigkeiten bei der Behandlung und Prävention von HIV/AIDS sowie die Auswirkungen der Verbreitung der Krankheiten auf Wirtschaft und Gesellschaft in zahlreichen Ländern – vor allem in Subsahara-Afrika – sind ein Beispiel für den Ernst der Lage.

Die sexuellen und biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau spiegeln sich auch im Gesundheitswesen und der Körperpflege wider. Die den Frauen zugeteilten Rollen sowie ihr Status werden ihrem Bedürfnis nach angemessenem Zugang zu Gesundheitsfürsorge und zu Arzneimitteln nicht gerecht und missachten außerdem ihre gesellschaftliche Verantwortung. Den unterschiedlichen frauenspezifischen Bedürfnissen wird äußerst geringe Aufmerksamkeit zuteil, was über die gesamte Lebenszeit der Frauen hinweg negative Auswirkungen nach sich zieht. Diese Lage ist dort noch dramatischer, wo das soziokulturelle Umfeld zur Rechtfertigung physischer, psychischer und sexueller Gewalt gegen Frauen neigt.

—   Bekämpfung aller Arten von Gewalt gegen Frauen

Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, selbst die Quantifizierung des Problems, bleibt eines der schwierigsten Unterfangen, wenn man an das – auch in westlichen Gesellschaften schwer ans Licht zu bringende – Phänomen der häuslichen Gewalt, die Verstümmelung von Geschlechtsorganen oder an den Menschenhandel denkt. Letztgenanntes Problem, dem Frauen und Mädchen in besonderem Maße ausgesetzt sind, nimmt offenbar ständig zu. Die häufig sehr jungen Opfer sind der sexuellen Sklaverei und anderen Arten von Zwangsarbeit ausgesetzt. Frauen, die in von Kriegen und Konflikten heimgesuchten Ländern leben, sind besonders stark allen Arten der Verletzung ihrer Menschenrechte ausgesetzt.

7.   Empfehlungen

7.1

Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Zielsetzungen für die Unterstützung der Frauen und die zu ergreifenden Maßnahmen eindeutiger und entschlossener definiert werden müssen, wenn die Europäische Union tatsächlich auf die Lebensbedingungen von Frauen und armen Menschen positiv einwirken möchte. Unverzichtbar ist vor allem eine größere Aufmerksamkeit in Bezug auf jene Anpassungspolitiken, deren Auswirkungen die Frauen und generell die schwächsten Bevölkerungsgruppen benachteiligt haben. Die Vorteile, die auch für diese gesellschaftlichen Gruppen bestehen, müssen deutlich gemacht werden.

7.2

In diesem Zusammenhang muss nach Auffassung des Ausschusses die Bewertung der Handelsabkommen der EU mit Drittstaaten – insbesondere mit den AKP-Ländern – spezifische Untersuchungen ihrer Auswirkungen auf die ärmsten Bevölkerungsgruppen und auf Geschlechterfragen beinhalten.

7.3

Mittel zur Stärkung von Verbänden und NRO, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter und für das „empowerment“ der Frauen engagieren, sind von grundlegender Bedeutung für eine umfassende Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Voraussetzungen in den Entwicklungsländern und für die Konsolidierung des sozialen Fortschritts und eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums.

7.4

In Anbetracht dessen geht es also nicht nur darum, eine umfassendere Einbindung der weiblichen Zivilgesellschaft zu fördern, sondern Grundvoraussetzungen für ihre tatsächliche Mitwirkung, Aufwertung und Förderung zu schaffen, damit sie in gleichem Maße wie die Männer an der Entwicklung ihrer Länder teilhaben können. Die Stärkung der Rolle der Frauen im partizipativen Prozess ist für die Erlangung von Entscheidungsbefugnissen ein entscheidender Faktor.

7.5

Die wichtigste Voraussetzung ist in jedem Fall, dass den Frauen ein gleichberechtigter Zugang zur Bildung und Ausbildung gewährleistet wird. In diesem Zusammenhang sollten alle Programme und Projekte, die dieses Ziel verfolgen, gefördert werden – von der ersten Alphabetisierung bis hin zur Unterstützung der Informatisierung und der Vernetzung von Frauenverbänden, um die Mitwirkung und die Aufwertung der Rolle von Frauen in der nationalen Entwicklung zu untermauern und zu gewährleisten.

7.6

Im Rahmen des von der Kommission angestoßenen Dezentralisierungsprozesses kommt den in den „Leitlinien für die Grundsätze und guten Praktiken einer Mitwirkung der nichtstaatlichen Akteure (24.2.2002)“ aufgeführten Delegationen besondere Bedeutung zu. Diese verfügen über einen großen Ermessensspielraum bei der Wahl der geeigneten Mittel und haben für eine größtmögliche Einbeziehung der nichtstaatlichen Akteure Sorge zu tragen. In den Leitlinien sind zwar keine expliziten Empfehlungen zu Teilhabe und Rolle von Frauenorganisationen zu finden, doch können die Delegationen nach Auffassung des Ausschusses eine wichtige Rolle bei der Ermittlung von Frauenverbänden und ihrer Beteiligung am zivilen Dialog, ihrer Vernetzung und der Formulierung einer Strategie zur Kapazitätsförderung für Frauen spielen.

Den Delegationen sollte bei der Förderung des „Gender mainstreaming“ besondere Verantwortung übertragen werden, und mindestens ein Kommissionsvertreter in den betreffenden Außenstellen müsste eine besondere Fortbildungsmaßnahme für Gleichstellungsfragen absolvieren.

7.7

Besondere Aufmerksamkeit muss deshalb darauf verwandt werden, Aufschluss über Umfang und Art bestehender Frauenorganisationen zu bekommen, da diesbezüglich häufig einschlägige Informationen fehlen.

Der Ausschuss kann bei der Suche nach europäischen Verbänden und Organisationen behilflich sein, die sich für die Unterstützung und Teilhabe von Frauen in den AKP-Ländern einsetzen.

7.8

In den Dokumenten zu den einzelstaatlichen Strategien müssten sowohl die Beteiligung der Frauen an der Redaktion als auch Maßnahmen und Aktivitäten zur Stärkung von Frauenverbänden ausdrücklich vorgesehen werden. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Kommission dabei ihren Einfluss geltend machen kann.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, eine besondere Haushaltslinie für Frauenorganisationen der Zivilgesellschaft in den AKP-Ländern einzurichten.

7.9

Generell müssten mit Blick auf die Förderkriterien für nichtstaatliche Akteure sowie auf den Zugang zu Finanzmitteln bevorzugte Kommunikationskanäle für Frauenorganisationen geschaffen werden.

7.10

Im Rahmen des Cotonou-Abkommens geschaffene Ausbildungsangebote zur Förderung der Tätigkeiten von Frauenorganisationen und -verbänden, die auf lokaler Ebene aktiv sind, können sich als ein nützliches Instrument zur Durchführung dieses Abkommens erweisen.

7.11

Der Ausschuss wird in diesem Sinne die Veranstaltung von Seminaren zur Ermittlung und Vertiefung der Fragen im Zusammenhang mit dem Status und der Teilhabe der Frauen in den AKP-Ländern unterstützen.

7.12

Der Ausschuss achtet auf eine ausgeglichene Beteiligung weiblicher Delegationen an den von ihm veranstalteten Seminaren und Treffen mit Frauen und Verbänden der AKP-Länder und mit Drittländern im Allgemeinen.

7.13

Der Ausschuss hat die Absicht, vor Ablauf der ersten Halbjahrs 2005 eine Konferenz mit Frauen und zivilgesellschaftlichen Organisationen der AKP-Länder mit folgenden Zielen zu veranstalten: verstärkte Beteiligung von Frauen an den Entscheidungsprozessen, Ermittlung der Hemmnisse sowie Konzeption von Strategien auf der Grundlage der Standpunkte der weiblichen Akteure der Entwicklungsprozesse.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  Die Rolle der Zivilgesellschaft in der europäischen Entwicklungspolitik (REX 097/2003).


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hin zum 7. Rahmenprogramm für Forschung: Forschungsbedarf im Rahmen des demographischen Wandels – Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“

(2005/C 74/09)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 29. Januar 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Hin zum 7. Rahmenprogramm für Forschung: Forschungsbedarf im Rahmen des demographischen Wandels – Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 14. Juli 2004 an. Berichterstatterin war Frau HEINISCH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) mit 144 Stimmen gegen 1 Stimme bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Angesichts des demographischen Wandels und der Chancen und Risiken für die Lebensqualität der wachsenden Zahl alter Menschen in Europa beantragt der Ausschuss,

(a)

eine Leitaktion zu dieser Thematik in das 7. Forschungsrahmenprogramm aufzunehmen und

(b)

begleitende Maßnahmen zu ergreifen, um fundierte Entscheidungsgrundlagen für rechtzeitiges politisches Planen, Entscheiden und Handeln auf europäischer wie auf nationalen Ebenen zu schaffen.

Begründung:

Biologische, psychologische, soziale, kulturelle, technologische, ökonomische und strukturelle Aspekte des Alterns sind eng mit einander verknüpft. Zugleich findet Altern immer in einem konkreten räumlichen und gesellschaftlichen Kontext statt. Dieser Kontext ist in Europa durch starke geographische, kulturelle und sozialstrukturelle Gegensätze charakterisiert. Beide Aspekte – die Multidimensionalität des Alternsprozesses sowie die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen er stattfindet – werden in derzeitigen Forschungsprogrammen nicht ausreichend berücksichtigt. Nur eine solchermaßen breit und langfristig angelegte Forschung kann aber die fundierten Planungs- und Entscheidungsgrundlagen bereitstellen, die in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Entscheidungsebenen angesichts der Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung benötigt werden.

Zu (a): Forschungsbedarf besteht insbesondere hinsichtlich

Wirtschafts- und Finanzpolitik (4.1),

Arbeit und Beschäftigung (4.2),

Lebenswirklichkeit alter Menschen (4.3),

Sozial-räumlichem Umfeld (4.4),

Lebensbegleitendem Lernen (4.5),

Gesunderhaltung und Pflege (4.6),

Neue Technologien (4.7),

Aufbereitung, Verknüpfung und Ergänzung bestehender Wissensbestände (4.7).

Die Multidimensionalität des Alternsprozesses sowie die unterschiedlichen kulturellen, ökonomischen und strukturellen Bedingungen, unter denen er stattfindet, machen eine langfristige, multi- und interdisziplinäre Forschung notwendig.

In Bezug auf Punkt (b) werden insbesondere folgende begleitende Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung von Artikel 85 der Europäischen Verfassung, der allen älteren EU-Bürgern das Recht auf ein Leben in Würde und auf aktive Teilnahme am öffentlichen Leben und an Entscheidungsprozessen garantiert, als notwendig erachtet:

Anwendung der „Offenen Methode der Koordinierung“, um eine einheitliche Vorgehensweise für und Klassifizierung von Indikatoren für die Lebensqualität älterer Menschen in den europäischen Ländern festzulegen; um Erfahrungsaustausch, inter-europäischen Vergleich und gegenseitiges Lernen zu ermöglichen, den Dialog zwischen den Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft und den zuständigen Generaldirektionen der Kommission zu fördern und sich über gemeinsame Wertvorstellungen im Hinblick auf die alternde Gesellschaft zu verständigen;

die Einrichtung einer gemeinsamen Beobachtungsstelle (European Observatory) zwecks Aufbaus einer Europäischen Agentur für Altersfragen und Datenbank zur Schaffung, Bündelung und Weitergabe von Wissen zur Verbesserung der „Offenen Methode der Koordination“ und zur Ableitung praxis- und politikrelevanter Folgerungen;

die Schaffung einer Kategorie „Alternde Gesellschaft“ beim EWSA;

Workshops und Konferenzen, um das Wissen über den demographischen Wandel und die Dringlichkeit von präventiven und begleitenden Maßnahmen zu erhöhen, Bewusstsein zu schärfen, Forschungsergebnisse möglichst breit bekannt zu machen und den Austausch zwischen den „alten“ und „neuen“ Mitgliedsländern zu fördern.

Ziel:

Schaffung einer umfassenden Wissensbasis

für politische Maßnahmen zur Erhaltung und wenn nötig Erhöhung der Lebensqualität heutiger und zukünftiger Generationen alter Menschen;

zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit Europas angesichts der Potentiale, die der demographische Wandel mit sich bringt.

2.   Einführung

2.1

Die demographische Veränderung der Bevölkerungsstruktur ist einer der großen historischen Erfolge und eine aktuelle Herausforderung unserer Zeit zugleich. Noch nie konnten ganze Generationen so berechtigt wie heute hoffen und erwarten, eine viele Jahre umfassende Lebensphase Alter zu erleben. Durch diese neu entstandene Lebensphase ergeben sich vielfältige positive Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch ganz neue individuelle und gesellschaftliche Aufgaben. In den meisten europäischen Ländern verfügen viele Ältere über ein ausreichendes Einkommen und die notwendigen physischen und kognitiven Kompetenzen, um die gewonnenen Jahre selbständig und befriedigend zu gestalten. Daraus ergeben sich neue Chancen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Mit zunehmendem Alter wächst allerdings auch das Risiko abnehmender physischer, sensorischer und kognitiver Kompetenzen und damit funktionaler Einschränkungen. Daneben gibt es Gruppen in der Gesellschaft, die nicht über die ausreichenden materiellen, sozialen und personalen Ressourcen verfügen, um ein Altern in Würde zu ermöglichen. Letzteres trifft insbesondere für eine große Zahl allein lebender alter Frauen zu. Auch zwischen den europäischen Ländern bestehen in dieser Hinsicht große Unterschiede. Zudem werden durch die Verschiebung der Altersstruktur in allen Ländern eine Umverteilung vorhandener Mittel und die Anpassung von Gesundheits- und sozialen Sicherungssystemen erforderlich. Das Altern der Bevölkerung betrifft – wenn auch in etwas unterschiedlichem zeitlichen Verlauf – alle Länder der Europäischen Union. In seinem Bericht über die Tätigkeiten des EWSA 2000-2002 schreibt der Präsident (Seite 69):

2.2

„Der Ausschuss wies ferner auf die besorgniserregende voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung hin, die vor allem Auswirkungen auf die Beschäftigung, die Gesundheit und den Ruhestand hat“.

2.3

Diese Entwicklung ist der Ausgangspunkt des vorliegenden Initiativberichts zum Forschungsbedarf im Bereich „Demographischer Wandel – Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“, mit dem beantragt wird, eine Leitaktion zu dieser Thematik in das 7. Forschungsrahmenprogramm aufzunehmen. Sie beinhaltet zwei getrennte, aber eng mit einander verwobene Aspekte: Zum einen den demographischen Wandel als solchen, der durch den Rückgang der Geburtenrate und die damit verbundene Veränderung der Familienstrukturen einerseits und die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung andererseits verursacht ist. Zum anderen das Altern und Alter als eigenständige Lebensphase mit ihrem hohen Potenzial für soziale, kulturelle, organisatorische, technologische und wirtschaftliche Innovationen, aber auch Risiken. Für beide Aspekte besteht Forschungsbedarf sowohl im Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Folgen und entsprechenden politischen Handlungsbedarf (Makroebene) wie auf die Folgen und entsprechenden Handlungsbedarf zur Sicherung der Lebensqualität der älteren Bürgerinnen und Bürger, wobei stets geschlechtsspezifisch unterschiedliche Lebenslagen berücksichtigt werden müssen (Mikroebene).

3.   Hintergrund und Begründung der Initiative

3.1

Aufgrund der historischen Neuartigkeit des demographischen Wandels und der damit verbundenen Veränderungen der Bevölkerungs- und Sozialstruktur besteht ein erhöhter Wissensbedarf, damit die Konsequenzen für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung abgeschätzt und fundierte Entscheidungsgrundlagen für rechtzeitiges politisches Planen, Entscheiden und Handeln sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene geschaffen werden können. Stellungnahmen des EWSA und Mitteilungen der Kommission zur Beschäftigungspolitik (1), zur Sozialen Integration (2), Gesundheitspflege, Lebensbegleitendem Lernen (3), etc. weisen ebenfalls in diese Richtung.

3.2

Eine solche Wissensbasis bildet zugleich die Voraussetzung für soziale, kulturelle, organisatorische, wirtschaftliche und technologische Innovationen, die zum einen die Lebensqualität alter Menschen erhalten und zum anderen zu einer Entlastung der Gesundheits- und Sozialsysteme beitragen können. Besonders die rasch wachsende Zahl hochaltriger Menschen und – zum Teil dadurch bedingt – die gleichzeitige Existenz mehrerer Generationen Älterer macht auch ganz neuartige Dienstleistungen und Berufe erforderlich.

