SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 13. Juni 2024 ( 1 )

Rechtssache C‑134/23

Somateio „Elliniko Symvoulio gia tous Prosfyges“,

Astiki Mi Kerdoskopiki Etaireia „Ypostirixi Prosfygon sto Aigaio“

gegen

Ypourgos Exoterikon,

Ypourgos Metanastefsis kai Asylou

(Vorabentscheidungsersuchen des Symvoulio tis Epikrateias [Staatsrat, Griechenland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 38 – Konzept des ‚sicheren Drittstaats‘ – Einstufung der Türkei als ‚sicherer Drittstaat‘ – Abkommen EU‑Türkei über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt – De-facto-Aussetzung der Rückübernahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen“

I. Einleitung

1.

In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof vom Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) mit einem Ersuchen um Vorabentscheidung befasst, bei dem es um die Auslegung von Art. 38 der Richtlinie 2013/32/EU geht ( 2 ).

2.

Die drei Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts stellen sich im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung einer nationalen Regelung, in der die Türkei für bestimmte Kategorien von Personen, die internationalen Schutz beantragen, als im Allgemeinen sicherer Staat bestimmt wird, obwohl dieser Staat trotz eines Rückübernahmeabkommens mit der Europäischen Union die Rückübernahme dieser Antragsteller in sein Hoheitsgebiet generell und ohne Aussicht auf Änderung dieses Standpunkts ausgesetzt hat.

3.

Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof die Gelegenheit, zum einen das Verhältnis zwischen den Voraussetzungen für die Bestimmung eines Staates als im Allgemeinen sicher und der Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ auf eine bestimmte Person, die internationalen Schutz beantragt, und zum anderen die Tragweite des in Art. 38 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Erfordernisses der Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers zu klären.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Rückübernahmeabkommen EU‑Türkei

4.

Am 16. Dezember 2013 schlossen die Europäische Union und die Republik Türkei ein Abkommen über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen EU‑Türkei) ( 3 ). Dieses Abkommen wurde mit Beschluss des Rates vom 14. April 2014 im Namen der Union ratifiziert ( 4 ).

5.

Art. 4 des Rückübernahmeabkommens EU‑Türkei bestimmt:

„1.   Die Türkei rückübernimmt auf Antrag eines Mitgliedstaats ohne andere als die in diesem Abkommen vorgesehenen, von dem betreffenden Mitgliedstaat zu erledigenden Förmlichkeiten alle Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die die geltenden Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats oder die Anwesenheit oder den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet nicht oder nicht mehr erfüllen, sofern gemäß Artikel 10 feststeht, dass sie

c)

nach einem Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Türkei oder einer Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet illegal und auf direktem Wege in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist sind.

2.   Die Rückübernahmepflicht nach Absatz 1 gilt nicht, wenn

…“

6.

Gemäß dem Beschluss (EU) 2016/551 des Rates vom 23. März 2016 ( 5 ) gelangt die in Art. 4 des Rückübernahmeabkommens EU‑Türkei festgelegte Verpflichtung ab dem 1. Juni 2016 zur Anwendung.

2. Richtlinie 2013/32

7.

Für die vorliegende Rechtssache sind die Art. 31, 33, 35 und 38 der Richtlinie 2013/32 relevant.

B.   Griechisches Recht

1. Griechisches Gesetz über den internationalen Schutz

8.

Mit dem Nomos 4636/2019 peri diethnous prostasias kai alles diatakseis in der durch den Nomos 4686/2020 geänderten Fassung (Gesetz über den internationalen Schutz und andere Bestimmungen in geänderter Fassung, FEK A’ 169/01.11.2019 und FEK A’ 96/12.05.2020, im Folgenden: griechisches Gesetz über den internationalen Schutz) wird die Richtlinie 2013/32 in die griechische Rechtsordnung umgesetzt.

9.

In Art. 86 des griechischen Gesetzes über den internationalen Schutz heißt es:

„1.   Ein Staat gilt als für einen bestimmten Antragsteller sicherer Drittstaat, wenn folgende Kriterien kumulativ erfüllt sind:

a)

keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung;

b)

Wahrung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention durch den betreffenden Staat;

c)

keine Gefahr für den Antragsteller, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Artikel 15 des vorliegenden Gesetzes zu erleiden;

d)

Verbot der Abschiebung einer Person in ein Land, in dem die Gefahr besteht, dass diese der Folter oder anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen oder Behandlungen ausgesetzt ist, durch diesen Staat im Einklang mit dem Völkerrecht;

e)

Möglichkeit, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten; und

f)

Bestehen einer Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt. Die Durchreise des Antragstellers durch einen Drittstaat kann … als Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem Drittstaat betrachtet werden, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt.

2.   Es ist im Einzelfall und für jeden Antragsteller separat zu prüfen, ob die oben genannten Kriterien erfüllt sind, es sei denn, der Drittstaat wurde als im Allgemeinen sicher bestimmt und ist in der nationalen Liste sicherer Drittstaaten aufgeführt. Ist dies der Fall, kann die Person, die internationalen Schutz beantragt, die Anwendung des Konzepts des ‚sicheren Drittstaats‘ mit der Begründung anfechten, dass der Drittstaat unter den besonderen Umständen, die für ihn gelten, nicht sicher sei.

3.   In einem gemeinsamen Ministerialerlass des Ministers für Bürgerschutz und des Außenministers, der auf Vorschlag des Direktors des Asyldienstes erlassen wird, wird festgelegt, welche Drittstaaten für bestimmte Kategorien von Asylbewerbern aufgrund ihrer besonderen Merkmale (u. a. im Hinblick auf Rasse, Religion) für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz als sicher im Sinne dieses Artikels bestimmt werden. Die Gesichtspunkte, die bei der Annahme des oben genannten gemeinsamen Ministerialerlasses berücksichtigt werden (die interne gesetzliche Regelung des Drittstaats, bilaterale oder mehrseitige internationale Abkommen oder Abkommen zwischen dem Drittstaat und der Europäischen Union und die nationale Praxis), müssen aktuell sein und aus zuverlässigen Informationsquellen stammen, insbesondere aus offiziellen diplomatischen Quellen in Griechenland und im Ausland, vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, von Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zum Konzept des ‚sicheren Drittstaats‘, vom Europarat und vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Diese Liste ist jährlich im November zu überprüfen. Werden wesentliche Änderungen der Menschenrechtslage in einem als sicherer Drittstaat bezeichneten Staat festgestellt, wird diese Einstufung so schnell wie möglich und vor Ablauf der im vorstehenden Satz genannten jährlichen Frist erneut überprüft. Jeder Einstufungsbeschluss wird der Europäischen Kommission mitgeteilt.

