SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 14. Juli 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑682/20 P

Les Mousquetaires,

ITM Entreprises SAS

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Nachprüfung angeordnet wird – Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Rüge des Fehlens eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen die Umstände der Durchführung von Nachprüfungsbeschlüssen – Beschluss der Kommission, auf die auf Kommunikationsmitteln und Datenträgern gespeicherten Daten aus dem Privatleben der Nutzer zuzugreifen und sie zu kopieren – Zurückweisung des Antrags der Rechtsmittelführerinnen auf Rückgabe der betreffenden Daten – Nichtigkeitsklage“

1.

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen Les Mousquetaires SAS (im Folgenden: LM) und ITM Entreprises SAS (im Folgenden: ITM oder Intermarché, zusammen mit LM: Rechtsmittelführerinnen) die teilweise Nichtigerklärung des Urteils des Gerichts vom 5. Oktober 2020, Les Mousquetaires und ITM Entreprises/Kommission (T‑255/17, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2020:460), mit dem dieses ihre auf Art. 263 AEUV gestützte Klage auf Nichtigerklärung erstens von zwei Beschlüssen der Kommission vom 21. Februar 2017 ( 2 ), mit denen LM sowie allen unmittelbar oder mittelbar von ihr kontrollierten Gesellschaften aufgegeben wird, eine Nachprüfung gemäß Art. 20 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ( 3 ) zu dulden, hilfsweise, zwei Beschlüssen der Kommission vom 9. Februar 2017, mit denen ITM sowie allen unmittelbar oder mittelbar von ihr kontrollierten Gesellschaften aufgegeben wird, eine Nachprüfung gemäß Art. 20 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1/2003 zu dulden ( 4 ), und zweitens des Beschlusses, mit dem die Kommission zum einen auf die auf Kommunikationsmitteln und Datenträgern gespeicherten Daten aus dem Privatleben der Nutzer zugegriffen und sie kopiert hat und zum anderen den Antrag der Rechtsmittelführerinnen auf Herausgabe dieser Daten zurückgewiesen hat, teilweise abgewiesen hat.

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

2.

Die in den Rn. 2 bis 11 des angefochtenen Urteils wiedergegebene Vorgeschichte des Rechtsstreits lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammenfassen.

3.

LM ist die Holdinggesellschaft der Gruppe Les Mousquetaires, die im Lebensmittel- und Nicht-Lebensmittel-Vertriebssektor in Frankreich und in Belgien tätig ist. ITM ist ihre Tochtergesellschaft.

4.

Nachdem die Kommission Informationen über einen Informationsaustausch zwischen ITM und u. a. Casino, die ebenfalls im Lebensmittel- und Nicht-Lebensmittel-Vertriebssektor tätig ist, erhalten hatte, erließ sie den Beschluss Tute 1 vom 9. Februar 2017.

5.

Im verfügenden Teil dieses Beschlusses heißt es:

„Artikel 1

… Intermarché … sowie alle von ihr unmittelbar oder mittelbar kontrollierten Gesellschaften sind verpflichtet, eine Nachprüfung betreffend ihre etwaige Beteiligung an gegen Artikel 101 [AEUV] verstoßenden abgestimmten Verhaltensweisen auf den Beschaffungsmärkten für Produkte des täglichen Bedarfs, auf dem Markt für den Verkauf von Dienstleistungen an Hersteller von Markenprodukten und auf den Märkten für den Verkauf von Produkten des täglichen Bedarfs an Verbraucher zu dulden. Diese aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bestehen in

a)

dem Informationsaustausch seit 2015 zwischen Unternehmen und/oder Unternehmensvereinigungen, insbesondere AgeCore und/oder ihren Mitgliedern, insbesondere Intermarché, und ICDC … und/oder ihren Mitgliedern, insbesondere Casino, über von ihnen erhaltene Rabatte auf den Beschaffungsmärkten für Produkte des täglichen Bedarfs in den Bereichen Lebensmittel, Hygieneartikel und Reinigungsmittel, und die Preise auf dem Markt für den Verkauf von Dienstleistungen an Hersteller von Markenprodukten in den Bereichen Lebensmittel, Hygieneartikel und Reinigungsmittel in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere in Frankreich, und

b)

dem Informationsaustausch mindestens seit 2016 zwischen Casino und Intermarché über ihre künftigen Geschäftsstrategien, insbesondere über das Sortiment, die Entwicklung von Geschäften, den E‑Commerce und die Werbepolitik auf den Beschaffungsmärkten für Produkte des täglichen Bedarfs und auf den Märkten für den Verkauf von Produkten des täglichen Bedarfs an Verbraucher in Frankreich.

Diese Nachprüfung kann in jedem beliebigen Geschäftslokal des Unternehmens stattfinden …

Intermarché ermächtigt die Beamten und sonstigen Personen, die von der Kommission mit der Durchführung einer Nachprüfung beauftragt wurden, und die Beamten und sonstigen Personen, die von der Wettbewerbsbehörde des betreffenden Mitgliedstaats zu ihrer Unterstützung beauftragt wurden oder vom Mitgliedstaat für diesen Zweck ernannt wurden, sich während der normalen Bürozeiten Zugang zu allen ihren Geschäftsräumen und Transportmitteln zu verschaffen. Das Unternehmen duldet die Nachprüfung der Bücher und jeglicher sonstiger Geschäftsunterlagen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, wenn die Beamten und sonstigen beauftragten Personen dies verlangen, und es gestattet ihnen, diese Bücher und Unterlagen vor Ort zu prüfen und von ihnen Kopien oder Auszüge gleich welcher Art anzufertigen oder zu erhalten. Es gestattet das Anbringen von Amtssiegeln in allen Geschäftsräumen und auf allen Büchern oder Dokumenten während der Dauer der Nachprüfung und soweit dies für die Zwecke der Nachprüfung erforderlich ist. Das Unternehmen gibt unverzüglich vor Ort mündliche Erläuterungen zum Gegenstand und zum Zweck der Nachprüfung, wenn die Beamten oder Personen dies verlangen, und es ermächtigt alle Vertreter und Mitglieder der Belegschaft, solche Erläuterungen zu geben. Es gestattet die Aufzeichnung dieser Erläuterungen in beliebiger Form.

Artikel 2

Die Nachprüfung kann am 20. Februar 2017 oder kurz danach beginnen.

Artikel 3

Dieser Beschluss ist an Intermarché … sowie alle von ihr unmittelbar oder mittelbar kontrollierten Gesellschaften gerichtet.

Dieser Beschluss wird dem Unternehmen, an das er gerichtet ist, gemäß Art. 297 Abs. 2 [AEUV] unmittelbar vor der Nachprüfung bekannt gegeben.“

6.

Nachdem sie ebenfalls Informationen über einen Informationsaustausch u. a. zwischen Intermarché und anderen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen erhalten hatte, erließ die Kommission den Beschluss Tute 2 vom 9. Februar 2017. In Art. 1 wird die etwaige Beteiligung von Intermarché an abgestimmten Verhaltensweisen genannt, bestehend „in dem Informationsaustausch seit 2015 zwischen Unternehmen und/oder Unternehmensvereinigungen, insbesondere AgeCore und/oder ihren Mitgliedern, Coopernic und/oder ihren Mitgliedern sowie Eurelec und/oder ihren Mitgliedern über von ihnen erhaltene Rabatte auf den Beschaffungsmärkten für Produkte des täglichen Bedarfs in den Bereichen Lebensmittel, Hygieneartikel und Reinigungsmittel, und die Preise auf dem Markt für den Verkauf von Dienstleistungen an Hersteller von Markenprodukten in den Bereichen Lebensmittel, Hygieneartikel und Reinigungsmittel in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere in Frankreich und in Deutschland“. Die Art. 2 und 3 dieses Beschlusses haben denselben Wortlaut wie die Art. 2 und 3 des Beschlusses Tute 1 vom 9. Februar 2017.

7.

Nachdem die französische Wettbewerbsbehörde von dieser Nachprüfung durch die Kommission unterrichtet worden war, beantragte sie beim Juge des libertés et de la détention (für die Anordnung von Untersuchungshaft sowie Durchsuchungen und Sicherstellungen zuständiger Richter) des Tribunal de grande instance Evry (Landgericht Evry, Frankreich) die Genehmigung von Durchsuchungen in den Geschäftsräumen der Rechtsmittelführerinnen. Mit Beschluss vom 17. Februar 2017 genehmigte dieser Juge des libertés et de la détention die vorsorglich beantragten Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Da keine der bei der Nachprüfung getroffenen Maßnahmen die Ausübung der Vollziehungsbefugnisse im Sinne von Art. 20 Abs. 6 bis 8 der Verordnung Nr. 1/2003 erforderte, wurde dieser Beschluss den Rechtsmittelführerinnen nicht zugestellt.

8.

Die Nachprüfung begann am 20. Februar 2017, als die Inspektoren der Kommission in Begleitung von Vertretern der französischen Wettbewerbsbehörde die Geschäftsräume von Intermarché aufsuchten.

9.

Nachdem Zweifel aufgekommen waren, ob eine der von der Nachprüfung betroffenen Personen in einem Beschäftigungsverhältnis zu ITM oder zu LM stand, erließ die Kommission die Beschlüsse Tute 1 und Tute 2 vom 21. Februar 2017, deren Begründung mit der der Beschlüsse Tute 1 und Tute 2 vom 9. Februar 2017 übereinstimmt, die aber an LM anstelle von ITM als Hauptadressaten der Nachprüfung gerichtet sind ( 5 ).

10.

Im Rahmen der Nachprüfungen durchsuchte die Kommission u. a. die Büros, sammelte Material, insbesondere EDV-Material (Laptops, Mobiltelefone, Tablets, Speichergeräte), nahm eine Anhörung mehrerer Personen vor und kopierte den Inhalt des gesammelten Materials.

11.

Die Rechtsmittelführerinnen richteten mehrere Schreiben vom 24. Februar 2017 an die Kommission, in denen sie Vorbehalte gegen die Nachprüfungsbeschlüsse und den Ablauf der auf ihrer Grundlage durchgeführten Nachprüfung äußerten und u. a. das Kopieren von Unterlagen beanstandeten, die in die Privatsphäre ihrer Mitarbeiter fielen. Diese Vorbehalte wurden durch ein Schreiben vom 13. April 2017 an die Kommission ergänzt, in dem insbesondere die Herausgabe bestimmter kopierter Unterlagen beantragt wurde.

II. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

12.

Mit am 28. April 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift fochten die Rechtsmittelführerinnen die Beschlüsse Tute 1 und Tute 2 vom 21. Februar 2017 und, soweit erforderlich, die Beschlüsse Tute 1 und Tute 2 vom 9. Februar 2017 an. Sie führten im Wesentlichen fünf Klagegründe an. Mit dem ersten wurde eine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 geltend gemacht und gerügt, dass gegen die Umstände der Nachprüfungen keine ausreichenden Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, mit dem zweiten wurde beanstandet, dass die angefochtenen Beschlüsse nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien, mit dem dritten, dass den Rechtsmittelführerinnen das Recht genommen worden sei, sich zu verteidigen, mit dem vierten, dass die Begründungspflicht verletzt worden sei, und mit dem fünften, dass das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt worden sei.

13.

Mit Entscheidung vom 22. September 2017 hat der Präsident der Neunten Kammer des Gerichts den Rat der Europäischen Union als Streithelfer im Verfahren vor dem Gericht zur Unterstützung der Kommission zugelassen.

14.

Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung hat das Gericht die Kommission aufgefordert, eine nicht vertrauliche Fassung der Indizien für mutmaßliche Zuwiderhandlungen vorzulegen, über die sie zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Beschlüsse verfügte, und die Rechtsmittelführerinnen aufgefordert, zu den vorgelegten Indizien Stellung zu nehmen. Die Kommission hat daraufhin u. a. Protokolle von Befragungen vorgelegt, die sie in den Jahren 2016 und 2017 bei 13 Lieferanten der von der Nachprüfung betroffenen Produkte des täglichen Bedarfs durchgeführt hatte, die regelmäßig Vereinbarungen mit Casino und ITM trafen (im Folgenden: Befragungsprotokolle).

15.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht zum einen nach der Feststellung, dass die Kommission nicht über hinreichend ernsthafte Indizien verfügt habe, die den Verdacht einer Zuwiderhandlung in Form eines Informationsaustauschs über ihre künftigen Geschäftsstrategien begründen könnten, Art. 1 Buchst. b des Beschlusses Tute 1 vom 9. Februar 2017 und Art. 1 Buchst. b des Beschlusses Tute 1 vom 21. Februar 2017 für nichtig erklärt ( 6 ). Zum anderen hat es aufgrund der Entscheidung, dass sowohl zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit als auch gegen den Ablauf der Nachprüfung effektive Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, und der Feststellung, dass die Kommission die Nachprüfung hinsichtlich der Beteiligung der Rechtsmittelführerinnen an den in Art. 1 Buchst. a der Beschlüsse Tute 2 vom 9. und vom 21. Februar 2017 aufgeführten Verhaltensweisen hinreichend begründet und wirksam angeordnet habe, die Klage im Übrigen abgewiesen ( 7 ).

III. Anträge der Parteien

16.

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführerinnen, Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben, ihren im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben und die Beschlüsse Tute 1 vom 9. und vom 21. Februar 2017 (im Folgenden zusammen: streitige Beschlüsse) für nichtig zu erklären sowie der Kommission die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

17.

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

18.

Der Rat beantragt, den ersten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

IV. Zum Rechtsmittel

19.

Die Rechtsmittelführerinnen machen fünf Rechtsmittelgründe geltend. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund werden Rechtsfehler und eine unzureichende Begründung des Gerichts im Rahmen seiner Prüfung der Effektivität der Rechtsbehelfe bezüglich des Ablaufs der Nachprüfung gerügt. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Art. 6 und 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950 (im Folgenden: EMRK), Art. 296 AEUV und Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 geltend gemacht, weil das Gericht die Pflicht zur Begründung und zur Begrenzung der Nachprüfungsbeschlüsse verletzt habe. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund werden ein Rechtsfehler und ein Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1/2003 gerügt, weil das Gericht eine Verfahrensphase „vor Erlass von Maßnahmen, die den Vorwurf beinhalten, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben“, als nicht der Verordnung unterliegend eingestuft habe. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Art. 6 und 8 EMRK und Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 geltend gemacht, weil das Gericht mit formalen und wesentlichen Mängeln behaftete Gesichtspunkte als „hinreichend ernsthafte Indizien“ eingestuft habe. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund schließlich wird ein Begründungsmangel beanstandet, der sich aus der fehlenden Prüfung der Beweiskraft dieser Indizien und einer fehlerhaften Einstufung als „Indiz“ ergebe.

A.   Zum ersten Rechtsmittelgrund

20.

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund beanstanden die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen die Rn. 83 bis 112 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht ihre Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 geprüft und zurückgewiesen hat. Im Rahmen dieser Einrede der Rechtswidrigkeit hatten die Rechtsmittelführerinnen gerügt, dass Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 keine Bestimmungen enthalte, die die im Verlauf einer Nachprüfung getroffenen Maßnahmen als mit einer Klage gemäß dem Vertrag anfechtbare Handlungen einstuften und die Erwähnung einer solchen Klagemöglichkeit im Nachprüfungsbeschluss in der Weise vorschrieben, wie gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 auf die Möglichkeit der Erhebung einer Klage gegen den Nachprüfungsbeschluss selbst in diesem hingewiesen werden müsse ( 8 ).

1. Angefochtenes Urteil

21.

In den Rn. 58 bis 75 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Unzulässigkeitseinreden zurückgewiesen, die die Kommission und der Rat gegenüber der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben hatten, und ist sodann in die Prüfung der Begründetheit dieser Einrede eingetreten. In Rn. 82 des angefochtenen Urteils hat es zunächst auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) zur Beachtung der Art. 6 und 13 EMRK bei Hausdurchsuchungen und auf die vier darin aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf hingewiesen, nämlich die „Effektivitätsvoraussetzung“, die „Voraussetzung der Wirksamkeit“, die „Voraussetzung der Gewissheit“ und die „Voraussetzung einer angemessenen Frist“. Rn. 83 des angefochtenen Urteils zufolge impliziert die in diesen Urteilen enthaltene Feststellung, dass der Ablauf einer Nachprüfungsmaßnahme Gegenstand einer effektiven gerichtlichen Kontrolle unter den besonderen Umständen der in Rede stehenden Rechtssache sein müsse, die Berücksichtigung sämtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten, die einem von einer Nachprüfung betroffenen Unternehmen zur Verfügung stehen, und somit deren umfassende Analyse. Vor dieser Prüfung hat das Gericht ausgeführt, es sei „unerheblich, dass jede dieser Rechtsschutzmöglichkeiten für sich genommen nicht die vier von der Rechtsprechung des EGMR aufgestellten Voraussetzungen … erfüllt“ ( 9 ).

22.

Das Gericht hat sodann sechs Rechtsschutzmöglichkeiten benannt, mit denen gerichtlich gegen eine Nachprüfungsmaßnahme vorgegangen werden könne, und zwar die Klage gegen den Nachprüfungsbeschluss, die Klage gegen einen Beschluss der Kommission zur Ahndung einer Behinderung der Nachprüfung nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. c bis e der Verordnung Nr. 1/2003, die Klage gegen „jede Handlung, die die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen einer mit Klage anfechtbaren Handlung erfüllt, die die Kommission nach dem Nachprüfungsbeschluss und im Rahmen des Ablaufs der Nachprüfungsmaßnahmen erlassen würde, wie eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf Schutz von Dokumenten wegen Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant abgelehnt wird“, gestützt auf das Urteil vom 17. September 2007, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission ( 10 ) (im Folgenden: Urteil Akzo), die Klage gegen die abschließende Entscheidung, mit der das nach Art. 101 AEUV eingeleitete Verfahren abgeschlossen wird, den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und schließlich die Klage aus außervertraglicher Haftung.

23.

In den Rn. 90 bis 98 des angefochtenen Urteils hat das Gericht geprüft, inwieweit jede dieser Rechtsschutzmöglichkeiten es erlaubt, die Umstände zu beanstanden, unter denen die Nachprüfung stattgefunden hat, und eine angemessene Wiedergutmachung für von der Kommission bei dieser Nachprüfung etwa begangene Unregelmäßigkeiten zu gewähren.

24.

Nach dieser Prüfung hat das Gericht in den Rn. 99 bis 110 des angefochtenen Urteils dargelegt, aus welchen Gründen das System zur Kontrolle des Ablaufs der Nachprüfungen, das aus allen vorstehend beschriebenen Rechtsschutzmöglichkeiten bestehe, die vier in Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge genannten Voraussetzungen erfülle. In diesem Rahmen hat es u. a. in Rn. 101 dieses Urteils zur Effektivitätsvoraussetzung ausgeführt, dass zwar nicht jede dieser Rechtsschutzmöglichkeiten für sich genommen, wohl aber ihre kombinierte Ausübung eine Kontrolle der Begründetheit sämtlicher bei der Nachprüfung getroffener Maßnahmen ermögliche.

25.

In Rn. 111 des angefochtenen Urteils hat das Gericht folglich die Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Verletzung des Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf als unbegründet zurückgewiesen.

2. Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

26.

Nach der Feststellung, dass Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 der Kommission weitreichende Ermittlungsbefugnisse einräume, die erheblich in die durch Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) geschützten Rechte der Unternehmen eingriffen, weisen die Rechtsmittelführerinnen darauf hin, dass der EGMR in seinem Urteil vom 2. Oktober 2014, Delta Perkarny/Tschechische Republik ( 11 ) (im Folgenden: Urteil Delta Pekarny), entschieden habe, dass die Vereinbarkeit eines solchen Eingriffs mit der EMRK u. a. einen effektiven Rechtsbehelf voraussetze, mit dem nicht nur die Rechtmäßigkeit der Genehmigung, sondern auch die Umstände des Ablaufs einer von dem Unternehmen zu duldenden Nachprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht beanstandet werden könnten.

