SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GERARD HOGAN

vom 16. September 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑251/20

Gtflix Tv

gegen

DR

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Frankreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung Nr. 1215/2012 – Veröffentlichung verunglimpfender Kommentare über eine juristische Person im Internet – Klagen auf Richtigstellung von Angaben, Löschung von Inhalten und auf Schadenersatz – Zuständigkeit für Klagen auf Schadenersatz – Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung [SLAPP-Klagen]“

I. Einleitung

1.

Schon seit Inkrafttreten des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen ( 2 ) und der ihm nachfolgenden verschiedenen Fassungen der Brüssel-Verordnung ( 3 ), die es ersetzt haben, zielte das Gerüst eines „europäisierten“ Internationalen Privatrechts in seiner Gesamtheit stets darauf ab, bei der Verteilung der Zuständigkeiten in Zivilsachen auf die Gerichte der einzelnen Mitgliedstaaten Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu fördern. Mit dem Brüsseler System wurde ferner angestrebt, für eine bestimmte Rechtssache, sofern möglich, in so wenigen Justizsystemen wie möglich einen anrufbaren Gerichtsstand vorzusehen, nämlich in denjenigen, die zu der Klage die engste Verbindung aufweisen.

2.

Diese Ziele sind allerdings durch eine Reihe von Rechtssachen in Frage gestellt worden, die sich jedenfalls auf die Entscheidung des Gerichtshofes im Urteil Shevill ( 4 ) von 1995 zurückverfolgen lassen. Das fragliche Problem tritt am deutlichsten dann zutage, wenn ein Kläger Schadenersatz aus außervertraglicher Haftung wegen ehrverletzender oder ähnlich gearteter Veröffentlichungen begehrt und vorträgt, dass die unerlaubte Handlung Schäden in einer Vielzahl unterschiedlicher Zuständigkeitsbereiche verursacht habe. Unter solchen Umständen erscheint es unmöglich, eine Regelung zu ermitteln, die zum einen den sich einander potenziell widersprechenden Zielen der Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Nähebeziehung zufriedenstellend Rechnung trägt und zum anderen eine Häufung möglicher Gerichtsstände vermeidet. Der technologische Fortschritt unserer Zeit verschärft diese Schwierigkeiten, wenn die angeblich ehrverletzenden oder anderweitig rechtswidrigen Kommentare im Internet veröffentlicht worden sind.

3.

Hierin besteht der allgemeine rechtliche Hintergrund der komplexen Zuständigkeitsfragen, die das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen aufwirft, das die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft.

4.

Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gtflix Tv, einem im Bereich Erwachsenenunterhaltung tätigen Unternehmen mit Sitz in der Tschechischen Republik, und DR, einem Regisseur, Produzenten und Vertreiber pornografischer Filme, der in Ungarn ansässig ist, wegen Schadenersatz für angeblich abfällige Äußerungen von DR auf verschiedenen Internetseiten und in verschiedenen Foren. Vor Prüfung des Sachverhalts und der materiell-rechtlichen Fragen ist zunächst der maßgebende rechtliche Rahmen darzustellen.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Völkerrecht

5.

Die Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (unterzeichnet am 20. März 1883, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 und geändert am 28. September 1979, United Nations Treaty Series, Vol. 828, Nr. 11851, S. 305) betrifft das gewerbliche Eigentum im weitesten Sinn des Wortes und umfasst Patente, Handelsmarken, gewerbliche Muster, Gebrauchsmuster, Dienstleistungsmarken, Handelsnamen, geografische Angaben sowie die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs.

6.

Art. 10bis dieser Übereinkunft bestimmt:

„1)   Die Verbandsländer sind gehalten, den Verbandsangehörigen einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu sichern.

2)   Unlauterer Wettbewerb ist jede Wettbewerbshandlung, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zuwiderläuft.

3)   Insbesondere sind zu untersagen:

1. alle Handlungen, die geeignet sind, auf irgendeine Weise eine Verwechslung mit der Niederlassung, den Erzeugnissen oder der gewerblichen oder kaufmännischen Tätigkeit eines Wettbewerbers hervorzurufen;

2. die falschen Behauptungen im geschäftlichen Verkehr, die geeignet sind, den Ruf der Niederlassung, der Erzeugnisse oder der gewerblichen oder kaufmännischen Tätigkeit eines Wettbewerbers herabzusetzen;

3. Angaben oder Behauptungen, deren Verwendung im geschäftlichen Verkehr geeignet ist, das Publikum über die Beschaffenheit, die Art der Herstellung, die wesentlichen Eigenschaften, die Brauchbarkeit oder die Menge der Waren irrezuführen.“

B.   Unionsrecht

1. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012

7.

In den Erwägungsgründen 13 bis 16 und 21 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(13)

Zwischen den Verfahren, die unter diese Verordnung fallen, und dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten muss ein Anknüpfungspunkt bestehen. Gemeinsame Zuständigkeitsvorschriften sollten demnach grundsätzlich dann Anwendung finden, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat.

(14)

Beklagte ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat sollten im Allgemeinen den einzelstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften unterliegen, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats gelten, in dem sich das angerufene Gericht befindet. Allerdings sollten einige Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten gelten, um den Schutz der Verbraucher und der Arbeitnehmer zu gewährleisten, um die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Fällen zu schützen, in denen sie ausschließlich zuständig sind, und um die Parteiautonomie zu achten.

(15)

Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(16)

Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.

(21)

Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.“

8.

Die Zuständigkeitsregeln sind in Kapitel II der Verordnung enthalten, das die Art. 4 bis 34 umfasst.

9.

Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012, der zu Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) gehört, lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

10.

In Abschnitt 1 dieser Verordnung bestimmt ihr Art. 5 Nr. 1:

„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“

11.

Der Wortlaut von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist identisch mit dem Wortlaut von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1), der durch die Verordnung Nr. 1215/2012 aufgehoben wurde, und entspricht demjenigen von Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens. Diese Bestimmung, die zu Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) der Verordnung Nr. 1215/2012 gehört, bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

2.

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.

12.

Art. 30 der Verordnung Nr. 1215/2012 lautet:

„(1)   Sind bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren, die im Zusammenhang stehen, anhängig, so kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen.

(2)   Ist das beim zuerst angerufenen Gericht anhängige Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung der Verfahren nach seinem Recht zulässig ist.

(3)   Verfahren stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.“

2. Verordnung (EG) Nr. 864/2007

13.

Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) ( 5 ) heißt es:

„(7)

Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen … (Brüssel I)[ ( 6 )] und den Instrumenten, die das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zum Gegenstand haben, in Einklang stehen.“

14.

Art. 4 („Allgemeine Kollisionsnorm“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.

(2)   Haben jedoch die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates.

(3)   Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat könnte sich insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien – wie einem Vertrag – ergeben, das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht.“

15.

Art. 6 („Unlauterer Wettbewerb und den freien Wettbewerb einschränkendes Verhalten“) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung lautet:

„(1)   Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten ist das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.

(2)   Beeinträchtigt ein unlauteres Wettbewerbsverhalten ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers, ist Artikel 4 anwendbar.“

C.   Französisches Recht

16.

Im französischen Recht ist als unlauterer Wettbewerb jede Handlung anzusehen, die darin besteht, die unternehmerische Freiheit zu überspannen, indem Verfahren angewandt werden, die gegen Vorschriften und Gepflogenheiten verstoßen und einen Schaden verursachen. Zu den anerkannten Formen unlauteren Wettbewerbs gehört die Verunglimpfung; diese besteht nach der Rechtsprechung der französischen Cour de cassation in der Verbreitung von Informationen, die geeignet sind, einen Mitbewerber herabzusetzen ( 7 ). Diese zivilrechtlich unerlaubte Handlung, die sich von der Verleumdung unterscheidet, unterliegt den französischen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung.

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsersuchen

17.

Gtflix Tv ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Tschechischen Republik, die Fernsehprogramme mit Inhalten herstellt und vertreibt, die mitunter euphemistisch als nicht jugendfrei bezeichnet werden. DR ist ein in Ungarn ansässiger Regisseur, Produzent und Vertreiber pornografischer Filme. Seine Filme werden über von ihm betriebene und in Ungarn gehostete Websites vermarktet.

18.

Es wird behauptet, dass DR sich regelmäßig auf verschiedenen Websites und in verschiedenen Foren verunglimpfend über Gtflix Tv geäußert habe. Gtflix Tv forderte DR im Wege einer förmlichen Abmahnung auf, diese Äußerungen zurückzunehmen. Nachdem dies erfolglos blieb, verfolgte Gtflix Tv ihr Begehren gegen DR mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Präsidenten des Tribunal de grande instance de Lyon (Regionalgericht Lyon, Frankreich; im Folgenden Tribunal de grande instance) weiter. In diesem Verfahren beantragte Gtflix Tv, DR aufzugeben,

unter Androhung eines Zwangsgelds jedwede verunglimpfende Handlungen gegen Gtflix Tv und ihre Website zu unterlassen und eine rechtsverbindliche Erklärung auf Französisch und Englisch in jedem der betreffenden Foren zu veröffentlichen;

es Gtflix Tv zu erlauben, zu den von DR verwalteten Foren einen Kommentar zu veröffentlichen;

an Gtflix Tv einen symbolischen Betrag von einem Euro als Ersatz für ihren wirtschaftlichen Schaden und einen Euro für ihren immateriellen Schaden zu zahlen.

19.

Der Antragsgegner wandte hiergegen die Unzuständigkeit des französischen Gerichts ein. Dieser Ansicht des Antragsgegners schloss sich das Tribunal de grande instance insoweit an.

20.

Gegen diesen Beschluss legte Gtflix Tv Berufung bei der Cour d’appel de Lyon (Berufungsgericht Lyon, Frankreich; im Folgenden: Cour d’appel) ein und erhöhte den vorläufig geltend gemachten Betrag für den in Frankreich entstandenen wirtschaftlichen und immateriellen Schaden auf 10000 Euro. Mit Urteil vom 24. Juli 2018 bestätigte das vorgenannte Gericht wiederum die Unzuständigkeit der französischen Gerichte.

21.

Daraufhin legte der Kläger Rechtsmittel bei der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich; im Folgenden: Cour de cassation) ein. Im Verfahren vor diesem Gericht wendet Gtflix Tv sich gegen das Urteil der Cour d’Appel vom 24. Juli 2018, mit dem die französischen Gerichte für unzuständig und die tschechischen Gerichte für zuständig erklärt wurden, weil die Gerichte eines Mitgliedstaats für Rechtssachen wegen Schäden zuständig seien, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats durch online gestellte Inhalte verursacht worden seien, sobald diese dort zugänglich seien. Die Cour d’appel habe gegen Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 verstoßen, indem sie die Zuständigkeit der französischen Gerichte mit der Begründung abgelehnt habe, dass es nicht ausreiche, dass die als verunglimpfend erachteten und ins Internet gestellten Kommentare im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts zugänglich seien, sondern dass diese Inhalte für die Gebietsansässigen dieses Mitgliedstaats auch von einem gewissen Interesse sein müssten.

22.

Das vorlegende Gericht ist offenbar der Auffassung, dass die Entscheidung der Cour d’appel zwar in der Tat rechtsfehlerhaft sei, die französischen Gerichte gleichwohl aber für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung oder Entfernung der Äußerungen nicht zuständig seien. Nach dem Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766), könne nämlich ein Anspruch auf Richtigstellung oder Entfernung von Angaben nicht schon deshalb bei den Gerichten eines Staates erhoben werden, weil diese Angaben aus diesem Mitgliedstaat heraus zugänglich seien. Diese Begründung sei zwar einem Urteil entnommen, das im Rahmen eines Verleumdungsverfahrens ergangen sei. Soweit indes die genannte Begründung auf dem ubiquitären Charakter der in Rede stehenden Angaben beruhe, lasse sie sich auch entsprechend auf Ansprüche auf Entfernung oder Richtigstellung von Behauptungen übertragen, die (mutmaßlich) eine Verunglimpfung darstellen könnten.

23.

Das vorlegende Gericht wirft jedoch die Frage auf, ob der Kläger bei Schadenersatzansprüchen, die damit in Verbindung stehen, ob ein solches unlauteres Wettbewerbsverhalten vorliegt, die Gerichte jedes Mitgliedstaats anrufen kann, in dessen Hoheitsgebiet ein ins Internet gestellter Inhalt zugänglich ist oder war, wenn er zugleich eine Richtigstellung von Angaben, Entfernung von Inhalten und Ersatz eines immateriellen und wirtschaftlichen Schadens begehrt, oder ob er diesen Schadenersatzanspruch vor demjenigen Gericht erheben muss, das für die Anordnung der Richtigstellung von Angaben und die Entfernung der verunglimpfenden Äußerungen zuständig ist.

24.

Vor diesem Hintergrund hat die Cour de cassation beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Bestimmungen von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass die Person, die in der Ansicht, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen im Internet verletzt worden seien, sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der Inhalte als auch auf Ersatz des daraus entstandenen immateriellen und wirtschaftlichen Schadens klagt, gemäß dem Urteil vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 51 und 52), vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet ein ins Internet gestellter Inhalt zugänglich ist oder war, Ersatz des im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verursachten Schadens verlangen kann, oder dahin, dass sie gemäß dem Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 48), diesen Antrag auf Schadenersatz vor dem Gericht stellen muss, das für die Anordnung der Richtigstellung der Angaben und der Entfernung der verunglimpfenden Kommentare zuständig ist?

IV. Würdigung

25.

Vorab ist hervorzuheben, dass allein der Umstand, dass mehrere Arten von Ansprüchen in ein und derselben Klage zusammen geltend gemacht werden, keinen Einfluss auf die für jeden dieser Ansprüche geltenden Zuständigkeitsvorschriften hat, da die Klage gegebenenfalls aufgeteilt werden kann ( 8 ). Im Übrigen ist in Bezug auf das Ausgangsverfahren hervorzuheben, dass der Kläger zwar mehrere Arten von Ansprüchen geltend gemacht hat, die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage sich jedoch darauf beschränkt, welche Gerichte für die Entscheidung über eine Klage wegen Schadenersatz durch eine Verunglimpfung zuständig sind.

26.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass abweichend von Art. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012, der die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Rechtsstreit den Gerichten desjenigen Mitgliedstaats zuweist, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, nach Art. 7 Nr. 2 dieser Verordnung eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, dann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden kann, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht ( 9 ).

27.

