URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

22. Februar 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 2008/104/EG – Leiharbeit – Art. 5 Abs. 1 – Grundsatz der Gleichbehandlung – Art. 3 Abs. 1 Buchst. f – Begriff ‚wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer‘ – Begriff ‚Arbeitsentgelt‘ – Entschädigung wegen der infolge eines Arbeitsunfalls während der Überlassung eingetretenen dauerhaften vollständigen Unfähigkeit eines Leiharbeitnehmers, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben“

In der Rechtssache C‑649/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands, Spanien) mit Entscheidung vom 27. September 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Oktober 2022, in dem Verfahren

XXX

gegen

Randstad Empleo ETT SAU,

Serveo Servicios SAU, vormals Ferrovial Servicios SA,

Axa Seguros Generales SA de Seguros y Reaseguros

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters P. G. Xuereb in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie des Richters A. Kumin (Berichterstatter) und der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der spanischen Regierung, vertreten durch M. Morales Puerta als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Galindo Martín und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 2 EUV sowie von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XXX, einem Leiharbeitnehmer, und der Randstad Empleo ETT SAU (im Folgenden: Randstad Empleo), einer Gesellschaft, mit der er einen Leiharbeitsvertrag schloss, der Serveo Servicios SAU, vormals Ferrovial Servicios SA (im Folgenden: Serveo Servicios), einem entleihenden Unternehmen, an das er überlassen wurde, und der Versicherungsgesellschaft Axa Seguros Generales SA de Seguros y Reaseguros (im Folgenden: Axa) über die Höhe der Entschädigung, auf die XXX wegen der infolge eines Arbeitsunfalls während der Überlassung in dem entleihenden Unternehmen eingetretenen dauerhaften vollständigen Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, die zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses geführt hat, Anspruch hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 91/383/EWG

3

Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 91/383/EWG des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis (ABl. 1991, L 206, S. 19) hat folgenden Wortlaut:

„Untersuchungen haben gezeigt, dass Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis in einigen Bereichen generell in höherem Maße als andere Beschäftigte der Gefahr von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausgesetzt sind.“

4

Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für

2.

Leiharbeitsverhältnisse zwischen einem Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber einerseits und einem Arbeitnehmer andererseits, wobei Letzterer zur Verfügung gestellt wird, um für und unter der Kontrolle eines entleihenden Unternehmens und/oder einer entleihenden Einrichtung zu arbeiten.“

5

Art. 2 („Zweck“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Ziel dieser Richtlinie ist es sicherzustellen, dass Arbeitnehmer mit einem Arbeitsverhältnis im Sinne des Artikels 1 im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz das gleiche Schutzniveau wie die anderen Arbeitnehmer des entleihenden Unternehmens und/oder der entleihenden Einrichtung genießen.

(2)   Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Artikels 1 darf in Bezug auf die Arbeitsbedingungen nicht zu einer Ungleichbehandlung führen, soweit es sich um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und insbesondere um die Inanspruchnahme individueller Schutzeinrichtungen handelt.

…“

6

Art. 8 („Leiharbeitsverhältnisse: Verantwortung“) dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, damit

1.

unbeschadet der durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Verantwortung des Leiharbeitsunternehmens das entleihende Unternehmen und/oder die entleihende Einrichtung während der Dauer des Arbeitsauftrags für die Bedingungen der Arbeitsausführung verantwortlich ist;

2.

für die Anwendung der Nummer 1 die Bedingungen für die Arbeitsausführung ausschließlich diejenigen umfassen, die mit der Sicherheit, der Hygiene und dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zusammenhängen.“

Richtlinie 2008/104

7

In den Erwägungsgründen 1, 10 bis 13 und 15 bis 17 der Richtlinie 2008/104 heißt es:

„(1)

Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und befolgt die in der [Charta] anerkannten Prinzipien. Sie soll insbesondere die uneingeschränkte Einhaltung von Artikel 31 der Charta gewährleisten, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen … hat.

(10)

In Bezug auf die Inanspruchnahme der Leiharbeit sowie die rechtliche Stellung, den Status und die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer lassen sich innerhalb der Union große Unterschiede feststellen.

(11)

Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei.

(12)

Die vorliegende Richtlinie legt einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer fest und wahrt gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen.

(13)

Die Richtlinie [91/383] enthält die für Leiharbeitnehmer geltenden Bestimmungen im Bereich von Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.

(15)

Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Falle von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen.

(16)

Um der Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen auf flexible Weise gerecht zu werden, können die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern gestatten, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, sofern das Gesamtschutzniveau für Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt.

