URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

14. Dezember 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 – Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel – An eine Fremdwährung gekoppelter Hypothekendarlehensvertrag, der missbräuchliche Klauseln über den Wechselkurs enthält – Unwirksamkeit dieses Vertrags – Rückgewähransprüche – Verjährungsfrist“

In der Rechtssache C‑28/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen) mit Entscheidung vom 19. November 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2022, in dem Verfahren

TL,

WE

gegen

Insolvenzverwalter der Getin Noble Bank S.A., vormals Getin Noble Bank S.A.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu‑Matei, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von WE und TL, vertreten durch M. Woźniak, Radca prawny,

des Insolvenzverwalters der Getin Noble Bank S.A., vormals Getin Noble Bank S.A., vertreten zunächst durch Ł. Hejmej, M. Przygodzka und A. Szczęśniak, Adwokaci, dann durch M. Pugowski, Aplikant radcowski, sowie J. Szewczak und Ł. Żak, Adwokaci,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TL und WE auf der einen und dem Insolvenzverwalter der Getin Noble Bank S.A., vormals Getin Noble Bank S.A., auf der anderen Seite über die Rückzahlung von Beträgen, die an die genannte Bank im Rahmen eines Hypothekendarlehensvertrags gezahlt wurden, der wegen missbräuchlicher Klauseln für unwirksam erklärt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. …“

4

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

5

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

Polnisches Recht

6

Art. 117 der Ustawa – Kodeks cywilny (Gesetz über das Zivilgesetzbuch) vom 23. April 1964 (Dz. U. Nr. 16, Pos. 93) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilgesetzbuch) lautet:

„§ 1.   Vorbehaltlich der im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen unterliegen vermögensrechtliche Ansprüche der Verjährung.

§ 2.   Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann derjenige, gegen den sich der Anspruch richtet, seine Erfüllung verweigern, es sei denn, dass er auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichtet. Der Verzicht auf die Verjährungseinrede vor Ablauf der Verjährungsfrist ist jedoch unwirksam.

§ 21.   Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann die Erfüllung eines Anspruchs gegen einen Verbraucher nicht mehr verlangt werden.“

7

Art. 1171 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„§ 1.   In Ausnahmefällen kann das Gericht nach Abwägung der Interessen der Parteien den Ablauf der Verjährungsfrist für einen Anspruch gegen einen Verbraucher unberücksichtigt lassen, wenn dies aus Gründen der Billigkeit geboten ist.

§ 2.   Bei der Ausübung der in § 1 genannten Befugnis hat das Gericht insbesondere Folgendes zu berücksichtigen:

1)

die Dauer der Verjährungsfrist;

2)

die Dauer des Zeitraums zwischen dem Ablauf der Verjährungsfrist und der Geltendmachung des Anspruchs;

3)

die Art der Umstände, die dazu geführt haben, dass der Berechtigte den Anspruch nicht geltend gemacht hat, einschließlich des Einflusses des Verhaltens des Verpflichteten auf die verspätete Geltendmachung des Anspruchs durch den Berechtigten.“

8

Art. 118 des Zivilgesetzbuchs in seiner bis zum 8. Juli 2018 geltenden Fassung lautete:

„Wird durch eine besondere Vorschrift nichts anderes bestimmt, so beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre und für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit drei Jahre.“

9

Art. 118 des Zivilgesetzbuchs in seiner seit dem 8. Juli 2018 geltenden Fassung bestimmt:

„Wird durch eine besondere Vorschrift nichts anderes bestimmt, so beträgt die Verjährungsfrist sechs Jahre und für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit drei Jahre. Die Verjährungsfrist endet jedoch am letzten Tag des Kalenderjahres, es sei denn, die Verjährungsfrist ist kürzer als zwei Jahre.“

10

Gemäß Art. 120 § 1 des Zivilgesetzbuchs gilt:

„Der Lauf der Verjährung beginnt an dem Tag, an dem der Anspruch fällig geworden ist. Ist die Fälligkeit des Anspruchs von der Vornahme einer bestimmten Handlung durch den Berechtigten abhängig, so beginnt der Lauf der Verjährung an dem Tag, an dem der Anspruch fällig geworden wäre, wenn der Berechtigte die Handlung am frühestmöglichen Termin vorgenommen hätte.“

11

§ 355 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„§ 1.   Der Schuldner hat die in Verhältnissen der gegebenen Art allgemein erforderliche Sorgfalt zu beachten (gebotene Sorgfalt).

§ 2.   Die gebotene Sorgfalt des Schuldners im Bereich der von ihm ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sich unter Berücksichtigung des beruflichen Charakters dieser Tätigkeit.“

12

Art. 3851 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:

„§ 1.   Die Bestimmungen eines mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrags, die nicht individuell vereinbart worden sind, sind für ihn unverbindlich, wenn sie seine Rechte und Pflichten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gestalten und seine Interessen grob verletzen (unzulässige Vertragsbestimmungen). Dies gilt nicht für Bestimmungen, die die Hauptleistungen der Parteien, darunter den Preis oder die Vergütung, festlegen, wenn sie eindeutig formuliert worden sind.

§ 2.   Ist eine Vertragsbestimmung nach § 1 für den Verbraucher unverbindlich, so sind die Parteien an den Vertrag in seinem übrigen Umfang gebunden.

§ 3.   Als nicht individuell vereinbart gelten diejenigen Vertragsbestimmungen, auf deren Inhalt der Verbraucher keinen wirklichen Einfluss gehabt hat. Dies gilt insbesondere für Vertragsbestimmungen, die einem Vertragsmuster entstammen, das dem Verbraucher von dem Vertragspartner vorgeschlagen worden ist.

§ 4.   Die Beweislast dafür, dass eine Bestimmung individuell vereinbart worden ist, trägt derjenige, der sich darauf beruft.“

13

Art. 405 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„Wer einen Vermögensvorteil auf Kosten einer anderen Person ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ist verpflichtet, den Vorteil in Natur herauszugeben und, falls dies unmöglich ist, seinen Wert zu erstatten.“

14

Art. 410 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„§ 1.   Die Vorschriften der vorstehenden Artikel werden insbesondere auf eine nicht geschuldete Leistung angewandt.