5.   Erlaubt der genannte Drittstaat dem Antragsteller nicht, in sein Hoheitsgebiet einzureisen, wird sein Antrag von den Behörden, die für die Entscheidung zuständig sind, in der Sache geprüft.

…“

2. Gemeinsame Ministerialerlasse

10.

Aufgrund der in Art. 86 des griechischen Gesetzes über den internationalen Schutz vorgesehenen Ermächtigung wurde die Koini Ypourgiki Apofasi 42799/3.6.2021 mit dem Titel „Kathorismos triton choron pou charaktirizontai os asfaleis kai katartisi ethnikou katalogou, kata ta orizomena sto arthro 86 tou nomou 4636/2019 (A’169)“ (Gemeinsamer Ministerialerlass 42799/3.6.2021 mit dem Titel „Bestimmung der als sicher eingestuften Drittstaaten und Erstellung einer nationalen Liste gemäß Artikel 86 des Gesetzes 4636/2019 [A’169]“, FEK B 2425/7.6.2021, im Folgenden: erster Ministerialerlass) erlassen, die vorsieht, dass die Türkei ein sicherer Drittstaat für Personen ist, die internationalen Schutz beantragen und deren Herkunftsländer Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia sind.

11.

Der erste gemeinsame Ministerialerlass wurde durch die Koini Ypourgiki Apofasi 458568/15.12.2021 mit dem Titel „Tropopoiisi tis yp.ar. 42799/3.6.2021 koinis apofasis ton Ypourgon Exoterikon kai Metanastefsis kai Asylou ‚Kathorismos triton choron pou charaktirizontai os asfaleis kai katartisi ethnikou katalogou, kata ta orizomena sto arthro 86 tou nomou 4636/2019 (A’169)‘“ (Gemeinsamer Ministerialerlass 458568/15.12.2021 zur Änderung des gemeinsamen Erlasses 42799/3.6.2021 des Außenministers sowie des Ministers für Immigration und Asyl mit dem Titel „Bestimmung der als sicher eingestuften Drittstaaten und Erstellung einer nationalen Liste gemäß Artikel 86 des Gesetzes 4636/2019 [A’169]“, FEK B’ 5949/16.12.2021, im Folgenden: zweiter Ministerialerlass) ersetzt.

12.

Mit dem zweiten gemeinsamen Ministerialerlass wird die Türkei erneut als sicherer Drittstaat für Personen bestimmt, die internationalen Schutz beantragen und deren Herkunftsländer Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia sind.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13.

Der Somateio „Elliniko Symvoulio gia tous Prosfyges“ und die Astiki Mi Kerdoskopiki Etaireia „Ypostirixi Prosfygon sto Aigaio“ (im Folgenden: Klägerinnen des Ausgangsverfahrens), die sich für Flüchtlinge einsetzen, erhoben beim Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat) eine Klage gegen den ersten und dann gegen den zweiten Ministerialerlass, mit der sie u. a. geltend machten, dass diese gegen Art. 86 des griechischen Gesetzes über den internationalen Schutz und gegen Art. 38 der Richtlinie 2013/32 verstießen.

14.

Insbesondere machen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zum einen geltend, dass die Möglichkeit, die von diesen Erlassen erfassten Personen, die internationalen Schutz beantragten, in die Türkei rückzuübernehmen, nicht „durch internationale Abkommen“ gewährleistet sei, und zum anderen, dass keine realistische Aussicht bestehe, dass Personen, die internationalen Schutz beantragten, in dieses Drittland rückübernommen würden, da die Türkei seit März 2020 und der Covid-19-Pandemie die Rückübernahmen in ihr Hoheitsgebiet ausgesetzt habe.

15.

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass das vorlegende Gericht, nachdem es festgestellt hatte, dass nur die gegen den zweiten Ministerialerlass erhobene Nichtigkeitsklage zulässig sei, entschieden hat, dass, soweit die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens rügten, dass die Türkei nicht gesetzlich verpflichtet sei, Personen, die internationalen Schutz beantragten, aus Griechenland rückzuübernehmen, diese Rüge zurückzuweisen sei. Das vorlegende Gericht war insbesondere in Anbetracht des Rückübernahmeabkommens EU‑Türkei der Auffassung, dass die Türkei eine solche rechtliche Verpflichtung übernommen habe.

16.

Dagegen fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Türkei dieser Verpflichtung tatsächlich nachkommt, wenn man den von den griechischen Behörden ebenfalls anerkannten Umstand berücksichtigt, dass dieser Drittstaat seit März 2020, und ohne dass sich dies in naher Zukunft ändern könnte, aufgehört hat, Personen, die internationalen Schutz beantragen und deren Anträge in Griechenland nach dem Konzept des „sicheren Drittstaats“ als unzulässig erachtet wurden, in sein Hoheitsgebiet rückzuübernehmen.

17.

Insoweit weist das vorlegende Gericht auf unterschiedliche Ansichten hin, die innerhalb des Gerichts zu dieser Frage geäußert worden seien.

18.