(17)

Außerdem sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten, genau festgelegten Umständen auf der Grundlage einer zwischen den Sozialpartnern auf nationaler Ebene geschlossenen Vereinbarung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in beschränktem Maße abweichen dürfen, sofern ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist.“

8

Art. 1 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.“

9

Art. 2 („Ziel“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.“

10

In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2008/104 heißt es:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

f)

‚wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen‘ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf folgende Punkte beziehen:

i)

Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage,

ii)

Arbeitsentgelt.

(2)   Diese Richtlinie lässt das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von ‚Arbeitsentgelt‘, ‚Arbeitsvertrag‘, ‚Beschäftigungsverhältnis‘ oder ‚Arbeitnehmer‘ unberührt.

…“

11

Art. 5 („Grundsatz der Gleichbehandlung“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

(2)   In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden.

(3)   Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können.

(4)   Sofern Leiharbeitnehmern ein angemessenes Schutzniveau gewährt wird, können Mitgliedstaaten, in denen es entweder kein gesetzliches System, durch das Tarifverträge allgemeine Gültigkeit erlangen, oder kein gesetzliches System bzw. keine Gepflogenheiten zur Ausweitung von deren Bestimmungen auf alle vergleichbaren Unternehmen in einem bestimmten Sektor oder bestimmten geografischen Gebiet gibt … – nach Anhörung der Sozialpartner auf nationaler Ebene und auf der Grundlage einer von ihnen geschlossenen Vereinbarung –[,] Regelungen in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern festlegen, die vom Grundsatz des Absatzes 1 abweichen. Zu diesen Regelungen kann auch eine Wartezeit für Gleichbehandlung zählen.

…“

Spanisches Recht

Gesetz 14/1994

12

Art. 11 Abs. 1 der Ley 14/1994 por la que se regulan las empresas de trabajo temporal (Gesetz 14/1994 über Leiharbeitsunternehmen) vom 1. Juni 1994 (BOE Nr. 131 vom 2. Juni 1994) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz 14/1994) sieht vor:

„Leiharbeitnehmer haben während der Dauer ihrer Arbeit bei einem entleihenden Unternehmen Anspruch auf die Anwendung der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

Zu diesem Zweck gelten als wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen diejenigen, die das Arbeitsentgelt, die Dauer der Arbeitszeit, die Überstunden, die Ruhezeiten, die Nachtarbeit, den Urlaub und die arbeitsfreien Tage betreffen.

Das Arbeitsentgelt umfasst alle an den betreffenden Arbeitsplatz geknüpften festen oder variablen Entgelte, die in dem für das entleihende Unternehmen geltenden Tarifvertrag für diesen Arbeitsplatz festgelegt sind. Es muss in jedem Fall den auf die wöchentliche Ruhezeit, die Sonderzahlungen, die arbeitsfreien Tage und den Jahresurlaub entfallenden proportionalen Anteil umfassen. Dem entleihenden Unternehmen obliegt die Berechnung der endgültigen Bezüge des Arbeitnehmers; zu diesem Zweck hat das entleihende Unternehmen das in diesem Absatz genannte Arbeitsentgelt im Überlassungsvertrag des Arbeitnehmers anzugeben.

Darüber hinaus haben die Leiharbeitnehmer Anspruch darauf, dass für sie dieselben Bestimmungen über … die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und über die Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung wie für die Arbeitnehmer des entleihenden Unternehmens gelten.“

Arbeitnehmerstatut

13

Art. 49 Abs. 1 des Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) in der Fassung des Real Decreto Legislativo 2/2015 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Königliches gesetzesvertretendes Dekret 2/2015 zur Billigung der Neufassung des Arbeitnehmerstatuts) vom 23. Oktober 2015 (BOE Nr. 255 vom 24. Oktober 2015, S. 100224) bestimmt:

„Der Arbeitsvertrag endet

e)

durch Tod, hochgradige Invalidität oder dauerhafte vollständige Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers …“

Tarifvertrag für Leiharbeit

14

Nach Art. 42 des VI convenio colectivo estatal de empresas de trabajo temporal (VI. nationaler Tarifvertrag der Leiharbeitsunternehmen) (im Folgenden: Tarifvertrag für Leiharbeit) haben Leiharbeitnehmer, die infolge eines Arbeitsunfalls dauerhaft vollständig unfähig sind, ihren gewöhnlichen Beruf auszuüben, Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 10500 Euro.