§ 2.   Eine Leistung ist nicht geschuldet, wenn derjenige, der sie erbracht hat, nicht oder nicht gegenüber der Person, an die er geleistet hat, leistungsverpflichtet war oder wenn die Grundlage der Leistung entfallen ist oder der beabsichtigte Zweck der Leistung nicht erreicht worden ist oder wenn das zur Leistung verpflichtende Rechtsgeschäft unwirksam war und nicht nach der Erbringung der Leistung wirksam geworden ist.“

15

Art. 455 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„Ist eine Frist für die Erbringung der Leistung nicht bestimmt und ergibt sie sich auch nicht aus den Besonderheiten des Schuldverhältnisses, so muss die Leistung unverzüglich erbracht werden, nachdem der Schuldner hierzu aufgefordert worden ist.“

16

In Art. 481 § 1 des Zivilgesetzbuchs heißt es:

„Gerät der Schuldner mit der Erbringung einer Geldleistung in Verzug, so kann der Gläubiger für die Dauer des Verzugs Zinsen verlangen, auch wenn er keinen Schaden erlitten hat und der Verzug auf Umständen beruht, die der Schuldner nicht zu vertreten hat.“

17

Art. 496 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„Haben die Parteien infolge eines Rücktritts vom Vertrag die gegenseitigen Leistungen herauszugeben, so steht jeder von ihnen ein Zurückbehaltungsrecht zu, solange die andere Partei nicht die Herausgabe der erhaltenen Leistung anbietet oder hierfür Sicherheit leistet.“

18

Art. 497 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„Im Fall der Aufhebung oder der Unwirksamkeit eines gegenseitigen Vertrags findet der vorstehende Artikel entsprechende Anwendung.“

19

Art. 5 Abs. 1, 3 und 4 der Ustawa o zmianie ustawy – Kodeks cywilny oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Zivilgesetzbuch und einiger anderer Gesetze) vom 13. April 2018 (Dz. U. 2018, Pos. 1104) bestimmt:

„1.   Auf vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes entstandene und an diesem Tag noch nicht verjährte Ansprüche finden ab dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Vorschriften des [Zivilgesetzbuchs] in der Fassung dieses Gesetzes Anwendung.

3.   Auf vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes entstandene und an diesem Tag noch nicht verjährte Ansprüche eines Verbrauchers, deren Verjährungsfristen in Art. 118 sowie Art. 125 § 1 des [Zivilgesetzbuchs] geregelt sind, finden die Vorschriften des [Zivilgesetzbuchs] in der bisherigen Fassung Anwendung.

4.   Verjährte Ansprüche gegen einen Verbraucher, bezüglich deren die Einrede der Verjährung bis zum Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes nicht erhoben wurde, unterliegen ab diesem Tag den Rechtsfolgen der Verjährung, wie sie [im Zivilgesetzbuch] in der Fassung dieses Gesetzes geregelt sind.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

20

Am 7. September 2007 schlossen TL und WE mit einer Bank, deren Rechtsnachfolgerin die Getin Noble Bank ist, einen auf polnische Zloty lautenden und an den Schweizer Franken gekoppelten Hypothekendarlehensvertrag (im Folgenden: Darlehensvertrag).

21

Nach diesem Vertrag wurde der in polnischen Zloty in Anspruch genommene Darlehensbetrag in einen in Schweizer Franken ausgedrückten Betrag umgerechnet. Für die Umrechnung wandte die Bank den in ihrer Wechselkurstabelle festgelegten Ankaufskurs der letztgenannten Währung an (im Folgenden: Umrechnungsklauseln). TL und WE waren verpflichtet, die monatlichen Raten in polnischen Zloty in einer Höhe zu zahlen, die der in Schweizer Franken ausgedrückten Rate entspricht.

22

Am 27. Juli 2017 richteten TL und WE eine Beschwerde an die Getin Noble Bank, in der sie geltend machten, dass die Umrechnungsklauseln missbräuchlich seien, und von dieser Bank die Rückzahlung der ihr von ihnen bereits gemäß diesen Klauseln gezahlten monatlichen Raten verlangten.

23

Am 28. September 2017 erhoben TL und WE Klage und machten zum einen geltend, dass die Umrechnungsklauseln unzulässig seien, und zum anderen, dass der Darlehensvertrag unwirksam sei. Im Laufe des Verfahrens teilte das angerufene Gericht TL und WE mit, dass der Vertrag für unwirksam erklärt werde, falls diese Klauseln für unzulässig befunden würden. Den Klägern des Ausgangsverfahrens wurde auch mitgeteilt, dass sie in diesem Fall verpflichtet wären, den Darlehensbetrag nach Aufforderung durch die Bank unverzüglich zurückzuzahlen, und dass diese von ihnen die Zahlung höherer Beträge verlangen könnte. In einer mündlichen Verhandlung am 12. November 2021 bekräftigten TL und WE ihren Willen, diese Klauseln nicht zu ersetzen und den Vertrag nicht aufrechtzuerhalten.

24

Mit Zwischenurteil vom 19. November 2021, das nicht rechtskräftig ist, wurde der Darlehensvertrag für unwirksam erklärt.

25

Am 9. Juli 2021 erhielten TL und WE eine Erklärung der Getin Noble Bank, wonach diese ihr Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die TL und WE möglicherweise geschuldete Leistung so lange ausübe, bis diese anböten, ihr die Gegenleistung für diese Leistung, d. h. den Betrag des ihnen von der Bank gemäß dem Darlehensvertrag zur Verfügung gestellten Darlehens, zurückzuzahlen oder eine Sicherheit für den Anspruch auf Rückzahlung dieses Betrags zu stellen.

26

Die Getin Noble Bank machte als Einrede ein Zurückbehaltungsrecht geltend, das ihr aus ihrem Anspruch gegen die Kläger des Ausgangsverfahrens auf Rückzahlung der im Rahmen der Durchführung des Darlehensvertrags gezahlten Beträge zustehe. Ob diese Einrede durchgreifen kann, hängt indessen davon ab, ob dieser Anspruch verjährt ist.

27

TL und WE machen geltend, dass die Verjährungsfrist für die Ansprüche der Getin Noble Bank zu dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, zu dem die in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannte Beschwerde bei der Getin Noble Bank eingegangen sei, oder zu dem Zeitpunkt, zu dem ihr die in Rn. 23 dieses Urteils genannte Klage zugestellt worden sei. Da diese beiden Ereignisse im Jahr 2017 stattgefunden hätten, sei in Bezug auf diese Ansprüche im Laufe des Jahres 2020 Verjährung eingetreten.

28

Die Getin Noble Bank macht geltend, dass die Verjährungsfrist für ihre Ansprüche noch nicht zu laufen begonnen habe. Nach Ansicht dieser Bank läuft diese Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Gericht rechtskräftig über den Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Umrechnungsklauseln und des Darlehensvertrags entschieden hat.

29

Der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen), das vorlegende Gericht, teilt dem Gerichtshof mit, dass nach einem Beschluss des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) vom 7. Mai 2021 erstens eine missbräuchliche Klausel von Rechts wegen von Anfang an unwirksam sei und zweitens ein Verbraucher innerhalb einer angemessenen Frist entscheiden könne, dieser Klausel im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens oder außergerichtlich zuzustimmen oder nicht zuzustimmen, sofern er umfassend über die Rechtsfolgen informiert worden sei, die sich aus ihrer endgültigen Unwirksamkeit ergeben könnten, einschließlich der Rechtsfolgen einer etwaigen anschließenden Unwirksamerklärung des in Rede stehenden Vertrags. Wenn sich ein ordnungsgemäß informierter Verbraucher weigere, der betreffenden missbräuchlichen Klausel zuzustimmen, sei diese unwirksam.