27.

Die Rechtsmittelführerinnen machen als Erstes geltend, entgegen der vom Gericht insbesondere in den Rn. 83 und 87 des angefochtenen Urteils vertretenen Auffassung ergebe sich aus den Urteilen des EGMR nicht, dass die Effektivität der Rechtsschutzmöglichkeiten in Bezug auf die Rechtmäßigkeit und den Ablauf einer Nachprüfung auf der Grundlage einer „Gesamtanalyse“ der potenziellen Rechtsbehelfe oder gar einer vergleichenden Analyse zu beurteilen sei. Indem es die Rechtsbehelfe, mit denen die Rechtmäßigkeit der Nachprüfung in Frage gestellt und deren Ablauf beanstandet werden könnten, zusammen geprüft und die Ansicht vertreten habe, dass die Mängel eines bestimmten Rechtsbehelfs durch die Vorzüge eines anderen ausgeglichen werden könnten, sei das Gericht in den Rn. 83 und 99 bis 111 des angefochtenen Urteils zu einem fehlerhaften Ergebnis gelangt.

28.

Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen hätte eine getrennte Prüfung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache das Gericht dazu gebracht, drei von ihm als effektiv angesehene Rechtsschutzmöglichkeiten von vornherein auszuschließen, nämlich die Klage gegen den Beschluss in der Sache, die ungewiss sei, nicht binnen angemessener Frist erhoben werden könne und keine geeignete Wiedergutmachung ermögliche, die Klage, mit der die Rechtmäßigkeit des Nachprüfungsbeschlusses in Frage gestellt werde und die nicht gegen die Umstände des Ablaufs der Nachprüfung gerichtet werden könne, wie die Zurückweisung der insoweit von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Klagegründe als unzulässig oder ins Leere gehend durch das Gericht zeige, und die Klage aus außervertraglicher Haftung, mit der nur Schadensersatz begehrt werden könne.

29.

Alle anderen Rechtsschutzmöglichkeiten, d. h. die Klage betreffend Anträge auf Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant, der vom Gericht genannte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Schutz privater Daten oder die Klage gegen einen Beschluss wegen Behinderung, seien nur partiell und erlaubten nicht, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu prüfen, ob sämtliche Umstände des Ablaufs der Nachprüfung Art. 8 EMRK genügten. Die Anhäufung partieller Klagen, die nicht die Feststellung zuließen, dass eine Klage gegeben sei, die für die Gesamtheit der beim Ablauf der Nachprüfung möglicherweise auftretenden Probleme die Voraussetzungen von Effektivität, Wirksamkeit, Gewissheit und angemessener Frist erfülle, genüge den Anforderungen des Art. 8 EMRK ebenso wenig wie das Fehlen einer Klage.

30.

Als Zweites machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, dass das Gericht dem Rechtssuchenden die Last auferlege, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der in der vorstehenden Nummer dieser Schlussanträge aufgeführten Rechtsschutzmöglichkeiten zu schaffen. So setzten sowohl der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz als auch die nachträgliche Datenschutzklage und die Klage auf der Grundlage der auf das Urteil Akzo zurückgehenden Rechtsprechung zum Schutz der Kommunikation zwischen Mandant und Anwalt voraus, dass es dem Unternehmen dadurch, dass es sich von der laufenden Nachprüfung abwende, gelinge, einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Beschluss der Kommission herbeizuführen. Diese Rechtsschutzmöglichkeiten beruhten zudem auf der Bereitschaft der Kommission zur Versiegelung der Daten bis zur Entscheidung des Gerichts. Die Klage gegen eine Maßnahme wegen Behinderung setze voraus, dass sich das Unternehmen einer so schwerwiegenden Behinderung schuldig mache, dass eine Sanktion gegen es verhängt werde.

31.

Die Kommission und der Rat treten diesem gesamten Vorbringen entgegen.

3. Würdigung

32.

Vor der Prüfung der beiden Rügen, aus denen der erste Rechtsmittelgrund besteht, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelführerinnen in dessen Bezeichnung auch geltend machen, dass der Prüfung der Effektivität der Rechtsbehelfe bezüglich des Ablaufs der Nachprüfung durch das Gericht ein Begründungsmangel anhafte. Sie entwickeln diese Rüge jedoch nur in ihrer Erwiderung und beschränken sich im Wesentlichen darauf, auf das in den Nrn. 27 bis 29 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebene Vorbringen zu verweisen.

33.

Ohne dass geprüft zu werden braucht, ob diese Rüge zulässig ist – was der Rat bestreitet – oder einen Gesichtspunkt betrifft, der von Amts wegen zu prüfen ist ( 12 ), genügt die Feststellung, dass die Gründe, aus denen das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zurückgewiesen hat, es möge das Fehlen einer effektiven Rechtsschutzmöglichkeit hinsichtlich der Umstände des Ablaufs der Nachprüfung feststellen, klar und unmissverständlich aus den Rn. 78 bis 112 des angefochtenen Urteils hervorgehen, so dass dieses Urteil meines Erachtens zweifelsfrei den vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen an die Begründung ( 13 ) genügt.

a) Zur ersten Rüge

34.

Mit der ersten Rüge ihres ersten Rechtsmittelgrundes beanstanden die Rechtsmittelführerinnen der Sache nach das Vorgehen des Gerichts, die Rechtsschutzmöglichkeiten, die den Unternehmen zur Verfügung stünden, um die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen im Verlauf der Nachprüfung in Frage zu stellen, in ihrer Gesamtheit zu würdigen, um festzustellen, ob sie insgesamt den Anforderungen von Art. 47 der Charta genügten.

35.

Als Erstes machen sie geltend, dieses Vorgehen stehe nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR.

36.

Hierzu weise ich zunächst auf Art. 52 Abs. 3 der Charta hin wonach in der Charta enthaltene Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in dieser Konvention verliehen werden. In den Erläuterungen zur Charta ( 14 ) heißt es zu diesem Artikel, dass die Bedeutung und Tragweite der durch die EMRK garantierten Rechte nicht nur durch deren Wortlaut und den ihrer Protokolle, sondern auch durch die Rechtsprechung des EGMR bestimmt werden. Diesen Erläuterungen zufolge entspricht zudem Art. 47 der Charta Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK.

37.

In Art. 6 Abs. 1 EMRK ist u. a. das Recht auf Zugang zu einem Gericht verankert. Dieses Zugangsrecht muss „konkret und effektiv“ sein ( 15 ), also jeder Person „eine klare und konkrete Möglichkeit“ bieten, „eine in ihre Rechte eingreifende Handlung anzufechten“ ( 16 ), oder eine klare und konkrete Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen ( 17 ). Nach Art. 13 EMRK ( 18 ) müssen die Vertragsstaaten eine effektive Beschwerde vorsehen, mittels deren die Betroffenen den Eintritt oder die Fortdauer einer Verletzung ihrer von der EMRK garantierten Rechte verhindern oder eine angemessene Wiedergutmachung für jede bereits eingetretene Rechtsverletzung erlangen können ( 19 ).

38.

Zum Verhältnis zwischen diesen beiden Bestimmungen hat der EGMR ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 EGMR im Fall seiner Anwendbarkeit „lex specialis gegenüber Art. 13 dar[stellt]“ und dass „seine Anforderungen, die das gesamte Spektrum der gerichtlichen Verfahren eigenen Garantien einschließen, … strenger [sind] als die des Art. 13, die in diesen aufgehen“ ( 20 ).

39.

In Bezug auf Hausdurchsuchungen durch Wettbewerbsbehörden hat der EGMR die Frage des Bestehens einer effektiven Beschwerde unter dem Blickwinkel von Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 EMRK geprüft. War die Klage auch auf Art. 13 EMRK gestützt, hat er entweder nur Art. 6 Abs. 1 EMRK für anwendbar erklärt ( 21 ) oder die Rüge nicht geprüft, weil er eine solche Prüfung für überflüssig erachtet hat ( 22 ).

40.

Nach dieser Klarstellung weise ich darauf hin, dass sich das Vorgehen des Gerichts in den Rn. 83 und 87 des angefochtenen Urteils, die Rechtsschutzmöglichkeiten, die den Unternehmen, die von Nachprüfungen durch die Kommission gemäß Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 betroffen sind, zur Anfechtung der im Verlauf dieser Nachprüfungen getroffenen Maßnahmen zur Verfügung stehen, in ihrer Gesamtheit zu prüfen, durchaus an die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 13 EMRK anlehnt. Letzterer hat nämlich festgestellt, dass der von diesem Artikel gebotene Schutz nicht so weit gehe, dass eine bestimmte Form der Klage verlangt werde ( 23 ), und dass „die Gesamtheit der vom innerstaatlichen Recht gebotenen Rechtsschutzmöglichkeiten den Anforderungen von Art. 13 [EMRK] genügen kann, auch wenn diesen keine von ihnen für sich genommen entspricht“ ( 24 ).

41.

Ein solches Vorgehen ist zwar nicht ausdrücklich in der EMRK in deren Art. 6 Abs. 1 oder Art. 8 vorgesehen, es erscheint aber entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nicht unvereinbar mit der von ihnen angeführten Rechtsprechung zu Hausdurchsuchungen.

42.

Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der EGMR seit dem Urteil vom 21. Februar 2008, Ravon u. a./Frankreich ( 25 ) (im Folgenden: Urteil Ravon), entschieden hat, dass es den von Hausdurchsuchungen betroffenen Unternehmen möglich sein müsse, die Ordnungsgemäßheit der Durchsuchungsanordnung und gegebenenfalls die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht gerichtlich überprüfen zu lassen ( 26 ).

43.

Wie die Kommission zu Recht geltend macht, hat der EGMR in diesem Urteil wie auch in den übrigen von den Rechtsmittelführerinnen angeführten Entscheidungen nach dem Hinweis darauf, dass das Fehlen einer Vorabkontrolle der Nachprüfungsmaßnahme durch eine nachträgliche, in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht effektive gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahme oder ihres Ablaufs ausgeglichen werden könne, ausgeführt, dass, „wenn eine als unrechtmäßig beurteilte Maßnahme bereits stattgefunden hat, der oder die verfügbaren Rechtsbehelfe dem Betroffenen eine angemessene Wiedergutmachung ermöglichen müssen“ ( 27 ); er hat somit die Auffassung zurückgewiesen, dass die Einheitlichkeit des Rechtsbehelfs eine notwendige Voraussetzung für die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen sei.

44.

In demselben Urteil hat der EGMR zudem in einem kasuistischen Ansatz und ungeachtet der Frage, ob in dem geprüften nationalen Rechtssystem ein selbständiger, den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 oder Art. 8 EMRK genügender Rechtsbehelf gegen die beanstandete Maßnahme gegeben war, geprüft, ob die verschiedenen den Betroffenen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten ihnen in Bezug auf die von ihnen erhobenen Rügen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf und eine angemessene Wiedergutmachung einräumten ( 28 ).

45.

Das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen kann meines Erachtens die Schlussfolgerung, zu der ich in Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge gelangt bin, nicht in Frage stellen.

46.

Erstens machen die Rechtsmittelführerinnen zwar zu Recht geltend, dass die Effektivitätsvoraussetzung nach dem Urteil Canal Plus auf der Ebene jeder der beiden in Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge genannten Arten der im Urteil Ravon geforderten Kontrolle zu beurteilen sei und dass das Fehlen einer von ihnen nicht durch die Gewährleistung der anderen ausgeglichen werden könne ( 29 ), doch hat das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen im angefochtenen Urteil nicht befunden, dass das Bestehen eines Rechtsbehelfs gegen den Nachprüfungsbeschluss als solches das behauptete Fehlen gerichtlicher Kontrolle des Ablaufs der Nachprüfungsmaßnahmen ausgleichen könne.

47.

Wie nämlich aus den Rn. 90 bis 98 des angefochtenen Urteils klar hervorgeht, hat das Gericht geprüft, inwieweit die verschiedenen den Rechtsmittelführerinnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten, einschließlich der Klage gegen den Nachprüfungsbeschluss, es ermöglichten, ein Gericht mit Rügen betreffend den ordnungsgemäßen Ablauf dieser Maßnahmen zu befassen, inwieweit also das System trotz des Fehlens einer einzigen, einheitlichen Rechtsschutzmöglichkeit gleichwohl die Möglichkeit einer effektiven gerichtlichen Kontrolle dieser Maßnahmen bot, die den vom EGMR in seiner Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen genügt. In diesem Sinne unterscheidet sich das Vorgehen des Gerichts im angefochtenen Urteil deutlich von der von der französischen Regierung vertretenen These, die der EGMR im Urteil Canal Plus zurückgewiesen hat ( 30 ).

48.

Was zweitens die von den Rechtsmittelführerinnen ebenfalls angeführte Rn. 87 des Urteils Delta Pekarny angeht, kann aus der darin enthaltenen Feststellung, dass die Wirksamkeit einer gerichtlichen Kontrolle – ob der nachträglichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit und der Erforderlichkeit einer Durchsuchungsmaßnahme wie in dem Rechtsstreit, in dem dieses Urteil ergangen ist, oder der Kontrolle der in Durchführung einer solchen Maßnahme vorgenommenen Handlungen – „unter den besonderen Umständen der in Rede stehenden Rechtssache“ zu beurteilen sei, nicht abgeleitet werden, dass bei dieser Beurteilung nicht die Gesamtheit der den betroffenen Unternehmen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten berücksichtigt werden kann.

49.

Mit dieser Aussage wird nämlich nur klargestellt, dass die Effektivität eines Rechtsbehelfs konkret zu prüfen ist ( 31 ), da der EGMR wiederholt entschieden hat, dass seine Aufgabe nicht die Kontrolle der einschlägigen nationalen Gesetzgebung oder Praxis sei, sondern sich darauf zu beschränken habe, die Fragen zu prüfen, die der ihm vorliegende konkrete Fall aufwerfe ( 32 ), und insbesondere nur die Rechtsbehelfe zu berücksichtigen, die für den Kläger von Interesse sein könnten ( 33 ). Somit spricht Rn. 87 des Urteils Delta Pekarny eher für ein Vorgehen wie das des Gerichts – Berücksichtigung der Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe –, wie im Übrigen das Gericht selbst in Rn. 83 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat. Wie ich bereits in Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, ist der EGMR in allen von den Rechtsmittelführerinnen angeführten Fällen so vorgegangen ( 34 ).

50.

Drittens hat das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen die sechs von ihm aufgeführten Rechtsschutzmöglichkeiten getrennt geprüft und dabei sowohl die Rügen bezeichnet, mit denen die betroffenen Unternehmen die Rechtmäßigkeit der Nachprüfungsmaßnahmen in Frage stellen konnten, als auch dargelegt, welche Wiedergutmachung die Unternehmen mittels jeder dieser Rechtsschutzmöglichkeiten für eventuelle Unregelmäßigkeiten dieser Maßnahmen anstreben konnten.

51.

Die Prüfung des Gerichts endet zwar mit einer Gesamtwürdigung des von der Gesamtheit der betreffenden Rechtsschutzmöglichkeiten gebildeten Systems der Kontrolle des Ablaufs der Nachprüfungsmaßnahmen, die nicht unbedingt denselben Konkretheitsgrad erreicht, wie er in den Urteilen des EGMR zu finden ist. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Gericht im angefochtenen Urteil über eine gemäß Art. 277 AEUV erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 zu befinden hatte, was eine allgemeine Würdigung dieses Systems erforderte, die über die „besonderen Umständen der in Rede stehenden Rechtssache“ hinausgeht.

52.

Im Rahmen der ersten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen als Zweites geltend, das Gericht hätte, um im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR zu handeln, von vornherein die drei Rechtsschutzmöglichkeiten aus seiner Prüfung ausschließen müssen, die in der Klage gegen den Beschluss in der Sache, mit dem das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt werde, der Klage gegen den Nachprüfungsbeschluss und der Klage aus außervertraglicher Haftung bestünden.

53.

Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass angesichts des Vorgehens des Gerichts – das meines Erachtens im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR steht – keine Rechtsschutzmöglichkeit, die den von einer Nachprüfungsmaßnahme betroffenen Unternehmen zur Verfügung steht, logisch ausgeschlossen werden musste, soweit sie diesen erlaubt, eine oder mehrere Rügen betreffend die Ordnungsgemäßheit des Ablaufs der Nachprüfungsmaßnahmen vor den Unionsrichter zu bringen. Im Einzelnen möchte ich Folgendes zu den drei Rechtsschutzmöglichkeiten ausführen, deren Relevanz die Rechtsmittelführerinnen in Frage stellen.

54.

Was erstens die Klage gegen den Beschluss in der Sache zur Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln angeht, hat zwar, wie die Rechtsmittelführerinnen vortragen, der EGMR im Urteil Canal Plus befunden, dass zum einen der Zugang zu dieser Rechtsschutzmöglichkeit ungewiss sei, weil sie das Vorliegen eines Beschlusses in der Sache als auch einer Klage gegen diesen Beschluss voraussetze, und dass sie zum anderen keine angemessene Wiedergutmachung bietet, weil eine gerichtliche Kontrolle innerhalb angemessener Frist nicht gewiss ist ( 35 ).

55.

Diese Feststellungen genügen jedoch meines Erachtens nicht für den Schluss, dass das Gericht diese Rechtsschutzmöglichkeit bei seiner Prüfung hätte außer Betracht lassen müssen.

56.

Zunächst ist nämlich zu beachten, dass der EGMR in der mit dem Urteil Canal Plus entschiedenen Rechtssache geprüft hat, inwieweit eine Klage gegen den von der nationalen Wettbewerbsbehörde erlassenen Beschluss in der Sache einen nachträglichen effektiven Rechtsbehelf zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Nachprüfungsbeschlusses und nicht, wie in der hier vorliegenden Rechtssache, der Ordnungsgemäßheit einer oder mehrerer zur Durchführung dieses Beschlusses erlassener Maßnahmen darstellen konnte. Der Verfügbarkeit einer sofortigen Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Maßnahme, mit der die Nachprüfung angeordnet wird, verbunden mit der Möglichkeit, deren Aussetzung zu beantragen, kommt aber überragende Bedeutung zu, um die Folgen eines rechtswidrigen Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK verbürgte Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung oder gegebenenfalls den Eingriff selbst abzuwenden.

57.

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der EGMR im stärker geschützten Bereich der Durchsuchungen der Privatwohnung natürlicher Personen ( 36 ) anerkannt hat, dass die nachträgliche Kontrolle der gegen Art. 8 EMRK verstoßenden Maßnahme durch die nationalen Strafgerichte unter bestimmten Umständen – nämlich dann, wenn eine Kontrolle in ähnlicher Weise ungewiss und nicht sofort verfügbar ist, wie es für die Untersuchung eines Wettbewerbsverstoßes kennzeichnend ist – dem Betroffenen eine angemessene Wiedergutmachung bietet, wenn der Richter eine wirksame Kontrolle der Rechtmäßigkeit und der Erforderlichkeit der angefochtenen Maßnahme vornimmt und gegebenenfalls die erlangten Beweise von der Verwertung im Strafverfahren ausschließt ( 37 ).

58.

Nach dieser Feststellung weise ich darauf hin, dass im Kontext der vom Gericht vorgenommenen Gesamtprüfung die Rechtsschutzmöglichkeit in der Form der Klage gegen den abschließenden Beschluss – in deren Rahmen, wie es zu Recht in Rn. 90 des angefochtenen Urteils heißt, die betroffenen Unternehmen überprüfen lassen können, ob die Kommission im Verlauf einer Nachprüfung alle ihr gezogenen Grenzen eingehalten hat – diesen Unternehmen jedenfalls u. a. ermöglicht, den Schaden zu vermeiden, der ihnen durch eine Verletzung ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung entstehen würde, dürfte die Kommission Beweise gegen sie verwenden, die sie während einer Nachprüfung auf rechtswidrige Weise erlangt hat.

59.