Nach Ansicht der Mehrheit der Mitglieder dieses Gerichts sei die Möglichkeit einer Rückübernahme einer Person, die internationalen Schutz beantrage, in den betreffenden Drittstaat eine Voraussetzung dafür, dass dieser Staat als „sicherer Drittstaat“ im Sinne von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 bestimmt werden könne, insbesondere im Hinblick auf das vor allem in ihrem 18. Erwägungsgrund genannte Ziel, das auch in Art. 31 Abs. 2 dieser Richtlinie zum Ausdruck komme, nämlich zu gewährleisten, dass Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich bearbeitet würden. Eine andere Auslegung würde lediglich die Bearbeitungszeit des gestellten Antrags auf internationalen Schutz und die Ungewissheit des Antragstellers über seinen Aufenthaltsstatus in dem Land, in dem er den Antrag gestellt habe, verlängern, ohne dass die Gefahr seiner Abschiebung in ein Land, in dem er von Verfolgung bedroht sei, und die Möglichkeit einer Störung der internationalen Beziehungen auszuschließen sei. Daraus folge, dass ein Mitgliedstaat keine nationale Liste im Allgemeinen sicherer Drittstaaten erstellen könne, wie es Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlaube, wenn der fragliche Drittstaat nicht garantiere, dass die von ihm übernommene rechtliche Verpflichtung tatsächlich eingehalten werde. Die Mehrheit der Mitglieder des vorlegenden Gerichts ist daher der Ansicht, dass der Nichtigkeitsklage gegen den zweiten gemeinsamen Ministerialerlass stattgegeben werden sollte.

19.

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass andere Mitglieder dieses Gerichts eine andere Auslegung der Vorschriften der Richtlinie 2013/32 bevorzugten. Nach Ansicht dieser Mitglieder sei die Prüfung der Voraussetzung, dass die Rückübernahme von Personen, die internationalen Schutz beantragten, tatsächlich akzeptiert werde, nicht für die Gültigkeit des normativen Rechtsakts, mit dem ein Staat als im Allgemeinen sicher bestimmt werde, maßgeblich, sondern müsse in späteren Phasen des Verwaltungsverfahrens erfolgen. Diese Voraussetzung sei maßgebend für die Gültigkeit entweder des individuellen Rechtsakts, mit dem ein konkreter Antrag auf internationalen Schutz auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ als unzulässig erachtet werde, oder des Vollzugs der Entscheidung, mit der ein solcher Rechtsakt durchgeführt werde. Nach Ansicht dieser Mitglieder des vorlegenden Gerichts sei die Klage auf Nichtigerklärung des zweiten gemeinsamen Ministerialerlasses daher als unbegründet abzuweisen.

20.

Unter diesen Umständen hat der Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 38 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen (normativen) Regelung entgegensteht, mit der ein Staat als für bestimmte Gruppen von Personen, die internationalen Schutz beantragen, im Allgemeinen sicherer Drittstaat bestimmt wird, der sich zwar rechtlich verpflichtet hat, die genannten Gruppen von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in sein Hoheitsgebiet rückzuübernehmen, jedoch seit längerer Zeit (im vorliegenden Fall mehr als 20 Monate) die Rückübernahme verweigert, wobei nicht ersichtlich ist, dass geprüft worden wäre, ob dieser Staat seine Haltung in naher Zukunft ändern könnte?

2.

Oder ist die genannte Bestimmung dahin auszulegen, dass die Rückübernahme in den Drittstaat keine der kumulativen Voraussetzungen für den Erlass des nationalen (normativen) Rechtsakts darstellt, mit dem ein Staat als für bestimmte Gruppen von Personen, die internationalen Schutz beantragen, im Allgemeinen sicherer Drittstaat bestimmt wird, sondern vielmehr eine der kumulativen Voraussetzungen für den Erlass des individuellen Rechtsakts ist, mit dem ein konkreter Antrag auf internationalen Schutz auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ als unzulässig abgelehnt wird?

3.

Oder ist die genannte Bestimmung dahin auszulegen, dass die Rückübernahme in den „sicheren Drittstaat“ erst bei der Durchführung der Entscheidung zu prüfen ist, wenn diese Entscheidung, mit der der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, auf dem Konzept des „sicheren Drittstaats“ beruht?

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

21.

Das vorlegende Gericht hat beantragt, die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Am 31. März 2023 hat der Präsident des Gerichtshofs nach Anhörung der Berichterstatterin und des Generalanwalts entschieden, dass diesem Antrag nicht stattzugeben ist.

22.

Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die griechische, die tschechische, die deutsche, die zyprische, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

23.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2024 haben die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die griechische Regierung und die Europäische Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

V. Würdigung

A.   Vorbemerkungen

24.

Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 38 der Richtlinie 2013/32 dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat durch einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung einen Drittstaat als „sicheren Drittstaat“ bestimmt, obwohl dieser Staat vor dieser Bestimmung trotz einer von ihm eingegangenen rechtlichen Verpflichtung beschlossen hat, die Rückübernahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in sein Hoheitsgebiet faktisch auszusetzen.

25.

Mit der zweiten und der dritten Frage, die alternativ zur ersten Frage gestellt werden, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Erlass eines individuellen Rechtsakts, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ als unzulässig betrachtet wird, von der Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers in das Hoheitsgebiet dieses Staats abhängig ist oder ob diese Voraussetzung erst zum Zeitpunkt der Durchführung dieser Entscheidung zu prüfen ist.

26.

Das vorlegende Gericht ist wohlgemerkt nur mit einer Klage auf Nichtigerklärung einer nationalen Regelung befasst, mit der die Türkei in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten aufgenommen wurde, so dass der Ausgangsrechtsstreit nicht die Gültigkeit individueller Entscheidungen über die Unzulässigkeit betrifft, die auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 getroffen werden. Unter diesem Gesichtspunkt könnte man davon ausgehen, dass die Antwort, die der Gerichtshof auf die erste Vorlagefrage geben wird, ausreichend ist, damit das vorlegende Gericht den Ausgangsrechtsstreit entscheiden kann ( 6 ), und dass die zweite und die dritte Vorlagefrage unzulässig sind.

27.

Es ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben ( 7 ).

28.

Im vorliegenden Fall geht aus der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens hervor, dass sich das vorlegende Gericht die grundsätzlichere Frage stellt, welche Rechtsfolgen daran geknüpft sind, dass ein als im Allgemeinen sicher bezeichneter Drittstaat Personen, die internationalen Schutz beantragen, die Einreise in sein Hoheitsgebiet verweigert. Unter diesem Blickwinkel möchte das vorlegende Gericht wissen, wann diese Weigerung zu berücksichtigen ist, und zieht insoweit drei Stadien in Betracht, nämlich das der Bestimmung eines Drittstaats als sicher durch einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung, das Stadium des Erlasses einer individuellen Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage dieses Konzepts oder das Stadium der Durchführung dieser Entscheidung.