3.3

Projekte, die im 5. FRP in der Leitaktion „Alterung der Bevölkerung“ (Key Action 6) unter dem Thematischen Programm „Lebensqualität und Management lebender Ressourcen“ gefördert wurden, erbrachten bereits eine Reihe wichtiger Einzelergebnisse zu dieser Thematik. Die GD Forschung hat unlängst eine Halbzeitbewertung über die Erkenntnisse bzw. die Erfahrungen mit dieser interdisziplinären Key Action veröffentlicht. Ebenso kann die Umsetzung von Projektergebnissen des Telematik-Programms zur Erhöhung der Lebensqualität älterer Menschen und von Personen mit Behinderungen beitragen. Der ganzheitliche Ansatz, wie er im Telematik-Programm Ende der 1990er Jahre vertreten wurde, hat sich jedoch noch nicht allgemein durchgesetzt.

3.4

Im 6. FRP wird Forschungsförderung zum Altern der Bevölkerung und den individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Prozesses lediglich in einigen wenigen untergeordneten Bereichen der Schwerpunkte „Life Sciences, genomics and biotechnology for health“ (Priorität 1), „Information society technologies“ (Priorität 2), „Citizens and governance in a knowledge-based society“ (Priorität 7) und „FTE zur Politikunterstützung und Planung im Vorgriff auf den künftigen Wissenschafts- und Technologiebedarf“ (Priorität 8) sowie als „ERA-Net“ weitergeführt.

3.4.1

Wichtige politikrelevante Erkenntnisse sind insbesondere aus den derzeit unter der Priorität 8 laufenden Projekten zur demographischen Vorausschau und zu Gesundheitskosten und –ausgaben im Hinblick auf den Alternsaspekt zu erwarten. Spezielles strategisches Ziel im IST-Programm ist die Förderung der Integration von älteren Menschen und Behinderten in die Informationsgesellschaft. Auch in diesem Bereich gibt es bereits eine Reihe nützlicher Ergebnisse und vielversprechender Projekte mit großen Konsortien und Industriebeteiligung. Trotzdem sind weiterhin große Anstrengungen erforderlich, um noch bestehende Lücken zu schließen. Als eigener Schwerpunkt ist die „Alterung der Bevölkerung“ unter den thematischen Prioritäten jedoch nicht mehr ausgewiesen.

3.5

Es ist zu erwarten, dass die im 5. und 6. FRP geförderten medizinisch-biologisch orientierten Projekte große Wissensfortschritte im Hinblick auf physiologische und biologische Alternsprozesse, auf die Bekämpfung von Krankheiten und die Förderung und Erhaltung von Gesundheit erbringen werden.

3.6

Erkenntnisse in diesem Bereich sind ohne Frage wichtig. Sie können jedoch weder die Probleme lösen, vor die alte Menschen gestellt sind, noch tragen sie in naher Zukunft zur Bewältigung der gesellschaftlichen Aufgaben bei, die durch die wachsende Zahl älterer Menschen und insbesondere die steigende Zahl hochaltriger Personen auf die europäischen Gesellschaften als Ganzes zukommen. Aufgrund der relativ niedrigen Geburtenziffern ist der Anteil der jungen Menschen (unter 20 Jahre) an der Gesamtbevölkerung der EU zwischen 1960 und 2001 von 32 % auf 23 % zurückgegangen, während der Anteil älterer Menschen (ab 60 Jahre) im gleichen Zeitraum von 16 % auf 22 % angestiegen ist. Der Altenquotient, das heißt der Prozentsatz der Bevölkerung von 60 und mehr Jahren bezogen auf die Bevölkerung von 20 bis unter 60 Jahren, stieg in dieser Zeit von 29,5 % auf 38,9 %. In den nächsten Jahren wird der Anteil älterer Menschen aufgrund des Geburtendefizits der letzten drei Jahrzehnte weiter zunehmen und im Jahr 2020 27 % der Bevölkerung ausmachen. Das bedeutet, dass dann mehr als ein Viertel aller europäischen Bürger und Bürgerinnen 60 Jahre oder älter sein wird (4). Die Zahl der Hochaltrigen steigt dabei besonders stark (siehe auch 4.5.1). Angesichts der großen Reichweite und der derzeit noch gar nicht absehbaren Konsequenzen, die das Altern der Bevölkerung in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen nach sich ziehen wird, muss die Forschungsperspektive deutlich erweitert werden. So wie das Altern selbst nicht allein ein biologischer Prozess ist, sondern viele unterschiedliche Facetten in einem viele Jahre andauernden Prozess umfasst, so muss auch Forschung zu Alter und Altern einen langfristigen, multi- und interdisziplinären Ansatz verfolgen. Forschungsziel kann nicht nur sein, die Gesundheit zu verbessern und die Lebenszeit zu verlängern. Vielmehr muss es auch darum gehen, durch Forschung zur Erhöhung der Lebensqualität in den gewonnenen Jahren beizutragen.

3.7

Deshalb sollte in das 7. FRP eine Leitaktion zu den Herausforderungen des demographischen Wandels aufgenommen werden, die die bisherige eher medizinisch-biologisch orientierte Forschung um eine sozial- und verhaltenswissenschaftlich, kulturell, sozio-ökonomisch und auf Prävention im Lebenslauf hin orientierte Perspektive ergänzt. Ein solcher ganzheitlicher Forschungsansatz muss sowohl Grundlagenforschung als auch anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung beinhalten (5). Außerdem sollten die repräsentativsten europäischen Organisationen älterer Menschen einbezogen werden, wie es im 2. Weltaltenplan, verabschiedet im Rahmen der Zweiten Weltversammlung zu Fragen des Alters im April 2002 in Madrid, und in der von der UNECE anlässlich der Ministerkonferenz in Berlin im September 2002 verabschiedeten Strategie empfohlen wird. Angesichts der langen und komplexen politischen Entscheidungsprozesse ist eine solche Forschungsförderung äußerst dringlich. Im Folgenden wird dieser Forschungsbedarf für einige Bereiche näher ausgeführt.

4.   Der Forschungsbedarf im Einzelnen

Die vorliegende Initiative richtet sich insbesondere auf den Forschungsbedarf, der im Hinblick auf ein lebenswertes Leben und Altern der europäischen Bürgerinnen und Bürger unter den Bedingungen des demographischen Wandels besteht. Dazu gehören zum einen die Alternsprozesse und Lebensumstände der Betroffenen selbst, die sich in den verschiedenen Ländern Europas sehr unterschiedlich gestalten können. Zum anderen gehören dazu die jeweils bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die in den einzelnen Ländern ebenfalls sehr unterschiedlich sind.

Aus der Vielzahl der Bereiche, die von den Veränderungen der Bevölkerungsstruktur berührt werden, seien hier nur diejenigen benannt, in denen ein besonders großer Innovationsbedarf und damit auch ein erhöhter Forschungsbedarf in Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen besteht.

4.1   Forschungsbedarf im Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik

4.1.1

Ein erster zentraler Aspekt, der im 6. FRP zu kurz kommt, ist eine sozio-ökonomische Perspektive auf die Auswirkungen des demographischen Wandels, die nach Untersuchungen des DG for Economic and Financial Affairs gravierend sein werden. Deshalb ist eine solide Wissensbasis notwendig, die es erlaubt, Daten über Einkommen und Beschäftigung zu verknüpfen mit Daten zu Gesundheit und sozialem Verhalten. Um fundierte Prognosen zu ermöglichen, müssen Statistiken kontinuierlich und über längere Zeitperioden hinweg erhoben werden (gute Beispiele hierfür sind die English Longitudinal Study of Ageing [ELSA] zu Gesundheit und der US-amerikanische Retirement Survey [HRS]). Daher ergeben sich folgende Forschungsfragen:

Demographische Prognosen sind ziemlich unsicher, aber Politiker müssen Gesundheitsversorgung, Sozial- und Alterssicherung konkret planen. Welche Daten werden benötigt und müssen erhoben werden, um entsprechende politische Maßnahmen unterstützen zu können?

Welche Bedeutung hat der demographische Wandel auf Verbrauch und Sparverhalten? Welche Verhaltensweisen sind zu erwarten und welche sind im Hinblick auf die höhere Lebenserwartung angemessen?

In welcher Weise hängen eine alternde Bevölkerung und Produktivität zusammen? Welche Konsequenzen ergeben sich für Produktivität, Innovationsfähigkeit und Unternehmertum?

Wie können die positiven Potentiale, die sich aus der demographischen Entwicklung im Hinblick auf neue Produkte und Dienstleistungen ergeben, zum Wohle der heutigen und zukünftigen alten Menschen und zugleich für die Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung Europas (Stichwort „Knowledge Economy“) genutzt werden?

Welches ökonomische Verhalten ist von zukünftigen älteren Menschen zu erwarten, die zum großen Teil gesünder, besser gebildet und mobiler als die heutigen Generationen alter Menschen sein werden, deren Situation sich aber insbesondere in den schwächeren sozialen Schichten zu verschlechtern droht? (Vgl. dazu auch 4.2.1 und 4.3.6)

4.2   Forschungsbedarf im Bereich Arbeit und Beschäftigung

4.2.1

Angesichts der Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung und der dadurch erforderlichen Umverteilung knapper Ressourcen, die nicht in einem entsprechenden Verhältnis zunehmen können, sind in Zukunft sowohl Unternehmen und soziale Sicherungssysteme als auch die älter werdenden Menschen selbst darauf angewiesen, dass die Arbeitskraft und das Wissen Älterer länger genutzt werden, als es zur Zeit der Fall ist (6). Es ist bekannt, dass Ältere generell nicht weniger leistungsfähig sind als Jüngere, dass aber einige Kompetenzen nachlassen, während andere zunehmen. Daraus ergibt sich folgender Forschungsbedarf:

In welchen Arbeitsfeldern können ältere Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten auch mit zunehmendem Alter besonders gut einbringen?

Welche alternativen Arbeitsmöglichkeiten und Strukturen sind zu schaffen, damit Erwerbstätigkeit auch im höheren Lebensalter attraktiv bleibt? Wäre z.B. Zeitarbeit ein gangbarer Weg?

Wie können Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verbessert werden, um eine längere aktive Beteiligung von Arbeitern und Arbeiterinnen am Erwerbsleben zu ermöglichen?

Wie müssen Arbeitsplätze und Arbeitsumfeld gestaltet und Arbeitsrhythmen und -organisation geregelt werden, um Älteren ein optimales Arbeiten zu ermöglichen? Inwieweit kann angepasste Technik dabei unterstützen?

Wie können insbesondere Langzeitarbeitslose und Personen, die aus anderen Gründen (z.B. wegen Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen) längere Zeit nicht erwerbstätig waren, wieder ins Arbeitsleben integriert werden?

Aus welchen Gründen trennen Firmen sich von älteren Arbeitnehmern? Weshalb steigt insbesondere die Arbeitslosigkeit älterer Frauen?

Welche Hindernisse bestehen bezüglich einer längeren Beschäftigung oder Neueinstellung älterer Arbeitnehmer und wie können sie beseitigt werden?

Wie flexibel können und müssen Übergänge von der vollen Erwerbsarbeit in den Ruhestand gestaltet werden, damit sie für die älteren Arbeitnehmer, die Betriebe und die zuständigen sozialen Sicherungssysteme gleichermaßen von Nutzen sind?

Wie kann und muss Wissenstransfer erfolgen, damit das in vielen Jahren erworbene Wissen und die große Erfahrung älterer Arbeitnehmer so an Jüngere vermittelt werden kann, dass diese das „alte“ Wissen gerne aufgreifen, in ihren „jungen“ Wissensstand integrieren und so für sich und zum Nutzen eines Betriebes verwerten können?

Zu Weiterbildungsmaßnahmen vgl. Abschnitt 4.5.

Der wachsende Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung macht zudem die Erweiterung bestehender als auch die Schaffung neuer Berufsfelder erforderlich. Es fehlen jedoch Informationen darüber, in welchen Bereichen eine Ausweitung beruflicher Fähigkeiten besonders dringlich ist, um den Anforderungen und Bedürfnissen älterer Menschen zu entsprechen, und in welchen Bereichen neue Tätigkeitsfelder erforderlich sind und sich damit neue Chancen der Beschäftigung bieten.

Diese Entwicklungen sollten analysiert werden

im Hinblick auf die Veränderungen der Einkommens- und Verbrauchsstrukturen, die mit dem demographischen Wandel verbunden sind (vgl. auch 4.1.1 und 4.3.6);

im Hinblick auf die im Alter geringer werdende Mobilität: zu denken wäre hier an neu zu entwickelnde häusliche Dienstleistungen wie z.B. Friseur und Fußpflege, die ins Haus kommen, sowie an Ferndienstleistungen wie z.B. Tele-Shopping, -Beratung und ähnliche Dienste.

Zu beschäftigungspolitischen Fragen speziell in den Bereichen Gesundheit und Pflege vgl. Abschnitt 4.6.

4.3   Forschungsbedarf zur alltäglichen Lebenswirklichkeit alter Menschen

4.3.1

Altern ist nicht nur ein biologischer, sondern insbesondere auch ein sozialer Prozess. Diese sozialen Rahmenbedingungen sehen in und zwischen den verschiedenen Ländern Europas sehr unterschiedlich aus. Dies betrifft zum einen die Makroebene historisch gewachsener politischer und sozialer Systeme und zum anderen die Mikroebene individueller Biographien und Ressourcen. Entsprechend unterschiedlich sind die Bedingungen des Alterns und Alters für einzelne Bevölkerungsgruppen. Diese Unterschiede - sei es in Bezug auf die andersartigen Voraussetzungen von Frauen und Männern, auf biographische und/oder berufliche Erfahrungen, auf materielle Lebensverhältnisse etc. -, müssen bei der Erforschung der alltäglichen Lebenswirklichkeit alter Menschen berücksichtigt werden.

4.3.2

Zwischen den europäischen Ländern bestehen große Unterschiede in Bezug auf Klima, Topographie, Siedlungsdichte und –formen, Verkehrsinfrastruktur, wohlfahrtsstaatliche Regelungen und viele weitere Aspekte, die die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Lebensführung und aktiven gesellschaftlichen Beteiligung beeinflussen. In einigen Ländern gibt es Mindestrenten, die eine ausreichende finanzielle Basis für eine befriedigende Lebensführung im Alter bilden, in anderen deckt die Rente nicht einmal die Grundbedürfnisse. Zwischen und innerhalb der einzelnen Länder und innerhalb der großen Gruppe alter Menschen bestehen große Unterschiede.

Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Wohlfahrtssysteme der europäischen Länder auf die Lebensqualität ihrer älteren Bürgerinnen und Bürger?

Durch was für präventive Maßnahmen können Benachteiligungen ausgeglichen werden, die alten Menschen den Zugang zu günstigen Wohnungen, bequemen Verkehrsmitteln, kulturellen Angeboten, gesunder Ernährung und/oder neuen Technologien erschweren und dadurch ihre Lebensqualität beeinträchtigen?

Wie kann angesichts der Kürzungen von Sozialleistungen und von Leistungen im Gesundheitswesen insbesondere die Lebensqualität derjenigen alten Menschen gewährleistet werden, deren physische und soziale Existenz durch Armut, chronische Krankheit, geringe Bildung, unzureichende Sprachkenntnisse oder andere fehlende Ressourcen bedroht ist?

Unter welchen Bedingungen leben Personen, die eine selbständige Lebensführung aus eigener Kraft nicht (mehr) aufrecht erhalten können? Welche Regelungen gibt es für diese Personen in den europäischen Mitgliedstaaten und welche Maßnahmen sind zur Wahrung ihrer Interessen erforderlich?

Unter welchen Voraussetzungen leben ältere Menschen in Heimen/Institutionen? Welche Formen der Interessenvertretung gibt es für sie?

Welche Bedingungen für Prävention, Versorgung und Pflege von Alzheimerpatienten und Personen mit anderen dementiellen Erkrankungen gibt es in den europäischen Mitgliedstaaten? Welche Möglichkeiten und Erfahrungen mit unterschiedlichen Wohnformen gibt es?

4.3.3

Selbständigkeit, Selbstbestimmtheit und soziale Integration sind wichtige persönliche und gesellschaftspolitische Ziele. Die Verwirklichung dieser Ziele ist im höheren und insbesondere sehr hohen Alter aus mehreren Gründen gefährdet. Zum einen wächst mit zunehmendem Alter das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Ungünstige Umweltbedingungen und fehlende ökonomische Ressourcen erschweren in diesem Fall die Erhaltung von Selbständigkeit und sozialer Teilhabe. Ebenso können gesellschaftliche Normen und Vorstellungen wie beispielsweise diskriminierende Altersbilder als Barrieren wirken und zum Ausschluss aus wichtigen gesellschaftlichen Bereichen führen. Dem negativen Bild des Alters steht jedoch entgegen, dass die überwiegende Mehrheit der älteren Menschen ihr Leben viele Jahre lang selbständig und selbstverantwortlich führen kann. Zudem leisten sie wichtige Beiträge für Familie und Gesellschaft durch intergenerationelle (soziale und finanzielle) Unterstützungsleistungen und ehrenamtliche Arbeit in politischen, gewerkschaftlichen und kirchlichen Gremien.

