URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

7. März 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Nationale Förderregelung, die die Zuteilung handelbarer grüner Zertifikate an nationale Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Quellen vorsieht – Einfuhr von Strom, der aus erneuerbaren Quellen in einem anderen Mitgliedstaat stammt – Verpflichtung zum Erwerb grüner Zertifikate – Sanktion – Befreiung – Richtlinie 2001/77/EG – Richtlinie 2009/28/EG – Förderregelung – Herkunftsnachweise – Freier Warenverkehr – Art. 18, 28, 30, 34 und 110 AEUV – Staatliche Beihilfen – Art. 107 und 108 AEUV – Staatliche Mittel – Selektiver Vorteil“

In der Rechtssache C‑558/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 16. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 19. August 2022, in dem Verfahren

Autorità di Regolazione per Energia Reti e Ambiente (ARERA)

gegen

Fallimento Esperia SpA,

Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Fallimento Esperia SpA, vertreten durch U. Grella und F. M. Salerno, Avvocati,

der Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE, vertreten durch S. Fidanzia und A. Gigliola, Avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo und F. Tortora, Avvocati dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch B. De Meester, G. Gattinara und F. Tomat als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18, 28, 30, 34, 107, 108 und 110 AEUV sowie der Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG (ABl. 2009, L 140, S. 6).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Autorità di Regolazione per Energia Reti e Ambiente (ARERA) (Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt, Italien) (im Folgenden: ARERA) auf der einen Seite und der Fallimento Esperia SpA, einer zahlungsunfähigen Gesellschaft, sowie der Gestore dei Servizi Energetici SpA – GSE (im Folgenden: GSE) auf der anderen Seite über die Verhängung einer Geldbuße gegen Fallimento Esperia wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, für den im Jahr 2010 nach Italien eingeführten Strom Zertifikate über den Herkunftsnachweis aus erneuerbaren Quellen (im Folgenden: grüne Zertifikate) zu erwerben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2001/77/EG

3

Die Richtlinie 2001/77/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 2001, L 283, S. 33) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2012 durch die Richtlinie 2009/28 aufgehoben. Die Richtlinie 2009/28 wurde ihrerseits mit Wirkung vom 1. Juli 2021 durch die Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (ABl. 2018, L 328, S. 82) aufgehoben.

4

Die Erwägungsgründe 10, 11, 14 und 15 der Richtlinie 2001/77 lauteten:

„(10)

Diese Richtlinie verlangt zwar von den Mitgliedstaaten nicht, den Ankauf eines Herkunftsnachweises von anderen Mitgliedstaaten oder die entsprechende Abnahme von Strom als Beitrag zur Verwirklichung einer einzelstaatlichen Quotenverpflichtung anzuerkennen. Zur Förderung des Handels mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen und zur Verbesserung der Transparenz bei der Wahl des Verbrauchers zwischen Strom aus nicht erneuerbaren und aus erneuerbaren Energiequellen ist jedoch ein Herkunftsnachweis für diesen Strom notwendig. Regelungen für den Herkunftsnachweis implizieren als solche noch nicht ein Recht auf Inanspruchnahme der in den einzelnen Mitgliedstaaten geschaffenen nationalen Fördermechanismen. Es ist wichtig, dass Strom aus erneuerbaren Energiequellen in jeglicher Form von solchen Herkunftsnachweisen erfasst wird.

(11)

Es ist wichtig, klar zwischen Herkunftsnachweisen und handelbaren grünen Zertifikaten zu unterscheiden.

(14)

Die Mitgliedstaaten praktizieren auf nationaler Ebene unterschiedliche Systeme zur Unterstützung erneuerbarer Energiequellen; hierzu zählen grüne Zertifikate, Investitionsbeihilfen, Steuerbefreiungen oder ‑erleichterungen, Steuererstattungen und direkte Preisstützungssysteme. Ein wichtiges Element zur Verwirklichung des Ziels dieser Richtlinie besteht darin, das ungestörte Funktionieren dieser Systeme zu gewährleisten, damit das Vertrauen der Investoren erhalten bleibt, bis ein Gemeinschaftsrahmen zur Anwendung gelangt ist.

(15)

Für die Entscheidung über einen Gemeinschaftsrahmen für Förderregelungen ist es in Anbetracht der begrenzten Erfahrung mit den einzelstaatlichen Systemen und des gegenwärtig relativ geringen Anteils subventionierten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen in der Gemeinschaft noch zu früh.“

5

Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2001/77 sah vor:

„Mit dieser Richtlinie wird bezweckt, eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energiequellen an der Stromerzeugung im Elektrizitätsbinnenmarkt zu fördern und eine Grundlage für einen entsprechenden künftigen Gemeinschaftsrahmen zu schaffen.“

6

Art. 3 („Nationale Richtziele“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/77 bestimmte:

„(1)   Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, um die Steigerung des Verbrauchs von Strom aus erneuerbaren Energiequellen entsprechend den in Absatz 2 genannten nationalen Richtzielen zu fördern. Diese Maßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.

(2)   Die Mitgliedstaaten erstellen und veröffentlichen bis zum 27. Oktober 2002 und danach alle fünf Jahre einen Bericht, in dem die nationalen Richtziele für den künftigen Verbrauch von Strom aus erneuerbaren Energiequellen als Prozentsatz des Stromverbrauchs für die nächsten zehn Jahre festgelegt werden. Ferner sind in dem Bericht die Maßnahmen darzulegen, die zur Verwirklichung dieser nationalen Richtziele auf nationaler Ebene ergriffen wurden oder geplant sind. Zur Festlegung dieser Ziele bis zum Jahr 2010 haben die Mitgliedstaaten

die im Anhang vorgesehenen Referenzwerte zu berücksichtigen;

dafür zu sorgen, dass diese Ziele mit allen einzelstaatlichen Verpflichtungen im Rahmen der Klimaschutzverpflichtungen, die die Gemeinschaft in dem Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen eingegangen ist, vereinbar sind.“

7

In Art. 4 („Förderregelungen“) Abs. 1 der Richtlinie 2001/77 hieß es:

„Unbeschadet der Artikel 87 und 88 des Vertrags [(jetzt Art. 107 und 108 AEUV)] bewertet die [Europäische] Kommission die Anwendung der in den Mitgliedstaaten genutzten Mechanismen, durch die ein Stromerzeuger aufgrund von Regelungen, die von öffentlichen Stellen erlassen worden sind, direkt oder indirekt unterstützt wird und die eine Beschränkung des Handels zur Folge haben könnten, wobei davon auszugehen ist, dass sie zur Verwirklichung der Ziele der Artikel 6 und 174 des Vertrags beitragen.“

8

Art. 5 („Herkunftsnachweis für Strom aus erneuerbaren Energiequellen“) Abs. 1 bis 5 der Richtlinie 2001/77 sah vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass spätestens zum 27. Oktober 2003 die Herkunft des aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Stroms als [solche] im Sinne dieser Richtlinie nach von den einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien garantiert werden kann. Sie sorgen dafür, dass zu diesem Zweck auf Antrag ein Herkunftsnachweis ausgestellt wird.

(2)   Die Mitgliedstaaten können eine oder mehrere in Bezug auf die Stromerzeugung und ‑verteilung unabhängige und fachlich befähigte Stellen benennen, die die Ausstellung der Herkunftsnachweise überwachen.

(3)   Die Herkunftsnachweise

müssen Angaben zur Energiequelle, aus der der Strom erzeugt wurde, zu Zeitpunkt und Ort der Erzeugung sowie bei Wasserkraftanlagen die Angabe der Leistung enthalten;

müssen Erzeugern von Strom aus erneuerbaren Energiequellen den Nachweis ermöglichen, dass der von ihnen verkaufte Strom aus erneuerbaren Energiequellen im Sinne dieser Richtlinie stammt.

(4)   Die gemäß Absatz 2 ausgestellten Herkunftsnachweise sollten von den Mitgliedstaaten ausschließlich als Nachweis der in Absatz 3 genannten Punkte gegenseitig anerkannt werden. Eine Verweigerung der Anerkennung eines Herkunftsnachweises als derartiger Nachweis, insbesondere aus Gründen, die mit der Betrugsbekämpfung in Zusammenhang stehen, muss sich auf objektive, transparente und nichtdiskriminierende Kriterien stützen. Wird die Anerkennung eines Herkunftsnachweises verweigert, so kann die Kommission die verweigernde Seite insbesondere aufgrund objektiver, transparenter und nichtdiskriminierender Kriterien, auf die sich diese Anerkennung stützt, zur Anerkennung verpflichten.

(5)   Die Mitgliedstaaten oder die zuständigen Stellen schaffen geeignete Mechanismen, um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Herkunftsnachweise sicherzustellen, und beschreiben in dem Bericht nach Artikel 3 Absatz 3 die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Zuverlässigkeit des Nachweissystems zu gewährleisten.“

Richtlinie 2009/28

9

In den Erwägungsgründen 25, 52 und 56 der Richtlinie 2009/28 hieß es:

„(25)

Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Potenziale im Bereich der erneuerbaren Energie und wenden auf nationaler Ebene unterschiedliche Regelungen zur Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen an. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten wendet Förderregelungen an, bei denen Vorteile ausschließlich für in ihrem Hoheitsgebiet erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen gewährt werden. Damit nationale Förderregelungen ungestört funktionieren können, müssen die Mitgliedstaaten deren Wirkung und Kosten entsprechend ihrem jeweiligen Potenzial kontrollieren können. Ein wichtiger Faktor bei der Verwirklichung des Ziels dieser Richtlinie besteht darin, das ungestörte Funktionieren der nationalen Förderregelungen, wie nach der Richtlinie [2001/77], zu gewährleisten, damit das Vertrauen der Investoren erhalten bleibt und die Mitgliedstaaten wirksame nationale Maßnahmen im Hinblick auf die Erfüllung der Ziele konzipieren können. Diese Richtlinie zielt darauf ab, die grenzüberschreitende Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen zu erleichtern, ohne die nationalen Förderregelungen zu beeinträchtigen. Sie führt wahlweise Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten ein, in deren Rahmen die Mitgliedstaaten vereinbaren können, in welchem Maße ein Mitgliedstaat die Energieerzeugung in einem anderen Mitgliedstaat fördert und in welchem Umfang die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen auf die nationalen Gesamtziele des einen oder des anderen Mitgliedstaats angerechnet wird. Um die Wirksamkeit der beiden Maßnahmen zur Zielerfüllung, also der nationalen Förderregelungen und der Mechanismen der Zusammenarbeit, zu gewährleisten, ist es unbedingt notwendig, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ihre nationalen Förderregelungen für in anderen Mitgliedstaaten erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen gelten, und sich durch die Anwendung der in der vorliegenden Richtlinie vorgesehenen Mechanismen der Zusammenarbeit darüber zu einigen.