29.

In Anbetracht dieser Fragestellung muss das vorlegende Gericht, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit in voller Sachkenntnis entscheiden zu können, über vollständige Hinweise zur Auslegung von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 verfügen, die es ihm ermöglichen, die Folgen der Weigerung des betreffenden Drittstaats und den Verfahrensabschnitt, in dem diese Weigerung zu berücksichtigen ist, genau zu bestimmen.

30.

Angesichts dieses Erfordernisses bin ich der Ansicht, dass die Notwendigkeit, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, nicht nur eine Prüfung der ersten Vorlagefrage nach der Gültigkeit eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung impliziert, sondern auch, für den Fall, dass das Unionsrecht dem Erlass eines solchen Rechtsakts nicht entgegensteht, die Prüfung der zweiten und der dritten Vorlagefrage betreffend den individuellen Rechtsakt, der auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ erlassen wurde.

B.   Zu den Vorlagefragen

31.

Eingangs weise ich darauf hin, dass ich in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság ( 8 ) die Auffassung vertreten hatte, dass die Ungewissheit in Bezug auf die Übernahme oder Rückübernahme in den sicheren Drittstaat dem Erlass einer auf die Vorschriften von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 gestützten Unzulässigkeitsentscheidung nicht entgegensteht und dass die Einreise in diesen Staat erst zum Zeitpunkt der Durchführung dieser Entscheidung zu prüfen ist.

32.

Zunächst ist jedoch zu beachten, dass sich der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Mai 2020 nicht zur Auslegung der Bestimmungen dieses Artikels über die Übernahme oder Rückübernahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, geäußert hat und dies damit begründet hat, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts zu diesem Punkt unzulässig seien ( 9 ).

33.

Sodann ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts und den Erläuterungen der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung, dass der Durchführung von Unzulässigkeitsentscheidungen, die auf die Bestimmung der Türkei als im Allgemeinen sicherer Staat gestützt sind, seit März 2020 auf unbestimmte Zeit und ohne eine vorhersehbare Aussicht auf Änderung dieses Standpunkts die allgemeine und absolute Weigerung dieses Staates entgegensteht, Personen, die internationalen Schutz beantragen, rückzuübernehmen ( 10 ). Da dieser Umstand von vornherein die Einreise des Antragstellers in das Hoheitsgebiet des als im Allgemeinen sicher bestimmten Staats ausschließt, möchte ich die Würdigung, die ich dem Gerichtshof einst nahegelegt habe, nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

34.

Dies allein kann jedoch meines Erachtens nicht die rechtliche Folge haben, dass die Bestimmung eines Staates als im Allgemeinen sicher in Frage gestellt wird. Aus dem Wortlaut und der Struktur von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 ergibt sich nämlich, dass ein Erfordernis der Übernahme oder Rückübernahme einer Person, die internationalen Schutz beantragt, keine Voraussetzung für die Gültigkeit eines solchen Rechtsakts ist. Ich werde daher dem Gerichtshof vorschlagen, die erste Vorlagefrage zu verneinen (Abschnitt 1).

35.

Dagegen bin ich aus denselben Gründen der Ansicht, dass es dieser Artikel den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, eine individuelle Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ zu erlassen, wenn sie bereits bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz die Gewissheit erlangt haben, dass der Antragsteller nicht in diesen Staat übernommen oder rückübernommen werden wird (Abschnitt 2).

1. Erste Vorlagefrage

36.

Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 zählt abschließend die Situationen auf, in denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten können ( 11 ). Der in Buchst. c dieses Artikels aufgeführte Grund sieht vor, dass ein Mitgliedstaat einen Antrag als unzulässig betrachten kann, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als „sicherer Drittstaat“ gemäß Art. 38 dieser Richtlinie betrachtet wird.

37.

Mit seinem Urteil vom 19. März 2020 hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Anwendung des Begriffs „sicherer Drittstaat“ den in Art. 33 Abs. 1 bis 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen unterliegt ( 12 ). Wie Generalanwalt Bobek ausgeführt hat, können diese Voraussetzungen im Wesentlichen als Grundsätze, Regeln und Garantien beschrieben werden ( 13 ).

38.

Zunächst können die Mitgliedstaaten nach Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 das Konzept des „sicheren Drittstaats“ nur dann anwenden, wenn die zuständigen Behörden sich davon überzeugt haben, dass in dem betreffenden Drittstaat die in den Buchst. a bis e dieses Absatzes aufgeführten Grundsätze gewahrt werden: a) keine Gefährdung von Leben und Freiheit des Antragstellers aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, b) keine Gefahr für den Antragsteller, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU ( 14 ) zu erleiden, c) Wahrung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention ( 15 ), d) Verbot der Abschiebung, wenn diese einen Verstoß gegen das im Völkerrecht festgelegte Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung darstellt, und e) Möglichkeit, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Fall der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten.

39.

Sodann werden die Regeln in Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 festgelegt. Demnach unterliegt die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ den Regeln, die im nationalen Recht festgelegt sind. Dazu gehören insbesondere a) Regeln, die eine Verbindung zwischen der Person, die internationalen Schutz beantragt, und dem betreffenden Drittstaat verlangen, so dass die Rückkehr dieses Antragstellers in diesen Staat vernünftig erscheint; b) Regeln betreffend die Methodik, mit der sich die zuständigen Behörden davon überzeugen, dass das Konzept des „sicheren Drittstaats“ auf einen bestimmten Staat oder eine bestimmte Person, die internationalen Schutz beantragt, angewandt werden kann; c) mit dem Völkerrecht vereinbare Regeln, die es ermöglichen, in Form einer Einzelprüfung festzustellen, ob der betreffende Drittstaat für eine bestimmte Person, die internationalen Schutz beantragt, sicher ist, und die dem Antragsteller in diesem Zusammenhang die Möglichkeit bieten, sowohl die Anwendung des Begriffs des „sicheren Drittstaats“ auf seine besondere Situation als auch das Bestehen einer Verbindung zwischen ihm und diesem Staat anzufechten.

40.