Ein solcher Schaden kann jedoch nur eintreten, falls und wenn ein abschließender Beschluss ergeht, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird. Da dieser Schaden nicht entsteht, wenn die rechtswidrig erlangten Beweise vom Verfahren ausgeschlossen werden, ist zudem das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen unerheblich, dass die gegen den Ablauf der Nachprüfungsmaßnahmen gerichteten Rügen, die im Rahmen der Klage gegen den abschließenden Beschluss erhoben werden können, möglicherweise auch dann nicht zur Nichtigerklärung dieses Beschlusses führen, wenn sie durchgreifen, und dass die rechtswidrig beschafften Unterlagen mit dieser Klage nicht zurückerlangt werden können.

60.

Was zweitens die Klage gegen den Nachprüfungsbeschluss angeht, stelle ich fest, dass das Gericht diese Rechtsschutzmöglichkeit nur insoweit berücksichtigt, als sie es erlaubt, im Fall der Feststellung eines Rechtsverstoßes die Gesamtheit der in Durchführung dieses Beschlusses getroffen Maßnahmen für nichtig zu erklären. Im Rahmen einer solchen Klage können zwar keine unmittelbar gegen die Nachprüfungsmaßnahmen gerichteten Rügen erhoben werden, doch erlaubt diese Klage mittelbar eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen mittels einer Rechtmäßigkeitskontrolle der Handlung, auf Grundlage deren sie getroffen wurden. Folglich hat das Gericht im Rahmen seiner Gesamtanalyse der Rechtsschutzmöglichkeiten, über die die Unternehmen zur Beanstandung des Ablaufs der Nachprüfungsmaßnahmen verfügen, fehlerfrei auch die Klage gegen den Nachprüfungsbeschluss selbst berücksichtigt.

61.

Was drittens die Klage aus außervertraglicher Haftung betrifft, verweisen die Rechtsmittelführerinnen für ihr Vorbringen gegen die Berücksichtigung dieser Rechtsschutzmöglichkeit auf Rn. 33 des Urteils Ravon, in der der EGMR ausgeschlossen habe, dass eine Klage, „mit der Ersatz von im Zuge einer Hausdurchsuchung entstandenen Schäden statt einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit des diese Durchsuchung anordnenden Beschlusses und auf dessen Grundlage getroffenen Maßnahmen erlangt werden kann“, eine „effektive gerichtliche Kontrolle“ darstellen könne. Hierzu genügt der Hinweis, dass nach dieser Randnummer zwar im Bereich von Hausdurchsuchungen eine nur auf Schadensersatz gerichtete Klage allein nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs.1 EMRK ( 38 ) oder deren Art. 8 genügen kann, doch bedeutet das nicht, dass eine solche Klage nicht zu den den Unternehmen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen gehören und ihnen keine angemessene Wiedergutmachung bieten kann, insbesondere, wenn eine als rechtswidrig beurteilte Nachprüfungsmaßnahme bereits stattgefunden hat. Folglich hat das Gericht im Rahmen seiner Gesamtanalyse fehlerfrei auch berücksichtigt, dass Unternehmen, die der Ansicht sind, dass ihnen durch Rechtsverstöße der Kommission im Zuge einer Nachprüfung ein Schaden entstanden sei, der die Haftung der Union auslösen könne, gegen diese eine Klage aus außervertraglicher Haftung erheben können.

62.

Im Rahmen ihrer ersten Rüge machen die Rechtsmittelführerinnen als Drittes geltend, alle anderen vom Gericht bezeichneten Rechtsschutzmöglichkeiten seien nur „partiell“ und erlaubten keine Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, ob sämtliche Umstände des Ablaufs der Durchsuchung Art. 8 EMRK entsprochen hätten. Es fehle u. a. eine mit der EMRK im Einklang stehende Klage, mit der die überlange Dauer der Untersuchung beanstandet werden könne.

63.

Hierzu genügt der Hinweis, dass nach der vorstehend angeführten Rechtsprechung des EGMR den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK nur dann Genüge getan ist, wenn die von einer Hausdurchsuchung betroffenen Unternehmen über die Möglichkeit verfügen, den Inhalt ihrer Beanstandungen prüfen zu lassen und eine angemessene Wiedergutmachung zu erlangen. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die Gesamtheit der Rügen, die gegen die Maßnahmen erhoben werden können, die die Behörde auf der Grundlage der Durchsuchungsanordnung getroffenen Maßnahmen getroffen hat und durch die das in diesem Artikel garantierte Recht verletzt sein soll, im Rahmen ein und derselben Rechtsschutzmöglichkeit überprüft werden kann.

64.

Zum vermeintlichen Fehlen eines effektiven und gewissen Rechtsbehelfs, mit dem die Rüge der überlangen Dauer einer Nachprüfung geltend gemacht und eine angemessene Wiedergutmachung erlangt werden kann, weise ich darauf hin, dass eine solche Rüge im Rahmen sowohl der Klage gegen den abschließenden Beschluss als auch der Klage aus außervertraglicher Haftung erhoben werden kann. Im ersten Fall kann diese Rüge, wenn sie Erfolg hat, dazu führen, dass die von der Kommission sichergestellten Unterlagen nach Überschreiten eines für angemessen erachteten Zeitraums unverwertbar werden ( 39 ); im zweiten Fall kann sie die Zuerkennung von Schadensersatz nach sich ziehen. Zu Letzterem ergibt sich hinsichtlich der Rüge der Verletzung des Rechts auf Verhandlung über eine Streitigkeit innerhalb angemessener Frist im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK aus der Rechtsprechung des EGMR, dass grundsätzlich ein Wahlrecht besteht zwischen einer vorbeugenden oder beschleunigenden Klage, mit der sich eine überlange Verfahrensdauer verhindern lässt, und einer Klage auf Schadensersatz, mit der nachträglich eine Entschädigung für bereits eingetretene Verzögerungen erlangt werden kann, sei das Verfahren noch anhängig oder bereits abgeschlossen ( 40 ).

65.

In Verbindung mit der ersten Rüge ihres ersten Rechtsmittelgrundes, die gegen die vom Gericht vorgenommene Gesamtwürdigung gerichtet ist, machen die Rechtsmittelführerinnen als Viertes geltend, von den beiden in den Rn. 94 und 96 des angefochtenen Urteils genannten Rechtsschutzmöglichkeiten – der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz während der Nachprüfung und die nachträgliche Klage betreffend den Schutz der persönlichen Daten der Leiter und der Beschäftigten des einer Nachprüfung unterzogenen Unternehmens – sei bis heute noch nie Gebrauch gemacht worden und ihre Verfügbarkeit bleibe darzutun. Unter diesen Umständen könnten diese Rechtsschutzmöglichkeiten nicht die Effektivitätsvoraussetzung erfüllen.

66.

In dieser Hinsicht führen die Rechtsmittelführerinnen zwar zu Recht aus, dass, wie sich u. a. aus dem Urteil McFarlane/Irland ( 41 ) ergebe, ein Rechtsbehelf, dessen Verfügbarkeit noch darzutun und dessen Bestehen in erheblichem Maße ungewiss sei, nicht als „effektiv“ im Sinne von Art. 13 EMRK eingestuft werden könne, doch weise ich darauf hin, dass der EGMR nicht gezögert hat, einen Rechtsbehelf für effektiv im Sinne dieser Bestimmung zu erklären, ohne dass bereits eine Praxis der nationalen Gerichte nachgewiesen werden konnte ( 42 ), so dass entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen das Fehlen einer feststehenden gerichtlichen Praxis nicht unbedingt entscheidend ist ( 43 ).

67.

Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil Akzo, mit dem eine Klage gegen eine Entscheidung der Kommission für zulässig befunden wurde, mit der diese einen im Laufe einer Nachprüfung gestellten Antrag auf Gewährung des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen hatte, nur die Anwendung der in den Rn. 33 bis 35 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechung in einem konkreten Fall darstellt, nach der Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen, die geeignet sind, die Interessen des Klägers dadurch zu beeinträchtigen, dass sie seine Rechtsstellung in eindeutiger Weise verändern, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein können ( 44 ).

68.

Jede von der Kommission während einer Nachprüfung vorgenommene Handlung, die dieser Definition entspricht, stellt grundsätzlich eine mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung dar. Meines Erachtens sollte unter denselben Voraussetzungen, wie sie im Urteil Akzo aufgestellt worden sind, ein Klagerecht gegen einen Beschluss, mit dem die Kommission den Widerspruch des überprüften Unternehmens gegen den Zugriff auf bestimmte Dokumente ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen hat, anerkannt werden, und zwar nicht nur dann, wenn dieser Widerspruch darauf gestützt war, dass die fraglichen Dokumente durch die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant geschützt seien, wie es in der mit dem Urteil Akzo entschiedenen Rechtssache der Fall war, oder wenn es sich um Unterlagen handelt, die als zum Privatleben der Mitarbeiter dieses Unternehmens gehörig geschützt sind ( 45 ), ein Fall, den das Gericht in Rn. 37 des angefochtenen Urteils anerkannt hat, sondern auch dann, wenn geltend gemacht wird, dass diese Dokumente vom Gegenstand der Nachprüfung nicht erfasst würden oder dass deren Dauer einen als angemessen angesehenen Zeitraum überschritten hat.

69.

Das Gericht hat somit zu Recht in Rn. 94 des angefochtenen Urteils befunden, dass die der Nachprüfung unterzogenen Unternehmen fraglos über die Möglichkeit verfügen, unter denselben Voraussetzungen, wie sie im Urteil Akzo aufgestellt worden sind, Klage gegen einen Beschluss zu erheben, mit dem ein Antrag auf Schutz ihrer Mitarbeiter zurückgewiesen wurde.

70.

Zudem weise ich darauf hin, dass gemäß den Art. 278 und 279 AEUV der Präsident des Gerichtshofs und der Präsident des Gerichts im abgekürzten Verfahren nach Art. 39 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seiner Ausgestaltung durch die einschlägigen Bestimmungen der Verfahrensordnungen des Gerichtshofs und des Gerichts sowohl die Durchführung der angefochten Handlung aussetzen können, wenn sie dies den Umständen nach für nötig halten, als auch in den bei ihnen anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen können. Daher hat das Gericht rechtsfehlerfrei befunden, dass die in Rn. 96 des angefochtenen Urteils angesprochene Möglichkeit, gemäß Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts eine einstweilige Anordnung zur Aussetzung der Nachprüfung zu erwirken, sehr wohl besteht.

71.

Aus allen diesen Gründen ist die erste Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes meines Erachtens unbegründet.

b) Zur zweiten Rüge

72.

Mit ihrer zweiten Rüge werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht im Wesentlichen vor, es erlege dem Rechtsuchenden die Last auf, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der verschiedenen aufgeführten Rechtsschutzmöglichkeiten zu schaffen.

73.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta verbürgte Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht absolut ist und implizit zugelassenen Beschränkungen, insbesondere was die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage anbelangt, unterworfen werden kann. Diese Beschränkungen dürfen den freien Zugang eines Rechtssuchenden nicht in einer Weise oder so weit einschränken, dass sein Recht auf ein Gericht in seinem Wesensgehalt angetastet wird. Sie müssen ein legitimes Ziel verfolgen, und die eingesetzten Mittel müssen in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen ( 46 ). Zudem zielt Art. 47 der Charta nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf ab, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit von Klagen bei den Gerichten der Union zu ändern ( 47 ).

74.

Was zunächst die Möglichkeit angeht, einen Beschluss der Kommission anzufechten, mit dem diese die Beanstandung des Rechts der Kommissionsprüfer zum Zugriff auf bestimmte Unterlagen während der Nachprüfung ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen hat, weise ich darauf hin, dass die überprüften Unternehmen nach dem Urteil Akzo nur verpflichtet sind, ihren Widerspruch gegen den Zugriff auf die fraglichen Unterlagen unter Angabe von Gründen vorzubringen ( 48 ). Da ein solcher Widerspruch für diese Unternehmen die einzige Möglichkeit darstellt, ihre Interessen unverzüglich zu schützen und den aus einem rechtswidrigen Zugriff der Kommission auf die strittigen Unterlagen folgenden Schaden abzuwenden, lässt sich meines Erachtens nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Erhebung eines solchen Widerspruchs für diese Unternehmen eine übermäßige Belastung darstelle, die faktisch ihr Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf beeinträchtige.

75.

Zudem geht aus Rn. 49 des Urteils Akzo klar hervor, dass das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen das Vorliegen einer anfechtbaren Handlung nicht nur dann angenommen hat, wenn die Kommission der Versiegelung der strittigen Unterlagen zustimmt und den Widerspruch des überprüften Unternehmens später zurückweist, sondern auch dann, wenn sie beschließt, auf diese Unterlagen zuzugreifen. Daher halte ich das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen für unbegründet, die auf das Urteil Akzo gestützten Rechtsbehelfe hingen von „einer Reihe von Voraussetzungen ab, die allein die Kommission in der Hand hat“.

76.

Auch dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, die in Rn. 96 des angefochtenen Urteils erwähnte Rechtsschutzmöglichkeit in Form des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz sei den betroffenen Unternehmen nur schwer zugänglich, weil sie sich mit ihrer Inanspruchnahme von der laufenden Nachprüfung abwendeten, ist meines Erachtens nicht zu folgen. Es fällt mir schwer, in der bloßen Befassung des Gerichts mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem sich unverzüglich die Rechtmäßigkeit der laufenden Nachprüfungsmaßnahmen in Frage stellen lässt, eine übermäßige Belastung des überprüften Unternehmens zu sehen, zumal diese Rechtsschutzmöglichkeit die Aussicht auf eine Aussetzung der Durchführung der beanstandeten Maßnahmen eröffnet.

77.

Schließlich kann ich auch dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nicht folgen, die in der Klage gegen eine Maßnahme wegen Behinderung bestehende Rechtsschutzmöglichkeit könne kein effektiver Rechtsbehelf sein, weil sie das überprüfte Unternehmen zwinge, sich einer so schweren Verletzung seiner Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Kommission schuldig zu machen, dass eine Sanktion gegen es verhängt werde.

78.

Für dieses Vorbringen berufen sich die Rechtsmittelführerinnen auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, unlängst bestätigt durch das Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Klagerecht gegen ein Informationsersuchen in Steuerangelegenheiten) ( 49 ), wonach der Wesensgehalt des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf, zu dem das Recht auf Zugang zu einem Gericht gehört, nicht gewahrt ist, wenn der Inhaber dieses Rechts, um Zugang zu einem solchen Gericht zu erhalten, gezwungen ist, gegen eine Rechtsvorschrift oder eine rechtliche Verpflichtung zu verstoßen und sich der an diesen Verstoß geknüpften Sanktion auszusetzen.

79.

Hierzu weise ich als Erstes darauf hin, dass die Klage gegen einen Beschluss der Kommission nach Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 im Fall der Behinderung der Nachprüfung nicht die einzige Rechtsschutzmöglichkeit für die überprüften Unternehmen ist, um die Rechtmäßigkeit der im Verlauf der Nachprüfung getroffenen Maßnahmen in Frage zu stellen. Unter diesem Aspekt ist die Situation dieser Unternehmen nicht vergleichbar mit derjenigen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren, in denen die mit dem Urteil Luxemburgischer Staat beantworteten Vorabentscheidungsersuchen ergangen sind, da diese Unternehmen zur Wahrung ihres Rechts auf ein Gericht nicht gegen eine Rechtsvorschrift oder eine rechtliche Verpflichtung verstoßen und sich damit der an diesen Verstoß geknüpften Sanktion aussetzen mussten. Insbesondere hieß es in der Entscheidung, mit der diesen Unternehmen die Erteilung der verlangten Auskünfte aufgegeben wurde, dass gegen diese Entscheidung kein Rechtsbehelf statthaft sei ( 50 ). Demgegenüber können Unternehmen, gegen die ein Nachprüfungsbeschluss ergangen ist, vor dem Gericht sowohl dessen Rechtmäßigkeit als seine Erforderlichkeit in Frage stellen, ohne sich dafür irgendeiner Sanktion aussetzen zu müssen. Sie können ebenfalls die verschiedenen vom Gericht genannten Rechtsschutzmöglichkeiten nutzen, um die Rechtmäßigkeit der Nachprüfungsmaßnahmen überprüfen zu lassen oder Ersatz des in deren Verlauf etwa entstandenen Schadens zu fordern.

80.

Als Zweites bin ich, wie bereits in Nr. 53 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, der Auffassung, dass bei dem meines Erachtens richtigen Vorgehen des Gerichts, sämtliche vom System der Union gebotenen Rechtsbehelfe zusammen zu prüfen, keine Rechtsschutzmöglichkeit von vornherein auszuschließen ist, auch wenn sie nur in besonderen Situationen und unter bestimmten Umständen in Anspruch genommen werden kann. Im Übrigen hat der EGMR selbst im Urteil Delta Pekarny – in dem er, wie ich ebenfalls bereits dargelegt habe, ähnlich vorgegangen ist wie das Gericht – die Relevanz der Klage gegen die Entscheidung, mit der die Wettbewerbsbehörde gegen das klagende Unternehmen eine Sanktion wegen Behinderung der Nachprüfung verhängt hatte, für seine Würdigung nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern geprüft, ob das Unternehmen im Rahmen einer solchen Klage die Möglichkeit hatte, die Rechtmäßigkeit und die Erforderlichkeit der Nachprüfungsentscheidung in Frage zu stellen ( 51 ).

81.

Als Drittes ist darauf hinzuweisen, dass der Erlass eines Beschlusses zur Ahndung einer Behinderung nur eine der möglichen Folgen der Ausübung des Widerspruchsrechts ist, das den überprüften Unternehmen nach Art. 20 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 zusteht ( 52 ). Mit ihm kommt es im Ablauf der Nachprüfung zu einer sozusagen „pathologischen“ Phase. Denn nur im Fall offensichtlicher Behinderung oder bei missbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts darf die Kommission von dem Sanktionsmechanismus des Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 Gebrauch machen, sie darf damit nicht drohen, um von den Unternehmen Zugeständnisse zu erlangen, die über die strikten Grenzen ihrer Mitwirkungspflicht hinausgehen ( 53 ).

82.

Von diesen Grenzfällen abgesehen verfügen die betroffenen Unternehmen während des gesamten Verfahrens der Nachprüfung zur Verteidigung ihrer Interessen über das Recht zum Widerspruch gegen Nachprüfungsmaßnahmen, mit denen ihrer Ansicht nach die Kommission die Grenzen ihrer Befugnisse überschreitet ( 54 ). Wie ich bereits dargelegt habe, können diese Unternehmen mit der Ausübung dieses Rechts eine ausdrückliche oder stillschweigende Stellungnahme der Kommission zur Stichhaltigkeit der Begründung eines solchen Widerspruchs beantragen und erlangen, gegen die sie dann vor dem Gericht unter den Voraussetzungen des Art. 263 AEUV unter gleichzeitiger Beachtung ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit vorgehen können.

83.

Aus den vorstehenden Erwägungen ist die zweite Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes meines Erachtens ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

c) Ergebnis zum ersten Rechtsmittelgrund

84.

Nach alledem schlage ich vor, den ersten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

B.   Zum zweiten Rechtsmittelgrund

85.

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, gegen die Art. 6 und 8 EMRK, Art. 296 AEUV und Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen zu haben, weil es die Begründungspflicht, die der Kommission obliege, wenn sie einen Nachprüfungsbeschluss erlasse, und deren Verpflichtung verkannt habe, den Bereich der vorzunehmenden Nachprüfungen möglichst zu begrenzen. Dieser Rechtsmittelgrund richtet sich u. a. gegen die Rn. 121 bis 147 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht den vierten Klagegrund zurückgewiesen hat, mit dem ein Begründungsmangel geltend gemacht worden war, und gegen die Rn. 158 bis 165 dieses Urteils.

1. Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

86.