(52)

Herkunftsnachweise, die für die Zwecke dieser Richtlinie ausgestellt werden, dienen ausschließlich dazu, einem Endkunden gegenüber nachzuweisen, dass ein bestimmter Anteil oder eine bestimmte Menge an Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt wurde. … Es ist wichtig, dass zwischen grünen Zertifikaten, die für Fördersysteme genutzt werden, und Herkunftsnachweisen unterschieden wird.

(56)

Herkunftsnachweise begründen nicht an sich ein Recht auf Inanspruchnahme nationaler Förderregelungen.“

10

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2009/28 lautete:

„Mit dieser Richtlinie wird ein gemeinsamer Rahmen für die Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen vorgeschrieben. In ihr werden verbindliche nationale Ziele für den Gesamtanteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch und für den Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen im Verkehrssektor festgelegt. Gleichzeitig werden Regeln für statistische Transfers zwischen Mitgliedstaaten, gemeinsame Projekte zwischen Mitgliedstaaten und mit Drittländern, Herkunftsnachweise, administrative Verfahren, Informationen und Ausbildung und Zugang zum Elektrizitätsnetz für Energie aus erneuerbaren Quellen aufgestellt. Ferner werden Kriterien für die Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen und flüssigen Biobrennstoffen vorgeschrieben.“

11

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2009/28 sah vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2003/54/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. 2003, L 176, S. 37)].

Ferner gelten die folgenden Begriffsbestimmungen. Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

j)

‚Herkunftsnachweis‘ ein elektronisches Dokument, das gemäß den Anforderungen von Artikel 3 Absatz 6 der Richtlinie [2003/54] ausschließlich als Nachweis gegenüber einem Endkunden dafür dient, dass ein bestimmter Anteil oder eine bestimmte Menge an Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt wurde;

k)

‚Förderregelung‘ ein Instrument, eine Regelung oder einen Mechanismus, das bzw. die bzw. der von einem Mitgliedstaat oder einer Gruppe von Mitgliedstaaten angewendet wird und die Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen dadurch fördert, dass die Kosten dieser Energie gesenkt werden, ihr Verkaufspreis erhöht wird oder ihre Absatzmenge durch eine Verpflichtung zur Nutzung erneuerbarer Energie oder auf andere Weise gesteigert wird. Dazu zählen unter anderem Investitionsbeihilfen, Steuerbefreiungen oder ‑erleichterungen, Steuererstattungen, Förderregelungen, die zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen verpflichten, einschließlich solcher, bei denen grüne Zertifikate verwendet werden, sowie direkte Preisstützungssysteme einschließlich Einspeisetarife und Prämienzahlungen;

l)

‚Verpflichtung zur Nutzung erneuerbarer Energie‘ eine nationale Förderregelung, durch die Energieproduzenten dazu verpflichtet werden, ihre Erzeugung zu einem bestimmten Anteil durch Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken, durch die Energieversorger dazu verpflichtet werden, ihre Versorgung zu einem bestimmten Anteil durch Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken, oder durch die Energieverbraucher dazu verpflichtet werden, ihren Verbrauch zu einem bestimmten Anteil durch Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken. Dazu zählen auch Regelungen, bei denen derartige Verpflichtungen durch Verwendung grüner Zertifikate erfüllt werden können;

…“

12

Art. 3 („Verbindliche nationale Gesamtziele und Maßnahmen auf dem Gebiet der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“) Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 2009/28 bestimmte:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, dass sein gemäß den Artikeln 5 bis 11 berechneter Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch im Jahr 2020 mindestens seinem nationalen Gesamtziel für den Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen in diesem Jahr gemäß der dritten Spalte der Tabelle in Anhang I Teil A entspricht. Diese verbindlichen nationalen Gesamtziele müssen mit dem Ziel in Einklang stehen, bis 2020 mindestens 20 % des Bruttoendenergieverbrauchs der Gemeinschaft durch Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken. Um die in diesem Artikel aufgestellten Ziele leichter erreichen zu können, fördern die Mitgliedstaaten Energieeffizienz und Energieeinsparungen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um effektiv zu gewährleisten, dass ihr Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen den im indikativen Zielpfad in Anhang I Teil B angegebenen Anteil erreicht oder übersteigt.

(3)   Zur Erfüllung der in den Absätzen 1 und 2 genannten Ziele können die Mitgliedstaaten unter anderem folgende Maßnahmen anwenden:

a)

Förderregelungen;

b)

Maßnahmen zur Kooperation zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten und mit Drittländern im Hinblick auf die Erfüllung ihrer nationalen Gesamtziele gemäß den Artikeln 5 bis 11.

Unbeschadet der Artikel 87 und 88 des Vertrags [(jetzt Art. 107 und 108 AEUV)] haben die Mitgliedstaaten das Recht, gemäß den Artikeln 5 bis 11 dieser Richtlinie zu entscheiden, in welchem Umfang sie die in einem anderen Mitgliedstaat erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen fördern wollen.

(4)   Jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass sein Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen bei allen Verkehrsträgern im Jahr 2020 mindestens 10 % seines Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor entspricht.“

13

Art. 15 („Herkunftsnachweis für Elektrizität, Wärme und Kälte, die aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden“) Abs. 1 und 9 der Richtlinie 2009/28 sah vor:

„(1)   Zum Zweck des Nachweises gegenüber den Endkunden darüber, welchen Anteil Energie aus erneuerbaren Quellen im Energiemix eines Energieversorgers ausmacht oder in welcher Menge sie darin enthalten ist, der gemäß Artikel 3 Absatz 6 der Richtlinie [2003/54] zu erbringen ist, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Herkunft von aus erneuerbaren Energiequellen erzeugter Elektrizität als solche im Sinne dieser Richtlinie gemäß objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien garantiert werden kann.

(9)   Die Mitgliedstaaten erkennen die von anderen Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie ausgestellten Herkunftsnachweise ausschließlich als Nachweis der in Absatz 1 und Absatz 6 Buchstaben a bis f genannten Angaben an. …“

14

In Art. 26 („Änderungen und Aufhebung“) der Richtlinie 2009/28 hieß es:

„(1)   In der Richtlinie [2001/77] werden Artikel 2, Artikel 3 Absatz 2 und die Artikel 4 bis 8 mit Wirkung vom 1. April 2010 aufgehoben.

(3)   Die Richtlinie [2001/77] und die Richtlinie 2003/30/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Mai 2003 zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor (ABl. 2003, L 123, S. 42)] werden mit Wirkung vom 1. Januar 2012 aufgehoben.“

15

Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2009/28 bestimmte:

„Unbeschadet des Artikels 4 Absätze 1, 2 und 3 setzen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie bis zum 5. Dezember 2010 nachzukommen.“

Italienisches Recht

Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 79/1999

16

Um die Nutzung von aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom (im Folgenden: grüner Strom) zu fördern, erließ die Italienische Republik das Decreto legislativo n. 79 – Attuazione della direttiva 96/92/CE recante norme comuni per il mercato interno dell’energia elettrica (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 79 zur Umsetzung der Richtlinie 96/92/EG betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt) vom 16. März 1999 (GURI Nr. 75 vom 31. März 1999, S. 8, im Folgenden: Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 79/1999).

17

Mit dem Gesetzesvertretenden Dekret Nr. 79/1999 wurde eine Regelung zur Förderung der Erzeugung von grünem Strom eingeführt, die u. a. auf der kostenlosen Zuteilung grüner Zertifikate an alle italienischen Erzeuger von grünem Strom entsprechend der Menge an erzeugtem grünen Strom beruht.

18

Art. 11 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 79/1999 sah vor:

„1.   Um einen Anreiz für die Nutzung erneuerbarer Energien, die Einsparung von Energie, die Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid und die Verwendung nationaler Energiequellen zu schaffen, sind die Einführer und die Betreiber von Anlagen, die jedes Jahr Strom aus nicht erneuerbaren Quellen einführen oder erzeugen, ab dem Jahr 2001 verpflichtet, im darauffolgenden Jahr in das nationale Stromnetz eine Quote aus in Betrieb gegangenen Anlagen oder Anlagen, die ihre Erzeugung gesteigert haben, einzuspeisen, begrenzt auf die zusätzlichen Erzeugungskapazitäten nach dem Inkrafttreten dieses Dekrets.

2.   Die in Abs. 1 vorgesehene Verpflichtung gilt für die Stromeinfuhr und ‑erzeugung; darin nicht eingeschlossen sind die Kraft-Wärme-Kopplung, der Kraftwerkseigenverbrauch und die Ausfuhren von mehr als 100 GWh; die in Abs. 1 genannte Quote wird zu Anfang auf 2 % des 100 GWh überschreitenden Stroms festgelegt.

3.   Die Unternehmen können dieser Verpflichtung auch dadurch nachkommen, dass sie die entsprechende Quote oder die damit verbundenen Rechte ganz oder teilweise bei anderen Erzeugern, sofern sie die Energie aus erneuerbaren Quellen in das nationale Stromnetz einspeisen, oder beim [Gestore della rete di trasmissione nazionale (Betreiber des nationalen Übertragungsnetzes, Italien), jetzt GSE] erwerben. … Um jährliche Erzeugungsschwankungen oder ein unzureichendes Angebot auszugleichen, kann [GSE] unabhängig von der tatsächlichen Verfügbarkeit Rechte zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen kaufen oder verkaufen, wobei sie verpflichtet ist, gegebenenfalls ausgegebene Rechte bei fehlender Verfügbarkeit alle drei Jahre auszugleichen.“

19

Der Erwerb von Rechten zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, auch „grüne Zertifikate“ genannt, durch GSE erfolgte unter Verwendung der Einnahmen aus dem den Stromverbrauchern in Rechnung gestellten Tarifbestandteil A3.

Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 387/2003

20

Aus Art. 4 des Decreto legislativo n. 387 – Attuazione della direttiva 2001/77/CE relativa alla promozione dell’energia elettrica prodotta da fonti energetiche rinnovabili nel mercato interno dell’elletricità (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 387 zur Umsetzung der Richtlinie 2001/77/EG zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt) vom 29. Dezember 2003 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 25 vom 31. Januar 2004, im Folgenden: Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 387/2003) ging hervor, dass es Sache des Betreibers des nationalen Übertragungsnetzes, jetzt GSE, war, die Einhaltung der in Art. 11 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 79/1999 vorgesehenen Verpflichtung zu prüfen und der Autorità per l’energia elettrica, il gas e il sistema idrico (Behörde für elektrische Energie, Gas und das Wassersystem, Italien), jetzt der ARERA, die in einem solchen Fall für die Verhängung der in der Legge n. 481 – Norme per la concorrenza e la regolazione dei servizi di pubblica utilità. Istituzione delle Autorità di regolazione dei servizi di pubblica utilità (Gesetz Nr. 481 mit Vorschriften über den Wettbewerb und die Regulierung im Bereich der Gemeinwohldienstleistungen und zur Errichtung der Regulierungsbehörden für Gemeinwohldienstleistungen) vom 14. November 1995 (GURI Nr. 270 vom 18. November 1995, Supplemento ordinario Nr. 136) vorgesehenen Sanktionen zuständig war, etwaige Verstöße zu melden.

21

In Art. 11 Abs. 6 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 387/2003 hieß es:

„Der Herkunftsnachweis gibt den Standort der Anlage, die erneuerbare Energiequelle, aus der der Strom erzeugt wurde, die verwendete Technologie, die Nennleistung der Anlage, die Nettostromerzeugung oder bei Hybridkraftwerken die anrechenbare Erzeugung für jedes Kalenderjahr an. …“

22

Art. 20 Abs. 3 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 387/2003 bestimmte:

„Die Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erzeugten Strom einführen und der Verpflichtung nach Art. 11 des Gesetzesvertretenden Dekrets [Nr. 79/1999] unterliegen, können beim Netzbetreiber für den aus erneuerbaren Quellen erzeugten Teil des eingeführten Stroms eine Befreiung von dieser Verpflichtung beantragen. Dem Antrag ist mindestens eine beglaubigte Abschrift des Herkunftsnachweises beizufügen, der gemäß Art. 5 der Richtlinie [2001/77] in dem Staat ausgestellt wurde, in dem sich die Erzeugungsanlage befindet. …“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

23

Die Esperia SpA war eine Gesellschaft, die Strom zum Zweck des Verkaufs im Groß- und Einzelhandel nach Italien einführte.

24

Mit Bescheid vom 28. Juni 2016 verhängte die ARERA gegen Esperia eine Geldbuße in Höhe von 2803500 Euro wegen Verstoßes gegen ihre Verpflichtung, für von ihr im Jahr 2010 nach Italien eingeführten Strom 17753 grüne Zertifikate zu erwerben.

25

Esperia focht diese Geldbuße beim Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht Lombardei, Italien) an. Nach Klageerhebung wurde über das Vermögen dieser Gesellschaft der Konkurs eröffnet, sie trägt seitdem die Bezeichnung Fallimento Esperia. Der Konkursverwalter von Fallimento Esperia betrieb die Klage beim Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht Lombardei) indessen weiter.

26

Mit Urteil vom 8. August 2018 gab das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht Lombardei) der Klage von Fallimento Esperia mit der Begründung teilweise statt, dass die gegen sie verhängte Geldbuße zu hoch sei. Die ARERA und Fallimento Esperia legten gegen dieses Urteil bei dem vorlegenden Gericht, dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), Berufung ein.

27

Das vor dem vorlegenden Gericht anhängige Verfahren wurde ausgesetzt, nachdem es am 3. September 2019 in der Rechtssache Axpo Trading, mit der dieses Gericht ebenfalls befasst war, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hatte. Dieses Ersuchen wurde unter dem Aktenzeichen C‑705/19 in das Register bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen.

28

Nach Vorlage der Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Axpo Trading (C‑705/19, EU:C:2020:989) am 3. Dezember 2020 nahm Axpo Trading die vor dem vorlegenden Gericht eingelegte Berufung zurück, woraufhin diese Rechtssache mit Beschluss vom 9. September 2021, Axpo Trading (C‑705/19, EU:C:2021:755), im Register gestrichen wurde.

29

Im Ausgangsverfahren wurde das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht infolgedessen wieder aufgenommen.

30

Vor dem vorlegenden Gericht äußerte Fallimento Esperia Zweifel, ob die italienischen Rechtsvorschriften, die Unternehmen, die ohne Vorlage von Herkunftsnachweisen Strom einführten, unter Androhung einer Geldbuße die Verpflichtung auferlegten, grünen Strom oder grüne Zertifikate zu erwerben, mit dem Unionsrecht vereinbar seien, wobei diese Verpflichtung für inländische Erzeuger dieses Stroms nicht gelte. Fallimento Esperia zufolge können diese Rechtsvorschriften als staatliche Beihilfe zugunsten in Italien tätiger Erzeuger grünen Stroms, als Abgabe zollgleicher Wirkung und als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung angesehen werden. GSE hingegen ist der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden italienischen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 2001/77 vereinbar seien.

31

Das vorlegende Gericht bezieht sich auf die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Axpo Trading (C‑705/19, EU:C:2020:989) und auf sein Vorabentscheidungsersuchen in jener Rechtssache.

32

In jenem Ersuchen führte es u. a. aus, dass es die italienische Regelung zur Förderung grünen Stroms für mit den Vorschriften des AEU‑Vertrags über staatliche Beihilfen vereinbar halte. Durch diese Regelung würden nämlich keine staatlichen Mittel eingesetzt. Es liege keine unmittelbare oder mittelbare Übertragung öffentlicher Mittel zugunsten in Italien tätiger Erzeuger grünen Stroms vor. Jedenfalls stehe diese Regelung sowohl mit der Richtlinie 2009/28, die nationale Ziele für grünen Strom festlege und Maßnahmen der Mitgliedstaaten fördere, die ausschließlich die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Stromerzeuger unterstützten, als auch mit dem Ziel des Umweltschutzes im Einklang. Ferner könne die streitige Fördermaßnahme nicht als selektiv angesehen werden, weil das mit der Richtlinie 2009/28 eingeführte Bezugssystem an sich und bewusst selektiv sei, da es darauf abziele, in den jeweiligen Mitgliedstaaten der Erzeugung grünen Stroms den Vorrang einzuräumen.

33

In Anbetracht dieses Ziels der Richtlinie 2009/28 führe diese Regelung, indem sie Einführern von im Ausland erzeugtem Strom den Erwerb grüner Zertifikate auferlege, außerdem weder eine Abgabe zollgleicher Wirkung noch eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung ein. Um die verbindlichen nationalen Ziele für den in der Richtlinie 2009/28 festgelegten Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen am Endverbrauch einzuhalten, behalte die Regelung die Inanspruchnahme einer Förderung in Italien tätigen Unternehmen vor, ohne dass den Einführern von in einem anderen Mitgliedstaat erzeugtem Strom eine Verpflichtung auferlegt oder Hemmnisse bereitet würden.

34

Schließlich ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass diese Regelung mit den Art. 18 und 110 AEUV vereinbar sei, da sie alle im Stromsektor tätigen Unternehmen gleichbehandele, die Strom in das nationale Netz einspeisten, der nicht aus einer erneuerbaren Quelle in Italien gewonnen worden sei.

35

Nichtsdestoweniger hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen

Art. 18 AEUV, soweit danach im Anwendungsbereich der Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist,

die Art. 28 und 30 AEUV, soweit danach die Abschaffung von Einfuhrzöllen und Maßnahmen gleicher Wirkung vorgesehen ist,

Art. 110 AEUV, soweit danach höhere Einfuhrabgaben, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben, verboten sind,

Art. 34 AEUV, soweit danach der Erlass von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen verboten ist,

die Art. 107 und 108 AEUV, soweit es danach untersagt ist, eine der Kommission nicht mitgeteilte und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfemaßnahme durchzuführen,

die Richtlinie 2009/28, soweit danach der innergemeinschaftliche Handel mit grünem Strom auch dadurch gefördert werden soll, dass der Ausbau der Erzeugungskapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten gefördert wird,

einem nationalen Gesetz wie dem in dem Vorabentscheidungsersuchen beschriebenen entgegen, das den Einführern von grünem Strom eine finanzielle Belastung auferlegt, die für die inländischen Erzeuger desselben Erzeugnisses nicht gilt?

Zur Vorlagefrage

Einleitende Bemerkungen

36

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass das auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbare italienische Recht eine Maßnahme nach Art. 11 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 79/1999 vorsah, mit dem die Einführer von Strom aus einem anderen Mitgliedstaat, die nicht durch die Vorlage von Herkunftsnachweisen belegen konnten, dass es sich um grünen Strom handelte, dazu verpflichtet wurden, von nationalen Erzeugern nach Maßgabe der von ihnen eingeführten Strommenge grünen Strom oder grüne Zertifikate zu erwerben, wobei andernfalls eine Sanktion gegen sie verhängt werden konnte.

37

Zweitens fügt sich diese Maßnahme, um die es in der vorliegenden Vorlagefrage geht, in eine nationale Regelung zur Förderung der Erzeugung von grünem Strom ein, die die Einführer und die Betreiber von Anlagen, die Strom aus nicht erneuerbaren Energiequellen einführen oder erzeugen, verpflichtet, jährlich eine Quote grünen Stroms in das nationale Stromnetz einzuspeisen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung sieht diese Regelung vor, dass diese Einführer bzw. Betreiber entweder selbst grünen Strom erzeugen oder bei inländischen Erzeugern grünen Strom bzw. grüne Zertifikate erwerben können. Außerdem teilen die nationalen Behörden ebenfalls nach dieser Regelung den nationalen Erzeugern von grünem Strom nach Maßgabe der von ihnen erzeugten Menge grünen Stroms diese Zertifikate kostenlos zu, damit sie sie an Erzeuger und Einführer, die dieser Verpflichtung unterliegen, weiterverkaufen können.