4.3.4

Auch angesichts vieler widriger äußerer Umstände und gesundheitlicher Einschränkungen verfügen alte Menschen über ein hohes Maß an psychologischen Fähigkeiten, um solche Schwierigkeiten zu bewältigen. Dieses innere Gleichgewicht ist jedoch gefährdet, wenn Probleme kumulieren.

Wann und welcher Art sind Interventionen erforderlich, um eine Überbelastung Älterer zu vermeiden und sie stattdessen in der Bewältigung kritischer Lebenssituationen zu unterstützen?

Welche Maßnahmen sind erforderlich, um über die Deckung basaler Grundbedürfnisse hinausgehende Dimensionen wie das psychologische Bedürfnis nach Sicherheit, nach familiären und anderen zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialer Integration zu befriedigen?

4.3.5

Die große Mehrheit älter werdender Menschen kann die ungefähr 20 bis 30 Jahre umfassende Lebensphase Alter verhältnismäßig gesund und aktiv erleben. Aufgrund ihrer historischen Neuheit bestehen bisher allerdings erst wenige Vorbilder für die Ausgestaltung dieser Phase. Über die Bereiche, in denen Ältere heutzutage tätig sind und einen wichtigen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Beitrag leisten – unter anderem durch bezahlte und/oder ehrenamtliche Arbeit in politischen, gewerkschaftlichen und kirchlichen Organisationen, in der Unterstützung, Bildung und Erziehung Jüngerer etc. – gibt es kaum verlässliche und europäisch vergleichende Zahlen.

Was kann an Tätigkeitsfeldern, Weiterbildungsangeboten, Beteiligungsformen und Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden, die dazu beitragen, die positiven Potenziale dieser Lebensjahre für jeden Einzelnen sinnstiftend und für die Gesellschaft produktiv zu nutzen?

Inwiefern unterscheiden sich die Interessen, Erfahrungen, Bedürfnisse und Fähigkeiten älterer Männer und Frauen? In welcher Art und Weise kann und muss diesen Unterschieden Rechnung getragen werden?

Wie können Ältere auf den verschiedensten nationalen und europäischen Ebenen direkt oder vermittelt durch die Organisationen, die sie vertreten, an Entscheidungsprozessen beteiligt werden, die ihr Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben und die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben betreffen, so dass Artikel 25 der Charta von Nizza tatsächlich umgesetzt wird?

Welcher Bedarf nach überregionaler und grenzüberschreitender Mobilität besteht bei Älteren, insbesondere auch älteren Migranten und Migrantinnen, und wie kann die Verwirklichung diesbezüglicher Bedürfnisse (ähnlich wie bei Arbeitnehmern) erleichtert werden?

4.3.6

Das Altern der Gesellschaft wird weitgehend nur als Problem, als Belastung und unter dem Aspekt steigender Sozial- und Gesundheitskosten diskutiert. Dem stehen jedoch auch positive Aspekte gegenüber, die kaum bedacht werden und über die nur wenig Informationen vorliegen. Dazu gehört beispielsweise, dass alte Menschen den Arbeitsmarkt nicht mehr belasten, aber als Konsumenten weiterhin zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen.

Wie unterscheiden sich die Einkommens- und Verbrauchsstrukturen und die Konsumbedürfnisse älterer Menschen von denen Jüngerer?

Welche Veränderungen im Konsumverhalten sind im Hinblick auf nachwachsende Generationen zu erwarten?

In welchen Bereichen besteht ein besonderes Innovationspotenzial, um dem spezifischen Bedarf älterer Menschen in Zukunft besser Rechnung zu tragen?

Vgl. dazu auch Abschnitt 4.1.1 und 4.2.1.

4.3.7

Ausgelöst durch die aktuellen Diskussionen um Probleme der Gesundheitsversorgung, Rentenfinanzierung und - in einigen Ländern - Sterbehilfe fühlen viele alte Menschen sich derzeit eher als eine Belastung denn als geschätzte Mitglieder der Gesellschaft.

Wie können die ideellen und materiellen Leistungen, die alte Menschen in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen erbringen, sichtbarer gemacht und stärker gewürdigt werden?

Welche gesellschaftspolitischen Maßnahmen müssen getroffen werden, damit Ältere keinen Grund mehr zu der Annahme haben, nur noch eine „Altlast“ zu sein?

Wie können negative Einstellungen dem Alter gegenüber generell so verändert werden, dass eine größere Akzeptanz des Alters und eine positive Kultur des Alterns möglich werden? Wie kann bei Jüngeren ein größeres Verständnis für Ältere geweckt und ein Dialog sowohl innerhalb wie zwischen den Generationen gefördert werden? (Vgl. auch 4.5.2).

Wie kann eine differenziertere Darstellung des Alters in den Medien erreicht werden?

Tod und Sterben sind weitgehend ein Tabu, bilden jedoch zugleich einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor. Wie kann eine reine Kommerzialisierung des Todes vermieden und stattdessen eine ethisch verantwortbare Kultur des Sterbens entwickelt werden?

4.4   Forschungsbedarf zum sozial-räumlichen Umfeld

4.4.1

Das soziale Umfeld älterer Menschen verändert sich in den kommenden Jahren dramatisch: Durch geringe Geburtenraten, späte Familiengründung und hohe Scheidungsraten schrumpft das traditionelle Netz familiärer Beziehungen. Zugleich können aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer häufiger bis zu fünf Generationen einer Familie gleichzeitig leben („Bohnenstangenfamilien“).

Wie wirken sich diese Veränderungen auf die soziale Integration und gesellschaftliche Partizipation alter Menschen aus?

Können nachwachsende Generationen verstärkt auf nicht-familiäre Beziehungen zurückgreifen und sind diese auch im Falle von notwendigen Unterstützungsleistungen tragfähig?

Welche sozialpolitischen Maßnahmen und/oder organisatorischen und technischen Innovationen können zur Unterstützung familiärer und nicht-familiärer Netzwerke beitragen, um ihre Belastbarkeit und Dauer zu fördern?

4.4.2

Aus Zeitbudget- und Mobilitätsstudien ist bekannt, dass mit zunehmendem Alter ein immer größerer Zeitanteil in der Wohnung verbracht wird und außerhäusliche Aktivitäten entsprechend abnehmen.

Wie können Wohnungen - insbesondere Mietwohnungen in größeren Altbauten, aber auch Einfamilienhäuser - möglichst kostengünstig so ausgestattet werden, dass ältere Menschen auch bei zunehmender körperlicher, sensorischer oder kognitiver Beeinträchtigung selbständig wohnen bleiben und bei Bedarf gepflegt werden können?

Was sollte bei der Modernisierung von Wohnungen generell beachtet werden, damit ein möglichst langes Verbleiben in der eigenen Wohnung ermöglicht wird?

Welche architektonischen oder technischen Anpassungsmaßnahmen können bei spezifischen Beeinträchtigungen (Schwerhörigkeit, Sehbeeinträchtigung, Mobilitätseinschränkungen, Demenz) zum Erhalt der Selbständigkeit beitragen?

In welcher Form können insbesondere innovative Konzepte im Bereich des „intelligenten Wohnens“ zu einer längeren selbständigen Lebens- und Haushaltsführung beitragen?

Welche positiven Erfahrungen gibt es in Europa in diesen Bereichen schon? Welche Lehren können daraus gezogen werden?

4.4.3

Die Notwendigkeit, bei zunehmenden Beeinträchtigungen in ein Pflegeheim ziehen zu müssen, ist für die meisten alten Menschen eine Horrorvorstellung.

Welche attraktive und dennoch bezahlbare Alternativen gibt es, wenn die eigene Wohnung zur Belastung wird und eine eigenständige Lebensführung darin nicht mehr aufrecht erhalten werden kann?

Welche Erfahrungen wurden bisher mit neuen Wohnformen wie z.B. dem „Betreuten Wohnen“ gemacht? Welche Rahmenbedingungen führen zu Erfolg oder Misserfolg solcher und ähnlicher Alternativen?

4.4.4

Technische Geräte, Systeme und Dienste können im Alter eine große Hilfe zur Bewältigung von Alltagsproblemen sein. Sie sind den Bedürfnissen Älterer aber häufig nicht angepasst. Geräte könnten jedoch nach den Prinzipien des „Design for All“ gestaltet und flexibel an unterschiedliche Nutzergruppen angepasst werden. Das bedeutet, dass die Einbeziehung der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer in den Entwicklungsprozess zur Erhöhung der Qualität von Produkten und Diensten unbedingt erforderlich ist. Zu empfehlen ist hier die Konsultation und aktive Beteiligung der repräsentativsten europäischen Seniorenorganisationen sowie der Älteren selbst, um einen ständigen Austausch („soziales Audit“) im Hinblick auf die wirklichen Bedürfnisse der Älteren zu erreichen.

Was müssen Produzenten und Designer über den Ansatz und die Methode des „Design for All“ und über die Fähigkeiten, Einschränkungen, Bedürfnisse und Einstellungen älterer Menschen wissen, damit technische Produkte entsprechend angepasst und von Älteren akzeptiert und besser genutzt werden können?

Was verändert sich mit dem Alter und was ändert sich möglicherweise mit neuen Generationen alter Menschen?

Wie können die sich ändernden Fähigkeiten und Bedürfnisse Älterer stärker als bisher in die Gestaltung von „Mainstream“-Technologien einbezogen werden? Welche politischen Maßnahmen sind geeignet, um eine stärkere Beteiligung von Industrie und Wirtschaft an der Verwirklichung des Ziels des „Design for All“ zu erreichen?

Wie kann die Partizipation der Nutzer an der Entwicklung technischer Geräte effizient gestaltet werden?

Darüber hinaus muss genauer erforscht werden, welche technischen Hilfsmittel tatsächlich gebraucht werden und welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, damit sie zur Lebensqualität älterer Menschen beitragen können:

In welcher Weise können sie ältere Menschen bei alltäglichen Anforderungen unterstützen? In welcher Weise können sie im Falle von Pflegebedürftigkeit oder demenziellen Erkrankungen sowohl formelle als auch informelle Pflegekräfte und Dienstleistungen unterstützen?

Welche ethischen Aspekte müssen dabei (z.B. bei Verwirrten) beachtet werden, um eine Verletzung der Privatsphäre beispielsweise durch technische Überwachung auszuschließen?

Welche innovativen Möglichkeiten bieten neue Technologien und wie wirkt sich ihr Einsatz langfristig aus? Welche sozialen Begleitmaßnahmen sind erforderlich, damit sie zur Erhöhung der Lebensqualität und gesellschaftlichen Partizipation alter Menschen beitragen und nicht zu sozialer Isolation und Benachteiligung führen?

4.4.5

Physische, soziale und kulturelle Betätigungen tragen bekanntlich zu einem gesunden und befriedigenden Altern bei. Häufig verhindern jedoch Hindernisse in der natürlichen und/oder gebauten Umwelt oder fehlende Verkehrsmittel den Zugang zu entsprechenden Einrichtungen. Die Probleme sind weitgehend bekannt (7), es fehlt jedoch vielfach an der Umsetzung.

Welche Maßnahmen können und sollten im Bereich der Sozial-, Stadt- und Verkehrsplanung mit besonderer Dringlichkeit getroffen werden, damit die Wohnumgebung, der Straßenraum, Verkehrsmittel, Dienstleistungseinrichtungen usw. den Erfordernissen der wachsenden Zahl älterer Bürgerinnen und Bürger gerecht werden und sie in ihrer Selbständigkeit unterstützen?

In welcher Weise kann speziell die Qualität des Wohnumfeldes - beispielsweise durch Treffpunkte und geeignete Verkehrsmittel - zur sozialen Integration alter Menschen beitragen?

In welchen Ländern und welchen Bereichen wurden bereits positive Erfahrungen gemacht und wie lassen sie sich auf andere Länder und Bereiche übertragen?

4.4.6

Häufig verhindern auch individuell fehlende soziale und finanzielle Mittel und/oder physische oder sensorische Beeinträchtigungen den Zugang zu und die Teilhabe an außerhäuslichen Aktivitäten. Gerade für diese Menschen – häufig allein lebende alte Frauen – wäre die Beteiligung an sozialen und kulturellen Aktivitäten jedoch besonders wichtig, um nicht zu vereinsamen.

Welche sozialpolitischen Maßnahmen und/oder organisatorischen und technischen Innovationen können die Teilhabe bedürftiger alter Menschen an der Gemeinschaft unterstützen?

4.5   Forschungsbedarf im Hinblick auf lebensbegleitendes Lernen

4.5.1

In einer Gesellschaft raschen sozialen, kulturellen und technischen Wandels wird lebensbegleitendes Lernen zunehmend wichtiger. Dies betrifft insbesondere ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren früher erworbenes Wissen nicht mehr für moderne Arbeitsplatzanforderungen ausreicht. Das Ziel, einen Europäischen Raum des Lebensbegleitenden Lernens zu schaffen, wurde bereits in einer gemeinsamen Mitteilung der GD Bildung und Kultur und der GD Beschäftigung und Soziales sowie in einer Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002 betont (8). Auch in dieser Hinsicht besteht weiterhin dringender Forschungsbedarf:

Welche Art von Weiterbildungsmaßnahmen ist für ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen inhaltlich und methodisch besonders förderlich?

Wie kann sichergestellt werden, dass geeignete Maßnahmen allen Arbeitnehmern unabhängig von Alter und Geschlecht gleichermaßen zugute kommen?

4.5.2

Die Notwendigkeit lebensbegleitenden Lernens betrifft aber auch die Menschen, die nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen. Auch sie müssen die Möglichkeit haben, sich zu ihrem persönlichen und zum gesellschaftlichen Nutzen weiter zu entwickeln.

Wie wird Wissen in der Wissensgesellschaft geschaffen und verbreitet?

Wie kann Lebensbegleitendes Lernen von älteren Menschen unabhängig von ihrem Erwerbsstatus besser gefördert werden? Welche Möglichkeiten der Teilnahme an Bildungs- und Informationsprogrammen zu berufsbezogenen oder kulturellen Themen gibt es in den Mitgliedsstaaten bereits heute und welche Erfahrungen wurden beispielsweise mit Universitäten des 3. Lebensalters oder mit Zusammenkünften zu verschiedenen Themenbereichen gemacht?

Besteht ein Zusammenhang zwischen der Art der früheren Berufstätigkeit und späterer Weiterbildung? Lassen sich aus Bildungsmaßnahmen während der aktiven Erwerbsphase Schlussfolgerungen ableiten, wie älteren Menschen die Lust am Lernen, an Bildung und Kultur erhalten werden kann?

Wie kann die Zugänglichkeit zu Lernmöglichkeiten auch für bisher unterrepräsentierte Gruppen verbessert und kulturelle Diversität gewährleistet werden?

Welche Rolle können öffentlich-rechtliche Medien sowie neue Technologien und e-learning zur Erhaltung gesellschaftlicher Partizipation, zur Wissens- und Informationsvermittlung und persönlichen Weiterbildung im Alter spielen?

Welche Grundfertigkeiten sind im Alter besonders wichtig? (vgl. dazu auch 4.6.1)

Über welche Grundkenntnisse bezüglich Alter und Altern sollten auf der anderen Seite Personen und Organisationen verfügen, die mit älteren Menschen zu tun haben? Und was für Bildungsinitiativen sind geeignet, bei Jüngeren zu einer Verbesserung des Verständnisses für Ältere beizutragen? (Vgl. dazu auch 4.3.7).

Auf welche Weise können die Umsetzung früher beschlossener Maßnahmen überprüft und positive Erfahrungen vermittelt werden?

4.6   Forschungsbedarf im Hinblick auf Gesunderhaltung und Pflegebedürftigkeit

4.6.1

Als eine besonders schwerwiegende Folge des demographischen Wandels wird die Kostenbelastung der Sozial- und Gesundheitssysteme durch die rasch wachsende Zahl hochaltriger Menschen angesehen. In den kommenden 15 Jahren wird ein Anstieg der Zahl achtzigjähriger Personen um 50 % auf europaweit über 20 Millionen erwartet (9). Die Zahl der Hundertjährigen steigt dabei exponentiell (10). Deshalb ist Forschung auch speziell im Hinblick auf Prävention sowie auf die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Funktionalität und Selbständigkeit im Alter von zentraler Bedeutung.

Wie wirken sich bestimmte Lebensstile langfristig auf den Gesundheitszustand allgemein und auf einzelne Erkrankungen im Besonderen aus? Wie lassen sich gesunde Verhaltensweisen fördern?

In welcher Weise müssen Maßnahmen und Angebote zur Gesunderhaltung wie z.B. sportliche, musisch-ästhetische Betätigung oder gesunde Ernährung Älteren nahe gebracht werden, damit sie genutzt werden?

Welche weiteren Maßnahmen können zur Erhaltung physischer, sensorischer, kognitiver und sozialer Fähigkeiten beitragen?