Schließlich verpflichtet Art. 38 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 hinsichtlich dieser Garantien und zusätzlich zur Möglichkeit der Anfechtung die Mitgliedstaaten, die eine Entscheidung durchführen, die ausschließlich auf dem Konzept des „sicheren Drittstaats“ beruht, den Antragsteller entsprechend zu unterrichten und ihm ein Dokument auszuhändigen, in dem die Behörden des Drittstaats in der Sprache dieses Staats davon unterrichtet werden, dass der Antrag nicht in der Sache geprüft wurde. Darüber hinaus sieht Art. 38 Abs. 4 dieser Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II dieser Richtlinie Zugang zu einem Verfahren gewährt wird, wenn der Drittstaat dem Antragsteller nicht erlaubt, in sein Hoheitsgebiet einzureisen.

41.

Meines Erachtens lassen sich aus dem Wortlaut und der Struktur von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 zwei Schlüsse ziehen.

42.

Erstens besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Bestimmungen dieses Artikels einen Mitgliedstaat ermächtigen, durch einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung einen Staat als „sicheren Drittstaat“ zu bestimmen. Insoweit weise ich darauf hin, dass die Methodik, auf die Art. 38 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie Bezug nimmt, ausdrücklich „die Prüfung der Sicherheit des Staates im Einzelfall für einen bestimmten Antragsteller und/oder die nationale Bestimmung von Staaten, die als im Allgemeinen sicher angesehen werden“ ( 16 ), umfasst.

43.

Im gleichen Sinne verpflichtet Art. 38 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten, Regeln festzulegen, die dem Antragsteller die Möglichkeit bieten, die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“mit der Begründung anzufechten, dass der betreffende Drittstaat für ihn in seiner besonderen Situation nicht sicher ist, woraus sich ableiten lässt, dass die Prüfung der individuellen Situation der betreffenden Person im Rahmen eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung erfolgen kann, der zuvor von einem Mitgliedstaat erlassen wurde.

44.

Eine solche Auslegung wird im Übrigen durch den 44. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 bestätigt, der bestimmt, dass „gemeinsame Grundsätze festgelegt werden [sollten], nach denen Mitgliedstaaten Drittstaaten als sicher betrachten oder als sicher bestimmen“. Noch deutlicher heißt es im 46. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass sich die Mitgliedstaaten auf einschlägige Informationen und Daten stützen sollen, wenn sie „Staaten durch die Annahme entsprechender Listen als sicher einstufen“ ( 17 ).

45.

Zweitens bin ich der Ansicht, dass die Gültigkeit eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung, mit dem ein Drittstaat als sicher bestimmt wird, nicht von einem Erfordernis der Übernahme oder Rückübernahme einer Person, die internationalen Schutz beantragt, abhängig ist.

46.

Insoweit erscheint es erforderlich, zwischen einerseits den Anforderungen für die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ auf eine bestimmte Person, die internationalen Schutz beantragt, wonach die in Art. 38 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Bedingungen erfüllt sein müssen, und andererseits den notwendigen Voraussetzungen für die Bestimmung eines Drittstaats als im Allgemeinen sicher für alle Personen, die internationalen Schutz beantragen, oder für bestimmte Kategorien von ihnen zu unterscheiden. Meines Erachtens ergibt sich diese Unterscheidung schon aus der Struktur dieses Artikels, die eine Unterscheidung zwischen mehreren Stadien nahelegt.

47.

Um die Gewissheit zu erlangen, dass der Antragsteller in dem betreffenden Drittstaat nach den Grundsätzen von Art. 38 Abs. 1 dieser Richtlinie behandelt wird, müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Methodik, die das nationale Recht nach Art. 38 Abs. 2 Buchst. b dieses Artikels festzulegen hat, eine Prüfung der Lage in dem betreffenden Staat vornehmen. Wie sich aus dem Wortlaut des 46. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie ergibt, darf die Überprüfung dieser Standards nicht allein auf der formalen Untersuchung eines bestimmten Rechtssystems beruhen, sondern muss sich auch auf eine aktualisierte und konkrete Analyse der tatsächlichen Anwendung der in diesem Artikel festgelegten Grundsätze durch diesen Staat stützen ( 18 ).

48.

Ich bestreite nicht, dass es im Hinblick auf dieses Erfordernis eine wesentliche Rolle spielt, ob eine bestimmte Person, die internationalen Schutz beantragt, tatsächlich übernommen oder rückübernommen wird, da sie nur dann im Einklang mit den in Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 genannten Grundsätzen behandelt werden kann, wenn ihr die Einreise in den betreffenden Drittstaat gestattet wird. Ich bin jedoch der Ansicht, dass es bei der in diesem Stadium erforderlichen Prüfung um die Gewissheit geht, dass der Antragsteller im Einklang mit diesen Grundsätzen behandelt werden wird, falls seine Einreise in das Hoheitsgebiet des Drittstaats später gesichert ist.

49.

Es ist nämlich festzustellen, dass die Einreise des Antragstellers in den Drittstaat als solche nicht zu den in diesem Artikel genannten Grundsätzen gehört und nur bei der Prüfung der individuellen Situation der Person, die internationalen Schutz beantragt, berücksichtigt wird. Meines Erachtens wird diese Auslegung durch die Analyse der übrigen Bestimmungen von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 gestützt.

50.

Zum einen verpflichtet Art. 38 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten, nationale Regeln über das Bestehen einer Verbindung zwischen einem bestimmten Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat vorzusehen, und zwar eine Verbindung, die es vernünftig erscheinen lässt, dass diese Person sich in diesen Staat begibt. Die individuelle Beurteilung einer Verbindung, die geeignet ist, die Einreise einer Person, die internationalen Schutz beantragt, in das betreffende Land zu rechtfertigen, kann logischerweise erst erfolgen, wenn sich der Mitgliedstaat gemäß der im nationalen Recht festgelegten Benennungsmethodik vergewissert hat, dass die kumulativen Voraussetzungen nach Art. 38 Abs. 1 dieser Richtlinie, die für die Bestimmung dieses Staates als im Allgemeinen sicher erforderlich sind, erfüllt sind.

51.