Insofern, als Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in Wortlaut und Telos mit Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 sowie mit dem noch älteren Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens übereinstimmt, ist davon auszugehen, dass die Auslegung dieser beiden Bestimmungen durch den Gerichtshof gleichermaßen auch für den genannten Art. 7 Nr. 2 gilt ( 10 ).

28.

Nach der gefestigten Auffassung des Gerichtshofs beruht die besondere Zuständigkeit in Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens sowie in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt ( 11 ). Bei unerlaubten Handlungen oder Handlungen, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sind, ist nämlich das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden ( 12 ).

29.

Soweit Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 jedoch von dem nunmehr in Art. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 niedergelegten fundamentalen Grundsatz abweicht, wonach die Gerichte am Wohnsitz des Beklagten zuständig sind, ist sie eng auszulegen und lässt keine Auslegung zu, die über die ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Fallkonstellationen hinausgeht ( 13 ).

30.

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist indessen der Begriff des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ ( 14 ) dahin zu verstehen, dass damit auf zwei verschiedene Orte abgestellt wird, nämlich auf denjenigen der Verwirklichung des Schadenserfolgs und auf den Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (der auch als Ort des kausalen Ereignisses bezeichnet wird): Je nach den Umständen sind sie beide geeignet, besonders sachdienliche Ansatzpunkte für die Beweiserhebung und Verfahrensgestaltung zu liefern ( 15 ). Daher kann der Beklagte, wenn sich diese Anknüpfungskriterien an verschiedenen Orten befinden, nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden ( 16 ).

31.

In der vorliegenden Rechtssache bezieht sich die Vorabentscheidungsfrage ausschließlich auf die Bestimmung des Ortes des Schadenseintritts.

32.

Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser Anknüpfungspunkt der Ort ist, an dem das auslösende Ereignis seine schädigende Wirkung entfaltet, d. h. der Ort, an dem sich der durch das fehlerhafte Erzeugnis verursachte Schaden konkret zeigt ( 17 ). Dieser Ort kann jedoch je nach Art des angeblich verletzten Rechts variieren ( 18 ).

33.

So hat der Gerichtshof beispielsweise entschieden, dass im Fall eines Betrugs mit Auswirkungen auf den Wert von Finanzzertifikaten, die, da es sich um entmaterialisierte Vermögenswerte handelt, notwendigerweise auf einem besonderen, als Wertpapierkonto bezeichneten Konto bei einer Bank verwahrt werden, die in Anknüpfung an den eingetretenen Schaden zuständigen Gerichte diejenigen am Wohnsitz des Klägers sind, wenn dieses Bankkonto bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte geführt wird ( 19 ). Der Gerichtshof hat allerdings entschieden, dass dieser Ansatz dann nicht greift, wenn vom Kläger ein Vermögensschaden geltend gemacht wird und dieser sich aus Anlageentscheidungen ergibt, die aufgrund von weltweit problemlos zugänglichen, aber unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Informationen getroffen wurden, sofern für das Unternehmen, das die fraglichen Finanzinstrumente ausgegeben hat, in dem Mitgliedstaat, in dem die Bank oder die Investmentgesellschaft, bei der das Konto geführt wird, ihren Sitz hat, keine gesetzlichen Offenlegungspflichten galten ( 20 ).

34.

Im Fall eines angeblichen immateriellen Schadens durch einen im Gebiet mehrerer Mitgliedstaaten verbreiteten Presseartikel hat der Gerichtshof im Urteil Shevill entschieden, dass der Betroffene eine Schadenersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Staats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Staats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet worden ist und in dem das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind ( 21 ). Die letztgenannte Zuständigkeitsregel ist insbesondere von ihren Kritikern als Aufstellung eines Grundsatzes der Zuständigkeitsverteilung betrachtet worden, der eingängig als „Mosaik-Ansatz“ bezeichnet werden kann ( 22 ).

35.

Später hatte der Gerichtshof in der Rechtssache eDate die Frage eines transnationalen ehrverletzenden Online‑Inhalts zu prüfen. Er entschied insoweit, dass diese Situationen sich von Offline-Situationen zum einen durch die potenzielle Ubiquität eines jeden Online‑Inhalts sowie zum anderen durch die Schwierigkeit einer sicheren und zuverlässigen Quantifizierung dieser Verbreitung und mithin der Bezifferung des ausschließlich in einem Mitgliedstaat verursachten Schadens unterscheiden ( 23 ). Dementsprechend sah er dann, wenn die den in Rede stehenden Inhalt hostende Website keine einschränkenden Maßnahmen getroffen hat, das Gericht an demjenigen Ort als für die Entscheidung über die Begründetheit eines Schadenersatzanspruchs für den gesamten entstandenen Schaden als zuständig an, an dem das mutmaßliche Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat, da dies der Ort ist, an dem die Auswirkungen eines im Internet veröffentlichten Inhalts auf die Persönlichkeitsrechte einer Person am besten beurteilt werden können ( 24 ). Nach Auffassung des Gerichtshofs entspricht dieser Ort im Allgemeinen, aber nicht notwendigerweise, ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Jedoch kann eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen auch in einem anderen Mitgliedstaat haben, in dem sie sich nicht gewöhnlich aufhält, sofern andere Indizien wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit einen besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellen können ( 25 ).

36.

Neben diesem Anknüpfungspunkt entschied der Gerichtshof in Rn. 51 des Urteils eDate, dass es dem Kläger auch freisteht, die Gerichte jedes Mitgliedstaats anzurufen, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über denjenigen Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist ( 26 ).

37.

Nach dem vorgenannten Urteil stehen somit einer Person, die sich durch eine im Internet begangene Verleumdung in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sieht, für eine Klageerhebung drei Gerichtsstände zu Gebote, an denen die jeweiligen nationalen Gerichte jeweils für die Entscheidung über den gesamten Schaden zuständig sind, nämlich am Wohnsitz des Beklagten, am Ort des ursächlichen Geschehens, d. h. an dem Ort, an dem die Entscheidung zur Verbreitung der betreffenden Äußerung, sei es ausdrücklich oder stillschweigend, getroffen wurde ( 27 ), und am Ort des Mittelpunkts der Interessen des Klägers. Ferner kann auch an mehreren anderen Gerichtsständen, nämlich in den verschiedenen Mitgliedstaaten, in denen der betreffende veröffentlichte Inhalt zugänglich ist oder war, Klage erhoben werden, wobei indessen die entsprechenden nationalen Gerichte nur eine Zuständigkeit für den Schaden haben, der im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats entstanden ist.

38.

In drei nachfolgenden Rechtssachen wurde die Wahlmöglichkeit einer Klageerhebung vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet im Internet veröffentlichte Inhalte zugänglich sind oder gemacht wurden, bestätigt und auf Urheberrechtsverletzungen im Internet mit der Begründung angewandt, diese Gerichte seien am besten dazu in der Lage, zu beurteilen, ob tatsächlich die behauptete Rechtsverletzung vorliege und welcher Art der Schaden sei: Es handelt sich hierbei um die Urteile Pinckney ( 28 ), Hejduk ( 29 ) und Hi Hotel HCF ( 30 ). Diese Auffassung hat der Gerichtshof insbesondere im Urteil Hejduk bestätigt und sich in der letztgenannten Rechtssache nicht der Ansicht von Generalanwalt Cruz Villalón angeschlossen, dass für die Parteien dieser Grundsatz zu Rechtsunsicherheit führen würde ( 31 ). In jeder dieser Rechtssachen hat der Gerichtshof seine Auffassung damit begründet, dass gewöhnlich der Urheberrechtsschutz einem Territorialitätsprinzip unterliege, d. h., dass das Recht der Staaten tatsächlich nur in ihrem Hoheitsgebiet begangene Urheberrechtsverletzungen ahnde ( 32 ).

39.

Schließlich wurde der Gerichtshof in der Rechtssache Bolagsupplysningen und Ilsjan im Rahmen einer ersten Frage um eine Entscheidung darüber ersucht, ob die im Urteil eDate entwickelte Auffassung auch für eine juristische Person gelte, die die Richtigstellung auf einer Website veröffentlichter und als unrichtig gerügter Inhalte, die Entfernung sich darauf beziehender Kommentare im Diskussionsforum dieser Website sowie Schadenersatz begehre.

40.

Der Gerichtshof entschied insoweit in Bezug auf die Ansprüche auf Richtigstellung und Entfernung, dass die Regel, nach der sich bestimmt, welche Gerichte für die Entscheidung über die Begründetheit des Schadenersatzanspruchs in seiner Gesamtheit zuständig sind, die im Urteil eDate aufgestellt wurde und wonach die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem der Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten liegt, auch für juristische Personen gilt, und zwar ohne Unterscheidung danach, ob es sich um einen Inhalt handelt, der einen materiellen oder einen immateriellen Schaden begründet ( 33 ). In diesem Fall muss nach Auffassung des Gerichtshofs der Mittelpunkt der Interessen eines Unternehmens den Ort widerspiegeln, an dem sein geschäftliches Ansehen am gefestigtsten ist, so dass er anhand des Ortes zu bestimmen ist, an dem es den wesentlichen Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt. Insoweit kann der Mittelpunkt der Interessen einer juristischen Person zwar mit dem Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes zusammenfallen, wenn sie in dem Mitgliedstaat, in dem sich dieser Sitz befindet, ihre gesamte oder den wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt und deshalb das Ansehen, über das sie dort verfügt, größer ist als in jedem anderen Mitgliedstaat, doch ist der Ort des Sitzes für sich genommen im Rahmen einer solchen Prüfung kein entscheidendes Kriterium ( 34 ).

41.

In Beantwortung einer zweiten Frage danach, welche Gerichte für die Entscheidung über einen Antrag auf Richtigstellung oder Entfernung von im Internet veröffentlichten Kommentaren zuständig seien, entschied der Gerichtshof, dass ein solcher Anspruch nicht vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erhoben werden kann, da angesichts der „umfassenden Abrufbarkeit der auf einer Website veröffentlichten Angaben und Inhalte und des Umstands, dass die Reichweite ihrer Verbreitung grundsätzlich weltumspannend ist …, ein auf die Richtigstellung dieser Angaben und die Entfernung dieser Inhalte gerichteter Antrag … einheitlich und untrennbar [ist]“ ( 35 ). Ein solcher Anspruch kann, so stellte der Gerichtshof fest, nur bei denjenigen Gerichten geltend gemacht werden, denen auch die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Begründetheit des Anspruchs auf den gesamten Schadenersatz zugewiesen ist.

42.

In diesem Zusammenhang wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die Gründe, auf die der Gerichtshof die ausschließliche Zuständigkeit bestimmter Gerichte für die Entfernung oder Richtigstellung streitiger Inhalte gestützt habe, nicht auch für eine ausschließliche Zuständigkeit dieser Gerichte für den Schadenersatz sprächen. Damit wird implizit die Frage danach aufgeworfen, ob der Gerichtshof im Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766), somit nicht nur eine Abgrenzung von seiner früheren Rechtsprechung vornehmen, sondern seine frühere Rechtsprechung und somit den Mosaik-Ansatz für Schadenersatzansprüche vielmehr gänzlich aufgeben wollte ( 36 ).

43.

Vorab möchte ich klarstellen, dass der Wortlaut von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 meines Erachtens einer Aufgabe des Mosaik-Ansatzes ebenso wenig entgegensteht, wie er dessen Aufrechterhaltung verlangt. Wie oben ausgeführt, beschränkt sich diese Bestimmung nämlich darauf, einen Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Orts, an dem der Schaden sich verwirklicht, aufzustellen, ohne dies näher zu konkretisieren.

44.

Zweitens fällt es mir schwer, aus dem Urteil Bolagsupplysningen und Ilsjan Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Mosaik-Ansatz abzuleiten. Ungeachtet dessen, dass Generalanwalt Bobek den Gerichtshof ausdrücklich zu einer Überprüfung seiner Rechtsprechung aufgefordert hatte, gab der Gerichtshof in Bezug auf die erste Frage, nämlich diejenige, in deren Rahmen der Gerichtshof auf die Frage nach der Beibehaltung des Mosaik-Ansatzes hätte eingehen können, eine relativ kurze Antwort, die sich nur auf die Gerichte bezog, die für die Entscheidung über Klagen auf Richtigstellung oder Entfernung von Kommentaren zuständig sind ( 37 ). Da der Gerichtshof die ausschließliche Zuständigkeit bestimmter Gerichte, über Klagen auf Richtigstellung oder Entfernung im Internet veröffentlichter Inhalte zu befinden, auf die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit dieser Art von Klagen gestützt hat, ist dieser Antwort nicht notwendigerweise eine Aufgabe des Mosaik-Ansatzes für Schadenersatzklagen zu entnehmen.

45.

Dass beispielsweise ein nationales Gericht nach dem in seinem Mitgliedstaat geltenden Recht und unter Berücksichtigung insbesondere der Art und der Zugänglichkeit des betreffenden Inhalts und des Ansehens der betroffenen Person entscheidet, dass der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats entstandene Schaden nicht zu ersetzen ist, schließt nicht aus, dass ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats ihr aufgrund anderer Rechtsvorschriften und Erwägungen Schadenersatz zuerkennt. Es ist durchaus denkbar, dass ein Kläger in Mitgliedstaat A mit seiner Klage nicht obsiegen könnte, etwa weil die Veröffentlichung in jenem Staat nur sehr wenige Menschen erreicht hat oder weil in jenem Staat der Kläger kein wirkliches Ansehen genoss, das zu schützen wäre, während er zugleich in Mitgliedstaat B obsiegt, in dem möglicherweise mehr Menschen die betreffende Veröffentlichung gelesen haben oder in dem das Ansehen des Klägers, das hierdurch tatsächlich beschädigt oder beeinträchtigt wurde, größer ist.

46.

Da die auf dem Gebiet der Verleumdung bestehenden Rechtsvorschriften im Recht der Mitgliedstaaten jeweils eigenständig geregelt bleiben und nicht harmonisiert worden sind, ist auch denkbar, dass ein bestimmter Wortlaut möglicherweise in Mitgliedstaat C als verleumderisch anzusehen ist, wohingegen dies in Mitgliedstaat D nicht der Fall wäre. Dagegen könnten bei Klagen auf Richtigstellung oder Entfernung des nämlichen im Internet veröffentlichten Inhalts, falls bei verschiedenen nationalen Gerichten gegenläufige Urteile ergingen, die Personen, die die Internetseite verwalten, auf der der betreffende Inhalt zugänglich gemacht wird oder wurde, diesen Entscheidungen möglicherweise nicht gleichzeitig nachkommen.