Insbesondere im Bereich der Epidemiologie und Ätiologie altersbedingter Krankheiten besteht Forschungsbedarf, um Präventionsmöglichkeiten zu verbessern (z.B. bezüglich Geisteskrankheiten, vor allem Alzheimer, oder zur Vermeidung von Stürzen, die zu Hüftfrakturen führen können).

Dringender Forschungsbedarf besteht auch im Hinblick auf Präventionsmöglichkeiten und Gesunderhaltung im Bereich Arbeit (vgl. auch 4.2.1).

Des Weiteren besteht Forschungsbedarf im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten alter Menschen, und zwar sowohl was allgemeine Erkrankungen mit altersspezifischer Charakteristik als auch was altersspezifische Erkrankungen betrifft. Vielfach fehlen dafür die therapeutische Grundlagen, da klinische Versuche und Arzneimitteltestung weitgehend nur bei jüngeren Erwachsenen stattfinden. Die gesundheitlichen Voraussetzungen alter Menschen sind nicht vergleichbar, da sie häufig nicht an einer spezifischen Krankheit leiden, sondern in mehreren Funktionen gleichzeitig schwere oder leichtere Einbußen auftreten können.

Vgl. auch 4.6.3.

4.6.2

Durch den wachsenden Anteil hochaltriger Menschen wird in den kommenden Jahren ein enormer Pflegebedarf verbunden mit einer steigenden Kostenbelastung der privaten und öffentlichen Haushalte erwartet. Auch in dieser Hinsicht besteht mehrfacher Forschungsbedarf:

Wie können und müssen die Qualifikationen und Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessert werden, damit der Pflegeberuf dauerhaft attraktiv wird?

Welche externen und welche personalen Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich die Beziehung zwischen pflegender und zu pflegender Person für alle Beteiligten befriedigend entwickelt?

Wie können Pflegeangebote besser an die Bedürfnisse und Erfordernisse pflegebedürftiger alter Menschen angepasst und Pflege zu Hause stärker als bisher unterstützt werden?

In welcher Weise können technische Lösungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und professioneller Pflegekräfte beitragen, ohne die Integrität und Würde der zu pflegenden Person zu beeinträchtigen?

Welche wirtschaftliche Unterstützung und gesellschaftliche Anerkennung sind zur Entlastung pflegender Angehöriger und professioneller Pflegekräfte notwendig? Wie können insbesondere pflegende Angehörige auch bezüglich einer eigenen Rentensicherung unterstützt werden?

Wie können Pflege, Schmerztherapie und Sterbebegleitung so gestaltet werden, dass das Leben in Würde zu Ende geht?

4.6.3

In Europa gibt es im Bereich Pflege keine inhaltlich abgestimmten Begriffsdefinitionen (z.B. von „nicht selbstbestimmt“, von „häuslichem Pflegedienst“ etc.), keine einheitlichen Strukturen bei den verschiedenen Diensten und keine Richtlinien über die Qualifikationen des Personals.

Welche Maßnahmen können zu einheitlichen Sprachregelungen und damit zu mehr Transparenz im Pflegebereich führen?

Welches programmatische, technische, geriatrische und sozialpsychologische Wissen und Können ist für die Qualifikation medizinischer Dienste und Pflegedienste europaweit wünschenswert?

4.7   Forschungsbedarf im Hinblick auf neue Technologien

4.7.1

Die bekanntlich rasche und fortschreitende Technisierung, insbesondere der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (I+K), wirkt sich in allen vorgenannten Bereichen (4.1 bis 4.6) aus. Im Bereich Arbeit beispielsweise dienen diese Technologien häufig als Grund für die Ausgrenzung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Andererseits haben Studien gezeigt, dass eine entsprechende Anpassung ihre Leistungsfähigkeit sogar unterstützen kann. Von daher muss dieser Aspekt in die Forschung zu allen Bereichen einbezogen werden. Berücksichtigt werden müssen insbesondere ethische Aspekte sowie die Frage der Integration Älterer, die technische Neuerungen nicht nutzen können oder wollen.

4.8   Die Aufbereitung, Verknüpfung und Ergänzung bestehender Wissensbestände

4.8.1

Es gibt bereits einen vielfältigen Wissensbestand aus nationaler und europäisch geförderter Forschung. Dieses Wissen betrifft jedoch zumeist einzelne Aspekte und wurde aus der Perspektive einzelner Disziplinen erhoben. Es ist weit verstreut und oft nur in der jeweiligen Nationalsprache verfügbar. Die Forschungsergebnisse sind häufig aufgrund unterschiedlicher Stichproben und Instrumente nicht mit den Befunden aus anderen Studien kompatibel.

Es wäre ein Gewinn, diese Wissensbestände so aufzubereiten, dass sie miteinander verknüpft, systematisch verglichen und ausgewertet, und schließlich allgemein zugänglich gemacht werden könnten.

Weitere Schritte wären die Durchführung von Sekundäranalysen des so aufbereiteten Materials sowie die Abstimmung von Untersuchungsmethoden und –instrumenten für weiterführende gemeinsame und interdisziplinär erweiterte Forschung. Als Fördermaßnahme für diese Art der Wissensgenerierung, -integration und -weiterführung bieten sich die im 6. Forschungsrahmenprogramm neu geschaffenen Instrumente der „Centres of Excellence“, der „Networks of Excellence“ und der „Thematic Coordination Actions“ an (11).

Wünschenswert wäre weiterhin die einheitliche Betrachtungsweise und Erfassung von Indikatoren der Lebensqualität alter Menschen in den europäischen Ländern sowie ihre langfristige Beobachtung und Dokumentation in einer europäischen Datenbank. Die Differenzierung nach Geschlecht, verschiedenen Alters- und Einkommensgruppen sowie Regionen ist dabei unbedingt erforderlich, da bisher erhobene Indikatoren für die Erfassung der Lebensbedingungen Älterer nicht ausreichen. Als weitere Indikatoren müssen Informationen zu Gesundheitszustand und Beeinträchtigungen, zu Versorgungssystemen und zu länderspezifischen Erfordernissen aufgenommen werden. Eine Zusammenarbeit mit EUROSTAT ist zu prüfen.

Die auf nationaler wie europäischer Ebene vielfach bereits vorhandenen statistischen und anderen relevanten Wissensbestände bedürfen dringend der Bündelung und Integration. Auch die Forschungsergebnisse aus den verschiedenen Bereichen des 5. und 6. Forschungsrahmenprogramms erfordern eine integrative Betrachtungsweise, um daraus praxis- und politikrelevante Folgerungen ableiten zu können. Eine frühestmögliche Verbreitung des derart integrierten und aufbereiteten Wissens ist ein Muss.

Um Forschung und Politik nicht nur für, sondern mit älteren Menschen zu machen, sollten Seniorenorganisationen in zukünftige Projekte stärker als bisher einbezogen werden.

5.   Ziele und Forderungen

5.1

Mit dem vorliegenden Initiativbericht wird die Forderung begründet, eine Leitaktion zum Themenbereich „Demographischer Wandel – Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“ in das 7. Forschungsrahmenprogramm aufzunehmen.

5.2

Ziel ist es, durch die Förderung multi- und interdisziplinärer sowie sozial partizipativer Alternsforschung zu einem breiten Themenspektrum

a)

die Wissensbasis zu schaffen, die für politisches Planen und Handeln notwendig ist, um die Auswirkungen des Altersstrukturwandels in Europa innovativ, sozial gerecht und kosteneffizient zu bewältigen, und

b)

die Grundlagen und Instrumente bereitzustellen, die notwendig sind, um zu einer angemesseneren Sicht und Würdigung des Alters in der Gesellschaft zu gelangen.

5.3

Die aufgezeigten Forschungsfelder und beispielhaften Fragen dazu dürften gezeigt haben, wie eng biologische, psychologische, soziale, kulturelle, technologische, ökonomische und strukturelle Aspekte mit einander verknüpft sind, wenn es um Altern und Alter geht. Zugleich findet Altern immer in einem konkreten räumlichen und gesellschaftlichen Kontext statt. Dieser Kontext ist in Europa durch starke geographische, kulturelle und sozialstrukturelle Gegensätze sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Länder charakterisiert. Beides – die Multidimensionalität des Alternsprozesses sowie die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen er stattfindet – machen die Multi- und Interdisziplinarität von Alternsforschung unverzichtbar. Darüber hinaus ist eine langfristige Forschungsperspektive notwendig, um Veränderungsprozesse erfassen und entsprechend einbeziehen zu können (12).

5.4

Nur eine solche breit und langfristig angelegte Forschung kann die fundierten Planungs- und Entscheidungsgrundlagen bereitstellen, die in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Entscheidungsebenen angesichts der Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung benötigt werden. Altern ist nicht nur eine biologisch-medizinisch und technisch-ökonomisch zu lösende Frage, sondern eine gesellschaftlich, sozial und kulturell zu bewältigende Aufgabe.

5.5

Zusätzlich zu den genannten Forschungsaktivitäten fordert der Ausschuss folgende begleitende Maßnahmen

Eine Anhörung zur Thematik „Demographischer Wandel – Lebensqualität im Alter“ im EWSA, unter anderem um dort eine Machbarkeitsstudie bezüglich einer entsprechenden Agentur und einer eventuell notwendigen weiteren Initiative vorzuschlagen.

Die Einrichtung einer gemeinsamen pro-aktiven und vorausschauenden Agentur (European Observatory) zur Erfassung von Indikatoren der Lebensqualität alter Menschen in den europäischen Ländern sowie ihre langfristige Beobachtung und Dokumentation in einer europäischen Datenbank; zur Erstellung von solcherart empirisch begründeten Prognosen; zur Bündelung und Weitergabe von Wissen und Ableitung praxis- und politikrelevanter Folgerungen;.

Die Organisation von Workshops und Konferenzen, um das Wissen über den demographischen Wandel und die Dringlichkeit von präventiven und begleitenden Maßnahmen zu erhöhen; um das Bewusstsein über die positiven Potentiale des Alters zu schärfen und Altersdiskriminierung entgegenzuwirken; um Forschungsergebnisse einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen; und um den Austausch zwischen den „alten“ und „neuen“ Mitgliedsländern zu fördern.

Die weitere Verfolgung der Thematik durch die „Offene Methode der Koordinierung“. Angesichts der Komplexität und Tragweite der Alterung der Bevölkerung und der unterschiedlichen Chancen und Herausforderungen, die damit verbunden sind, hält der Ausschuss diese Methode für geeignet,

um den Erfahrungsaustausch, inter-europäischen Vergleich sowie gegenseitiges Lernen zu initiieren,

um den Dialog zwischen den Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft und den zuständigen Generaldirektionen der Kommission zu fördern (13),

um gemeinsame Ziele zu definieren,

um die Umsetzung des 2. Weltaltenplans (verabschiedet im April 2002 in Madrid) und der UNECE-Implementierungsstrategie (angenommen durch die Berliner Ministererklärung vom September 2001) zu überprüfen, und

einen Raum gemeinsamer Wertvorstellungen im Hinblick auf die alternde Gesellschaft zu schaffen.

5.6

Letztendliches Ziel ist es damit, ein LEBENSWERTES LEBEN UND ALTERN IN EUROPA nicht nur den derzeit alten und hochaltriger Menschen zu ermöglichen, sondern auch den nachkommenden Generationen alter und junger Menschen.

Brüssel, den 15. September 2004.

Der Präsident

der Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  KOM(2004) 146 endg. Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (27.11.2000); Mitteilung der Kommission zur wirkungsvolleren Umsetzung der europäischen Beschäftigungsstrategie, Anhang 1, 26.3.2004 KOM(2004) 239 endg.; http://europa.eu.int/comm/employment_social/fundamental_rights/legis/legln_en.htm

(2)  Beschluss 2000/750/EG des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen (2001-2006) (27.11.2000); http://europa.eu.int/comm/employment_social/fundamental_rights/index_en.htm; EWSA Stellungnahme ABl. C 284 vom 14.9.1998; Booklet EESC-2000-018 „Jobs, Learning and Social inclusion: The work of the European EESC“.

(3)  Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002, Nr. 2002/C 163/01, AB1. C 163 vom 9.7.2002; KOM(2002) 678 endg. (November 2001); vgl. auch KOM(2004) 156 endg.

(4)  Europäische Gemeinschaften (2002). Europäische Sozialstatistik: Bevölkerung. Eurostat Themenkreis 3, Bevölkerung und soziale Bedingungen. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften.

(5)  KOM(2004) 9 endg., vgl. auch KOM(2002) 565 endg., insbesondere die Absätze 3.3 und 4.2.

(6)  Vgl. dazu auch die Stellungnahme des EWSA „Innovationspolitik“, ABl. C 10 vom 14.1.2004 (KOM(2003) 112 endg.), Punkt 4 „Allgemeine Bemerkungen“, Absatz 7.

(7)  European Conference of Ministers of Transport (ECMT) (2002). Transport and aging of the population. Paris Cedex: OECD Publications.

(8)  KOM(2001) 678 endg.; Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002 Nr. 2002/C 163/01, AB1. C 163 vom 9.7.2002.

(9)  EUROSTAT (2002). The Social Situation in the European Union 2002. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities.

(10)  Vgl. Robine, J.M. & Vaupel, J. (2001). Emergence of supercentenarians in low mortality countries. The Gerontologist, 41 (special issue II), 212.

(11)  Vgl. dazu die „Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der ‚Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Hin zu einem europäischen Forschungsraum‘“, ABl. C 204 vom 18.7.2000.

(12)  Vgl. dazu nochmals die Stellungnahmen des EWSA ABl. C 95 vom 23.4.2003 (KOM(2002) 565 endg.

(13)  Mitteilung der Kommission KOM(2002) 277 endg.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien 66/401/EWG, 66/402/EG, 2002/54/EG und 2002/57/EG hinsichtlich der amtlich überwachten Prüfungen und der Gleichstellung von in Drittländern erzeugtem Saatgut“

KOM(2004) 263 endg. – 2004/0086 (CNS)

(2005/C 74/10)

Der Rat beschloss am 29. April 2004, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. Juli 2004 an. Alleinberichterstatter war Herr BROS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) mit 85 Ja-Stimmen gegen 1 Nein-Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Für den Zeitraum 1998-2003 hatte die Kommission den Mitgliedstaaten genehmigt, auf der Grundlage der Gemeinschaftsregelung über den Verkehr mit Saatgut zeitlich befristete Saatgutprobenahme- und Saatgutprüfversuche durchzuführen. Die Untersuchung der Ergebnisse hat gezeigt, dass

sich das Verfahren der amtlichen Saatgutzertifizierung unter bestimmten Umständen ohne nennenswerte Einbußen der Saatgutqualität (im Vergleich zu der durch amtliche Saatgutprobenahmen und -prüfungen erzielten Qualität) vereinfachen ließe;

die Verfahren der Feldbesichtigung unter amtlicher Überwachung auf alle Kulturen zur Gewinnung von zertifiziertem Saatgut ausgedehnt werden konnten;

der Anteil der von amtlichen Inspektoren zu prüfenden und zu besichtigenden Felder verringert werden konnte.

1.2

Die Änderungen der Vorschriften für Saatgut im internationalen Handel (OECD-Regelungen) wurden inzwischen verabschiedet. Daher könnte die gemeinschaftliche Gleichstellungsregelung für in Drittländern geerntetes Saatgut auf alle Saatgutarten ausgedehnt werden, die die in den verschiedenen Gemeinschaftsrichtlinien über den Verkehr mit Saatgut festgelegten Saatguteigenschaften und Prüfungsanforderungen erfüllen.

1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat den Wunsch, den Vorschlag der Kommission in Bezug auf die Entwicklung der vorgeschlagenen Vorschriften zu prüfen, auch im Hinblick auf die Gewährleistung eines gleichbleibend hohen Niveaus bei der Qualitätsprüfung des erzeugten Saatguts und bei pflanzenschutzrechtlichen Fragen.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1

Die Kommission schlägt vor, die Prüfung von Saatgut unter amtlicher Aufsicht (Entscheidung 98/320/EG) bis zum 31. März 2005 zu verlängern, um die Gemeinschaftsvorschriften für den Verkehr mit Saatgut gemäß der genannten Entscheidung bis zur Durchführung der neuen Vorschriften (Umsetzung der Richtlinien) beizubehalten.