Tarifvertrag für den Transportsektor

15

Art. 31 des convenio colectivo para el sector de la industria del transporte de mercancías por carretera y agencias de transporte de Álava (Tarifvertrag für den Sektor der Güterkraftverkehrs- und Transportunternehmen von Álava) (im Folgenden: Tarifvertrag für den Transportsektor) sieht eine Entschädigung in Höhe von 60101,21 Euro für den Fall vor, dass ein Arbeitnehmer infolge eines Arbeitsunfalls dauerhaft berufs- oder erwerbsunfähig ist.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

16

XXX schloss mit Wirkung ab 1. Oktober 2016 einen Leiharbeitsvertrag mit Randstad Empleo, die ihn Serveo Servicios überließ, um die Aufgaben eines erfahrenen Lagerarbeiters auszuüben. Nach diesem Vertrag ist auf dieses Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für Leiharbeit anwendbar.

17

Während dieser Überlassung erlitt XXX am 24. Oktober 2016 einen Arbeitsunfall. Mit Entscheidung der Dirección Provincial del Instituto Nacional de la Seguridad Social de Álava (Provinzialdirektion Álava der staatlichen Sozialversicherungsanstalt, Spanien) vom 16. März 2019, die mit Urteil des Juzgado de lo Social no 2 de Vitoria-Gasteiz (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 Vitoria-Gasteiz, Spanien) vom 12. September 2019 bestätigt wurde, wurde festgestellt, dass XXX infolge dieses Arbeitsunfalls dauerhaft vollständig unfähig sei, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben.

18

Am 21. November 2019 zahlte Axa gemäß Art. 42 des Tarifvertrags für Leiharbeit an XXX wegen dessen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, eine Entschädigung in Höhe von 10500 Euro. XXX ist jedoch der Ansicht, dass ihm dafür eine Entschädigung in Höhe von 60101,21 Euro hätte gezahlt werden müssen, und zwar gemäß Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor.

19

Am 7. Februar 2020 erhob daher die Gewerkschaft Eusko Langileen Alkartasuna (Gewerkschaft Baskische Arbeitersolidarität) im Namen von XXX eine Klage auf Entschädigung beim Juzgado de lo Social no 3 de Vitoria (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 3 Vitoria, Spanien) gegen zum einen Randstad Empleo, Serveo Servicios sowie Axa und zum anderen gegen den Fondo de Garantía Salarial (Sozialversicherungsfonds, Spanien) auf Zahlung von 49601,21 Euro, d. h. der Differenz zwischen der XXX gemäß Art. 42 des Tarifvertrags für Leiharbeit gezahlten Entschädigung und der in Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor vorgesehenen Entschädigung, zuzüglich 20 % oder zuzüglich Verzugszinsen, an XXX. Dieses Gericht wies die Klage mit Urteil vom 30. Dezember 2021 u. a. mit der Begründung ab, dass der Tarifvertrag für Leiharbeit auf XXX anwendbar sei und dass in Anbetracht der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) die freiwillig gewährten Zusatzleistungen der Sozialversicherung, die nicht Teil der in Art. 11 des Gesetzes 14/1994 vorgesehenen Mindestentgeltgarantie seien, wie die im vorliegenden Fall von XXX geforderte Entschädigung, nicht unter den Begriff „Arbeitsentgelt“ fielen.

20

Die Gewerkschaft Baskische Arbeitersolidarität hat gegen dieses Urteil beim Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands, Spanien), dem vorlegenden Gericht, Berufung eingelegt. Vor diesem Gericht macht XXX geltend, dass er eine Entschädigung nach Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor hätte erhalten müssen, da diese Entschädigung unter den Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 falle. Dagegen sind die Beklagten des Ausgangsverfahrens der Ansicht, dass der Tarifvertrag für Leiharbeit auf XXX anwendbar sei und dass eine Entschädigung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in den Anwendungsbereich der „wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne dieser Richtlinie falle.

21

Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit der vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) vorgenommenen Auslegung von Art. 11 des Gesetzes 14/1994, mit dem die Richtlinie 2008/104 umgesetzt werden soll, mit den in den Art. 20 und 21 der Charta verankerten Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie mit Art. 5 dieser Richtlinie. Nach dieser Auslegung fielen freiwillig gewährte Zusatzleistungen der Sozialversicherung nämlich nicht unter den Begriff „Arbeitsentgelt“ im Sinne von Art. 11, da sie nicht unmittelbar mit der Arbeit verknüpft seien. Aus dieser Auslegung ergebe sich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entschädigung nicht unter den Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ falle und XXX daher keinen Anspruch auf die von ihm nach Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor geforderte Entschädigung habe.