47.

Zwar erwähnt der Gerichtshof in Rn. 31 seines Urteils Bolagsupplysningen und Ilsjan, in dem er den Mosaik-Ansatz anspricht, nur das Urteil Shevill als Präzedenzentscheidung. Dem dürfte jedoch meines Erachtens keine Bedeutung zukommen, da der Gerichtshof nicht immer seine gesamte frühere Rechtsprechung anführt ( 38 ).

48.

Es ist insoweit höchstwahrscheinlich davon auszugehen, dass der Gerichtshof im Urteil Bolagsupplysningen und Ilsjan bewusst vermieden hat, zur Frage der Beibehaltung des Mosaik-Ansatzes im Bereich des Schadenersatzes Stellung zu nehmen ( 39 ). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Frage, ob dieser Lösungsweg angemessen ist, keine Prüfung verdienen würde.

49.

In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bolagsupplysningen und Ilsjan war Generalanwalt Bobek der Ansicht, dass dieser Ansatz weder den Interessen der Parteien nütze noch im Allgemeininteresse liege. Er führte insoweit verschiedenen Argumente für die Aufgabe dieses Ansatzes an, von denen drei für Schadenersatzansprüche relevant sein dürften.

50.

Erstens habe der Gerichtshof bei der Ausdehnung des im Urteil Shevill entwickelten Lösungswegs auf im Internet veröffentlichte Inhalte die besondere Natur des Internets nicht berücksichtigt, nämlich dass hierdurch jeder veröffentlichte Inhalt ubiquitären Charakter erhalte ( 40 ). Insoweit würde die Anwendung des Mosaik-Ansatzes zu einer Vervielfachung von Gerichtsständen führen, die dem Urheber des Inhalts die Vorhersehbarkeit des im Streitfall zuständigen Gerichts erschweren würde ( 41 ).

51.

Zweitens bringe der Grundsatz der Mosaik-Zuständigkeit die Gefahr einer Fragmentierung von Klagen unter den Gerichten der Mitgliedstaaten mit sich, die jeweils nur für den in ihrem Hoheitsgebiet entstandenen Schaden zuständig seien. In der Praxis seien diese Klagen schwer miteinander zu koordinieren ( 42 ).

52.

Drittens diene die starke Vermehrung besonderer Gerichtsstände nicht dem Schutz derjenigen, die durch Ehrverletzungen geschädigt würden, da sie gegen die Urheber des ehrverletzenden Inhalts jedenfalls zur Klageerhebung an den Gerichtsständen des Mittelpunkts ihrer Interessen berechtigt seien und dies für sie am einfachsten sei. Insoweit könnte eine solch starke Vermehrung nur dazu dienen, Strategien einer Prozessführung in Belästigungsabsicht Vorschub zu leisten ( 43 ).

53.

Meines Erachtens ist anzuerkennen, dass diesen Argumenten insbesondere im Hinblick auf die mit der Verordnung Nr. 1215/2012 verfolgten Ziele erhebliches Gewicht zukommt. Erstens sollen nach dem 21. Erwägungsgrund dieser Verordnung Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Zweitens sollen nach dem 15. Erwägungsgrund dieser Verordnung die Zuständigkeitsvorschriften Rechtssicherheit gewährleisten. Drittens liegt nach dem 16. Erwägungsgrund, soweit es alternative Gerichtsstände zum Wohnsitz des Beklagten gibt, der Grund hierfür darin, dass entweder diese Gerichtsstände eine engere Verbindung zum Rechtsstreit haben oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

54.

Insoweit könnte man versucht sein, im Sinne einer Aufgabe der Mosaik-Lösung damit zu argumentieren, dass der in den Urteilen Shevill und eDate entwickelte Lösungsweg die Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 und nicht der Verordnung Nr. 1215/2012 betroffen habe. Da der Wortlaut des 16. Erwägungsgrunds der letztgenannten Verordnung von demjenigen des 12. Erwägungsgrunds der erstgenannten Verordnung abweicht und nunmehr die Bedeutsamkeit des Rechtssicherheitsgrundsatzes bei Rechtsstreitigkeiten betont, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen, könnte dieser Zusatz dahin verstanden werden, dass der Unionsgesetzgeber auch eine Abkehr von bestimmten Aspekten der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs beabsichtigte.

55.

Diese Annahme erscheint mir jedoch etwas zu weitgehend. Meines Erachtens kann diese Hinzufügung am ehesten als schlichte Klarstellung des mit Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012 verfolgten Ziels verstanden werden. Daraus folgt, dass im Erlass der Verordnung Nr. 1215/2012 kein berechtigter Anhaltspunkt dafür zu sehen ist, dass der Mosaik-Ansatz nicht mehr der geltenden Rechtslage entspricht. Eine Abkehr von diesem Ansatz liefe daher auf eine Aufgabe der bestehenden Rechtsprechung hinaus.

56.

Auch wenn der Gerichtshof keine strenge Präjudizlehre vertritt, muss jede erhebliche Abweichung von einer gefestigten Rechtsprechung gleichwohl die Ausnahme sein – und ist es auch. Richtig ist gleichwohl, dass der Gerichtshof in der Vergangenheit Teile seiner Rechtsprechung aufgegeben hat. Dies war, wie von Professor F. Picod dargestellt ( 44 ), beispielsweise der Fall, wenn die Auslegung, die für eine Rechtsvorschrift vorgegeben wurde, in der Praxis zu einer wenig wirksamen Regelung führte ( 45 ), ihr starker Widerstand der für ihre Anwendung zuständigen nationalen Gerichte entgegenstand ( 46 ) oder wenn diese Auslegung infolge sozialer, politischer oder technologischer Entwicklungen zwischenzeitlich überholt war ( 47 ).

57.

Gleichwohl sollte, da die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit auch für den Gerichtshof gelten, jede Aufgabe einer früheren gefestigten Rechtsprechung nur aus gewichtigen Gründen erfolgen und nicht über den Rahmen des Erforderlichen hinausgehen. Und selbst wenn ein solcher Grund vorliegt, sollte im Rahmen einer solchen Aufgabe der Rechtsprechung insbesondere darauf hingewirkt werden, dass nur begrenzte Rückwirkungseffekte eintreten und dass der Grundsatz der Rechtskraft gewahrt bleibt.

58.

In der vorliegenden Rechtssache geht es also um die Frage, ob die (zugegebenermaßen) problematischen Aspekte des Mosaik-Ansatzes so grundlegender Art sind, dass sie seine Aufgabe rechtfertigen, und, selbst wenn dies der Fall wäre, ob es einen anderen Ansatz gibt, der dem Gerichtshof offensteht und nicht so potenziell weitreichend wäre. Auch wenn ich das Gewicht der Argumente von Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bolagsupplysningen und Ilsjan voll anerkenne, bin ich gleichwohl nicht überzeugt, dass die im Anschluss an das Urteil Shevill ergangene Rechtsprechung in dieser Weise aufgegeben werden sollte. Dieser Ansicht bin ich aus folgenden Gründen.

59.

Erstens ist die Erkenntnis, dass jeder ins Internet gestellte Inhalt ubiquitären Charakter hat, nicht neu ( 48 ). Zwar sind die sozialen Netzwerke seit dem Urteil eDate von 2011 erheblich gewachsen, doch hatte Facebook auch damals schon über 500 Millionen Nutzer, von denen sich die Hälfte täglich einloggte ( 49 ).

60.

Zweitens müssen die Probleme, die sich aus der Möglichkeit der Anrufung mehrerer Gerichte ergeben, relativiert werden. Streng rechtlich betrachtet, führt der Mosaik-Grundsatz nämlich nicht zu einem Problem der Koordinierung zwischen verschiedenen Verfahren. In Anbetracht dessen, dass jedes nationale Gericht nur für die Entscheidung über den in seinem Mitgliedstaat entstandenen Schaden zuständig ist, wird ein jedes dieser Gerichte in Ermangelung einer Harmonisierung der Vorschriften auf dem Gebiet der Verleumdung folgerichtig ein anderes Recht, nämlich das für das jeweilige Gebiet anwendbare Recht, anwenden; mithin liegt diesen Verfahren weder derselbe Gegenstand, der den Anträgen der betroffenen Person entspricht, noch derselbe Anspruch zugrunde, der sich im EU-Recht auf deren rechtliche und tatsächliche Grundlage bezieht ( 50 ).

61.

Praktisch betrachtet, wird bei Anwendung des Mosaik-Ansatzes nicht allen Gerichten der Mitgliedstaaten die Zuständigkeit zugewiesen, sondern nur den Gerichten derjenigen Mitgliedstaaten, in denen der streitige Inhalt zugänglich ist ( 51 ). Je nachdem, wie der Begriff der Zugänglichkeit zu verstehen ist, was in der Rechtsprechung des Gerichtshofs noch ungeklärt ist, werden nicht alle Gerichte aller Mitgliedstaaten zuständig sein. Selbst wenn mehrere Gerichte zuständig sind, bedeutet dies zudem nicht zwangsläufig, dass im Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten der Eintritt eines Schadens festgestellt wird. Wie ich bereits ausgeführt habe, sind der Bekanntheitsgrad der angeblich verleumdeten natürlichen oder juristischen Person ( 52 ), der Wortlaut der betreffenden Veröffentlichung, die Darstellung ( 53 ), der Kontext, die in der Formulierung der Äußerung enthaltenen Hinweise und die Zahl der Nutzer aus den betreffenden Mitgliedstaaten, die diese Veröffentlichung aufgerufen haben ( 54 ), sämtlich Gesichtspunkte, aufgrund deren die Gerichte zu der Feststellung kommen können, dass der betroffenen Person in dem Hoheitsgebiet, für das sie räumlich zuständig sind, kein Schaden entstanden ist.

62.

Insoweit dürfte das durch den Mosaik-Ansatz aufgeworfene Problem in Wirklichkeit in erster Linie mit der Gefahr einer Prozessführung in Belästigungsabsicht zusammenhängen. Durch die Vervielfachung von Gerichtsständen wird ein Nährboden für Strategien einer Prozessführung in Belästigungsabsicht bereitet und insbesondere sogenannten Strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic lawsuits against public participation [SLAPP], auf Französisch: „recours bâillon“) Vorschub geleistet ( 55 ). Da jeder Rechtsstreit den Beklagten zwingt, für ihn Energie und Ressourcen aufzuwenden, kann eine Person unabhängig von den Erfolgsaussichten des von ihr geltend gemachten Anspruchs durch eine Vervielfachung von Klagen oder schon durch ihre Androhung einer anderen Person einen Schaden zufügen (bzw. im Fall eines Unternehmens einen Wettbewerbsnachteil durch Vergeudung von Zeit und Ressourcen auf der Ebene der Geschäftsführung).

63.

Wenn jedoch solche Strategien von manchen skrupellosen Klägern nutzbringend umgesetzt werden können, so liegt dies zum Teil daran, dass die bestehenden Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten häufig nicht hinreichend streng regeln, dass die unterlegene Partei verpflichtet ist, der obsiegenden Partei den Schaden zu ersetzen, der der obsiegenden Partei durch die Klage bzw. die missbräuchliche Erfüllungsverweigerung hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche entstanden ist. Diese Regelungen tragen nämlich nicht immer auch den durch die Prozessführung verursachten mittelbaren Kosten (insbesondere in Härtefällen, die durch Rechtsstreitigkeiten entstehen) hinreichend Rechnung, obwohl diese Kosten in der Praxis sowohl wirtschaftlich als auch immateriell erheblich sein können ( 56 ). Würden diese Kosten insbesondere im Fall missbräuchlicher Verfahren systematisch und besser ausgeglichen, würde dies die Kläger von einem Missbrauch des Mosaik-Grundsatzes abhalten, da sie sich sonst im Fall eines Unterliegens mit ihrem Klageanspruch dem Risiko aussetzen würden, dem Beklagten in erheblichem Umfang Schadenersatz leisten zu müssen.

64.

Weiterhin können Beklagte bestimmte Maßnahmen ergreifen, um sich gegen diese Art von Risiken zu schützen. Je nach Kontext können sie beispielsweise bei einem umfassend zuständigen Gericht eine negative Feststellungsklage erheben ( 57 ). Da dieses zuständige Gericht für die Entscheidung über den Schaden im gesamten Unionsgebiet zuständig ist, führt die Anwendung der Vorschriften über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen nach der Verordnung Nr. 1215/2012 dazu, dass andere Gerichte ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über den ausschließlich in einem einzelnen Mitgliedstaat entstandenen Schaden verlieren. Allgemein haben Kläger nach Art. 30 der Verordnung Nr. 1215/2012 auch die Möglichkeit, eine Aussetzung des Verfahrens oder sogar die Klageabweisung zu beantragen, wenn es sich um im Zusammenhang stehende Verfahren handelt, d. h. wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten ( 58 ). Dem Urheber des angeblich verleumderischen Inhalts wird demzufolge insbesondere die Belastung erspart, zeitgleich mehrere Verfahren führen zu müssen.

65.

Vor allem aber wird in Anbetracht nicht unbegrenzter Ressourcen potenzieller Kläger die Umsetzung einer auf der Vervielfachung von Klagen beruhenden Prozessstrategie selten zu ihrem Vorteil sein. Solche Strategien dürften demnach überwiegend von Wirtschaftsteilnehmern umgesetzt werden, die über erhebliche Ressourcen verfügen. Diese werden sich durch einen Wegfall des Mosaik-Grundsatzes jedoch von der Umsetzung dieser Art von Strategien nicht abhalten lassen. Beispielsweise ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Kriterium des Mittelpunkts der Interessen in Bezug auf jedes einzelne Rechtssubjekt zu beurteilen ( 59 ). Demzufolge läuft im Fall eines Unternehmens, das in Form eines Konzerns mit ähnlichen Unternehmensbezeichnungen organisiert ist, die Anwendung des Kriteriums des Mittelpunkts der Interessen letztlich darauf hinaus, dass jedes Rechtssubjekt dieses Konzerns (das möglicherweise nicht zu 100 % von einer Muttergesellschaft kontrolliert wird) gegen den Urheber der Aussage zur Klageerhebung wegen des entstandenen Schadens vor den Gerichten des Staates berechtigt ist, in dem es den Mittelpunkt seiner Interessen hat ( 60 ).

66.