30

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat eine solche Auslegung zur Folge, dass der Vertrag ab dem Zeitpunkt, zu dem der betreffende Verbraucher beschließe, einer solchen Klausel, ohne die der betreffende Vertrag nicht fortbestehen könne, nicht zuzustimmen, oder nach Ablauf dieser angemessenen Frist endgültig unwirksam werde oder, wenn die Voraussetzungen dafür vorlägen, dass er unter Anwendung einer dispositiven Regelung aufrechterhalten werden könne, in Form dieser Regelung rückwirkend wirksam werde.

31

Die Anwendung dieser Auslegung werfe gewisse Probleme auf. Abgesehen davon, dass der betreffende Verbraucher seinen Willen, die in Rede stehenden missbräuchlichen Klauseln anzufechten, erklären und ein gerichtliches Verfahren einleiten müsse, gehe aus dieser Auslegung nicht klar hervor, wann die Verjährungsfristen zu laufen begännen. Zwar ließen sich diese Fristen den allgemeinen Bestimmungen des polnischen Rechts entnehmen, doch stelle sich die Frage, ob diese Bestimmungen mit der Richtlinie 93/13 vereinbar seien.

32

Außerdem meint das vorlegende Gericht, dass die Tragweite des Urteils vom 29. April 2021, Bank BPH (C‑19/20, EU:C:2021:341), zu präzisieren sei. In diesem Zusammenhang ersucht es den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob die Pflicht, einen Verbraucher über die Folgen der Unwirksamkeit missbräuchlicher Klauseln eines Vertrags zu informieren, Auswirkungen auf Rückgewähransprüche haben kann, die nach der Unwirksamerklärung des betreffenden Vertrags geltend gemacht werden. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts scheint sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ergeben, dass die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel nicht nur bedeutet, dass der Verbraucher an diese Klausel nicht gebunden ist, sondern auch, dass er über einen Rückgewähranspruch verfügt, dessen Tragweite nicht von zusätzlichen Erklärungen abhängen kann.

33

Das vorlegende Gericht fragt sich, ob sich die Richtlinie 93/13 auf die polnischen Rechtsvorschriften über die Verjährungsfristen auswirkt. Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach polnischem Recht zum einen die Verpflichtung zur Rückgewähr nicht geschuldeter Leistungen fällig werde, wenn sie nicht unverzüglich erfüllt werde, nachdem der Schuldner der betreffenden Leistung zu ihrer Erbringung aufgefordert worden sei, und zum anderen die Verjährungsfrist dann, wenn die Fälligkeit eines Anspruchs von der Vornahme einer bestimmten Handlung durch den Berechtigten abhänge, an dem Tag zu laufen beginne, an dem der Anspruch fällig geworden wäre, wenn der Berechtigte diese Handlung am frühestmöglichen Termin vorgenommen hätte. Dies sei dahin zu verstehen, dass die Verjährungsfrist für einen solchen Anspruch an einem Tag zu laufen beginne, der nicht genau festgelegt sei, sondern durch den Zeitablauf ab dem Tag bestimmt werde, an dem die nicht geschuldete Leistung erbracht worden sei, wodurch dreierlei ermöglicht werde: Erstens könne die Person, die sie erbracht habe, den Leistungsempfänger zur Rückgabe auffordern, zweitens könne diese Person diese Aufforderung dem Empfänger zur Kenntnis bringen und drittens könne der Leistungsempfänger die Leistung „unverzüglich“ zurückgewähren.

34

Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgenommene Auslegung dieser Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach dieser Auslegung die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Rückgewähr nicht geschuldeter Leistungen, die einem Gewerbetreibenden wegen der Unwirksamkeit eines Vertrags im Zusammenhang mit der Missbräuchlichkeit einer seiner Klauseln zustünden, erst zu laufen beginnen könne, nachdem der betreffende Vertrag endgültig unwirksam geworden sei. Dieser Vertrag sei indessen schwebend unwirksam, bis der betreffende Verbraucher diesen Zustand beende, was ihm jederzeit möglich sei, indem er sich entweder damit einverstanden erkläre, an die betreffende Klausel gebunden zu sein, oder dies ablehne. Zur Verjährungsfrist für Ansprüche des Verbrauchers auf Rückgewähr nicht geschuldeter Leistungen führt das vorlegende Gericht aus, dass diese Frist nicht zu laufen beginnen könne, bevor der Verbraucher von der Missbräuchlichkeit der Klausel Kenntnis erlangt habe oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen.

35

Zwar hänge der Beginn der Verjährungsfrist für Ansprüche des Gewerbetreibenden auf Rückgewähr nicht geschuldeter Leistungen von einem aktiven Verhalten des Verbrauchers ab, doch könne der Gewerbetreibende von jeder Haftung für missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag befreit werden, sofern der Verbraucher nicht tätig werde, um den Vertrag anzufechten und seine Rechte geltend zu machen. Diese Auslegung scheint dem vorlegenden Gericht gegen die Richtlinie 93/13 zu verstoßen, da ein Gewerbetreibender, der wisse, dass ein Verbraucher seine Ansprüche wegen Verjährung verlieren könne, nicht davon abgeschreckt würde, missbräuchliche Klauseln in Verträge aufzunehmen, und im Übrigen nicht nur versucht wäre, solche Klauseln anzuwenden, sondern auch, die Erfüllung dieser Verträge fortzusetzen und dabei den Umstand auszunutzen, dass ein Verbraucher seine Rechte nicht unbedingt kenne und sie ihm nicht unbedingt bewusst seien.

36

Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht, ob die dem Verbraucher auferlegten zusätzlichen Anforderungen, die sich daraus ergäben, dass er neben der Geltendmachung klar definierter Ansprüche auch eine Erklärung abgeben müsse, dass er sich der Folgen der Anfechtung der in Rede stehenden missbräuchlichen Vertragsklauseln bewusst sei, mit der Richtlinie 93/13 vereinbar sind. Wenn ein Verbraucher außergerichtlich die Rückgewähr begehre, könne der Gewerbetreibende, an den das Begehren gerichtet werde, indessen nicht sicher sein, dass der Verbraucher ordnungsgemäß über die Folgen der Unwirksamerklärung des betreffenden Vertrags informiert worden sei, wie es das Unionsrecht verlange. Das vorlegende Gericht ist offenbar der Ansicht, dass sich aus dieser Feststellung ergebe, dass der Verbraucher neben einer Beschwerde zusätzliche Erklärungen abgeben und die Beschwerde sogar im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nachprüfen lassen müsse.