22

In Anbetracht des Zwecks der Richtlinie 2008/104, insbesondere ihres Art. 5, ist der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs nach Ansicht des vorlegenden Gerichts weit auszulegen, damit XXX Anspruch auf dieselbe Entschädigung habe, auf die ein von Serveo Servicios unmittelbar eingestellter Arbeitnehmer in derselben Situation Anspruch hätte. Die vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) vorgenommene Auslegung von Art. 11 des Gesetzes 14/1994 könnte nämlich zu der absurden Situation führen, dass zwei bei ein und demselben Arbeitsunfall verletzte Arbeitnehmer eine unterschiedliche Entschädigung erhielten, je nachdem, ob sie vom entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellt wurden oder nicht.

23

Was ferner den Umstand betrifft, dass der Arbeitsvertrag von XXX infolge seiner dauerhaften vollständigen Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, beendet wurde, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 12. Mai 2022, Luso Temp (C‑426/20, EU:C:2022:373), entschieden habe, dass der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ eine Entschädigung umfasse, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu zahlen habe.

24

Schließlich stellt das vorlegende Gericht fest, dass XXX infolge des in Rede stehenden Arbeitsunfalls an einer Behinderung leide und deshalb seine Beschäftigung verloren habe. Würde XXX aber nicht in gleicher Weise wie den von Serveo Servicios unmittelbar eingestellten Arbeitnehmern, die sich in derselben Situation befinden, nämlich nach Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor, ein Anspruch auf Entschädigung zuerkannt, könnte dies eine nach Art. 21 der Charta verbotene Diskriminierung wegen einer Behinderung sein.

25

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 20 und 21 der Charta, Art. 2 EUV und Art. 3 Abs. 1 Buchst. f und Art. 5 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass sie einer Auslegung der spanischen Regelung durch die nationale Rechtsprechung entgegenstehen, nach der eine Entschädigung, die einem Leiharbeitnehmer zusteht, weil sein Arbeitsvertrag infolge der Feststellung seiner dauerhaften vollständigen Berufsunfähigkeit nach einem Arbeitsunfall bei dem entleihenden Unternehmen beendet wurde, nicht unter den Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ fällt?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

26

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Notwendigkeit, zu einer für das nationale Gericht nützlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Der Gerichtshof darf sich nämlich in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV nur auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift äußern (Urteil vom 12. Januar 2023, DOBELES HES, C‑702/20 und C‑17/21, EU:C:2023:1, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Der Gerichtshof betont im Übrigen, wie wichtig es ist, dass das nationale Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof für erforderlich hält. Insoweit ist es unerlässlich, dass das nationale Gericht in der Vorlageentscheidung selbst ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Vorschriften und dem nationalen Recht, das auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwenden ist, herstellt (Urteil vom 9. September 2021, Toplofikatsia Sofia u. a., C‑208/20 und C‑256/20, EU:C:2021:719, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sind ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt, von dem das vorlegende Gericht im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten Kenntnis haben sollte und den es sorgfältig zu beachten hat. Darauf wird auch in Nr. 15 der Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen (Urteil vom 9. September 2021, Toplofikatsia Sofia u. a., C‑208/20 und C‑256/20, EU:C:2021:719, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Im vorliegenden Fall ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung der Art. 20 und 21 der Charta, von Art. 2 EUV sowie von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f und Art. 5 der Richtlinie 2008/104. Das vorlegende Gericht gibt jedoch weder mit der erforderlichen Genauigkeit und Klarheit die Gründe an, die es zu der Frage nach der Auslegung der Art. 20 und 21 der Charta sowie von Art. 2 EUV veranlasst haben, noch den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung herstellt.

30

Erstens ist nämlich, auch wenn die Art. 20 und 21 der Charta die Grundsätze der Gleichbehandlung bzw. der Nichtdiskriminierung aufstellen, mit der Europäischen Kommission festzustellen, dass sich das vorlegende Gericht in Bezug auf diese Vorschriften auf die Feststellung beschränkt, dass es eine nach Art. 21 der Charta verbotene Diskriminierung wegen einer Behinderung sein könnte, wenn XXX kein Anspruch auf Entschädigung zuerkannt würde, als wäre er ein von Serveo Servicios unmittelbar eingestellter Arbeitnehmer.

31

Das vorlegende Gericht hat jedoch nicht erläutert, inwiefern die Entschädigung von XXX gemäß Art. 42 des Tarifvertrags für Leiharbeit statt Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor für ihn eine Diskriminierung wegen einer Behinderung sein kann. Wie sich aus der Vorlageentscheidung nämlich ergibt, ist mit der spanischen Regierung festzustellen, dass es für die Entscheidung der Frage, auf welchen dieser Tarifverträge sich ein Arbeitnehmer stützen kann, um eine Entschädigung wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, zu verlangen, auf den Status dieses Arbeitnehmers ankommt, wobei eine etwaige Behinderung, an der dieser Arbeitnehmer leidet, in diesem Zusammenhang unerheblich ist.