Drittens ist nicht völlig klar, ob der Mosaik-Ansatz den mit der Verordnung Nr. 1215/2012 verfolgten Zielen tatsächlich zuwiderläuft. Wie im Urteil Bolagsupplysningen und Ilsjan hervorgehoben, sollte mit der besonderen Zuständigkeitsregel für Klagen aus unerlaubter Handlung oder einer ihr gleichgestellten Handlung in Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nämlich nicht der schwächeren Partei ein verstärkter Schutz gewährt werden ( 61 ). Es ist daher unerheblich, dass die Anwendung des Mosaik-Ansatzes möglicherweise eine der Parteien benachteiligen könnte.

67.

Um jetzt konkreter auf die drei mit der Verordnung Nr. 1215/2012 verfolgten Ziele in Bezug auf die Zuständigkeit einzugehen, lässt sich zu dem im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Ziel der Rechtssicherheit festhalten, dass ihm nach Auffassung des Gerichtshofs Genüge getan wird, wenn der Beklagte aufgrund des angewendeten Kriteriums bestimmen kann, vor welchen Gerichten er verklagt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt kann, wie der High Court of Australia in der Grundsatzentscheidung Dow Jones und Company Inc/Gutnick hervorgehoben hat, davon ausgegangen werden, dass dann, wenn eine Person sich dazu entschließt, Inhalte ins Internet zu stellen, die von allen Mitgliedstaaten aus „zugänglich“ sind, diese Person damit rechnen kann, in jedem dieser Mitgliedstaaten verklagt zu werden ( 62 ).

68.

Richtig ist allerdings, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. Mai 2021, Vereniging van Effectenbezitters (C‑709/19, EU:C:2021:377, Rn. 34 ff.), dem Ziel der Rechtssicherheit einen gewissen Vorrang gegenüber allen anderen Erwägungen, einschließlich derjenigen im Zusammenhang mit dem Wortlaut von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, eingeräumt hat. In jenem Urteil, in dem es um Klagen auf Ersatz von Schäden ging, die Aktionären wegen fehlender Informationen entstanden waren, wies der Gerichtshof nämlich das Argument, dass eine Gesellschaft damit rechnen könne, an dem Ort verklagt zu werden, an dem sich die Wertpapierkonten ihrer Aktionäre befänden, allein mit der Begründung zurück, dass die emittierende Gesellschaft, weil es dem im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Ziel zuwiderliefe, zur Wahrung des Grundsatzes der Rechtssicherheit zu vermeiden, dass der Beklagte vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden könnte, mit dem er vernünftigerweise nicht rechnen konnte, aufgrund der Kriterien bezüglich des Wohnsitzes der Aktionäre und der Verortung ihrer Konten die internationale Zuständigkeit der Gerichte, vor denen sie verklagt werden könnte, nicht vorhersehen könne. Nach Auffassung des Gerichtshofs setzt das Ziel der Vorhersehbarkeit im Fall einer börsennotierten Gesellschaft wie derjenigen des Ausgangsverfahrens voraus, dass nur die Gerichte der Mitgliedstaaten, in denen diese Gesellschaft ihren gesetzlichen Offenlegungspflichten im Zusammenhang mit ihrer Börsennotierung nachgekommen ist, für eine Entscheidung über den Eintritt des Schadens zuständig sein können. Dementsprechend kann eine solche Gesellschaft nur in diesen Mitgliedstaaten vernünftigerweise vorhersehen, dass ein Anlagemarkt besteht und dass sie eine Haftung treffen könnte.

69.

Durch diese Lösung dürfte meines Erachtens jedoch der Mosaik-Ansatz nicht mittelbar in Frage gestellt werden. Wenn zum einen – sei es auch nur annähernd ( 63 ) – angenommen werden kann, dass der Anlagemarkt einer börsennotierten Gesellschaft sich am Ort ihrer Börsennotierung befindet, wird der räumliche „Markt“ für eine Empfehlung durch die Zugänglichkeit dieser Empfehlung bestimmt. Zum anderen lässt sich festhalten, dass die im Urteil Vereniging van Effectenbezitters gefundene Lösung in Verbindung mit der Zuständigkeit der Gerichte am Ausstellungsort der Aktien, die sich aus der Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 ergibt, zur Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten führt, deren Recht grundsätzlich auch auf den Rechtsstreit anwendbar ist. Insoweit steht diese Lösung im Einklang mit dem im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Ziel einer geordneten Rechtspflege. Was Verleumdung betrifft, wird jedoch das anwendbare Recht das jeweilige Recht der verschiedenen Mitgliedstaaten sein, in denen die Äußerung zugänglich ist. Dies ist meines Erachtens ein entscheidender Unterschied, da dem Kläger bei Aufgabe des Mosaik-Ansatzes in eine Verleumdung betreffenden Rechtsachen die Möglichkeit genommen werden kann, bei den Gerichten der Mitgliedstaaten, in denen die in Rede stehende Aussage zugänglich war, Klage zu erheben, und dem Kläger hierdurch die Möglichkeit genommen würde, die Gerichte anzurufen, die am besten in der Lage sind, die jeweiligen Rechtsvorschriften anzuwenden und alle erforderlichen Tatsachenwürdigungen vorzunehmen.

70.

Jedenfalls dürfte der Mosaik-Ansatz eher nicht zu einem Ergebnis führen, das weniger vorhersehbar ist, als dasjenige, das sich beispielsweise aus der Anwendung des Kriteriums des Mittelpunkts der Interessen des Geschädigten ergibt ( 64 ). Zwar könnte dieses Kriterium, was andere Personen als Wirtschaftsteilnehmer angeht, Anwendung finden, da es mehr oder weniger dem Ort entspricht, an dem sich der Lebensmittelpunkt befindet und sich das gesellschaftliche Leben des Geschädigten abspielt. Die Anwendung dieses Kriteriums dürfte jedoch bei Wirtschaftsteilnehmern viel komplexer sein ( 65 ), da unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, was als „Interessen“ eines Unternehmens anzusehen ist, wie die unterschiedlichen Ansätze zwischen dem Vorrang der Aktionäre („Shareholder primacy“) bzw. Beteiligten-Theorien („Stakeholder Theories“) ( 66 ) zeigen.

71.

Zur Lösung dieser Fragestellung wäre aus Gründen der Logik zwingend davon auszugehen, dass bei einer juristischen Person der „Mittelpunkt der Interessen“ dem Ort ihres Sitzes entspricht, zumal zum einen eine Verleumdung ein Angriff auf Ehre, Würde und den guten Leumund einer Person ist (und nicht auf ihre Produkte) und sich zum anderen die Wirkungen einer Rufschädigung in den Bilanzen niederschlagen ( 67 ). Auf der Grundlage einer solchen Regel hätte somit im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit der Urheber einer diese juristische Person betreffenden Veröffentlichung insofern vorhersehen können, zu welchem Ergebnis die Anwendung dieses Anknüpfungskriteriums führt, als sich der (Wohn‑)Sitz eines Wirtschaftsteilnehmers unschwer zu ermitteln lässt, da seine Angabe durch verschiedene Unionsrechtsakte zwingend vorgeschrieben ist.

72.

Allerdings hat der Gerichtshof entschieden, dass „[d]er Mittelpunkt der Interessen einer juristischen Person … zwar mit dem Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes zusammenfallen [kann], wenn sie in dem Mitgliedstaat, in dem sich dieser Sitz befindet, ihre gesamte oder den wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt und deshalb das Ansehen, über das sie dort verfügt, größer ist als in jedem anderen Mitgliedstaat, … der Ort des Sitzes für sich genommen im Rahmen einer solchen Prüfung [jedoch] kein entscheidendes Kriterium [ist]“ ( 68 ). Maßgebend ist vielmehr der Ort, an dem die „überwiegende wirtschaftliche Tätigkeit der betreffenden juristischen Person“ stattfindet ( 69 ).

73.

Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens ist natürlich nicht ganz eindeutig. Er kann auf mindestens zweierlei Weise verstanden werden, nämlich aus kommerzieller Perspektive als den Ort betreffend, an dem ein Wirtschaftsteilnehmer den größten Teil seiner Absätze tätigt (ohne in die Diskussion über die Frage auch nur einzutreten, ob es hierfür als maßgeblichen Faktor auf den Gewinn oder den Umsatz ankäme, da sich dies insbesondere bei einem Unternehmen, das umfangreiche Projekte weltweit durchführt, regelmäßig ändern kann) ( 70 ), oder aus einer eher industriellen Perspektive als den Ort betreffend, an dem die finanziellen, personellen und technischen Ressourcen, die der Rechtsträger für die Durchführung seiner Tätigkeit benötigt, zusammengeführt und zur Herstellung der abgesetzten Güter und Leistungen eingesetzt werden ( 71 ). Die Beziehungen, die ein Wirtschaftsteilnehmer nicht nur zu seinen Kunden, sondern auch zu allen ihn betreffenden Personengruppen (Aktionären, Gläubigern, Lieferanten, Mitarbeitern, etc.) unterhält, werden durch dessen Ansehen beeinflusst. Beispielsweise kann das Ansehen sich unmittelbar auf die Möglichkeiten eines Unternehmens auswirken, Mittel an den Finanzmärkten aufzunehmen ( 72 ) oder Lieferungen zu beziehen.

74.

Die Anwendung eines solchen Kriteriums stößt zwangsläufig auf praktische Schwierigkeiten. Unabhängig davon, wie der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit zu verstehen ist, werden nämlich die Informationen, die der Beklagte benötigt, um zu bestimmen, welches Gericht zuständig ist, sehr wahrscheinlich für Einzelpersonen unter die Verordnung 2016/679 ( 73 ) und für Unternehmen in gewissem Umfang unter das Geschäftsgeheimnis fallen ( 74 ). In der Praxis stellt sich daher die Frage, ob es für den Beklagten nicht zumindest ebenso schwierig sein wird, die zuständigen Gerichte nach dem Kriterium des Mittelpunkts der Interessen vorherzusagen wie nach dem Mosaik-Grundsatz.

75.

Nunmehr ist auf das Ziel einzugehen, Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden (und zwar entweder weil eine enge Verbindung zwischen diesen Gerichten und dem Rechtsstreit besteht oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege). Offenbar war nach bisheriger Auffassung des Gerichtshofs die Anwendung eines Kriteriums, das möglicherweise zu einer Vielzahl für derartige Rechtssachen zuständiger Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten führt, kein Problem, solange das angewendete Kriterium Gerichte für zuständig erklärt, die wahrscheinlich besser in der Lage sind, den entstandenen Schaden zu beurteilen. Ein solcher Standpunkt entspricht dem im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Ziel einer geordneten Rechtspflege, das eine Ausnahme von der Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten rechtfertigt ( 75 ).

76.

Beispielsweise hat der Gerichtshof in Rn. 43 des Urteils vom 3. Oktober 2013, Pinckney (C‑170/12, EU:C:2013:635), unter Hinweis auf das Ziel der geordneten Rechtspflege festgestellt, dass die Gerichte der verschiedenen Mitgliedstaaten, in denen der behauptete Schaden wahrscheinlich eingetreten ist oder eintritt, für die Entscheidung über Schadenersatzklagen wegen einer geltend gemachten Verletzung eines Urheberrechts zuständig sind, sofern der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich dieses Gericht befindet, den Urheberrechtsschutz für das Material, auf das sich der Anspruchsteller beruft, vorsieht ( 76 ).

77.

Ebenso kam der Gerichtshof in Rn. 33 und 34 seines Urteils vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans (C‑451/18, EU:C:2019:635), zu dem Schluss, dass die Gerichte der verschiedenen Mitgliedstaaten für die Entscheidung über Klagen auf Schadenersatz wegen einer Zuwiderhandlung nach Art. 101 AEUV als zuständig anzusehen sind, in deren Hoheitsgebiet sich der von der Zuwiderhandlung beeinträchtigte Markt befindet, auf dem dem Geschädigten der Schaden entstanden sein soll. Der Gerichtshof fügte weiter hinzu, dass „[d]ieses Ergebnis … nämlich den Zielen der Nähe und Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln [entspricht], da zum einen die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich der betroffene Markt befindet, am besten in der Lage sind, solche Schadenersatzklagen zu prüfen, und zum anderen ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich wettbewerbswidrig verhält, vernünftigerweise damit rechnen kann, dass er vor den Gerichten des Ortes verklagt wird, an dem seine Verhaltensweisen die Regeln eines gesunden Wettbewerbs verfälscht haben“.

78.

Schließlich hat der Gerichtshof in den Rn. 56 und 57 seines Urteils vom 5. September 2019, AMS Neve u. a. (C‑172/18, EU:C:2019:674), zunächst entschieden, dass die Gerichte der verschiedenen Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet diejenigen Verbraucher oder Gewerbetreibende ansässig sind, an die sich die Werbung oder Verkaufsangebote richten, für die Entscheidung über Verletzungsklagen als zuständig anzusehen sind, und dann näher ausgeführt, dass diese Lösung dadurch „bestätigt“ wird, dass diese Gerichte wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme für die Entscheidung besonders geeignet sind.

79.

Insoweit bin ich nicht nur nicht davon überzeugt, dass der Mosaik-Ansatz den Zielen der Verordnung Nr. 1215/2012 zuwiderläuft, sondern auch nicht davon, dass dann, wenn einer der Anknüpfungspunkte zugrunde gelegt würde, die einen einzigen Gerichtsstand rechtfertigen (wie etwa der Wohnsitz des Beklagten, der Ort des Eintritts des ursächlichen Geschehens oder der Mittelpunkt der Interessen), diese Gerichte dann zwangsläufig besser in der Lage wären, über das Vorliegen eines rufschädigenden Inhalts sowie den Umfang des hierdurch verursachten Schadens zu urteilen.

80.

Selbstverständlich wird es eine Reihe von Fällen geben, in denen der rufschädigende Charakter eines Inhalts kaum zweifelhaft ist. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der rufschädigende Charakter eines Inhalts von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Zum Beispiel könnte bei einem Artikel, der einem bestimmten Unternehmen gewisse missbräuchliche geschäftliche oder steuerliche Praktiken unterstellt, die durch diese Veröffentlichung vermittelte Aussage in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich wahrgenommen werden und demnach in ihnen unterschiedliche Auswirkungen haben ( 77 ).

81.