2.2

Gleichzeitig müssen die Schlussfolgerungen aus den Versuchsergebnissen in den Richtlinien 66/401/EWG (Verkehr mit Futterpflanzensaatgut), 66/402/EWG (Verkehr mit Getreidesaatgut), 2002/54/EG (Verkehr mit Betarübensaatgut) und 2002/57/EG (Verkehr mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzen) berücksichtigt und folgende Änderungen eingefügt werden:

die Einführung einer Prüfung unter amtlicher Überwachung für die verschiedenen Saatgutkategorien;

die Definition, wie amtliche Saatgutprüfungen durchzuführen sind (Feldbesichtigung oder Untersuchung in einem Saatgutprüflabor, das von der Saatgutanerkennungsstelle des betreffenden Mitgliedstaats zugelassen wurde);

die Saatgutproben zur Zertifizierung können amtlich oder unter amtlicher Überwachung gezogen werden. Es werden die Modalitäten der Saatgutprobenahme unter amtlicher Überwachung festgelegt (Qualifizierung der Personen, Kontrolle der Durchführung und Sanktionsvorschriften);

das Gleichstellungsprinzip wird auf Saatgut ausgedehnt, das in Drittländern erzeugt wurde und die gemeinschaftlichen Vorschriften und Prüfungsanforderungen erfüllt (Kontroll- und Zertifizierungssystem).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Das Hauptziel des Vorschlags der Kommission ist die Vereinfachung der Kontrollverfahren in der Saatguterzeugung. Die Delegierung von Kontrollen wird bereits in zahlreichen Mitgliedstaaten praktiziert. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt somit die Initiative der Europäischen Kommission, möchte jedoch unterstreichen, dass die Kommission eine neue Richtlinie hätte vorlegen sollen, die alle Aspekte der vier erwähnten Richtlinien wieder aufgreift. Dies würde das Verständnis der Änderungen erleichtern und die Kohärenz bei der Harmonisierung der zu treffenden Maßnahmen gewährleisten.

3.2

Die Entscheidung der Kommission über einen zeitlich befristeten Versuch betreffend die Saatgutprüfung unter amtlicher Überwachung wird mit dem 31. Juli 2004 außer Kraft treten. Es wird folglich ein Rechtsvakuum geben, solange der Legislativvorschlag der Kommission Gegenstand des Mitentscheidungsverfahrens ist. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert daher die Kommission auf, ihre Entscheidung 98/320/EG zu ändern, um jegliches Rechtsvakuum zu vermeiden.

3.3

Die Kommission schlägt ferner eine Verlängerung der Versuchsphase bis zum 31. März 2005 vor, um die Umsetzung der Änderungen der betroffenen Richtlinien zu ermöglichen. Der Ausschuss möchte bereits jetzt unterstreichen, dass diese Frist in Anbetracht der für die Umsetzung benötigten Zeit, etwa 10 Monate, nicht ausreichen wird. Aus diesem Grund schlägt der Ausschuss eine Verlängerung bis zum 31. Juli 2005 vor.

3.4

Der Ausschuss ist nicht imstande, sich zur Zweckmäßigkeit technischen Vorgaben für die Feldbegehungen (besonders zur Änderung des Anteils der Saatgutprobenahmen) oder zu der notwendigen Anzahl der Saatgutproben im Labor zu äußern. Er möchte jedoch unterstreichen, dass es notwendig ist, einen gemeinsamen Nenner für alle Mitgliedstaaten festzulegen. Aus diesem Grund sollte eher ein Mindestprozentsatz als eine Spannbreite festgelegt werden.

3.5

Die Übertragung der amtlichen Überwachung an befugte Personen gewährleistet eine bessere Effizienz der Verfahren. Die Kommission sollte sich der Effizienz der Überwachungs- und Zertifizierungssysteme vergewissern. Zur Zeit führt die Kommission gemeinschaftliche vergleichende Saatgutprüfungen durch und fördert den Austausch von Verfahren. Angesichts des verfolgten Ziels ist der für diese Aktionen bereitgestellte Betrag (zwischen 0,5 und 0,6 Mio. Euro) unzureichend. Der Ausschuss ersucht die Kommission deshalb darum, zusätzliche finanzielle Mittel für die Angleichung der Kontrollsysteme zur Verfügung zu stellen.

3.6

Der Ausschuss möchte daran erinnern, dass im Verlaufe der Beitrittsverhandlungen mit den neuen Mitgliedstaaten Übergangszeiträume für die im Sortenkatalog nicht eingetragenen Saatgutsorten vereinbart wurden, da sie nicht den gemeinschaftlichen Kriterien entsprechen. Der Ausschuss lenkt die Aufmerksamkeit der Kommission auf diese nicht eingetragenen Saatgutsorten, die ausschließlich in den betroffenen Ländern vermarktet werden können (Lettland, Malta, Slowenien und Zypern). Diese Übergangsperiode sollte durch zusätzliche Garantien besonders bezüglich der Zahl der Saatgutproben und der Existenz von „Flughafer“ (Avena fatua) abgesichert werden.

3.7

Der Ausschuss lenkt die Aufmerksamkeit der Kommission auf Streitfälle unter den Mitgliedstaaten bezüglich des Verkehrs mit Saatgutpartien schlechter Qualität. Die Vollendung des Binnenmarktes wird erfolgreich sein, wenn den Unternehmen eine Rückverfolgbarkeit vermarkteter Saatgutpartien und eine gute Koordinierung zwischen den Saatgutanerkennungsstellen und Saatguterzeugern garantiert wird.

3.8

Bezüglich der Ausweitung der gemeinschaftlichen Gleichstellungsregelung auf Drittländer gemäß den OECD-Regelungen unterstreicht der Ausschuss, dass von Seiten der Kommission die Umkehrbarkeit der Gleichstellung gegenüber den Drittländern erreicht werden muss. Diese Gleichwertigkeit muss mit Hilfe übereinstimmender Normen erreicht werden. Des Weiteren ist eine Gleichwertigkeit der Kontrollsysteme für die Erhaltungszucht wünschenswert, um ein einheitliches Qualitätsniveau zu garantieren.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission, der zur Vereinfachung der Kontrollverfahren beiträgt, ohne jedoch das Qualitätsprüfungsniveau für die Saatguterzeugung zu beeinträchtigen. Der Ausschuss betont jedoch, dass die Kommission an einer Leistungsanalyse der Kontrollsysteme festhalten sollte.

4.2

Der Ausschuss hebt hervor, dass die Kommission vom legislativen Standpunkt aus gesehen die Gelegenheit hätte ergreifen müssen, einen Legislativvorschlag vorzulegen, der alle Richtlinien bezüglich des Verkehrs mit Getreidesaatgut, Futterpflanzensaatgut, Betarübensaatgut und mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzen in sich vereint.

4.3

Nach Ansicht des Ausschusses wird die gewünschte Verlängerung bis zum 31. März 2005 nicht ausreichen, um die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht zu gewährleisten. Aus diesem Grund wird eine Verlängerung bis zum 31. Juli 2005 vorgeschlagen.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung“

KOM(2004) 130 endg.

(2005/C 74/11)

Die Kommission beschloss am 25. Februar 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Frage der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung gehört zu den Prioritäten, die die Kommission in ihrer 2001 formulierten Strategie der Europäischen Union für eine nachhaltige Entwicklung (1) gesetzt hat. Der Ausschuss hatte im November 2001 Gelegenheit, eine Stellungnahme dazu abzugeben, und zog jüngst Bilanz in dieser Frage (2). Die genannte Strategie zielt darauf ab, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlichen, sozialen und Umweltaspekten herzustellen und die im EU-Vertrag (3) grundsätzlich vorgesehene Einbeziehung der Erfordernisse des Umweltschutzes in die übrige Politik der Gemeinschaft stärker durchzusetzen. Im sechsten Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft (4) wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass bei der technischen Normungsarbeit den Erfordernissen des Umweltschutzes Rechnung zu tragen ist.

1.2

Die technische Normung kann außerdem einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines voll integrierten Binnenmarkts unter dem Gesichtspunkt eines umweltverträglichen Fortschritts leisten. Damit kann das Ziel, bis 2010 der Wirtschaftsraum mit der größten Wettbewerbsfähigkeit zu werden, mit der Entwicklung einer nachhaltigen und für mehr und bessere Beschäftigung sorgenden Wirtschaft in einem erweiterten, wirtschaftlich und sozial immer stärker zusammenwachsenden Europa in Einklang gebracht werden. Das ist erklärtes Ziel der im Jahr 2000 von den Staats- und Regierungschefs der EU verabschiedeten Strategie von Lissabon.

1.3

Andererseits stellt die technische Normung, die auf dem Grundsatz des freien Einvernehmens aller Beteiligten aufbaut, ein wesentliches Element für die Umsetzung der einschlägigen EU-Politik und insbesondere der Integrierten Produktpolitik dar. In der IPP, zu der sich der Ausschuss bereits mehrfach geäußert hat (5), gilt die Normung als potenzielles Instrument zur Verringerung der Umweltauswirkungen von Erzeugnissen und Dienstleistungen.

1.4

Der Rat zur Normung vom 1. März 2002 hat die Zweckmäßigkeit harmonisierter Normen in den Bereichen, für die jetzt das „neue Konzept“ gilt, bekräftigt, die Bedeutung einer wirksamen Beteiligung aller Interessengruppen an der Normung unterstrichen und die Absicht der Kommission begrüßt, ein Dokument zum Thema Normung und Umweltschutz auszuarbeiten.

1.5

Im Anschluss an diese Ratstagung hat die Kommission in einem Arbeitsdokument über die „Funktion der Normung zur Unterstützung der europäischen Rechtsetzung und der Gemeinschaftspolitik“ eine Reihe von wichtigen Punkten herausgearbeitet, zu denen u.a. folgende gehören:

1.5.1

Stärkerer Einsatz der europäischen Normung in der Politik und Rechtsetzung der Europäischen Union, um so in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Unternehmen die Ausdehnung der technischen Normung auf neue Bereiche wie Dienstleistungen, Datenverarbeitung und Telekommunikation, Verkehr, Verbraucher- und Umweltschutz zu fördern;

1.5.2

Stärkung des Bewusstseins bei den Vertretern des Unternehmertums und den anderen Beteiligten, dass die Normung der Geschäftswelt große Vorteile bringt; im Hinblick darauf können insbesondere Maßnahmen ergriffen werden, die eine stärkere und unkompliziertere Beteiligung dieser Gruppen, vor allem der Vertreter der KMU, an der Aufstellung der Normen ermöglichen;

1.5.3

Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Normung, damit diese die neuesten Entwicklungen und Herausforderungen auf dem Gebiet der europäischen technischen Normen und die Tendenzen zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften und zur „besseren Rechtsetzung“ (6) in Übereinstimmung mit den Grundausrichtungen der Industriepolitik in einem erweiterten Europa (7) und den vorrangigen Aufgaben der Binnenmarktstrategie für den Zeitraum 2003-2006 (8) stärker berücksichtigen;

1.5.4

Schaffung eines soliden und rechtlich fest verankerten Finanzrahmens zur Unterstützung der europäischen Normung, der eine von der Kommission und den Mitgliedstaaten zu erbringende Kofinanzierung der europäischen Normungsarbeit und der europäischen Infrastrukturen sowie stärkere Synergieeffekte zwischen CEN, CENELEC und ETSI sicherstellt;

1.5.5

Unterstützung der europäischen Normenorganisationen im Hinblick auf mehr Effektivität bei der Aufstellung technischer Normen und Förderung der Erarbeitung und Anwendung internationaler Standards, um so den Zugang zu den internationalen Märkten und zum Welthandel zu verbessern, unnötige Handelshemmnisse zu vermeiden und die globale Dimension der Normung zu gewährleisten.

1.6

Die Herausbildung einer europäischen Normungskultur im technischen Bereich ist zudem wesentliche Voraussetzung für ein wirksames und ausgewogenes Funktionieren des Binnenmarktes in der EU mit 25 Mitgliedern. Insbesondere im Umweltbereich müssen daher Maßnahmen zur Fortbildung von Fachleuten und zur Erstellung und Verwendung von geeigneten Datenbanken ergriffen werden, damit Umweltaspekte im europäischen Normungssystem Berücksichtigung finden und die neuen Mitgliedstaaten durch Beteiligung ihrer Normenorganisationen voll in diesen Prozess einbezogen werden. Angesichts der Struktur und Größe der Unternehmen in diesen Ländern hält es der Ausschuss für unbedingt erforderlich, dass die volle Einbeziehung der kleinen und mittleren Unternehmen aus der gesamten erweiterten EU in die Standardisierungsarbeiten und die Anwendung der bestehenden europäischen Normen durch konkrete Maßnahmen gefördert wird.

1.7

Das europäische technische Normungssystem, das auf dem Grundsatz des Einvernehmens aller Beteiligten bei der Erarbeitung neuer Standards und auf der freiwilligen Übernahme der aufgestellten Normen aufbaut, hat sich als sehr leistungsfähig erwiesen und ist derart effektiv und flexibel, dass immer mehr Normen aufgestellt werden konnten. Die Gesamtzahl der europäischen Normen hat so im Jahr 2003 die stolze Summe von rund 13.500 Normen erreicht, was sich äußert positiv auf die Wirtschaft auswirkte. Konkret verringerten sich die Kosten geschäftlicher Transaktionen, Handel und Austausch wurden erleichtert, die Wettbewerbsfähigkeit stieg und die Innovation wurde gestärkt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Normung ist der erreichte Abbau von Handelshemmnissen auf dem Binnenmarkt und häufig auch schon auf dem Weltmarkt.

1.8

Diese erfolgreichen Aspekte müssen nach Ansicht des Ausschusses nicht nur in ihrer Gänze bewahrt, sondern sogar verstärkt werden, wie bereits in den Schlussfolgerungen des Rates zur Normung im März 2002 betont wurde. Jede Berücksichtigung von wirtschaftlichen, sozialen oder Umweltaspekten bei der Normung ist zwar wünschenswert, darf jedoch nach Auffassung des Ausschusses in keiner Weise das Wesen und die Hauptmerkmale der Normung beeinträchtigen, die ein freies, freiwilliges und einvernehmliches Verfahren bleiben muss. Diese Merkmale haben die Normung nämlich erst zu einem erfolgreichen Instrument auf nationaler und internationaler Ebene gemacht.

2.   Zusammenfassung der wesentlichen Elemente der Mitteilung

2.1

Die Ziele der Mitteilung der Kommission lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Sensibilisierung der Öffentlichkeit dafür, dass eine Berücksichtigung von Umweltaspekten bei dem freiwilligen, von den Betroffenen getragenen Prozess der europäischen Normung notwendig ist;

Aufnahme von fortwährenden Gesprächen mit den Interessengruppen aus der Normungsgemeinschaft über konkrete Maßnahmen folgenden Inhalts: 1) Aktionen zur Fortbildung und Sensibilisierung; 2) organisierte und unterstützte Beteiligung aller Interessengruppen an der Normung; 3) systematischer Einsatz der Instrumente, die zur Berücksichtigung ökologischer Erwägungen bei der Normung entwickelt wurden, und 4) Neudefinierung (seitens der Kommission) der Rahmenbedingungen für europäische Normungsaufträge, für spezifische Aufträge zur Unterstützung von Umweltmaßnahmen und für spezifische Normen für die ökologischen Aspekte von Produkten;

Bewertung und ständige Überprüfung der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung im Lichte der Fortschritte, die in den oben genannten vier Bereichen erzielt werden.

2.2

Die Kommission fasst folgende Maßnahmen ins Auge, um diese Ziele zu erreichen:

Auf der Ebene der Interessengruppen: Vorschläge für Sensibilisierungsmaßnahmen; Austausch von bewährten Verfahren auf dem Gebiet der Fortbildung und Sensibilisierung; umfassende Anhörung der Beteiligten bei der Formulierung von Normungsaufträgen; Setzen von Prioritäten bei den Maßnahmen zur Einbeziehung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung; Entwicklung von Indikatoren für den Grad der Einbeziehung ökologischer Anforderungen in die Normen; Ermittlung und Abstimmung ökologischer Fragen der Normung, mit denen sich die europäischen Normenorganisationen befassen; EU-Unterstützung für die europäischen Interessengruppen, die diese Maßnahmen durchführen; regelmäßige Berichterstattung über die Nutzung der verschiedenen verfügbaren Instrumente zur Einbeziehung ökologischer Anforderungen in Normen;

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten und insbesondere der neu beigetretenen Staaten: Maßnahmen zur Förderung von Fortbildung und Sensibilisierung; Sicherstellung der Datenerhebung und -verbreitung durch die jeweiligen Normenorganisationen; Unterstützung und Hilfestellung für alle Beteiligten, insbesondere die Vertreter der Zivilgesellschaft und die im Umweltbereich tätigen öffentlichen Einrichtungen, damit diese voll in den Normungsprozess eingebunden sind; Berichterstattung über die durchgeführten unterstützenden Maßnahmen, um so den Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken zu fördern;

Auf Gemeinschaftsebene: Einleitung von gemeinschaftlichen Maßnahmen finanzieller Art zur Förderung der von den europäischen Normenorganisationen durchgeführten Sensibilisierungs- und Fortbildungsaktionen; ständige Beobachtung der Sachlage im Hinblick auf die durchgeführten Fortbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen; Einbeziehung der Umweltaspekte bei der Erstellung von Normungsaufträgen, ggf. nach Anhörung der Beteiligten; Unterstützung der Interessengruppen auf europäischer Ebene bei der Ermittlung und Abstimmung ökologischer Fragen der europäischen Normung; regelmäßige Zusammenkünfte zum Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren und zur Vereinbarung von ökologisch besonders relevanten Indikatoren für die Bewertung von Fortschritten bei der europäischen Normung; Einrichtung eines Systems zur kontinuierlichen Bewertung der auf den genannten Gebieten gemachten Fortschritte, wobei das Bewertungsverfahren mindestens ein Mal pro Jahr zusammen mit den Interessengruppen zu überprüfen ist.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss begrüßt diese Initiative der Kommission zur eingehenden Prüfung der Möglichkeiten, Chancen und Formen, relevante Aspekte nicht nur des Umweltschutzes, sondern auch des nachhaltigen Einsatzes von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen bei der Herstellung, der Fertigung, dem Vertrieb, der Instandhaltung und Entsorgung von Erzeugnissen in die Verfahren zur Aufstellung von europäischen technischen Normen einzubeziehen.

