URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

18. Mai 2021 ( *1 )

Inhaltsverzeichnis

 

Rechtlicher Rahmen

 

Unionsrecht

 

Beitrittsvertrag

 

Beitrittsakte

 

Entscheidung 2006/928

 

Rumänisches Recht

 

Verfassung Rumäniens

 

Zivilgesetzbuch

 

Zivilprozessordnung

 

Strafprozessordnung

 

Justizgesetze

 

– Gesetz Nr. 303/2004

 

– Gesetz Nr. 304/2004

 

– Gesetz Nr. 317/2004

 

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

 

Den Ausgangsrechtsstreitigkeiten gemeinsame Gesichtspunkte

 

Rechtssache C‑83/19

 

Rechtssache C‑127/19

 

Rechtssache C‑195/19

 

Rechtssache C‑291/19

 

Rechtssache C‑355/19

 

Rechtssache C‑397/19

 

Verfahren vor dem Gerichtshof

 

Zu den Vorlagefragen

 

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

 

Zur einer etwaigen Erledigung der Hauptsache und zur Zulässigkeit

 

Rechtssache C‑83/19

 

Rechtssachen C‑127/19 und C‑355/19

 

Rechtssachen C‑195/19 und C‑291/19

 

Rechtssache C‑397/19

 

Zur Beantwortung der Fragen

 

Zur ersten Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑355/19, C‑291/19 und C‑397/19

 

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑195/19, zur zweiten Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 sowie zur dritten Frage in den Rechtssachen C‑127/19, C‑291/19 und C‑397/19

 

– Zur Rechtsnatur, zum Inhalt und zu den zeitlichen Wirkungen der Entscheidung 2006/928

 

– Zu den Rechtswirkungen der Entscheidung 2006/928 und der auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichten der Kommission

 

Zur vierten Frage in der Rechtssache C‑83/19 und zur dritten Frage in der Rechtssache C‑355/19

 

Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑83/19

 

Zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C‑127/19, zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑195/19, zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C‑291/19 sowie zur dritten und zur vierten Frage in der Rechtssache C‑355/19

 

Zur vierten bis zur sechsten Frage in der Rechtssache C‑397/19

 

Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑195/19

 

Kosten

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union – Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Union – Art. 37 und 38 – Geeignete Maßnahmen – Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung – Entscheidung 2006/928/EG – Natur und Rechtswirkungen des Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung sowie der von der Kommission auf dessen Grundlage erstellten Berichte – Rechtsstaatlichkeit – Unabhängigkeit der Justiz – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Gesetze und Dringlichkeitsverordnungen der Regierung, die in Rumänien in den Jahren 2018 und 2019 im Bereich der Organisation des Justizwesens und der Haftung der Richter erlassen wurden – Vorläufige Ernennung auf Leitungsstellen bei der Justizinspektion – Errichtung einer Abteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft für die Untersuchung von Straftaten innerhalb der Justiz – Vermögensrechtliche Haftung des Staates und persönliche Haftung von Richtern für Justizirrtümer“

In den verbundenen Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19

betreffend sechs Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Olt (Landgericht Olt, Rumänien) mit Entscheidung vom 5. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2019 (C‑83/19), von der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti, Rumänien) mit Entscheidung vom 18. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Februar 2019 (C‑127/19), von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 28. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2019 (C‑195/19), von der Curtea de Apel Braşov (Berufungsgericht Braşov, Rumänien) mit Entscheidung vom 28. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 9. April 2019 (C‑291/19), von der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti, Rumänien) mit Entscheidung vom 29. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai 2019 (C‑355/19) und vom Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 22. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Mai 2019 (C‑397/19), in den Verfahren

Asociația „Forumul Judecătorilor din România“

gegen

Inspecţia Judiciară (C‑83/19),

Asociația „Forumul Judecătorilor din România“,

Asociația „Mișcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“

gegen

Consiliul Superior al Magistraturii (C‑127/19),

PJ

gegen

QK (C‑195/19),

SO

gegen

TP u. a.,

GD,

HE,

IF,

JG (C‑291/19),

Asociația „Forumul Judecătorilor din România“,

Asociația „Mișcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“,

OL

gegen

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României (C‑355/19),

und

AX

gegen

Statul Român – Ministerul Finanţelor Publice (C‑397/19)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, L. Bay Larsen, N. Piçarra und A. Kumin, der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter), M. Safjan und D. Šváby sowie der Richterin K. Jürimäe, des Richters P. G. Xuereb, der Richterin L. S. Rossi und des Richters I. Jarukaitis,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Şereş und V. Giacobbo, Verwaltungsrätinnen, sowie R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. und 21. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“, vertreten durch D. Călin, A. Codreanu und L. Zaharia,

für die Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“, vertreten durch A. Diaconu, A. C. Lăncrănjan und A. C. Iordache,

von OL, vertreten durch B. C. Pîrlog,

der Inspecția Judiciară, vertreten durch L. Netejoru als Bevollmächtigten,

des Consiliul Superior al Magistraturii, vertreten durch L. Savonea als Bevollmächtigte im Beistand von R. Chiriță und Ş.‑N. Alexandru, avocaţi,

des Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României, vertreten durch B. D. Licu und R. H. Radu als Bevollmächtigte,

der rumänischen Regierung, zunächst durch C.‑R. Canţăr, C. T. Băcanu, E. Gane und R. I. Haţieganu, dann durch C. T. Băcanu, E. Gane und R. I. Haţieganu als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, L. Van den Broeck und C. Pochet als Bevollmächtigte,

der dänischen Regierung, vertreten durch L. B. Kirketerp Lund und J. Nymann-Lindegren als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. L. Noort und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der schwedischen Regierung, zunächst vertreten durch H. Shev, H. Eklinder, C. Meyer-Seitz, J. Lundberg und A. Falk, dann durch H. Shev, H. Eklinder und C. Meyer-Seitz als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch H. Krämer, M. Wasmeier und I. Rogalski, dann durch M. Wasmeier und I. Rogalski, als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. September 2020

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen im Wesentlichen die Auslegung von Art. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 9 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 67 Abs. 1 und Art. 267 AEUV, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56).

2

Diese Ersuchen ergehen in Rechtsstreitigkeiten zwischen

der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ (Verein „Forum der Richter Rumäniens“) (im Folgenden: Forum der Richter Rumäniens) und der Inspecţia Judiciară (Justizinspektion, Rumänien) wegen deren Weigerung, Informationen von öffentlichem Interesse in Bezug auf ihre Tätigkeit zu erteilen (Rechtssache C‑83/19);

dem Forum der Richter Rumäniens und der Asociația „Mișcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“ (Vereinigung „Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte“) (im Folgenden: Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte) auf der einen und dem Consiliul Superior al Magistraturii (Oberster Richterrat, Rumänien) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit zweier Entscheidungen zur Genehmigung von Verordnungen über die Ernennung und Entlassung von Staatsanwälten, die Leitungs‑ oder Exekutivaufgaben innerhalb der mit der Untersuchung von Straftaten im Justizsystem betrauten Abteilung der Staatsanwaltschaft (im Folgenden: AUSJ) wahrnehmen (Rechtssache C‑127/19);

PJ und QK wegen einer Anzeige gegen einen Richter wegen Amtsmissbrauchs (Rechtssache C‑195/19);

SO auf der einen und TP u. a., GD, HE, IF bzw. JG auf der anderen Seite wegen Anzeigen gegen Staatsanwälte und Richter wegen Amtsmissbrauchs und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung (Rechtssache C‑291/19);

dem Forum der Richter Rumäniens, der Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte auf der einen und dem Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție – Procurorul General al României (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Generalstaatsanwalt Rumäniens) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit eines Erlasses des Procurorul General al României (Generalstaatsanwalt Rumäniens) (im Folgenden: Generalstaatsanwalt) über die Organisation und die Arbeitsweise der AUSJ (Rechtssache C‑355/19);

AX und dem Statul Român – Ministerul Finanţelor Publice (Rumänischer Staat – Ministerium für öffentliche Finanzen, Rumänien) über einen Antrag auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens infolge eines angeblichen Justizirrtums (Rechtssache C‑397/19).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Beitrittsvertrag

3

Art. 2 Abs. 2 und 3 des am 25. April 2005 unterzeichneten und am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Vertrags zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (ABl. 2005, L 157, S. 11, im Folgenden: Beitrittsvertrag) bestimmt:

„(2)   Die Aufnahmebedingungen und die aufgrund der Aufnahme erforderlichen Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, sind in der diesem Vertag beigefügten Akte festgelegt; sie gelten ab dem Tag des Beitritts bis zum Tag des Inkrafttretens des Vertrags über eine Verfassung für Europa. Die Bestimmungen der Akte sind Bestandteil dieses Vertrags.

(3)   …

Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des in Artikel 1 Absatz 3 genannten Protokolls auf der Grundlage dieses Vertrags oder der in Absatz 2 genannten Akte erlassen wurden, bleiben in Kraft; ihre Rechtswirkungen bleiben erhalten, bis diese Rechtsakte geändert oder aufgehoben werden.“

4

Art. 3 dieses Vertrags lautet:

„Die Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten sowie über die Befugnisse und Zuständigkeiten der Organe der Union, wie sie in den Verträgen festgelegt sind, denen die Republik Bulgarien und Rumänien beitreten, gelten auch für diesen Vertrag.“

5

Art. 4 Abs. 2 und 3 des Vertrags sieht vor:

„(2)   Dieser Vertrag tritt am 1. Januar 2007 in Kraft, sofern alle Ratifikationsurkunden vor diesem Tag hinterlegt worden sind.

(3)   Ungeachtet des Absatzes 2 können die Organe der Union vor dem Beitritt die Maßnahmen erlassen, die in den Artikeln … 37 [und] 38 … des in Artikel 1 Absatz 3 genannten Protokolls vorgesehen sind. Diese Maßnahmen werden vor Inkrafttreten des Vertrags über eine Verfassung für Europa nach den entsprechenden Bestimmungen in [den] Artikel[n] … 37 [und] 38 … der in Artikel 2 Absatz 2 genannten Akte erlassen.

Diese Maßnahmen treten nur vorbehaltlich des Inkrafttretens dieses Vertrags und zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens in Kraft.“

Beitrittsakte

6

Art. 2 der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203, im Folgenden: Beitrittsakte), sieht vor:

„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für Bulgarien und Rumänien verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“

7

Art. 37 der Beitrittsakte lautet:

„Hat Bulgarien oder Rumänien seine im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine ernste Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorgerufen, einschließlich der Verpflichtungen in allen sektorbezogenen Politiken, die wirtschaftliche Tätigkeiten mit grenzüberschreitender Wirkung betreffen, oder besteht die unmittelbare Gefahr einer solchen Beeinträchtigung, so kann die Kommission für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren nach dem Beitritt auf begründeten Antrag eines Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative geeignete Maßnahmen erlassen.

Diese Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein, wobei vorrangig Maßnahmen, die das Funktionieren des Binnenmarkts am wenigsten stören, zu wählen und gegebenenfalls bestehende sektorale Schutzmechanismen anzuwenden sind. Solche Schutzmaßnahmen dürfen nicht als willkürliche Diskriminierung oder als versteckte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten angewandt werden. Die Schutzklausel kann schon vor dem Beitritt aufgrund der Ergebnisse der Überwachung geltend gemacht werden, und die Maßnahmen treten am ersten Tag der Mitgliedschaft in Kraft, sofern nicht ein späterer Zeitpunkt vorgesehen ist. Die Maßnahmen werden nicht länger als unbedingt nötig aufrechterhalten und werden auf jeden Fall aufgehoben, sobald die einschlägige Verpflichtung erfüllt ist. Sie können jedoch über den in Absatz 1 genannten Zeitraum hinaus angewandt werden, solange die einschlägigen Verpflichtungen nicht erfüllt sind. Aufgrund von Fortschritten der betreffenden neuen Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen kann die Kommission die Maßnahmen in geeigneter Weise anpassen. Die Kommission unterrichtet den Rat rechtzeitig, bevor sie die Schutzmaßnahmen aufhebt, und trägt allen Bemerkungen des Rates in dieser Hinsicht gebührend Rechnung.“

8

Art. 38 der Beitrittsakte bestimmt:

„Treten bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rahmenbeschlüssen oder anderen einschlägigen Verpflichtungen, Instrumenten der Zusammenarbeit oder Beschlüssen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Strafrechts im Rahmen des Titels VI des EU-Vertrags und von Richtlinien und Verordnungen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Zivilrechts im Rahmen des Titels IV des EG-Vertrags in Bulgarien oder Rumänien ernste Mängel auf oder besteht die Gefahr ernster Mängel, so kann die Kommission für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren nach dem Beitritt auf begründeten Antrag eines Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative und nach Konsultation der Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen treffen und die Bedingungen und Einzelheiten ihrer Anwendung festlegen.