Die Rechtsmittelführerinnen machen als Erstes geltend, das Gericht habe auf jede Prüfung der Genauigkeit der Begründung der streitigen Beschlüsse verzichtet, denn es habe sich damit begnügt, die Beschaffungsmärkte zu identifizieren und eine mögliche Praxis des Informationsaustauschs zwischen den Einzelhändlern und/oder ihren Allianzen zu erwähnen, der sich möglicherweise auf sämtliche preislichen Aspekte der Verhandlungen mit den Lieferanten erstreckt habe, obwohl sich die geäußerten Vermutungen im Anschluss an die Antwort der Kommission auf die prozessleitenden Maßnahmen des Gerichts erheblich abgeschwächt hätten.

87.

Als Zweites machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht hätte feststellen müssen, dass die streitigen Beschlüsse der Kommission einen unbegrenzten Kontrollbereich eröffnet und ihr die Befugnis verliehen hätten, eine wahre „fishing expedition“ (Beweisausforschung) durchzuführen, mit der sie auf jede Unterlage betreffend ihre Beschaffung in Europa und ihren Absatz in Frankreich hätte zugreifen können.

88.

Als Drittes, so die Rechtsmittelführerinnen, habe das Gericht nicht effektiv überprüft, ob der in Art. 1 Buchst. a der streitigen Beschlüsse definierte Bereich den in Rede stehenden Indizien entsprochen habe.

89.

Schließlich rügen die Rechtsmittelführerinnen, dass das Gericht in Rn. 161 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft – sei es unter dem Aspekt der Begründungspflicht oder dem des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – befunden habe, dass im Nachprüfungsbeschluss nicht das Ende der Nachprüfung vorgesehen sein müsse.

90.

Die Kommission tritt sämtlichen mit dem zweiten Rechtsmittelgrund erhobenen Rügen entgegen.

2. Würdigung

91.

Nach Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 hat die Kommission den Beschluss, mit dem eine Nachprüfung angeordnet wird, unter Bezeichnung von deren Gegenstand und Zweck zu begründen.

92.

Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, stellt diese Begründungspflicht insofern ein grundlegendes Erfordernis dar, als dadurch nicht nur die Berechtigung des beabsichtigten Eingriffs in den betroffenen Unternehmen aufgezeigt werden soll, sondern auch diese Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, den Umfang ihrer Mitwirkungspflicht zu erkennen und zugleich ihre Verteidigungsrechte zu wahren ( 55 ). Daher kann der Umfang der Pflicht zur Begründung der Nachprüfungsbeschlüsse nicht aufgrund von Erwägungen eingeschränkt sein, die die Wirksamkeit der Untersuchung betreffen ( 56 ). Da zudem nur Dokumente gesucht werden dürfen, die vom Gegenstand der Nachprüfung erfasst werden, bewirkt die Begründung des Nachprüfungsbeschlusses auch eine Eingrenzung der den Kommissionsbediensteten verliehenen Befugnisse ( 57 ).

93.

Um dieser Begründungspflicht nachzukommen, muss die Kommission klar angeben, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt ( 58 ), d. h., wonach gesucht wird und auf welche Punkte sich die Nachprüfung beziehen soll ( 59 ).

94.

Dagegen braucht sie dem Adressaten eines Nachprüfungsbeschlusses weder alle ihr vorliegenden Informationen über vermutete Zuwiderhandlungen zu übermitteln noch eine strikte rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vorzunehmen ( 60 ). Auch braucht aus einem Nachprüfungsbeschluss nicht zwingend eine genaue Abgrenzung des relevanten Marktes, die exakte rechtliche Qualifizierung der vermuteten Zuwiderhandlungen oder der Zeitraum hervorzugehen, in dem diese Zuwiderhandlungen begangen sein sollen, sofern dieser Beschluss nur die in Rn. 93 der vorliegenden Schlussanträge genannten wesentlichen Angaben enthält ( 61 ).

95.

Die Nachprüfungen finden nämlich zu Beginn einer Untersuchung statt, so dass die Kommission noch nicht über die zur Abgabe einer spezifischen rechtlichen Würdigung erforderlichen genauen Informationen verfügt und erst noch die Richtigkeit ihres Verdachts sowie die Tragweite der Geschehnisse prüfen muss, denn Zweck der Nachprüfung ist es gerade, Beweise für die mutmaßliche Zuwiderhandlung zu sammeln ( 62 ).

96.

Zur ersten von den Rechtsmittelführerinnen im Rahmen ihres zweiten Rechtsmittelgrundes erhobenen Rüge, mit der eine unzureichende Kontrolle der Begründung der streitigen Beschlüsse beanstandet wird, weise ich darauf hin, dass deren Art. 1 Buchst. a sowohl eine klare Bezeichnung der von der Nachprüfung erfassten mutmaßlichen Zuwiderhandlung enthält, nämlich ein „Informationsaustausch“ über „Preise“ und „Rabatte“, als auch eine Abgrenzung der Märkte, auf denen diese Zuwiderhandlung stattgefunden haben soll. Zum einen werden als Produktmärkte in dieser Bestimmung der „Beschaffungs[markt] für Produkte des täglichen Bedarfs in den Bereichen Lebensmittel, Hygieneartikel und Reinigungsmittel“ hinsichtlich der Rabatte und der Markt „für den Verkauf von Dienstleistungen an Hersteller von Markenprodukten in den Bereichen Lebensmittel, Hygieneartikel und Reinigungsmittel“ hinsichtlich der Preise genannt. Zum anderen wird als räumlicher Markt das Gebiet „mehrere[r] Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere Frankreich[s]“, angegeben. Schließlich enthält diese Bestimmung genaue Angaben zu den anderen Unternehmen, die an der mutmaßlichen Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein sollen.

97.

Angesichts der in der vorstehenden Nummer dieser Schlussanträge angeführten Angaben in Art. 1 Buchst. a der streitigen und im Licht der oben genannten Rechtsprechung bin ich der Auffassung, dass das Gericht in Rn. 130 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei zu dem Schluss gelangt ist, dass die Kommission ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, genau anzugeben, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigte.

98.

Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, das diese auf die Klarstellungen stützen, die die Kommission auf die prozessleitenden Maßnahmen des Gerichts hin vorgenommen haben soll ( 63 ), ist darauf hinzuweisen, dass die Informationen, auf die sich Rechtsmittelführerinnen beziehen, in Auszügen aus der nicht vertraulichen Fassung der Indizien enthalten sind, auf die die Kommission den Verdacht kollusiver Praktiken in Bezug auf Rabatte und Preise stützte; das Gericht hatte zur Vorlage dieser Fassung aufgefordert, um zu überprüfen, ob es sich um hinreichend ernsthafte Indizien handelte, die wegen der vorgenannten Praktiken den Erlass der streitigen Beschlüsse rechtfertigten ( 64 ).

99.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Kommission nach der in Nr. 94 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung zur Erfüllung ihrer Begründungspflicht weder alle ihr vorliegenden Informationen über vermutete Zuwiderhandlungen zu übermitteln noch eine strikte rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vorzunehmen braucht.

100.

Folglich können die Rechtsmittelführerinnen daraus, dass die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet der Rabatte und der Preise in den Auszügen aus der dem Gericht von der Kommission vorgelegten nicht vertraulichen Fassung der in ihrem Besitz befindlichen Indizien detaillierter beschrieben sind, nicht ableiten, dass das Gericht „auf jede Prüfung der Genauigkeit der Begründung der streitigen Beschlüsse verzichtet“ habe ( 65 ).

101.

Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, das Gericht habe rechtsfehlerhaft und unter Verfälschung der oben genannten Rechtsprechung in den Rn. 250 und 254 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die räumliche Tragweite der Praktiken und die Rolle der Rechtsmittelführerinnen bei der mutmaßlichen Zuwiderhandlung zu Recht aus der bloßen Erwähnung der Allianz, deren Mitglied Intermarché war, abgeleitet werden könne, genügt der Hinweis, dass diese Randnummern in dem Teil der Begründung des angefochtenen Urteils enthalten sind, in dem das Gericht geprüft hat, ob die Kommission im Besitz hinreichend ernsthafter Indizien war.

102.

Daher beruht dieses Vorbringen, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausgeführt hat, auf einer Verwechslung zwischen der Kontrolle der Beachtung des wesentlichen Formerfordernisses der Pflicht zur Begründung der angefochtenen Handlung und der Kontrolle der Stichhaltigkeit dieser Begründung, die zur materiellen Rechtmäßigkeit dieser Handlung gehört ( 66 ).

103.

Dieselbe Verwechslung liegt sowohl der – von den Rechtsmittelführerinnen im Übrigen nicht näher ausgeführten – dritten Rüge zugrunde, das Gericht habe nicht effektiv überprüft, ob der in Art. 1 Buchst. a der streitigen Beschlüsse definierte Bereich den in Rede stehenden Indizien entsprochen habe, als auch der zweiten Rüge desselben Rechtsmittelgrundes, das Gericht habe nicht erkannt, dass die Nachprüfungsbeschlüsse einen unbegrenzten Bereich erfassten und damit eine wahre „Beweisausforschung“ erlaubten.

104.

Zur letztgenannten Rüge weise ich zum einen darauf hin, dass das Gericht in Rn. 124 des angefochtenen Urteils bereits zu Recht dargelegt hat, dass die Beantwortung der von den Rechtsmittelführerinnen aufgeworfenen Frage, ob die Kommission eine derartige „Beweisausforschung“ – die nach der Verordnung Nr. 1/2003 nicht zulässig ist ( 67 ) – vorgenommen hat, davon abhängt, ob der Kommission beim Erlass der streitigen Beschlüsse hinreichende Indizien vorlagen, und dass diese Frage daher im Rahmen des Klagegrundes der Verletzung des Rechts der überprüften Unternehmen auf Unverletzlichkeit der Wohnung und nicht des Klagegrundes der unzureichenden Begründung dieser Beschlüsse zu prüfen ist.

105.

Zum anderen beziehen sich die Rechtsmittelführerinnen zur Stützung dieser Rüge auf den Anwendungsbereich der streitigen Beschlüsse, wie er sich nicht nur aus deren Art. 1 Buchst. a, sondern auch aus ihrem Art. 1 Buchst. b ergebe, in dem die Vermutung einer Zuwiderhandlung ausgesprochen wird, die die „künftigen Geschäftsstrategien“ insbesondere im Hinblick auf das Sortiment, die Entwicklung von Geschäften, den E‑Commerce und die Werbepolitik „auf den Beschaffungsmärkten für Produkte des täglichen Bedarfs und auf den Märkten für den Verkauf von Produkten des täglichen Bedarfs an Verbraucher in Frankreich“ betraf. Da indes Art. 1 Buchst. b dieser Beschlüsse vom Gericht in Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils endgültig für nichtig erklärt worden ist, ist die Berufung der Rechtsmittelführerinnen auf seinen Inhalt zur Stützung ihres Vorbringens, der Gegenstand der Nachprüfung sei übermäßig weit gefasst, nicht mehr zulässig.

106.

Soweit das in Nr. 102 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Vorbringen und die in deren Nr. 103 bezeichneten Rügen vom Gerichtshof dahin ausgelegt werden sollten, dass sie gegen die Würdigung der der Kommission vorliegenden Indizien durch das Gericht gerichtet sind, wäre festzustellen, dass zum einen dieses Vorbringen und diese Rügen in keiner Weise untermauert sind und das zum anderen der Gerichtshof, da keine Verfälschung dieser Indizien geltend gemacht wird, jedenfalls im Rahmen eines Rechtsmittels nicht zu ihrer Prüfung befugt ist ( 68 ).

107.

Die vierte von den Rechtsmittelführerinnen im Rahmen ihres zweiten Rechtsmittelgrundes erhobene Rüge schließlich ist gegen die Rn. 158 bis 165 des angefochtenen Urteils gerichtet, die Teil der Prüfung des Klagegrundes der Verletzung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung sind, und zwar des Abschnitts dieser Prüfung, der der Kontrolle der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewidmet ist. In diesen Randnummern hat das Gericht unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung befunden, dass der Umstand, dass kein Enddatum für die Nachprüfung festgelegt worden sei, keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Sphäre der privaten Betätigung der Rechtsmittelführerinnen darstelle.

108.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 2 der streitigen Beschlüsse der Zeitpunkt festgelegt war, zu dem die Nachprüfung beginnen konnte, nicht aber der Zeitpunkt, zu dem sie abgeschlossen sein musste. Eine solche Angabe steht im Einklang mit Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003, wonach die Kommission den Zeitpunkt des Beginns der Nachprüfung zu bestimmen hat, ohne dass dort eine Verpflichtung zur Festlegung des Zeitpunkts ihres Endes vorgesehen ist.

109.

Wie das Gericht in Rn. 161 des angefochtenen Urteils zu Recht hervorhebt, bedeutet das Fehlen eines Enddatums für die Nachprüfung nicht, dass diese unbegrenzt lange andauern kann, denn die Kommission muss insoweit nach Art. 41 Abs. 1 der Charta eine angemessene Frist einhalten ( 69 ).

110.

Folglich braucht zwar die zeitliche Reichweite eines Nachprüfungsbeschlusses nicht in allen Einzelheiten im Voraus festgelegt zu werden, sie ist aber dennoch in der Weise eingegrenzt, dass die Maßnahmen im Verlauf der Nachprüfung eine angemessene Dauer nicht überschreiten, die anhand sämtlicher relevanter Umstände und Gesichtspunkte des Einzelfalls zu bestimmen ist.

111.

Zum einen stellt diese zeitliche Eingrenzung – zumindest, wenn die Nachprüfung stattfindet, ohne dass die Kommission sich der nationalen Zwangsmittel gemäß Art. 20 Abs. 6 bis 8 der Verordnung Nr. 1/2003 bedient – eine angemessene und ausreichende Garantie gegen Willkür dar, insbesondere, wenn bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Nachprüfungsmaßnahmen das Erfordernis berücksichtigt wird, den Eingriff in die Rechte aus Art. 7 der Charta und Art. 8 EMRK auf das für die nötigen Überprüfungen im Verhältnis zum Gegenstand der Nachprüfung unbedingt Erforderliche zu begrenzen.

112.

Zum anderen gewährleistet, wie das Gericht in den Rn. 163 und 164 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, eine solche zeitliche Eingrenzung die Effektivität der Untersuchungsbefugnisse der Kommission, die es erfordert, dass die Dauer der Nachprüfung nicht nur nach Maßgabe im Voraus bekannter Gesichtspunkte, sondern auch solcher angepasst wird, die erst nach Erlass des Nachprüfungsbeschlusses zutage treten – wie die Menge der an Ort und Stelle vorgefundenen Informationen, die bei der Untersuchung eingesetzten Technologien ( 70 ) und das Verhalten der überprüften Unternehmen –, wobei die vorsorgliche Berücksichtigung dieser noch ungewissen Gesichtspunkte die Kommission nicht dazu veranlassen darf, in dem Beschluss, mit dem die Nachprüfung angeordnet wird, für diese eine Dauer festzulegen, die über das unbedingt Erforderliche hinausgeht.

113.

Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der zweite Rechtsmittelgrund in vollem Umfang unbegründet ist.

C.   Zum dritten Rechtsmittelgrund

114.

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund rügen die Rechtsmittelführerinnen einen Rechtsfehler und einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1/2003, weil das Gericht eine Verfahrensphase vor Erlass von Maßnahmen durch die Kommission, die den Vorwurf beinhalteten, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, als nicht der Verordnung unterliegend eingestuft habe. Dieser Rechtsmittelgrund ist gegen die Rn. 189 bis 196 des angefochtenen Urteils gerichtet, die in dem Teil dieses Urteils enthalten sind, in dem das Gericht geprüft hat, ob die Kommission im Besitz hinreichend ernsthafter Indizien war.

1. Das angefochtene Urteil

115.

In Rn. 189 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zunächst ausgeführt, dass bei der Beurteilung der hinreichenden Ernsthaftigkeit der der Kommission vorliegenden Indizien der Umstand zu berücksichtigen sei, dass der Nachprüfungsbeschluss „in dem Abschnitt der Voruntersuchung ergangen ist, der es der Kommission ermöglichen soll, alle relevanten Elemente zusammenzutragen, durch die das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln bestätigt oder nicht bestätigt wird, und eine erste Position zur Ausrichtung und zum weiteren Gang des Verfahrens einzunehmen“. In Rn. 190 heißt es jedoch weiter, dass von der Kommission „in dieser Phase“ vor dem Erlass eines Nachprüfungsbeschlusses nicht verlangt werden könne, dass sie im Besitz von Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung sei, und dass zu unterscheiden sei „zwischen Beweisen für eine Zuwiderhandlung zum einen und Indizien, die geeignet sind, einen begründeten Verdacht zu wecken, der das Vorliegen einer Zuwiderhandlung vermuten lässt“.

116.

In den Rn. 192 und 193 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass diese Unterscheidung „Folgen [u. a.] für die Anforderungen an die Form … der die Nachprüfungsbeschlüsse rechtfertigenden Indizien“ habe und dass „Letztere nicht demselben Förmlichkeitsgrad genügen müssen, wie er insbesondere für die Einhaltung der Regeln gilt, die mit der Verordnung Nr. 1/2003 und der auf ihrer Grundlage ergangenen Rechtsprechung für die Ermittlungsbefugnisse der Kommission aufgestellt worden sind“. Denn, so das Gericht, „[w]äre für die Sammlung der Indizien, die einer Nachprüfung und der Beschaffung von Beweisen für eine Zuwiderhandlung vorausgeht, derselbe Förmlichkeitsgrad erforderlich, würde dies … bedeuten, dass die Kommission die für ihre Ermittlungsbefugnisse geltenden Regeln beachten müsste, obwohl noch keine Untersuchung im Sinne von Kapitel V der Verordnung Nr. 1/2003 förmlich eingeleitet worden ist und die Kommission noch nicht von den ihr insbesondere durch die Art. 18 bis 20 der Verordnung Nr. 1/2003 verliehenen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch gemacht, d. h. keine Maßnahme erlassen hat, die den Vorwurf beinhaltet, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, etwa einen Nachprüfungsbeschluss“ (Rn. 193 des angefochtenen Urteils). Dem Gericht zufolge „[ergibt sich d]iese Definition des Beginns einer Untersuchung und des Abschnitts der Voruntersuchung … aus [einer] ständigen Rechtsprechung“ (Rn. 194 des angefochtenen Urteils).

117.

In Rn. 196 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, zu den Bestimmungen, zu deren Beachtung die Kommission nicht verpflichtet sei, gehörten Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 ( 71 ) in ihrer Auslegung durch das Urteil vom 6. September 2017, Intel/Kommission ( 72 ).

118.

In Rn. 206 des angefochtenen Urteils ist das Gericht daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, Protokolle von Befragungen aufzuzeichnen, die sie in den Jahren 2016 und 2017 bei 13 Lieferanten der von der Nachprüfung betroffenen Produkte durchgeführt hatte, die regelmäßig Vereinbarungen mit Casino und ITM trafen (im Folgenden: Befragungen der Lieferanten), und dass die aus diesen Befragungen hervorgegangenen Indizien nicht deshalb als formfehlerhaft zurückgewiesen werden könnten, weil die Verpflichtung zur Aufzeichnung nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 nicht eingehalten worden sei.

2. Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

119.

Die Rechtsmittelführerinnen machen als Erstes geltend, die im angefochtenen Urteil enthaltene Definition des Beginns einer Untersuchung und des Abschnitts der Voruntersuchung beruhe auf einer Verfälschung der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Denn als einzige Unterscheidung hinsichtlich der zu beachtenden Rechte gehe aus sämtlichen in Rn. 194 dieses Urteils genannten Urteilen, die im Übrigen nur die Beurteilung des Beginns des Zeitraums beträfen, der für die Frage der angemessenen Dauer des Verfahrens zu berücksichtigen sei, die „Unterscheidung zwischen den beiden Phasen des Verwaltungsverfahrens, d. h. der vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte liegenden Phase der Untersuchung und der Phase, die dem übrigen Verwaltungsverfahren entspreche“, hervor, die sich im Übrigen aus der Verordnung Nr. 773/2004 selbst ergebe.