32

Unter diesen Umständen ist die Situation von XXX auch nicht im Licht der Art. 2 und 3 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16), die insbesondere die Diskriminierung wegen einer Behinderung betreffen, zu prüfen, auf die das Gericht Bezug nimmt, ohne jedoch anzugeben, inwiefern diese Bestimmungen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits relevant sein sollen.

33

Soweit im Übrigen die Vorlageentscheidung auf Art. 14 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23) verweist, wonach „es … keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben [darf]“, ist festzustellen, dass die dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine Diskriminierung von XXX aufgrund des Geschlechts enthalten.

34

Zweitens genügt in Bezug auf Art. 2 EUV der Hinweis, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht mit der in den Rn. 27 und 28 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Einklang steht, da es weder Angaben zu den Gründen enthält, aus denen das vorlegende Gericht den Gerichtshof um die Auslegung dieser Vorschrift ersucht hat, noch zu dem Zusammenhang, den es zwischen dieser Vorschrift und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

35

Nach alledem ist das Vorabentscheidungsersuchen nur insoweit zulässig, als es Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 betrifft.

Zur Vorlagefrage

36

Das vorlegende Gericht möchte, wie sich aus Rn. 35 des vorliegenden Urteils ergibt, mit seiner Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, nach der die Entschädigung, auf die Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, ihren gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist und die Beendigung ihres Leiharbeitsverhältnisses zur Folge hat, Anspruch haben, niedriger ist als die Entschädigung, auf die diese Arbeitnehmer in der gleichen Situation und aus dem gleichen Grund Anspruch hätten, wenn sie von diesem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Dauer eingestellt worden wären.

Zum Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104

37

Als Erstes ist zu prüfen, ob eine Entschädigung, die einem Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist und die Beendigung seines Leiharbeitsverhältnisses zur Folge hat, zusteht, unter den Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 fällt.

38

Zwar gibt der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 für die Frage, ob der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ dahin auszulegen ist, dass er eine solche Entschädigung umfasst, nichts her. Nach der Begriffsbestimmung in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 bezieht sich dieser Begriff aber auf das „Arbeitsentgelt“.

39

Hierzu ist festzustellen, dass der letztgenannte Begriff in der Richtlinie 2008/104 nicht definiert wird.

40

Zwar lässt die Richtlinie 2008/104 nach ihrem Art. 3 Abs. 2 „das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von ‚Arbeitsentgelt‘ … unberührt“, doch ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung nicht als Verzicht des Unionsgesetzgebers darauf ausgelegt werden kann, die Bedeutung des Begriffs „Arbeitsentgelt“ im Sinne dieser Richtlinie selbst festzulegen, da diese Bestimmung nur besagt, dass der Unionsgesetzgeber die Befugnis der Mitgliedstaaten bestehen lassen wollte, diesen Begriff im Sinne des nationalen Rechts zu bestimmen, ein Aspekt, dessen Harmonisierung nicht Gegenstand dieser Richtlinie ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. November 2016, Betriebsrat der Ruhrlandklinik, C‑216/15, EU:C:2016:883, Rn. 30 bis 32).

41

Wie sich aus ständiger Rechtsprechung ergibt, sind Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, zu bestimmen (Urteil vom 1. August 2022, Navitours, C‑294/21, EU:C:2022:608, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Erstens wird der Begriff „Arbeitsentgelt“ entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch allgemein als das für bestimmte Arbeiten oder die Erbringung einer Dienstleistung gezahlte Geld verstanden.

43

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Wesensmerkmal des Entgelts darin besteht, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt, wobei die Gegenleistung in der Regel zwischen dem Erbringer und dem Empfänger der Leistung vereinbart wird (Urteil vom 11. November 2021, Manpower Lit, C‑948/19, EU:C:2021:906, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Im Übrigen ist der Begriff „Entgelt“ in Art. 157 Abs. 2 AEUV definiert als „die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen …, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt“. Nach der Rechtsprechung ist dieser Begriff weit auszulegen und umfasst insbesondere alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährt, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrags, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig (Urteil vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Der Gerichtshof hat ferner klargestellt, dass zu den als „Entgelt“ im Sinne von Art 157 AEUV qualifizierten Vergütungen gerade diejenigen vom Arbeitgeber aufgrund bestehender Arbeitsverhältnisse gezahlten Vergünstigungen gehören, die den Arbeitnehmern ein Einkommen sichern sollen, selbst wenn sie in besonderen Fällen keine in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehene Tätigkeit ausüben. Außerdem kann der Entgeltcharakter derartiger Leistungen nicht schon deswegen in Zweifel gezogen werden, weil diese Leistungen auch sozialpolitischen Erwägungen Rechnung tragen (Urteil vom 19. September 2018, Bedi, C‑312/17, EU:C:2018:734, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Hierzu ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung das „Entgelt“ im Sinne von Art 157 Abs. 2 AEUV zu den „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9, berichtigt in ABl. 1998, L 128, S. 71) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. 1998, L 131, S. 10) geänderten Fassung sowie von Paragraf 4 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. April 2008, Impact, C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 131 und 132, sowie vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 20 und 21).