Diese Maßnahmen können in Form einer vorübergehenden Aussetzung der Anwendung einschlägiger Bestimmungen und Beschlüsse in den Beziehungen zwischen Bulgarien oder Rumänien und einem oder mehreren anderen Mitgliedstaat(en) erfolgen; die Fortsetzung einer engen justiziellen Zusammenarbeit bleibt hiervon unberührt. Die Schutzklausel kann schon vor dem Beitritt aufgrund der Ergebnisse der Überwachung geltend gemacht werden und die Maßnahmen treten am ersten Tag der Mitgliedschaft in Kraft, sofern nicht ein späterer Zeitpunkt vorgesehen ist. Die Maßnahmen werden nicht länger als unbedingt nötig aufrechterhalten und werden auf jeden Fall aufgehoben, sobald die Mängel beseitigt sind. Sie können jedoch über den in Absatz 1 genannten Zeitraum hinaus angewandt werden, solange die Mängel weiter bestehen. Aufgrund von Fortschritten des betreffenden neuen Mitgliedstaats bei der Beseitigung der festgestellten Mängel kann die Kommission die Maßnahmen nach Konsultation der Mitgliedstaaten in geeigneter Weise anpassen. Die Kommission unterrichtet den Rat rechtzeitig, bevor sie die Schutzmaßnahmen aufhebt, und trägt allen Bemerkungen des Rates in dieser Hinsicht gebührend Rechnung.“

9

Art. 39 Abs. 1 bis 3 der Beitrittsakte sieht vor:

„(1)   Falls auf der Grundlage der von der Kommission sichergestellten kontinuierlichen Überwachung der Verpflichtungen, die Bulgarien und Rumänien im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangen sind, und insbesondere auf der Grundlage der Überwachungsberichte der Kommission eindeutig nachgewiesen ist, dass sich die Vorbereitungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung des Besitzstands in Bulgarien oder Rumänien auf einem Stand befinden, der die ernste Gefahr mit sich bringt, dass einer dieser Staaten in einigen wichtigen Bereichen offenbar nicht in der Lage ist, die Anforderungen der Mitgliedschaft bis zum Beitrittstermin 1. Januar 2007 zu erfüllen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission einstimmig beschließen, den Zeitpunkt des Beitritts des betreffenden Staates um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 zu verschieben.

(2)   Werden bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer I aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt, so kann der Rat ungeachtet des Absatzes 1 mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission in Bezug auf Rumänien einen Beschluss gemäß Absatz 1 fassen.

(3)   Ungeachtet des Absatzes 1 und unbeschadet des Artikels 37 kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission nach einer im Herbst 2005 vorzunehmenden eingehenden Bewertung der Fortschritte Rumäniens auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik den in Absatz 1 genannten Beschluss in Bezug auf Rumänien fassen, wenn bei der Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Europa-Abkommens oder bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer II aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt werden.“

10

Anhang IX („Besondere Verpflichtungen und Anforderungen, die Rumänien beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommen bzw. akzeptiert hat [gemäß Artikel 39 der Beitrittsakte]“) enthält folgende Passage:

„I. In Bezug auf Artikel 39 Absatz 2

3.

Ausarbeitung und Umsetzung eines aktualisierten integrierten Aktionsplans und einer Strategie für die Justizreform, die die wesentlichen Maßnahmen zur Durchführung der Gesetze über den Aufbau des Gerichtswesens, den Status der Justizangehörigen und den Obersten Rat der Magistratur, die am 30. September 2004 in Kraft getreten sind, beinhalten. Die aktualisierten Fassungen von Aktionsplan und Strategie müssen der Union spätestens im März 2005 übermittelt werden; für die Durchführung des Aktionsplans muss eine angemessene Ausstattung mit finanziellen und personellen Mitteln sichergestellt werden, und der Aktionsplan muss unverzüglich entsprechend dem vereinbarten Zeitplan durchgeführt werden. Rumänien muss ebenfalls bis März 2005 nachweisen, dass das neue System für die zufallsgesteuerte Zuweisung von Rechtssachen vollständig einsatzbereit ist.

4.

Wesentlich verschärftes Vorgehen gegen Korruption und insbesondere gegen Korruption auf hoher Ebene, indem die Korruptionsbekämpfungsgesetze rigoros durchgesetzt werden und die effektive Unabhängigkeit der Landesstaatsanwaltschaft für die Bekämpfung der Korruption (Parchet[u]l Na[ț]tional Anticorup[ț]ie (PNA)) sichergestellt wird und indem ab November 2005 einmal jährlich ein überzeugender Bericht über die Tätigkeit der PNA im Bereich der Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene vorgelegt wird. Die PNA muss mit allen personellen und finanziellen Mitteln sowie allen Schulungsmöglichkeiten und technischen Mitteln ausgestattet werden, die für die Wahrnehmung ihrer unerlässlichen Aufgabe erforderlich sind.

5.

Durchführung einer unabhängigen Prüfung der Ergebnisse und der Auswirkungen der derzeitigen nationalen Strategie zur Korruptionsbekämpfung; Berücksichtigung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen dieser Prüfung in der neuen mehrjährigen Strategie zur Korruptionsbekämpfung, die aus einem einzigen umfassenden Dokument bestehen und spätestens bis März 2005 vorliegen muss, parallel dazu Vorlage eines Aktionsplans, in dem die Benchmarks und die zu erzielenden Ergebnisse klar vorgegeben und angemessene Haushaltsvorschriften festgelegt werden; die Umsetzung der Strategie und die Durchführung des Aktionsplans müssen durch ein bestehendes Gremium überwacht werden, das klar definiert und unabhängig ist; in die Strategie muss die Verpflichtung aufgenommen werden, die schwerfällige Strafprozessordnung bis Ende 2005 zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass Korruptionsfälle rasch und auf transparente Weise bearbeitet und angemessene Sanktionen mit abschreckender Wirkung vorgesehen werden; ferner muss die Strategie Maßnahmen vorsehen, um die Zahl der mit der Verhütung oder der Untersuchung von Korruptionsfällen befassten Stellen bis Ende 2005 erheblich zu verringern, damit Kompetenzüberschneidungen vermieden werden.“

Entscheidung 2006/928

11

Die Entscheidung 2006/928 wurde, wie sich aus ihrer Präambel ergibt, auf der Grundlage des Beitrittsvertrags, „insbesondere [dessen] Artikel 4 Absatz 3“, sowie der Beitrittsakte, „insbesondere [deren] Artikel 37 und 38“, erlassen.

12

Die Erwägungsgründe 1 bis 6 und 9 dieser Entscheidung lauten:

„(1)

Die Europäische Union gründet auf dem Rechtsstaatsprinzip, das allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist.

(2)

Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und der Binnenmarkt, die mit dem Vertrag über die Europäische Union bzw. dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschaffen wurden, beruhen auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen und die Verwaltungs- und Gerichtspraxis aller Mitgliedstaaten in jeder Hinsicht mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang stehen.

(3)

Dies bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, unter anderem Korruption zu bekämpfen.

(4)

Am 1. Januar 2007 tritt Rumänien der Europäischen Union bei. Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass Rumänien erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die Vorbereitungen auf die Mitgliedschaft zum Abschluss zu bringen, hat jedoch in ihrem Bericht vom 26. September 2006 noch unerledigte Fragen insbesondere im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden ermittelt, bei denen es weiterer Fortschritte bedarf, um zu gewährleisten, dass sie die Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarkts und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umsetzen und anwenden können.

(5)

Nach Artikel 37 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass Rumänien die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft. Nach Artikel 38 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass in Rumänien ernste Mängel bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rechtsakten auftreten, die auf der Grundlage des Titels VI des EU-Vertrags oder des Titels IV des EG-Vertrags erlassen wurden.

(6)

Die noch unerledigten Fragen im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden erfordern die Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption.

(9)

Diese Entscheidung ist zu ändern, wenn die Bewertung durch die Kommission ergibt, dass die Vorgaben angepasst werden müssen. Diese Entscheidung ist aufzuheben, wenn alle Vorgaben zufriedenstellend erfüllt sind“.

13

Art. 1 der Entscheidung 2006/928 sieht vor:

„Bis zum 31. März jedes Jahres und zum ersten Mal bis zum 31. März 2007 erstattet Rumänien der Kommission Bericht über die Fortschritte bei der Erfüllung der im Anhang aufgeführten Vorgaben.

Die Kommission kann jederzeit mit verschiedenen Maßnahmen technische Hilfe leisten oder Informationen zu den Vorgaben sammeln und austauschen. Ferner kann die Kommission zu diesem Zweck jederzeit Fachleute nach Rumänien entsenden. Die rumänischen Behörden leisten in diesem Zusammenhang die erforderliche Unterstützung.“

14

Art. 2 dieser Entscheidung bestimmt:

„Die Kommission übermittelt dem Europäischen Parlament und dem Rat ihre Stellungnahme und ihre Feststellungen zum Bericht Rumäniens zum ersten Mal im Juni 2007.

Danach erstattet die Kommission nach Bedarf, mindestens jedoch alle sechs Monate erneut Bericht.“

15

Art. 3 der Entscheidung sieht vor:

„Diese Entscheidung tritt nur vorbehaltlich des Inkrafttretens des Beitrittsvertrags am Tag seines Inkrafttretens in Kraft.“

16

Art. 4 der Entscheidung lautet:

„Diese Entscheidung ist an alle Mitgliedstaaten gerichtet.“

17

Der Anhang der Entscheidung 2006/928 hat folgenden Wortlaut:

„Vorgaben für Rumänien nach Artikel 1:

1.

Gewährleistung transparenterer und leistungsfähigerer Gerichtsverfahren durch Stärkung der Kapazitäten und Rechenschaftspflicht des Obersten Richterrats, Berichterstattung und Kontrolle der Auswirkungen neuer Zivil- und Strafprozessordnungen,

2.

Einrichtung einer Behörde für Integrität mit folgenden Zuständigkeiten: Überprüfung von Vermögensverhältnissen, Unvereinbarkeiten und möglichen Interessenskonflikten und Verabschiedung verbindlicher Beschlüsse als Grundlage für abschreckende Sanktionen,

3.

Konsolidierung bereits erreichter Fortschritte bei der Durchführung fachmännischer und unparteiischer Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene,

4.

Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere in den Kommunalverwaltungen.“

Rumänisches Recht

Verfassung Rumäniens

18

Art. 115 Abs. 4 der Constituția României (Verfassung Rumäniens) sieht vor:

„Die Regierung kann Dringlichkeitsverordnungen nur in Ausnahmefällen erlassen, deren Regelung nicht aufgeschoben werden kann, und hat die Verpflichtung, in ihrem Inhalt die Gründe für ihre Dringlichkeit anzugeben“.

19

Art. 133 Abs. 1 und 2 der Verfassung bestimmt:

„(1)   Der Oberste Richterrat ist der Garant für die Unabhängigkeit der Justiz.

(2)   Der Oberste Richterrat setzt sich aus 19 Mitgliedern zusammen, von denen

a)

14 werden in den Generalversammlungen der Richter und Staatsanwälte gewählt und vom Senat bestätigt; diese gehören zu zwei Abteilungen, eine für Richter und eine für Staatsanwälte; die erste Abteilung besteht aus neun Richtern und die zweite aus fünf Staatsanwälten;

b)

zwei vom Senat gewählten Vertretern der Zivilgesellschaft, die Experten auf dem Gebiet des Rechts sind und über ein hohes berufliches und moralisches Ansehen verfügen; diese nehmen nur an den Plenarsitzungen teil;

c)

der Justizminister, der Präsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofhofs und der [Generalstaatsanwalt].“

20

Art. 134 der Verfassung lautet:

„(1)   Der Oberste Richterrat schlägt dem Präsidenten Rumäniens die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten, mit Ausnahme von Referendaren, unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen vor.