Zum anderen regelt Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32 die Folgen der Verweigerung der Einreise einer bestimmten Person, die internationalen Schutz beantragt, durch einen Drittstaat. Eine solche Situation entspricht somit dem Stadium, in dem trotz Vorliegens von Gründen für die Annahme, dass der Antragsteller in den sicheren Drittstaat übernommen oder rückübernommen wird, die Weigerung dieses Staats, den Antragsteller in sein Hoheitsgebiet einreisen zu lassen, der Durchführung dieser Entscheidung entgegensteht. In einem solchen Fall muss der Mitgliedstaat sicherstellen, dass der Antragsteller Zugang zu einem Verfahren zur Prüfung seines Antrags hat, das mit den in dieser Richtlinie vorgesehenen Grundsätzen und Garantien im Einklang steht. Daraus folgt, dass die Frage, ob die betreffende Person tatsächlich übernommen oder rückübernommen wird, für die Einstufung als „sicherer Drittstaat“ kein notwendiges Tatbestandsmerkmal ist, sondern nur eine Voraussetzung, die zum Zeitpunkt der Durchführung zu prüfen und für die Anwendung dieses Begriffs auf einen bestimmten Antragsteller unerlässlich ist.

52.

Diese Auslegung wird durch die Prüfung der Bestimmungen zum Konzept des „ersten Asylstaats“ bestätigt, der nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 einen Grund für die Unzulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz darstellt. Insoweit geht aus Art. 35 Abs. 1 dieser Richtlinie hervor, dass dieses Konzept Anwendung findet, wenn der Antragsteller in dem betreffenden Staat bereits als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen darf oder ihm dort anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung, gewährt wird, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird.

53.

Den Konzepten des „ersten Asylstaats“ und des „sicheren Drittstaats“ ist daher gemeinsam, dass ihre Anwendung von der Übernahme oder Rückübernahme der Person, die internationalen Schutz beantragt, abhängt. Aus dem Wortlaut von Art. 35 der Richtlinie 2013/32 geht jedoch hervor, dass diese Voraussetzung von Anfang an zu prüfen ist, so dass die Einstufung als „erster Asylstaat“ nicht vorgenommen werden kann, wenn der Antragsteller nicht übernommen oder rückübernommen wird. Demgegenüber ergibt sich aus Art. 38 dieser Richtlinie, der nur in seinem Abs. 4 auf die gesicherte Einreise des Antragstellers Bezug nimmt, dass die tatsächliche Übernahme oder Rückübernahme von Antragstellern nicht zu den Voraussetzungen für die Bestimmung eines Staates als im Allgemeinen sicher gehört und erst im Stadium der individuellen Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz geprüft werden muss.

54.

Aus alledem leite ich ab, dass der Umstand, dass sich ein Staat de facto und generell der Rückübernahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in sein Hoheitsgebiet widersetzt, einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, eine nationale Regelung zu erlassen, in der dieser Staat als im Allgemeinen sicher bestimmt wird.

55.

Die Lösung, die ich dem Gerichtshof vorschlage, erfordert die Klärung der Frage, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt des von einer Person, die internationalen Schutz beantragt, eingeleiteten Verfahrens die Weigerung des betreffenden Drittstaats zu berücksichtigen ist, worauf auch die zweite und die dritte Vorlagefrage abzielen.

2. Zweite und dritte Vorlagefrage

56.

Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die allgemeine und absolute Weigerung eines als im Allgemeinen sicher bestimmten Drittstaats dem Erlass eines individuellen Rechtsakts entgegensteht, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. c und Art. 38 der Richtlinie 2013/32 als unzulässig betrachtet wird, oder ob die Übernahme- oder Rückübernahmevoraussetzung erst zum Zeitpunkt der Durchführung dieses Rechtsakts zu prüfen ist.

57.

Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass im Fall einer Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ auf eine bestimmte Person, die internationalen Schutz beantragt, die Prüfung der Voraussetzung der Übernahme oder Rückübernahme dieses Antragstellers grundsätzlich in zwei Schritten erfolgen muss, wobei der erste den Erlass der Unzulässigkeitsentscheidung und der zweite die Durchführung dieser Entscheidung betrifft.

58.

In Bezug auf den ersten Schritt geht aus Art. 38 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 hervor, dass eine Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ nur im Rahmen nationaler Regeln erlassen werden kann, die eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat verlangen, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt. Im Übrigen entbindet der 44. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, der diesem Konzept gewidmet ist, die Mitgliedstaaten nur dann von ihrer Pflicht, einen Antrag auf internationalen Schutz in der Sache zu prüfen, „wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist“. Aus diesen Vorschriften geht somit klar hervor, dass der Erlass einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz in Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ abgelehnt wird, voraussetzt, dass die Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers durch diesen Staat wahrscheinlich oder zumindest plausibel ist.

59.

Erst nach diesem ersten Schritt müssen die Mitgliedstaaten prüfen, ob es tatsächlich zu einer Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers kommt. Stellt sich heraus, dass der betreffende Drittstaat die Einreise des Antragstellers in sein Hoheitsgebiet trotz Vorliegens der oben genannten Wahrscheinlichkeit nicht gestattet, so können die Mitgliedstaaten die Unzulässigkeitsentscheidung nicht vollstrecken und müssen dieser Person nach Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie Zugang zu einem Verfahren zur Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz gewähren.

60.

Wenn daher die Mitgliedstaaten bereits im ersten Schritt die Gewissheit erlangt haben, dass sich der Antragsteller nicht in den „sicheren Drittstaat“ begeben kann, ist die im zweiten Schritt vorzunehmende Überprüfung, ob die betroffene Person tatsächlich übernommen oder rückübernommen wird, gegenstandslos. In einer solchen Situation bin ich der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der bereits im ersten Schritt festgestellten Unmöglichkeit einer Übernahme oder Rückübernahme der Person, die internationalen Schutz beantragt, keine auf dem Konzept des „sicheren Drittstaats“ beruhende Unzulässigkeitsentscheidung gegenüber diesem Antragsteller erlassen dürfen.

61.