47

Allerdings zielt Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104, noch gezielter als die genannten Paragrafen, auf einen wirksamen Schutz von Arbeitnehmern in atypischen oder prekären Beschäftigungsverhältnissen ab, so dass eine entsprechende Auslegung wie diejenige, die in der oben in den Rn. 44 und 45 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung für den Begriff „Entgelt“ im Sinne von Art 157 AEUV vorgenommen wurde, bei der Bestimmung der Tragweite des Begriffs „Arbeitsentgelt“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f Ziff. ii der Richtlinie 2008/104 erst recht geboten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2022, Luso Temp, C‑426/20, EU:C:2022:373, Rn. 36).

48

Zwar wird eine Entschädigung wie die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannte nicht unmittelbar als Gegenleistung für die von einem Leiharbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung gezahlt, doch ist davon auszugehen, dass eine solche Entschädigung eine in bar gewährte Vergütung darstellt, die zum einen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mittelbar aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährt, da sie in einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag vorgesehen ist, und die zum anderen dem Arbeitnehmer gezahlt wird, um die Einkommenseinbuße auszugleichen, die sich aus seiner Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, ergibt, so dass sie ihm ein Einkommen sichern soll.

49

Somit ist der Begriff „Arbeitsentgelt“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f Ziff. ii der Richtlinie 2008/104 weit genug, um eine Entschädigung zu erfassen, auf die Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, ihren gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist, Anspruch haben.

50

Zweitens ist in Bezug auf den Kontext, in den sich Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f Ziff. ii der Richtlinie 2008/104 einfügt, festzustellen, dass gemäß dem 13. Erwägungsgrund dieser Richtlinie die Richtlinie 91/383 die für Leiharbeitnehmer geltenden Bestimmungen im Bereich von Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz enthält.

51

Insofern ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 91/383, dass es Ziel dieser Richtlinie ist, sicherzustellen, dass Leiharbeitnehmer im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz das gleiche Schutzniveau wie die anderen Arbeitnehmer des entleihenden Unternehmens genießen. Ferner darf nach Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 91/383 das Bestehen eines Leiharbeitsverhältnisses in Bezug auf die Arbeitsbedingungen nicht zu einer Ungleichbehandlung führen, soweit es sich um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz handelt, zumal Leiharbeitnehmer, wie sich aus dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, in einigen Bereichen in höherem Maße als andere Beschäftigte der Gefahr von Arbeitsunfällen ausgesetzt sind.

52

Darüber hinaus sieht Art. 8 der Richtlinie 91/383 im Wesentlichen vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, damit unbeschadet der durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Verantwortung des Leiharbeitsunternehmens das entleihende Unternehmen während der Dauer des Arbeitsauftrags für die Bedingungen der Arbeitsausführung, die mit der Sicherheit, der Hygiene und dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zusammenhängen, verantwortlich ist.

53

Daher ist zum einen davon auszugehen, dass der Schutz der „Sicherheit“ und der „Gesundheit“ am Arbeitsplatz zu den „Arbeitsbedingungen“ im Sinne der Richtlinie 91/383 gehört und dass der Leiharbeitnehmer insoweit während der Dauer seiner Überlassung genauso zu behandeln ist wie die unmittelbar vom entleihenden Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer.

54

Zum anderen steht eine Entschädigung wie die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannte mit dem Schutz der „Sicherheit“ und der „Gesundheit“ am Arbeitsplatz im Zusammenhang, da die Verantwortlichkeit des entleihenden Unternehmens und gegebenenfalls des Leiharbeitsunternehmens für die mit diesem Schutz verbundenen Bedingungen der Arbeitsausführung mit dem Ersatz von Schäden einhergeht, wenn dieser Schutz versagt, d. h. insbesondere, wenn sich während der Dauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers ein Arbeitsunfall ereignet, der dazu führt, dass dieser Arbeitnehmer dauerhaft vollständig unfähig ist, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben.