120.

Als Zweites rügen die Rechtsmittelführerinnen einen Rechtsfehler des Gerichts, weil es contra legem entschieden habe, dass die Verordnung Nr. 1/2003 vor dem Erlass eines ersten Nachprüfungsbeschlusses nicht anwendbar sei, obwohl, so die Rechtsmittelführerinnen, aus dem 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 wie aus Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 hervorgehe, dass sie „in vollem Umfang für alle Handlungen gilt, die die Kommission zur Durchführung der Art. 101 ff. AEUV nach Aufdeckung der Praktiken erlässt“. Diese Auslegung werde bestätigt durch die Geltung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2003 sowohl für die sektorbezogenen Untersuchungen nach Art. 17 dieser Verordnung als auch für die Kronzeugenerklärung ( 73 ), die nicht mit dem Erlass von Maßnahmen einhergingen, die den Vorwurf einer Zuwiderhandlung beinhalteten.

121.

Als Drittes wenden sich die Rechtsmittelführerinnen gegen die Folgerungen, die das Gericht aus der Unterscheidung zwischen Beweisen für eine Zuwiderhandlung und Indizien, die einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegen, ziehe, und insbesondere die Feststellung in Rn. 193 des angefochtenen Urteils, dass für Letztere nicht derselbe Förmlichkeitsgrad gelte. Vielmehr müssten für das gesamte Beweismaterial, das von der Kommission gesammelt und in nach der Verordnung Nr. 1/2003 eingeleiteten Verfahren verwendet werde, dieselben Anforderungen, derselbe Förmlichkeitsgrad und dieselben Verfahrensregeln gelten, durch die die Authentizität, die Redlichkeit und die Glaubwürdigkeit des Beweises gewährleistet werden sollten. Die Beachtung dieser Regeln garantiere die Authentizität des Beweises, die eine notwendige Voraussetzung für die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit sei.

122.

Die Kommission macht geltend, für ein materielles Element, das als Indiz verwendet werden solle, das den Erlass eines Nachprüfungsbeschlusses erlaube, genüge zwangsläufig ein geringerer Beweiswert als für ein materielles Element, das den Beweis für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung erbringen solle, und aus dieser Unterscheidung folge, dass für Indizien zwangsläufig ein geringerer Förmlichkeitsgrad gelte.

123.

Insbesondere sei es nicht erforderlich, dass diese Indizien nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 aufgezeichnet würden, es sei denn, es werde davon ausgegangen, dass die Formerfordernisse nach diesen Bestimmungen bereits vor Einleitung einer Ermittlung gelten.

124.

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – mit der die Kommission erstmals von ihren Ermittlungsbefugnissen Gebrauch mache und Maßnahmen ergreife, die den Vorwurf der Begehung einer Zuwiderhandlung beinhalteten und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Entitäten hätten – finde zu einem anderen Zeitpunkt statt und habe andere rechtliche Folgen als die Anlegung einer Akte und die Einleitung des Verfahrens nach Art. 2 der Verordnung Nr. 773/2004. Während die Anlegung einer Akte eine interne Handlung der Geschäftsstelle der Generaldirektion Wettbewerb sei, wenn sie ein Aktenzeichen vergebe, und der Generaldirektion Wettbewerb lediglich die Aufbewahrung von Unterlagen ermöglichen solle, entspreche die Einleitung des Verfahrens dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission nach Art. 2 der Verordnung Nr. 773/2004 beschließe, ein Verfahren zum Erlass eines Beschlusses gemäß Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 einzuleiten.

125.

Nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 müsse eine „Befragung“ im Sinne dieses Artikels auf die „Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“, gerichtet sein, die begriffsgemäß zuvor eingeleitet worden sein müsse. Zudem gingen die Bezugnahmen der Rechtsmittelführerinnen auf den 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 sowie auf die sektorbezogenen Untersuchungen und die Kornzeugenerklärung fehl.

126.

Im vorliegenden Fall hätten die Treffen und Telefonkonferenzen mit den 13 betroffenen Lieferanten vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß der Verordnung Nr. 1/2003 und damit vor jedem „Verfahren“ stattgefunden. Die Kommission sei daher nicht zur Beachtung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Förmlichkeiten verpflichtet gewesen.

127.

Verhielte es sich anders, so wäre dies der Durchführung des Wettbewerbsrechts durch die Kommission in mehrfacher Hinsicht abträglich. Erstens würde es die Kommission daran hindern, Indizien zu sammeln und zu verwenden, wenn diese nur mündlicher Natur seien, etwa eine Enthüllung, die ein Kommissionsvertreter bei einem Treffen, einer informellen Begehung von Räumlichkeiten oder an einem öffentlichen Ort gehört habe. Zweitens liefe dies auf die Annahme hinaus, dass Indizien niemals mündlicher Natur sein könnten, was durch die Verzögerung des Zeitpunkts der Durchsuchung die Effektivität der Ermittlungen der Kommission gefährden würde.

128.

Zudem stelle die Anwendung eines geringeren Förmlichkeitsgrads auf Indizien als auf Beweise das Zügigkeitsgebot sicher, dass für den Erlass von Nachprüfungsbeschlüssen und für die Effektivität der Ermittlungen der Kommission gelte.

129.

Schließlich beruhe das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zur Authentizität der Beweise jedenfalls auf einem unrichtigen Verständnis der Rechtsprechung. Die Authentizität eines Beweises sei nämlich keine „notwendige Voraussetzung“ für seine Glaubwürdigkeit. Im Unionsrecht gelte der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, aus dem folge, dass für die Beurteilung des Beweiswerts von ordnungsgemäß vorgelegten Beweisen allein deren Glaubwürdigkeit maßgeblich sei und dass der Beweiswert eines Beweises einer Gesamtwürdigung zu unterziehen sei, so dass bloße, nicht substantiierte Zweifel an der Authentizität eines Beweises nicht genügten, um dessen Glaubwürdigkeit zu beeinträchtigen. Diese Grundsätze gelten umso mehr für Indizien, denn für die Einstufung eines materiellen Elements als Indiz sei begriffsgemäß ein geringerer Beweiswert erforderlich.

3. Würdigung

130.

Nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission alle natürlichen und juristischen Personen befragen, die der Befragung zum Zweck der Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht, zustimmen. Bei den auf diese Bestimmung gestützten Befragungen sind die in Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 niedergelegten Formerfordernisse zu beachten. So teilt die Kommission nach Abs. 1 dieses Artikels zu Beginn der Befragung die Rechtsgrundlage sowie den Zweck der Befragung mit, verweist auf den freiwilligen Charakter der Befragung und teilt dem Befragten ferner ihre Absicht mit, die Befragung aufzuzeichnen. Nach Abs. 3 dieses Artikels kann die Kommission die Aussagen des Befragten auf einen beliebigen Träger aufzeichnen. Dem Befragten wird eine Kopie der Aufzeichnung zur Genehmigung überlassen. Die Kommission setzt erforderlichenfalls eine Frist, innerhalb deren der Befragte seine Aussage berichtigen kann.

131.

Im Urteil Intel hat der Gerichtshof zur Tragweite der Formerfordernisse, die für die gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 durchgeführten Befragungen gelten, ausgeführt, dass die Kommission, wenn sie sich mit der Zustimmung des Befragten dafür entscheidet, eine Befragung auf der Grundlage von Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 vorzunehmen, verpflichtet ist, die Befragung in vollem Umfang aufzuzeichnen, unbeschadet der ihr überlassenen Wahl der Form dieser Aufzeichnung ( 74 ).

132.

Folglich besteht für die Kommission eine Pflicht, jede Befragung, die sie nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 durchführt, um Informationen einzuholen, die sich auf den Gegenstand ihrer Untersuchung beziehen, in der von ihr gewählten Form aufzuzeichnen ( 75 ).

133.

In dem angefochtenen Urteil ist das Gericht der Sache nach zu dem Schluss gelangt, dass diese Verpflichtung nicht für die Befragungen der Lieferanten gelte, denn zum einen hätten diese vor der Einleitung einer Ermittlung nach der Verordnung Nr. 1/2003 stattgefunden, d. h., bevor die Kommission eine Maßnahme erlassen habe, die den Vorwurf der Begehung einer Zuwiderhandlung beinhalte, und zum anderen brauche die Kommission für den Erlass eines Nachprüfungsbeschlusses, der in die Phase der Voruntersuchung vor Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte falle, nur über ernsthafte materielle Indizien, die den Verdacht einer Zuwiderhandlung begründen könnten, zu verfügen, für die nicht derselbe Förmlichkeitsgrad gelte wie für die Beschaffung der Beweise für eine Zuwiderhandlung. Die Rechtsmittelführerinnen treten dieser Schlussfolgerung mit verschiedenen Argumenten entgegen, während die Kommission sie für rechtsfehlerfrei hält.

134.

Zur Entscheidung über den dritten Rechtsmittelgrund muss der Gerichtshof demnach klären, ob die Kommission verpflichtet ist, gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 die Befragungen aufzuzeichnen, aus denen die Informationen hervorgegangen sind, die als Indizien zur Rechtfertigung des Erlasses eines Nachprüfungsbeschlusses im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 verwendet werden.

135.

Aus den im Folgenden darzulegenden Gründen meine ich, dass diese Frage zu bejahen ist.

136.

Die von den Rechtsmittelführerinnen erhobenen Rügen geben dem Gerichtshof Anlass, sich zum einen mit der Frage zu befassen, ab welchem Zeitpunkt während der Untersuchung einer Sache von der Kommission vorgenommene Befragungen als „zum Zweck der Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“, durchgeführt anzusehen sind, und zum anderen mit der Frage, ob die Tatsache, dass für Indizien, die einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegen, ein geringerer Beweiswert als für Beweise für eine Zuwiderhandlung gefordert wird, es rechtfertigt, Erstere einem geringeren Förmlichkeitsgrad zu unterwerfen, zu dem u. a. nicht die Beachtung der Formerfordernisse des Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 für die nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 durchgeführten Befragungen gehört.

137.

Ich werde mit der Prüfung der zweiten dieser Fragen beginnen.

138.

Meines Erachtens hat entgegen den Ausführungen in den Rn. 189 bis 192 des angefochtenen Urteils weder der geringere Beweiswert, der für Indizien gefordert wird, die einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegen, noch der Umstand, dass ein solcher Beschluss in die Phase der Voruntersuchung fällt, die der Übersendung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte vorangeht, Auswirkungen auf die Formerfordernisse, die die Kommission gemäß den anwendbaren Rechtsvorschriften zu beachten hat, wenn sie Beweise sammelt, die für ihre Ermittlungen verwendet werden sollen.

139.

Das soeben Gesagte bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Form eines materiellen Elements sich nicht auf dessen Beweiswert auswirkt. So hat etwa eine notarielle Urkunde in der Regel einen höheren Beweiswert als eine Privaturkunde. Dieser Zusammenhang zwischen Form und Beweiswert geht jedoch nicht notwendig mit einer Abstufung des Förmlichkeitsgrads einher, der für bestimmte Kategorien von Beweiselementen nach Maßgabe des für deren Verwendung erforderlichen Beweiswerts gilt.

140.

Hinsichtlich der Informationen, die die Kommission aus ihren Befragungen natürlicher oder juristischer Personen gewinnt, ergibt sich meines Erachtens aus dem Urteil Intel, dass zwischen Beweiswert und Beachtung der Formerfordernisse des Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 und des Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 keinerlei Zusammenhang besteht.

141.

Wie nämlich klar aus diesem Urteil und insbesondere seiner Rn. 87 hervorgeht, wonach weder der Wortlaut von Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 noch das mit ihm verfolgte Ziel einen Anhaltspunkt dafür bietet, dass der Gesetzgeber eine Unterscheidung zwischen zwei Kategorien von Befragungen nach dieser Bestimmung einführen oder einzelne dieser Befragungen von deren Anwendungsbereich ausnehmen wollte, erfasst die daraus folgende Aufzeichnungspflicht jede von der Kommission durchgeführte Befragung, soweit sie sich „auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“. Das Bestehen einer solchen Verpflichtung kann somit weder vom Beweiswert abhängen, der den bei diesen Befragungen entgegengenommenen Erklärungen möglicherweise zukommt und der im Übrigen erst nach Durchführung der Befragungen beurteilt werden kann, noch davon, wie die Kommission diese Informationen im Lauf der verschiedenen Verfahrensphasen zu verwenden beabsichtigt. Die Bezugnahme der Kommission auf die Materialien zur Verordnung Nr. 1/2003 kann meines Erachtens diese Schlussfolgerung nicht in Frage stellen ( 76 ).

142.

Zudem wird die in den Rn. 189 bis 192 des angefochtenen Urteils enthaltene Aussage, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Beweiswert der einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien und Beachtung der Formerfordernisse hinsichtlich von der Kommission aus Befragungen gewonnener Indizien, durch die Ausführungen des Gerichts in den Rn. 195, 200 bis 203 und 205 dieses Urteils zu seinem Verständnis von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und des Urteils Intel widerlegt. Wie nämlich aus diesen Randnummern hervorgeht, hat das Gericht befunden, dass die Kommission, wenn eine Ermittlung in dem in Rn. 194 des angefochtenen Urteils dargelegten Sinne einmal eingeleitet worden sei, grundsätzlich die Pflicht zur Aufzeichnung der auf den Gegenstand einer Untersuchung bezogenen Befragungen zu beachten habe und dass diese Pflicht unabhängig davon bestehe, welchen Beweiswert die von der Kommission aus diesen Befragungen möglicherweise gewonnenen Informationen hätten und wie sie diese Informationen verwende, ob als Indizien im Rahmen der Vorprüfungsphase, einschließlich zu dem Zweck des Erlasses eines Nachprüfungsbeschlusses ( 77 ), oder als Beweise im Stadium der Übersendung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte.

143.

Allgemeiner beruht der Unterschied zwischen Indizien und Beweisen darauf, dass Erstere nur die Vermutung des Bestehens der zu beweisenden Tatsache erlauben, während Letztere diese Tatsache beweisen. Wenn die Erstellung eines Beweiselements eine bestimmte Förmlichkeit erfordert, häufig, um dessen Authentizität und Glaubwürdigkeit sicherzustellen, so bedeutet die Nichtbeachtung dieser Förmlichkeit, dass dieses Element unabhängig von seinem Beweiswert seine Beweisfunktion nicht erfüllen kann.

144.

Die erste der in Rn. 136 der vorliegenden Schlussanträge genannten Fragen bedingt der Sache nach eine Auslegung des Begriffs „Befragung“ zum Zweck der „Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“, im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003.

145.

Im angefochtenen Urteil hat das Gericht befunden, dass nach dem Wortlaut dieser Bestimmung die dort genannten Befragungen solche seien, die auf die „Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“, gerichtet seien, die definitionsgemäß eingeleitet worden sein müsse und deren Gegenstand vor Durchführung dieser Befragungen bestimmt worden sein müsse. Daraus hat es abgeleitet, dass die in Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 vorgesehene Pflicht zur Aufzeichnung dieser Befragungen „für Befragungen vor Einleitung einer Untersuchung durch die Kommission“ nicht gelte ( 78 ). In Rn. 193 des angefochtenen Urteils hat das Gericht der Sache nach befunden, dass eine Untersuchung erst dann förmlich eingeleitet sei, wenn die Kommission von den ihr insbesondere durch die Art. 18, 19 und 20 der Verordnung Nr. 1/2003 verliehenen Untersuchungsbefugnissen mit dem Erlass einer Maßnahme, die den Vorwurf der Begehung einer Zuwiderhandlung beinhalte, u. a. eines Nachprüfungsbeschlusses, Gebrauch gemacht habe, und in Rn. 194 dieses Urteils hat es ausgeführt, dass diese Definition des Beginns einer Untersuchung aus einer ständigen Rechtsprechung hervorgehe.

146.

Nach dieser Rechtsprechung – die auf das Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission ( 79 ), zurückgeht – können bei der Prüfung des von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahrens zwei aufeinanderfolgende Abschnitte unterschieden werden, die jeweils einer eigenen inneren Logik folgen. Der erste Abschnitt, der sich bis zur Mitteilung der Beschwerdepunkte erstreckt, beginnt dann, wenn die Kommission in Ausübung der ihr vom Unionsgesetzgeber verliehenen Befugnisse Maßnahmen trifft, die den Vorwurf der Begehung einer Zuwiderhandlung beinhalten, und soll es der Kommission ermöglichen, zum weiteren Verlauf des Verfahrens Stellung zu nehmen. Der zweite Abschnitt erstreckt sich von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass des abschließenden Beschlusses. Er soll es der Kommission ermöglichen, sich abschließend zu der gerügten Zuwiderhandlung zu äußern.

147.

Hierzu ist mit den Rechtsmittelführerinnen darauf hinzuweisen, dass die in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge angeführten Grundsätze zum Zweck der Anwendung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer entwickelt worden sind. Im Urteil LMV hat der Gerichtshof, gestützt auf die Rechtsprechung des EGMR ( 80 ), den Zeitpunkt bestimmt, zu dem die Tätigkeit der Untersuchung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht durch die Kommission sich in einer Handlung niederschlägt, die, wenn auch noch keine förmliche Beschuldigung, so doch zumindest einen Vorwurf beinhaltet, der „erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Unternehmen“ hat ( 81 ).

148.

Wie die Rechtsmittelführerinnen denke ich jedoch nicht, dass die Logik, die der Festlegung des Beginns des Zeitraums, der für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen ist, zugrunde liegt und die auf den Zeitpunkt abstellt, zu dem das betreffende Unternehmen Kenntnis von dem erhobenen Vorwurf erlangt oder seine Situation von den Maßnahmen der Kommission berührt wird, für die Auslegung von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 relevant ist.

149.

Insoweit ist zu beachten, dass dieser Artikel Teil des mit „Ermittlungsbefugnisse“ überschriebenen Kapitels V dieser Verordnung ist. Wenn die Kommission eine Befragung im Sinne dieser Bestimmung durchführt, übt sie somit eine „Ermittlungsbefugnis“ aus, wie sie das auch tut, wenn sie ein Auskunftsverlangen nach Art. 18 dieser Verordnung versendet oder wenn sie einen Nachprüfungsbeschluss nach deren Art. 20 erlässt. Unstreitig wird mit einer Handlung nach den Art. 18 und 20 der Verordnung Nr. 1/2003 eine „Ermittlung“ eingeleitet, doch soll nach der vom Gericht vorgenommenen und von der Kommission befürworteten Auslegung von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 die Ausübung der in diesem Artikel vorgesehenen Befugnis als solche nicht den Beginn einer solchen Ermittlung kennzeichnen, sondern deren bereits erfolgte Einleitung voraussetzen.

150.

Meines Erachtens liegt darin eine Inkohärenz, die nicht dadurch ausgeglichen werden kann, dass das Gericht stillschweigend die Möglichkeit anerkennt, dass die Durchführung einer Befragung im Sinne von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 – ebenso wie ein Auskunftsverlangen oder eine Durchsuchung – die Einleitung einer Ermittlung kennzeichnet, falls diese Befragung gegenüber einem der befragten Unternehmen oder einem von den Erklärungen der Kommission betroffenen Unternehmen den Vorwurf der Begehung einer Zuwiderhandlung beinhaltet ( 82 ). Denn ein solches Anerkenntnis stellt zum einen die Feststellung des Gerichts in Frage, nach dem Wortlaut von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 müsse eine Ermittlung eingeleitet und ihr Gegenstand festgelegt worden sein, bevor die Befragungen nach diesem Artikel durchgeführt würden. Zum anderen entspricht sie nur partiell der Logik, die der in Rn. 194 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechung zugrunde liegt, da das Aufkommen eines Verdachts gegen ein Drittunternehmen im Zuge einer Befragung nicht bedeutet, dass dieses damit von den eventuell ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen Kenntnis erlangt.

151.

