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Document 52004AE1208

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung“KOM(2004) 130 endg.

OJ C 74, 23.3.2005, p. 57–62 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)
OJ C 74, 23.3.2005, p. 31–31 (MT)

23.3.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 74/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung“

KOM(2004) 130 endg.

(2005/C 74/11)

Die Kommission beschloss am 25. Februar 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 6. Juli 2004 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 411. Plenartagung am 15./16. September 2004 (Sitzung vom 15. September) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Frage der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung gehört zu den Prioritäten, die die Kommission in ihrer 2001 formulierten Strategie der Europäischen Union für eine nachhaltige Entwicklung (1) gesetzt hat. Der Ausschuss hatte im November 2001 Gelegenheit, eine Stellungnahme dazu abzugeben, und zog jüngst Bilanz in dieser Frage (2). Die genannte Strategie zielt darauf ab, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlichen, sozialen und Umweltaspekten herzustellen und die im EU-Vertrag (3) grundsätzlich vorgesehene Einbeziehung der Erfordernisse des Umweltschutzes in die übrige Politik der Gemeinschaft stärker durchzusetzen. Im sechsten Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft (4) wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass bei der technischen Normungsarbeit den Erfordernissen des Umweltschutzes Rechnung zu tragen ist.

1.2

Die technische Normung kann außerdem einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines voll integrierten Binnenmarkts unter dem Gesichtspunkt eines umweltverträglichen Fortschritts leisten. Damit kann das Ziel, bis 2010 der Wirtschaftsraum mit der größten Wettbewerbsfähigkeit zu werden, mit der Entwicklung einer nachhaltigen und für mehr und bessere Beschäftigung sorgenden Wirtschaft in einem erweiterten, wirtschaftlich und sozial immer stärker zusammenwachsenden Europa in Einklang gebracht werden. Das ist erklärtes Ziel der im Jahr 2000 von den Staats- und Regierungschefs der EU verabschiedeten Strategie von Lissabon.

1.3

Andererseits stellt die technische Normung, die auf dem Grundsatz des freien Einvernehmens aller Beteiligten aufbaut, ein wesentliches Element für die Umsetzung der einschlägigen EU-Politik und insbesondere der Integrierten Produktpolitik dar. In der IPP, zu der sich der Ausschuss bereits mehrfach geäußert hat (5), gilt die Normung als potenzielles Instrument zur Verringerung der Umweltauswirkungen von Erzeugnissen und Dienstleistungen.

1.4

Der Rat zur Normung vom 1. März 2002 hat die Zweckmäßigkeit harmonisierter Normen in den Bereichen, für die jetzt das „neue Konzept“ gilt, bekräftigt, die Bedeutung einer wirksamen Beteiligung aller Interessengruppen an der Normung unterstrichen und die Absicht der Kommission begrüßt, ein Dokument zum Thema Normung und Umweltschutz auszuarbeiten.

1.5

Im Anschluss an diese Ratstagung hat die Kommission in einem Arbeitsdokument über die „Funktion der Normung zur Unterstützung der europäischen Rechtsetzung und der Gemeinschaftspolitik“ eine Reihe von wichtigen Punkten herausgearbeitet, zu denen u.a. folgende gehören:

1.5.1

Stärkerer Einsatz der europäischen Normung in der Politik und Rechtsetzung der Europäischen Union, um so in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Unternehmen die Ausdehnung der technischen Normung auf neue Bereiche wie Dienstleistungen, Datenverarbeitung und Telekommunikation, Verkehr, Verbraucher- und Umweltschutz zu fördern;

1.5.2

Stärkung des Bewusstseins bei den Vertretern des Unternehmertums und den anderen Beteiligten, dass die Normung der Geschäftswelt große Vorteile bringt; im Hinblick darauf können insbesondere Maßnahmen ergriffen werden, die eine stärkere und unkompliziertere Beteiligung dieser Gruppen, vor allem der Vertreter der KMU, an der Aufstellung der Normen ermöglichen;