Diese Schlussfolgerung kann meines Erachtens nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass der betreffende Staat zuvor durch eine nationale Regelung als im Allgemeinen sicher bestimmt wurde. Diese Bestimmung hängt nämlich nur von der Gewissheit der Achtung der in Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 genannten Grundsätze ab, und nicht davon, inwiefern Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein bestimmter Antragsteller in dieses Land übernommen oder rückübernommen wird.

62.

Darüber hinaus gibt es zwei Gesichtspunkte, die diese Analyse zu stützen scheinen.

63.

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass es nach dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 „im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, [liegt,] dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird“ ( 19 ). In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens liefe es meines Erachtens der sich aus diesem Artikel ergebenden Beschleunigungspflicht zuwider, den Zeitpunkt der Durchführung einer Entscheidung, mit der ein Antrag als unzulässig abgelehnt wird, abzuwarten, um die Konsequenzen aus einem Sachverhalt zu ziehen, der bereits bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz bekannt war.

64.

Zweitens wird diese Lösung vom Unionsgesetzgeber in der Verordnung (EU) 2024/1348 ausdrücklich übernommen ( 20 ). So geht aus dem 53. Erwägungsgrund und aus Art. 38 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung hervor, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz nicht auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ als unzulässig ablehnen können, wenn zum Zeitpunkt der Zulässigkeitsprüfung eindeutig ist, dass der Antragsteller nicht in den betreffenden Drittstaat übernommen oder rückübernommen werden wird.

65.

An diesem Punkt meiner Überlegungen erachte ich es für angebracht, auf der Grundlage der von der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Informationen das von den griechischen Behörden angewandte Verfahren darzustellen, da es die Schwierigkeiten veranschaulicht, die durch eine Praxis hervorgerufen werden, die darin besteht, den Zeitpunkt der Durchführung einer Unzulässigkeitsentscheidung abzuwarten, obwohl bereits feststeht, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt, wegen der allgemeinen Aussetzung der Rückübernahme in dem betreffenden Drittstaat die Einreise nicht gestattet werden wird.

66.

Schematisch lässt sich dieses Verfahren wie folgt beschreiben. Zunächst erlassen die griechischen Behörden eine Entscheidung, mit der der Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung als unzulässig abgelehnt wird, dass die Türkei für bestimmte Kategorien von Antragstellern durch einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung als sicherer Drittstaat bestimmt worden sei.

67.

Sodann wendet sich Griechenland im Stadium der Durchführung dieser Entscheidung an die Türkei, um zu erfahren, ob sie bereit ist, dem Antragsteller die Einreise in ihr Hoheitsgebiet zu gestatten. Da es die türkischen Behörden ablehnen, auf alle dahin gehenden Anträge zu antworten, warten die griechischen Behörden bis zu einer in der mündlichen Verhandlung als „angemessen“ ( 21 ) bezeichneten Frist und stellen dann fest, dass die Rückübernahme des Antragstellers unmöglich sei.

68.

Schließlich ist es nach dieser Feststellung gemäß den Angaben der griechischen Regierung Sache des Betroffenen, einen neuen Antrag in diesem Sinne zu stellen, da die zuständigen Behörden nach griechischem Recht nicht verpflichtet sind, die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz von Amts wegen wieder aufzunehmen ( 22 ).

69.

Diese Darstellung veranlasst mich zu weiteren, meine Analyse untermauernden Ausführungen zur Tragweite der den Mitgliedstaaten auferlegten Pflicht, einen Antrag auf internationalen Schutz in der Sache zu prüfen, falls der Antragsteller nicht in das Hoheitsgebiet des sicheren Drittstaats einreisen darf.

70.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 der Begriff „Antragsteller“ einen „Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch keine bestandskräftige Entscheidung ergangen ist“ bezeichnet, wobei die bestandskräftige Entscheidung in Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie als „eine Entscheidung darüber, ob einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß der [Richtlinie 2011/95] die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist …“, definiert wird. Daraus folgt, wie ich in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság ausgeführt habe ( 23 ), dass ein Migrant die Eigenschaft als Antragsteller erst dann verliert, wenn eine Entscheidung ergeht, mit der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Eigenschaft als Person, die subsidiären Schutz benötigt, ausgeschlossen wird, mit anderen Worten, eine Entscheidung in der Sache.

71.

Die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ soll es den Behörden eines Mitgliedstaats ermöglichen, die Zuständigkeit für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz auf einen anderen Staat zu übertragen, von dem feststeht, dass er den Migranten gemäß den in Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 genannten Grundsätzen behandeln wird. Unter diesem Blickwinkel garantiert dieses Konzept dem Betroffenen eine Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz in der Sache, entweder in dem Mitgliedstaat, bei dem er seinen Antrag gestellt hat, oder, im Fall einer tatsächlichen Übernahme oder Rückübernahme, in dem betreffenden Drittstaat.

72.

Aufgrund dieser Gesichtspunkte sind meines Erachtens zwei Situationen zu unterscheiden.

73.

Die erste dieser Situationen entspricht der, in der ein Mitgliedstaat, nachdem er festgestellt hat, dass Grund zu der Annahme besteht, dass sich der Antragsteller in den Staat begibt, der als „sicherer Drittstaat“ eingestuft ist, eine Unzulässigkeitsentscheidung erlässt. Stellt sich im Stadium der Durchführung dieser Entscheidung heraus, dass dieser Staat die Einreise dieser Person in sein Hoheitsgebiet nicht gestattet, so behält diese Person ihre Eigenschaft als Antragsteller, so dass der Mitgliedstaat die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz von Amts wegen wieder aufnehmen muss.

74.

Die zweite dieser Situationen entspricht der des Ausgangsrechtsstreits. In diesem Fall muss der Mitgliedstaat den Antrag auf internationalen Schutz weiter prüfen, ohne in Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ eine Unzulässigkeitsentscheidung erlassen zu können ( 24 ).

75.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Art. 38 der Richtlinie 2013/32 dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ entgegensteht, wenn ein Mitgliedstaat bereits bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz die Gewissheit erlangt hat, dass es dem Antragsteller nicht gestattet werden wird, in das Hoheitsgebiet eines als im Allgemeinen sicher bestimmten Staates einzureisen.

VI. Ergebnis

76.