37

Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass in einem gerichtlichen Verfahren das Fehlen einer solchen Erklärung durch die Erfüllung der Verpflichtung des angerufenen Gerichts, den betreffenden Verbraucher über diese Folgen zu informieren, und durch die Aufrechterhaltung des Rückgewähranspruchs des Verbrauchers ersetzt werden könne.

38

Die Schlussfolgerung, zu der der Gerichtshof im Urteil vom 29. April 2021, Bank BPH (C‑19/20, EU:C:2021:341), gelangt sei, wonach ein nationales Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines von einem Gewerbetreibenden mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrags feststelle, verpflichtet sei, den Verbraucher über die Folgen der Unwirksamerklärung dieses Vertrags zu informieren, unabhängig davon, ob der Verbraucher durch einen professionellen Bevollmächtigten vertreten werde, müsse auf Sachverhalte wie den beschränkt werden, der in der Rechtssache in Rede gestanden habe, in der jenes Urteil ergangen sei, d. h., wenn das nationale Gericht die Gültigkeit des betreffenden Vertrags von Amts wegen geprüft habe. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stünde eine weite Auslegung dieses Ergebnisses nicht im Einklang mit dem Verbraucherschutzsystem, das auf dem Grundsatz beruhe, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher Schutz genieße, ohne jedoch „eine gesonderte Prüfung der Kenntnis des Verbrauchers zu verlangen, um anzuerkennen, dass seine Erklärung die vorgesehenen Wirkungen entfaltet hat“.

39

Außerdem habe die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgenommene Auslegung auch zur Folge, dass ein Gewerbetreibender mit der Erbringung der Leistung erst dann in Verzug gerate, wenn das Urteil, mit dem die Unwirksamkeit des Vertrags wegen missbräuchlicher Klauseln festgestellt werde, rechtskräftig werde, was den Anspruch des betreffenden Verbrauchers auf Zahlung von Zinsen für den Zeitraum zwischen der Stellung des Rückgewährantrags und dem Tag der Rechtskraft dieses Urteils ausschließe. Dies stelle – unter Verstoß gegen die Richtlinie 93/13 – einen Anreiz für die Gewerbetreibenden dar, solche Ansprüche systematisch zurückzuweisen und dabei zum einen darauf zu vertrauen, dass bestimmte Verbraucher auf die Geltendmachung ihrer Rechte vor Gericht verzichteten, und zum anderen darauf, dass sie, selbst wenn einige Verbraucher Klagen erheben sollten, nicht den praktischen Folgen eines Zahlungsverzugs ausgesetzt wären.

40

Das vorlegende Gericht fragt sich auch, ob es nicht zu einer erheblichen Schwächung der Stellung des betreffenden Verbrauchers führen würde und damit die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 93/13 gefährden könnte, wenn die endgültige Unverbindlichkeit eines Vertrags von der rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits über die Missbräuchlichkeit der Klauseln des betreffenden Vertrags durch das Gericht abhängig gemacht würde.

41

Für den Fall, dass die Richtlinie 93/13 dem nicht entgegensteht, dass die Folgen der Unwirksamkeit eines Vertrags erst eintreten, nachdem der betreffende Verbraucher erklärt hat, er sei umfassend über die sich aus dieser Unwirksamkeit ergebenden Folgen informiert worden, fragt sich das vorlegende Gericht, ob diese Richtlinie verlangt, dass ein Gewerbetreibender, von dem eine Rückgewähr begehrt wird, von sich aus prüfen muss, ob der betreffende Verbraucher sich dieser Folgen bewusst ist.

42

Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach polnischem Recht der Beginn der Verjährungsfrist für Ansprüche eines Gewerbetreibenden, die sich aus der Unwirksamkeit eines Vertrags ergäben, von dem Zeitpunkt abhänge, zu dem er den betreffenden Verbraucher zur Rückgewähr der fraglichen Leistung hätte auffordern können. Zwar stehe die einseitige Nichtanwendbarkeit der missbräuchlichen Vertragsklauseln einer solchen Aufforderung entgegen, doch stelle sich die Frage, ob der Gewerbetreibende prüfen müsse, ob die an ihn gerichtete Aufforderung des Verbrauchers zur Leistung wirksam sei, insbesondere indem er ihm Erläuterungen zu den gegenseitigen Rechten und Pflichten im Fall der Unwirksamerklärung des Vertrags gebe.

43

Für den Fall, dass es zulässig sein sollte, den Beginn der Verjährungsfrist für Ansprüche eines Gewerbetreibenden im Zusammenhang mit der Unwirksamkeit eines Vertrags von einem Ereignis abhängig zu machen, das nach dem Eingang des Rückgewährbegehrens des betreffenden Verbrauchers bei dem Gewerbetreibenden oder einer anderen Anfechtung der Wirksamkeit oder der Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Vertragsklauseln eingetreten ist, wirft das vorlegende Gericht die Frage nach der Vereinbarkeit einer solchen Lösung mit der Richtlinie 93/13 auf, da diese Frist im polnischen Recht erst zu laufen beginne, wenn ein Vertrag endgültig für unwirksam erklärt worden sei.

44

Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine Situation, in der die Rückgewähransprüche eines Verbrauchers gegen einen Gewerbetreibenden unabhängig von der Verjährung der Rückgewähransprüche des betreffenden Gewerbetreibenden verjähren, mit der Richtlinie 93/13 vereinbar ist, da dies dazu führen könnte, dass diese Ansprüche verjährt seien, bevor der Gewerbetreibende sein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf sämtliche Leistungen geltend mache, die er dem Verbraucher erbracht habe. In diesem Fall würde die teilweise Rückgewähr der vom Verbraucher erbrachten Leistungen durch den Gewerbetreibenden davon abhängig gemacht, dass der Verbraucher die Rückgewähr der Gesamtheit der ihm von dem Gewerbetreibenden erbrachten Leistungen anbiete.

45

Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Annahme, dass ein Gewerbetreibender nicht ab dem Zeitpunkt in Verzug gerät, zu dem er zur Rückgewähr der nicht geschuldeten Leistungen aufgefordert wird, sondern erst ab dem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass der betreffende Verbraucher Kenntnis von den Folgen der Unwirksamkeit des in Rede stehenden Vertrags hat und auf einen Schutz vor diesen Folgen verzichtet, mit der Richtlinie 93/13 vereinbar wäre. Eine solche Auslegung hätte zur Folge, dass einem Verbraucher sein Anspruch auf Verzugszinsen für einen Zeitraum, der sich unter Berücksichtigung der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens über mehrere Jahre erstrecken könne, genommen würde.

46

Das vorlegende Gericht teilt dem Gerichtshof mit, dass nach einer von den polnischen Gerichten allgemein anerkannten Auslegung des polnischen Rechts die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch einen Schuldner zur Beendigung des Verzugs führe. Der Verzug des Schuldners sei aber eine Vorbedingung für die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen. Diese Auslegung beruhe somit auf der Prämisse, dass der betreffende Schuldner bereit sei, zu leisten, aber über ein Recht verfüge, das seinem Gläubiger entgegengehalten werden könne und ihn von der Verpflichtung zur unverzüglichen Erfüllung entbinde.