Abgesehen von diesem klassischen Problem eines interkulturellen Diskurses (der beispielsweise auch erklärt, warum Unternehmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Marketingstrategien entwickeln) dürfte auch die fehlende Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Verleumdung für die Beibehaltung des Mosaik-Grundsatzes sprechen. Zwar haben alle Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Verleumdung erlassen, aber der Inhalt dieser Vorschriften, die Modalitäten ihrer Anwendung und nicht zuletzt die Art und Weise, wie der Schaden bemessen wird, können sich von einem Mitgliedstaat zum anderen erheblich unterscheiden, was oft auf tiefgreifende Unterschiede in der anzuwendenden Rechtskultur zurückgeht ( 78 ).

82.

Somit kann ein Kläger, wie von der Kommission vorgetragen, ein berechtigtes Interesse daran haben, ein anderes Gericht als dasjenige am Mittelpunkt seiner Interessen anzurufen, selbst wenn er dort nur in begrenztem Umfang Schadenersatz erlangen kann. Da Verletzungen der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 864/2007 ausgenommen sind, bestimmt sich zum einen das anwendbare Recht nach den im Mitgliedstaat des jeweiligen zuständigen Gerichts geltenden Regeln des Internationalen Privatrechts, die erhebliche Unterschiede aufweisen können ( 79 ). Zum anderen könnte ein Wirtschaftsteilnehmer eher die Gerichte der Mitgliedstaaten anrufen wollen, in denen er sich um eine Entwicklung seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten bemüht, als die derjenigen, in denen er bereits ein solides Ansehen genießt, gerade weil ihn sein Ansehen bereits vor den gröbsten Verleumdungen schützt oder weil er darauf hoffen kann, dass ein Urteil auf jenem Markt für ihn in Anbetracht dessen von Nutzen ist, dass die Entscheidung von einem örtlichen Gericht insgesamt in diesem Mitgliedstaat größere Medienaufmerksamkeit erhält als eine von Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt seiner Interessen befindet ( 80 ).

83.

Die Ansicht, wie sie offenbar von den Gegnern des Mosaik-Ansatzes vertreten wird, dass es vorzugswürdig wäre, alle Schadenersatzansprüche bei einem Gericht zu konzentrieren, neigt dazu, die tatsächlichen Gegebenheiten zu übersehen, dass gegenwärtig nicht nur die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Verleumdung nicht harmonisiert sind, sondern nicht einmal die Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts.

84.

In Ermangelung einer Harmonisierung in diesen Bereichen müssen vielmehr die Gerichte, die für die Entscheidung über den gesamten Schaden ausschließlich zuständig sind, das Recht eines jeden Mitgliedstaats anwenden, in dem der behauptete Schaden wahrscheinlich eingetreten ist, um über Schadenersatzansprüche zu entscheiden. Dies bedeutet, dass sie grundsätzlich für jeden dieser Mitgliedstaaten das anwendbare Recht, das Ansehen, das der Geschädigte in diesem Hoheitsgebiet genießt, sowie die Wahrnehmung der Äußerung in der Öffentlichkeit dieser Staaten zu berücksichtigen haben ( 81 ).

85.

Kann vor diesem Hintergrund wirklich angenommen werden, dass ein einziges umfassend zuständiges Gericht eines bestimmten (oder bestimmbaren) Mitgliedstaats besser in der Lage wäre, eine solche Beurteilung vorzunehmen? ( 82 ) Ist nicht eher anzunehmen, dass das Bestehen mehrerer Gerichtsstände unausweichlich aus dem den Klägern zustehenden Recht darauf folgt, dass nach dem Subsidiaritätsprinzip über ihren Rechtsstreit von denjenigen Gerichten entschieden wird, die aufgrund der größten Nähe zum Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats am besten in der Lage sind, alle Tatsachenwürdigungen vorzunehmen, und daraus, dass sich die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Verleumdung unterscheiden und die voneinander kulturell verschiedenen Rechtstraditionen eines jeden dieser Staaten widerspiegeln ( 83 )?

86.

Selbstverständlich muss auch das Ziel der Vorhersehbarkeit berücksichtigt werden, doch hat der Gerichtshof meines Erachtens gerade nach Abwägung dieses Ziels mit dem Ziel einer geordneten Rechtspflege den Mosaik-Ansatz gebilligt ( 84 ).

87.

Schließlich wäre jedenfalls vor einer Aufgabe des Mosaik-Ansatzes sicherzustellen, dass es keine anderen, weniger weitgehenden Lösungen gibt als eine solche vollständige Änderung der Rechtsprechung. Insoweit könnte es tatsächlich weniger einschneidend sein, den Mosaik-Ansatz lediglich mit einem so genannten „Fokalisierungskriterium“ zu verbinden, wie es das Unionsrecht in bestimmten Bereichen vorsieht ( 85 ).

88.

Nach diesem Kriterium sind die Gerichte eines Mitgliedstaats nur dann zuständig, wenn der betreffende Inhalt nicht nur über das Internet zugänglich ist, sondern die Veröffentlichung außerdem auch konkret auf das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ausgerichtet ist. Dieses Kriterium würde im Fall seiner Anwendung dazu beitragen, sicherzustellen, dass nur die Gerichte derjenigen Mitgliedstaaten, für die die Veröffentlichung konkret bestimmt war, befugt wären, sich aufgrund von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 für zuständig zu erklären. Dies würde es im Einklang mit den von dieser Vorschrift verfolgten Zielen ermöglichen, die Anzahl der zuständigen Gerichte zu verringern und eine gewisse Rechtssicherheit zu gewährleisten, während gleichzeitig sichergestellt würde, dass zwischen Gericht und Rechtsstreit eine enge Verbindung besteht und mithin die geordnete Rechtspflege garantiert wird.

89.

Zwar hat der Gerichtshof die Anwendung des Kriteriums der Fokalisierung für die Anwendung von Art. 7 Nr. 2 allgemein mit der Begründung abgelehnt, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 (jetzt Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012) anders als Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 44/2001 (jetzt Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1215/2012) nicht verlangt, dass die in Rede stehende Tätigkeit auf den Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts „ausgerichtet“ ist ( 86 ).

90.

Erstens bedeutet jedoch der Umstand, dass eine solche Voraussetzung in Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht vorgesehen ist, nicht, dass er nicht unter bestimmten besonderen Umständen für die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs von Bedeutung sein könnte. Beispielsweise führt der Gerichtshof in Rn. 42 des Urteils Bolagsupplysningen und Ilsjan an, dass die in Rede stehende Website an Personen gerichtet war, die in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässig waren, was dafür spricht, dass nach Auffassung des Gerichtshofs zumindest im Bereich der Verleumdung bei der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit eine Fokussierung auf die Märkte der einzelnen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist.

91.

Zweitens lässt sich bei Markenverletzungen Art. 97 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 ( 87 ), der eine Ausnahmezuständigkeit für Markenverletzungen regelt, kein Hinweis auf eine Voraussetzung entnehmen, wonach die Gerichte eines Mitgliedstaats nur dann zuständig wären, wenn die betreffende Website ihre Aktivitäten auf diesen Mitgliedstaat ausrichten würde. Trotzdem jedoch hat der Gerichtshof bei der Prüfung der Zuständigkeit in diesen Fällen kürzlich ausdrücklich berücksichtigt, dass der in Rede stehende Online‑Inhalt, nämlich Werbung und Verkaufsangebote, für Verbraucher in bestimmten Mitgliedstaaten nicht nur zugänglich, sondern auch bestimmt war ( 88 ).

92.

Drittens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Fernsehprogrammen nach Prüfung des Inhalts der Verordnung Nr. 44/2001 festgestellt, dass Schweden gegen Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hatte, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass Schweden, sobald ein auch außerhalb Schwedens zugängliches Fernsehprogramm für die schwedische Öffentlichkeit produziert worden ist, einer Person, die sich durch dieses Programm verleumdet sieht, einen wirksamen Zugang zu seinen Gerichten hätte gewähren müssen ( 89 ). Nach Auffassung jenes Gerichtshofs dürften die Staaten daher verpflichtet sein, einer von einer Verleumdung betroffenen Person eine Klageerhebung vor ihren Gerichten zu ermöglichen, und zwar allein deshalb, weil die Äußerung an Personen gerichtet ist, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind.

93.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kann daher in der Anwendung des Fokalisierungskriteriums möglicherweise eine weniger einschneidende Änderung der Rechtsprechung des Gerichtshofs gesehen werden, als darin, den Mosaik-Ansatz einfach wegfallen zu lassen oder anderweitig aufzugeben. Dies hätte auch den Vorteil, eine Bejahung der Zuständigkeit durch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats dann zu vermeiden, wenn nur eine schwache Verbindung zwischen der in Rede stehenden Internetveröffentlichung und dem dem Kläger angeblich hieraus entstandenen Schaden besteht oder der Kläger den technischen Umstand der Veröffentlichung über das Internet opportunistisch dazu auszunutzen versucht, sich Zugang zu einem für sein Verfahren günstigeren Gerichtsstand zu verschaffen. Im Übrigen könnte die Anwendung eines solchen Kriteriums, das nach dem Wortlaut von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, durchaus zu einer besseren Abwägung zwischen den Zielen der Nähe und der Begrenzung der Zahl der zuständigen Gerichte führen ( 90 ).

94.

Letztlich führt daher nichts an der Erkenntnis vorbei, dass die Suche nach einer perfekten Lösung in Fällen der grenzübergreifenden Verleumdung müßig ist. Dies ist durch die Erfahrung belegt. Sowohl der Mosaik-Ansatz als auch der Ansatz der „einzigen Zuständigkeit“ sind mit Schwierigkeiten behaftet. Der Gerichtshof folgt indes seit seinem Urteil in der Rechtssache Shevill von 1991 im Großen und Ganzen dem Mosaik-Ansatz. Meines Erachtens kann dieser Ansatz nicht als so eindeutig falsch oder unbefriedigend angesehen werden, dass die darauf beruhende Rechtsprechung jetzt aufgegeben oder anderweitig von ihr abgewichen werden müsste.

95.

Jedenfalls gibt die vorliegende Rechtssache dem Gerichtshof meines Erachtens nicht den richtigen Anlass, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Mosaik-Ansatz beibehalten, näher ausgestaltet oder gar aufgegeben werden sollte. Im Ausgangsverfahren wird nämlich vom Kläger nicht behauptet, dass es sich bei den in Rede stehenden Inhalten um Verleumdungshandlungen handele, sondern vielmehr, dass diese Handlungen gegen französische Rechtsvorschriften über den Tatbestand des „dénigrement“, eine Form böswillig falscher Behauptungen, verstießen ( 91 ). Das vorlegende Gericht stellt diese Einstufung im Übrigen offenbar nicht in Frage ( 92 ).

96.

Im französischen Recht fällt die Verunglimpfung nicht unter die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, sondern gehört vielmehr zu den Regeln des unlauteren Wettbewerbs ( 93 ). Insbesondere unterscheidet sich nach französischem Recht die Verunglimpfung von der Verleumdung dadurch, dass Verleumdung voraussetzt, dass die Kritik dazu angetan ist, die Ehre, die Würde oder den guten Leumund einer natürlichen oder juristischen Person zu beeinträchtigen, während Verunglimpfung darin besteht, die Produkte eines Wirtschaftsteilnehmers, unabhängig davon, ob sie miteinander im Wettbewerb stehen, öffentlich herabzusetzen, um Einkaufsgewohnheiten der Kunden zu beeinflussen ( 94 ).

97.

Diese Besonderheiten des französischen Rechts haben zwar an sich keinen Einfluss darauf, wie Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auszulegen ist. Dass der Kläger sich jedoch bewusst auf diese Einstufung und nicht auf diejenige als Verleumdungshandlung beruft, zeigt implizit, aber zwingend, dass der geltend gemachte Schaden rein wirtschaftlicher Natur ist ( 95 ).

98.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei einer Verletzung aus den Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten erwachsender wirtschaftlicher Rechte die Gerichte dieser Mitgliedstaaten für die Entscheidung über im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats verursachte Schäden insofern zuständig, als diese Gerichte am besten in der Lage sind, zu beurteilen, ob diese Rechte tatsächlich verletzt worden sind, und die Art des Schadens zu bestimmen ( 96 ).

99.

Insbesondere kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Rechtsstreit über einen Verstoß gegen die Regeln des unlauteren Wettbewerbs vor die Gerichte eines jeden Mitgliedstaats gebracht werden, sofern die Tat einen Schaden im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts verursacht hat oder zu verursachen droht ( 97 ). Genauer gesagt liegt dann, wenn sich der von dem wettbewerbswidrigen Verhalten betroffene Markt in dem Mitgliedstaat befindet, in dessen Hoheitsgebiet der behauptete Schaden entstanden sein soll, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in diesem Mitgliedstaat ( 98 ).

100.

Da im Fall einer Verunglimpfungshandlung die wahrscheinlich betroffenen Märkte diejenigen sind, auf denen zum einen die verunglimpften Leistungen vermarktet werden und zum anderen die verunglimpfende Äußerung zugänglich war, ist meines Erachtens im Ausgangsverfahren von der Zuständigkeit der französischen Gerichte auszugehen, wenn Gtflix Tv tatsächlich über eine erhebliche Zahl von in Frankreich ansässigen Kunden verfügt und die in Rede stehenden Äußerungen in französischer oder englischer Sprache ins Internet gestellt wurden, weil die Zahl der Personen, die diese Sprachen in diesem Land verstehen, als nicht unerheblich anzusehen ist ( 99 ).

101.

Diese Lösung steht im Einklang mit den mit der Verordnung Nr. 1215/2012 verfolgten und in ihrem 16. Erwägungsgrund genannten Zielen der räumlichen Nähe und der geordneten Rechtspflege. Denn die nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 zuständigen Gerichte, nämlich, was den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens betrifft, die Gerichte am Wohnsitz des jeweiligen Kunden, der wahrscheinlich Zugang zu den in Rede stehenden Veröffentlichungen hatte und diese wahrscheinlich verstanden hat, sind als die geeignetsten für die Beurteilung dessen anzusehen, ob eine Verunglimpfungshandlung tatsächlich eine Veränderung des Verhaltens der fraglichen Kunden bewirkt hat ( 100 ). Dies steht auch im Einklang mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit, da jedes Unternehmen, das sich öffentlich inhaltlich zu einem Wettbewerber äußert, damit rechnen muss, vor den Gerichten der verschiedenen Mitgliedstaaten verklagt zu werden, in denen dieser Inhalt zugänglich ist oder war und in denen dieser Wettbewerber Kunden hatte.

102.