3.2

In diesem Zusammenhang legt der Ausschuss großen Wert darauf, dass sich eine eigene europäische Normungskultur auf technischem Gebiet herausbildet, die ein wirksames und ausgewogenes Funktionieren des Binnenmarktes in der Europäischen Union gewährleistet. Insbesondere im Umweltbereich müssen Maßnahmen zur Fortbildung von Fachleuten und zur Erstellung und Verwendung von geeigneten Datenbanken ergriffen werden, die eine Prüfung der Möglichkeiten und Chancen für eine Berücksichtigung von Umweltaspekten im europäischen Normungssystem auch im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten erlauben.

3.3

Auf jeden Fall ist es nach Ansicht des Ausschusses unerlässlich, dass die Freiwilligkeit und solche Merkmale wie Einvernehmen, Offenheit und Transparenz der von den Betroffenen getragenen Verfahren als erfolgreiche Elemente der technischen Normung auf europäischer Ebene nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern auch bei der Berücksichtigung sozioökonomischer und ökologischer Aspekte verstärkt werden.

3.3.1

Der Ausschuss weist darauf hin, dass es derzeit bereits zahlreiche europäische technische Normen gibt, die sich entweder direkt auf die Umwelt beziehen oder Umweltaspekte berücksichtigen. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich auf die Normen über wesentliche Aspekte des Lebenszyklus von Produkten und auf genormte Mess- und Prüfverfahren hingewiesen, aber auch auf die technischen Normen über Umwelttechnologien und Umweltmanagement wie z.B. das Umweltmanagementsystem EMAS, das auf einer EN/ISO-Norm der Reihe 14001 basiert.

3.3.2

Der Ausschuss verweist außerdem mit Genugtuung darauf, dass die europäischen Normenorganisationen über ein geeignetes Instrumentarium für eine optimale Einbeziehung von Umweltaspekten bei der Aufstellung von technischen Normen verfügen. Beispiele sind der IEC-Leitfaden 109 (9) im Bereich technische Normen für elektrotechnische und elektronische Erzeugnisse, der 1995 erfolgreich eingeführt und erst unlängst überarbeitet wurde die 2002 bestätigte Norm ISO/TR 14062 (10) im Bereich der Produktentwicklung und die über 100 „Emissions and immunity quality standards“ der ETSI/CENELEC sowie der von der Umweltstelle (Environment Help Desk) der CEN angeregte Verhaltenskodex ISO/64.

3.4

Nach Überzeugung des Ausschusses sind die obigen Darlegungen eine Bestätigung dafür, dass sich das Ziel einer wirksamen Verknüpfung der Umweltaspekte mit dem Prozess der technischen Normung insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen durch Verhaltensrichtlinien, technische Protokolle und flexiblere Instrumente sowie durch Fortbildungskurse und Handbücher, in denen Kenntnisse vermittelt und Umweltfragen bereits in der Phase der Entwicklung von neuen Produkten, Produktionsverfahren und Dienstleistungen ins Bewusstsein gerückt werden, besser erreichen lässt. Wie der EWSA in seiner Stellungnahme wiederholt vorgeschlagen hat (11), können zu diesem Zweck die von EMAS eingeführten vereinfachten Verfahren oder die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften für Kleinunternehmen eingesetzt werden,

3.5

Der Ausschuss unterstreicht nachdrücklich, dass dabei Behinderungen oder eine Verlangsamung des Normungsprozesses verhindert werden müssen. Auch höhere Kosten und mehr Verwaltungsaufwand sind nicht mit den gemeinschaftlichen Grundsätzen der Normenvereinfachung vereinbar. In diesem Zusammenhang teilt der Ausschuss voll und ganz die Schlussfolgerung des Rates „Normung“ vom 1. März 2002, nämlich „die Auffassung, dass die Lebensfähigkeit des gesamten Normungssystems in Europa angesichts des sich rasch wandelnden europäischen und internationalen Umfelds und angesichts der Änderungen bei den herkömmlichen Einnahmequellen bei weitem nicht gesichert ist“ (12). Nach Auffassung des Ausschusses muss die Normung für die Unternehmen und Fachleute attraktiver und nützlicher gestaltet werden, denn bei ihnen liegt die technische Fachkompetenz, um Umweltaspekte zu vertretbaren Kosten besser in die Produktentwicklung einzubeziehen.

3.6

Die bestehenden Mechanismen müssen im Hinblick auf eine optimale Leistungsfähigkeit der Unternehmen weiterentwickelt werden, wobei es gilt, das Umweltfachwissen aller Akteure zu verbessern und eine aktive Beteiligung aller Betroffenen von Beginn des Normungsprozesses an sicherzustellen. Neben technischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten müssen auch Fragen des Gesundheitsschutzes, der Sicherheit und der Zufriedenheit der Kunden Berücksichtigung finden. Insbesondere in den letzten Jahren rückten Fragen wie die Verringerung und Rationalisierung des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und Energie, die Reduzierung von Abfällen und Emissionen und vor allem die Qualität des Verfahrens der Aufstellung freiwilliger Normen im Hinblick auf ihre einfache Umsetzung auf internationaler Ebene verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

3.7

Nach Ansicht des Ausschusses und angesichts des derzeitigen demokratischen Prozesses, der weitgehend auf einzelstaatlichen Strukturen basiert, wäre es zweckmäßig, die Frage, wie Umweltaspekte konkret in die Normung einbezogen werden können, den Betroffenen (Interessengruppen) zu überlassen, um so ein Herangehen nach dem Top-down-Prinzip zu vermeiden.

3.8

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Prozess der Aufstellung technischer Normen nicht den notwendigen Veränderungen in der Kultur und Mentalität der einzelnen Branchen vorgreifen darf, welche sich ihrer Eigenverantwortung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung bewusst werden müssen. Von besonderer Bedeutung ist hier die Aufgabe der Kommission, einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung zu leisten und durch die Verbreitung von Fachwissen und bewährten Praktiken einen kulturellen Wandel einzuleiten.

3.9

Die hohe Qualität der freiwilligen technischen Normen bildet ein wesentliches Element ihres Mehrwerts auf europäischer Ebene und kann nach Ansicht des Ausschusses nur durch eine aktive Beteiligung aller Interessengruppen am Normungsprozess gewährleistet werden, das heißt, durch Teilnahme von Branchenvertretern und Vertretern der kleinen und mittleren Unternehmen, Arbeitnehmern, Verbrauchern und Nichtregierungsorganisationen. Die hohe Zahl der Akteure ist die Gewähr für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erfordernissen, ganz abgesehen von den vorrangigen Aspekten des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit.

3.10

In Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sollte diese Beteiligung in erster Linie auf der Ebene der einzelnen Staaten erfolgen, was insbesondere für die neuen Mitgliedsländer gilt. Eine aktive und sachverständige Beteiligung sollte nicht nur im Hinblick auf die Nichtregierungsorganisationen, sondern auch und vor allem für KMU sichergestellt werden; insbesondere der Zugang der KMU zum Normungsprozess muss unter Berücksichtigung ihrer Struktur und Größe nachhaltig verbessert werden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die eigens für KMU eingerichteten europäischen Gremien wie die NORMAPME gestärkt und besser eingesetzt werden sollten.

3.11

Der Ausschuss unterstreicht die Notwendigkeit von EU-Maßnahmen zur Unterstützung des Aufbaus von Kapazitäten (capacity building) durch die Normen- und Nichtregierungsorganisationen in den neuen Mitgliedstaaten sowie von Projekten zur Ausbildung von Fachleuten und zur schnellen Einrichtung eines interoperablen und dezentralisierten Datenbanknetzes, das den Endnutzern möglichst nahe steht. Es geht hier vor allem darum, einen permanenten und besseren Zugang zu den Informationen und die bewusste Beteiligung aller Unternehmen am Normungsprozess zu gewährleisten.

3.12

In Bezug auf die Festlegung der Prioritäten bei der Normungsarbeit vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass diese weiterhin in einem einvernehmlichen und freiwilligen Verfahren unter Einbeziehung aller Interessengruppen erfolgen muss. Zu vermeiden sind rein politisch motivierte Prioritäten, welche die Besonderheiten der Erzeugnisse und ihrer Hersteller vernachlässigen.

3.13

In Bezug auf den Einsatz verbindlicher Normungsaufträge durch die Kommission im Rahmen des „neuen Konzepts“ vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass die Verwendung umwelttechnischer Normen nicht durch Entscheidungen von oben gefördert werden sollte, sondern auf einer breiten Akzeptanz umweltverträglicher Produkte beruhen muss und den Interessen und Bedürfnissen der Bürger und Verbraucher entsprechen sollte.

3.14

Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass gut definierte Normungsaufträge im Zuge der Umsetzung des neuen Konzepts zum Erfolg des Binnenmarktes beigetragen haben, dieser Erfolg aber nicht dadurch zunichte gemacht werden darf, dass schwierige Entscheidungsprozesse politischer Art in die technischen Normenorganisationen hineingetragen werden.

3.15

Der Umsetzung europäischer technischer Normen auf internationaler Ebene kommt nach Ansicht des Ausschusses bei der Gewährleistung einer vollen Marktpräsenz und der Konkurrenzfähigkeit unserer Produkte auf dem Weltmarkt wesentliche Bedeutung zu. Dank der Übereinkommen von Dresden und Wien sind derzeit mehr als 83 Prozent der CENELEC-Normen und ungefähr 40 Prozent der CEN-Normen direkt von Normen der internationalen Normenorganisationen ISO, IEC und ITU abgeleitet. Nach Auffassung des Ausschusses muss verhindert werden, dass die Erfordernisse der Normung im Umweltbereich als Handelshemmnisse im Sinne des TBT-Übereinkommens der Welthandelsorganisation interpretiert werden oder für die europäischen Unternehmen zu Wettbewerbsnachteilen auf dem Weltmarkt werden. In dieser Hinsicht ist ein aktives Auftreten sowohl im transatlantischen Dialog (TABD) als auch im Dialog mit Japan (EJBD) und dem Mercosur (MEBF) erforderlich, um die bestehende Kluft zwischen den europäischen und internationalen Normen nicht noch zu vergrößern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Beteiligung: Es muss vermieden werden, dass sich das Verfahren zur Annahme und Überarbeitung der Normen, das jetzt bereits im Durchschnitt drei bis fünf Jahre dauert, durch eine zu breite Beteiligung noch länger hinzieht. Das Subsidiaritätsprinzip muss dabei volle Anwendung finden. Auf nationaler Ebene muss die Beteiligung aller Interessengruppen, insbesondere der Unternehmer und Arbeitnehmer, gewährleistet werden, während auf europäischer Ebene die Vertreter der nationalen Normungsgremien ihre zuvor bereits abgestimmten Positionen einbringen sollten. Auf dieser Ebene muss auch eine Teilnahme der Vertreter der europäischen Verbände der kleinen und mittleren Unternehmen und der betroffenen NGOs gewährleistet sein, wobei auch hier die in den einzelnen Organisationen zuvor abgestimmten Positionen eingebracht werden sollten.

4.2

Zusammenarbeit: Der Ausschuss misst dem organisierten Austausch von technischem Fachwissen sowie der Entwicklung freiwilliger Verhaltenskodizes und bewährter Praktiken besondere Bedeutung bei. Dabei sollte man jedoch von den bereits bestehenden Instrumenten Gebrauch machen (vgl. Abschnitt 3.3.2), die es insbesondere im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten zu stärken und auszubauen gilt.

4.3

Kultur: Die Herausbildung einer europäischen Normungskultur im technischen Bereich, die auch sozioökonomische und ökologische Aspekte umfasst, ist ein vorrangiges Ziel der Unternehmen und ihrer Verbände, insbesondere der KMU, sowie der Organisationen der Arbeitnehmer und Interessengruppen. Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen benötigen sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene entsprechende finanzielle Unterstützung, um ihre Kenntnisse im Bereich der technischen Normung zu verbessern und eine qualifizierte und kompetente Vertretung zu gewährleisten.

4.4

Finanzierung: Notwendigkeit mehrjähriger Haushaltsposten auf einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene für Fortbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Diese Mittel sollten insbesondere für nationale und europäische Organisationen für Normung, für Sozialpartner und für Vertretungen der verschiedenen Organe der Zivilgesellschaft vorgesehen werden.

4.5

Prioritäten: Die Prioritätensetzung bei der Aufstellung neuer technischer Normen muss dem einvernehmlichen Ermessen aller Beteiligten überlassen werden, die ja die direkten Akteure des Normungsprozesses sind und daher volle Verantwortung dafür übernehmen sollten; die Prioritäten dürfen auf keinen Fall durch Entscheidungen von oben festgelegt werden. Instrumente: Der systematische Einsatz der Instrumente, wie zum Beispiel der unter Punkt 3.3.1 bis 3.3.2 genannten, zur Einbeziehung der Umweltaspekte bei der Normung ist als Angebot an die Akteure des freiwilligen technischen Normungsprozesses und nicht als Zwang zu verstehen.

4.6

Auswertung: die Auswertung und Einschätzung der Ergebnisse, die mit den Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und Fortbildung und zur Stärkung der nationalen und europäischen Normenorganisationen unter qualifizierter Beteiligung von NGOs und KMU-Vertretern erreicht wurde, sollte der Kommission, dem Rat, dem Europäischen Parlament und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss als Grundlage für die vorgesehenen Zweijahresberichte und die alle fünf Jahre erfolgende Überprüfung der Maßnahmen und der Gemeinschaftsstrategie auf diesem Gebiet dienen.

5.   Schlussbemerkungen

5.1

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass der Normungsprozess ohne weitere Behinderungen beschleunigt werden muss, um so die Entwicklung, und hohe Qualität des Binnenmarktes unter allen Gesichtspunkten - einschließlich der Umweltaspekte - zu gewährleisten. Ziel ist ein effizienter, kostengünstiger und unbürokratischer Normungsprozess und die vorausschauende Bewahrung der institutionellen Kapazitäten in den Mitgliedstaaten.

5.2

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass bei der Einbeziehung von Umweltaspekten in das europäische Normungssystem das Subsidiaritätsprinzip unbedingt beachtet werden muss, damit die volle Beteiligung aller Betroffenen an der Normung, insbesondere der KMU und der NGO, - besonders auf der den Beteiligten näher liegenden nationalen und regionalen Ebene sichergestellt werden kann.

5.3

Durch die Entwicklung des Weltmarktes und die Öffnung des Welthandels für neue große Partner wie China, Indien und Russland wird die Umsetzung der derzeitigen europäischen technischen Normen in internationale Normen im Sinne der Übereinkommen von Dresden und Wien zu einer vorrangigen Aufgabe, wobei sich die Ergebnisse der Normung in wirtschaftlichen Vorteilen für die europäischen Unternehmen niederschlagen müssen.

5.4

Nach Ansicht des Ausschusses besteht das Ziel in einer optimalen Komplementarität zwischen verbindlichen Umweltvorschriften und freiwilligen technischen Normen, die aus einem ausgeprägten Umwelt- und Qualitätsbewusstsein heraus entstehen sollten.

5.5

Die Plattformen zum Austausch bewährter Praktiken und für den fachlichen Dialog zwischen den sozialen Interessengruppen sollten daher unbedingt ausgebaut werden. Einzubeziehen sind die europäischen und einzelstaatlichen Normenorganisationen, die Industrie, die KMU, Vertreter der Arbeitnehmer, Verbraucher und NGO, um gemeinsam die Entwicklung des Normungsprozesses unter Berücksichtigung der Lissabon-Strategie und der Grundsätze eines nachhaltigen und wettbewerbsorientierten Wachstums zu fördern.