38

Drittens ist weiter darauf hinzuweisen, dass die Stromeinfuhren, die Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits sind, im Lauf des Jahres 2010 getätigt wurden, so dass sie sowohl unter die Richtlinie 2001/77 als auch unter die Richtlinie 2009/28 fallen können. Wie nämlich aus Art. 26 der Richtlinie 2009/28 hervorgeht, wurden Art. 2, Art. 3 Abs. 2 und die Art. 4 bis 8 der Richtlinie 2001/77 mit Wirkung vom 1. April 2010 aufgehoben, die anderen Bestimmungen dieser Richtlinie dagegen mit der Aufhebung der Richtlinie, die mit Wirkung vom 1. Januar 2012 erfolgte. Außerdem war die Richtlinie 2009/28 nach ihrem Art. 27 Abs. 1 bis zum 5. Dezember 2010 umzusetzen.

39

Viertens kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 18 AEUV, der den allgemeinen Grundsatz des Verbots jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aufstellt, eigenständig nur bei unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen zur Anwendung kommen, für die der AEU‑Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht (Urteil vom 10. Oktober 2019, Krah, C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Bereich des freien Warenverkehrs wird das Diskriminierungsverbot indessen durch die Art. 28, 30, 34 und 110 AEUV umgesetzt. Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Elektrizität eine Ware im Sinne der Bestimmungen des AEU‑Vertrags ist (Urteil vom 17. Juli 2008, Essent Netwerk Noord u. a., C‑206/06, EU:C:2008:413, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist Art. 18 AEUV im Kontext einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht anzuwenden.

40

Nach alledem ist die Frage des vorlegenden Gerichts so zu verstehen, dass mit ihr im Wesentlichen geklärt werden soll, ob die Richtlinien 2001/77 und 2009/28 sowie die Art. 28, 30, 34, 107, 108 und 110 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Maßnahme entgegenstehen, die zum einen die Einführer von aus einem anderen Mitgliedstaat stammendem Strom, die nicht durch die Vorlage von Herkunftsnachweisen belegen, dass dieser Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, verpflichtet, entsprechend der von ihnen eingeführten Strommenge von nationalen Erzeugern grüne Zertifikate oder grünen Strom zu erwerben, und zum anderen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung die Verhängung einer Sanktion vorsieht, wohingegen die nationalen Erzeuger von grünem Strom keiner solchen Verpflichtung zum Erwerb unterliegen.

Zu den Richtlinien 2001/77 und 2009/28

Zur Richtlinie 2001/77

41

Zur Frage, ob die Richtlinie 2001/77 dahin auszulegen ist, dass sie einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, ist darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 1 ergibt, bezweckt, eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energiequellen an der Stromerzeugung im Elektrizitätsbinnenmarkt zu fördern und eine Grundlage für einen entsprechenden künftigen Gemeinschaftsrahmen zu schaffen.

42

Außerdem geht aus Art. 4 der Richtlinie 2001/77 in Verbindung mit ihrem 14. Erwägungsgrund hervor, dass ein wichtiges Element zur Verwirklichung des Ziels dieser Richtlinie darin besteht, das ungestörte Funktionieren der unterschiedlichen Mechanismen zur Unterstützung erneuerbarer Energiequellen, zu denen der Mechanismus der grünen Zertifikate gehört, auf nationaler Ebene zu gewährleisten, bis ein Gemeinschaftsrahmen zur Anwendung gelangt ist.

43

Zu diesen Fördermechanismen hat der Gerichtshof im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/77 bereits entschieden, dass diese Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Wertungsspielraum beim Erlass und bei der Durchführung solcher Mechanismen zugunsten der Erzeuger von grünem Strom einräumt (Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Diese Mechanismen müssen jedoch, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/77 ergibt, geeignet sein, um zur Erreichung der nationalen Richtziele für den künftigen Verbrauch von grünem Strom durch die Mitgliedstaaten beizutragen. Sie müssen daher grundsätzlich zu einer Steigerung der inländischen Erzeugung von grünem Strom führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem müssen diese Mechanismen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/77 in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.

45

Ferner hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Erwägungsgründe 10 und 11 sowie auf Art. 5 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2001/77 entschieden, dass der Unionsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, den Mitgliedstaaten, die sich für eine Förderregelung unter Verwendung grüner Zertifikate entschieden haben, vorzuschreiben, die Förderung nach dieser Regelung auf grünen Strom zu erstrecken, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erzeugt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, Essent Belgium, C‑204/12 bis C‑208/12, EU:C:2014:2192, Rn. 66).

46

Daraus folgt, dass die Richtlinie 2001/77 zu keiner abschließenden Harmonisierung des von ihr geregelten Bereichs geführt hat, so dass die nationalen Regelungen zur Förderung der Erzeugung von grünem Strom im Sinne von Art. 4 dieser Richtlinie den Anforderungen genügen müssen, die sich aus den Art. 34 und 36 AEUV ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47

Im vorliegenden Fall – und vorbehaltlich der Beurteilung durch das vorlegende Gericht – scheint die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme zur Erreichung des Ziels der Richtlinie 2001/77 beizutragen, indem sie für die Einführer von Strom, die nicht durch die Vorlage von Herkunftsnachweisen belegt haben, dass es sich um grünen Strom handelt, eine Verpflichtung vorsieht, bei nationalen Stromerzeugern grünen Strom oder grüne Zertifikate zu erwerben. Denn durch die Steigerung der Nachfrage nach diesem Strom oder durch die Ermöglichung zusätzlicher Einnahmen für nationale Erzeuger dieses Stroms aus dem Verkauf grüner Zertifikate kann eine solche Verpflichtung einen Anreiz für die nationale Erzeugung von grünem Strom schaffen.

48

Demnach ist die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme, da sie die Einspeisung einer Quote grünen Stroms in das nationale Netz vorschreibt, geeignet, die Steigerung des Verbrauchs dieses Stroms zu fördern. Was die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme betrifft, wird das vorlegende Gericht die in den Rn. 110 bis 122 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen zur Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Auslegung der Art. 34 und 36 AEUV zu berücksichtigen haben.

49

Nach alledem – und vorbehaltlich dieser letztgenannten Beurteilung – ist die Richtlinie 2001/77 dahin auszulegen, dass sie einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht.

Zur Richtlinie 2009/28

50

Zur Frage, ob die Richtlinie 2009/28 dahin auszulegen ist, dass sie einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 1 ergibt, ein gemeinsamer Rahmen für die Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen vorgeschrieben wird, indem u. a. verbindliche nationale Ziele für den Gesamtanteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch festgelegt werden.

51

So sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/28 verpflichtet, zum einen dafür zu sorgen, dass ihr Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch im Jahr 2020 mindestens dem in Anhang I Teil A dieser Richtlinie festgelegten nationalen Gesamtziel entspricht, und zum anderen Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass ihr Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen den im „indikativen Zielpfad“ in Anhang I Teil B der Richtlinie angegebenen Anteil erreicht oder übersteigt.

52

Der Gerichtshof hat ferner klargestellt, dass aus dem 25. Erwägungsgrund sowie aus Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. k und Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2009/28 hervorgeht, dass der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie keine abschließende Harmonisierung der nationalen Regelungen zur Förderung der Erzeugung grüner Energie vornehmen wollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 59 bis 63).

53

Vielmehr ergibt sich, wie der Gerichtshof entschieden hat, bereits aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2009/28, wonach die Mitgliedstaaten u. a. Förderregelungen anwenden „können“, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Maßnahmen, die sie zur Erreichung der in Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie festgelegten Ziele erlassen können, über einen weiten Wertungsspielraum verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2021, Promociones Oliva Park, C‑220/19, EU:C:2021:163, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere können die Mitgliedstaaten im Rahmen dieses Wertungsspielraums Beihilferegelungen wählen, die sich auf die Verpflichtung zum Erwerb grünen Stroms oder grüner Zertifikate stützen. Art. 2 Abs. 2 Buchst. k und l der Richtlinie definiert den Begriff „Förderregelung“ nämlich dahin, dass er sich speziell auf nationale Förderregelungen bezieht, die mit der Verpflichtung zur Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen verknüpft sind, einschließlich solcher, bei denen grüne Zertifikate verwendet werden.

54

Die Richtlinie 2009/28 steht auch einer Förderregelung nicht entgegen, die ausschließlich die nationale Erzeugung von grünem Strom begünstigt. Der Gerichtshof hat nämlich im Hinblick auf die Erwägungsgründe 25, 52 und 56 sowie die Art. 2, 3 und 15 dieser Richtlinie bereits entschieden, dass der Unionsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, den Mitgliedstaaten, die sich für eine Förderregelung unter Verwendung grüner Zertifikate entschieden haben, vorzuschreiben, die Förderung nach dieser Regelung auf grünen Strom zu erstrecken, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erzeugt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 49 bis 53).

55

Im vorliegenden Fall scheint die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme aus den in Rn. 47 des vorliegenden Urteils genannten Gründen zur Verwirklichung des mit der Richtlinie 2009/28 angestrebten Ziels beizutragen und a priori geeignet zu sein, die Steigerung des Verbrauchs von grünem Strom zu fördern.

56

Die Mitgliedstaaten haben allerdings, wenn sie in dieser Weise Maßnahmen zur Umsetzung des Unionsrechts erlassen, die allgemeinen Rechtsgrundsätze einzuhalten, zu denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zählt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2019, Agrenergy und Fusignano Due, C‑180/18, C‑286/18 und C‑287/18, EU:C:2019:605, Rn. 28). Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, die Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren streitigen Maßnahme mit diesem Grundsatz unter Berücksichtigung der in den Rn. 110 bis 122 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit der Auslegung der Art. 34 und 36 AEUV zu beurteilen.

57

Vorbehaltlich dieser Beurteilung durch das vorlegende Gericht ist die Richtlinie 2009/28 daher dahin auszulegen, dass sie einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht.