1.5.3

Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Normung, damit diese die neuesten Entwicklungen und Herausforderungen auf dem Gebiet der europäischen technischen Normen und die Tendenzen zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften und zur „besseren Rechtsetzung“ (6) in Übereinstimmung mit den Grundausrichtungen der Industriepolitik in einem erweiterten Europa (7) und den vorrangigen Aufgaben der Binnenmarktstrategie für den Zeitraum 2003-2006 (8) stärker berücksichtigen;

1.5.4

Schaffung eines soliden und rechtlich fest verankerten Finanzrahmens zur Unterstützung der europäischen Normung, der eine von der Kommission und den Mitgliedstaaten zu erbringende Kofinanzierung der europäischen Normungsarbeit und der europäischen Infrastrukturen sowie stärkere Synergieeffekte zwischen CEN, CENELEC und ETSI sicherstellt;

1.5.5

Unterstützung der europäischen Normenorganisationen im Hinblick auf mehr Effektivität bei der Aufstellung technischer Normen und Förderung der Erarbeitung und Anwendung internationaler Standards, um so den Zugang zu den internationalen Märkten und zum Welthandel zu verbessern, unnötige Handelshemmnisse zu vermeiden und die globale Dimension der Normung zu gewährleisten.

1.6

Die Herausbildung einer europäischen Normungskultur im technischen Bereich ist zudem wesentliche Voraussetzung für ein wirksames und ausgewogenes Funktionieren des Binnenmarktes in der EU mit 25 Mitgliedern. Insbesondere im Umweltbereich müssen daher Maßnahmen zur Fortbildung von Fachleuten und zur Erstellung und Verwendung von geeigneten Datenbanken ergriffen werden, damit Umweltaspekte im europäischen Normungssystem Berücksichtigung finden und die neuen Mitgliedstaaten durch Beteiligung ihrer Normenorganisationen voll in diesen Prozess einbezogen werden. Angesichts der Struktur und Größe der Unternehmen in diesen Ländern hält es der Ausschuss für unbedingt erforderlich, dass die volle Einbeziehung der kleinen und mittleren Unternehmen aus der gesamten erweiterten EU in die Standardisierungsarbeiten und die Anwendung der bestehenden europäischen Normen durch konkrete Maßnahmen gefördert wird.

1.7

Das europäische technische Normungssystem, das auf dem Grundsatz des Einvernehmens aller Beteiligten bei der Erarbeitung neuer Standards und auf der freiwilligen Übernahme der aufgestellten Normen aufbaut, hat sich als sehr leistungsfähig erwiesen und ist derart effektiv und flexibel, dass immer mehr Normen aufgestellt werden konnten. Die Gesamtzahl der europäischen Normen hat so im Jahr 2003 die stolze Summe von rund 13.500 Normen erreicht, was sich äußert positiv auf die Wirtschaft auswirkte. Konkret verringerten sich die Kosten geschäftlicher Transaktionen, Handel und Austausch wurden erleichtert, die Wettbewerbsfähigkeit stieg und die Innovation wurde gestärkt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Normung ist der erreichte Abbau von Handelshemmnissen auf dem Binnenmarkt und häufig auch schon auf dem Weltmarkt.

1.8

Diese erfolgreichen Aspekte müssen nach Ansicht des Ausschusses nicht nur in ihrer Gänze bewahrt, sondern sogar verstärkt werden, wie bereits in den Schlussfolgerungen des Rates zur Normung im März 2002 betont wurde. Jede Berücksichtigung von wirtschaftlichen, sozialen oder Umweltaspekten bei der Normung ist zwar wünschenswert, darf jedoch nach Auffassung des Ausschusses in keiner Weise das Wesen und die Hauptmerkmale der Normung beeinträchtigen, die ein freies, freiwilliges und einvernehmliches Verfahren bleiben muss. Diese Merkmale haben die Normung nämlich erst zu einem erfolgreichen Instrument auf nationaler und internationaler Ebene gemacht.