Im Licht all dieser Erwägungen schlage ich vor, die Vorlagefragen des Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) wie folgt zu beantworten:

Art. 38 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der ein Drittstaat für bestimmte Kategorien von Personen, die internationalen Schutz beantragen, als im Allgemeinen sicher bestimmt wird, obwohl dieser Staat trotz seiner rechtlichen Verpflichtung die Übernahme oder Rückübernahme dieser Antragsteller generell und ohne Aussicht auf Änderung dieses Standpunkts ausgesetzt hat;

er einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Erlass einer Entscheidung vorsieht, mit der in Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachtet wird, obwohl der Mitgliedstaat bereits bei der Prüfung dieses Antrags die Gewissheit erlangt hat, dass der betreffende Drittstaat dem Antragsteller nicht erlauben wird, in sein Hoheitsgebiet einzureisen.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

( 3 ) ABl. 2014, L 134, S. 3, Berichtigung ABl. 2014, L 331, S. 40.

( 4 ) ABl. 2014, L 134, S. 1.

( 5 ) Beschluss zur Festlegung des im Namen der Europäischen Union im Gemischten Rückübernahmeausschuss im Hinblick auf einen Beschluss des Gemischten Rückübernahmeausschusses zu Durchführungsbestimmungen für die Anwendung der Artikel 4 und 6 des [Rückübernahmeabkommens EU‑Türkei] ab 1. Juni 2016 zu vertretenden Standpunkts (ABl. 2016, L 95, S. 9).

( 6 ) In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung nicht Sache des Gerichtshofs ist, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2022, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Rückführung eines Opfers des Menschenhandels) (C‑66/21, EU:C:2022:809, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 7 ) Urteil vom 18. Januar 2024, Hewlett Packard Development Company (C‑367/21, EU:C:2024:61, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 8 ) C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:294, Nrn. 111 bis 114 sowie 127.

( 9 ) Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 172 bis 174).

( 10 ) Der Standpunkt der türkischen Regierung wird im Sechsten Jahresbericht über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei (COM [2022] 243 final) dargelegt. In dieser an den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament gerichteten Mitteilung führt die Kommission u. a. aus: „Auf wiederholte Ersuchen der griechischen Behörden und der Europäischen Kommission, die Rückführungsaktionen wieder aufzunehmen, erklärte die Türkei, es werden keine Rückführungsaktionen stattfinden[,] solange die mutmaßlichen Zurückweisungen an der türkisch-griechischen Grenze nicht eingestellt werden und Griechenland seine Entscheidung, die Türkei als ‚sicheren Drittstaat‘ einzustufen, nicht widerruft.“

( 11 ) Urteil vom 8. Februar 2024, Bundesrepublik Deutschland (Zulässigkeit eines Folgeantrags) (C‑216/22, EU:C:2024:122, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 12 ) Urteil vom 19. März 2020, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Tompa) (C‑564/18, EU:C:2020:218, Rn. 36). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Rückübernahmeabkommen EU‑Türkei die Voraussetzungen festlegt, unter denen bestimmte Kategorien von Migranten in das türkische Hoheitsgebiet rückübernommen werden können. Dieses Abkommen schafft nur einen allgemeinen rechtlichen Rahmen, der sich von den in der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes unterscheidet. Daraus folgt, dass dieses Abkommen keine Auswirkung auf die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ hat, die nur davon abhängt, dass die Voraussetzungen von Art. 33 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 2013/32 erfüllt sind.

( 13 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache LH (Tompa) (C‑564/18, EU:C:2019:1056, Nr. 42).

( 14 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

( 15 ) Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterzeichnet am 28. Juli 1951 in Genf (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 137, Nr. 2545 [1954]).

( 16 ) Hervorhebung nur hier.

( 17 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung (EU) 2024/1348 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (ABl. L, 2024/1348, 22.5.2024) in ihren Art. 60 und 64 ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, einen Drittstaat sowohl auf Unionsebene als auch auf nationaler Ebene als sicheren Drittstaat zu bestimmen.

( 18 ) Vgl. auch HCR, „UNHCR Statement on safe country concepts and the right to an effective remedy in admissibility procedures“, September 2019.

( 19 ) Diese Verpflichtung wird in Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 konkretisiert, der den Mitgliedstaaten aufgibt, sicherzustellen, dass das Prüfungsverfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht wird.

( 20 ) Verordnung (EU) 2024/1348 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (ABl. L, 2024/1348, 22.5.2024). Diese neue Verordnung gilt gemäß ihrem Art. 79 Abs. 3 für das Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes in Bezug auf Anträge, die ab dem 12. Juni 2026 eingereicht werden, während Anträge auf internationalen Schutz, die vor diesem Tag eingereicht wurden, weiterhin der Richtlinie 2013/32 unterliegen.

( 21 ) Ich weise darauf hin, dass die griechische Regierung abgesehen von dieser Bezeichnung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass diese Frist mehrere Monate betrage, ohne nähere Angaben zu ihrer genauen Dauer machen zu können. Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass eine solche Frist rein künstlich ist, da feststeht, dass der Antragsteller nicht in das türkische Hoheitsgebiet rückübernommen wird. Meines Erachtens ist dies kennzeichnend für eine Nichtbeachtung des durch die Richtlinie 2013/32 auferlegten Beschleunigungsgebots.

( 22 ) Nach den Erläuterungen der griechischen Regierung ist dieser neue Antrag als zulässig anzusehen und daher in der Sache zu prüfen. Eine solche Verpflichtung scheint sich aus Art. 86 Abs. 5 des griechischen Gesetzes über den internationalen Schutz zu ergeben, in dem es heißt: „Erlaubt der genannte Drittstaat dem Antragsteller nicht, in sein Hoheitsgebiet einzureisen, wird sein Antrag von den Behörden, die für die Entscheidung zuständig sind, in der Sache geprüft.“

( 23 ) C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:294, Nr. 118.

( 24 ) Abgesehen von günstigeren nationalen Bestimmungen wird meines Erachtens ein Mitgliedstaat, der die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz fortführt, durch nichts daran gehindert, sich auf einen anderen der in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 genannten Unzulässigkeitsgründe zu berufen.