47

Im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über Rechte aus der Richtlinie 93/13 bestritten Gewerbetreibende wie der Beklagte des Ausgangsverfahrens die Begründetheit der Ansprüche der Verbraucher und seien daher nicht bereit, den Verbrauchern die betreffenden Leistungen zurück zu gewähren. Das vorlegende Gericht äußert jedoch ernste Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der von den polnischen Gerichten vorgenommenen Auslegung der Vorschriften des polnischen Rechts über die Verjährungsfristen mit der Richtlinie 93/13, da diese Auslegung zur Folge habe, dass Gewerbetreibende die berechtigten Ansprüche von Verbrauchern zurückwiesen und nicht für die ungerechtfertigte Nutzung der in Rede stehenden Mittel und ihre verspätete Rückgewähr an die betreffenden Verbraucher haftbar gemacht würden.

48

Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist eine Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar, wonach, wenn ein Vertrag nach der Entfernung [darin enthaltener] unzulässiger Klauseln nicht fortbestehen kann, der Beginn der Verjährungsfrist für Herausgabeansprüche des Gewerbetreibenden vom Eintritt eines der folgenden Ereignisse abhängt:

a)

der Geltendmachung von Ansprüchen oder der Erhebung von Einreden durch den Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden, die auf die Unzulässigkeit der Vertragsklauseln gestützt werden, oder der von Amts wegen erfolgten Erteilung eines gerichtlichen Hinweises über die Möglichkeit der Feststellung der Unzulässigkeit der Klauseln oder

b)

der Abgabe einer Erklärung des Verbrauchers, dass er umfassend darüber belehrt wurde, welche Folgen (rechtlichen Konsequenzen) sich ergeben, wenn der Vertrag nicht fortbestehen kann, und zwar auch über mögliche Herausgabeansprüche des Gewerbetreibenden und deren Umfang, oder

c)

einer gerichtlichen Überprüfung, ob der Verbraucher Kenntnis davon hat (sich bewusst ist), welche Folgen (rechtlichen Konsequenzen) sich ergeben, wenn der Vertrag nicht fortbestehen kann, oder einer gerichtlichen Belehrung hierüber oder

d)

eines rechtskräftigen Gerichtsurteils in einem streitigen Verfahren zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden?

2.

Ist eine Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar, wonach, wenn ein Vertrag nach der Entfernung [darin enthaltener] unzulässiger Klauseln nicht fortbestehen kann, der Gewerbetreibende, gegen den der Verbraucher Ansprüche wegen der in dem Vertrag enthaltenen unzulässigen Klauseln geltend macht, nicht verpflichtet ist, selbst zu überprüfen, ob dem Verbraucher bewusst ist, welche Folgen sich ergeben, wenn die unzulässigen Klauseln aus dem Vertrag entfernt werden oder der Vertrag nicht fortbestehen kann?

3.

Ist eine Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar, wonach, wenn ein Vertrag nach der Entfernung [darin enthaltener] unzulässiger Klauseln nicht fortbestehen kann, die Verjährungsfrist für den Herausgabeanspruch des Verbrauchers noch vor Beginn der Verjährungsfrist für Herausgabeansprüche des Gewerbetreibenden beginnt?

4.

Ist eine Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar, wonach, wenn ein Vertrag nach der Entfernung [darin enthaltener] unzulässiger Klauseln nicht fortbestehen kann, der Gewerbetreibende berechtigt ist, die Herausgabe von Leistungen des Verbrauchers davon abhängig zu machen, dass der Verbraucher die Herausgabe der vom Gewerbetreibenden erbrachten Leistungen anbietet oder hierfür Sicherheit leistet, wobei bei der Bestimmung der Höhe der vom Verbraucher geschuldeten Leistung solche Beträge nicht zu berücksichtigen sind, bezüglich deren der Herausgabeanspruch bereits verjährt ist?

5.

Ist eine Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar, wonach, wenn ein Vertrag nach der Entfernung [darin enthaltener] unzulässiger Klauseln nicht fortbestehen kann, dem Verbraucher für den Zeitraum vom Zugang der Aufforderung an den Gewerbetreibenden bis zur Herausgabe der Leistungen insgesamt oder teilweise kein Anspruch auf [Zinsen] zusteht, wenn der Gewerbetreibende von seinem in der vierten Vorlagefrage genannten Recht Gebrauch macht?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

49

Die Getin Noble Bank macht geltend, das Vorabentscheidungsersuchen ziele im Wesentlichen auf die Auslegung des polnischen Rechts durch den Gerichtshof ab, was nicht in dessen Zuständigkeit falle.

50

Hierzu ist festzustellen, dass das Vorbringen der Getin Noble Bank auf der falschen Prämisse beruht, dass die von den Mitgliedstaaten vorgenommene Ausübung ihres Rechts, die Bedingungen festzulegen, unter denen die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel erfolgt und die konkreten Rechtswirkungen dieser Feststellung eintreten, nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 66).

51

Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass durch die Einbettung des den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 gewährten Schutzes in das nationale Recht nicht die Tragweite und folglich das Wesen dieses Schutzes geändert und somit die vom Unionsgesetzgeber ausweislich des zehnten Erwägungsgrundes der Richtlinie 93/13 angestrebte Verbesserung des Schutzes durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln in Frage gestellt werden kann (Urteil vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Soweit sich das Vorbringen der Getin Noble Bank auf die erste Vorlagefrage und den Umstand bezieht, dass in dieser Frage nicht angegeben werde, welche der dort unter den Buchst. a bis d genannten Auslegungen des polnischen Rechts in der polnischen Rechtsordnung vorgenommen werde, ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ist aber ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen. Die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass die Beantwortung der Vorlagefragen für die Entscheidung eines konkreten Rechtsstreits erforderlich ist. Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, muss die erbetene Vorabentscheidung „erforderlich“ sein, um dem vorlegenden Gericht den „Erlass seines Urteils“ in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen (Beschluss vom 7. April 2022, J. P., C‑521/20, EU:C:2022:293, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Zweitens ist der Gerichtshof im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens weder zur Auslegung innerstaatlicher Rechts- oder Verwaltungsvorschriften noch zu Äußerungen über deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht befugt. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof nämlich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV nur das Unionsrecht in den Grenzen der der Union übertragenen Zuständigkeiten auslegen (Beschluss vom 10. Januar 2022, Anatecor, C‑400/21, EU:C:2022:30, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Der Gerichtshof hat jedoch im Fall ungenau formulierter oder den Rahmen seiner Befugnisse nach Art. 267 AEUV überschreitender Fragen aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die angesichts des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Januar 2022, Anatecor, C‑400/21, EU:C:2022:30, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen zum einen hervor, dass der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinem Beschluss vom 7. Mai 2021 eine Auslegung des polnischen Rechts vertreten hat, wonach die Verjährungsfrist für Ansprüche von Gewerbetreibenden, die sich aus der Unwirksamkeit eines Hypothekendarlehensvertrags mit missbräuchlichen Klauseln ergeben, erst zu laufen beginnt, wenn dieser Vertrag endgültig unwirksam wird oder ein Urteil, mit dem die Unwirksamkeit dieses Vertrags festgestellt wird, rechtskräftig wird.