58

Da ferner, wie aus den Rn. 46 und 52 des vorliegenden Urteils hervorgeht, weder die Richtlinie 2001/77 noch die Richtlinie 2009/28 zu einer abschließenden Harmonisierung des von ihnen geregelten Bereichs geführt haben, ist zu prüfen, inwieweit das vom vorlegenden Gericht angeführte Primärrecht zum Tragen kommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zu den Vorschriften über staatliche Beihilfen

59

In Bezug auf die vom vorlegenden Gericht angeführten Bestimmungen des Primärrechts ist zuerst zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme unter die Art. 107 und 108 AEUV fallen kann.

60

Nach dem durch diese Bestimmungen geschaffenen System der Kontrolle staatlicher Beihilfen sind nämlich sowohl die nationalen Gerichte als auch die Kommission befugt, das Vorliegen einer Beihilferegelung oder einer Beihilfemaßnahme im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV festzustellen. Da es Sache des Gerichtshofs ist, diesen Gerichten alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesen ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Regelung oder Maßnahme mit diesem Recht zu befinden, kann er den vorlegenden Gerichten die Hinweise zur Auslegung geben, die es ihnen ermöglichen, festzustellen, ob eine nationale Regelung oder Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne des Unionsrechts angesehen werden kann. Demgegenüber ist für die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Regelung bzw. dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt ausschließlich die Kommission zuständig, die dabei der Kontrolle des Unionsrichters unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Januar 2022, Fondul Proprietatea, C‑179/20, EU:C:2022:58, Rn. 83 und 84 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Daraus folgt, dass ein nationales Gericht, wenn es das Vorliegen einer Beihilferegelung feststellt, nicht dafür zuständig ist, die Vereinbarkeit der Modalitäten dieser Regelung mit anderen Bestimmungen des AEU‑Vertrags mit unmittelbarer Wirkung als denjenigen über staatliche Beihilfen zu beurteilen, falls diese Modalitäten untrennbar mit dem eigentlichen Zweck der Beihilfe verbunden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Mai 2019, A-Fonds, C‑598/17, EU:C:2019:352, Rn. 46 bis 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Was die mögliche Einstufung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV durch das vorlegende Gericht betrifft, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine solche Einstufung verlangt, dass alle nachstehend genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss sie geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil verschafft werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteil vom 27. Januar 2022, Fondul Proprietatea, C‑179/20, EU:C:2022:58, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Bevor dem vorlegenden Gericht Auslegungshinweise für jede dieser vier Voraussetzungen gegeben werden, ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren streitige Regelung, so wie sie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils beschrieben wurde, italienischen Erzeugern von grünem Strom a priori zwei wirtschaftliche Vorteile verschaffen kann, nämlich zum einen den Vorteil, ihren Strom verkaufen zu können, ohne grünen Strom oder grüne Zertifikate erwerben zu müssen, und zum anderen den Vorteil, die grünen Zertifikate, die sie unentgeltlich entsprechend dem von ihnen erzeugten grünen Strom erhalten haben, an Erzeuger oder Einführer von aus nicht erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom verkaufen zu können.

Zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und des Wettbewerbs

64

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bedarf es für die Qualifizierung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der Beihilfe auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen (Urteil vom 27. Januar 2022, Fondul Proprietatea, C‑179/20, EU:C:2022:58, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65

Im vorliegenden Fall sind die Stromeinführer und ‑erzeuger auf einem Strommarkt tätig, der nach seiner Liberalisierung dem Wettbewerb offensteht. Die Gewährung der in Rn. 63 des vorliegenden Urteils genannten Vorteile an nationale Erzeuger von grünem Strom ist daher geeignet, den Wettbewerb zwischen diesen nationalen Erzeugern und Einführern von Strom, denen keine Befreiung von der Verpflichtung zum Erwerb grünen Stroms oder grüner Zertifikate gewährt wurde, zu beeinträchtigen. Außerdem ist diese Verpflichtung zum Erwerb, da sie Einführer von Strom trifft, die keine Befreiung erhalten haben, überdies geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

66

Daher ist eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren streitige geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen.

Zum Vorliegen einer staatlichen Maßnahme oder einer Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel

67

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen Vorteile, damit sie als „Beihilfen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, zum einen unmittelbar oder mittelbar unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel gewährt werden und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, DOBELES HES, C‑702/20 und C‑17/21, EU:C:2023:1, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Was als Erstes die Beurteilung angeht, ob die Maßnahme dem Staat zuzurechnen ist, ist zu prüfen, ob die öffentlichen Stellen auf die eine oder andere Weise am Erlass der betreffenden Maßnahme beteiligt waren (Urteil vom 21. Oktober 2020, Eco TLC, C‑556/19, EU:C:2020:844, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69

Im vorliegenden Fall wurden sowohl die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme als auch die Förderregelung, unter die sie fällt, vom Gesetzgeber eingeführt, nämlich durch das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 79/1999 und durch das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 387/2003. Diese Maßnahme und diese Regelung sind daher als dem Staat im Sinne der in der vorstehenden Randnummer genannten Rechtsprechung zurechenbar anzusehen.

70

Als Zweites ist für die Feststellung, ob die Beihilfe unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt wurde, darauf hinzuweisen, dass die in Art. 107 Abs. 1 AEUV getroffene Unterscheidung zwischen „staatlichen“ und „aus staatlichen Mitteln gewährten“ Beihilfen nicht bedeutet, dass alle von einem Mitgliedstaat gewährten Vorteile unabhängig davon Beihilfen darstellen, ob sie aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder nicht. Diese Unterscheidung soll lediglich verhindern, dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen allein dadurch umgangen werden können, dass unabhängige Einrichtungen geschaffen werden, denen die Verteilung von Beihilfen übertragen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Deutschland/Kommission, C‑405/16 P, EU:C:2019:268, Rn. 53 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

71

So erfassen die Mittel, auf die das Verbot in Art. 107 Abs. 1 AEUV abzielt, sämtliche Geldmittel, die die öffentlichen Stellen tatsächlich zur Unterstützung der Unternehmen verwenden können, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Mittel dauerhaft zum Vermögen des Staates gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Deutschland/Kommission, C‑405/16 P, EU:C:2019:268, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Sie umfassen zum einen solche Mittel, die unmittelbar unter staatlicher Kontrolle stehen, d. h. sämtliche Mittel, die zum Vermögen des Staates gehören, und zum anderen solche Mittel, die mittelbar unter staatlicher Kontrolle stehen, da sie aus dem Vermögen öffentlicher oder privater Einrichtungen stammen, die der Staat zur Verwaltung der Beihilfen errichtet oder bestimmt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Mittel öffentlicher Unternehmen können somit als staatliche Mittel angesehen werden, wenn der Staat durch die Ausübung seines beherrschenden Einflusses in der Lage ist, ihre Verwendung zu steuern, um Vorteile zugunsten anderer Unternehmen zu finanzieren (Urteil vom 13. September 2017, ENEA, C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). In gleicher Weise können, wenn nicht staatliche Organe, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Staates Mittel verwalten und verteilen, die durch mittels dieser Rechtsvorschriften auferlegte Pflichtbeiträge gespeist werden, diese Mittel als staatliche Mittel angesehen werden, wenn diese Organe vom Staat mit der Verwaltung dieser Mittel beauftragt und nicht bloß zur Abnahme unter Einsatz ihrer eigenen Mittel verpflichtet sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 2019, Deutschland/Kommission, C‑405/16 P, EU:C:2019:268, Rn. 58 und 59, sowie vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 54 und 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Das Erfordernis, dass die Beihilfen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden, bedeutet indessen, dass sich ihre Gewährung auf diese Mittel auswirken muss. Es muss also ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen dem durch die Beihilfen gewährten Vorteil einerseits und der Verringerung eines Postens des Staatshaushalts oder einem hinreichend konkreten wirtschaftlichen Risiko für dessen Belastung andererseits bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Deutschland/Kommission, C‑405/16 P, EU:C:2019:268, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung). So hat der Gerichtshof entschieden, dass ein solcher Zusammenhang in einem Fall fehlte, in dem die Inanspruchnahme staatlicher Mittel durch eine Maßnahme, mit der private Stromversorgungsunternehmen verpflichtet wurden, aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Strom zu festgelegten Mindestpreisen abzunehmen, lediglich in einer Verringerung der Steuereinnahmen des Staates aufgrund der negativen Auswirkungen dieser Verpflichtung auf das wirtschaftliche Ergebnis der Unternehmen bestand, die dieser Pflicht unterlagen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra, C‑379/98, EU:C:2001:160, Rn. 62).

74

Im Licht der vorstehenden Rechtsprechung ist es Sache des vorlegenden Gerichts, insbesondere erstens zu beurteilen, ob die kostenlose Zurverfügungstellung grüner Zertifikate an nationale Erzeuger von grünem Strom sich als Einsatz staatlicher Mittel darstellt. Insofern scheint diese Zurverfügungstellung auf den ersten Blick nicht zu einer Übertragung staatlich kontrollierter Mittel auf die italienischen Erzeuger von grünem Strom zu führen. Denn aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht nicht hervor, dass die Zurverfügungstellung mit irgendeiner Bewirtschaftung seitens dem Staat zuzuordnender Stellen einhergehen würde. Der wirtschaftliche Wert der grünen Zertifikate beruht offenbar allein auf der gesetzlichen Verpflichtung bestimmter Erzeuger und Einführer, diese Zertifikate zu erwerben. Kommen diese Erzeuger und Einführer dieser Verpflichtung nach, indem sie die Zertifikate bei den Erzeugern von grünem Strom erwerben, scheinen die von diesen Erzeugern vereinnahmten Beträge nicht unter der Kontrolle des Staates im Sinne der in den Rn. 71 und 72 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu stehen, da die finanzielle Umverteilung im Ausgangsverfahren offenbar ohne zusätzliches Tätigwerden des Staates von einer privaten Stelle an eine andere erfolgt. Der Vorteil, den die Zuteilung dieser Zertifikate an nationale Erzeuger von grünem Strom darstellt, scheint somit ausschließlich aus Mitteln von zum Erwerb dieser Zertifikate verpflichteten Erzeugern oder Einführern finanziert zu werden, ohne dass eine staatliche Kontrolle über diese Mittel besteht.