(2)   Der Oberste Richterrat erfüllt über seine Abteilungen die Rolle eines Rechtsprechungsorgans im Bereich der disziplinarrechtlichen Haftung von Richtern und Staatsanwälten gemäß dem durch sein Organisationsgesetz geregelten Verfahren. In diesen Fällen haben der Justizminister, der Präsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofhofs und der [Generalstaatsanwalt] kein Stimmrecht.“

(3)   Die disziplinarrechtlichen Entscheidungen des Obersten Richterrats können beim Obersten Kassations- und Gerichtshof angefochten werden.

(4)   Der Oberste Richterrat erfüllt bei der Wahrnehmung seiner Rolle als Garant für die Unabhängigkeit der Justiz auch andere Aufgaben, die durch sein Organisationsgesetz festgelegt sind.“

21

Art. 148 Abs. 2 bis 4 der Verfassung sieht vor:

„(2)   Die Vorschriften der Gründungsverträge der Europäischen Union sowie die anderen zwingenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gehen entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts nach Maßgabe der Beitrittsakte vor.

(3)   Die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 gelten entsprechend für den Beitritt zu den Änderungsakten der Gründungsverträge der Europäischen Union.

(4)   Das Parlament, der Präsident Rumäniens, die Regierung und die rechtsprechende Gewalt gewährleisten die Erfüllung der sich aus der Beitrittsakte und den Bestimmungen in Abs. 2 ergebenden Pflichten.“

Zivilgesetzbuch

22

Art. 1381 des Codul civil (Zivilgesetzbuch) bestimmt, dass „[j]eder Schaden … einen Anspruch auf Entschädigung begründet.“

Zivilprozessordnung

23

Art. 82 Abs. 1 des Codul de procedură civilă (Zivilprozessordnung) bestimmt:

„Fehlt ein Nachweis für die Vertretereigenschaft dessen, der im Namen einer Partei gehandelt hat, so setzt das Gericht eine kurze Frist zur Behebung des Mangels. Wird der Mangel nicht behoben, so wird die Klage für nichtig erklärt. …“

24

Art. 208 der Zivilprozessordnung lautet:

„(1)   Die Klageerwiderung ist mit Ausnahme der Fälle, in denen das Gesetz etwas anderes bestimmt, obligatorisch.

(2)   Wird innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist keine Klageerwiderung eingereicht, so ist der Beklagte nicht mehr berechtigt, Beweise vorzubringen oder Einreden – ausgenommen solche der öffentlichen Ordnung – geltend zu machen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.“

25

Art. 248 Abs. 1 der Zivilprozessordnung hat folgenden Wortlaut:

„Das Gericht entscheidet zunächst über die prozessualen und die materiellen Einreden, die eine Beweiserhebung oder gegebenenfalls eine Untersuchung in der Sache ganz oder teilweise entbehrlich machen.“

Strafprozessordnung

26

Art. 539 des Codul de procedură penală (Strafprozessordnung) bestimmt:

„(1)   Jede Person, der während des Strafverfahrens rechtswidrig die Freiheit entzogen wurde, hat ebenfalls einen Anspruch auf Entschädigung.

(2)   Die rechtswidrige Freiheitsentziehung muss auf einer Anordnung eines Staatsanwalts, einem endgültigen Beschluss eines für Sachen mit Bezug auf Rechte und Freiheiten zuständigen Richters oder eines Ermittlungsrichters oder einem endgültigen Beschluss oder Urteil des Gerichts, das zur Entscheidung über die Rechtssache berufen ist, beruhen.“

27

Art. 541 Abs. 1 und 2 der Strafprozessordnung sieht vor:

„(1)   Die Schadensersatzklage kann von der Person erhoben werden, die nach den Art. 538 und 539 dazu berechtigt ist, sowie – nach dem Tod dieser Person – von Dritten, wenn sie zum Zeitpunkt des Todes gegenüber der Person unterhaltsberechtigt sind.

(2)   Die Klage kann binnen sechs Monaten nach dem Tag eingereicht werden, an dem die Entscheidung des Gerichts, Anordnung der Staatsanwaltschaft oder Anordnung der Justizbehörden, mit der der Justizirrtum oder die rechtswidrige Freiheitsentziehung festgestellt wird, rechts- bzw. bestandskräftig wird.“

Justizgesetze

28

Mit dem Ziel, die Unabhängigkeit und Effizienz der Justiz zu verbessern, verabschiedete Rumänien im Lauf des Jahres 2004 im Rahmen der Verhandlungen über den Beitritt zur Union drei als „Justizgesetze“ bezeichnete Gesetze, nämlich die Legea nr. 303/2004 privind Statutul judecătorilor și procurorilor (Gesetz Nr. 303/2004 über den Status von Richtern und Staatsanwälten) vom 28. Juni 2004 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 826 vom 13. September 2005), die Legea nr. 304/2004 privind organizarea judiciară (Gesetz Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens) vom 28. Juni 2004 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 827 vom 13. September 2005) und die Legea nr. 317/2004 privind Consiliul Superior al Magistraturii (Gesetz Nr. 317/2004 über den Obersten Richterrat) vom 1. Juli 2004 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 827 vom 13. September 2005). In den Jahren 2017 bis 2019 wurden diese Gesetze durch auf der Grundlage von Art. 115 Abs. 4 der rumänischen Verfassung erlassene Gesetze und Dringlichkeitsverordnungen der Regierung geändert.

 Gesetz Nr. 303/2004

29

Das Gesetz Nr. 303/2004 wurde u. a. geändert durch

die Legea nr. 242/2018 (Gesetz Nr. 242/2018) vom 12. Oktober 2018 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 868 vom 15. Oktober 2018);

die Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 7/2019 (Dringlichkeitsverordnung Nr. 7/2019 der Regierung) vom 19. Februar 2019 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 137 vom 20. Februar 2019, im Folgenden: Dringlichkeitsverordnung Nr. 7/2019).

30

Art. 96 des Gesetzes Nr. 303/2004 in der so geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 303/2004 in geänderter Fassung) lautet wie folgt:

„(1)   Der Staat haftet mit seinem Vermögen für Schäden, die durch Justizirrtümer verursacht werden.

(2)   Die Haftung des Staates wird gemäß den gesetzlichen Vorgaben begründet und schließt die Haftung von Richtern und Staatsanwälten (auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind), die ihr Amt in bösem Glauben oder grob fahrlässig im Sinne von Art. 991 ausgeübt haben, nicht aus.

(3)   Ein Justizirrtum liegt vor, wenn

a)

im Rahmen des Prozesses die Durchführung von Prozesshandlungen unter offensichtlichem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften des materiellen und des Verfahrensrechts angeordnet wurde, wodurch die Rechte, Freiheiten und berechtigten Interessen der Person schwerwiegend verletzt wurden, und dadurch ein Schaden verursacht wurde, der nicht durch einen ordentlichen oder außerordentlichen Rechtsbehelf wiedergutgemacht werden konnte;

b)

eine endgültige gerichtliche Entscheidung erlassen wurde, die offensichtlich mit dem Gesetz oder dem Sachverhalt, wie er sich aus der Beweiserhebung in der Rechtssache ergibt, in Widerspruch steht, wodurch die Rechte, Freiheiten und berechtigten Interessen der Person schwerwiegend beeinträchtigt wurden, und der Schaden nicht durch einen ordentlichen oder außerordentlichen Rechtsbehelf wiedergutgemacht werden konnte.

(4)   Durch die Zivilprozessordnung und die Strafprozessordnung sowie durch andere Sondergesetze können spezielle Fälle geregelt werden, in denen ein Justizirrtum vorliegt.

(5)   Um Schadensersatz zu erlangen, kann der Geschädigte nur gegen den Staat, vertreten durch das Ministerium für öffentliche Finanzen, Klage erheben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die zivilrechtliche Klage liegt bei dem Gericht, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz hat.

(6)   Die Zahlung der als Schadensersatz geschuldeten Beträge durch den Staat erfolgt innerhalb eines Zeitraums von höchstens einem Jahr ab dem Tag der Bekanntgabe der endgültigen Gerichtsentscheidung.

(7)   Innerhalb von zwei Monaten nach der in Abs. 6 genannten Bekanntgabe der endgültigen Entscheidung über die Klage ruft das Ministerium für öffentliche Finanzen die Justizinspektion an, damit diese gemäß dem in Art. 741 des Gesetzes Nr. 317/2004 in der neu bekannt gemachten Fassung mit späteren Änderungen vorgesehenen Verfahren prüft, ob der Justizirrtum vom Richter oder Staatsanwalt in Ausübung seines Amts in bösem Glauben oder grob fahrlässig verursacht wurde.

(8)   Der Staat, vertreten durch das Ministerium für öffentliche Finanzen, erhebt gegen den Richter oder Staatsanwalt Regressklage, wenn er nach dem beratenden Bericht der Justizinspektion gemäß Abs. 7 und nach eigener Beurteilung der Ansicht ist, dass der Justizirrtum von dem Richter oder Staatsanwalt in Ausübung seines Amts in bösem Glauben oder grob fahrlässig verursacht wurde. Die Frist für die Erhebung der Regressklage beträgt sechs Monate ab dem Zeitpunkt der Übermittlung des Berichts der Justizinspektion.

(9)   Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Regressklage liegt in erster Instanz bei der Zivilkammer der Curtea de Apel [(Berufungsgericht)] in dem Gerichtsbezirk, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Ist der beklagte Richter bzw. Staatsanwalt bei dem Berufungsgericht bzw. bei der dem Berufungsgericht angegliederten Staatsanwaltschaft tätig, ist die Regressklage nach Wahl des Klägers bei dem Berufungsgericht eines angrenzenden Gerichtsbezirks zu erheben.

(10)   Gegen die in dem Verfahren gemäß Abs. 9 ergangene Entscheidung kann bei der zuständigen Kammer der Înalta Curte de Casație și Justiție [(Oberster Kassations- und Gerichtshof), Rumänien] Rechtsmittel eingelegt werden.

(11)   Der Oberste Richterrat legt innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Berufshaftpflichtversicherung der Richter und Staatsanwälte fest. Die Versicherung wird vollständig vom Richter bzw. Staatsanwalt getragen und ihr Fehlen kann die zivilrechtliche Haftung des Richters oder Staatsanwalts für den in Ausübung seines Amts in bösem Glauben oder grob fahrlässig verursachten Justizirrtum nicht verzögern, verringern oder beseitigen.“

31

Art. 991 des Gesetzes Nr. 303/2004 in geänderter Fassung bestimmt:

„(1)   Ein Richter bzw. Staatsanwalt handelt in bösem Glauben, wenn er Bestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts wissentlich verletzt und dabei beabsichtigt oder in Kauf nimmt, einer Person Schaden zuzufügen.

(2)   Ein Richter oder Staatsanwalt handelt grob fahrlässig, wenn er die Bestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts in fahrlässiger, schwerwiegender, unbestreitbarer und unentschuldbarer Weise missachtet.“

– Gesetz Nr. 304/2004

32

Das Gesetz Nr. 304/2004 wurde u. a. geändert durch

die Legea nr. 207/2018 (Gesetz Nr. 207/2018) vom 20. Juli 2018 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 636 vom 20. Juli 2018), die gemäß ihrem Art. III am 23. Oktober 2018 in Kraft getreten ist und mit der in Titel III („Staatsanwaltschaft“) Kapitel 2 des Gesetzes Nr. 304/2004 ein Abschnitt 21 betreffend die „AUSJ“ eingefügt wurde, der die Art. 881 bis 8811 des letztgenannten Gesetzes enthält;

die Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 90/2018 (Dringlichkeitsverordnung Nr. 90/2018 der Regierung) vom 10. Oktober 2018 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 862 vom 10. Oktober 2018, im Folgenden: Dringlichkeitsverordnung Nr. 90/2018 der Regierung), mit der u. a. Art. 882 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 304/2004 geändert und ein von den Art. 883 bis 885 dieses Gesetzes abweichendes Verfahren für die vorläufige Ernennung des leitenden Staatsanwalts, des stellvertretenden leitenden Staatsanwalts und mindestens eines Drittels der Staatsanwälte des AUSJ eingeführt wurde;

die Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 92/2018 (Dringlichkeitsverordnung Nr. 92/2018 der Regierung) vom 15. Oktober 2018 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 874 vom 16. Oktober 2018), mit der u. a. in Art. 882 des Gesetzes Nr. 304/2004 ein neuer Abs. 5 eingefügt und Art. 885 Abs. 5 dieses Gesetzes geändert wurde;

die Dringlichkeitsverordnung Nr. 7/2019, mit der u. a. ein Abs. 6 in Art. 881 des Gesetzes Nr. 304/2004, ein Abs. 111 und ein Abs. 112 in Art. 885 dieses Gesetzes sowie ein Buchst. e in Art. 888 Abs. 1 des Gesetzes eingefügt und Buchst. d von Art. 888 Abs. 1 des Gesetzes geändert wurde;

die Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 12/2019 pentru modificarea şi completarea unor acte normative în domeniul justiţiei (Dringlichkeitsverordnung Nr. 12/2019 der Regierung zur Änderung und Ergänzung von Gesetzgebungsakten im Bereich der Justiz) vom 5. März 2019 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 185 vom 7. März 2019), mit der u. a. die Art. 8810 und 8811 in das Gesetz Nr. 304/2004 eingefügt wurden, die sich u. a. auf die Abordnung von Beamten der Kriminalpolizei an die AUSJ beziehen.