56

Zum anderen ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof in Anbetracht seiner Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Auslegung des nationalen Rechts mit der Richtlinie 93/13 in Bezug auf den Beginn der Verjährungsfrist für Rückgewähransprüche, die sich aus der Unwirksamkeit eines Vertrags wegen darin enthaltener missbräuchlicher Klauseln ergeben, nicht darum, selbst das nationale Recht auszulegen, sondern legt verschiedene mögliche Zeitpunkte für den Beginn dieser Frist dar und fragt den Gerichtshof im Wesentlichen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie diesen entgegenstehen oder nicht.

57

Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die erste Frage die Auslegung des polnischen Rechts betrifft, so dass das Vorbringen der Getin Noble Bank in Bezug auf die Unzuständigkeit des Gerichtshofs zurückzuweisen ist.

58

Nach alledem ist der Gerichtshof für die Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen zuständig.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur dritten Frage

59

Mit seiner ersten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der, wenn ein Hypothekendarlehensvertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, aufgrund missbräuchlicher Klauseln in diesem Vertrag für unwirksam erklärt worden ist, die Verjährungsfrist für Ansprüche des Gewerbetreibenden, die sich aus der Unwirksamkeit des Vertrags ergeben, erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Vertrag endgültig unwirksam wird, während die Verjährungsfrist für Ansprüche des Verbrauchers, die sich aus der Unwirksamkeit desselben Vertrags ergeben, zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem er von der Missbräuchlichkeit der Klausel, die zu dieser Unwirksamkeit führt, Kenntnis erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen.

60

Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Modalitäten der Umsetzung des in der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Verbraucherschutzes nach ständiger Rechtsprechung mangels spezifischer Vorschriften des Unionsrechts in diesem Bereich nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen sind. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 8. September 2022, D.B.P. u. a. [Auf eine Fremdwährung lautendes Hypothekendarlehen], C‑80/21 bis C‑82/21, EU:C:2022:646, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Zweitens ist in Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz darauf hinzuweisen, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteil vom 8. September 2022, D.B.P. u. a. [Auf eine Fremdwährung lautendes Hypothekendarlehen], C‑80/21 bis C‑82/21, EU:C:2022:646, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Drittens und letztens hat der Gerichtshof präzisiert, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Effektivität der Rechte sicherzustellen, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, insbesondere für die Rechte aus der Richtlinie 93/13 das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, das auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, impliziert; dieses Erfordernis gilt u. a. für die Festlegung der Verfahrensmodalitäten für Klagen, die sich auf solche Rechte stützen (Urteil vom 8. September 2022, D.B.P. u. a. [Auf eine Fremdwährung lautendes Hypothekendarlehen], C‑80/21 bis C‑82/21, EU:C:2022:646, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Im vorliegenden Fall betreffen die erste und die dritte Frage insbesondere die mögliche Asymmetrie der Rechtsbehelfe, die das polnische Recht zum einen für Gewerbetreibende und zum anderen für Verbraucher vorsieht, und zwar in Bezug auf den Beginn der Verjährungsfrist für Rückgewähransprüche, die sich aus der Unwirksamkeit eines Vertrags wegen darin enthaltener missbräuchlicher Klauseln ergeben.

64

Insoweit hat der Gerichtshof im Rahmen einer Rechtssache, in der es um die Festlegung einer zeitlichen Begrenzung für die Befugnis des Gerichts ging, eine missbräuchliche Klausel von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin unangewendet zu lassen, festgestellt, dass die Festlegung einer solchen Begrenzung geeignet war, die Effektivität des in den Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Schutzes zu beeinträchtigen, da die Gewerbetreibenden, um dem Verbraucher diesen Schutz zu nehmen, nur den Ablauf der vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Frist abzuwarten bräuchten, um sodann die Durchsetzung der weiter in ihren Verträgen verwendeten missbräuchlichen Klauseln zu betreiben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 2002, Cofidis, C‑473/00, EU:C:2002:705, Rn. 35).

65

Mit einem entsprechenden Ansatz hat Generalanwältin Kokott in den Nrn. 63 bis 67 ihrer Schlussanträge in den Rechtssachen Cofidis und OPR-Finance (C‑616/18 und C‑679/18, EU:C:2019:975) zur Auslegung der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66) im Wesentlichen ausgeführt, dass unterschiedliche nationale Verjährungsfristen zum einen für Gewerbetreibende und zum anderen für Verbraucher eine Asymmetrie der Rechtsbehelfe schaffen, die die Effektivität des mit dieser Richtlinie vorgesehenen Schutzes beeinträchtigen kann.

66

Eine Situation, in der die Verjährungsfrist für Ansprüche eines Verbrauchers, die sich aus der Unwirksamkeit eines Hypothekendarlehensvertrags ergeben, vor dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem die endgültige Unwirksamkeit dieses Vertrags von einem Gericht festgestellt wird – auch wenn diese Frist nicht abläuft, bevor der Verbraucher von seinen Rechten Kenntnis erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen können –, während die Verjährungsfrist für die entsprechenden Ansprüche des Gewerbetreibenden zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem diese endgültige Unwirksamkeit von einem Gericht festgestellt wird, bewirkt somit eine Asymmetrie, die den Schutz, den die Richtlinie 93/13 dem Verbraucher gewährleistet, beeinträchtigen kann.

67

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Hypothekendarlehensverträge im Allgemeinen über lange Zeiträume erfüllt werden, so dass sich selbst eine für Rückgewähransprüche von Verbrauchern geltende Verjährungsfrist von sechs oder zehn Jahren unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar erweisen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2022, D.B.P. u. a. [Auf eine Fremdwährung lautendes Hypothekendarlehen], C‑80/21 bis C‑82/21, EU:C:2022:646, Rn. 100).

68

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass der Verbraucher die ihm nach der Richtlinie 93/13 zustehenden Rechte sowohl vor einem Gericht als auch – wie im vorliegenden Fall – außergerichtlich geltend machen kann, um der Missbräuchlichkeit einer Klausel eventuell dadurch abhelfen zu können, dass sie durch einen Vertrag geändert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2021, Bank BPH, C‑19/20, EU:C:2021:341, Rn. 49), ohne dass dieses Recht durch das nationale Recht begrenzt wird.