75

Zweitens wird das vorlegende Gericht zu beurteilen haben, ob der Mechanismus, den die im Ausgangsverfahren streitige Regelung zur Sicherstellung eines bestimmten Werts der grünen Zertifikate vorsieht, staatliche Mittel einbezieht. In dieser Hinsicht zeigt sich, dass diese Regelung nicht nur Erzeuger konventionellen Stroms und Einführer verpflichtet, diese Zertifikate zu erwerben, wenn sie zur Erreichung der Quote grünen Stroms, den sie in das nationale Netz einspeisen müssen, grünen Strom weder erzeugen noch erwerben. Art. 11 Abs. 3 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 79/1999 sowie Angaben des vorlegenden Gerichts und der Parteien des Ausgangsverfahrens lassen auch darauf schließen, dass diese Regelung zugunsten der italienischen Erzeuger von grünem Strom einen wirtschaftlichen Mindestwert für diese grünen Zertifikate garantiert. Diese Bestimmung scheint nämlich GSE, einer vom italienischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen kontrollierten Einrichtung, den Erwerb grüner Zertifikate vorzuschreiben, sollten diese den Bedarf der Zertifikate für die zum Erwerb verpflichteten Unternehmen überschreiten. Das mögliche Tätigwerden von GSE verhindert somit, dass ein Überangebot an grünen Zertifikaten die Unterstützung nationaler Erzeuger von grünem Strom beeinträchtigen könnte.

76

Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die Mittel, über die GSE für den Erwerb der überschüssigen grünen Zertifikate verfügt, aus den Einnahmen aufgrund des Tarifbestandteils A3 stammen, d. h. einer finanziellen Belastung, die italienischen Stromverbrauchern durch die italienischen Rechtsvorschriften auferlegt und den Konten von GSE gutgeschrieben wird, um ihr diesen Erwerb zu ermöglichen. Somit steht eine Verringerung der unter staatlicher Kontrolle stehenden Mittel aufgrund des Erwerbs überschüssiger grüner Zertifikate durch GSE offensichtlich in einem hinreichend unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vorteil der kostenlosen Zuteilung dieser grünen Zertifikate an nationale Erzeuger von grünem Strom, damit sie diese auf dem Markt weiterverkaufen können.

77

Vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht erfolgt der Erwerb der überschüssigen grünen Zertifikate demnach offenbar von einer dem Staat zuzuordnenden Einrichtung, und zwar auf der Grundlage des ihr durch die italienischen Rechtsvorschriften erteilten Auftrags und mittels Einnahmen aus einem von den Verbrauchern zu diesem Zweck gezahlten Tarifbestandteil.

78

Auf dieser Grundlage – und soweit GSE, wie Fallimento Esperia in ihren schriftlichen Erklärungen vorträgt, solche Käufe im Lauf des Jahres 2010 tatsächlich getätigt haben sollte – ist festzustellen, dass die Förderregelung, zu der die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme gehört, eine Übertragung staatlicher Mittel im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV beinhaltet.

79

Folglich scheint diese Maßnahme dem italienischen Staat zurechenbar und scheinen die Vorteile, die sie gewährt, mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt zu werden.

Zur Selektivität des Vorteils

80

Was die Voraussetzung der Gewährung eines selektiven Vorteils betrifft, erfordert die Beurteilung dieser Voraussetzung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (Urteile vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C‑524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 41, sowie vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81

Da die Prüfung der Selektivität „im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung“ zu erfolgen hat, impliziert dies grundsätzlich die vorherige Bestimmung des Bezugsrahmens, in den sich die betreffende Maßnahme einfügt, wobei diese Vorgehensweise nicht der Prüfung steuerlicher Maßnahmen vorbehalten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C‑524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 54 und 55).

82

Der Bezugsrahmen ergibt sich aus dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats. Er muss sich aus Rechtsnormen zusammensetzen, die zu einem auf der Ebene des Unionsrechts nicht abschließend harmonisierten Bereich gehören, und diese Normen müssen ein mit diesem Recht vereinbares Ziel verfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2021, Kommission/Ungarn, C‑596/19 P, EU:C:2021:202, Rn. 44).

83

Außerdem darf dieser Bezugsrahmen seinerseits nicht mit dem Unionsrecht im Bereich der staatlichen Beihilfen unvereinbar sein, das darauf abzielt, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts der Union sicherzustellen, indem es gewährleistet, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zugunsten von Unternehmen den Wettbewerb auf diesem Markt nicht verfälschen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2018, Kommission/FIH Holding und FIH Erhvervsbank, C‑579/16 P, EU:C:2018:159, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Die Bestimmung dieses Bezugsrahmens muss sich aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats anwendbaren Vorschriften ergeben (Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission, C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der infolge dieser Prüfung bestimmte Bezugsrahmen muss eine eigenständige rechtliche Logik mit einem eigenen Ziel aufweisen und darf nicht mit einer kohärenten Gesamtheit von Vorschriften außerhalb dieses Bezugsrahmens verknüpft werden können. Lässt sich eine Maßnahme eindeutig von einem allgemeinen System trennen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der zu berücksichtigende Bezugsrahmen enger ist oder sogar mit der Maßnahme selbst identisch ist, wenn sich diese als eine Norm mit eigenständiger rechtlicher Logik darstellt und es nicht möglich ist, eine kohärente Gesamtheit von Vorschriften außerhalb dieser Maßnahme zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Banco Santander u. a./Kommission, C‑53/19 P und C‑65/19 P, EU:C:2021:795, Rn. 63).

85

Die Bestimmung dieses Bezugsrahmens erfolgt grundsätzlich unabhängig von dem Ziel, das die nationale Behörde mit dem Erlass der anhand der Vorschriften über staatliche Beihilfen geprüften Maßnahme verfolgt. Ferner ist die vom nationalen Gesetzgeber für diese Bestimmung verwendete Regelungstechnik nicht ausschlaggebend. Schließlich darf die genannte Bestimmung nicht zu einem Bezugsrahmen führen, der aus einigen Bestimmungen besteht, die künstlich aus einem breiteren rechtlichen Rahmen herausgelöst wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Banco Santander u. a./Kommission, C‑53/19 P und C‑65/19 P, EU:C:2021:795, Rn. 62, 65 und 94 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

86

Nach ständiger Rechtsprechung werden ferner staatliche Maßnahmen, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen vornehmen und damit a priori selektiv sind, dann nicht vom Begriff „staatliche Beihilfe“ erfasst, wenn sich diese Unterscheidung aus der Natur oder der Struktur des Systems ergibt, in das sie sich einfügen (Urteile vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C‑524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 41, sowie vom 26. April 2018, ANGED, C‑234/16 und C‑235/16, EU:C:2018:281, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87

Allerdings hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die mit staatlichen Maßnahmen verfolgten Ziele nicht genügen, um diese von vornherein von der Einordnung als „Beihilfen“ im Sinne von Art. 107 AEUV auszunehmen (Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission, C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 84). Er hat namentlich ausgeführt, dass, auch wenn der Umweltschutz eines der wesentlichen Ziele der Union ist, die Notwendigkeit, dieses Ziel zu berücksichtigen, nicht den Ausschluss selektiver Maßnahmen vom Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV rechtfertigt (Urteil vom 8. September 2011, Kommission/Niederlande, C‑279/08 P, EU:C:2011:551, Rn. 75). Im Übrigen hat er ausgeschlossen, dass unter diese Ausnahme eine Maßnahme fallen kann, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen vornimmt, die zwar auf einem objektiven Kriterium beruht, aber im Verhältnis zu dem System, in das sie sich einfügt, inkohärent ist und daher nicht durch dessen Natur und Struktur gerechtfertigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2001, Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, C‑143/99, EU:C:2001:598, Rn. 48 bis 55).

88

Im vorliegenden Fall gehören, wie sich aus der Auslegung der Richtlinien 2001/77 und 2009/28 in den Rn. 41 bis 58 des vorliegenden Urteils ergibt, die in den Gesetzesvertretenden Dekreten Nr. 79/1999 und Nr. 387/2003 aufgestellten Normen zu einem Bereich, der auf der Ebene des Unionsrechts nicht harmonisiert ist, und verfolgen das im Hinblick auf dieses Recht legitime Ziel, die Erzeugung und die Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern.

89

Es ist allerdings Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob diese Normen sich als eine kohärente und selbständige Gesamtheit von Vorschriften auffassen lassen, die einen Bezugsrahmen bilden können. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Normen die Erzeugung und das Inverkehrbringen von grünem Strom zur Förderung des Verbrauchs von Energie aus erneuerbaren Quellen betreffen. Somit ist zu prüfen, ob sich die Normen auf alle Vorschriften über die Erzeugung, die Verteilung und die Vermarktung von Strom beziehen können, die zum Ziel haben, ein angemessenes Funktionieren eines wettbewerbsorientierten Strommarkts zu schaffen und zu gewährleisten.

90

Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bezugsrahmen das allgemeine System ist, das die Erzeugung, die Vermarktung und den Verbrauch von Strom in Italien regelt, wäre festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme nationalen Erzeugern von grünem Strom a priori einen selektiven Vorteil verschafft. Im Hinblick auf das mit diesem Rechtsrahmen verfolgte Ziel, einen wettbewerbsorientierten Strommarkt zu schaffen und zu gewährleisten, befinden sich diese Erzeuger nämlich in einer rechtlichen und tatsächlichen Situation, die mit derjenigen der Einführer von Strom vergleichbar ist, die nicht belegt haben, dass es sich bei dem von ihnen eingeführten Strom um grünen Strom handelt, da alle diese Akteure auf dem italienischen Strommarkt Strom verkaufen. Sie tragen somit zur Erreichung des Ziels bei, in Italien über einen Strommarkt zu verfügen, der dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt.

91

Wie sich jedoch aus Rn. 86 des vorliegenden Urteils ergibt, stellen a priori selektive Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen dar, wenn sich die durch staatliche Maßnahmen eingeführte Unterscheidung zwischen Unternehmen aus der Natur oder der Struktur des Systems ergibt, in das sie sich einfügen.