2.   Zusammenfassung der wesentlichen Elemente der Mitteilung

2.1

Die Ziele der Mitteilung der Kommission lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Sensibilisierung der Öffentlichkeit dafür, dass eine Berücksichtigung von Umweltaspekten bei dem freiwilligen, von den Betroffenen getragenen Prozess der europäischen Normung notwendig ist;

Aufnahme von fortwährenden Gesprächen mit den Interessengruppen aus der Normungsgemeinschaft über konkrete Maßnahmen folgenden Inhalts: 1) Aktionen zur Fortbildung und Sensibilisierung; 2) organisierte und unterstützte Beteiligung aller Interessengruppen an der Normung; 3) systematischer Einsatz der Instrumente, die zur Berücksichtigung ökologischer Erwägungen bei der Normung entwickelt wurden, und 4) Neudefinierung (seitens der Kommission) der Rahmenbedingungen für europäische Normungsaufträge, für spezifische Aufträge zur Unterstützung von Umweltmaßnahmen und für spezifische Normen für die ökologischen Aspekte von Produkten;

Bewertung und ständige Überprüfung der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung im Lichte der Fortschritte, die in den oben genannten vier Bereichen erzielt werden.

2.2

Die Kommission fasst folgende Maßnahmen ins Auge, um diese Ziele zu erreichen:

Auf der Ebene der Interessengruppen: Vorschläge für Sensibilisierungsmaßnahmen; Austausch von bewährten Verfahren auf dem Gebiet der Fortbildung und Sensibilisierung; umfassende Anhörung der Beteiligten bei der Formulierung von Normungsaufträgen; Setzen von Prioritäten bei den Maßnahmen zur Einbeziehung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung; Entwicklung von Indikatoren für den Grad der Einbeziehung ökologischer Anforderungen in die Normen; Ermittlung und Abstimmung ökologischer Fragen der Normung, mit denen sich die europäischen Normenorganisationen befassen; EU-Unterstützung für die europäischen Interessengruppen, die diese Maßnahmen durchführen; regelmäßige Berichterstattung über die Nutzung der verschiedenen verfügbaren Instrumente zur Einbeziehung ökologischer Anforderungen in Normen;

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten und insbesondere der neu beigetretenen Staaten: Maßnahmen zur Förderung von Fortbildung und Sensibilisierung; Sicherstellung der Datenerhebung und -verbreitung durch die jeweiligen Normenorganisationen; Unterstützung und Hilfestellung für alle Beteiligten, insbesondere die Vertreter der Zivilgesellschaft und die im Umweltbereich tätigen öffentlichen Einrichtungen, damit diese voll in den Normungsprozess eingebunden sind; Berichterstattung über die durchgeführten unterstützenden Maßnahmen, um so den Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken zu fördern;

Auf Gemeinschaftsebene: Einleitung von gemeinschaftlichen Maßnahmen finanzieller Art zur Förderung der von den europäischen Normenorganisationen durchgeführten Sensibilisierungs- und Fortbildungsaktionen; ständige Beobachtung der Sachlage im Hinblick auf die durchgeführten Fortbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen; Einbeziehung der Umweltaspekte bei der Erstellung von Normungsaufträgen, ggf. nach Anhörung der Beteiligten; Unterstützung der Interessengruppen auf europäischer Ebene bei der Ermittlung und Abstimmung ökologischer Fragen der europäischen Normung; regelmäßige Zusammenkünfte zum Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren und zur Vereinbarung von ökologisch besonders relevanten Indikatoren für die Bewertung von Fortschritten bei der europäischen Normung; Einrichtung eines Systems zur kontinuierlichen Bewertung der auf den genannten Gebieten gemachten Fortschritte, wobei das Bewertungsverfahren mindestens ein Mal pro Jahr zusammen mit den Interessengruppen zu überprüfen ist.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss begrüßt diese Initiative der Kommission zur eingehenden Prüfung der Möglichkeiten, Chancen und Formen, relevante Aspekte nicht nur des Umweltschutzes, sondern auch des nachhaltigen Einsatzes von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen bei der Herstellung, der Fertigung, dem Vertrieb, der Instandhaltung und Entsorgung von Erzeugnissen in die Verfahren zur Aufstellung von europäischen technischen Normen einzubeziehen.