55

In Anbetracht des in der Richtlinie 2008/104 vorgenommenen Verweises auf die Richtlinie 91/383 ist daher festzustellen, dass der Kontext, in den sich Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 einfügt, die Auslegung bestätigt, dass der Begriff „Arbeitsentgelt“, auf den sich der in diesen Bestimmungen verwendete Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ bezieht, eine Entschädigung wie die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannte umfasst.

56

Drittens geht, was die mit der Richtlinie 2008/104 verfolgten Ziele betrifft, aus dem ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervor, dass diese die uneingeschränkte Einhaltung von Art. 31 der Charta gewährleisten soll, der nach seinem Abs. 1 allgemein das Recht jedes Arbeitnehmers auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen verbürgt. In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) heißt es hierzu, dass der Begriff „Arbeitsbedingungen“ im Sinne von Art. 156 AEUV zu verstehen ist, auch wenn diese Bestimmung den Begriff nicht definiert. Im Hinblick auf den mit der Richtlinie 2008/104 verfolgten Zweck, die Rechte der Leiharbeitnehmer zu schützen, spricht diese fehlende Genauigkeit für eine weite Auslegung des Begriffs „Arbeitsbedingungen“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2022, Luso Temp, C‑426/20, EU:C:2022:373, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Soweit die Richtlinie 2008/104 zum Ziel hat, den Schutz der Leiharbeitnehmer im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen, ist daher mit der Kommission festzustellen, dass entleihende Unternehmen, wenn das finanzielle Risiko für sie im Fall eines Arbeitsunfalls bei diesen Arbeitnehmern geringer wäre als bei den von ihnen unmittelbar eingestellten Arbeitnehmern, weniger Anreize hätten, in die Sicherheit der Leiharbeitnehmer zu investieren, was zu einer Missachtung dieses Ziels führen würde.

58

Folglich bestätigen die mit der Richtlinie 2008/104 verfolgten Ziele die Auslegung des Begriffs „Arbeitsentgelt“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f Ziff. ii dieser Richtlinie als „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie, wonach dieser Begriff eine Entschädigung umfasst, auf die ein Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist, Anspruch hat.

59

Anders als die spanische Regierung im Wesentlichen geltend macht, kann diese Auslegung nicht mit der Begründung entkräftet werden, dass eine solche Entschädigung nach Beendigung des Leiharbeitsverhältnisses gezahlt werde oder dass diese Entschädigung ausschließlich auf die Feststellung der dauerhaften vollständigen Arbeitsunfähigkeit des betreffenden Leiharbeitnehmers und damit auf die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zurückzuführen sei.

60

Zum einen schließt nämlich der Umstand, dass die in Rede stehende Entschädigung nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährt wird, nicht aus, dass sie den Charakter eines Entgelts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f Ziff. ii der Richtlinie 2008/104 haben kann (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 70).

61

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass eine Auslegung des Begriffs „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“, die die Entschädigung, die ein Arbeitgeber einem Leiharbeitnehmer zu zahlen hat, allein deshalb vom Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 ausschließen würde, weil diese Entschädigung mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zusammenhängt, weder mit dem Zusammenhang, in dem diese Bestimmung steht, noch mit den mit dieser Richtlinie verfolgten Zielen vereinbar wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2022, Luso Temp, C‑426/20, EU:C:2022:373, Rn. 39 und 45).

62

Im Übrigen ist festzustellen, dass, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Arbeitsunfall, das ursächliche Ereignis für die dauerhafte vollständige Unfähigkeit von XXX, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, „während der … Überlassung an [das entleihende] Unternehmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 eingetreten ist, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die wegen dieser Berufsunfähigkeit gezahlte Entschädigung allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von XXX zurückzuführen ist.

63

Nach alledem ist festzustellen, dass eine Entschädigung, die einem Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist und die Beendigung seines Leiharbeitsverhältnisses zur Folge hat, zusteht, unter den Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 fällt.

Zur Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104

64

Was als Zweites die Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 angeht, ist festzustellen, dass nach dieser Bestimmung für Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens die gleichen wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten müssen wie diejenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von diesem Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

65

Das vorlegende Gericht wird daher in einem ersten Schritt zu prüfen haben, welche wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für den betreffenden Leiharbeitnehmer gelten würden, wenn er von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wäre, im vorliegenden Fall konkret, auf welche Entschädigung er wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, seinen gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist und die Beendigung seines Leiharbeitsverhältnisses zur Folge hat, Anspruch hätte. In einem zweiten Schritt wird das vorlegende Gericht diese wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit denjenigen zu vergleichen haben, die für den betreffenden Leiharbeitnehmer während seiner Überlassung an das entleihende Unternehmen tatsächlich gelten, und zwar, um anhand sämtlicher relevanter Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen, ob bei dem betreffenden Leiharbeitnehmer der Grundsatz der Gleichbehandlung eingehalten worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2022, Luso Temp, C‑426/20, EU:C:2022:373, Rn. 50).