Schließlich spricht für diese Lösung vor allem das Erfordernis eines Einklangs bei der Auslegung der Zuständigkeitsregel und der das anwendbare Recht betreffenden Instrumente, das im siebten Erwägungsgrund der Rom‑II-Verordnung niedergelegt ist ( 101 ). Während nämlich die Kollisionsnormen für die Verleumdung nicht harmonisiert sind, sind diejenigen für den unlauteren Wettbewerb durch die Rom‑II-Verordnung vereinheitlicht ( 102 ).

103.

Bei Handlungen des unlauteren Wettbewerbs, die wie im Ausgangsverfahren die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigen, sieht Art. 6 Abs. 2 der Rom‑II-Verordnung die Anwendung der allgemeine Kollisionsnorm in Art. 4 der Verordnung vor ( 103 ), nämlich das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt ( 104 ).

104.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, darauf zu erkennen, dass die französischen Gerichte zuständig sind, wenn festgestellt wird, dass Gtflix Tv über eine erhebliche Zahl von Kunden in Frankreich verfügt, die zu der oder den in Rede stehende(n) Veröffentlichung(en) wahrscheinlich Zugang hatten und diese wahrscheinlich verstanden haben. Dies festzustellen, ist Sache des nationalen Gerichts.

V. Ergebnis

105.

In Anbetracht dessen, dass Ansprüche auf Richtigstellung von Angaben und auf Entfernung bestimmter Inhalte nur vor den Gerichten des Wohnsitzes des Beklagten, vor denjenigen am Ort des ursächlichen Geschehens oder vor denjenigen am Ort des Interessenmittelpunkts erhoben werden können, schlage ich vor, die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Kläger, der sich auf ein unlauteres Wettbewerbsverhalten beruft, das in der Verbreitung verunglimpfender Äußerungen im Internet besteht, und der sowohl die Richtigstellung der Angaben als auch die Entfernung bestimmter Inhalte sowie den Ersatz des hieraus entstandenen immateriellen und wirtschaftlichen Schadens begehrt, vor den Gerichten eines jeden Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die online veröffentlichten Inhalte zugänglich sind oder waren, nur auf Ersatz des Schadens klagen kann, der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verursacht wurde. Die Anrufung dieser Gerichte setzt jedoch voraus, dass der Kläger nachweisen kann, dass er in diesem Zuständigkeitsbereich über eine erhebliche Zahl von Abnehmern verfügt, die zu der in Rede stehenden Veröffentlichung Zugang gehabt und diese verstanden haben dürften.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Übereinkommen von Brüssel vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32).

( 3 ) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

( 4 ) Urteil vom 7. März 1995, Shevill u. a. (C‑68/93, EU:C:1995:61).

( 5 ) ABl. 2007, L 199, S. 73.

( 6 ) ABl. 2001, L 12, S. 1.

( 7 ) Entscheidung der Kammer für Handelssachen (Cass. com.) der Cour de cassation (Kassationshof) vom 24. September 2013, Nr. 12-19.790. Vgl. auch Cass. com. vom 18. Oktober 2016, Nr. 15-10.384, vom 15. Januar 2020, Nr. 17-27.778, und vom 4. März 2020, Nr. 18-15.651.

( 8 ) Vgl. als Beispiel für ein unionsrechtliches Verfahren Beschluss vom 12. Juni 2012, Strack/Kommission (T‑65/12 P, EU:T:2012:285).

( 9 ) Diese Wahlmöglichkeit wird von Klägern bevorzugt, wenn sie, sei es berechtigt oder unberechtigt, möglicherweise befürchten, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, protektionistisch voreingenommen sind oder wenn sie etwaige Mehrkosten im Zusammenhang mit einer Prozessführung über eine räumliche Distanz hinweg scheuen.

( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 39), vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec (C‑133/11, EU:C:2012:664, Rn. 31 und 32), vom 13. März 2014, Brogsitter (C‑548/12, EU:C:2014:148, Rn. 19), und vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation (C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 22).

( 11 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Oktober 2002, Henkel (C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 46), vom 16. Mai 2013, Melzer (C‑228/11, EU:C:2013:305, Rn. 26), vom 3. April 2014, Hi Hotel HCF (C‑387/12, EU:C:2014:215, Rn. 28), vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide (C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 39), und vom 17. Juni 2021, Mittelbayerischer Verlag (C‑800/19, EU:C:2021:489, Rn. 27).

( 12 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 16. Mai 2013, Melzer (C‑228/11, EU:C:2013:305, Rn. 27).

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 1988, Kalfelis (189/87, EU:C:1988:459, Rn. 19), vom 15. Januar 2004, Blijdenstein (C‑433/01, EU:C:2004:21, Rn. 25), vom 16. Mai 2013, Melzer (C‑228/11, EU:C:2013:305, Rn. 24), und vom 12. September 2018, Löber (C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 17 und 18). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bedeutet das Erfordernis einer engen Auslegung der besonderen Zuständigkeitsregeln jedoch nur, dass die Auslegung der in Artikel 7 vorgesehene Regelung nicht weiter reichen darf, als es ihr Ziel erfordert. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. November 2016, Schmidt (C‑417/15, EU:C:2016:881, Rn. 28), oder vom 25. März 2021, Obala i lučice (C‑307/19, EU:C:2021:236, Rn. 76).

( 14 ) Das kausale Ereignis ist definiert als das ursächliche Geschehen. Vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie (C‑189/08, EU:C:2009:475, Rn. 27).

( 15 ) Urteil vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation (C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 23 und 38), oder vom 17. Juni 2021, Mittelbayerischer Verlag (C‑800/19, EU:C:2021:489, Rn. 29). Aus diesem Grund hat der Gerichtshof, wie ich noch erläutern werde, die Zuständigkeit der Gerichte am Ort des Interessenmittelpunkts des Geschädigten anerkannt, ohne dass ein solches Kriterium in der Verordnung Nr. 1215/2012 enthalten wäre.

( 16 ) Urteile vom 16. Januar 2014, Kainz (C‑45/13, EU:C:2014:7, Rn. 23), und vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans (C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 25).

( 17 ) Urteil vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie (C‑189/08, EU:C:2009:475, Rn. 27).

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2013, Pinckney (C‑170/12, EU:C:2013:635, Rn. 29), und vom 22. Januar 2015, Hejduk (C‑441/13, EU:C:2015:28, Rn. 32).

( 19 ) Vgl. Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 55). Dieses Urteil ist gelegentlich missverstanden worden, da der Gerichtshof den Begriff „Bankkonto“ ohne weitere Erläuterung verwendet. Es ist indes daran zu erinnern, dass der Begriff „Bankkonto“ ein Gattungsbegriff ist. Dem Umstand, dass der Gerichtshof diesen Begriff in jener Rechtssache im Singular verwendet, lässt sich entnehmen, dass der Gerichtshof eine bestimmte Art von Konto meinte. In Anbetracht der besonderen Art der in Rede stehenden Finanzprodukte dürfte es sich bei diesem bestimmten Konto implizit, aber notwendigerweise um ein Wertpapierkonto gehandelt haben, auf dem die Zertifikate verwahrt wurden, da der Wertverlust der Zertifikate auf eben diesem Konto verbucht wurde und der dem Kläger entstandene Schaden sich damit verwirklichte.

( 20 ) Urteil vom 12. Mai 2021, Vereniging van Effectenbezitters (C‑709/19, EU:C:2021:377, Rn. 37).

( 21 ) Urteil vom 7. März 1995, Shevill u. a. (C‑68/93, EU:C:1995:61, Rn. 33). Im Hinblick auf die Bestimmung des Ortes des ursächlichen Geschehens im Fall einer Ehrverletzung durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel hat der Gerichtshof entschieden, dass auf den Ort der Niederlassung des Herausgebers der streitigen Veröffentlichung abzustellen ist, da dies der Ort ist, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm und von dem aus die ehrverletzende Äußerung gemacht und in Umlauf gebracht wurde. Ebd., Rn. 24.

( 22 ) M. Laazouzi, „L’extension du for européen aux personnes morales victimes d’atteintes aux droits de la personnalité sur Internet“, JCP G, Nr. 49, 4. Dezember 2017, S. 2225.

( 23 ) Urteil vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 45 und 46).

( 24 ) Urteil vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 48). Dieses Ergebnis begründete der Gerichtshof weiter damit, dass grundsätzlich das Konzept des „Mittelpunkts der Interessen des Betroffenen“ den Ort widerspiegelt, an dem sich der Erfolg des durch einen Online‑Inhalt verursachten Schadens am spürbarsten verwirklicht. Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 33). Dieser Ansatz ist jüngst im Urteil vom 17. Juni 2021, Mittelbayerischer Verlag (C‑800/19, EU:C:2021:489, Rn. 31), bestätigt worden. Festzuhalten ist, dass nach der Auffassung des Gerichtshofs der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ sich nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes oder den Ort des „Mittelpunkts seines Vermögens“ bezieht, weil dem Kläger nach seinem Vorbringen durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juni 2004, Kronhofer (C‑168/02, EU:C:2004:364, Rn. 21), und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding (C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 35). Dieser Rechtsprechung dürfte im Wesentlichen der Gedanke zugrunde liegen, dass der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, nicht vermutet werden kann: „[E]ine solche Zuständigkeitszuweisung [ist demnach] gerechtfertigt, soweit der Wohnsitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist.“ Urteile vom 12. September 2018, Löber (C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 25), und vom 12. Mai 2021, Vereniging van Effectenbezitters (C‑709/19, EU:C:2021:377, Rn. 29). Indessen ist zu betonen, dass der Kläger zum einen in Verleumdungsfällen nicht nur einen finanziellen Schaden erleidet, sondern vor allem immaterelle Schäden. Zum anderen ist nach dem Urteil Bolagsupplysningen und Ilsjan der Mittelpunkt der Interessen kein Anknüpfungspunkt, der unter allen Umständen einschlägig ist. Denn zu dem Ergebnis, dass das „Kriterium des ‚Mittelpunkts der Interessen des Betroffenen‘ den Ort wider[spiegelt], an dem sich [grundsätzlich] der Erfolg des durch einen Online‑Inhalt verursachten Schadens im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 am spürbarsten verwirklicht“, gelangte der Gerichtshof auf der Grundlage der Voraussetzung, dass eine Persönlichkeitsrechtverletzung „… am Ort des Mittelpunkts der Interessen [des Betroffenen] … im Allgemeinen … am stärksten spürbar [ist]“. Hervorhebung hinzugefügt. Daraus lässt sich somit ableiten, dass der Gerichtshof nicht ausgeschlossen hat, dass unter gewissen Umständen der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs nicht mit dem Mittelpunkt der Interessen des Betroffenen zusammenfällt.

( 25 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 49). Da dieser Anknüpfungspunkt sich nach Rn. 42 des Urteils Bolagsupplysningen und Ilsjan daraus rechtfertigt, dass eine solche Beeinträchtigung, insbesondere im Fall von Online‑Inhalten, im Allgemeinen in Anbetracht des Ansehens, das eine betroffene Person an diesem Ort hat, am Mittelpunkt ihrer Interessen am stärksten spürbar ist, ist der Begriff des Mittelpunkts der Interessen dahin zu verstehen, dass er genauer den Ort bezeichnet, an dem der betroffenen Person die wichtigsten wirtschaftlichen, politischen, sozialen oder auch nur hiermit in Verbindung stehenden Vorteile aus ihrem Ansehen erwachsen.

( 26 ) Urteil vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 51). Für die Bestimmung des Ortes des ursächlichen Geschehens bei Online-Rechtsverletzungen hat der Gerichtshof nicht auf den Ort abgestellt, an dem die Äußerung abgegeben wurde, sondern auf den Ort, an dem die Entscheidung zu ihrer Verbreitung (ausdrücklich oder stillschweigend) getroffen wurde, wobei als dieser Ort der Sitz des die Website verwaltenden Unternehmens oder der Ort des Wohnsitzes ihres Betreibers vermutet wird. Vgl. zu einer Verletzung von Urheberrechten im Internet Urteil vom 22. Januar 2015, Hejduk (C‑441/13, EU:C:2015:28, Rn. 25), und zur Verletzung einer Marke durch angezeigte Werbung Urteil vom 19. April 2012, Wintersteiger (C‑523/10, EU:C:2012:220, Rn. 38). Was dagegen fehlerhafte Produkte angeht, ist nach Auffassung des Gerichtshofs der Ort des ursächlichen Geschehens nicht der Ort, an dem die Entscheidung zu ihrem Inverkehrbringen getroffen wurde, sondern grundsätzlich der Ort, an dem das betreffende Produkt hergestellt wurde. Vgl. Urteil vom 16. Januar 2014, Kainz (C‑45/13, EU:C:2014:7, Rn. 26).

( 27 ) Dieses Kriterium, das im Wesentlichen auf einem objektiven Verständnis des Begriffs einer Verbreitungshandlung basiert, könnte sich dahin weiterentwickeln, dass es dem vom Gerichtshof entwickelten subjektiveren Ansatz zu dem im Recht des geistigen Eigentums verwendeten Begriff einer Handlung der öffentlichen Wiedergabe Rechnung trägt, wie er in den Urteilen vom 8. September 2016, GS Media (C‑160/15, EU:C:2016:644, Rn. 35 und 48 bis 55), und vom 22. Juni 2021, YouTube und Cyando (C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2021:503, Rn. 68 und 81 bis 89), entwickelt worden ist.

( 28 ) Urteil vom 3. Oktober 2013, Pinckney (C‑170/12, EU:C:2013:635, C‑170/12, Rn. 36 und 45).

( 29 ) Urteil vom 22. Januar 2015, Hejduk (C‑441/13, EU:C:2015:28, Rn. 22 und 36).

( 30 ) Urteil vom 3. April 2014, Hi Hotel HCF (C‑387/12, EU:C:2014:215, Rn. 39).

( 31 ) Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Hejduk (C‑441/13, EU:C:2014:2212, Nr. 43).

( 32 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Hejduk (C‑441/13, EU:C:2014:2212, Nrn. 36 und 39).

( 33 ) Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 36 und 38). Der Gerichtshof stellt in Rn. 37 fest: „Die materielle oder immaterielle Natur des geltend gemachten Schadens kann sich zwar je nach dem anwendbaren Recht auf die Ersatzfähigkeit des Schadens auswirken, doch hat sie keinen Einfluss auf die Bestimmung des Mittelpunkts der Interessen als dem Ort, an dem die tatsächlichen Auswirkungen einer Veröffentlichung im Internet und ihres eventuell schädigenden Charakters am besten von einem Gericht beurteilt werden können.“

( 34 ) Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 41).