3.2

In diesem Zusammenhang legt der Ausschuss großen Wert darauf, dass sich eine eigene europäische Normungskultur auf technischem Gebiet herausbildet, die ein wirksames und ausgewogenes Funktionieren des Binnenmarktes in der Europäischen Union gewährleistet. Insbesondere im Umweltbereich müssen Maßnahmen zur Fortbildung von Fachleuten und zur Erstellung und Verwendung von geeigneten Datenbanken ergriffen werden, die eine Prüfung der Möglichkeiten und Chancen für eine Berücksichtigung von Umweltaspekten im europäischen Normungssystem auch im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten erlauben.

3.3

Auf jeden Fall ist es nach Ansicht des Ausschusses unerlässlich, dass die Freiwilligkeit und solche Merkmale wie Einvernehmen, Offenheit und Transparenz der von den Betroffenen getragenen Verfahren als erfolgreiche Elemente der technischen Normung auf europäischer Ebene nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern auch bei der Berücksichtigung sozioökonomischer und ökologischer Aspekte verstärkt werden.

3.3.1

Der Ausschuss weist darauf hin, dass es derzeit bereits zahlreiche europäische technische Normen gibt, die sich entweder direkt auf die Umwelt beziehen oder Umweltaspekte berücksichtigen. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich auf die Normen über wesentliche Aspekte des Lebenszyklus von Produkten und auf genormte Mess- und Prüfverfahren hingewiesen, aber auch auf die technischen Normen über Umwelttechnologien und Umweltmanagement wie z.B. das Umweltmanagementsystem EMAS, das auf einer EN/ISO-Norm der Reihe 14001 basiert.

3.3.2

Der Ausschuss verweist außerdem mit Genugtuung darauf, dass die europäischen Normenorganisationen über ein geeignetes Instrumentarium für eine optimale Einbeziehung von Umweltaspekten bei der Aufstellung von technischen Normen verfügen. Beispiele sind der IEC-Leitfaden 109 (9) im Bereich technische Normen für elektrotechnische und elektronische Erzeugnisse, der 1995 erfolgreich eingeführt und erst unlängst überarbeitet wurde die 2002 bestätigte Norm ISO/TR 14062 (10) im Bereich der Produktentwicklung und die über 100 „Emissions and immunity quality standards“ der ETSI/CENELEC sowie der von der Umweltstelle (Environment Help Desk) der CEN angeregte Verhaltenskodex ISO/64.

3.4

Nach Überzeugung des Ausschusses sind die obigen Darlegungen eine Bestätigung dafür, dass sich das Ziel einer wirksamen Verknüpfung der Umweltaspekte mit dem Prozess der technischen Normung insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen durch Verhaltensrichtlinien, technische Protokolle und flexiblere Instrumente sowie durch Fortbildungskurse und Handbücher, in denen Kenntnisse vermittelt und Umweltfragen bereits in der Phase der Entwicklung von neuen Produkten, Produktionsverfahren und Dienstleistungen ins Bewusstsein gerückt werden, besser erreichen lässt. Wie der EWSA in seiner Stellungnahme wiederholt vorgeschlagen hat (11), können zu diesem Zweck die von EMAS eingeführten vereinfachten Verfahren oder die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften für Kleinunternehmen eingesetzt werden,