66

Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Leiharbeitnehmer in Anbetracht der vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) vorgenommenen Auslegung von Art. 11 des Gesetzes 14/1994 bei dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, ihren gewöhnlichen Beruf auszuüben, nur Anspruch auf eine Entschädigung nach Art. 42 des Tarifvertrags für Leiharbeit hätten, die niedriger sei als die Entschädigung, auf die die vom entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellten Arbeitnehmer nach Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor Anspruch hätten. Genauer gesagt hat XXX nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten als Leiharbeitnehmer auf der Grundlage des erstgenannten Tarifvertrags Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 10500 Euro, während er, wenn er unmittelbar von Serveo Servicios eingestellt worden wäre, nach dem zweitgenannten Tarifvertrag Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 60101,21 Euro hätte.

67

Sollte dies tatsächlich der Fall sein, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, wäre festzustellen, dass entgegen Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 für XXX während seiner Überlassung an Serveo Servicios nicht die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen galten, die mindestens die gleichen sind wie diejenigen, die für ihn gegolten hätten, wenn er von diesem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wäre.

68

Insoweit ist zu bemerken, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 2008/104 unter ganz bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung vorsehen können. Aus der Vorlageentscheidung und den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist jedoch nicht ersichtlich, dass in Spanien eine dieser Ausnahmen durchgeführt worden wäre.

69

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Sozialpartner nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 zwar die Möglichkeit haben, Tarifverträge zu schließen, die in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern Regelungen, welche von den in Art. 5 Abs. 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können, doch müssen solche Verträge nach Art. 5 Abs. 3 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 16 und 17 dieser Richtlinie den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer achten.

70

Die Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern verlangt jedoch u. a., ihnen Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen, wobei die Erfüllung dieser Pflicht konkret zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2022, TimePartner Personalmanagement, C‑311/21, EU:C:2022:983, Rn. 44 bis 50). Damit von dem in Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104 verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz durch den Tarifvertrag für Leiharbeit abgewichen werden kann, wäre es somit erforderlich – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts wäre –, dass dieser Tarifvertrag XXX einen solchen Gesamtschutz gewährleisten kann, indem ihm in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen Ausgleichsvorteile gewährt werden, die es ermöglichen, die Auswirkungen seiner Ungleichbehandlung auszugleichen.

71

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist, wobei jedoch eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts ausgeschlossen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2022, Luso Temp, C‑426/20, EU:C:2022:373, Rn. 56 und 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Daher wäre es für den Fall, dass das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass XXX Anspruch auf die Entschädigung hätte, die er nach Art. 31 des Tarifvertrags für den Transportsektor verlangt, wenn er unmittelbar von Serveo Servicios eingestellt worden wäre, Sache dieses Gerichts, u. a. zu prüfen, ob Art. 11 des Gesetzes 14/1994 im Einklang mit den Anforderungen der Richtlinie 2008/104 und daher anders ausgelegt werden kann als so, dass XXX diese Entschädigung vorenthalten wird, mithin in einer Weise, die gegen Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie verstoßen würde, wie sich aus Rn. 67 des vorliegenden Urteils ergibt.

73

Nach alledem ist Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, nach der die Entschädigung, auf die Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, ihren gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist und die Beendigung ihres Leiharbeitsverhältnisses zur Folge hat, Anspruch haben, niedriger ist als die Entschädigung, auf die diese Arbeitnehmer in der gleichen Situation und aus dem gleichen Grund Anspruch hätten, wenn sie von diesem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Dauer eingestellt worden wären.

Kosten

74

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit

 

ist dahin auszulegen, dass

 

er einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, nach der die Entschädigung, auf die Leiharbeitnehmer wegen dauerhafter vollständiger Unfähigkeit, ihren gewöhnlichen Beruf auszuüben, die infolge eines Arbeitsunfalls im entleihenden Unternehmen eingetreten ist und die Beendigung ihres Leiharbeitsverhältnisses zur Folge hat, Anspruch haben, niedriger ist als die Entschädigung, auf die diese Arbeitnehmer in der gleichen Situation und aus dem gleichen Grund Anspruch hätten, wenn sie von diesem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Dauer eingestellt worden wären.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.