92

Sofern sich im vorliegenden Fall zeigt, dass es ohne die im Ausgangsverfahren streitige Förderregelung auf dem italienischen Strommarkt kein Angebot an grünem Strom geben könnte, dann lässt sich die vorgenommene Unterscheidung zwischen Erzeugern von grünem Strom sowie Erzeugern und Einführern von Strom aus nicht erneuerbaren Quellen durch die Natur und die Struktur des allgemeinen Systems, das die Erzeugung, die Vermarktung und den Verbrauch von Strom in Italien regelt, rechtfertigen. Das angemessene Funktionieren eines wettbewerbsorientierten Strommarkts in Italien, das mit diesem allgemeinen System verfolgt wird, kann es nämlich erfordern, dass auf diesem Markt ein wettbewerbsfähiges Angebot an grünem Strom besteht. Was unter einem angemessenen Funktionieren des Marktes zu verstehen ist, kann vom italienischen Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Erfordernisses, für den Umweltschutz Sorge zu tragen, festgelegt werden.

93

Sollte sich herausstellen, dass die höheren Kosten für die Erzeugung von grünem Strom im Vergleich zu denen bei Strom aus nicht erneuerbaren Quellen einem wettbewerbsfähigen Angebot dieser Ware auf dem Markt entgegenstehen, könnte die durch die im Ausgangsverfahren streitige Regelung geschaffene unterschiedliche Behandlung der Erzeuger von grünem Strom sowie der Erzeuger und Einführer von Strom aus nicht erneuerbaren Quellen durch das Erfordernis gerechtfertigt sein, dieses Marktversagen zu beheben. Eine solche Rechtfertigung wäre jedoch nur unter der Voraussetzung möglich, dass die durch diese Regelung gewährte Unterstützung strikt auf das beschränkt ist, was zur Behebung dieses Marktversagens erforderlich ist, und dass sie völlig kohärent im Hinblick auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende allgemeine System gewährt wird.

94

Ließe sich die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme nicht mit der Natur und der Struktur des Bezugssystems, in das sie sich einfügt, rechtfertigen, würde die fehlende Anmeldung dieser Maßnahme und ihre Durchführung vor der Entscheidung der Kommission über ihre Vereinbarkeit einen Verstoß gegen Art. 108 AEUV darstellen. In einem solchen Fall obläge es dem vorlegenden Gericht, alle Konsequenzen aus der Verletzung dieser Bestimmung zu ziehen und Gegenmaßnahmen zur Durchführung der Beihilfen zu treffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Arriva Italia u. a., C‑385/18, EU:C:2019:1121, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen zöge die Rechtswidrigkeit der betreffenden Beihilferegelung die Rechtswidrigkeit der Sanktion nach sich, die zur Gewährleistung der Durchführung dieser Regelung vorgesehen ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 11. Januar 2024, Prezes Urzędu Regulacji Energetyki, C‑220/23, EU:C:2024:34, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

95

Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Vorteil, der den Erzeugern von grünem Strom durch die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme gewährt wird, durch die Natur und die Struktur des Bezugssystems, in das sie sich einfügt, gerechtfertigt ist, so sind die Art. 107 und 108 AEUV demnach dahin auszulegen, dass sie einer solchen Maßnahme nicht entgegenstehen.

Zu den Vorschriften über den freien Warenverkehr

96

Wie sich aus Rn. 61 des vorliegenden Urteils ergibt, wird das vorlegende Gericht, sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dass die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme nicht unter eine Regelung über staatliche Beihilfen fällt oder sich von den anderen Bestimmungen dieser Regelung trennen lässt, ferner die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit den Unionsvorschriften auf dem Gebiet der Zollunion und des freien Warenverkehrs zu beurteilen haben.

97

Insoweit wird es zunächst zu beurteilen haben, ob diese Maßnahme gegen die Art. 28, 30 und 110 AEUV verstoßen kann, und sodann, ob sie Art. 34 AEUV zuwiderlaufen kann. Der Anwendungsbereich von Art. 34 AEUV erfasst nämlich solche Beeinträchtigungen nicht, für die sonstige spezifische Vorschriften gelten, und die in den Art. 28, 30 und 110 AEUV bezeichneten Beeinträchtigungen fiskalischer Art oder mit zollgleicher Wirkung unterliegen nicht dem Verbot von Art. 34 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2007, Brzeziński, C‑313/05, EU:C:2007:33, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum Verbot der Erhebung von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung

98

Die Art. 28 und 30 AEUV verbieten die Erhebung von Ein- und Ausfuhrzöllen und Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Ein Zoll im Sinne dieser Bestimmungen ist eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf eine Ware erhebt, wenn diese seine Grenze überschreitet. Außerdem stellt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jede noch so geringe einseitig auferlegte finanzielle Belastung von Waren aufgrund ihres Grenzübertritts unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung dar, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist (Urteil vom 6. Dezember 2018, FENS, C‑305/17, EU:C:2018:986, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

99

Eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren streitige, die die Strom einführenden Unternehmen zum Erwerb grüner Zertifikate verpflichtet, lässt sich nicht als Zoll einstufen, da es sich bei ihr weder um eine von den nationalen Behörden erhobene Abgabe noch um eine Abgabe handelt, die erhoben wird, wenn der im Ausland erzeugte Strom die nationale Grenze überschreitet. Eine solche Verpflichtung lässt sich auch nicht als Abgabe zollgleicher Wirkung auffassen, da sie Strom nicht deshalb zu betreffen scheint, weil er eine nationale Grenze überschreitet.

100

Daraus folgt, dass die Art. 28 und 30 AEUV einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen.

Zum Verbot der Einführung diskriminierender inländischer Abgaben

101

Was das in Art. 110 AEUV aufgestellte Verbot für die Mitgliedstaaten betrifft, diskriminierende inländische Abgaben zu erheben, fallen finanzielle Belastungen unter diese Bestimmung, wenn sie zu einem allgemeinen inländischen Abgabensystem gehören, das Erzeugnisgruppen systematisch nach objektiven Kriterien unabhängig vom Ursprung oder der Bestimmung dieser Erzeugnisse erfasst (Urteil vom 6. Dezember 2018, FENS, C‑305/17, EU:C:2018:986, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

102

Im vorliegenden Fall scheint die durch die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme auferlegte Verpflichtung zum Erwerb grüner Zertifikate bzw. grünen Stroms keine finanzielle Belastung zu sein, die zu einem allgemeinen inländischen Abgabensystem gehört. Vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht ist eine solche Verpflichtung nämlich weder fiskalischer noch parafiskalischer Art und fällt daher nicht unter das Verbot von Art. 110 AEUV.

103

Art. 110 AEUV ist daher dahin auszulegen, dass er einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht.

Zum Verbot des Erlasses mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen

104

Der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist ein grundlegendes Prinzip des AEU‑Vertrags, das seinen Ausdruck in Art. 34 AEUV findet (Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung), der es den Mitgliedstaaten verbietet, untereinander mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zu erlassen.

105

Nach ständiger Rechtsprechung erfasst diese Bestimmung alle nationalen Maßnahmen, die geeignet sind, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

106

Im vorliegenden Fall kann die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme Stromeinfuhren nach Italien in zweifacher Hinsicht behindern. Zum einen bewirkt sie eine solche Behinderung, indem sie den Einführern, die eine Befreiung in Anspruch nehmen wollen, die Verpflichtung auferlegt, deren Inanspruchnahme zu beantragen und zu diesem Zweck Herkunftsnachweise vorzulegen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Maßnahme nicht bereits deshalb dem Verbot nach Art. 34 AEUV entgeht, weil die Behinderung der Einfuhr geringfügig ist und noch andere Möglichkeiten des Vertriebs der eingeführten Erzeugnisse bestehen (Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine solche Behinderung bewirkt sie zum anderen dadurch, dass sie die Einführer, die keine solche Befreiung beantragen, unter Androhung einer Sanktion dazu verpflichtet, grüne Zertifikate oder grünen Strom zu erwerben.

107

Eine nationale Regelung oder Praxis, die eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen darstellt, kann jedoch durch einen der in Art. 36 AEUV genannten Gründe des Allgemeininteresses oder nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein. In beiden Fällen muss die nationale Maßnahme nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 76, sowie vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

108

Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass nationale Maßnahmen, die geeignet sind, den Handel innerhalb der Union zu behindern, durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes, insbesondere durch das Bemühen, eine vermehrte Nutzung erneuerbarer Energiequellen zur Stromerzeugung zu fördern, gerechtfertigt sein können, da eine solche vermehrte Nutzung dem Umweltschutz dient und zugleich den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen bezweckt, die in Art. 36 AEUV unter den Gründen des Allgemeininteresses aufgeführt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 101, und vom 4. Oktober 2018, L.E.G.O., C‑242/17, EU:C:2018:804, Rn. 64 und 65 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

109

Sowohl die Verpflichtung der Einführer, grüne Zertifikate oder grünen Strom zu erwerben, um ihren Strom einführen zu dürfen, als auch die Verpflichtung zur Vorlage von Herkunftsnachweisen, um eine Befreiung von dieser Verpflichtung zum Erwerb in Anspruch zu nehmen, sofern es sich bei dem eingeführten Strom um grünen Strom handelt, können im vorliegenden Fall durch die Förderung der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen gerechtfertigt werden. Der Umstand, dass die im Ausgangsverfahren streitige Förderregelung so ausgestaltet ist, dass sie unmittelbar die Erzeugung von grünem Strom und nicht dessen bloßen Verbrauch begünstigt, lässt sich u. a. dadurch erklären, dass Strom nur aufgrund der Art seiner Herstellung als grün bezeichnet werden kann und dass somit die mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen verbundenen Umweltziele in erster Linie im Stadium der Erzeugung wirksam verfolgt werden können (vgl. entsprechend Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

110

Es bleibt jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Beschränkungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

111

Zur Verpflichtung, eine Befreiung zu beantragen und zu diesem Zweck Herkunftsnachweise vorzulegen, ist festzustellen, dass sich nach der Einspeisung des grünen Stroms in ein Übertragungs- oder Verteilernetz seine Herkunft und insbesondere die Energiequelle, aus der er gewonnen wurde, kaum noch bestimmen lässt (Urteil vom 20. April 2023, EEW Energy from Waste, C‑580/21, EU:C:2023:304, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung). Angesichts dieser Schwierigkeit verpflichteten Art. 5 der Richtlinie 2001/77 und sodann Art. 15 der Richtlinie 2009/28 die Mitgliedstaaten, eine Regelung für Herkunftsnachweise einzuführen und zu überwachen, damit die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen nachweisen konnten, dass der von ihnen verkaufte Strom aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wurde.