33

Art. 881 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der so geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 304/2004 in geänderter Fassung) lautet:

„(1)   Innerhalb [der Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof] wird [die AUSJ] eingerichtet, die dort tätig ist und ausschließlich für die Strafverfolgung bei von Richtern und Staatsanwälten – einschließlich Militärrichtern und Militärstaatsanwälten und solchen, die Mitglieder des Obersten Richterrats sind – begangenen Straftaten zuständig ist.

(2)   Die [AUSJ] behält ihre Zuständigkeit für die Strafverfolgung auch dann, wenn neben den in Abs. 1 genannten Personen auch gegen andere Personen ermittelt wird.

(4)   Die [AUSJ] wird von einem leitenden Staatsanwalt der [AUSJ], dem ein stellvertretender leitender Staatsanwalt zur Seite steht, geleitet, die vom Plenum des Obersten Richterrats nach Maßgabe dieses Gesetzes in ihr Amt ernannt werden.

(5)   Der [Generalstaatsanwalt] entscheidet bei Zuständigkeitskonflikten, die zwischen der [AUSJ] und den anderen Strukturen und Einheiten der Staatsanwaltschaft auftreten.

(6)   Wird in der Strafprozessordnung oder anderen Spezialgesetzen in Sachen, die Straftaten in der Zuständigkeit der [AUSJ] betreffen, auf den „hierarchisch vorgesetzten Staatsanwalt“ verwiesen, so ist dies dahin zu verstehen, dass dieser Ausdruck auf den leitenden Staatsanwalt der Abteilung verweist, und zwar auch dann, wenn es um Entscheidungen geht, die getroffen wurden, bevor die Abteilung einsatzfähig wurde.“

34

Art. 882 dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)   Die [AUSJ] arbeitet nach den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, Unparteilichkeit und hierarchischen Kontrolle.

(2)   Die Delegierung oder Abordnung von Staatsanwälten an die [AUSJ] ist untersagt.

(3)   Die [AUSJ] arbeitet mit höchstens 15 Staatsanwälten.

(4)   Die Zahl der Stellen der [AUSJ] kann entsprechend dem Umfang der Tätigkeit durch Beschluss des [Generalstaatsanwalts] auf Antrag des leitenden Staatsanwalts der [AUSJ] mit Zustimmung des Plenums des Obersten Richterrats geändert werden.

(5)   Während der Dauer ihres Dienstes in der [AUSJ] stehen den Staatsanwälten … die Rechte abgeordneter Staatsanwälte nach Maßgabe des Gesetzes zu.“

35

Art. 883 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Der leitende Staatsanwalt der [AUSJ] wird vom Plenum des Obersten Richterrats nach einem Auswahlverfahren in sein Amt ernannt; das Auswahlverfahren besteht in der Vorstellung eines Projekts bezüglich der Wahrnehmung der spezifischen Aufgaben der entsprechenden Leitungsfunktion zur Feststellung der Managementfähigkeiten, der effizienten Verwaltung von Ressourcen, der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, der Kommunikationsfähigkeiten und der Stressresistenz sowie der Integrität des Bewerbers, der Bewertung seiner Tätigkeit als Staatsanwalt und seiner Einstellung zu spezifischen Werten des Berufs sowie zur Unabhängigkeit der Justiz oder zur Wahrung der Grundrechte und Grundfreiheiten.“

36

In Art. 884 Abs. 1 des Gesetzes heißt es:

„Der stellvertretende leitende Staatsanwalt der [AUSJ] wird vom Plenum des Obersten Richterrats auf mit Gründen versehenen Vorschlag des leitenden Staatsanwalts der [AUSJ] aus den bereits in die Abteilung ernannten Staatsanwälten ernannt.“

37

In Art. 885 des Gesetzes Nr. 304/2004 heißt es:

„(1)   Die [AUSJ] wird mit Staatsanwälten besetzt, die vom Plenum des Obersten Richterrats nach einem Auswahlverfahren in den Grenzen der im nach Maßgabe des Gesetzes genehmigten Stellenplan vorgesehenen Stellen für einen Zeitraum von drei Jahren mit der Möglichkeit der Fortführung der Tätigkeit innerhalb der Abteilung für einen Zeitraum von insgesamt höchstens neun Jahren ernannt werden.

(2)   Das Auswahlverfahren wird vor dem Auswahlausschuss, dessen Zusammensetzung in Art. 883 Abs. 2 geregelt ist und dem von Rechts wegen der leitende Staatsanwalt der [AUSJ] angehört, durchgeführt.

(11)   Die Ernennung in das Amt als Staatsanwalt bei der [AUSJ] erfolgt durch das Plenum des Obersten Richterrats im Rahmen der freien Stellen und in der Reihenfolge der erzielten Punkte.

(111)   Die Mitglieder der in diesem Artikel vorgesehenen Auswahlausschüsse unterliegen nicht der Unvereinbarkeit und stimmen im Plenum des Obersten Richterrats ab.

(112)   Die in Art. 883 bzw. Art. 885 vorgesehenen Auswahlausschüsse nehmen ihre Aufgaben rechtmäßig in Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern wahr.

(12)   Die Verfahren für die Ernennung, die Fortführung der Tätigkeit bei der [AUSJ] und die Abberufung aus Leitungs- und Exekutivfunktionen werden in einer vom Plenum des Obersten Richterrats genehmigten Verordnung festgelegt.“

38

Art. 887 dieses Gesetzes sieht vor:

„(1)   Staatsanwälte, die in die [AUSJ] ernannt worden sind, können vom Plenum des Obersten Richterrats auf mit Gründen versehenen Antrag des leitenden Staatsanwalts der [AUSJ] im Fall der Nichterfüllung der spezifischen Aufgaben ihres Amts abberufen werden, wenn sie mit Sanktionen belegt worden sind.

(2)   Im Falle der Abberufung kehrt der Staatsanwalt zu der Staatsanwaltschaft zurück, von der er kam, und erhält den Rang und die entsprechende Besoldung zurück, die ihm zuvor zustand oder die er nach Maßgabe des Gesetzes während der Tätigkeit in der [AUSJ] infolge von Beförderungen erworben hat.“

39

Art. 888 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„Die [AUSJ] hat folgende Aufgaben:

a)

die strafrechtliche Verfolgung nach Maßgabe [der Strafprozessordnung] von Straftaten, die in ihre Zuständigkeit fallen;

b)

die Anrufung der Gerichte zum Zweck des Erlasses gesetzlich vorgesehener Maßnahmen und zur Entscheidung in Sachen betreffend Straftaten nach Buchst. a;

c)

die Einrichtung und Aktualisierung der Datenbank im Bereich der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Straftaten;

e)

die Wahrnehmung sonstiger gesetzlich vorgesehener Aufgaben.“

40

In Art. II der Dringlichkeitsverordnung Nr. 90/2018 heißt es:

„(1)   Abweichend von den Bestimmungen der Art. 883 bis 885 des Gesetzes Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens in der geänderten und ergänzten Fassung werden bis zum Abschluss der Auswahlverfahren für die Ernennung des leitenden Staatsanwalts der [AUSJ] und der ausführenden Staatsanwälte der [AUSJ] sowie der Bewertung der Ergebnisse dieser Auswahlverfahren die Ämter des leitenden Staatsanwalts und mindestens eines Drittels der ausführenden Staatsanwälte vorläufig von Staatsanwälten wahrgenommen, die die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ernennung in dieses Amt erfüllen und von dem nach Art. 883 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der neu bekannt gemachten Fassung mit späteren Änderungen errichteten Auswahlausschuss ausgewählt werden.

(2)   Die Bewerber werden von dem nach Abs. 1 vorgesehenen Auswahlausschuss in einem Verfahren ausgewählt, das in höchstens fünf Kalendertagen ab dem Tag der Einleitung durch den Präsidenten des Obersten Richterrats durchgeführt wird. Der Auswahlausschuss übt seine Tätigkeit in Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern aus.

(10)   Zur Herstellung der Einsatzfähigkeit der [AUSJ] innerhalb von fünf Kalendertagen nach dem Inkrafttreten dieser Dringlichkeitsverordnung gewährleistet der [Generalstaatsanwalt] die Bereitstellung der personellen und materiellen Ressourcen, die für das Funktionieren der Abteilung erforderlich sind, einschließlich spezialisierten Hilfspersonals, Beamter und Bediensteter der Kriminalpolizei, Fachleuten und sonstigen Personals.

(11)   Ab dem Zeitpunkt der Herstellung der Einsatzfähigkeit der [AUSJ] werden in deren Zuständigkeit fallende Sachen, die bei der Nationalen Antikorruptionsdirektion und anderen Einheiten der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden, sowie Akten der Sachen betreffend Straftaten nach Art. 881 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 304/2004 in neu bekannt gemachter Fassung mit späteren Änderungen, über die bis zum Zeitpunkt dieser Herstellung der Einsatzfähigkeit bereits entschieden wurde, von der [AUSJ] übernommen.“

41

Die Einführung dieses Ausnahmeverfahrens wurde gemäß den Erwägungsgründen der Dringlichkeitsverordnung Nr. 90/2018 wie folgt begründet:

„In Anbetracht dessen, dass gemäß Artikel III Absatz 1 des Gesetzes Nr. 207/2018 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens ‚[d]ie [AUSJ] ihre Arbeit innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes auf[nimmt]‘, also am 23. Oktober 2018,

unter Berücksichtigung dessen, dass der Oberste Richterrat bisher das Verfahren zur Herstellung der Einsatzfähigkeit der [AUSJ] nicht innerhalb der gesetzlichen Frist abgeschlossen hat,

in Anbetracht dessen, dass das Gesetz ausdrücklich die Zuständigkeit dieser Abteilung für die Strafverfolgung bei von Richtern und Staatsanwälten – einschließlich Militärrichtern und Militärstaatsanwälten und solchen, die Mitglieder des Obersten Richterrats sind – begangenen Straftaten vorsieht und dass ab dem 23. Oktober 2018, dem gesetzlich festgelegten Datum für die Herstellung der Einsatzfähigkeit der Abteilung, die Nationale Antikorruptionsdirektion und die übrigen Staatsanwaltschaften nicht mehr für die strafrechtliche Verfolgung von durch diese Personen begangene Straftaten zuständig sein werden, was die gerichtlichen Verfahren in den Fällen, die in die Zuständigkeit der Abteilung fallen, schwerwiegend beeinträchtigen würde und einen institutionellen Stillstand verursachen könnte,

unter Berücksichtigung dessen, dass das geltende Gesetz keine Übergangsbestimmungen hinsichtlich der Herstellung der Einsatzfähigkeit der [AUSJ] für den Fall vorsieht, dass die im Gesetz Nr. 207/2018 bestimmte Frist überschritten wird, so dass der Erlass gesetzlicher Maßnahmen dringend erforderlich ist, die ein einfaches, von den Art. 883 bis 885 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der neu bekannt gemachten Fassung mit späteren Änderungen abweichendes Verfahren zur vorläufigen Ernennung des leitenden Staatsanwalts, des stellvertretenden leitenden Staatsanwalts und mindestens eines Drittels der Staatsanwälte der Abteilung regelt, wodurch die Herstellung der Einsatzfähigkeit der Abteilung innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist, d. h. bis zum 23. Oktober 2018, ermöglicht wird,

in der Erwägung, dass es sich bei der oben dargestellten Situation um eine außergewöhnliche Situation handelt, deren Regelung keinen Aufschub duldet“.