Die in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge angesprochene Inkohärenz ist umso offensichtlicher, wenn man bedenkt, dass die Kommission, wie die Rechtsmittelführerinnen zu Recht ausgeführt haben, in Ausübung ihrer Befugnis nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1/2003 eine sektorbezogene Untersuchung einleiten kann, ohne dass gegenüber einem bestimmten Unternehmen der Vorwurf erhoben wird, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben ( 83 ).

152.

Meines Erachtens gebietet der Wortlaut von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003, insbesondere der Ausdruck „zum Zweck der Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“ eine andere Auslegung, die nicht zwingend verlangt, die betreffenden Befragungen einem bestimmten Abschnitt des Verwaltungsverfahrens zuzuordnen oder festzulegen, ab welcher förmlichen Handlung die Kommission zur Beachtung der Formerfordernisse des Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 verpflichtet ist.

153.

Die Definition der Tragweite dieser Verpflichtung und somit die Bestimmung der Fälle, in denen die Befugnis nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 ausgeübt wird, hängen nämlich meiner Ansicht nach wesentlich von Gegenstand und Inhalt der von der Kommission durchgeführten Befragungen ab.

154.

Im vorliegenden Fall geht aus dem angefochtenen Urteil und aus den Akten des Verfahrens vor dem Gericht hervor, dass diese Befragungen bei den Lieferanten der Produkte durchgeführt worden waren, die von der in Art. 1 Buchst. a der streitigen Beschlüsse ausgesprochenen Vermutung einer Zuwiderhandlung betroffen waren, dass diese Lieferanten regelmäßig Vereinbarungen mit Intermarché trafen und dass die Kommission zur Vorbereitung dieser Befragungen einen Fragebogen an die befragten Lieferanten versandt hatte, der u. a. das Verhalten der Vertriebsallianzen bei den Verhandlungen mit den Lieferanten, die Entwicklung ihrer Verhandlungsmacht im Laufe der Zeit und deren Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen auf dem Vertriebsmarkt betraf. Die Kommission fragte darin zudem offen, ob der Lieferant Kenntnis von einem Austausch sensibler geschäftlicher Informationen zwischen Vertreibern innerhalb einer Allianz habe, und forderte ihn, wenn ja, auf, zu erläutern, welche Informationen dies seien. Aus dem angefochtenen Urteil geht zudem hervor, dass diese Befragungen kurze Zeit nach einer Versammlung durchgeführt wurden, die am 16. September 2016 am Sitz von Intermarché in Anwesenheit der Vertreter der Allianzen stattgefunden hatte, zu der die Lieferanten der Handelsketten eingeladen worden waren, und dass sie bis zum Tag vor dem Erlass der streitigen Beschlüsse andauerten.

155.

Wenn die Kommission aber Befragungen mit einem solchen Inhalt durchführt, deren Gegenstand im Voraus festgelegt ist und als deren Ziel offen die Erlangung von Informationen über das Geschehen auf einem bestimmten Markt und das Verhalten der betreffenden Marktteilnehmer genannt wird, um etwaige wettbewerbswidrige Verhaltensweisen aufzudecken oder ihren Verdacht hinsichtlich solcher Verhaltensweisen zu bestärken, übt sie meines Erachtens unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt die Befragung stattfindet, ihre Befugnis gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 aus.

156.

Unter diesen Umständen genügt es aus meiner Sicht, dass bei der Geschäftsstelle der Kommission eine Akte angelegt worden ist, um davon auszugehen, dass derartige Befragungen auf die „Einholung von Information, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht“, im Sinne dieser Bestimmung zielen ( 84 ). Mit anderen Worten muss, wie Generalanwalt Wahl in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Intel Corporation/Kommission ( 85 ) ausgeführt hat, „jedes Treffen mit einem Dritten, das eigens zu dem Zweck angesetzt wird, inhaltliche Informationen einzuholen, die für die Beurteilung der Sache verwendet werden sollen, in den Geltungsbereich von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 fallen“ ( 86 ).

157.

Einer anderen Auslegung zu folgen, würde meines Erachtens zu dem unannehmbaren Ergebnis führen, dass Befragungen mit dem vorgenannten Inhalt außerhalb des von der Verordnung Nr. 1/2003 gezogenen rechtlichen Rahmens stattfänden. Wenn aber die Kommission de facto ihre Ermittlungsbefugnisse ausübt, gilt entgegen dem, was aus Rn. 193 des angefochtenen Urteils hervorzugehen scheint, ein solcher rechtlicher Rahmen zwangsläufig, selbst wenn eine Untersuchung nicht „förmlich eingeleitet“ worden ist ( 87 ).

158.

Dies gilt umso mehr, wenn wie im vorliegenden Fall die aus solchen Befragungen gewonnenen Erkenntnisse als ernsthafte Indizien zur Begründung eines Nachprüfungsbeschlusses verwendet werden, d. h. einer Maßnahme, die mit einem Eingriff in die Sphäre der privaten Betätigung eines Unternehmens und einer Einschränkung seiner in Art. 7 der Charta und Art. 8 EMRK niedergelegten Grundrechte einhergeht.

159.

Ich weise schließlich darauf hin, dass die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 es entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht mit sich bringt, dass diese nicht mehr in der Lage wäre, eventuell nur in mündlicher Form vorliegende Indizien zu sammeln und zu verwenden.

160.

In dieser Hinsicht ist zum einen zu beachten, dass das in Nr. 154 der vorliegenden Schlussanträge beschriebene Szenario sich sehr stark von dem unterscheidet, das die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen angeführt hat (ein Kommissionsvertreter hört eine Enthüllung bei einem Treffen, einer informellen Begehung von Räumlichkeiten oder an einem öffentlichen Ort). Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission keine Befragung nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 durchführt und daher nicht zur Aufzeichnung der Äußerungen Dritter verpflichtet ist, wenn diese Äußerungen nicht den Gegenstand einer bestimmten Ermittlung betreffen ( 88 ).

161.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass das Gericht Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 unrichtig ausgelegt und einen Rechtsfehler begangen hat, indem es befunden hat, dass die aus den Befragungen der Lieferanten hervorgegangenen Indizien nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden könnten, sie seien wegen Nichtbeachtung der Aufzeichnungspflicht nach Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 mit einem Formfehler behaftet.

162.

Für den Fall, dass der Gerichtshof die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 bestätigen und entscheiden sollte, dass die Pflicht zur Aufzeichnung der nach dieser Bestimmung durchgeführten Befragungen nur gilt, wenn diese nach Einleitung einer Untersuchung im Sinne der Rn. 193 und 194 des angefochtenen Urteils durchgeführt werden, bin ich gleichwohl der Ansicht, dass das Gericht zu Unrecht befunden hat, dass die Kommission diese Verpflichtung im vorliegenden Fall nicht zu beachten brauchte.

163.

Meines Erachtens ist die Kommission, wenn sie die Möglichkeit ins Auge fasst, die aus diesen Äußerungen Dritter gewonnenen Informationen für den Erlass eines Nachprüfungsbeschlusses zu verwenden – wie es angesichts von Gegenstand, Inhalt und Chronologie der bei den Lieferanten durchgeführten Befragungen hier offensichtlich der Fall war –, jedenfalls verpflichtet, diese Äußerungen gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 aufzuzeichnen. Ich sehe darin in Anbetracht des mit einer Nachprüfung einhergehenden Eingriffs in die Grundrechte des überprüften Unternehmens eine notwendige Garantie, u. a., um den Unionsgerichten die Prüfung zu ermöglichen, ob die der Kommission vorliegenden Indizien so ernsthafter Natur sind, dass sie einen solchen Eingriff rechtfertigen.

164.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof deshalb vor, dem dritten Rechtsmittelgrund zu folgen.

D.   Zum vierten Rechtsmittelgrund

165.

Der vierte Rechtsmittelgrund besteht aus vier Teilen. Die ersten drei Teile – eine Verfälschung des Sachverhalts, ein Rechtsfehler und eine offensichtlich fehlerhafte Würdigung, weil das Gericht erstens entschieden habe, dass vor dem Erlass des ersten Nachprüfungsbeschlusses (des Beschlusses Tute 1 vom 9. Februar 2017) keine Untersuchung eingeleitet gewesen sei, zweitens, dass die Befragungsprotokolle als Indizien verwendet werden könnten, ohne dass die Vorgaben des Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und des Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 erfüllt seien, und drittens, dass die Beachtung der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Förmlichkeiten die Aufdeckung wettbewerbswidriger Praktiken gefährde – decken sich der Sache nach mit dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zu ihrem dritten Rechtsmittelgrund. Ich verweise daher auf meine Ausführungen im Rahmen der Prüfung dieses Rechtsmittelgrundes.

166.

Folglich bleibt noch der vierte Teil des vierten Rechtsmittelgrundes zu prüfen.

Zum vierten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes

167.

Mit dem vierten Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, es habe in Rn. 219 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Kommission bei Erlass der streitigen Beschlüsse über hinreichend ernsthafte Indizien verfügt habe, ohne dass die Zeitpunkte der Erstellung und der Finalisierung der Befragungsprotokolle genau bestimmt zu werden brauchten.

168.

Zum einen machen sie geltend, nach der Rechtsprechung müssten die Indizien, die einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde lägen, vor dem Erlass dieses Beschlusses in der Akte der Kommission enthalten sein, u. a. damit die an der Ausarbeitung des Beschlusses Beteiligten prüfen könnten, ob diese Indizien hinreichend ernsthaft seien und ob der Bereich der Nachprüfung zutreffend abgegrenzt worden sei. Somit habe das Gericht zu Unrecht in Rn. 208 des angefochtenen Urteils befunden, dass „der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung, ob zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses Indizien vorlagen, der Zeitpunkt der Befragungen der Lieferanten [ist], die Gegenstand der Protokolle waren“.

169.

Zum anderen führen die Rechtsmittelführerinnen aus, in Rn. 215 des angefochtenen Urteils habe das Gericht ihnen die Beweislast dafür aufgebürdet, dass die Kommission sämtliche Protokolle nach dem Zeitpunkt des Erlasses des ersten streitigen Beschlusses (des Beschlusses Tute 1 vom 9. Februar 2017) erstellt habe.

170.

Die Kommission macht geltend, der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob sie im Besitz von Indizien in Form mündlicher Erklärungen sei, sei der Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärungen und nicht der Zeitpunkt, zu dem sie diese förmlich schriftlich festgehalten habe. Sie verweist hierzu auf das Urteil vom 9. Juni 2016, Repsol Lubricantes y Especialidades u. a./Kommission ( 89 ), das im Kontext der Kronzeugenverfahren ergangen sei und in Rn. 209 des angefochtenen Urteils erwähnt werde und aus dem hervorgehe, dass der Besitz der Kommission an einem Beweismittel der Kenntnis seines Inhalts gleichkomme. Im vorliegenden Fall hätten die Befragungen der Lieferanten aber sämtlich vor Erlass des ersten Nachprüfungsbeschlusses (des Beschlusses Tute 1 vom 9. Februar 2017) stattgefunden. Zudem sei der Kommission im angefochtenen Urteil keine Befugnis zu einer nachträglichen Regularisierung zuerkannt worden, da das Gericht festgestellt habe, dass sie zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Beschlüsse bereits die aus den Treffen oder den Telefonkonferenzen mit den 13 Lieferanten hervorgegangenen Indizien in ihrem Besitz gehabt habe.

171.

Vorab weise ich darauf hin, dass sich aus den Rn. 207 und 210 des angefochtenen Urteils klar ergibt, dass die von den Rechtsmittelführerinnen mit dem vierten Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes beanstandeten Gründe dieses Urteils auf die Prämisse gegründet sind, dass die Kommission im vorliegenden Fall keine Aufzeichnungspflicht nach Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 getroffen habe und sie daher nicht darzutun brauche, zu welchem Zeitpunkt die Befragungsprotokolle erstellt worden seien, da die Vorzeitigkeit der aus diesen Befragungen hervorgegangenen Indizien im Verhältnis zu dem Zeitpunkt zu beurteilen sei, zu dem die Erklärungen abgegeben worden seien, d. h. dem Zeitpunkt, zu dem die Befragungen stattgefunden hätten. Das Gericht hat nämlich befunden, dass es in Ermangelung einer solchen Aufzeichnungspflicht möglich sei, dass die einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien, die aus Befragungen Dritter durch die Kommission hervorgegangen seien, nur in mündlicher Form vorlägen, und dass im vorliegenden Fall die Befragungen der Lieferanten die Kenntnis der dabei mitgeteilten Informationen und deren Besitz zum Zeitpunkt dieser Befragungen implizierten.

172.

Folglich wären, sollte der Gerichtshof meinem Vorschlag entsprechend dem dritten Rechtsmittelgrund folgen – unabhängig von den Konsequenzen, die das für die Nichtigerklärung oder die Bestätigung des angefochtenen Urteils hätte und die später zu erörtern sein werden –, die Randnummern der Begründung dieses Urteils, auf die sich der hier geprüfte Teil des vierten Rechtsmittelgrundes bezieht, zwangsläufig ebenfalls von der Aufhebung erfasst. Die nachstehenden Ausführungen gelten demnach für den Fall, dass der Gerichtshof meinem Vorschlag nicht folgen sollte.

173.

Ebenfalls vorab möchte ich gewisse Zweifel äußern, ob dieser Teil, sollte er durchgreifen, zur Nichtigerklärung des angefochtenen Urteils führen kann, da er nur gegen einen der beiden Gründe gerichtet ist, aus denen das Gericht die Rüge zurückgewiesen hat, es fehle an der Vorzeitigkeit der den streitigen Beschlüssen zugrunde liegenden Indizien, weil die Kommission nicht nachgewiesen habe, zu welchem Zeitpunkt die Befragungsprotokolle erstellt worden seien.

174.

Um dieses Vorbringen zurückzuweisen, hat das Gericht nämlich, wie ich in Nr. 171 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, zum einen in erster Linie befunden, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage, ob die Kommission vor dem Erlass der streitigen Beschlüsse im Besitz der aus den Befragungen der Lieferanten hervorgegangenen Indizien gewesen sei, der Zeitpunkt sei, zu dem diese Befragungen stattgefunden hätten. Zum anderen hat es hilfsweise in Rn. 215 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass selbst dann, wenn der maßgebliche Zeitpunkt derjenige sein sollte, zu dem die Protokolle dieser Befragungen erstellt worden seien, und obwohl die Kommission diesen Zeitpunkt nicht nachgewiesen habe, auf der Grundlage der von dieser vorgelegten Anhaltspunkte und in Anbetracht ihres Vortrags, sie habe diese Protokolle erstellt, um einer ihrer Ansicht nach bestehenden Aufzeichnungspflicht gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 nachzukommen, vernünftigerweise davon ausgegangen werden könne, dass diese Protokolle nach und nach im Zuge der Gespräche erstellt worden seien, d. h., seit diese in ihrer Mehrheit Ende des Jahres 2016 begonnen hätten ( 90 ).

175.

Die Rechtsmittelführerinnen erheben zwar auch eine Rüge gegen Rn. 215 des angefochtenen Urteils, doch handelt es dabei nur um den Vorwurf einer Umkehr der Beweislast, die in keiner Weise aus den Ausführungen des Gerichts hervorgeht; dieses hat vielmehr durch den Vortrag der Kommission für hinreichend dargetan erachtet, dass die Befragungsprotokolle im Wesentlichen vor dem Zeitpunkt des Erlasses des ersten Nachprüfungsbeschlusses (des Beschlusses Tute 1 vom 9. Februar 2017) erstellt worden seien. Dagegen haben die Rechtsmittelführerinnen weder das vom Gericht angelegte Beweismaß in Frage gestellt noch eine Verfälschung von Beweisen geltend gemacht, und nur diese Rüge hätte es ihnen erlaubt, eine fehlerhafte Würdigung dieser Beweise zu beanstanden.

176.

Für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, den hier geprüften Teil in der Sache zu prüfen, halte ich diesen für unbegründet.

177.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die von der Kommission durchgeführten Nachprüfungen darauf gerichtet sind, die Unterlagen zusammenzustellen, die erforderlich sind, um die Richtigkeit und die Tragweite einer bestimmten Sach- und Rechtslage zu überprüfen, zu der die Kommission bereits Informationen besitzt ( 91 ). Folglich muss die Kommission über ernsthafte sachliche Informationen und Indizien verfügen, die sie veranlassen, das von der Nachprüfung betroffene Unternehmen einer solchen Zuwiderhandlung zu verdächtigen ( 92 ). Der Besitz solcher Informationen und Hinweise muss zudem in dem Beschluss, mit dem eine Nachprüfung angeordnet wird, substantiiert dargelegt werden ( 93 ).

178.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission, um die Vorzeitigkeit der einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien gegenüber dem Zeitpunkt seines Erlasses darzutun, nicht nur nachweisen muss, dass sie zu diesem Zeitpunkt materiell im Besitz der Quelle der Informationen war, auf die sie sich zur Rechtfertigung der Nachprüfung stützt, sondern auch, dass sie konkret prüfen konnte, ob und inwieweit zum einen diese Informationen es erlaubten, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung zu vermuten und deren wesentliche Bestandteile so zu definieren, dass damit der Bereich der Nachprüfung und die bei den Überprüfungen gesuchten Anhaltspunkte eingegrenzt werden konnten, und ob es sich zum anderen dabei um ernsthafte Informationen handelte.

179.

Mit anderen Worten impliziert die Vorzeitigkeit der einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien gegenüber dem Zeitpunkt seines Erlasses nicht lediglich den „Besitz“ der Kommission an der Information. Aus diesem Grund gilt die Vermutung, die sich aus der in Rn. 209 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechung zu Kronzeugenbeschlüssen ergibt, wonach der bloße Besitz der Kommission an der Information gleichbedeutend mit deren Kenntnis ist, meines Erachtens nicht für Nachprüfungsbeschlüsse, so dass diese Rechtsprechung entgegen der Auffassung des Gerichts nicht auf diesen Bereich übertragbar ist.

180.

Zudem setzt die gerichtliche Kontrolle der Willkürfreiheit des mit einer Nachprüfung einhergehenden Eingriffs in die Sphäre der privaten Betätigung des betroffenen Unternehmens voraus, dass die Kommission nachweist, dass der Beschluss, mit dem die Nachprüfung angeordnet wird, auf hinreichend ernsthafte Indizien gestützt ist, die sie konkret hat würdigen können, und dass der mit diesem Beschluss eingegrenzte Bereich der Nachprüfung auf die Zuwiderhandlung beschränkt ist, die die Kommission aufgrund dieser Indizien vermuten kann.

181.

Ein solcher Beweis kann jedoch für Informationen, die aus mündlichen Erklärungen Dritter hervorgegangen und die nicht gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 aufgezeichnet worden sind, nur erbracht werden, wenn eine Mitschrift oder ein detailliertes Protokoll ihres Inhalts vorgelegt wird. Ich neige daher zu der Ansicht, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung der Vorzeitigkeit der einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien gegenüber dem Zeitpunkt seines Erlasses für aus solchen Erklärungen hervorgegangene Indizien derjenige ist, zu dem eine Mitschrift oder ein Protokoll der Gespräche zwischen der Kommission und den betreffenden Personen, bei denen diese Erklärungen abgegeben worden sind, erstellt wird.

182.

Ich füge hinzu, dass das vom Gericht in Rn. 210 des angefochtenen Urteils betonte Erfordernis eines zügigen Erlasses von Nachprüfungsbeschlüssen nach der Übermittlung von Informationen über potenzielle Zuwiderhandlungen, um die Gefahr des Durchsickerns und der Unterschlagung von Beweisen zu minimieren, meines Erachtens nicht zur Aufstellung einer allgemeinen, für alle Fälle geltenden Regel führen kann, wonach für den Beweis der Vorzeitigkeit der einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien allein der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die Kommission die mündlichen Erklärungen entgegengenommen hat, aus denen diese Indizien stammen. Selbstverständlich liegt zwar auch mir dieses Erfordernis am Herzen, doch denke ich nicht, dass es das Fehlen jeder schriftlichen Spur der Befragungen Dritter durch die Kommission rechtfertigen kann, weil keine Vorkehrungen zur Aufzeichnung dieser Befragungen getroffen wurden, insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem sich die betreffenden Befragungen über mehrere Wochen, ja sogar Monate, erstreckt haben und die Kommission somit Zeit hatte, jeweils zeitnah zur Entgegennahme der Erklärungen der Lieferanten Protokolle zu erstellen.