( 35 ) Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 48). Hervorhebung hinzugefügt.

( 36 ) Auch wenn es darum in der vorliegenden Rechtssache nicht geht, stellt sich die Frage nach der Anwendung des Grundsatzes der Mosaik-Zuständigkeiten auch bei nicht auf die Entfernung oder Richtigstellung eines Inhalts, sondern auf seine Sperrung gerichteten Ansprüchen. Seine Entscheidung für Klagen auf Entfernung oder Berichtigung von Inhalten hat der Gerichtshof nämlich darauf gestützt, dass Anträge auf Berichtigung oder Entfernung von Inhalten einheitlich und unteilbar sind, anders als bei Anträgen auf Sperrung, da diese Sperrung geolokalisiert werden kann. Vgl. Urteile vom 15. September 2016, McFadden (C‑484/14, EU:C:2016:689, Rn. 95), und vom 24. September 2019, Google (Räumliche Reichweite der Auslistung) (C‑507/17, EU:C:2019:772, Rn. 73).

( 37 ) Vgl. A. Bizer, „International jurisdiction for violations of personality rights on the internet: Bolagsupplysningen“ (2018), 55, Common Market Law Review, Ausgabe 6, S. 1941 bis 1957. Während sich der Gerichtshof in Beantwortung der zweiten und der dritten Frage nach der Zuständigkeit der Gerichte des Interessenmittelpunktmitgliedstaats auf den Fall einer Person bezog, die die Richtigstellung bestimmter Daten und Schadenersatz begehrt hatte, zog der Gerichtshof bei der Beantwortung der ersten Frage, wie sich aus dem Wortlaut der Antwort ergibt, lediglich Anträge auf Richtigstellung und Entfernung in Betracht.

( 38 ) Hiergegen ließe sich die Ansicht vertreten, dass nach dem Wortlaut von Rn. 48 des Urteils vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766), die dort dargelegten Gründe, aus denen der Gerichtshof den Grundsatz der Mosaik-Zuständigkeit für die Richtigstellung oder Entfernung nicht herangezogen hat, eher für eine Abgrenzung als eine vollständige Abkehr von der Rechtsprechung sprechen. Der Wortlaut dieser Randnummer dürfte meines Erachtens jedoch nicht eindeutig genug sein, um daraus zu schließen, dass der Gerichtshof den Mosaik-Grundsatz für Schadenersatzklagen notwendigerweise beibehalten wollte.

( 39 ) Vgl. in diesem Sinne auch L. Idot, „Compétence en matière délictuelle, commentaire“, Europe, Nr. 12, Dezember 2017, Kommentierung 494, und S. Corneloup, H. Muir Watt, „Le for du droit à l’oubli“, Rev. Crit. DIP, 2018, S. 297 und 300.

( 40 ) Generalanwalt Bobek führt darüber hinaus in Nr. 84 seiner Schlussanträge das weitere Argument der Unteilbarkeit von Rechtsbehelfen an. Dieses Argument betrifft jedoch meines Erachtens nur Klagen auf Richtigstellung oder Entfernung im Internet veröffentlichter Inhalte.

( 41 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:554, Nrn. 78 und 79).

( 42 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:554, Nr. 80).

( 43 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:554, Nrn. 85 bis 88).

( 44 ) F. Picod, „Les revirements de jurisprudence de la Cour de justice de l’Union européenne“, Intervention au Max Planck Institute Luxembourg for Procedural Law, 14. Juni 2017. Vgl. hierzu auch E. Carpano, Le renforcement de la jurisprudence en droit européen, Bruylant, Brüssel, 2012.

( 45 ) Urteil vom 30. April 1996, Cabanis‑Issarte (C‑308/93, EU:C:1996:169, Rn. 34).

( 46 ) Vgl. Urteile vom 17. Oktober 1990, HAG GF (C‑10/89, EU:C:1990:359, Rn. 10), und vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B. (C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 13 und 14, 16 bis 20, 59 und 61).

( 47 ) Vgl. Urteil vom 30. April 1996, P./S. (C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 13), und Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache P./S. (C‑13/94, EU:C:1995:444).

( 48 ) Vielmehr dürften die ersten Fragen nach den Folgen eines ubiquitären Einsatzes von Computern, also im Sinne eines umfassenderen Verständnisses, sich bereits auf einen Artikel von M. Weiser mit dem Titel „The computer for the XXIst century“, veröffentlicht in Scientific American, 1991, Vol. 265, S. 3, zurückverfolgen lassen.

( 49 ) http://www.digitalbuzzblog.com/facebook-statistics-stats-facts-2011/

( 50 ) Vgl. etwa Urteil vom 2. März 2017, DI/EASO (T‑730/15 P, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:138, Rn. 86). Da mit den Zuständigkeitsvorschriften auch keine Vermutung für das anwendbare Recht einhergeht, ist der Mosaik-Grundsatz grundsätzlich neutral, was die Gefahr einer Überregulierung aufgrund dessen angeht, dass der Urheber und Herausgeber des Inhalts sicherstellen muss, dass die Anforderungen der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten, in denen der Inhalt zugänglich sein wird, eingehalten werden. Die ausschließliche Zuständigkeit bestimmter Gerichte hat nämlich nicht zur Folge, dass das anwendbare Recht vorweggenommen wird. Auch wenn in der Praxis vielleicht oft andere Wege einschlagen werden, müssen die für den gesamten Schaden zuständigen Gerichte theoretisch das Recht der verschiedenen Mitgliedstaaten anwenden, in denen der fragliche Inhalt zugänglich ist, um die Höhe des geschuldeten Schadenersatzes zu bestimmen.

( 51 ) Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 47).

( 52 ) Das Internet erhöht zwar den Kreis der potenziellen Rezipienten einer Äußerung. Unter dem Gesichtspunkt des Ansehens bedeutet dies jedoch nicht, dass die verleumdete Person notwendigerweise in ganz Europa bekannt ist.

( 53 ) Im Blick zu behalten ist, dass Internetnutzer aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten nicht dieselben Teile einer Internetseite betrachten oder diese mit unterschiedlicher Aufmerksamkeit betrachten. Vgl. z. B. Miratech, Étude internationale: les habitudes des internautes suivant les pays, 2013.

( 54 ) Vgl. z. B. Urteil des Supreme Court of Ireland vom 15. März 2012, Coleman/MGN Ltd. [2012] IESC 20, wo jener Gerichtshof sich für ein Verleumdungsverfahren nach dem jetzigen Art. 7 Nr. 2 der Brüsseler Verordnung für unzuständig erklärte, da nicht dargetan sei, dass eine in Irland ansässige Person die in Rede stehende Internetveröffentlichung tatsächlich abgerufen habe.

( 55 ) Vgl. zu diesem Thema G. W. Prings, „SLAPPs: Strategic Lawsuits Against Public Participation“, Vol. 7, Pace Envtl. L: Rev., 1989, 3; P. Canan, „The SLAPP from a sociological Perspective“, Vol. 7, Pace Envtl. L: Rev., 1989, 23; N. Landry, SLAPP – Bâillonnement et répression judiciaire du discours politique, Ecosociété, 2012.

( 56 ) Selbst die unmittelbaren Kosten können nicht hinreichend berücksichtigt werden. Es sind nämlich meist nur standardisierte Rechtsanwaltsgebühren erstattungsfähig, während Rechtsanwälte sehr häufig höhere Sätze berechnen, insbesondere wenn jemand sich an eine internationale Rechtsanwaltskanzlei wendet, um zu vermeiden, dass er mit verschiedenen Kanzleien in verschiedenen Ländern korrespondieren muss. Außerdem berücksichtigten diese Regelungen häufig nicht, dass die Partei alle diese Kosten vorfinanzieren muss.

( 57 ) Vgl. z. B. Urteil vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec (C‑133/11, EU:C:2012:664). Die Möglichkeit der Erhebung einer negativen Feststellungsklage besteht z. B. im niederländischen Recht, nicht aber im französischen Recht. Vgl. Sachverständigenausschuss zur Dimension der Menschenrechte bei der automatisierten Datenverarbeitung und verschiedenen Formen der künstlichen Intelligenz [Committee of Experts on the Human Rights Dimension of Automated Data Processing and the Various Forms of Artificial Intelligence], Studie zu Formen der Haftung und Fragen der Zuständigkeit bei der Anwendung des Zivil- und Verwaltungsrechts im Bereich Verleumdung in den Mitgliedstaaten des Europarats [Study on forms of liability and jurisdictional issues relating to the application of civil and administrative law in matters of defamation in the member states of the Council of Europe], Studie des Europarats, DGI (2019) 04, S. 27. Vgl. zu diesem Thema auch H. Bouthinon-Dumas, V. De Beaufort, F. Jenny, A. Masson, Stratégie d’instrumentalisation juridique et concurrence, Larcier, 2013, S. 37.

( 58 ) Einige Rechtsordnungen sehen Mechanismen vor, um derartigen Prozessstrategien vorzubeugen, wie z. B. die Regel des forum non conveniens im Common Law.

( 59 ) Vgl. hierzu Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn 41)

( 60 ) Dies gilt z. B. auch bei Schäden, die aus einem Lieferantenkartell entstehen. Wenn nämlich, wie in den meisten Fällen, die Muttergesellschaft den Einkauf von Rohstoffen aushandelt, werden diese im Allgemeinen von den Tochtergesellschaften bezahlt, an denen möglicherweise keine 100%ige Beteiligung besteht. Die durch dieses Kartell entstehenden Mehrkosten würden sich somit in deren Bilanzen, nicht aber in denjenigen der Muttergesellschaft niederschlagen. Je nachdem, wie ein Konzern seinen Einkauf organisiert, können die Geschädigten daher die Muttergesellschaften oder jede einzelne Tochtergesellschaft sein.

( 61 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 39).

( 62 ) Vgl. Dow Jones and Company Inc/Gutnick [2002] HCA 56; 210 CLR 575; 194 ALR 433; 77 ALJR 255 (10. Dezember 2002), Rn. 39 („Wer Informationen im World Wide Web veröffentlicht, tut dies in Kenntnis dessen, dass die zugänglich gemachten Informationen jedermann ohne räumliche Beschränkung zugänglich sind“).

( 63 ) Das heißt ungeachtet des Umstands, dass ein Teil der Aktien dieses Unternehmens möglicherweise nicht börsennotiert ist oder außerhalb der Wertpapierbörse, an der sie notiert sind, verkauft wird.

( 64 ) Hierbei ist festzustellen, dass das Ziel der Vorhersehbarkeit sowohl den Autor der vermeintlich verleumderischen Inhalte betrifft als auch denjenigen, auf den dieser Inhakt sich bezieht. Vgl. etwa Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 35).

( 65 ) Die Bestimmung eines genauen Ortes kann insbesondere noch unvorhersehbarer sein, wenn z. B. nicht die Unternehmensbezeichnung, sondern eine der zahlreichen von dem Unternehmen benutzten Marken Gegenstand der Verleumdung ist. Es stellt sich möglicherweise auch die Frage, ob nicht nur eine Unternehmensbezeichnung, sondern auch eine Marke zu den Persönlichkeitsrechten zählt. Wäre dies anzunehmen, würde sich weiter die Frage stellen, wie das Kriterium des Mittelpunkts der Interessen anzuwenden wäre, wenn dieselben Waren in verschiedenen Ländern unter verschiedenen Markenbezeichnungen verkauft werden. Ließe sich daraus ableiten, dass für jede Marke ein gesonderter Interessenmittelpunkt besteht, obwohl der Gerichtshof zuvor auf den Mittelpunkt der Interessen der Gesellschaft abgestellt hat?

( 66 ) Vgl. z. B. D. Rönnegard und N. Craig Smith, „Shareholder Primacy vs. Stakeholder Theory: The Law as Constraint and Potential Enabler of Stakeholder Concern“, in J. S. Harrison, J. Barney, R. Freeman und R. Phillips (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Stakeholder Theory, CUP, Cambridge, 2019, S. 117 bis 131, sowie, auf Französisch, I. Tchotourian, „Doctrine de l’entreprise et école de Rennes: La dimension sociétale, politique et philosophique des activités économiques affirmée – Présentation d’un courant de pensée au service de l’homme“, in C. Champaud (Hrsg.), L’entreprise dans la société du 21e siècle, Larcier, Brüssel, 2013, S. 131 bis 174.

( 67 ) So hat der Gerichtshof z. B. im Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide (C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 52 und 53), entschieden, dass „[bei einem] Schaden …, der in den Mehrkosten besteht, die wegen eines künstlich überhöhten Preises … anfielen, [der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs] … grundsätzlich [am] Sitz [des Geschädigten liegt]“.

( 68 ) Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 41).

( 69 ) Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 43). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof dem Begriff „Mittepunkt der Interessen“ offenbar eine andere Bedeutung beimisst, als sie der Unionsgesetzgeber z. B. in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. 2015, L 141, S. 19) zugrunde legt. In dieser Bestimmung ist der Begriff „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ nämlich definiert als „der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist“.

( 70 ) Auch wenn unter diesem Blickwinkel verlockend sein mag, zu der Ansicht zu kommen, dass der Ort, an dem das Unternehmen den größten Teil seines Gewinns erzielt, der Mittelpunkt der Interessen sein müsse, da ein Unternehmen seine Kosten decken müsse, um zu überleben, bin ich eher der Ansicht, dass der Mittelpunkt der Interessen dann dem Ort entsprechen müsste, an dem das Unternehmen die größte Gewinnmarge erzielt (Umsatz abzüglich der Kosten für den Einkauf abgesetzter Ware). Außerdem könnte fraglich sein, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung des Mittelpunkts der Interessen einer juristischen Person abzustellen ist, auf den Zeitpunkt des Schadens oder auf denjenigen der Klageerhebung.

( 71 ) In seinem Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766), geht der Gerichtshof in Rn. 42 offenbar davon aus, dass sich unter den Umständen jener Rechtssache der Mittelpunkt der Interessen des mutmaßlich Geschädigten in Schweden befand, da er dort den größten Teil seiner Tätigkeiten ausübte. Der Gerichtshof stellte jedoch nicht näher klar, ob er sich mit den „Tätigkeiten“ auf die Kunden der Klägerin oder auf die zur Erbringung von Leistungen an diese eingesetzten Produktionsmittel bezog.