– Gesetz Nr. 317/2004

42

Das Gesetz Nr. 317/2004 wurde u. a. geändert durch

die Ordonanța de Urgență a Guvernului nr. 77/2018 (Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 der Regierung) vom 5. September 2018 (Monitorul Oficial al României Nr. 767 vom 5. September 2018, im Folgenden: Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018), mit der gemäß ihrem Art. I ein Abs. 7 und ein Abs. 8 in Art. 67 des Gesetzes Nr. 317/2004 eingefügt wurden;

die Legea nr. 234/2018 (Gesetz Nr. 234/2018) vom 4. Oktober 2018 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 850 vom 8. Oktober 2018), mit der u. a. die Art. 65 und 67 des Gesetzes Nr. 317/2004 geändert und in dieses ein Art. 741 eingefügt wurde;

die Dringlichkeitsverordnung Nr. 7/2019.

43

Art. 65 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes Nr. 317/2004 bestimmte in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 234/2018:

„(1)   Durch die Umstrukturierung der Justizinspektion wird die Justizinspektion als Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit innerhalb des Obersten Richterrats mit Sitz in Bukarest errichtet.

(2)   Die Justizinspektion wird von einem Chefinspekteur geleitet, der von einem stellvertretenden Chefinspekteur unterstützt wird, die beide nach einem Auswahlverfahren ernannt werden, das vom Obersten Richterrat ausgerichtet wird.

(3)   Die Justizinspektion handelt im Einklang mit dem Grundsatz der operativen Unabhängigkeit und führt durch nach gesetzlich festgelegten Bedingungen ernannte Justizinspekteure Analyse‑, Überprüfungs- und Kontrollaufgaben in bestimmten Tätigkeitsbereichen durch.“

44

Art. 67 des Gesetzes Nr. 317/2004 lautete:

„(1)   Der Chefinspekteur und der stellvertretende Chefinspekteur werden vom Plenum des Obersten Richterrats unter den im Amt befindlichen Justizinspekteuren nach einem Auswahlverfahren ernannt, das in der Vorstellung eines Projekts bezüglich der Wahrnehmung der spezifischen Aufgaben der betreffenden Leitungsposition sowie in einer schriftlichen Prüfung im Hinblick auf das Management, die Kommunikation, das Personalwesen, die Fähigkeit des Bewerbers, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, und die Stressresistenz sowie in einer psychologischen Prüfung besteht.

(2)   Das Auswahlverfahren wird vom Obersten Richterrat gemäß der durch Beschluss des Plenums des Obersten Richterrats … genehmigten Verordnung organisiert.

(3)   Die Organisation der Auswahlverfahren zur Besetzung der Ämter des Chefinspekteurs und des stellvertretenden Chefinspekteurs wird mindestens drei Monate im Voraus angekündigt.

(4)   Die Dauer des Mandats des Chefinspekteurs und des stellvertretenden Chefinspekteurs beträgt drei Jahre und kann unter Beachtung der Bestimmungen des Abs. 1 einmal verlängert werden.

(5)   Der Chefinspekteur und der stellvertretende Chefinspekteur können im Fall der Nichterfüllung oder der unzureichenden Erfüllung ihrer Leitungsaufgaben vom Plenum des Obersten Richterrats abberufen werden. Die Abberufung aus dem Amt wird auf der Grundlage des jährlichen Prüfberichts gemäß Art. 68 angeordnet.

(6)   Gegen den Beschluss des Plenums des Obersten Richterrats, mit dem die Abberufung angeordnet wird, kann innerhalb von 15 Tagen nach Bekanntgabe beim Senat für Verwaltungs- und Abgabenstreitsachen der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Justizgerichtshof) Klage erhoben werden. Die Klage hat hinsichtlich der Vollstreckung des Beschlusses des Obersten Richterrats aufschiebende Wirkung. Die Entscheidung, mit der über die Klage entschieden wird, ist unwiderruflich.

(7)   Im Fall einer Vakanz des Amts des Chefinspekteurs oder gegebenenfalls des stellvertretenden Chefinspekteurs der Justizinspektion infolge des Ablaufs des Mandats wird das Amt vorläufig bis zum Zeitpunkt der Besetzung dieses Amts nach Maßgabe des Gesetzes vom Chefinspekteur oder gegebenenfalls vom stellvertretenden Chefinspekteur, deren Mandate abgelaufen sind, besetzt.

(8)   Endet die Amtszeit des Chefinspekteurs aus einem anderen Grund als dem Ablauf des Mandats, so wird das Amt vorläufig bis zum Zeitpunkt der Besetzung dieses Amts nach Maßgabe des Gesetzes vom stellvertretenden Chefinspekteur besetzt. Endet die Amtszeit des stellvertretenden Chefinspekteurs aus einem anderen Grund als dem Ablauf des Mandats, so wird das Amt vorläufig bis zum Zeitpunkt der Besetzung dieses Amts nach Maßgabe des Gesetzes von einem vom Chefinspekteur ernannten Justizinspekteur besetzt.“

45

In Art. 741 des Gesetzes Nr. 317/2004, der aus dem Gesetz Nr. 234/2018 hervorgegangen ist, heißt es:

„(1)   Auf Ersuchen des Ministeriums für öffentliche Finanzen prüft die Justizinspektion in den Fällen und innerhalb der Fristen, die in Art. 96 des Gesetzes Nr. 303/2004 in der neu bekannt gemachten, später geänderten und ergänzten Fassung vorgesehen sind, ob der vom Richter oder Staatsanwalt verursachte Justizirrtum darauf beruht, dass er sein Amt in bösem Glauben oder grob fahrlässig ausgeübt hat.

(2)   Die Prüfung nach Abs. 1 ist innerhalb von 30 Tagen nach Stellung des Ersuchens abzuschließen. Der Chefinspekteur kann eine Fristverlängerung um bis zu 30 Tagen anordnen, wenn berechtigte Gründe dies rechtfertigen. Die maximale Prüfungsfrist darf 120 Tage nicht überschreiten.

(3)   Die Prüfung wird von einem Ausschuss durchgeführt, der entsprechend der Eigenschaft der betroffenen Person aus drei Richtern – Justizinspekteuren – oder drei Staatsanwälten – Justizinspekteuren – besteht. Betrifft eine Sache zugleich Richter und Staatsanwälte, werden zwei Ausschüsse eingesetzt, um den Sachverhalt entsprechend der Eigenschaft der betroffenen Personen getrennt zu ermitteln.

(4)   Betroffene Richter und Staatsanwälte sind im Rahmen der Ermittlungen anzuhören. Die Weigerung des Richters oder des Staatsanwalts, Angaben zu machen, wird im Protokoll ordnungsgemäß vermerkt und hindert nicht den Abschluss der Prüfungen. Der betroffene Richter oder Staatsanwalt ist berechtigt, von allen Handlungen des Prüfungsverfahrens Kenntnis zu nehmen und Entlastungsbeweise zu verlangen. Die Inspekteure können sämtliche Personen anhören, die an der Sache, die diese Prüfungen erfordert, beteiligt waren.

(5)   Über die durchgeführten Prüfungen wird auf der Grundlage der erhobenen Beweise ein Bericht erstellt, so dass die Justizinspektion beurteilen kann, ob der Richter oder Staatsanwalt den Justizirrtum in bösem Glauben oder grob fahrlässig begangen hat.

(6)   Die Prüfungen nach Abs. 1 werden auch dann durchgeführt, wenn der Richter oder Staatsanwalt nicht mehr im Amt ist.

(7)   Der Bericht wird dem Ministerium für öffentliche Finanzen und dem betroffenen Richter oder Staatsanwalt übermittelt.

(8)   Der Bericht nach Abs. 5 muss vom Chefinspekteur bestätigt werden. Dieser kann einmalig unter Angabe von Gründen eine Ergänzung der Prüfungen anordnen. Die Ergänzung hat der Ausschuss innerhalb von höchstens 30 Tagen ab dem Tag der Anordnung durch den Chefinspekteur vorzunehmen.“

46

In Art. II der Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 heißt es:

„Art. 67 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 317/2004 über den Obersten Richterrat in der neu bekannt gemachten Fassung mit späteren Änderungen sowie mit den durch die vorliegende Dringlichkeitsverordnung vorgenommenen Ergänzungen gilt auch für die Fälle, in denen das Amt des Chefinspekteurs oder gegebenenfalls des stellvertretenden Chefinspekteurs der Justizinspektion zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Dringlichkeitsverordnung vakant ist.“

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

Den Ausgangsrechtsstreitigkeiten gemeinsame Gesichtspunkte

47

Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten haben sich aus einer umfangreichen Reform im Bereich Justiz und Korruptionsbekämpfung in Rumänien ergeben, die seit 2007 auf Unionsebene gemäß dem durch die Entscheidung 2006/928 anlässlich des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union eingeführten Verfahren für Zusammenarbeit und Überprüfung (im Folgenden: VZÜ) überwacht wird.

48

In den Jahren 2017 bis 2019 änderte der rumänische Gesetzgeber mehrfach die Gesetze Nrn. 303/2004, 304/2004 und 317/2004. Die Kläger der Ausgangsverfahren stellen die Vereinbarkeit einiger dieser Änderungen, insbesondere der Änderungen betreffend die Organisation der Justizinspektion (Rechtssache C‑83/19), die Errichtung der AUSJ innerhalb der Staatsanwaltschaft (Rechtssachen C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19) sowie die Regelung der persönlichen Haftung der Richter und Staatsanwälte (Rechtssache C‑397/19) mit dem Unionsrecht in Abrede.

49

Zur Stützung ihrer Klagen verweisen die Kläger der Ausgangsverfahren auf die Berichte der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über Rumäniens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens vom 25. Januar 2017 (COM[2017] 44 final, im Folgenden: VZÜ-Bericht vom Januar 2017), vom 15. November 2017 (COM[2017] 751 final) und vom 13. November 2018 (COM[2018] 851 final, im Folgenden: VZÜ-Bericht vom November 2018), auf die Stellungnahme Nr. 924/2018 der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) vom 20. Oktober 2018 zu den Änderungsentwürfen zum Gesetz Nr. 303/2004 über den Status von Richtern und Staatsanwälten, zum Gesetz Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens und zum Gesetz Nr. 317/2004 über den Obersten Richterrat (CDL-AD[2018]017) sowie auf den Bericht der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) über Rumänien, angenommen am 23. März 2018 (Greco-AdHocRep[2018]2), die Stellungnahme des Beirats Europäischer Richter (CCJE) vom 25. April 2019 (CCJE‑BU[2019]4) und die Stellungnahme des Beirats Europäischer Staatsanwälte vom 16. Mai 2019 (CCPE‑BU[2019]3). Nach Ansicht der Kläger enthalten diese Berichte und Stellungnahmen nämlich Kritik an den von Rumänien in den Jahren 2017 bis 2019 erlassenen Vorschriften, was die Wirksamkeit der Korruptionsbekämpfung und die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz anbelangt, und geben Empfehlungen für eine Änderung, Aussetzung oder Aufhebung dieser Vorschriften.

50

Die vorlegenden Gerichte fragen insoweit nach der Natur und den Rechtswirkungen des VZÜ sowie nach der Tragweite der von der Kommission im Rahmen des VZÜ erstellten Berichte. Sie weisen im Wesentlichen darauf hin, dass das auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte eingerichtete VZÜ die Unzulänglichkeiten der in Rumänien durchgeführten Reformen im Bereich der Organisation des Justizwesens und der Korruptionsbekämpfung beheben solle, um diesen Staat in die Lage zu versetzen, die sich aus dem Status eines Mitgliedstaats ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Außerdem hätten die Berichte, die die Kommission im Rahmen des VZÜ erstellt habe, u. a. den Zweck, die von den rumänischen Behörden unternommenen Anstrengungen zu lenken, und enthielten spezifische Anforderungen und Empfehlungen. Nach Ansicht dieser Gerichte sind Inhalt, Rechtsnatur und Dauer dieses Verfahrens als in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags fallend anzusehen, so dass die in diesen Berichten aufgestellten Anforderungen für Rumänien verbindlich sein müssten.