3.5

Der Ausschuss unterstreicht nachdrücklich, dass dabei Behinderungen oder eine Verlangsamung des Normungsprozesses verhindert werden müssen. Auch höhere Kosten und mehr Verwaltungsaufwand sind nicht mit den gemeinschaftlichen Grundsätzen der Normenvereinfachung vereinbar. In diesem Zusammenhang teilt der Ausschuss voll und ganz die Schlussfolgerung des Rates „Normung“ vom 1. März 2002, nämlich „die Auffassung, dass die Lebensfähigkeit des gesamten Normungssystems in Europa angesichts des sich rasch wandelnden europäischen und internationalen Umfelds und angesichts der Änderungen bei den herkömmlichen Einnahmequellen bei weitem nicht gesichert ist“ (12). Nach Auffassung des Ausschusses muss die Normung für die Unternehmen und Fachleute attraktiver und nützlicher gestaltet werden, denn bei ihnen liegt die technische Fachkompetenz, um Umweltaspekte zu vertretbaren Kosten besser in die Produktentwicklung einzubeziehen.

3.6

Die bestehenden Mechanismen müssen im Hinblick auf eine optimale Leistungsfähigkeit der Unternehmen weiterentwickelt werden, wobei es gilt, das Umweltfachwissen aller Akteure zu verbessern und eine aktive Beteiligung aller Betroffenen von Beginn des Normungsprozesses an sicherzustellen. Neben technischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten müssen auch Fragen des Gesundheitsschutzes, der Sicherheit und der Zufriedenheit der Kunden Berücksichtigung finden. Insbesondere in den letzten Jahren rückten Fragen wie die Verringerung und Rationalisierung des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und Energie, die Reduzierung von Abfällen und Emissionen und vor allem die Qualität des Verfahrens der Aufstellung freiwilliger Normen im Hinblick auf ihre einfache Umsetzung auf internationaler Ebene verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

3.7

Nach Ansicht des Ausschusses und angesichts des derzeitigen demokratischen Prozesses, der weitgehend auf einzelstaatlichen Strukturen basiert, wäre es zweckmäßig, die Frage, wie Umweltaspekte konkret in die Normung einbezogen werden können, den Betroffenen (Interessengruppen) zu überlassen, um so ein Herangehen nach dem Top-down-Prinzip zu vermeiden.

3.8

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Prozess der Aufstellung technischer Normen nicht den notwendigen Veränderungen in der Kultur und Mentalität der einzelnen Branchen vorgreifen darf, welche sich ihrer Eigenverantwortung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung bewusst werden müssen. Von besonderer Bedeutung ist hier die Aufgabe der Kommission, einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung zu leisten und durch die Verbreitung von Fachwissen und bewährten Praktiken einen kulturellen Wandel einzuleiten.

3.9

Die hohe Qualität der freiwilligen technischen Normen bildet ein wesentliches Element ihres Mehrwerts auf europäischer Ebene und kann nach Ansicht des Ausschusses nur durch eine aktive Beteiligung aller Interessengruppen am Normungsprozess gewährleistet werden, das heißt, durch Teilnahme von Branchenvertretern und Vertretern der kleinen und mittleren Unternehmen, Arbeitnehmern, Verbrauchern und Nichtregierungsorganisationen. Die hohe Zahl der Akteure ist die Gewähr für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erfordernissen, ganz abgesehen von den vorrangigen Aspekten des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit.

3.10

In Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sollte diese Beteiligung in erster Linie auf der Ebene der einzelnen Staaten erfolgen, was insbesondere für die neuen Mitgliedsländer gilt. Eine aktive und sachverständige Beteiligung sollte nicht nur im Hinblick auf die Nichtregierungsorganisationen, sondern auch und vor allem für KMU sichergestellt werden; insbesondere der Zugang der KMU zum Normungsprozess muss unter Berücksichtigung ihrer Struktur und Größe nachhaltig verbessert werden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die eigens für KMU eingerichteten europäischen Gremien wie die NORMAPME gestärkt und besser eingesetzt werden sollten.