( 72 ) G. Guimaraes, „The Corporate Ad; Wall Street’s Supersalesman“, Industry Week, 10. Juni 1985, und P. Boistel, „La réputation d’entreprise: un impact majeur sur les ressources de l’entreprise“, Management & Avenir, Vol. 17, Nr. 3, 2008, S. 9 bis 25.

( 73 ) Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1).

( 74 ) Selbst wenn bestimmte wirtschaftliche Informationen aufgrund der Offenlegungspflichten für bestimmte Gesellschaften nach der Richtlinie 2013/34/EU über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. 2013, L 182, S. 19) öffentlich zugänglich gemacht werden, mag es für eine Person, die Äußerungen über die betreffende Gesellschaft im Internet veröffentlicht hat, als Laie schwierig sein, diesen Informationen etwas im Hinblick darauf zu entnehmen, wo der Mittelpunkt der Interessen des Unternehmens liegt.

( 75 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 5. Juni 2014, Coty Germany (C‑360/12, EU:C:2014:1318, Rn. 48), und vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 73). Der Gerichtshof hat zwar festgestellt, dass das Kriterium des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, nicht so weit ausgelegt werden kann, dass es jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Ereignisses spürbar sind, das bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen Schaden verursacht hat. Mit dieser Feststellung wollte der Gerichtshof jedoch nicht die Zuständigkeit der Gerichte anderer Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet das ursächliche Geschehen ebenso nachteilige Folgen hatte, ausschließen, sondern die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes, an dem dem Geschädigten nach einem ihm in einem anderen Staat entstandenen anfänglichen Schaden ein späterer Schaden entstanden sein soll. Vgl. Urteile vom 19. September 1995, Marinari (C‑364/93, EU:C:1995:289, Rn. 14 und 15), vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation (C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 27 und 28), und vom 5. Juli 2018, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑27/17, EU:C:2018:533, Rn. 32).

( 76 ) Insoweit sei darauf hingewiesen, dass der Grund dafür, dass die Urheberrechte, wie der Gerichtshof in Rn. 39 jenes Urteils ausführt, einem Territorialitätsgrundsatz unterliegen, darin besteht, dass diese Rechte nicht völlig harmonisiert sind und daher unterschiedlichen Regelungen unterliegen. Unter diesem Blickwinkel unterscheidet sich der Bereich des Urheberrechts somit nicht von dem der Persönlichkeitsrechte und insbesondere des Rechts auf Schutz vor Verleumdung.

( 77 ) Zum Risiko einer Beeinträchtigung des Ansehens eines Unternehmens aufgrund bestimmter steuerlicher Praktiken vgl. z. B. PWC, Tax Strategy and Corporate Reputation: A Business Issue, 2013.

( 78 ) In ihrem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (KOM[2010] 748 endgültig) stellte die Kommission fest, dass „[Fälle] von Verleumdung, wenn eine Person behauptet, in ihren Persönlichkeitsrechten oder ihrem Recht auf Achtung ihrer Privatsphäre verletzt worden zu sein[, a]ußerordentlich heikel [sind] und die Mitgliedstaaten … jeweils unterschiedliche Ansichten dazu [haben], wie die verschiedenen einschlägigen Grundrechte – Achtung der Menschenwürde und des Privat- und Familienlebens, Schutz personenbezogener Daten und der Meinungs- und Informationsfreiheit – gewahrt werden können“. Auch nach Ansicht der Professoren Corneloup und Muir Watt kommen in der Frage des jeweiligen Stellenwerts, der der Meinungsfreiheit und dem Schutz der Privatsphäre zugemessen wird, sehr unterschiedliche Rechtskulturen zum Ausdruck, S. Corneloup, H. Muir Watt, „Le for du droit à l’oubli“, Rev. Crit. DIP, 2018, S. 296. Vgl. auch J. Kramberger Škerl, „Jurisdiction in On-line defamation and Violations of Privacy: In search of a Right Balance, LeXonomica, Vol. 9, Nr. 2, 2017, S. 90.

( 79 ) Vgl. Art. 1 Abs. 2 Buchst. g dieser Verordnung.

( 80 ) Ansehen ist einer der Hauptfaktoren für die Durchdringung eines neuen Marktes, es schlägt sich jedoch nicht zwangsläufig in einer sofortigen Umsatzsteigerung nieder. Zum Thema rechtlicher Kommunikationsstrategien vgl. H. Bouthon-Dumas, N. Cheynel, Ch. Karila-Vaillant und A. Masson, Communication juridique et judiciaire de l’entreprise, 2015, S. 323 ff.

( 81 ) Vgl. in diesem Sinne M. Bogdan, „Regulation Brussels Ia and Violations of Personality Rights on the Internet“, Nordic Journal of International Law, Vol. 87, 2018, S. 219.

( 82 ) Insoweit würde ich bei allem Respekt dem Gerichtshof insoweit widersprechen wollen, als er in Rn. 46 des Urteils vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685), die Auffassung vertreten hat, dass es technisch nicht immer möglich sein soll, zu quantifizieren, wie viele Personen eine Äußerung wahrgenommen haben; jedenfalls erscheint mir diese Auffassung zumindest überholt. Betreiber von Websites verwenden nämlich im Allgemeinen Tools wie Google Analytics, um ihre Marketingstrategie zu optimieren. Zwar werden die erhobenen Daten in gewissem Maße annäherungsweise erhoben, da z. B. manche Nutzer einen Proxy Server verwenden. Gleichwohl werden diese Tools von diesen Betreibern jedoch bevorzugt, was belegen dürfte, dass sie von den Marktteilnehmern als aussagefähig angesehen werden. Z. B. wird Google Analytics nach Angaben von Wikipedia von mehr als 10 Mio. Websites, also von mehr als 80 % des Weltmarkts, genutzt. Außerdem dürften bei der Verwendung dieser Tools meines Erachtens keine größeren Annäherungstoleranzen bestehen als möglicherweise bei anderen Quantifizierungsmethoden. Jedenfalls hat der Gerichtshof seither anerkannt, dass ein Internetnutzer geolokalisiert werden kann. Vgl. Urteil vom 24. September 2019, Google (Räumliche Reichweite der Auslistung) (C‑507/17, EU:C:2019:772, Rn. 73).

( 83 ) Nach dem 21. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 sollen mit dieser Verordnung Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden. Aus der Formulierung „so weit wie möglich vermeiden“ geht hervor, dass diese Möglichkeit gleichwohl insbesondere dann bestehen kann, wenn dies zur Erreichung der anderen mit dieser Verordnung verfolgten Ziele erforderlich ist. Außerdem zeigt die Stellung dieses Erwägungsgrundes eindeutig, dass dieses Ziel durch die Vorschriften über die Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren verwirklicht werden soll.

( 84 ) Vgl. Urteil vom 7. März 1995, Shevill u. a. (C‑68/93, EU:C:1995:61, Rn. 31).

( 85 ) Vgl. z. B. Urteile vom 12. Juli 2011, L’Oréal u. a. (C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 65), vom 21. Juni 2012, Donner (C‑5/11, EU:C:2012:370, Rn. 27), und vom 18. Oktober 2012, Football Dataco u. a. (C‑173/11, EU:C:2012:642, Rn. 39).

( 86 ) Urteile vom 3. Oktober 2013, Pinckney (C‑170/12, EU:C:2013:635, Rn. 42), und vom 22. Januar 2015, Hejduk (C‑441/13, EU:C:2015:28, Rn. 33).

( 87 ) Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung) (ABl. 2009, L 78, S. 1). Diese Verordnung ist durch die Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) ersetzt worden. Deren Art. 125 Abs. 5 entspricht in seinem Wortlaut im Wesentlichen Art. 97 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009.

( 88 ) Urteil vom 5. September 2019, AMS Neve u. a. (C‑172/18, EU:C:2019:674, Rn. 56 und 65).

( 89 ) Urteil des EGMR vom 1. März 2016, Arlewin/Schweden (CE:ECHR:2016:0301JUD002230210).

( 90 ) Vgl. im Wesentlichen in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Pinckney (C‑170/12, EU:C:2013:400, Nr. 68).

( 91 ) Im französischen Recht liegt eine Verunglimpfung vor, wenn ein Mitbewerber Informationen verbreitet, die seinen Wettbewerber herabsetzen sollen, es sei denn die in Rede stehenden Informationen beziehen sich auf im allgemeinen Interesse liegende Belange, stützen sich auf eine hinreichende Tatsachengrundlage und werden mit einem gewissen Maß an Zurückhaltung im Sinne der Vorschrift kundgetan. Vgl. J.‑P. Griel, „Entreprises – Le dénigrement en droit des affaires La mesure d’une libre critique“, JCP ed. G, Nr. 19 bis 20, 8. Mai 2017, doctr. 543, und Entscheidung Cass. Com., 9. Januar 2019, Nr. 17-18350.

( 92 ) Zwar ist das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen der Auffassung, dass die im Urteil vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan (C‑194/16, EU:C:2017:766), für eine angebliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten genannte Lösung auf ein unlauteres Wettbewerbsverhalten durch Verbreitung angeblich verunglimpfender Äußerungen in Internetforen übertragbar sei. Ich bin jedoch der Ansicht, dass aus dem Blickwinkel des Unionsrechts ein erheblicher Unterschied zwischen behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen und behaupteten Verletzungen rein wirtschaftlich relevanter Rechte besteht.

( 93 ) Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass der auf den Mittelpunkt der Interessen abstellende Ansatz insbesondere für Personen gilt, die Persönlichkeitsrechtsverletzungen geltend machen. Vgl. hierzu Urteil vom 17. Juni 2021, Mittelbayerischer Verlag (C‑800/19, EU:C:2021:489, Rn. 31).

( 94 ) Außerdem kann nach französischem Recht eine Verunglimpfung unter bestimmten Umständen auch in einem Missbrauch einer beherrschen Stellung bestehe. Vgl. Urteil der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) Nr. 177 vom 18. Dezember 2014, Sanofi u. a./Autorité de la concurrence (RG Nr. 2013/12370). Im Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a. (C‑179/16, EU:C:2018:25), stellte der Gerichtshof fest, dass eine zwischen Wettbewerbern, die zwei miteinander konkurrierende Produkte vermarkten, getroffene Absprache, Entscheidungsträgern bestimmte verunglimpfende Informationen zu kommunizieren, eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt.

( 95 ) Nach dem Unionsrecht kann ein und dieselbe Handlung unterschiedlich eingestuft werden und daher unter verschiedene Regelungen fallen, sofern die verwendeten Einstufungskriterien, die Zwecke dieser Regelungen und der von ihnen jeweils gewährte Schutzumfang unterschiedlich sind, vgl. entsprechend Urteil vom 27. Januar 2011, Flos (C‑168/09, EU:C:2011:29, Rn. 34).

( 96 ) Urteil vom 3. April 2014, Hi Hotel HCF (C‑387/12, EU:C:2014:215, Rn. 39).

( 97 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, Coty Germany (C‑360/12, EU:C:2014:1318, Rn. 57).

( 98 ) Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans (C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 33).

( 99 ) Nach der Studie „Eurobarometer – Europeans and their Languages, 2012“, die von TNS Opinion & Social auf Ersuchen der Generaldirektion Bildung und Kultur, der Generaldirektion Übersetzung und der Generaldirektion Dolmetschen der Kommission durchgeführt wurde, haben 34 % der französischen Bevölkerung angegeben, sie hielten sich für fähig, ein englisches Gespräch zu verstehen. Dieser Prozentsatz scheint mir hinreichend, um anzunehmen, dass eine auf Englisch auf einem von französischen Verbrauchern besuchten Forum gepostete Nachricht von französischen Verbrauchern wahrscheinlich verstanden wird.

( 100 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans (C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 34), und vom 24. November 2020, Wikingerhof (C‑59/19, EU:C:2020:950, Rn. 37).

( 101 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 2018, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑27/17, EU:C:2018:533, Rn. 41), vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans (C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 35), und vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation (C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 39).

( 102 ) Wenngleich der Begriff des unlauteren Wettbewerbs in der Rom‑II-Verordnung nicht definiert wird, heißt es im 21. Erwägungsgrund dieser Verordnung: „[D]ie Kollisionsnorm [soll] die Wettbewerber, die Verbraucher und die Öffentlichkeit schützen und das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen. Durch eine Anknüpfung an das Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder beeinträchtigt zu werden drohen, können diese Ziele im Allgemeinen erreicht werden.“ Da diese Bestimmung außerdem im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen ist, ist hervorzuheben, dass die Pariser Verbandsübereinkunft die Vertragsstaaten dieser Übereinkunft, zu denen alle Mitgliedstaaten gehören, dazu verpflichtet, einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu gewährleisten, einschließlich im Sinne dieser Übereinkunft gegen „falsche Behauptungen im geschäftlichen Verkehr, die geeignet sind, den Ruf der Niederlassung, der Erzeugnisse oder der gewerblichen oder kaufmännischen Tätigkeit eines Wettbewerbers herabzusetzen“. Aufgrund der vorstehend genannten Aspekte ist davon auszugehen, dass der Begriff des unlauteren Wettbewerbs im Sinne der Rom‑II-Verordnung auch Handlungen der Verunglimpfung umfasst.

( 103 ) Zwar sieht diese Bestimmung eine Ausnahme von der Regel nach Art. 6 Abs. 1 vor, wonach „[a]uf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten … das Recht des Staates anzuwenden [ist], in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden“. Ich verstehe diese Ausnahme jedoch dahin, dass sie insbesondere, wo dies angezeigt ist, die Anwendung der besonderen Vorschriften der Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung ermöglichen soll. Vgl. P. Wautelet, „Concurrence déloyale et actes restreignant la libre concurrence“, R.D.C., 2008/6, Juni 2008, S. 512. Folglich ist das Ergebnis, das sich aus der Anwendung dieser beiden Regeln ergibt, in vielen Fällen das gleiche, da der Markt häufig der Ort sein wird, an dem der Schaden eintritt. Außerdem weicht nach dem 21. Erwägungsgrund dieser Verordnung die Sonderregel nach Art. 6 Abs. 1 nicht von der allgemeinen Regel nach Art. 4 Abs. 1 ab, auf den Art. 6 Abs. 2 verweist, sondern konkretisiert diese vielmehr.

( 104 ) Bei dem für die Bestimmung des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist, zu berücksichtigenden Schaden handelt es sich nach dem 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung um den unmittelbaren Schaden. Vgl. Urteil vom 10. Dezember 2015, Lazar (C‑350/14, EU:C:2015:802, Rn. 23).