112

Durch die Verpflichtung, eine Befreiung unter Vorlage grüner Zertifikate zu beantragen, lässt sich im Hinblick auf den Schutz der Umwelt sowie der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen offensichtlich sicherstellen, dass es sich bei dem eingeführten Strom tatsächlich um grünen Strom handelt und er somit zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen beiträgt. Ferner scheint diese Verpflichtung erforderlich, da es in Anbetracht der Fungibilität des grünen Stroms in einem späteren Stadium der Verteilung oder des Verbrauchs nicht möglich wäre, die Energiequelle, aus der er erzeugt wurde, zu bestimmen, und die Herkunftsnachweise Teil eines einheitlichen Mechanismus sind, um nachzuweisen, dass der Strom aus erneuerbaren Quellen gewonnen wurde.

113

Die Verpflichtung der Einführer von grünem Strom, bei der Einführung dieses Stroms Herkunftsnachweise vorzulegen, um von der Verpflichtung zum Erwerb grüner Zertifikate oder grünen Stroms befreit zu werden, verstößt demnach nicht gegen Art. 34 AEUV.

114

Zur Verpflichtung der Einführer von Strom, grüne Zertifikate oder grünen Strom zu erwerben, sofern sie keine Herkunftsnachweise für den von ihnen eingeführten Strom vorlegen, hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit nationalen Förderregelungen, bei denen der Mechanismus der sogenannten „grünen Zertifikate“ zur Anwendung kommt, bereits entschieden, dass die Verpflichtung der Stromlieferanten, von den Erzeugern von grünem Strom eine bestimmte Menge solcher Zertifikate zu beziehen, insbesondere dazu dient, diesen Erzeugern eine Nachfrage für die ihnen zugeteilten Zertifikate zu sichern und auf diese Weise den Absatz der grünen Energie zu erleichtern, die sie zu einem Preis erzeugen, der über dem Marktpreis herkömmlicher Energie liegt (Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 109).

115

Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang insbesondere hervorgehoben, dass der mit einer solchen Regelung für die Stromerzeuger im Allgemeinen verbundene Anreiz, mehr grünen Strom zu erzeugen, und folglich auch die Eignung dieser Regelung zur Erreichung des in diesem Fall verfolgten legitimen Ziels, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zum Schutz der Umwelt sowie der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen zu fördern, außer Zweifel stehen dürfte. Solche Regelungen zur Förderung grüner Energie – deren Erzeugungskosten im Vergleich zu den Kosten von Strom aus nicht erneuerbaren Quellen noch immer recht hoch erscheinen – sollen im Wesentlichen langfristige Investitionen in neue Anlagen fördern, indem sie den Erzeugern gewisse Garantien hinsichtlich der künftigen Abnahme des von ihnen erzeugten grünen Stroms geben (Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 109 und 110 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

116

Insofern hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat nicht den Wertungsspielraum überschreitet, der ihm bei der Verfolgung des legitimen Ziels der Steigerung der Erzeugung von grünem Strom zusteht, indem er eine nationale Förderregelung erlässt, die, wie die im Ausgangsverfahren streitige, grüne Zertifikate verwendet, damit insbesondere die mit der Erzeugung von grünem Strom verbundenen Mehrkosten unmittelbar vom Markt, d. h. von den der Quotenpflicht unterworfenen Stromversorgern und ‑nutzern und letztlich den Verbrauchern, getragen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 109 und 110).

117

Das ungestörte Funktionieren einer solchen Regelung setzt jedoch voraus, dass Mechanismen eingerichtet werden, die die Schaffung eines echten Marktes für grüne Zertifikate sicherstellen, auf dem Angebot und Nachfrage wirkungsvoll aufeinandertreffen und ein Gleichgewicht anstreben können, so dass es den betroffenen Lieferanten und Nutzern tatsächlich möglich ist, sich unter fairen Bedingungen Zertifikate zu beschaffen (Urteil vom 1. Juli 2014, Ålands Vindkraft, C‑573/12, EU:C:2014:2037, Rn. 114).

118

Vor diesem Hintergrund stellt sich die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme, soweit sie den Einführern von Strom den Erwerb grüner Zertifikate oder grünen Stroms auferlegt, als geeignet dar, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zum Schutz der Umwelt sowie der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen zu fördern. Ferner scheint es vorbehaltlich einer Überprüfung durch das nationale Gericht einen echten Markt für grüne Zertifikate zu geben, auf dem sich die Einführer diese beschaffen können und dessen Wirksamkeit durch das Tätigwerden von GSE gewährleistet zu sein scheint. Aus Art. 11 Abs. 3 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 79/1999 scheint nämlich hervorzugehen, dass GSE verpflichtet ist, grüne Zertifikate im Fall einer Verknappung auf den Markt zu bringen bzw. im Fall eines Überangebots aufzukaufen, was sowohl den Erzeugern von grünem Strom als auch den zum Erwerb verpflichteten Unternehmen garantiert, dass es einen Markt für grüne Zertifikate gibt.

119

Im Übrigen zeigt sich, dass die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme für die Regelung, unter die sie fällt, erforderlich ist. Denn wenn sich die Einführer von Strom, von dem nicht belegt ist, dass es sich um grünen Strom handelt, der Verpflichtung zum Erwerb grüner Zertifikate oder grünen Stroms entziehen könnten, würde dies die Wirksamkeit des Systems zur Förderung der nationalen Erzeugung und des Verbrauchs von grünem Strom in Frage stellen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten, wie sich aus den Rn. 41 bis 58 des vorliegenden Urteils ergibt, verpflichtet sind, über ihre Fördermechanismen die mit den Richtlinien 2001/77 und 2009/28 vorgegebenen nationalen Ziele zu erreichen, und dass durch das Unionsrecht keine Harmonisierung der nationalen Regelungen zur Förderung grünen Stroms erfolgt ist, so dass es den Mitgliedstaaten grundsätzlich freisteht, durch solche Regelungen nur die in ihrem Hoheitsgebiet stattfindende Erzeugung von grünem Strom zu fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 106 und 107 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

120

Nach alledem scheint die Förderregelung, zu der die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme gehört, geeignet zu sein, in kohärenter und systematischer Weise die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu gewährleisten, die ihrerseits zum Schutz der Umwelt sowie der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen beiträgt. Sie geht a priori nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.

121

Schließlich stellt sich die im Ausgangsverfahren streitige Regelung, soweit sie eine Sanktion für die Einführer von Strom vorsieht, die keine Herkunftsnachweise vorlegen und keinen grünen Strom oder keine grünen Zertifikate entsprechend ihren Einfuhren erwerben, aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung als geeignet dar, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu fördern. Soweit sie geboten ist, um die Wirksamkeit des eingeführten Systems der grünen Zertifikate zu gewährleisten, kann sie außerdem als notwendig eingestuft werden. Die Modalitäten der Festsetzung und die Art dieser Sanktion dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um diese Wirksamkeit zu gewährleisten. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Gesichtspunkte zu beurteilen.

122

Demnach kann, soweit die Verpflichtung zum Erwerb grüner Zertifikate für die Einführer von Strom, die keine Herkunftsnachweise vorlegen, erforderlich ist, um die Wirksamkeit der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung zu gewährleisten, und sich herausstellt, dass es tatsächlich einen Markt für grüne Zertifikate gibt, nicht davon ausgegangen werden, dass diese Regelung über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels, die Erzeugung grünen Stroms zu steigern, erforderlich ist.

123

Daher ist Art. 34 AEUV vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen dahin auszulegen, dass er einer Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht.

124

Nach alledem ist die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Die Art. 28, 30 und 110 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, die zum einen die Einführer von aus einem anderen Mitgliedstaat stammendem Strom, die nicht durch die Vorlage von Herkunftsnachweisen belegen, dass dieser Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, verpflichtet, von nationalen Erzeugern entsprechend der von ihnen eingeführten Strommenge grüne Zertifikate oder grünen Strom zu erwerben, und zum anderen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung die Verhängung einer Sanktion vorsieht, wohingegen die nationalen Erzeuger von grünem Strom keiner solchen Verpflichtung zum Erwerb unterliegen.

Art. 34 AEUV sowie die Richtlinien 2001/77 und 2009/28 sind dahin auszulegen, dass sie dieser nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, wenn feststeht, dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels, die Erzeugung grünen Stroms zu steigern, erforderlich ist.

Die Art. 107 und 108 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie dieser nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, sofern die unterschiedliche Behandlung der nationalen Erzeuger von grünem Strom und der Einführer von Strom, die keinen Herkunftsnachweis vorlegen, durch die Natur und die Struktur des Bezugssystems, in das sie sich einfügt, gerechtfertigt ist.

Kosten

125

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Art. 28, 30 und 110 AEUV

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, die zum einen die Einführer von aus einem anderen Mitgliedstaat stammendem Strom, die nicht durch die Vorlage von Herkunftsnachweisen belegen, dass dieser Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, verpflichtet, von nationalen Erzeugern entsprechend der von ihnen eingeführten Strommenge Zertifikate über den Herkunftsnachweis aus erneuerbaren Quellen oder Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu erwerben, und zum anderen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung die Verhängung einer Sanktion vorsieht, wohingegen die nationalen Erzeuger von aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom keiner solchen Verpflichtung zum Erwerb unterliegen.

 

2.

Art. 34 AEUV sowie die Richtlinie 2001/77/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt und die Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77 und 2003/30/EG

sind dahin auszulegen, dass

sie dieser nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, wenn feststeht, dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels, die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen zu steigern, erforderlich ist.

 

3.

Die Art. 107 und 108 AEUV

sind dahin auszulegen, dass

sie dieser nationalen Maßnahme nicht entgegenstehen, sofern die unterschiedliche Behandlung der nationalen Erzeuger von aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom und der Einführer von Strom, die keinen Herkunftsnachweis vorlegen, durch die Natur und die Struktur des Bezugssystems, in das sie sich einfügt, gerechtfertigt ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.