183.

Dagegen meine ich, auch wenn meines Erachtens nach Möglichkeit wenigstens ein Protokoll der Befragungen, auf die sich die Kommission zur Rechtfertigung eines Nachprüfungsbeschlusses stützt, vor dem Erlass dieses Beschlusses zu der Akte genommen worden sein muss ( 94 ), dass es Erfordernisse der Zügigkeit rechtfertigen können, dass die Kommission in einem konkreten Fall von dieser Regel abweicht.

184.

Nach alledem bin ich, sollte der Gerichtshof beschließen, den vierten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes in der Sache zu prüfen, der Ansicht, dass dieser als unbegründet zurückzuweisen ist.

E.   Zum fünften Rechtsmittelgrund

185.

Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund – Begründungsmangel wegen fehlender Kontrolle des Beweiswerts der Indizien und Fehler bei der Einstufung als „Indiz“ – beanstanden die Rechtsmittelführerinnen die Rn. 220 bis 232, 253 und 254 des angefochtenen Urteils.

186.

Als Erstes werfen sie dem Gericht vor, es habe entgegen ihrem Antrag und entgegen den Art. 6 und 8 EMRK nicht konkret geprüft, in welchem Maße die zahlreichen von ihnen gerügten Unregelmäßigkeiten, mit denen die von der Kommission vorgelegten Beweise behaftet seien, deren Beweiswert beeinträchtigten.

187.

In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 224 bis 232 des angefochtenen Urteils eine solche Prüfung vorgenommen hat, indem es nacheinander die Glaubwürdigkeit und den Beweiswert der in den Befragungsprotokollen enthaltenen Erklärungen der Lieferanten (Rn. 225), einer E‑Mail des Generaldirektors eines Lieferantenverbands vom 22. November 2016, in der die Bewegungen und die Beziehungen zwischen den großen Handelsketten u. a. in den Verbänden der großen Einzelhändler geschildert werden (im Folgenden: E‑Mail des Direktors des Verbands N, Rn. 226), und der von der Kommission erstellten Befragungsprotokolle (Rn. 229) geprüft hat. In diesen Randnummern des angefochtenen Urteils hat das Gericht zudem das gesamte Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen geprüft und zurückgewiesen, mit denen diese die Glaubwürdigkeit oder den Beweiswert dieser einzelnen Gesichtspunkte und ihre Einstufung als „Indizien“ in Frage gestellt hatten.

188.

Unter diesen Umständen kann die erste Rüge des fünften Rechtsmittelgrundes meines Erachtens keinen Erfolg haben.

189.

Als Zweites werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, es habe in den Rn. 253 und 254 des angefochtenen Urteils als „ernsthafte materielle Indizien“„vage und spekulative“ Erklärungen eingestuft, denen es nur das Vorliegen eines Parallelverhaltens und den Umstand entnommen habe, dass „kein Lieferant angegeben hat, er halte es für wenig wahrscheinlich“, dass es einen Informationsaustausch gebe. Das Fehlen von Erklärungen, in denen die Wahrscheinlichkeit eines Kartells in Abrede gestellt werde, stelle jedoch kein ernsthaftes materielles Indiz für dessen Bestehen dar.

190.

Mit der Kommission bin ich der Ansicht, dass die Rechtsmittelführerinnen mit diesem Vorbringen – bei dem es sich im Übrigen nur um Beanstandungen isolierter Passagen des angefochtenen Urteils außerhalb ihres Zusammenhangs handelt – in Wirklichkeit die Würdigung der ihm vorgelegten Beweiselemente durch das Gericht in Frage stellen, ohne deren Verfälschung nachzuweisen oder auch nur geltend zu machen.

191.

Diese zweite Rüge des fünften Rechtsmittelgrundes ist daher meines Erachtens für unzulässig zu erklären. In ihrer Erwiderung führen die Rechtsmittelführerinnen aus, diese Rüge sei gegen die rechtliche Einstufung der Tatsachen durch das Gericht und nicht deren Würdigung gerichtet.

192.

Hierzu beschränke ich mich auf den Hinweis, dass die Rn. 253 und 254 des angefochtenen Urteils vorsorgliche Ausführungen des Gerichts enthalten, wie die Verwendung des Ausdrucks „[ü]berdies“ zu Beginn von Rn. 252 dieses Urteils zeigt.

193.

In dessen Rn. 248 bis 251 ist das Gericht nämlich nach der Prüfung der aus den Befragungen der Lieferanten hervorgegangenen Informationen, wie sie in den von der Kommission erstellten Protokollen wiedergegeben sind, zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Informationen hinreichend ernsthafte Indizien für das Bestehen eines Parallelverhaltens zweier internationaler Vertriebsallianzen, nämlich ICDC und AgeCore (deren Mitglied Intermarché war), darstellten, das durch die Gleichzeitigkeit und Übereinstimmung ihrer Rabattanfragen an die Lieferanten gekennzeichnet gewesen sei.

194.

In Rn. 252 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass sich die Kommission „nicht damit begnügt [hat], Indizien zu diesem ersten Tatbestandsmerkmal einer abgestimmten Verhaltensweise, nämlich dem Parallelverhalten auf dem Markt, anzuführen, das im Übrigen unter bestimmten Voraussetzungen die Vermutung des Vorliegens des zweiten Tatbestandsmerkmals einer abgestimmten Verhaltensweise, nämlich der Abstimmung, erlauben kann“, sondern auch „Indizien für das Vorliegen einer solchen Abstimmung – die im vorliegenden Fall in einem Informationsaustausch bestand – [vorgelegt hat], die zusammengenommen ebenfalls als hinreichend ernsthaft angesehen werden könnten“. In den von den Rechtsmittelführerinnen beanstandeten Rn. 253 und 254 des angefochtenen Urteils wird indes gerade die Frage, ob es sich insoweit um hinreichend ernsthafte Indizien handelt, ausführlich geprüft.

195.

Zudem hat das Gericht in den Rn. 256 bis 258 dieses Urteils auch darauf hingewiesen, dass die Erklärungen der Lieferanten zum Austausch zwischen den Händlern über die Rabatte bestätigt werde durch „Informationen …, in denen angegeben ist, auf welchen Wegen dieser Austausch stattfinden kann“, die aus den Erklärungen mehrerer Lieferanten und der E‑Mail des Direktors des Verbands N hervorgingen.

196.

Daraus folgt, dass die zweite Rüge des fünften Rechtsmittelgrundes, sollten die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht damit eine fehlerhafte rechtliche Einstufung vorwerfen wollen, als ins Leere gehend zurückzuweisen ist.

197.

Nach alledem bin ich der Auffassung, dass der fünfte Rechtsmittelgrund als zum Teil unbegründet und zum Teil unzulässig oder ins Leere gehend zurückzuweisen ist.

F.   Zu den Folgen des dem Gericht unterlaufenen Fehlers

198.

Wie die Prüfung des dritten Rechtsmittelgrundes ergeben hat, ist dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen, als es befunden hat, dass die aus den Befragungen der Lieferanten hervorgegangenen Indizien nicht als formfehlerhaft wegen Nichtbeachtung der Aufzeichnungspflicht nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 zurückzuweisen seien.

199.

Was die aus diesem Fehler zu ziehenden Konsequenzen angeht, kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn die Gründe des Urteils des Gerichts eine Verletzung des Unionsrechts erkennen lassen, sein Tenor sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist, ein solcher Verstoß nicht die Aufhebung des angefochtenen Urteils nach sich ziehen, so dass eine Ersetzung von Gründen vorzunehmen ist ( 95 ).

200.

Aus Rn. 206 des angefochtenen Urteils geht jedoch hervor, dass das Gericht nach der Zurückweisung des Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen, die Pflicht zur Aufzeichnung der Befragungen der Lieferanten sei nicht beachtet worden, befunden hat, dass nicht über das Vorbringen der Kommission entschieden zu werden brauche, bei den Protokollen handle es sich um Aufzeichnungen, die mit Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 im Einklang stünden.

201.

Somit ist diese Feststellung zu prüfen. Denn wenn sie sich als begründet erweist, könnte der beanstandete Teil des Tenors des angefochtenen Urteils auf der Grundlage anderer als der fehlerbehafteten Gründe aufrechterhalten werden ( 96 ).

202.

Die Kommission hatte vor dem Gericht vorgetragen, sie sei ihrer Verpflichtung zur Aufzeichnung der Erklärungen der 13 befragten Lieferanten nachgekommen, indem sie lange und detaillierte Protokolle erstellt und zu den Akten genommen habe, die den Inhalt dieser Erklärungen wahrheitsgetreu wiedergäben. Ein detailliertes und zu den Akten genommenes Protokoll sei einer der „Träger“ der Aufzeichnung, unter denen die Kommission gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 wählen könne, ebenso wie die Tonaufzeichnung oder audiovisuelle Aufzeichnung oder eine wortgetreue Mitschrift. Selbst wenn sie ihrer Aufzeichnungspflicht nicht nachgekommen sein sollte, stellten die Erklärungen der 13 befragten Lieferanten doch Indizien dar.

203.

In dieser Hinsicht kann zwar meines Erachtens nicht ausgeschlossen werden, dass ein detailliertes Protokoll, das die Kommission im Anschluss an eine nach Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 erstellt und zu den Akten genommen hat, den Formerfordernissen des Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 genügen kann, doch ist dies jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Person, die die Erklärungen abgegeben hat, keine Abschrift dieses Protokolls erhalten hat und somit nicht in die Lage versetzt worden ist, dessen Inhalt als richtig zu bestätigen oder ihre Erklärungen erforderlichenfalls zu berichtigen. Eine andere Auslegung liefe dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 zuwider, wonach „[d]em Befragten … eine Kopie der Aufzeichnung zur Genehmigung überlassen [wird]“ und „die Kommission … erforderlichenfalls eine Frist [setzt], innerhalb deren der Befragte seine Aussage berichtigen kann“.

204.

Eine andere Auslegung lässt sich meiner Ansicht nach auch nicht mittelbar Rn. 92 des Urteils Intel entnehmen, in der der Gerichtshof geprüft hat, ob die Übermittlung eines internen Aktenvermerks der Kommission, der eine kurze Zusammenfassung der bei der streitigen Befragung angesprochenen Themen enthielt, an das beschuldigte Unternehmen das Fehlen einer förmlichen Aufzeichnung dieser Gespräche ausgleichen konnte. Denn in dieser Randnummer hat der Gerichtshof zum einen nicht die Frage behandelt, ob dieser Vermerk eine förmliche Aufzeichnung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 darstellen konnte, sondern nur geprüft, ob dieser Vermerk dem Verstoß gegen die Bestimmungen dieses Artikels in Verbindung mit Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 abhelfen konnte. Zum anderen hat er sich auf den Hinweis beschränkt, dass dieser Vermerk keine Angaben zum Inhalt der Erörterungen im Rahmen dieser Befragung und zur Art der Auskünfte enthielt, die die befragte Person gegeben hatte, und daher unabhängig von jedem anderen Faktor dem betreffenden Unternehmen nicht die für die Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte erforderlichen Anhaltspunkte geben konnte. Zudem geht aus den Rn. 95 und 96 des Urteils Intel hervor, dass die Kommission sich nicht auf den betreffenden Vermerk gestützt hatte, um die Zuwiderhandlung nachzuweisen, und dass sich allein die Frage stellte, ob die bei den streitigen Befragungen abgegebenen Erklärungen entlastende Gesichtspunkte enthielten.

205.

Im Einklang mit meinen Ausführungen in Nr. 143 der vorliegenden Schlussanträge bin ich schließlich der Auffassung, dass die Nichtbeachtung der Bestimmungen über die Aufzeichnungen dazu führt, dass die Informationen, die die Kommission bei den nicht ordnungsgemäß aufgezeichneten Befragungen erlangt hat, für den Erlass eines Nachprüfungsbeschlusses nicht verwertbar sind.

G.   Ergebnis zum Rechtsmittel

206.

Aufgrund aller vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Rechtsmittel stattzugeben und Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben.

V. Zur Klage

207.

Aus den u. a. in den Nrn. 144 bis 163 und 202 bis 205 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen bin ich der Ansicht, dass die von den Rechtsmittelführerinnen erhobene Rüge der Nichtbeachtung der Aufzeichnungspflicht gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 begründet ist und dass die aus den Befragungen der Lieferanten hervorgegangenen Indizien aus diesem Grund als mit einem Formfehler behaftet außer Betracht zu bleiben haben.

208.

Wie sich aus den Akten ergibt, stellten aber die aus diesen Befragungen hervorgegangenen Informationen den wesentlichen Teil der den streitigen Beschlüssen zugrunde liegenden Indizien dar, während die E‑Mail des Direktors des Verbands N – deren Beweiswert im Übrigen begrenzt ist, weil sie nur Aussagen vom Hörensagen enthält, die keine persönliche und unmittelbare Kenntnis von den betreffenden Geschäftsbeziehungen wiedergeben – und deren Anlagen diese Informationen lediglich bestätigen.

209.

Daher ist meines Erachtens im Ergebnis festzustellen, dass die Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Beschlüsse nicht im Besitz hinreichend ernsthafter Indizien war, die die in Art. 1 Buchst. a der streitigen Beschlüsse aufgestellten Vermutungen rechtfertigten, und diese Beschlüsse sind in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

VI. Ergebnis

210.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben;

den Beschluss C(2017) 1057 final der Kommission vom 9. Februar 2017, mit dem Intermarché sowie allen unmittelbar oder mittelbar von ihr kontrollierten Gesellschaften aufgegeben wird, eine Nachprüfung gemäß Art. 20 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln zu dulden (Sache AT.40466 – Tute 1), und den Beschluss C(2017) 1361 final der Kommission vom 21. Februar 2017, mit dem Les Mousquetaires sowie allen unmittelbar oder mittelbar von ihr kontrollierten Gesellschaften aufgegeben wird, eine Nachprüfung gemäß Art. 20 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1/2003 zu dulden (Sache AT.40466 – Tute 1), für nichtig zu erklären;

die Europäische Kommission zur Tragung der Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gericht zu verurteilen;

dem Rat der Europäischen Union seine eigenen Kosten aufzuerlegen.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Es handelt sich um den Beschluss C(2017) 1361 final der Kommission (Sache AT.40466 – Tute 1, im Folgenden: Beschluss Tute 1 vom 21. Februar 2017) und den Beschluss C(2017) 1360 final der Kommission (Sache AT.40467 – Tute 2, im Folgenden: Beschluss Tute 2 vom 21. Februar 2017).

( 3 ) Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).

( 4 ) Es handelt sich um den Beschluss C(2017) 1057 final der Kommission (Sache AT.40466 – Tute 1, im Folgenden: Beschluss Tute 1 vom 9. Februar 2017) und den Beschluss C(2017) 1061 final der Kommission (Sache AT.40467 – Tute 2, im Folgenden: Beschluss Tute 2 vom 9. Februar 2017).

( 5 ) In den Beschlüssen Tute 1 vom 9. Februar 2017 und vom 21. Februar 2017 und in den Beschlüssen Tute 2 vom 9. Februar 2017 und vom 21. Februar 2017 wurde jeweils nur der Hauptadressat der Nachprüfung geändert, und zwar von ITM zu LM.

( 6 ) Nr. 1 des verfügenden Teils.

( 7 ) Nr. 2 des verfügenden Teils.

( 8 ) Vgl. Rn. 74 des angefochtenen Urteils.

( 9 ) Vgl. Rn. 87 des angefochtenen Urteils.

( 10 ) T‑125/03 und T‑253/03, EU:T:2007:287, Rn. 46, 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 11 ) CE:ECHR:2014:1002JUD000009711.

( 12 ) Vgl. zur Prüfung eines Begründungsmangels von Amts wegen Urteil vom 28. Januar 2016, Quimitécnica.com und de Mello/Kommission (C‑415/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:58, Rn. 57).

( 13 ) Vgl. Urteil vom 25. März 2021, Deutsche Telekom/Kommission (C‑152/19 P, EU:C:2021:238, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 14 ) ABl. 2007, C 303, S. 17.

( 15 ) Vgl. EGMR, 5. April 2018, Zubac/Kroatien (CE:ECHR:2018:0405JUD004016012, Rn. 76 bis 79).

( 16 ) Vgl. in diesem Sinne EGMR, 4. Dezember 1995, Bellet/Frankreich (CE:ECHR:1995:1204JUD002380594, Rn. 38), und 20. Oktober 2020, Camelia Bogdan/Rumänien (CE:ECHR:2020:1020JUD003688918, Rn. 75 bis 77).

( 17 ) EGMR, 26. Oktober 2011, Georgel und Georgeta Stoicescu/Rumänien (CE:ECHR:2011:0726JUD000971803, Rn. 72 bis 76).

( 18 ) Im Urteil des EGMR vom 14. Januar 2020, X u. a./Russland (CE:ECHR:2020:0114JUD007804216, Rn. 50).

( 19 ) Vgl. in diesem Sinne EGMR, 30. Oktober 1991 Vilvarajah u. a./Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:1991:1030JUD001316387, Rn. 122), 15. November 1996, Chahal/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:1996:1115JUD002241493, Rn. 145), 27. September 1999, Smith und Grady/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:1999:0927JUD003398596, Rn. 135), und 25. Juni 2019, Nicolae Virgiliu Tănase/Rumänien (CE:ECHR:2019:0625JUD004172013, Rn. 217).

( 20 ) Vgl. in diesem Sinne EGMR, 20. November 2008, Société IFB/Frankreich (CE:ECHR:2008:1120JUD000205804, Rn. 22), 21. Februar 2008, Ravon u. a./Frankreich (CE:ECHR:2008:0221JUD001849703, Rn. 27), und 21. Dezember 2010, Primagaz/Frankreich (CE:ECHR:2010:1221JUD002961308, Rn. 23).

( 21 ) EGMR, 21. Dezember 2010, Primagaz/Frankreich (CE:ECHR:2010:1221JUD002961308, Rn. 23).

( 22 ) Vgl. z. B. EGMR, 21. Dezember 2010, Canal Plus u. a./Frankreich (CE:ECHR:2010:1221JUD002940808, im Folgenden: Urteil Canal Plus), und Urteil Delta Pekarny, Rn. 103. Bei Hausdurchsuchungen in anderen Bereichen als dem des Wettbewerbsrechts hat der EGMR allerdings die Frage des Bestehens eines effektiven Rechtsbehelfs unter dem Blickwinkel von Art. 13 EMRK geprüft, vgl. z. B. EGMR, 19. Januar 2017, Posevini/Bulgarien (CE:ECHR:2017:0119JUD006363814, Rn. 84, im Folgenden: Urteil Posevini), in dem der EGMR die Rüge einer Verletzung der Art. 8 und 13 EMRK zusammen geprüft und eine Prüfung der Klage auf der Grundlage der dritten angeführten Bestimmung, nämlich Art. 6 Abs. 1 EMRK, für nicht erforderlich erachtet hat.

( 23 ) EGMR, 20. März 2008, Boudaïeva u. a./Russland (CE:ECHR:2008:0320JUD001533902, Rn. 190).