51

In diesem Zusammenhang verweisen die vorlegenden Gerichte auf mehrere Urteile der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien), in denen auf diese Frage eingegangen wurde, darunter das Urteil Nr. 104 vom 6. März 2018. Nach diesem Urteil habe das Unionsrecht keinen Vorrang vor der rumänischen Verfassungsordnung, und die Entscheidung 2006/928 könne keine Bezugsnorm im Rahmen einer Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit nach Art. 148 der Verfassung darstellen, da diese Entscheidung vor dem Beitritt Rumäniens zur Union erlassen worden sei und in Bezug auf die Frage, ob ihr Inhalt, ihre Rechtsnatur und ihre Dauer in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags fielen, nicht Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof gewesen sei.

Rechtssache C‑83/19

52

Mit am 27. August 2018 bei der Justizinspektion eingegangenem Antrag ersuchte das Forum der Richter Rumäniens die Justizinspektion um Übermittlung statistischer Informationen über deren Tätigkeit im Zeitraum 2014-2018, insbesondere über die Zahl der eingeleiteten Disziplinarverfahren, über die Gründe für die Einleitung dieser Verfahren und über deren Ausgang sowie über eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Justizinspektion und dem Serviciul Român de Informaţii (Rumänischer Nachrichtendienst) und die Beteiligung des Letzteren an den durchgeführten Ermittlungen.

53

Da das Forum der Richter Rumäniens der Ansicht war, dass die Justizinspektion dadurch, dass sie diesem Antrag, der Informationen von öffentlichem Interesse betroffen habe, nur teilweise entsprochen habe, ihren rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, erhob sie am 24. September 2018 beim Tribunalul Olt (Landgericht Olt, Rumänien) Klage mit dem Antrag, der Justizinspektion aufzugeben, die betreffenden Informationen zu übermitteln.

54

Am 26. Oktober 2018 reichte die Justizinspektion bei diesem Gericht eine Klageerwiderung ein, in der sie ausführte, dass die subjektiven Rechte des Forums der Richter Rumäniens aus der Legea nr. 544/2001 privind liberul acces la informațiile de interes public (Gesetz Nr. 544/2001 über den freien Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse) vom 12. Oktober 2001 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 663 vom 23. Oktober 2001) nicht verletzt worden seien und dass die Klage daher abzuweisen sei. Die Klageerwiderung war von Herrn Lucian Netejoru, der als Chefinspekteur der Justizinspektion vorgestellt wurde, unterzeichnet.

55

In seiner Replik erhob das Forum der Richter Rumäniens eine Einrede, die darauf gestützt war, dass der Unterzeichner der Klageerwiderung seine Befugnis zur Vertretung der Justizinspektion nicht nachgewiesen habe. Herr Netejoru sei zwar durch einen Beschluss des Plenums des Obersten Richterrats vom 30. Juni 2015 mit Wirkung vom 1. September 2015 tatsächlich zum Chefinspekteur der Justizinspektion ernannt worden, doch sei seine dreijährige Amtszeit am 31. August 2018, also vor Einreichung der Klageerwiderung, abgelaufen gewesen.

56

Nach Ansicht des Forums der Richter Rumäniens sehen die Bestimmungen des Art. 67 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 317/2004 zwar vor, dass für den Fall, dass das Amt des Chefinspekteurs nach Ablauf des Mandats vakant werde, das Amt vorläufig bis zum Zeitpunkt der Besetzung nach Maßgabe des Gesetzes mit dem Chefinspekteur besetzt werde, dessen Mandat abgelaufen sei. Jedoch seien diese Bestimmungen, die sich aus der Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 ergäben, verfassungswidrig, da sie die sich aus der in Art. 133 Abs. 1 der Verfassung verankerten Rolle des Oberste Richterrats als Garant für die Unabhängigkeit der Justiz für den Obersten Richterrat ergebenden Befugnisse beeinträchtigten, den Chefinspekteur und den stellvertretenden Chefinspekteur der Justizinspektion zu ernennen und, falls diese Ämter vakant würden, Personen zu benennen, um die vorläufige Besetzung dieser Ämter zu gewährleisten. Außerdem sei diese Dringlichkeitsverordnung zu dem Zweck erlassen worden, die Ernennung bestimmter Personen zu ermöglichen, wie sich aus der Begründung dieser Verordnung ergebe.

57

Das Forum der Richter Rumäniens führte weiter aus, dass die Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 in Anbetracht der umfangreichen Befugnisse des Chefinspekteurs und des stellvertretenden Chefinspekteurs der Justizinspektion gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter verstoße, dessen Gewährleistung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ihrem Auftrag inhärent und nach Art. 19 EUV erforderlich sei, was durch den VZÜ-Bericht vom November 2018 bestätigt werde. Der Chefinspekteur und der stellvertretende Chefinspekteur seien nämlich für die Kontrolle der Auswahl der Justizinspekteure, die Ernennung der mit Leitungsfunktionen betrauten Justizinspekteure, der Kontrolle der Inspektionstätigkeit und die Erhebung der Disziplinarklage zuständig.

58

Das Forum der Richter Rumäniens schloss daraus, dass die Klageerwiderung, da sie von einer Person unterzeichnet worden sei, die auf der Grundlage verfassungswidriger und unionsrechtswidriger Bestimmungen in das Amt des Chefinspekteurs der Justizinspektion ernannt worden sei, nach den einschlägigen Bestimmungen der Zivilprozessordnung aus den Akten zu entfernen sei.

59

Die Justizinspektion erwiderte darauf, dass Herr Netejoru gemäß dem Beschluss des Plenums des Obersten Richterrats vom 30. Juni 2015 und Art. 67 Abs. 7 des Gesetzes Nr. 317/2004 rechtlich befugt gewesen sei, sie zu vertreten.

60

Das Tribunalul Olt (Landgericht Olt) weist darauf hin, dass die Erwägungen des Forums der Richter Rumäniens die Frage aufwürfen, ob das Erfordernis der Unabhängigkeit der Justiz die Mitgliedstaaten verpflichte, die Maßnahmen, die für einen wirksamen Rechtsschutz in den durch das Unionsrecht erfassten Bereichen erforderlich seien, festzulegen, insbesondere die Unabhängigkeit des Disziplinarverfahren betreffend Richter zu gewährleisten, indem jegliche Gefahren beseitigt würden, die mit dem politischen Einfluss auf die Durchführung eines solchen Verfahrens verbunden seien, wie diejenigen, die sich aus der unmittelbaren Ernennung der leitenden Mitglieder des mit der Durchführung dieses Verfahrens betrauten Organs durch die Regierung ergeben könnten, selbst wenn diese Ernennung nur vorübergehend erfolge.

61

In diesem Zusammenhang seien der Status und die rechtlichen Wirkungen der von der Kommission im Rahmen des VZÜ erstellten Berichte zu klären, damit das vorlegende Gericht über die prozessuale Einrede, die darauf gestützt werde, dass der Unterzeichner der Klageerwiderung nicht befugt sei, die Beklagte des Ausgangsverfahrens zu vertreten, sowie über das Schicksal dieser Klageerwiderung und die von dieser Partei vorgelegten Beweise und vorgebrachten Einwände entscheiden könne. Sollte der Gerichtshof entscheiden, dass das VZÜ verbindlich sei und dass das Primärrecht der Union dem Erlass von Bestimmungen wie der Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 entgegenstehe, wäre die Vertretung der Justizinspektion zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageerwiderung ohne rechtliche Grundlage gewesen, und zwar ungeachtet des späteren Erlasses eines Beschlusses des Plenums des Obersten Richterrats über die Ernennung von Herrn Netejoru in das Amt des Chefinspekteurs der Justizinspektion.

62

Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Olt (Landgericht Olt) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ als Handlung eines Organs der Europäischen Union im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen, die dem Gerichtshof zur Auslegung vorgelegt werden kann?

2.

Fallen Inhalt, Charakter und zeitlicher Geltungsbereich des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ unter den Beitrittsvertrag? Sind die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich?

3.

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Maßnahmen, die für einen wirksamen Rechtsschutz in den durch das Unionsrecht erfassten Bereichen erforderlich sind, festzulegen, d. h. Garantien für ein unabhängiges Disziplinarverfahren für Richter in Rumänien, indem jegliche Gefahr, die mit dem politischen Einfluss auf die Durchführung von Disziplinarverfahren verbunden ist, wie etwa die unmittelbare Ernennung, sei es auch nur vorläufig, der Leitung der Justizinspektion durch die Regierung, beseitigt wird?

4.

Ist Art. 2 EUV dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, im Fall von Verfahren zur unmittelbaren Ernennung, sei es auch nur vorläufig, der Leitung der Justizinspektion durch die Regierung die Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, die auch in den Berichten im Rahmen des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ gefordert werden?

63

Mit Beschluss vom 8. Februar 2019 verwies die Curtea de Apel Craiova (Berufungsgericht Craiova, Rumänien) das Ausgangsverfahren auf Antrag der Justizinspektion unter Aufrechterhaltung der vorgenommenen Verfahrenshandlungen an das Tribunalul Mehedinţi (Landgericht Mehedinţi, Rumänien).

64

Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Olt (Landgericht Olt) mit Beschluss vom 12. Februar 2019 entschieden, sich im Ausgangsverfahren für unzuständig zu erklären, die Akte an das Tribunalul Mehedinţi (Landgericht Mehedinţi) zu übermitteln und den Gerichtshof darüber in Kenntnis zu setzen, wobei es klargestellt hat, dass das Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof aufrechterhalte werde.

Rechtssache C‑127/19

65

Am 13. Dezember 2018 erhoben das Forum der Richter Rumäniens und die Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte bei der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti, Rumänien) Klage auf Nichtigerklärung der Beschlüsse Nrn. 910 und 911 des Plenums des Obersten Richterrats vom 19. September 2018 zur Genehmigung der Verordnung über die Ernennung und Abberufung von Staatsanwälten mit Leitungsaufgaben innerhalb der AUSJ bzw. der Verordnung über die Ernennung, Fortführung der Tätigkeit und Abberufung von Staatsanwälten mit Exekutivaufgaben innerhalb der AUSJ. Zur Stützung ihrer Klage machten diese Vereinigungen geltend, dass diese Entscheidungen u. a. gegen Art. 148 der rumänischen Verfassung verstießen, wonach Rumänien verpflichtet sei, den Verpflichtungen aus den Verträgen, bei denen es Partei sei, nachzukommen.

66

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es sich bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beschlüssen um Verwaltungshandlungen mit normativem Charakter handele und dass sie auf der Grundlage von Art. 885 Abs. 12 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung erlassen worden seien, der aus dem Gesetz Nr. 207/2018 hervorgegangen sei. Was die Errichtung der AUSJ anbelangt, habe die Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) in ihrem Urteil Nr. 33 vom 23. Januar 2018 die Rügen zurückgewiesen, die auf die Feststellung gerichtet gewesen seien, dass diese Errichtung gegen das Unionsrecht und damit gegen die Verpflichtungen aus Art. 148 der rumänischen Verfassung verstoße, da zur Stützung dieser Rügen kein verbindlicher Rechtsakt der Union wirksam habe geltend gemacht werden können.

67

Die Kläger des Ausgangsverfahrens, die sich auf die in Rn. 49 des vorliegenden Urteils genannten Berichte und Stellungnahmen beziehen, sind jedoch der Ansicht, dass die Errichtung der AUSJ als solche ebenso wie die Modalitäten ihrer Arbeitsweise sowie der Ernennung und Entlassung der Staatsanwälte gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen die sich aus dem VZÜ ergebenden Anforderungen, verstießen.

68

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass zwar das VZÜ und die von der Kommission im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichte eine Verpflichtung begründeten, der der rumänische Staat nachkommen müsse, eine solche Verpflichtung aber auch den Verwaltungsbehörden wie dem Obersten Richterrat, wenn er eine abgeleitete Regelung wie die in Rn. 65 des vorliegenden Urteils genannte erlasse, sowie den nationalen Gerichten obliege. Insbesondere unter Berücksichtigung der Entwicklung der in Rn. 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) würde die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits jedoch eine Klärung der Natur und der Rechtswirkungen des VZÜ und der auf dessen Grundlage angenommenen Berichte erfordern.