3.11

Der Ausschuss unterstreicht die Notwendigkeit von EU-Maßnahmen zur Unterstützung des Aufbaus von Kapazitäten (capacity building) durch die Normen- und Nichtregierungsorganisationen in den neuen Mitgliedstaaten sowie von Projekten zur Ausbildung von Fachleuten und zur schnellen Einrichtung eines interoperablen und dezentralisierten Datenbanknetzes, das den Endnutzern möglichst nahe steht. Es geht hier vor allem darum, einen permanenten und besseren Zugang zu den Informationen und die bewusste Beteiligung aller Unternehmen am Normungsprozess zu gewährleisten.

3.12

In Bezug auf die Festlegung der Prioritäten bei der Normungsarbeit vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass diese weiterhin in einem einvernehmlichen und freiwilligen Verfahren unter Einbeziehung aller Interessengruppen erfolgen muss. Zu vermeiden sind rein politisch motivierte Prioritäten, welche die Besonderheiten der Erzeugnisse und ihrer Hersteller vernachlässigen.

3.13

In Bezug auf den Einsatz verbindlicher Normungsaufträge durch die Kommission im Rahmen des „neuen Konzepts“ vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass die Verwendung umwelttechnischer Normen nicht durch Entscheidungen von oben gefördert werden sollte, sondern auf einer breiten Akzeptanz umweltverträglicher Produkte beruhen muss und den Interessen und Bedürfnissen der Bürger und Verbraucher entsprechen sollte.

3.14

Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass gut definierte Normungsaufträge im Zuge der Umsetzung des neuen Konzepts zum Erfolg des Binnenmarktes beigetragen haben, dieser Erfolg aber nicht dadurch zunichte gemacht werden darf, dass schwierige Entscheidungsprozesse politischer Art in die technischen Normenorganisationen hineingetragen werden.

3.15

Der Umsetzung europäischer technischer Normen auf internationaler Ebene kommt nach Ansicht des Ausschusses bei der Gewährleistung einer vollen Marktpräsenz und der Konkurrenzfähigkeit unserer Produkte auf dem Weltmarkt wesentliche Bedeutung zu. Dank der Übereinkommen von Dresden und Wien sind derzeit mehr als 83 Prozent der CENELEC-Normen und ungefähr 40 Prozent der CEN-Normen direkt von Normen der internationalen Normenorganisationen ISO, IEC und ITU abgeleitet. Nach Auffassung des Ausschusses muss verhindert werden, dass die Erfordernisse der Normung im Umweltbereich als Handelshemmnisse im Sinne des TBT-Übereinkommens der Welthandelsorganisation interpretiert werden oder für die europäischen Unternehmen zu Wettbewerbsnachteilen auf dem Weltmarkt werden. In dieser Hinsicht ist ein aktives Auftreten sowohl im transatlantischen Dialog (TABD) als auch im Dialog mit Japan (EJBD) und dem Mercosur (MEBF) erforderlich, um die bestehende Kluft zwischen den europäischen und internationalen Normen nicht noch zu vergrößern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Beteiligung: Es muss vermieden werden, dass sich das Verfahren zur Annahme und Überarbeitung der Normen, das jetzt bereits im Durchschnitt drei bis fünf Jahre dauert, durch eine zu breite Beteiligung noch länger hinzieht. Das Subsidiaritätsprinzip muss dabei volle Anwendung finden. Auf nationaler Ebene muss die Beteiligung aller Interessengruppen, insbesondere der Unternehmer und Arbeitnehmer, gewährleistet werden, während auf europäischer Ebene die Vertreter der nationalen Normungsgremien ihre zuvor bereits abgestimmten Positionen einbringen sollten. Auf dieser Ebene muss auch eine Teilnahme der Vertreter der europäischen Verbände der kleinen und mittleren Unternehmen und der betroffenen NGOs gewährleistet sein, wobei auch hier die in den einzelnen Organisationen zuvor abgestimmten Positionen eingebracht werden sollten.

4.2

Zusammenarbeit: Der Ausschuss misst dem organisierten Austausch von technischem Fachwissen sowie der Entwicklung freiwilliger Verhaltenskodizes und bewährter Praktiken besondere Bedeutung bei. Dabei sollte man jedoch von den bereits bestehenden Instrumenten Gebrauch machen (vgl. Abschnitt 3.3.2), die es insbesondere im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten zu stärken und auszubauen gilt.