5.6

Insbesondere bedarf es folgender Maßnahmen:

Förderung einer europäischen Normungskultur im technischen Bereich für die EU;

Maßnahmen zur Fortbildung von Fachleuten und zum Ausbau und zur breiten Verwendung von geeigneten Datenbanken;

immer stärkere Verzahnung des europäischen Normungssystems mit dem Umweltschutz;

verstärkte Aktionen zur Bewusstseinsbildung auf der Nachfrageseite (d.h. bei den Verbrauchern), damit sich die Nachfrage und damit der Markt stärker vom Kriterium des nachhaltigen Einsatzes der natürlichen Ressourcen bei den Rohstoffen und bei den Fertigprodukten leiten lässt;

Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den vorrangigen Anliegen der Sicherheit, Hygiene und des Gesundheitsschutzes und den weltweiten Umweltaspekten unter Berücksichtigung des Protokolls von Kyoto;

volle Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch Förderung der Beteiligung aller Interessengruppen auf nationaler und regionaler Ebene;

flexiblere Verhaltensrichtlinien mit dem Ziel umweltfreundlicher Normungsprozesse, um vor allem die KMU besser in die technischen Prozesse einzubeziehen und dabei auch die Wirtschaftlichkeit in der Phase der Entwicklung von neuen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen zu berücksichtigen;

Entwicklung einer Plattform für den Informationsaustausch über die Lissabon-Strategie für den Binnenmarkt und den Aktionsplan 2004-2010 für Umwelt und Gesundheitsschutz mit dem Ziel eines Fachdialogs zwischen allen am Normungsprozess Beteiligten: CEN, CENELEC, ETSI, Normungs-KMU, ANEC (Verbraucher), TUTB (Gewerkschaften und Arbeitnehmer), ECOS (Umweltbelange), Industrie, Handel und Dienstleistungssektor;

Unterstützung der Entwicklung einer technischen Basisnormung für Qualitätsvorschriften für Produkte und Verfahren im Bereich der Agrarproduktion und Lebensmittelindustrie.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  KOM(2001) 264 endg.

(2)  Stellungnahme des EWSA 1494/2001 vom 29.11.2001 und Stellungnahme des EWSA 661/2004 vom 29.4.2004.

(3)  EG-Vertrag, Art. 2 und 6 (konsolidierte Fassung).

(4)  Beschluss 1600/2002/EG vom 22.7.2002.

(5)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch zur integrierten Produktpolitik“ (ABl. C 260 vom 17.9.2001) und Stellungnahme des EWSA 1598/2003 vom 10.12.2003 zu der Mitteilung „Integrierte Produktpolitik – Auf den ökologischen Lebenszyklus-Ansatz aufbauen“.

(6)  Mitteilung der Kommission KOM(2002) 278 endg.

(7)  Mitteilung „Industriepolitik in einem erweiterten Europa“, KOM(2002) 714.

(8)  Mitteilung „Binnenmarktstrategie - Vorrangige Aufgaben 2003-2006“, KOM(2003) 238.

(9)  IEC-Leitfaden 109 über „Umweltaspekte - Einbeziehung in elektrotechnische Produktnormen“.

(10)  ISO/TR 14062 über „Environmental management – integrating environmental aspects into product design and development“.

(11)  Stellungnahme des EWSA CES 560/1999 vom 29. Mai 1999 (ABl. C 209 vom 22.7.1999).

(12)  ABl. C 66 vom 15.3.2002.


23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Stadtnahe Landwirtschaft“

(2005/C 74/12)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Juli 2003 gemäß Artikel 29 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Stadtnahe Landwirtschaft“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr CABALL i SUBIRANA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 16. September) mit 132 gegen 3 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1   Eine durch die Stadtnähe bedingte Produktionstätigkeit

1.1.1

Die Problematik der stadtnahen Räume ist ein Gegenstand der Diskussion und des Interesses mehrerer europäischer Einrichtungen, u.a. auch des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses. Diese Problematik gewinnt in vielen Orten der EU infolge der städtebaulichen, industriellen und gewerblichen Entwicklung und des Ausbaus der Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur immer mehr an Bedeutung, wodurch es zu einer Einverleibung dieser Räume zu Lasten der landwirtschaftlichen Produktionsflächen sowie zur Entstehung von immer mehr Agrarflächen in Randlage oder nicht wettbewerbsfähig nutzbaren Agrarflächen kommt.

1.1.2

Die Landwirtschaft in stadtnahen Gebieten ist durch das städtische Umfeld bedingt, in dem sie betrieben wird und dessen negative Einflüsse ihr wirtschaftliches Überleben erschweren. Diese negativen Auswirkungen sind die wichtigsten Ursachen der Umweltverschlechterung dieser Gebiete und verschlechtern die sozialen Beziehungen zwischen Stadt und Land. Dadurch entstehen Effekte der Loslösung von Stadt und Land, die je nachdem, wie sie behandelt und gelöst werden, eine ernsthafte Gefahr für den künftigen Bestand der landwirtschaftlichen Tätigkeit darstellen können.

1.1.3

Zu den üblichen Problemen der Landwirtschaft im stadtnahen Raum kommt noch eines neueren Ursprungs hinzu, bei dem es um die Bewahrung der freien Räume rund um die Städte, die nicht landwirtschaftlich genutzt sind, geht. Hier kommt eine Sichtweise des Raums als „Themenpark“ zum Tragen, bei der alles künstlich, aus dem Zusammenhang gerissen und unpersönlich wirkt und die mit ästhetischen Kriterien gerechtfertigt wird, die auf irrigen Vorstellungen von der Erhaltung der biologischen Vielfalt bzw. auf einem Landschaftsbegriff beruhen, bei dem die Landwirtschaft nur noch eine nebensächliche Rolle spielt oder Folklorezwecken dient.

1.1.4

In der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU wird die Notwendigkeit einer Diversifizierung der landwirtschaftlichen Betriebsführung durch Tätigkeiten propagiert, die den Landwirten und Landwirtinnen neue Einkommen bringen sollen. Dabei muss jedoch klar sein, dass es ohne Landwirtschaft auch keine Agrarlandschaft gibt, d.h. eine Landschaft mit Feldern, Tieren, Wiesen und vor allem mit Landwirten und Landwirtinnen.

1.1.5

All diese Faktoren (der Urbanisierungsdruck, die Tendenz zu einer Landwirtschaft ohne Landwirte und Landwirtinnen und die Reform der GAP selbst) führen zu erheblichen Problemen für die Kontinuität und Stabilität der stadtnahen Landwirtschaft (die wesentlich schwerwiegender als in anderen, ähnlichen agroklimatischen Gebieten sind, sodass die Gefahr, dass die landwirtschaftliche Tätigkeit ganz verschwindet, wesentlich höher ist).

1.1.6

Zu dem Verlust an bewirtschaftungsfähigem Boden kommen noch die Schwierigkeiten hinzu, die sich für die Betriebe daraus ergeben, dass es in einigen EU-Mitgliedstaaten keine eindeutigen Rechtsvorschriften zur Regulierung des Marktes für Nutzflächen und landwirtschaftliche Pachtverträge und damit keinen Markt für bewirtschaftungsfähigen Boden gibt, was die Eingliederung des landwirtschaftlichen Nachwuchses oder die Betriebsvergrößerung erschwert. Viele öffentliche oder private Bodeneigentümer blockieren den Markt für Nutzflächen, indem sie kein Land an Haupterwerbslandwirte verpachten. Diese Bodenspekulation ist eine der größten Belastungen für die Zukunft vieler landwirtschaftlicher Betriebe in Stadtnähe. Sie muss von den EU-Mitgliedstaaten durch entsprechende Rechtsvorschriften bekämpft werden.

1.1.7

Landwirtschaftliche Räume, an denen die Veränderungen in der Landwirtschaft in den letzten Jahren nicht vorbeigegangen sind, sind durch Werte und bestimmte Funktionen gekennzeichnet, die sie für die jeweils gewünschten Nutzungen geeignet machen oder nicht.

1.2   Viel mehr als nur eine Wirtschaftstätigkeit

1.2.1

Der EWSA, der sehr an Fragen der ländlichen Entwicklung interessiert ist und dem die Sicherung der Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Entwicklung der ländlichen Räume in Europa ein besonderes Anliegen ist, weist darauf hin, dass die umwelterhaltenden, sozialen und wirtschaftlichen Funktionen, die die Agrarflächen ebenfalls erfüllen, im stadtnahen Raum eine größere Bedeutung als im übrigen Land haben. Landwirtschaftliche Flächen dienen hier den großen Ballungsräumen als grüne Lunge; sie sind ein unentbehrlicher Bestandteil der Raumplanung, weil sie das unbegrenzte Wachstum der Städte verhindern, landschaftliche Freiräume schaffen und das städtische Umfeld lebenswerter machen. Ihre wirtschaftliche Funktion, die für die Aufrechterhaltung und die Zukunftsperspektiven der landwirtschaftlichen Räume grundlegend ist, wird dagegen durch den Urbanisierungsdruck, dem sie ausgesetzt sind, und durch die geringe produktive Bedeutung, die ihnen im Gesamtrahmen der Wirtschaft der stadtnahen Gebiete zugewiesen wird, gemindert.

1.2.2

Der EWSA macht sich den ersten Grundsatz der Konferenz von Salzburg zu eigen: Es gibt keine Landwirtschaft ohne einen lebendigen ländlichen Raum, und keinen lebendigen Raum ohne Landwirtschaft (1). Daraus folgt, dass die eigentlichen Protagonisten der stadtnahen ländlichen Räume in erster Linie die Haupterwerbslandwirte und -landwirtinnen sind und sein müssen, wobei er auch die wichtige Rolle anerkennt, die Nebenerwerbslandwirte und -landwirtinnen in vielen stadtnahen Räumen spielen.

1.3   Eine Landwirtschaft zwischen begrenzenden Faktoren und Chancen in einem heterogenen, dynamischen Raum

1.3.1

Der EWSA ist sich der Schwierigkeiten einer eindeutigen Definition des Begriffs „stadtnaher Raum“ angesichts seiner außerordentlichen Heterogenität und Dynamik bewusst. Ein stadtnaher Raum ist vor allem eine Schnittfläche zwischen dem Landleben im engeren Sinne und dem Stadtleben. Er weist zwar die wesentlichen Merkmale des Landlebens auf, ist aber gleichzeitig der Anziehungskraft des Stadtlebens ausgesetzt.

1.3.2

Gemeinsames Merkmal stadtnaher Räume sind ihre prekäre Situation u.a. auf regionaler, ökologischer und sozialer Ebene und der Umstand, dass sie in der Peripherie städtischer Verdichtungsräume angesiedelt ist. Gerade die in diesen Räumen ausgeübte Haupterwerbslandwirtschaft wird als „stadtnahe Landwirtschaft“ bezeichnet. Neben dieser Haupterwerbslandwirtschaft gibt es andere mit Pflanzenanbau verbundene Tätigkeiten, deren Ziele im Bereich der Erholung, Therapeutik, Pädagogik usw. oder im Bereich der Gestaltung und Pflege von Landschaften und Gärten usw. liegen. Derartigen Tätigkeiten kommt in einigen Regionen der Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung zu.

1.3.3

Diese ländlichen Räume sind durch spezielle begrenzende Problemlagen gekennzeichnet, die sie von anderen ländlichen Räumen unterscheiden und ihre künftige Fortführbarkeit gefährden.

1.3.4

Andererseits weist die stadtnahe Landwirtschaft oft aber auch ihr eigenen Vorteile auf, die es bestmöglich zu nutzen gilt: die Chancen, die ihre Nähe zu einem Abnehmermarkt bietet, das wachsende Bewusstsein der Verbraucher für Qualität und Sicherheit der Lebensmittel und die gesellschaftliche Nachfrage nach neuen Tätigkeiten (Freizeit, Bildung, Umweltaufklärung, Öko-Tourismus u.a.). Diese neuen komplementären Tätigkeiten können zur Diversifizierung des Betriebsrisikos und zur Aufbesserung der landwirtschaftlichen Einkommen beitragen.

1.3.5

In diesem Sinne legt Artikel 20 der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) fest: „Den benachteiligten Gebieten können auch andere durch spezifische Nachteile gekennzeichnete Gebiete zugerechnet werden, in denen die Landwirtschaft, sofern erforderlich und gegebenenfalls mit besonderen Auflagen, zur Erhaltung oder Verbesserung der Umwelt, zur Erhaltung des ländlichen Lebensraums und ihrer Eignung für den Fremdenverkehr oder aus Gründen des Küstenschutzes fortgeführt werden sollte.“ Dies untermauert das Postulat des EWSA, dass stadtnahe ländliche Räume mit stadtnaher Landwirtschaft als „durch spezifische Nachteile gekennzeichnete Gebiete“ anzusehen sind.

1.3.6

Die Agenda 2000 und die jüngst erfolgte Zwischenüberprüfung der GAP haben diesen Leitlinien neue Impulse verliehen.

1.3.7

In der Präambel der Schlussfolgerungen der Salzburger Konferenz wird hervorgehoben, dass „den europäischen Landwirten geholfen werden muss, ihre multifunktionale Rolle als Landschaftspfleger und marktorientierte Erzeuger in der gesamten EU zu erfüllen“ (2). Dies wurde in der Initiativstellungnahme des EWSA „2. Pfeiler der Gemeinsamen Agrarpolitik: Perspektiven der Anpassung der Politik zur Entwicklung der ländlichen Gebiete (Folgemaßnahmen zur Salzburger Konferenz“ (3) deutlich, für die Herr BROS Berichterstatter war.

2.   Ziele zur Erhaltung und Weiterentwicklung der stadtnahen Landwirtschaft

2.1

Für den EWSA ist die stadtnahe Landwirtschaft durch offenkundige begrenzende Faktoren und eigene, eindeutig ermittelbare und definierbare Besonderheiten gekennzeichnet. Für die dadurch verursachten besonderen Schwierigkeiten sind konkrete Maßnahmen erforderlich, um stadtnahe Gebiete mit landwirtschaftlicher Produktion zu erhalten, zu gestalten und zu bewirtschaften. Dazu schlägt der Ausschuss vor, Mechanismen und Instrumente für den Schutz und die Weiterentwicklung stadtnaher landwirtschaftlicher Räume zu schaffen.

2.2   Ziel 1: Anerkennung der stadtnahen Räume mit landwirtschaftlicher Produktion durch Gesellschaft, Politik und Verwaltung als ländliche Gebiete mit besonderen begrenzenden Schwierigkeiten

2.2.1   Förderung eines aktiven, leistungsstarken Geflechts von „Zwischenstädten“

2.2.1.1

Der EWSA stellt fest, dass die „Verstädterung“ des Gemeinschaftsraumes immer stärkere Züge annimmt. Die extensive Urbanisierung wächst dispergierend in den Raum hinein, mit einem stetigen, unwiederbringlichen Verlust an fruchtbarem Boden. Dies ist der wichtigste beschränkende Faktor der stadtnahen Gebiete, wie in der Initiativstellungnahme des EWSA „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“ (4) (Berichterstatter: Herr VAN IERSEL) festgestellt wird.

2.2.1.2

Das Verschwinden der landwirtschaftlichen Nutzung wirkt sich nicht nur auf den Agrarsektor aus, sondern hat auch Folgen für den Erhalt der Naturressourcen, die Aufrechterhaltung der Lebensqualität der Stadtbewohner und eine ausgewogene Raumordnung.

2.2.1.3

Für eine ausgewogene, nachhaltige europäische Raumplanung ist es aus Sicht des EWSA notwendig, ein aktives, leistungsstarkes Netz aus „Zwischenstädten“ aufzubauen, die nicht so sehr durch ihre Bevölkerungsgröße definiert sind, sondern durch ihre Mittlerfunktion zwischen ländlichen und städtischen Gebieten in ihrem Einzugsbereich.

2.2.1.4

Ein solches Zwischengeflecht ist nur möglich, wenn es rundherum landwirtschaftliche und natürliche Räume gibt, mit anderen Worten: stadtnahe Räume, die u.a. eine Trennungsfunktion zwischen bebauten Räumen und eine Verbindungsfunktion zwischen Naturräumen haben, dadurch den Eigencharakter der Gemeinden unterstreichen und stärken, die Artenvielfalt schützen und eine lebensfähige Agrarproduktion ermöglichen.

2.2.2   Anerkennung der Bedeutung der Landwirtschaft für das Verhältnis Stadt/Land

2.2.2.1

Für den EWSA muss an erster Stelle ganz klar die gesellschaftliche, politische und administrative Anerkennung der Existenz ländlicher/städtischer (stadtnaher) Gebiete mit landwirtschaftlicher Produktion und ihrer besonderen Problemlage sowie der Rolle, die ihnen im Verhältnis Stadt-Land zukommt, stehen.

2.2.2.2

Als Referenz für die Anerkennung stadtnaher landwirtschaftlicher Räume und der dort betriebenen landwirtschaftlichen Produktion bedarf es erstens der Untersuchung der Probleme, mit denen diese Räume konfrontiert sind und die auch von ihnen ausgehen, und zweitens einer umfassenden Analyse der Werte, die mit diesen Räumen verbunden sind (Wasser, Landschaft, Artenvielfalt, Architektur, Agrarstruktur usw.), sowie der wirtschafts-, umwelt- und sozialpolitischen Funktionen, die diese Räume in Abhängigkeit von den jeweiligen Werten erfüllen müssen.