69

So ergibt sich aus Rn. 29 des vorliegenden Urteils, dass nach der vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinem Beschluss vom 7. Mai 2021 vorgenommenen Auslegung des polnischen Rechts ein Verbraucher, sofern er umfassend über die Rechtsfolgen der endgültigen Unwirksamkeit einer missbräuchlichen Klausel informiert ist, dieser Klausel sowohl im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens als auch außergerichtlich zustimmen oder seine Zustimmung verweigern kann.

70

Da nicht ausgeschlossen werden kann – was jedoch vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist –, dass nach polnischem Recht bei einem Verbraucher, der eine außergerichtliche Beschwerde einlegt, davon ausgegangen wird, dass er die ihm aus der Richtlinie 93/13 erwachsenden Rechte kennt, wenn der Beschwerde eine ausdrückliche Erklärung beiliegt, nach der er über die Rechtsfolgen der eventuellen Unwirksamerklärung des betreffenden Vertrags vollumfänglich informiert wurde, wird die Gefahr nicht beseitigt, dass die Verjährungsfrist für die Ansprüche eines Verbrauchers, die sich aus der Unwirksamkeit eines Hypothekendarlehensvertrags ergeben, endet, noch ehe die Verjährungsfrist für die entsprechenden Ansprüche des Gewerbetreibenden zu laufen beginnt.

71

Im Übrigen hätte nach den in Rn. 39 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Angaben des vorlegenden Gerichts die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinem Beschluss vom 7. Mai 2021 vorgenommene Auslegung des polnischen Rechts, die bedeutet, dass die Verjährungsfrist für Ansprüche eines Gewerbetreibenden erst ab dem Tag zu laufen beginnt, an dem ein Urteil, mit dem die Unwirksamkeit des in Rede stehenden Hypothekendarlehensvertrags festgestellt wird, rechtskräftig wird, auch zur Folge, dass der Gewerbetreibende mit der Vertragserfüllung erst ab diesem Zeitpunkt in Verzug gerät. Daher könnte der betreffende Verbraucher, falls seine Rückgewähransprüche nicht verjährt sein sollten, nicht ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung seines Anspruchs auf Rückgewähr der aufgrund der missbräuchlichen Klauseln in diesem Vertrag gezahlten Beträge Verzugszinsen erhalten, was dem Gewerbetreibenden unter Verstoß gegen die Richtlinie 93/13 einen Anreiz gäbe, solche Ansprüche systematisch zurückzuweisen.

72

Somit kann eine Asymmetrie der Rechtsbehelfe wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende dem Gewerbetreibenden insofern umso mehr einen Anreiz dazu geben, nach einer außergerichtlichen Beschwerde des Verbrauchers untätig zu bleiben oder die außergerichtliche Phase durch fortdauernde Verhandlungen in die Länge zu ziehen, damit die Verjährungsfrist für die Ansprüche des Verbrauchers abläuft, als zum einen die Verjährungsfrist für seine eigenen Ansprüche erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem die endgültige Unwirksamkeit des betreffenden Hypothekendarlehensvertrags durch ein Gericht festgestellt wird, und zum anderen die Dauer der außergerichtlichen Phase keine Auswirkungen auf die dem Verbraucher geschuldeten Zinsen hat.

73

Eine solche Asymmetrie kann daher erstens gegen den in den Rn. 60 und 61 des vorliegenden Urteils angeführten Effektivitätsgrundsatz verstoßen, wonach die Modalitäten der Umsetzung des in der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Verbraucherschutzes nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

74

Zweitens und letztens kann mit einer solchen Asymmetrie der Abschreckungseffekt in Frage gestellt werden, der sich nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit ihrem Art. 7 Abs. 1 an die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit Verbrauchern geschlossen hat, knüpfen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75

Nach alledem ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der, wenn ein Hypothekendarlehensvertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, aufgrund missbräuchlicher Klauseln in diesem Vertrag für unwirksam erklärt worden ist, die Verjährungsfrist für Ansprüche des Gewerbetreibenden, die sich aus der Unwirksamkeit des Vertrags ergeben, erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Vertrag endgültig unwirksam wird, während die Verjährungsfrist für Ansprüche des Verbrauchers, die sich aus der Unwirksamkeit desselben Vertrags ergeben, zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem er von der Missbräuchlichkeit der Klausel, die zu dieser Unwirksamkeit führt, Kenntnis erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen.

Zur zweiten Frage

76

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der ein Gewerbetreibender, der einen Hypothekendarlehensvertrag mit einem Verbraucher geschlossen hat, nicht prüfen muss, ob der Verbraucher Kenntnis von den Folgen der Entfernung der in diesem Vertrag enthaltenen missbräuchlichen Klauseln oder davon hat, dass der Vertrag im Fall der Entfernung dieser Klauseln nicht fortbestehen kann.

77

Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass das mit einem Rechtsstreit in Bezug auf die Richtlinie 93/13 befasste nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, prüfen und damit der Unausgewogenheit zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen muss, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová, C‑377/14, EU:C:2016:283, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78

Zur Gewährleistung des mit der Richtlinie 93/13 gewollten Schutzes kann die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem nur durch ein positives und von den Vertragsparteien unabhängiges Eingreifen des nationalen Gerichts, bei dem derartige Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, ausgeglichen werden (Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová, C‑377/14, EU:C:2016:283, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79

Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass das mit der Richtlinie 93/13 vorgesehene System die Parteien eines Vertrags nicht daran hindern kann, der Missbräuchlichkeit einer darin enthaltenen Klausel dadurch abzuhelfen, dass sie durch einen Vertrag geändert wird, sofern zum einen der Verzicht des Verbrauchers auf die Geltendmachung der Missbräuchlichkeit auf seine freie und aufgeklärte Zustimmung zurückgeht und zum anderen die neue Änderungsklausel nicht selbst missbräuchlich ist, doch können sowohl ein solcher Verzicht als auch die Missbräuchlichkeit der neuen Änderungsklausel Gegenstand eines neuen Rechtsstreits sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2021, Bank BPH, C‑19/20, EU:C:2021:341, Rn. 49 bis 51).

80

Dementsprechend muss ein Kreditinstitut, auch wenn es Sache der Kreditinstitute ist, ihre Tätigkeiten im Einklang mit der Richtlinie 93/13 zu organisieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 83), nichtsdestoweniger nicht prüfen, ob ein Verbraucher, mit dem es einen Hypothekendarlehensvertrag geschlossen hat, Kenntnis von den Folgen der Entfernung der in diesem Vertrag enthaltenen missbräuchlichen Klauseln hat.

81

Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts nicht entgegenstehen, nach der ein Gewerbetreibender, der einen Hypothekendarlehensvertrag mit einem Verbraucher geschlossen hat, nicht prüfen muss, ob der Verbraucher Kenntnis von den Folgen der Entfernung der in diesem Vertrag enthaltenen missbräuchlichen Klauseln oder davon hat, dass der Vertrag im Fall der Entfernung dieser Klauseln nicht fortbestehen kann.