4.3

Kultur: Die Herausbildung einer europäischen Normungskultur im technischen Bereich, die auch sozioökonomische und ökologische Aspekte umfasst, ist ein vorrangiges Ziel der Unternehmen und ihrer Verbände, insbesondere der KMU, sowie der Organisationen der Arbeitnehmer und Interessengruppen. Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen benötigen sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene entsprechende finanzielle Unterstützung, um ihre Kenntnisse im Bereich der technischen Normung zu verbessern und eine qualifizierte und kompetente Vertretung zu gewährleisten.

4.4

Finanzierung: Notwendigkeit mehrjähriger Haushaltsposten auf einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene für Fortbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Diese Mittel sollten insbesondere für nationale und europäische Organisationen für Normung, für Sozialpartner und für Vertretungen der verschiedenen Organe der Zivilgesellschaft vorgesehen werden.

4.5

Prioritäten: Die Prioritätensetzung bei der Aufstellung neuer technischer Normen muss dem einvernehmlichen Ermessen aller Beteiligten überlassen werden, die ja die direkten Akteure des Normungsprozesses sind und daher volle Verantwortung dafür übernehmen sollten; die Prioritäten dürfen auf keinen Fall durch Entscheidungen von oben festgelegt werden. Instrumente: Der systematische Einsatz der Instrumente, wie zum Beispiel der unter Punkt 3.3.1 bis 3.3.2 genannten, zur Einbeziehung der Umweltaspekte bei der Normung ist als Angebot an die Akteure des freiwilligen technischen Normungsprozesses und nicht als Zwang zu verstehen.

4.6

Auswertung: die Auswertung und Einschätzung der Ergebnisse, die mit den Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und Fortbildung und zur Stärkung der nationalen und europäischen Normenorganisationen unter qualifizierter Beteiligung von NGOs und KMU-Vertretern erreicht wurde, sollte der Kommission, dem Rat, dem Europäischen Parlament und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss als Grundlage für die vorgesehenen Zweijahresberichte und die alle fünf Jahre erfolgende Überprüfung der Maßnahmen und der Gemeinschaftsstrategie auf diesem Gebiet dienen.

5.   Schlussbemerkungen

5.1

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass der Normungsprozess ohne weitere Behinderungen beschleunigt werden muss, um so die Entwicklung, und hohe Qualität des Binnenmarktes unter allen Gesichtspunkten - einschließlich der Umweltaspekte - zu gewährleisten. Ziel ist ein effizienter, kostengünstiger und unbürokratischer Normungsprozess und die vorausschauende Bewahrung der institutionellen Kapazitäten in den Mitgliedstaaten.

5.2

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass bei der Einbeziehung von Umweltaspekten in das europäische Normungssystem das Subsidiaritätsprinzip unbedingt beachtet werden muss, damit die volle Beteiligung aller Betroffenen an der Normung, insbesondere der KMU und der NGO, - besonders auf der den Beteiligten näher liegenden nationalen und regionalen Ebene sichergestellt werden kann.

5.3

Durch die Entwicklung des Weltmarktes und die Öffnung des Welthandels für neue große Partner wie China, Indien und Russland wird die Umsetzung der derzeitigen europäischen technischen Normen in internationale Normen im Sinne der Übereinkommen von Dresden und Wien zu einer vorrangigen Aufgabe, wobei sich die Ergebnisse der Normung in wirtschaftlichen Vorteilen für die europäischen Unternehmen niederschlagen müssen.

5.4

Nach Ansicht des Ausschusses besteht das Ziel in einer optimalen Komplementarität zwischen verbindlichen Umweltvorschriften und freiwilligen technischen Normen, die aus einem ausgeprägten Umwelt- und Qualitätsbewusstsein heraus entstehen sollten.