69

Außerdem hegt das vorlegende Gericht Zweifel, ob die Grundsätze des Unionsrechts – insbesondere die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der loyalen Zusammenarbeit und der richterlichen Unabhängigkeit – der nationalen Regelung über die AUSJ entgegenstehen. Diese Abteilung könnte nämlich zu dem Zweck missbraucht werden, den spezialisierten Staatsanwaltschaften bestimmte laufende sensible Fälle im Bereich der Bekämpfung der Korruption zu entziehen und so die Wirksamkeit dieser Bekämpfung zu beeinträchtigen.

70

Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ als Handlung eines Organs der Europäischen Union im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen, die dem Gerichtshof zur Auslegung vorgelegt werden kann?

2.

Fallen Inhalt, Charakter und zeitlicher Geltungsbereich des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ unter den Beitrittsvertrag? Sind die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich?

3.

Ist Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Mitgliedstaats, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, auch das Erfordernis umfasst, dass Rumänien die mit den Berichten im Rahmen des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ aufgestellten Anforderungen erfüllt?

4.

Steht Art. 2 EUV, insbesondere das Erfordernis, die Werte der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, Rechtsvorschriften entgegen, mit denen die AUSJ im Rahmen der Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof eingerichtet und organisiert wird, da die Möglichkeit besteht, dass mittelbar Druck auf Richter und Staatsanwälte ausgeübt wird?

5.

Steht der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, der in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verankert ist, in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117) der Errichtung der AUSJ im Rahmen der Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof) entgegen, wenn man die Modalitäten der Ernennung/Abberufung der Staatsanwälte, die dieser Abteilung angehören, die Modalitäten der Ausübung der Tätigkeit in deren Rahmen und die Art und Weise der Festlegung der Zuständigkeit bezogen auf die geringe Anzahl von Stellen dieser Abteilung berücksichtigt?

71

Mit Schreiben vom 15. Juni 2020, das am 1. Juli 2020 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat die Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti) dem Gerichtshof mitgeteilt, dass die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) das Ausgangsverfahren auf Ersuchen des Obersten Richterrats mit Beschluss vom 10. Juni 2019 an die Curtea de Apel Alba Iulia (Berufungsgericht Alba Iulia) verwiesen habe. In diesem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass die von der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti) vorgenommenen Verfahrenshandlungen aufrechterhalten blieben.

Rechtssache C‑195/19

72

PJ erstattete bei der Staatsanwaltschaft bei der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) gegen QK Anzeige wegen Amtsmissbrauchs. Zur Stützung dieser Anzeige machte PJ geltend, QK habe diese Straftat im Rahmen seiner richterlichen Tätigkeit begangen, indem er einen Antrag in Bezug auf eine Steuerstreitigkeit mit der Verwaltung für öffentliche Finanzen als unbegründet zurückgewiesen habe, ohne seiner gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen zu sein, seine Entscheidung innerhalb von 30 Tagen nach deren Verkündung zu begründen. PJ brachte ferner vor, der Begründungsmangel habe ihn daran gehindert, Rechtsmittel gegen diese Entscheidung einzulegen.

73

Nachdem der für die Bearbeitung der Anzeige zuständige Staatsanwalt zunächst mit Beschluss vom 28. September 2018 entschieden hatte, gegen QK ein Strafverfahren einzuleiten, stellte er schließlich mit Beschluss vom 1. Oktober 2018 das Verfahren mit der Begründung ein, dass der behauptete Amtsmissbrauch nicht nachgewiesen sei.

74

Gegen diesen Beschluss legte PJ am 18. Oktober 2018 Beschwerde ein.

75

Am 24. Oktober 2018 verwies die Staatsanwaltschaft bei der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest) die Beschwerde gemäß Art. 881 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung in Verbindung mit Art. III des Gesetzes Nr. 207/2018 an die AUSJ, da diese Beschwerde eine Person in ihrer Eigenschaft als Richter betraf.

76

Nachdem der stellvertretende leitende Staatsanwalt dieser Abteilung die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob PJ Klage bei der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest).

77

Das vorlegende Gericht führt aus, dass es, sollte es der Klage von PJ stattgeben, die Sache an die AUSJ zurückverweisen müsste, so dass sich die Frage stelle, ob die nationale Regelung, durch die diese Abteilung errichtet worden sei, mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Sollte diese Frage verneint werden, wäre die Nichtigkeit aller von der AUSJ im Ausgangsverfahren vorgenommenen Handlungen festzustellen. Die Auslegung des Gerichtshofs wäre auch bei der Bestimmung derjenigen Einheit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen, die künftig für die Entscheidung über die Anzeige von PJ zuständig sei.

78

In diesem Zusammenhang sei in Anbetracht der Schlussfolgerungen im VZÜ-Bericht von November 2018 die Frage nach den Rechtswirkungen des VZÜ zu stellen, da die Bestimmungen des nationalen Rechts über die Errichtung der AUSJ in dem Fall, dass dieses Verfahren für Rumänien verbindlich sei, auszusetzen seien. Ganz allgemein und unabhängig von der Verbindlichkeit des genannten Verfahrens stelle sich die Frage, ob Art. 67 Abs. 1 AEUV, Art. 2 Satz 1 und Art. 9 Satz 1 EUV der Errichtung einer Abteilung wie der AUSJ entgegenstünden, die ausschließlich für die Ermittlung jeder Art von Straftaten zuständig sei, die von Staatsanwälten oder Richtern begangen würden. Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass es die in der – in Rn. 49 des vorliegenden Urteils genannten – Stellungnahme der Venedig-Kommission enthaltenen Beurteilungen in vollem Umfang teile.

79

Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in Anbetracht der in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) die ernsthafte Gefahr bestehe, dass den Antworten des Gerichtshofs auf diese Fragen im innerstaatlichen Recht keine Wirkung zukommen werde.

80

Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ und die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich?

2.

Stehen Art. 67 Abs. 1 AEUV, Art. 2 Satz 1 und Art. 9 Satz 1 EUV einer innerstaatlichen Regelung entgegen, mit der eine staatsanwaltschaftliche Abteilung eingerichtet wird, die ausschließlich für die Ermittlung jeder Art von Straftaten zuständig ist, die von Richtern oder Staatsanwälten begangen werden?

3.

Steht der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, wie er im Urteil vom 15. Juli 1964, Costa (6/64, EU:C:1964:66), und der späteren ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs verankert ist, einer innerstaatlichen Regelung entgegen, die es einer politisch-rechtsprechenden Institution wie der Curtea Constituțională a României (Verfassungsgerichtshof Rumäniens) erlaubt, durch Entscheidungen, gegen die kein Rechtsweg eröffnet ist, gegen den vorgenannten Grundsatz zu verstoßen?

Rechtssache C‑291/19

81

Im Dezember 2015 und Februar 2016 erstattete SO gegen mehrere Staatsanwälte und Richter Anzeige wegen Amtsmissbrauchs und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Diese Anzeigen wurden bei der Abteilung für die Bekämpfung von Korruptionsdelikten gleichgestellten Straftaten der Direcția Națională Anticorupție (DNA) (Nationale Antikorruptionsdirektion, Rumänien) registriert, die der Staatsanwaltschaft bei der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) untersteht.

82

Mit Beschluss vom 8. September 2017 ordnete der zuständige Staatsanwalt dieser Abteilung die Einstellung des Verfahrens bezüglich dieser Anzeigen an. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss des leitenden Staatsanwalts dieser Abteilung vom 20. Oktober 2017 zurückgewiesen.

83

SO erhob gegen diese Beschlüsse Klage bei der Curtea de Apel Constanța (Berufungsgericht Constanța, Rumänien). Nachdem diese sich für unzuständig erklärt hatte, wurde die Klage der Curtea de Apel Brașov (Berufungsgericht Brașov, Rumänien) übermittelt.

84

Im Rahmen dieses Verfahrens wurde die Staatsanwaltschaft zunächst durch einen Staatsanwalt der Dienststelle Braşov der DNA vertreten. Beginnend zum 1. März 2019 wurde die Staatsanwaltschaft aufgrund der Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der Zuständigkeit für Straftaten innerhalb der Justiz von einem Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft bei der Curtea de Apel Brașov (Berufungsgericht Brașov) vertreten.

85

Dieses Gericht führt aus, dass die Fortführung des Ausgangsverfahrens sowohl im Stadium der Strafverfolgung als auch im gerichtlichen Stadium die Beteiligung von Staatsanwälten der AUSJ voraussetze, da es, sollte es die von SO erhobene Klage für begründet erachten, verpflichtet wäre, die Sache zum Zweck der Strafverfolgung an diese Abteilung zu verweisen. Daher hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, die Vereinbarkeit der nationalen Bestimmungen über die Errichtung der AUSJ mit den Bestimmungen des Unionsrechts zu prüfen.

86

Insoweit wirft das vorlegende Gericht jedoch zunächst die Frage nach der rechtlichen Tragweite der Entscheidung 2006/928 und des durch diese Entscheidung eingeführten VZÜ auf. Außerdem weist es darauf hin, dass in den VZÜ-Berichten von Januar 2017 und November 2018 sowie in den weiteren Berichten und Stellungnahmen, auf die darin Bezug genommen werde, starke Kritik an der Errichtung der AUSJ geäußert werde. Sollte das VZÜ für Rumänien verbindlich sein, müsste das vorlegende Gericht feststellen, dass die nationalen Bestimmungen, mit denen diese Abteilung errichtet worden sei, ausgesetzt seien oder ausgesetzt werden müssten.

87

Sodann fragt sich das vorlegende Gericht jedenfalls, ob die Errichtung der AUSJ mit den Grundsätzen, auf denen die Rechtsordnung der Union beruht, wie den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, der loyalen Zusammenarbeit und der richterlichen Unabhängigkeit im Einklang steht. Bezüglich des letztgenannten Aspekts weist es darauf hin, dass, da die Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter oder Staatsanwalt zu dessen Suspendierung führen könne, die Existenz der AUSJ angesichts ihrer Organisation und ihrer Arbeitsweise als ein Druckfaktor angesehen werden könnte, der geeignet sei, die richterliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen.

88

Außerdem wiesen die Modalitäten für die Ernennung des leitenden Staatsanwalts und der 14 übrigen Staatsanwälte der AUSJ im Hinblick auf das Erfordernis der Unparteilichkeit keine hinreichenden Garantien auf, was sich auf die Ausübung der Tätigkeit der AUSJ auswirken könne. Insoweit hätten die letzten, durch die Dringlichkeitsverordnung Nr. 7/2019 erfolgten Änderungen des Gesetzes Nr. 304/2004 praktisch zur Folge, dass die AUSJ der Amtsgewalt des Generalstaatsanwalts entzogen werde.

89

Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass die AUSJ zwar nur aus 15 Staatsanwälten bestehe, aber über die ausschließliche Zuständigkeit für die Strafverfolgung nicht nur von Richtern und Staatsanwälten, sondern auch aller Personen in Fällen verfüge, in denen ein Richter oder Staatsanwalt beschuldigt werde, was eine große Zahl von Fällen darstelle, die ein Mindestmaß an Ermittlungen erforderten. Bis zur Errichtung der AUSJ seien die Anzeigen, die zu einer solchen Strafverfolgung führen könnten, von mehr als 150 Staatsanwälten, die mehreren Zweigen der Staatsanwaltschaft angehörten, wie den Staatsanwaltschaften bei den verschiedenen Berufungsgerichten und der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof), der DNA und der Direcția de Investigare a Infracțiunilor de Criminalitate Organizată și Terorism (DIICOT) (Direktion für die Ermittlung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus) geprüft worden. Daher stelle sich die Frage, ob diese Abteilung die bei ihr anhängigen Fälle in angemessener Weise und innerhalb angemessenen Frist bearbeiten könne.

90

Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Brașov (Berufungsgericht Brașov) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ als Handlung eines Organs der Europäischen Union im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen, die dem Gerichtshof zur Auslegung vorgelegt werden kann?

2.

Sind die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich, insbesondere (aber nicht nur) hinsichtlich der Notwendigkeit legislativer Änderungen im Einklang mit den Schlussfolgerungen des VZÜ sowie den Empfehlungen der Venedig-Kommission und der GRECO?

3.

Ist Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Mitgliedstaats, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, auch das Erfordernis umfasst, dass Rumänien die mit den Berichten im Rahmen des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ aufgestellten Anforderungen erfüllt?

4.