( 24 ) Vgl. EGMR, 24. Oktober 1983, Silver u. a./Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:1983:0325JUD000594772, Rn. 113), mit Anwendung von Art. 13 in Verbindung mit Art. 8 EMRK, 26. März 1987, Leander/Schweden (CE:ECHR:1987:0326JUD000924881, Rn. 77 und 84), 15. November 1996, Chahal/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:1996:1115JUD002241493, Rn. 145), 26. Oktober 2000, Kudła/Polen (CE:ECHR:2000:1026JUD003021096, Rn. 157), 13. Dezember 2012, De Souza Ribeiro/Frankreich (CE:ECHR:2012:1213JUD002268907, Rn. 79 und 80), und 10. Juli 2020, Mugemangango/Belgien (CE:ECHR:2020:0710JUD000031015, Rn. 131).

( 25 ) CE:ECHR:2008:0221JUD001849703.

( 26 ) Vgl. Urteil Ravon (Rn. 28 bis 35) sowie EGMR, 18. September 2008, Kandler u. a./Frankreich (CE:ECHR:2008:0918JUD001865905, Rn. 26), 20. November 2008, Société IFB/Frankreich (CE:ECHR:2008:1120JUD000205804, Rn. 26), und 16. Oktober 2008, Maschino/Frankreich (CE:ECHR:2008:1016JUD001044703, Rn. 22).

( 27 ) Vgl. Urteil Ravon (Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung) (Hervorhebung nur hier).

( 28 ) Vgl. z. B. im Rahmen der Prüfung von Art. 8 EMRK Urteile Delta Pekarny (Rn. 89 bis 91) und Canal Plus (Rn. 37 bis 43). Vgl. zum selben Ansatz, wenn auch in einem anderen Zusammenhang (Durchsuchung der Privatwohnung und der Geschäftsräume einer natürlichen Person), Urteil Posevini (Rn. 84 bis 86).

( 29 ) Vgl. Urteil Canal Plus (Rn. 42).

( 30 ) Vgl. Urteil Canal Plus (Rn. 34).

( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Ravon (Rn. 29).

( 32 ) Vgl. zu Art. 13 EMRK, EGMR, 16. Februar 2000, Amann/Schweiz (CE:ECHR:2000:0216JUD002779895, Rn. 88), und 28. Januar 2003, Peck/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2003:0128JUD004464798, Rn. 102).

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile Delta Pekarny (Rn. 89) und Posevini (Rn. 84).

( 34 ) Vgl. Urteil Ravon (Rn. 30 bis 33), Delta Perkarny (Rn. 89 bis 91) und Canal Plus (Rn. 38 bis 43).

( 35 ) Vgl. Urteil Canal Plus (Rn. 40).

( 36 ) Vgl. EGMR, 14. März 2013, Bernh Larsen Holding As u. a./Norwegen (CE:ECHR:2013:0314JUD002411708, Rn. 104). Vgl. auch Urteil vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission (im Folgenden: Urteil Deutsche Bahn des Gerichtshofs, C‑583/13 P, EU:C:2015:404, Rn. 20).

( 37 ) Vgl. EGMR, 10. April 2007, Panarisi/Italien (CE:ECHR:2007:0410JUD004679499, Rn. 76 und 77), 2. Dezember 2010, Uzun/Deutschland (CE:ECHR:2010:0902JUD003562305, Rn. 71 und 72), und 30. Mai 2017, Trabajo Rueda/Spanien (CE:ECHR:2017:0530JUD003260012, Rn. 37).

( 38 ) Im Urteil Ravon hat der EGMR die von den Klägern in jener Rechtssache erhobenen Rügen allein anhand von Art. 6 Abs. 1 EMRK geprüft.

( 39 ) Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, diese Rüge könne nur in Ausnahmefällen zur Nichtigerklärung des abschließenden Beschlusses führen, verweise ich auf meine Ausführungen in Nr. 59 der vorliegenden Schlussanträge.

( 40 ) Vgl. u. a. EGMR, 8. Juni 2006, Sürmeli/Deutschland (CE:ECHR:2006:0608JUD007552901, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 41 ) Vgl. EMRK, 10. September 2010, McFarlane/Irland (CE:ECHR:2010:0910JUD003133306, Rn. 115 bis 122).

( 42 ) Vgl. im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit einer auf Art. 35 Abs. 1 EMRK gestützten Klage EGMR, 4. Juli 2002, Slaviček/Kroatien (CE:ECHR:2002:0704DEC002086202), und 5. September 2002, Nogolica/Kroatien (CE:ECHR:2002:0905DEC007778401).

( 43 ) Vgl. EGMR, 1. März 2005, Charzyński/Polen (CE:ECHR:2005:0301DEC001521203, Rn. 41). Vgl. auch Guide sur l’article 13 de la CEDH, zugänglich unter: https://www.echr.coe.int/Documents/Guide_Art_13_FRA.pdf (französische Fassung 2022: Guide pratique sur la recevabilité, deutsche Fassung 2011: Leitfaden zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen).

( 44 ) Vgl. Urteil Akzo,R(n. 45 bis 53 und 56).

( 45 ) Zum Ausschluss von Unterlagen nicht geschäftlicher Art, also solcher, die sich nicht auf die Tätigkeit des Unternehmens auf dem Markt beziehen, von dem Bereich, in dem die Kommission ermitteln darf, vgl. Urteile vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission (155/79, im Folgenden: Urteil AM & S, EU:C:1982:157, Rn. 16), und vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères (C‑94/00, im Folgenden: Urteil Roquette Frères, EU:C:2002:603, Rn. 45).

( 46 ) Vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 16. November 2010, Internationale Fruchtimport Gesellschaft Weichert/Kommission (C‑73/10 P, EU:C:2010:684, Rn. 53); vgl. auch EGMR, 28. Oktober 1998, Pérez de Rada Cavanilles/Spanien (CE:ECHR:1998:1028JUD002809095, Rn. 44).

( 47 ) Urteil vom 30. April 2020, Izba Gospodarcza Producentów i Operatorów Urządzeń Rozrywkowych/Kommission (C‑560/18 P, EU:C:2020:330, Rn. 62).

( 48 ) Vgl. u. a. Urteil Akzo (Rn. 80 und 82) sowie Urteil AM & S. In den Rn. 44 und 45 des angefochtenen Urteils beanstandet das Gericht, dass die Rechtsmittelführerinnen dies entgegen dem Urteil Akzo nicht getan hätten. Jedenfalls sind diese Randnummern nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels.

( 49 ) C‑245/19 und C‑246/19, im Folgenden: Urteil Luxemburgischer Staat, EU:C:2020:795, Rn. 66.

( 50 ) Vgl. Urteil Luxemburgischer Staa,(Rn. 27 und 37).

( 51 ) Die Rechtsmittelführerinnen können sich daher nicht mit Erfolg auf das Urteil des EMRK vom 29. Juli 1998, Guérin/Frankreich (CE:ECHR:1998:0729JUD002520194, Rn. 43), berufen.

( 52 ) Vgl. zur Bestätigung eines solchen Rechts Urteil vom 6. September 2013, Deutsche Bahn u. a./Kommission (T‑289/11, T‑290/11 und T‑521/11, im Folgenden: Urteil Deutsche Bahn des Gerichts, EU:T:2013:404, Rn. 87).

( 53 ) Vgl. Urteil Deutsche Bahn des Gerichts (Rn. 90).

( 54 ) Einem solchen Widerspruchsrecht kommt besondere Bedeutung zu im Rahmen des Systems von Garantien, das es ermöglicht, die Ausübung der Nachprüfungsbefugnisse durch die Kommission in Schranken zu halten, die mit der Wahrung der in Art. 7 der Charta und Art. 8 EMRK verbürgten Grundrechte im Einklang stehen.

( 55 ) Vgl. Urteil Deutsche Bahn des Gerichtshofs (Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 56 ) Vgl. Urteil vom 17. Oktober 1989, Dow Benelux/Kommission (85/87, im Folgenden: Urteil Dow Benelux, EU:C:1989:379, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 57 ) Vgl. Urteil Deutsche Bahn des Gerichtshofs (Rn. 60).

( 58 ) Vgl. Urteil Dow Benelux (Rn. 9).

( 59 ) Vgl. Urteil vom 25. Juni 2014, Nexans und Nexans France/Kommission (C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, im Folgenden: Urteil Nexans und Nexans France des Gerichtshofs, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 60 ) Vgl. Urteil Nexans und Nexans France des Gerichtshofs (Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 61 ) Vgl. Urteil Nexans und Nexans France des Gerichtshofs (Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 62 ) Vgl. Urteil Nexans und Nexans France des Gerichtshofs (Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 63 ) Es handelt sich um die in Rn. 176 des angefochtenen Urteils genannten prozessleitenden Maßnahmen des Gerichts vom 3. Dezember 2018 sowie vom 13. Mai und 25. September 2019.

( 64 ) Vgl. Rn. 176 des angefochtenen Urteils. Dagegen geht aus Rn. 130 des angefochtenen Urteils hervor, dass das Gericht nicht den Erlass der prozessleitenden Maßnahmen für erforderlich gehalten hat, die die Rechtsmittelführerinnen beantragt hatten, um eine Präzisierung der den streitigen Beschlüssen zugrunde liegenden Vermutungen durch die Kommission zu erreichen, da es diese Vermutungen als hinreichend detailliert ansah, um der der Kommission obliegenden Begründungspflicht zu genügen.

( 65 ) Ihren Erläuterungen in der Antwort auf die prozessleitenden Maßnahmen vom 5. Juni 2019 zufolge war sich die Kommission im Übrigen zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Beschlüsse unschlüssig über die Einstufung des Gegenstands des mutmaßlichen Informationsaustauschs als „Rabatte auf den Beschaffungsmärkten“ oder als „Preise für den Verkauf von Dienstleistungen an Hersteller“, was die Wahl einer weiter gefassten Formulierung in der Bezeichnung der Vermutungen rechtfertigte, denen sie nachzugehen beabsichtigte.

( 66 ) Vgl. u. a. Urteil vom 2. September 2021, EPSU/Kommission (C‑928/19 P, EU:C:2021:656, Rn. 108).

( 67 ) Insoweit folge ich den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nexans France und Nexans/Kommission (C‑606/18 P, EU:C:2020:207, Nr. 55).

( 68 ) Vgl. zuletzt Beschluss vom 2. Juni 2022, Arnautu/Parlament (C‑573/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:448, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 69 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2018, Nexans France und Nexans/Kommission (T‑449/14, EU:T:2018:456, Rn. 69).

( 70 ) Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nexans France und Nexans/Kommission (C‑606/18 P, EU:C:2020:207, Nr. 65) und das in dieser Rechtssache ergangene Urteil Nexans France und Nexans des Gerichtshofs, (C‑606/18 P, EU:C:2020:571, Rn. 88 und 89).

( 71 ) Verordnung der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18).

( 72 ) C‑413/14 P, im Folgenden: Urteil Intel, EU:C:2017:632.

( 73 ) Gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, 2006/C 298/11, vom 8. Dezember 2006 (ABl. 2006, C 298, S. 17).

( 74 ) Vgl. Urteil Intel (Rn. 90).

( 75 ) Vgl. Urteil Intel (Rn. 91).

( 76 ) Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 (KOM[2000] 582 endgültig, ABl. 2000, C 365 E, S. 284). In den Erläuterungen zu Art. 19 dieses Vorschlags, der die Befugnis der Kommission vorsieht, natürliche und juristische Personen – Verfahrensbeteiligte oder nicht – zu hören und deren mündliche Erklärungen zu Protokoll zu nehmen, führt die Kommission aus, dass „[m]it der Bestimmung … eine Lücke in den Befugnissen der Kommission geschlossen [wird], die nunmehr mündliche Erklärungen zu Protokoll nehmen und als Beweismittel im Verfahren verwenden kann“. Der Ausdruck „Beweismittel“ ist aber meines Erachtens im weiten Sinne von „Beweiselement“ zu verstehen, unabhängig von seinem Beweiswert im Verhältnis zu der beweisbedürftigen Tatsache.

( 77 ) Es ist nicht auszuschließen, dass die Kommission, nachdem sie von einer der Ermittlungsbefugnisse nach Kapitel V der Verordnung Nr. 1/2003 Gebrauch gemacht hat, etwa indem sie ein Auskunftsverlangen an ein bestimmtes Unternehmen gerichtet oder Nachprüfungen in dessen Räumen vorgenommen hat, bei einer Befragung einer natürlichen oder juristischen Person, die sich auf den Gegenstand der Untersuchung bezieht, die mit dem Erlass dieser Maßnahmen eingeleitet worden ist, Informationen erhält, aufgrund deren sie vermuten kann, dass ein bis dahin noch nicht verdächtiges Unternehmen in die mutmaßliche Zuwiderhandlung verwickelt ist, die zur Einleitung der Untersuchung geführt hat. In diesem Fall wäre die Kommission aber nach der Logik der Rn. 195, 200 bis 203 und 205 des angefochtenen Urteils verpflichtet, Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 anzuwenden und gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 eine Aufzeichnung vorzunehmen, selbst wenn sie die erhaltenen Informationen nur als Indizien zur Stützung eines Nachprüfungsbeschlusses gegenüber diesem Unternehmen zu verwenden beabsichtigt.

( 78 ) Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 200 und 201).

( 79 ) C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, im Folgenden: Urteil LMV, EU:C:2002:582, Rn. 182.

( 80 ) Dem EGMR zufolge soll das in Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerte Recht jeder Person darauf, dass ihre Sache in angemessener Frist verhandelt wird, im Strafverfahren gewährleisten, dass die Angeklagten nicht über eine zu lange Zeit hinweg die Last einer Anklage zu ertragen haben und dass über die Stichhaltigkeit der Anklage entschieden wird. Vgl. EGMR, 27. Juni 1968, Wemhoff/Deutschland (CE:ECHR:1968:0627JUD000212264, Rn. 18), und 3. Dezember 2009, Kart/Türkei (CE:ECHR:2008:0708JUD000891705, Rn. 68). Diesem Zweck entsprechend beginnt der Zeitraum, der bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu berücksichtigen ist, mit dem Tag, an dem eine Person angeklagt wird (vgl. EGMR, 27. Juni 1968, Neumeister/Österreich, CE:ECHR:1968:0627JUD000193663, Rn. 18), oder zu einem früheren Zeitpunkt, z. B. dem Tag der Eröffnung der Voruntersuchung (vgl. EGMR, 16. Juli 1971, Ringeisen/Österreich, CE:ECHR:1971:0716JUD000261465, Rn. 110, auf das der Gerichtshof im Urteil LMV Bezug genommen hat), wobei der Zeitpunkt zu berücksichtigen ist, zu dem der Kläger Kenntnis von der Anklage erlangt hat, oder der, ab dem seine Situation durch die im Rahmen einer Untersuchung oder eines Strafverfahrens getroffenen Maßnahmen erheblich berührt ist (vgl. EGMR, 27. Juli 2006, Mamič/Slowenien [Nr. 2], CE:ECHR:2006:0727JUD007577801, Rn. 23 und 24), und 28. Mai 2019, Liblik u. a./Estland (CE:ECHR:2019:0528JUD000017315, Rn. 94).

( 81 ) Vgl. Urteil LMV (Rn. 182).

( 82 ) Vgl. Rn. 205 des angefochtenen Urteils.

( 83 ) Die Bezugnahme der Kommission auf das Urteil vom 25. März 2021, Xellia Pharmaceuticals und Alpharma/Kommission (C‑611/16 P, EU:C:2021:245), kann meines Erachtens nicht die Feststellung in Frage stellen, dass es bei der Einleitung einer sektorbezogenen Untersuchung an einem Vorwurf im Sinne der in Rn. 194 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechung fehlt. In den Rn. 153 und 154 dieses von der Kommission in Bezug genommenen Urteils beschränkt sich der Gerichtshof nämlich auf die Feststellung, dass „die Untersuchungen eines bestimmten Wirtschaftszweigs ein Instrument darstellen, mit dem die Vermutung, dass in dem betreffenden Wirtschaftszweig der Wettbewerb beschränkt wird, bestätigt werden soll“, und dass, wenn „die Kommission solche Untersuchungen ein[leitet], … die Unternehmen des betreffenden Wirtschaftszweigs, insbesondere, wenn sie Vereinbarungen geschlossen haben, die ausdrücklich Gegenstand des Beschlusses über die Einleitung der betreffenden Untersuchung sind …, damit rechnen [müssen], dass in der Folge möglicherweise individuelle Verfahren gegen sie eröffnet werden“. In Rn. 139 des genannten Urteils hat der Gerichtshof zudem klargestellt, dass die ersten Maßnahmen, die einen Vorwurf der Kommission gegenüber den Rechtsmittelführerinnen der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, beinhalteten, nach Einleitung der betreffend sektorbezogenen Untersuchung getroffen worden waren (es handelt sich um den Zeitpunkt, zu dem die Kommission das Bestehen einer sektorbezogenen Untersuchung mitgeteilt hat).

( 84 ) Auch das interne Verfahrenshandbuch der Kommission für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV vom 12. März 2012 (https://ec.europa.eu/competition/antitrust/antitrust_manproc_11_2019_en.pdf, Kapitel 8, Rn. 2.5, im Folgenden: Verfahrenshandbuch der Kommission) scheint in diese Richtung zu weisen, wenn es dort heißt: „Was die Gewissheit über den Gegenstand der Untersuchung zum Zeitpunkt der Befragung angeht, muss mindestens eine Sache mit einem bestimmten Aktenzeichen registriert sein.“ Ich weise darauf hin, dass die Anlegung einer Akte vor Durchführung der Befragung den nötigen Bezugsrahmen für die Anwendung von Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 liefert.

( 85 ) C‑413/14 P, EU:C:2016:788, Nr. 232.

( 86 ) Ich weise zudem darauf hin, dass Generalanwalt Wahl in Nr. 233 dieser Schlussanträge auch nicht ausschließt, dass eine Befragung im Sinne von Art. 19 der Verordnung Nr. 1/2003 vor einer „laufenden“ Untersuchung erfolgen kann.

( 87 ) Meines Erachtens ist zudem Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 in diesem Sinne zu verstehen. Die Kommission kann ihre Ermittlungsbefugnisse nach Kapitel V der Verordnung Nr. 1/2003 – einschließlich derjenigen nach deren Art. 19 – auch ausüben, „bevor sie ein Verfahren einleitet“.

( 88 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache Intel Corporation/Kommission (C‑413/14 P, EU:C:2016:788, Nr. 233). Vgl. auch Verfahrenshandbuch der Kommission, Kapitel 8, Rn. 2.4.

( 89 ) C‑617/13 P, EU:C:2016:416, Rn. 66 bis 74.

( 90 ) Diese Schlussfolgerung geht zwar klarer aus Rn. 216 des angefochtenen Urteils hervor, die aber auf ein von der Kommission verspätet vorgelegtes und vom Gericht für unzulässig erklärtes Beweismittel gestützt ist, doch ergibt sie sich meines Erachtens bereits hinreichend aus Rn. 215 dieses Urteils.

( 91 ) Vgl. Urteil vom 26. Juni 1980, National Panasonic/Kommission (136/79, EU:C:1980:169, Rn. 13 und 21).

( 92 ) Vgl. Urteile Roquette Frères (Rn. 99), Deutsche Bahn des Gerichts (Rn. 172), und vom 27. November 2014, Alstom Grid/Kommission (T‑521/09, EU:T:2014:1000, Rn. 53).

( 93 ) Vgl. u. a. Urteil vom 20. Juni 2018, České dráhy/Kommission (T‑621/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:367, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 94 ) Auch wenn im Urteil Roquette Frères nicht die Frage behandelt worden ist, zu welchem Zeitpunkt davon ausgegangen werden kann, dass der Kommission die von ihr gesammelten einem Nachprüfungsbeschluss zugrunde liegenden Indizien zur Verfügung stehen, geht doch aus dessen Rn. 61 hervor, dass solche Indizien in der Regel vor dem Erlass dieses Beschlusses in ihren Akten enthalten sein müssen.

( 95 ) Vgl. Urteil Intel (Rn. 94).

( 96 ) Meines Erachtens kann der Gerichtshof unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache gegebenenfalls eine Ersetzung von Gründen vornehmen, auch wenn das die Prüfung eines Vorbringens bedeutet, über das das Gericht nicht entschieden hat.