Zur vierten Frage

82

In Anbetracht der Antwort auf die erste und die dritte Frage ist die vierte Frage, die für den Fall gestellt worden ist, dass die Richtlinie 93/13 einer Verjährung der Rückgewähransprüche des Verbrauchers unabhängig von der Verjährung der Ansprüche des Gewerbetreibenden nicht entgegensteht, nicht zu beantworten.

Zur fünften Frage

83

Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der ein Gewerbetreibender, wenn ein Hypothekendarlehensvertrag, den er mit einem Verbraucher geschlossen hat, nach der Entfernung von darin enthaltenen unzulässigen Klauseln nicht fortbestehen kann, ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann, das es ihm erlaubt, die Rückgewähr der Leistungen, die er von dem betreffenden Verbraucher erhalten hat, davon abhängig zu machen, dass dieser ein Angebot zur Rückgewähr der Leistungen macht, die er selbst von dem Gewerbetreibenden erhalten hat, oder eine Sicherheit für die Rückgewähr dieser Leistungen stellt, wenn die Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts durch den Gewerbetreibenden dazu führt, dass der Verbraucher den Anspruch darauf verliert, ab dem Ablauf der dem Gewerbetreibenden gesetzten Frist für die Leistung – nachdem dieser eine Aufforderung zur Rückgewähr der ihm in Erfüllung des Vertrags gezahlten Leistungen erhalten hat – Verzugszinsen zu erhalten.

84

Aus der Vorlageentscheidung scheint sich zu ergeben, dass nach einer gerichtlichen Auslegung des polnischen Rechts im Fall der Unwirksamkeit eines Vertrags der Verzug einer Partei dadurch endet, dass diese Partei ihr Recht auf Zurückbehaltung der der anderen Partei geschuldeten Leistung ausübt, bis diese entweder die Erfüllung angeboten oder eine Sicherheit für die Erbringung der von ihr selbst geschuldeten Leistung gestellt hat. Ohne die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinem Beschluss vom 7. Mai 2021 vorgenommene Auslegung wären dem Verbraucher somit ab dem Ablauf der dem Gewerbetreibenden gesetzten Frist für die Leistung – nachdem dieser eine entsprechende Aufforderung durch den Verbraucher erhalten hat – bis zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Einrede der Zurückbehaltung Verzugszinsen zu zahlen.

85

Da sich nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts aus dem genannten Beschluss ergibt, dass sich der Gewerbetreibende vor dem Zeitpunkt, zu dem der betreffende Hypothekendarlehensvertrag endgültig unwirksam wird, nicht in Verzug befindet, verliert der Verbraucher demnach den Anspruch auf einen Teil der Verzugszinsen oder auf die gesamten Verzugszinsen, wodurch seine rechtliche und finanzielle Stellung weiter verschlechtert wird.

86

Die Wirksamkeit des den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 gewährten Schutzes würde jedoch beeinträchtigt, wenn die Verbraucher, wenn sie sich auf ihre Rechte aus dieser Richtlinie berufen, Gefahr liefen, dass es ihnen verwehrt ist, auf die Beträge, die ihnen aufgrund der Unwirksamkeit eines solchen Vertrags zurückzuerstatten sind, ab dem Ablauf der dem Gewerbetreibenden gesetzten Frist für die Leistung – nachdem dieser eine Aufforderung zur Rückerstattung der entsprechenden Beträge erhalten hat – Verzugszinsen zu erhalten.

87

Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der ein Gewerbetreibender, wenn ein Hypothekendarlehensvertrag, den er mit einem Verbraucher geschlossen hat, nach der Entfernung von darin enthaltenen unzulässigen Klauseln nicht fortbestehen kann, ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann, das es ihm erlaubt, die Rückgewähr der Leistungen, die er von dem betreffenden Verbraucher erhalten hat, davon abhängig zu machen, dass dieser ein Angebot zur Rückgewähr der Leistungen macht, die er selbst von dem Gewerbetreibenden erhalten hat, oder eine Sicherheit für die Rückgewähr dieser Leistungen stellt, wenn die Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts durch den Gewerbetreibenden dazu führt, dass der Verbraucher den Anspruch darauf verliert, ab dem Ablauf der dem Gewerbetreibenden gesetzten Frist für die Leistung – nachdem dieser eine Aufforderung zur Rückgewähr der ihm in Erfüllung des Vertrags gezahlten Leistungen erhalten hat – Verzugszinsen zu erhalten.

Kosten

88

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind im Licht des Effektivitätsgrundsatzes

dahin auszulegen, dass

sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der, wenn ein Hypothekendarlehensvertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, aufgrund missbräuchlicher Klauseln in diesem Vertrag für unwirksam erklärt worden ist, die Verjährungsfrist für Ansprüche des Gewerbetreibenden, die sich aus der Unwirksamkeit des Vertrags ergeben, erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Vertrag endgültig unwirksam wird, während die Verjährungsfrist für Ansprüche des Verbrauchers, die sich aus der Unwirksamkeit desselben Vertrags ergeben, zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem er von der Missbräuchlichkeit der Klausel, die zu dieser Unwirksamkeit führt, Kenntnis erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen.

 

2.

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13

sind dahin auszulegen, dass

sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts nicht entgegenstehen, nach der ein Gewerbetreibender, der einen Hypothekendarlehensvertrag mit einem Verbraucher geschlossen hat, nicht prüfen muss, ob der Verbraucher Kenntnis von den Folgen der Entfernung der in diesem Vertrag enthaltenen missbräuchlichen Klauseln oder davon hat, dass der Vertrag im Fall der Entfernung dieser Klauseln nicht fortbestehen kann.

 

3.

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sind im Licht des Effektivitätsgrundsatzes

dahin auszulegen, dass

sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der ein Gewerbetreibender, wenn ein Hypothekendarlehensvertrag, den er mit einem Verbraucher geschlossen hat, nach der Entfernung von darin enthaltenen unzulässigen Klauseln nicht fortbestehen kann, ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann, das es ihm erlaubt, die Rückgewähr der Leistungen, die er von dem betreffenden Verbraucher erhalten hat, davon abhängig zu machen, dass dieser ein Angebot zur Rückgewähr der Leistungen macht, die er selbst von dem Gewerbetreibenden erhalten hat, oder eine Sicherheit für die Rückgewähr dieser Leistungen stellt, wenn die Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts durch den Gewerbetreibenden dazu führt, dass der Verbraucher den Anspruch darauf verliert, ab dem Ablauf der dem Gewerbetreibenden gesetzten Frist für die Leistung – nachdem dieser eine Aufforderung zur Rückgewähr der ihm in Erfüllung des Vertrags gezahlten Leistungen erhalten hat – Verzugszinsen zu erhalten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.