2.2.3   Sensibilisierung als Mittel zur Anerkennung

2.2.3.1

In der Gesellschaft muss ein Bewusstsein für den Wert des Bodens als einer begrenzten Naturressource und als ein gemeinsames Erbe geschaffen werden, das nur schwer wiederzugewinnen ist, wenn es erst einmal zerstört ist. Daher ist es für ein zentripetales (stadteinwärts gerichtetes) Wachstum der Städte notwendig, Programme für den Rückbau und die Wiedergewinnung brachliegender städtischer Räume und Industrieflächen aufzulegen, den Verlust von immer mehr Land an die bauliche Nutzung zu vermeiden und spezifische Rechtsvorschriften zu erlassen, die auf die Bekämpfung der im Randgebiet zahlreicher europäischer Städte verbreiteten Spekulation mit Agrarflächen abzielen.

2.2.3.2

Damit die gesellschaftliche, politische und administrative Anerkennung europaweit erfolgt, schlägt der EWSA vor, eine Gemeinschaftsaktion für stadtnahe landwirtschaftliche Räume und die dort betriebene landwirtschaftliche Produktion einzuleiten, durch die ihre Werte und Funktionen anerkannt und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass jeder Mitgliedstaat mit eigenen Rechtsvorschriften, aber auf der Grundlage gemeinsamer Kriterien, für ihren Schutz und ihre Weiterentwicklung sorgen kann.

2.3   Ziel 2: Bewahrung stadtnaher landwirtschaftlicher Räume vor der Integration in den Urbanisierungsprozess durch Planung, Raumordnung und kommunale Gestaltung

2.3.1

Nach Ansicht des EWSA reicht es für die Erhaltung stadtnaher landwirtschaftlicher Räume nicht aus, dass Gesellschaft und Politik sie begrifflich anerkennen und sich ihnen gegenüber aufgeschlossen zeigen, sondern es ist unerlässlich, dass alle Mitgliedstaaten Instrumente für die Bewirtschaftung stadtnaher landwirtschaftlicher Flächen besitzen und anwenden, durch die Spekulationsprozesse, die zur Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen führen, verhindert werden.

2.3.2

Nach Auffassung des EWSA müssen Flächennutzungsinstrumente geschaffen werden, die sich auf sechs Säulen stützen:

a)

Nutzung gesetzlicher Instrumente der Raum- und Stadtplanung auf europäischer wie nationaler und regionaler Ebene und der Flächennutzung auf nationaler und regionaler Ebene, die Maßnahmen für den Umgang mit stadtnahen landwirtschaftlichen Räumen und die Durchführung agrarpolitischer Vorgaben umfassen und die die Neuausweisung von Agrarflächen für andere Nutzungen erschweren.

b)

Nutzung gesetzlicher, transparenter Instrumente zur Regelung der zeitweisen Gebrauchsüberlassung von Flächen durch private und öffentliche Eigentümer mithilfe von Pachtverträgen an Haupterwerbslandwirte zur ackerbaulichen und/oder viehhalterischen Nutzung des Bodens mit dem Ziel einer besseren Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Betriebe.

c)

Vermeidung einer Überbesteuerung landwirtschaftlich genutzter Flächen in diesen Regionen, wobei diese steuerlich Industrieflächen und/oder Wohngebieten gleichgestellt werden müssen.

d)

Verstärkung und/oder Wiederankurbelung kommunaler Initiativen nach dem Subsidiaritätsprinzip (Verantwortung der Kommunalverwaltung und der Kommunalpolitiker) im Bereich der Stadtplanung, immer unter Verwendung von suprakommunalen Kriterien, die auf der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und dem territorialen Zusammenhalt basieren.

e)

Einführung neuer Finanzierungskriterien der Kommunen, wie z.B. des Konzepts der „geschützten landwirtschaftlichen Fläche“, bei denen der Schutz landwirtschaftlich genutzter Böden Vorrang vor der städtebaulichen Nutzung erhält, was die Abhängigkeit der Finanzierung durch Kommunalsteuern im Hinblick auf andere Kriterien verringern würde.

f)

Obligatorische und verbindliche Durchführung einer „Analyse der Auswirkungen auf die Landwirtschaft“ durch die zuständige Landwirtschaftsbehörde, wenn eine Maßnahme im ländlichen Raum geplant ist, die zu einem Verlust von Agrarflächen führen könnte.

2.3.3

Zweck dieser Instrumente der Stadt- und Raumplanung, der Flächennutzung, der kommunalen Finanzierung und der Analysen der Auswirkungen auf die Landwirtschaft ist die Bewahrung stadtnaher landwirtschaftlicher Räume vor der ständigen Nachfrage nach Grundstücken in der Stadt (für das Wachstum der Stadt, die Entwicklung von Industrie und Dienstleistungssektor sowie für Kommunikations- und Energieinfrastruktur) und die Verhinderung der Verödung von Flächen, die als Vorwand genutzt werden kann, um die Existenzberechtigung stadtnaher landwirtschaftlicher Flächen in Frage zu stellen und ihr Verschwinden zu rechtfertigen.

2.4   Ziel 3: Gewährleistung einer dynamischen, nachhaltigen Entwicklung der stadtnahen Landwirtschaft und der Räume, in denen sie betrieben wird

2.4.1

Nach Ansicht des Ausschusses muss die Gewährleistung einer dynamischen, nachhaltigen Entwicklung der stadtnahen Landwirtschaft und der Räume, in denen sie betrieben wird, das Ergebnis eines Prozesses sein, in dem der örtlichen Verwaltung eine wesentliche Rolle zukommt, bei der sie sich neben regionalen Planungskriterien und suprakommunalen Raumordnungskriterien auf Kriterien der interkommunalen Verwaltung stützt.

2.4.2

Dazu ist es notwendig, dass sich die einzelnen stadtnahen Gebiete zusammenschließen und eine Organisation gründen, deren Hauptziel nicht nur die Wahrung ihrer Interessen, sondern auch die dynamische Förderung der landwirtschaftlich genutzten Räume und der landwirtschaftlichen Tätigkeit durch suprakommunale Pläne zur Erhaltung, Nutzung und Bewirtschaftung des Bodens ist.

2.4.3

In dieser Organisation wirken Landwirte und Landwirtinnen mit, um in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den örtlichen Gemeinwesen (Bürgern und Kommunalpolitikern) und anderen beteiligten Partnern (Hochschulen, Umweltschützern u.a.) ihre Ziele durchzusetzen und die Bewirtschaftung der landwirtschaftlich genutzten Räume zu koordinieren.

2.4.4

Die für stadtnahe Gebiete verantwortlichen Entscheidungsträger müssen konservativ hinsichtlich der raumspezifischen Werte und progressiv (vorwärtsdenkend, phantasievoll, kreativ) hinsichtlich der Vorschläge zur Entwicklung der Funktionen des stadtnahen Raums sowie rigoros hinsichtlich der Regelung der Nutzungen sein. Kurzum: Sie müssen nach Nachhaltigkeitskriterien handeln.

2.4.5

Bei der Bewirtschaftung der stadtnahen landwirtschaftlichen Räume muss nach dem Subsidiaritätsprinzip ein Bündnis zwischen den Verwaltungen und dem produzierenden Agrarsektor erreicht werden, das ein förmliches Engagement zur Erhaltung und Entwicklung dieser Räume beinhaltet und in einem Pakt für eine nachhaltige Landbewirtschaftung zwischen Behörden und Landwirten zum Ausdruck kommt.

2.4.6

Die Bewirtschaftung muss sich auf ein „Kooperationsnetz (5) zwischen öffentlichen und privaten Akteuren gründen, die sich für die Bewirtschaftung aktiv einsetzen und in einer Art „Beteiligungs- und Bewirtschaftungsgesellschaft“ organisiert sind. In dieser sollten Ziele festgelegt und gemeinsame Interessen ermittelt sowie den lokalen Begebenheiten und Naturressourcen entsprechende Maßnahmen (z.B. Förderung bestimmter Produkte, Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, Verstärkung der Umwelterziehung, Landschaftsschutz) angeregt werden. Insgesamt handelt es sich um ein Gremium, das allgemeine Bedingungen definieren, ihre Anwendung überwachen und Maßnahmen zur Unterstützung und Förderung des stadtnahen Raums in die Wege leiten soll.

2.4.7

Richtschnur einer entsprechenden Vorgehensweise sollten auch für die stadtnahe Landwirtschaft folgende Aussagen der Salzburger Konferenz sein: „Die künftige Politik muss die EU-Förderung für den ländlichen Raum durch lokale Partnerschaften nach dem Bottom-up-Prinzip straffen. […] Die Programmpartner müssen breitere Befugnisse erhalten, um eigenverantwortlich umfassende Strategien entwerfen und durchführen zu können, die auf klar festgelegten Zielen und Ergebnissen beruhen“ (Grundsatz 6 und 7 der Schlussfolgerungen der Konferenz von Salzburg).

2.4.8

Neben den Pakten für eine nachhaltige Landbewirtschaftung dürfen Projekte der suprakommunalen Bewirtschaftung nicht außer Acht gelassen werden, die aufgrund der raumspezifischen Merkmale der landwirtschaftlich genutzten Räume (ländlich-städtische Räume) als Projekte in „Übergangsräumen“ zwischen Behörden und Bewirtschaftungsgesellschaften aufzufassen sind, die als Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung von Agrarflächen dienen und Wechselwirkungen zwischen Stadt und Land für die Erwirtschaftung von Einkommen hervorbringen. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass ein Teil der nichtlandwirtschaftlichen Einkommen aus landwirtschaftlich genutzten Räumen auch dem Agrarsektor selbst zugute kommen.

2.4.9

Die Projekte in den Übergangsräumen müssen von den „Beteiligungs- und Bewirtschaftungsgesellschaften“ der stadtnahen landwirtschaftlichen Räume gefördert werden und auf multisektoralen Kriterien beruhen. Dazu zählen wirtschaftliche Aspekte wie die Befriedigung der Verbrauchernachfrage durch die Produktion, ökologische Aspekte wie die Begrenzung der Umweltfolgen der Produktion oder die Pflege und Erhaltung der Landschaft sowie soziale Aspekte wie die Erfüllung der Bedürfnisse von Stadtbewohnern (z.B. Nutzung des landwirtschaftlichen Raums für Aktivitäten im Freien und zu didaktischen Zwecken).

2.4.10

Die Umsetzung von Projekten in den Übergangsräumen und von Pakten zur Landbewirtschaftung durch die für den stadtnahen landwirtschaftlichen Raum verantwortliche Trägergesellschaft setzt voraus, dass die an der Bewirtschaftung eines stadtnahen ländlichen Raums beteiligten Akteure (vor allem die lokalen Gebietskörperschaften und der Agrarsektor) eine institutionelle Vereinbarung erarbeiten und in Kraft setzen, um die notwendige umfassende Bewirtschaftung dieses Raums zu verwirklichen.

2.4.11

Die institutionelle Vereinbarung zwischen den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und den Landwirten und -wirtinnen könnte auf der Formulierung allgemeiner Leitsätze beruhen, die in einer „Charta der stadtnahen Landwirtschaft“ festgelegt sind.

2.4.12

Diese Charta könnte weiter ausgearbeitet werden, um den beiderseitigen Verpflichtungen Nachdruck zu verleihen und ihre zügigere Umsetzung zu erreichen. Dazu sollte ein „strategischer Plan für die Bewirtschaftung und nachhaltige Entwicklung“ erstellt und genehmigt werden, in dem die Grundsätze und strategischen Anforderungen definiert und die durchzuführenden Maßnahmen zur Bewahrung der Werte und Weiterentwicklung der Funktionen eines konkreten stadtnahen landwirtschaftlichen Raums dargelegt werden.

3.   Schlussfolgerungen

3.1

Die Durchführung der Projekte in den Übergangsräumen und der Vereinbarungen über die beiderseitigen Verpflichtungen müssen auf den definierten Kriterien eines Paktes Stadt-Land in Form von Bewirtschaftungsgesellschaften und Mechanismen zur Beteiligung der Bürger und der Landwirte beruhen. Mit den Pakten sind folgende Ziele zu verfolgen:

a)

Ziel 1: Die Aufstellung eines regionalen Projekts zur Erhaltung und Entwicklung der stadtnahen landwirtschaftlichen Räume. Diese Projekte müssen in Raumordnungs-, Stadtplanungs- und Flächennutzungsplänen sowie spezifischen Rechtsvorschriften zur Regulierung des Marktes für Agrarflächen zum Ausdruck kommen.

b)

Ziel 2: Die Stabilität der stadtnahen landwirtschaftlichen Räume muss durch entsprechende Instrumente und Mechanismen gewährleistet sein, die den Druck durch die Expansionstendenzen der Städte und durch nicht mit der Agrarproduktion zusammenhängenden Nutzungen so weit wie möglich reduzieren und die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens erleichtern.

c)

Ziel 3: Die integrale Bewirtschaftung durch eine Trägergesellschaft, die als Impulsgeber und Förderer für die stadtnahen landwirtschaftlichen Räume fungiert und den Bürgern die Werte dieser stadtnahen Räume bewusst macht. Eine dynamische, nachhaltige Entwicklung ist durch eine Vereinbarung zur Durchführung von Projekten in Übergangsräumen und durch eine vertragliche Beziehung zwischen den Bürgern, der Verwaltung und den Landwirten im Rahmen eines Paktes für eine nachhaltige Landbewirtschaftung zu gewährleisten.

3.2

Folgende Faktoren sind grundlegend für die Verwirklichung dieser Ziele:

a)

Die aktive Beteiligung von Frauen und Jugendlichen an den regionalen Projekten und den Pakten über die Landbewirtschaftung muss zur Bestandssicherung in der Gegenwart und zur Sicherung der Kontinuität in der Zukunft gestärkt werden.

b)

Die Bürger müssen davon überzeugt sein, dass die Lebensmittelsicherheit von Agrarprodukten gewährleistet ist und die Landbewirtschaftung ökologisch einwandfrei und sozial nützlich ist.

c)

Wasser muss als konsolidierender Faktor in den stadtnahen landwirtschaftlichen Räumen anerkannt werden. Dazu sind spezielle Rechtsvorschriften zu schaffen, die – ohne den Gebrauch von Wasser für die Landwirtschaft zu schmälern – eine neue „Kultur des Wassers“ errichten, deren Grundsätze ein sparsamer Umgang mit Oberflächen- und Grundwasser und die Wiederverwendung gereinigter Abwässer für landwirtschaftliche Zwecke sind.

d)

Die Konsolidierung der stadtnahen landwirtschaftlichen Räume muss durch die gesellschaftliche Anerkennung erfolgen, dass sie mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert sind.

e)

Die Entwicklung von Instrumenten und Maßnahmen zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Einkommen, zur Erhöhung der Effizienz der Infrastruktur und die Verbesserung des Angebots an Diensten für die Agrartätigkeit.

f)

Die Förderung an der Marktnachfrage ausgerichteter Produktions- und Vermarktungssysteme, insbesondere die Steigerung der Lebensmittelvielfalt durch die Stärkung einer nachhaltigen, umweltfreundlichen, die kulturelle Identität wahrenden und das Wohl der Tiere achtenden Agrartätigkeit.

g)

Der schonende Einsatz der Ressourcen (vor allem von Boden, Wasser und Landschaft) und deren Erhaltung.

3.3

Angesichts der besonderen Problemlage der stadtnahen landwirtschaftlichen Räume und der stadtnahen Landwirtschaft in Europa hält der EWSA die Einrichtung einer Europäischen Beobachtungsstelle für die stadtnahe Landwirtschaft für besonders dringlich. Sie muss den stadtnahen landwirtschaftlichen Räumen und der dort betriebenen Landwirtschaft eine europäische Vision geben und ein Referenzzentrum für die Beobachtung, Untersuchung und Informierung über die Lage der stadtnahen Landwirtschaft in Europa sein. Darüber hinaus soll sie als Ort der Begegnung, der Beratung und des Gesprächs zwischen den Kommunal- und Regionalverwaltungen und den verschiedenen europäischen Organisationen dienen und Initiativen zur Erhaltung und Entwicklung der stadtnahen Räume und ihrer Landwirtschaft vorschlagen.

Brüssel, den 16. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  Wörtlich: „Ein lebendiger ländlicher Raum ist für die Landwirtschaft unverzichtbar, wie auch die Landwirtschaft unverzichtbar ist für einen lebendigen ländlichen Raum.“ - Schlussfolgerungen der zweiten europäischen Konferenz über die ländliche Entwicklung vom 12.-14. November 2003 in Salzburg; MEMO/03/236.

(2)  Siehe Fußnote 1.

(3)  CESE 961/2004 – NAT/243.

(4)  CESE 968/2004 – ECO/120.

(5)  Siehe Fußnote 1.