5.5

Die Plattformen zum Austausch bewährter Praktiken und für den fachlichen Dialog zwischen den sozialen Interessengruppen sollten daher unbedingt ausgebaut werden. Einzubeziehen sind die europäischen und einzelstaatlichen Normenorganisationen, die Industrie, die KMU, Vertreter der Arbeitnehmer, Verbraucher und NGO, um gemeinsam die Entwicklung des Normungsprozesses unter Berücksichtigung der Lissabon-Strategie und der Grundsätze eines nachhaltigen und wettbewerbsorientierten Wachstums zu fördern.

5.6

Insbesondere bedarf es folgender Maßnahmen:

Förderung einer europäischen Normungskultur im technischen Bereich für die EU;

Maßnahmen zur Fortbildung von Fachleuten und zum Ausbau und zur breiten Verwendung von geeigneten Datenbanken;

immer stärkere Verzahnung des europäischen Normungssystems mit dem Umweltschutz;

verstärkte Aktionen zur Bewusstseinsbildung auf der Nachfrageseite (d.h. bei den Verbrauchern), damit sich die Nachfrage und damit der Markt stärker vom Kriterium des nachhaltigen Einsatzes der natürlichen Ressourcen bei den Rohstoffen und bei den Fertigprodukten leiten lässt;

Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den vorrangigen Anliegen der Sicherheit, Hygiene und des Gesundheitsschutzes und den weltweiten Umweltaspekten unter Berücksichtigung des Protokolls von Kyoto;

volle Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch Förderung der Beteiligung aller Interessengruppen auf nationaler und regionaler Ebene;

flexiblere Verhaltensrichtlinien mit dem Ziel umweltfreundlicher Normungsprozesse, um vor allem die KMU besser in die technischen Prozesse einzubeziehen und dabei auch die Wirtschaftlichkeit in der Phase der Entwicklung von neuen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen zu berücksichtigen;

Entwicklung einer Plattform für den Informationsaustausch über die Lissabon-Strategie für den Binnenmarkt und den Aktionsplan 2004-2010 für Umwelt und Gesundheitsschutz mit dem Ziel eines Fachdialogs zwischen allen am Normungsprozess Beteiligten: CEN, CENELEC, ETSI, Normungs-KMU, ANEC (Verbraucher), TUTB (Gewerkschaften und Arbeitnehmer), ECOS (Umweltbelange), Industrie, Handel und Dienstleistungssektor;

Unterstützung der Entwicklung einer technischen Basisnormung für Qualitätsvorschriften für Produkte und Verfahren im Bereich der Agrarproduktion und Lebensmittelindustrie.

Brüssel, den 15. September 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  KOM(2001) 264 endg.

(2)  Stellungnahme des EWSA 1494/2001 vom 29.11.2001 und Stellungnahme des EWSA 661/2004 vom 29.4.2004.

(3)  EG-Vertrag, Art. 2 und 6 (konsolidierte Fassung).

(4)  Beschluss 1600/2002/EG vom 22.7.2002.

(5)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch zur integrierten Produktpolitik“ (ABl. C 260 vom 17.9.2001) und Stellungnahme des EWSA 1598/2003 vom 10.12.2003 zu der Mitteilung „Integrierte Produktpolitik – Auf den ökologischen Lebenszyklus-Ansatz aufbauen“.

(6)  Mitteilung der Kommission KOM(2002) 278 endg.

(7)  Mitteilung „Industriepolitik in einem erweiterten Europa“, KOM(2002) 714.

(8)  Mitteilung „Binnenmarktstrategie - Vorrangige Aufgaben 2003-2006“, KOM(2003) 238.

(9)  IEC-Leitfaden 109 über „Umweltaspekte - Einbeziehung in elektrotechnische Produktnormen“.

(10)  ISO/TR 14062 über „Environmental management – integrating environmental aspects into product design and development“.

(11)  Stellungnahme des EWSA CES 560/1999 vom 29. Mai 1999 (ABl. C 209 vom 22.7.1999).

(12)  ABl. C 66 vom 15.3.2002.


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