Steht der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, der in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verankert ist, in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117) der Errichtung der AUSJ im Rahmen der Staatsanwaltschaft bei der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) entgegen, wenn man die Modalitäten der Ernennung/Abberufung der Staatsanwälte, die dieser Abteilung angehören, die Modalitäten der Ausübung der Tätigkeit in deren Rahmen und die Art und Weise der Festlegung der Zuständigkeit bezogen auf die geringe Anzahl von Stellen dieser Abteilung berücksichtigt?

5.

Steht Art. 47 Abs. 2 der Charta betreffend das Recht auf ein faires Verfahren durch Verhandlung der Sache innerhalb einer angemessenen Frist der Errichtung der AUSJ im Rahmen der Staatsanwaltschaft bei der Înalta Curte de Casație și Justiție (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof) entgegen, wenn man die Modalitäten der Ausübung der Tätigkeit im Rahmen dieser Abteilung und die Art und Weise der Festlegung der Zuständigkeit bezogen auf die geringe Anzahl von Stellen dieser Abteilung berücksichtigt?

Rechtssache C‑355/19

91

Am 23. Januar 2019 erhoben das Forum der Richter Rumäniens, die Bewegung für den Schutz des Status der Staatsanwälte und OL bei der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti) Klage auf Nichtigerklärung eines Erlasses des Generalstaatsanwalts vom 23. Oktober 2018 über die Organisation und Arbeitsweise der AUSJ. Dieser Erlass wurde zur Durchführung des Gesetzes Nr. 207/2018 und der Dringlichkeitsverordnung Nr. 90/2018 verabschiedet und betrifft die Organisation und die Arbeitsweise dieser Abteilung.

92

Zur Stützung ihrer Klage machen die Kläger des Ausgangsverfahrens, die sich auf die in Rn. 49 des vorliegenden Urteils genannten Berichte und Stellungnahmen berufen, geltend, dass die Errichtung der AUSJ, da sie die Bekämpfung der Korruption behindern könne und ein Instrument der Einschüchterung von Richtern und Staatsanwälten darstelle, den sich aus dem VZÜ ergebenden Anforderungen, die die Achtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der loyalen Zusammenarbeit und der richterlichen Unabhängigkeit beträfen, sowie allgemeiner Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV zuwiderlaufe.

93

Die Kläger des Ausgangsverfahrens weisen zunächst darauf hin, dass die DNA bedeutende Ergebnisse im Bereich der Korruptionsbekämpfung erzielt habe, und machen sodann darauf aufmerksam, dass die Errichtung der AUSJ diese Ergebnisse in Frage stellen könne, da nunmehr alle Korruptionsfälle, in die ein Richter oder Staatsanwalt verwickelt sei, auf diese Abteilung übertragen würden, ohne dass die Staatsanwälte, aus denen diese Abteilung bestehe, über eine spezielle Kompetenz in diesem Bereich verfügten. Außerdem könnten diese Übertragungen Kompetenzkonflikte mit den auf diesen Bereich spezialisierten Abteilungen, d. h. der DNA und der DIICOT, hervorrufen. Schließlich sei es der AUSJ aufgrund dessen, dass die Zahl der Staatsanwälte innerhalb dieser Abteilung auf 15 beschränkt sei, nicht möglich, alle jährlich registrierten Anzeigen gegen Richter und Staatsanwälte zu bearbeiten. Der rumänische Gesetzgeber habe somit eine Struktur geschaffen, die im Verhältnis zu den ihr übertragenen Zuständigkeiten und der Bedeutung der von ihr bearbeiteten Fälle besonders schlecht ausgestattet sei, wodurch das ordnungsgemäße Funktionieren und die funktionale Unabhängigkeit dieser Struktur untergraben würden.

94

Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Pitești (Berufungsgericht Pitești) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ als Handlung eines Organs der Europäischen Union im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen, die dem Gerichtshof zur Auslegung vorgelegt werden kann?

2.

Fallen Inhalt, Charakter und zeitlicher Geltungsbereich des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ unter den Beitrittsvertrag? Sind die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich?

3.

Ist Art. 2 EUV dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, im Fall der dringlichen Errichtung einer Abteilung der Staatsanwaltschaft zur ausschließlichen Ermittlung von Straftaten, die von Richtern oder Staatsanwälten begangen worden sind – was mit Blick auf die Korruptionsbekämpfung besondere Besorgnis auslöst und als zusätzliches Instrument dienen könnte, um Richter und Staatsanwälte einzuschüchtern und unter Druck zu setzen –, die Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, die auch in den im Rahmen des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ erstellten Berichten gefordert werden?

4.

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, im Fall der dringlichen Errichtung einer Abteilung der Staatsanwaltschaft zur ausschließlichen Ermittlung von Straftaten, die von Richtern oder Staatsanwälten begangen worden sind – was mit Blick auf die Korruptionsbekämpfung besondere Besorgnis auslöst und als zusätzliches Instrument dienen könnte, um Richter und Staatsanwälte einzuschüchtern und unter Druck zu setzen –, die Maßnahmen, die für einen wirksamen Rechtsschutz in den durch das Unionsrecht erfassten Bereichen erforderlich sind, festzulegen, indem jegliche Gefahr einer politischen Einflussnahme auf strafrechtliche Ermittlungen gegen Richter ausgeschlossen wird?

Rechtssache C‑397/19

95

Am 3. Januar 2019 erhob AX beim Tribunalul București (Landgericht Bukarest, Rumänien) u. a. gestützt auf Art. 1381 des Zivilgesetzbuchs sowie auf die Art. 9 und 539 der Strafprozessordnung Klage mit dem Antrag, den rumänischen Staat zu verurteilen, ihm Ersatz für den materiellen und immateriellen Schaden zu leisten, der ihm durch eine strafrechtliche Verurteilung sowie durch rechtswidrige Haft- und freiheitsentziehende Maßnahmen entstanden sei.

96

Zur Begründung seiner Klage führte AX aus, das Tribunalul București (Landgericht Bukarest) habe ihn mit Urteil vom 13. Juni 2017 wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei, sowie zu einer ergänzenden Strafe, die auf 1642970 rumänische Lei (RON) (ungefähr 336000 Euro), den Betrag des gesamtschuldnerisch an den Nebenkläger zu zahlenden Schadensersatzes, festgesetzt worden sei, verurteilt und eine Sicherungsbeschlagnahme seines gesamten beweglichen und unbeweglichen, derzeitigen und künftigen Vermögens angeordnet. Außerdem befand sich AX vom 21. Januar 2015 bis zum 21. Oktober 2015 in Polizeigewahrsam, Untersuchungshaft und sodann unter Hausarrest. In der Folge stellte die Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest) jedoch fest, dass er die Straftat, derentwegen er verurteilt worden sei, nicht begangen habe, und hob die Sicherungsbeschlagnahme seines Vermögens auf.

97

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Klage Fragen nach dem Status und den Rechtswirkungen der von der Kommission im Rahmen des VZÜ erstellten Berichte sowie die Frage aufwerfe, ob das Primärrecht der Union nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte beeinträchtigen könnten, entgegenstehe.

98

Bezüglich der Unabhängigkeit der nationalen Richter weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass diese Unabhängigkeit gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zu gewährleisten sei. Die Bestimmungen über den Ersatz von Schäden, die durch Justizirrtümer verursacht worden seien, könnten aber aufgrund der Modalitäten des Entschädigungsverfahrens den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und die Verteidigungsrechte des betreffenden Richters oder Staatsanwalts beeinträchtigen, soweit das Vorliegen eines Justizirrtums im Rahmen eines ersten Verfahrens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden festgestellt werden könne, ohne dass dieser Richter oder Staatsanwalt angehört werde oder berechtigt sei, das Vorliegen eines solchen Irrtums im Rahmen des später durch die gegen ihn angestrengte Regressklage eingeleiteten Verfahrens in Frage zu stellen. Außerdem werde die Frage, ob dieser Richter oder Staatsanwalt diesen Irrtum in bösem Glauben oder grob fahrlässig begangen habe, der Beurteilung des Staates anheimgestellt, da dieser Richter oder Staatsanwalt nur eine begrenzte Möglichkeit habe, gegen die Vorwürfe des Staates oder der Justizinspektion vorzugehen, was u. a. den Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz, der eine der Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit darstelle, untergraben könne.

99

Unter diesen Umständen hat das Tribunalul București (Landgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ als Handlung eines Organs der Europäischen Union im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen, die dem Gerichtshof zur Auslegung vorgelegt werden kann?

2.

Ist das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ integraler Bestandteil des Beitrittsvertrags und ist es nach Maßgabe von dessen Bestimmungen auszulegen und anzuwenden? Sind die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich, und ist, falls dies bejaht wird, das nationale Gericht, das damit betraut ist, im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden, verpflichtet, die Anwendung dieser Normen sicherzustellen, indem es erforderlichenfalls von Amts wegen die Anwendung der Bestimmungen des nationalen Rechts verweigert, die mit den Anforderungen unvereinbar sind, die in den in Anwendung dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellt wurden?

3.

Ist Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Mitgliedstaats, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, auch das Erfordernis umfasst, dass Rumänien die mit den Berichten im Rahmen des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ aufgestellten Anforderungen erfüllt?

4.

Steht Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV, insbesondere das Erfordernis, die Werte der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, nationalen Rechtsvorschriften wie der Bestimmung des Art. 96 Abs. 3 Buchst. a des Gesetzes Nr. 303/2004 in geänderter Fassung entgegen, mit der der Justizirrtum lapidar und abstrakt als die Durchführung von Prozesshandlungen unter offensichtlichem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften des materiellen und des Verfahrensrechts definiert wird, ohne nähere Umschreibung der Art der Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, des sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Bestimmung im Prozess, der Modalitäten, der Frist und des Verfahrens zur Feststellung eines Verstoßes gegen die gesetzlichen Vorschriften sowie der für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Rechtsvorschriften zuständigen Stelle, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, mittelbar Druck auf Richter bzw. Staatsanwälte auszuüben?

5.

Steht Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV, insbesondere das Erfordernis, die Werte der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, nationalen Rechtsvorschriften wie der Bestimmung des Art. 96 Abs. 3 Buchst. b des Gesetzes Nr. 303/2004 in geänderter Fassung entgegen, mit der der Justizirrtum definiert wird als Erlass einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung, die offensichtlich mit dem Gesetz oder dem Sachverhalt, wie er sich aus der Beweiserhebung in der Rechtssache ergibt, in Widerspruch steht, ohne Festlegung des Verfahrens zur Feststellung dieses Widerspruchs und ohne konkrete Definition der Bedeutung dieses Widerspruchs, in dem die gerichtliche Entscheidung mit den anwendbaren gesetzlichen Vorschriften und dem Sachverhalt stehen muss, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, die Auslegung der Gesetze und die Beweisaufnahme durch Richter und Staatsanwälte zu blockieren?

6.

Steht Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV, insbesondere das Erfordernis, die Werte der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, nationalen Rechtsvorschriften wie der Bestimmung des Art. 96 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 303/2004 in geänderter Fassung entgegen, mit der die zivilrechtliche Haftung des Richters oder Staatsanwalts gegenüber dem Staat ausschließlich aufgrund des eigenen Ermessens des Staates sowie unter Umständen auf der Grundlage des beratenden Berichts der Justizinspektion bezüglich der Absicht oder der groben Fahrlässigkeit des Richters oder Staatsanwalts hinsichtlich der Begehung des materiellen Irrtums begründet wird, ohne dass der Richter oder Staatsanwalt die Möglichkeit hätte, sein Verteidigungsrecht in vollem Umfang wahrzunehmen, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, die materielle Haftung des Richters bzw. Staatsanwalts gegenüber dem Staat willkürlich auszulösen oder zu beenden?

7.

Steht Art. 2 EUV, insbesondere das Erfordernis, die Werte der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, nationalen Rechtsvorschriften wie den Bestimmungen des Art. 539 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 541 Abs. 2 und 3 der Strafprozessordnung entgegen, mit denen dem Beschuldigten zeitlich unbegrenzt und implizit ein außerordentlicher Rechtsbehelf sui generis gegen eine endgültige gerichtliche Entscheidung bezüglich der Rechtmäßigkeit der Maßnahme der Untersuchungshaft in dem Fall eröffnet wird, dass er in der Sache freigesprochen wird, wobei über diesen Rechtsbehelf ausschließlich vor den Zivilgerichten verhandelt wird, während die Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft nicht durch eine strafgerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist, so dass gegen den Grundsatz der Vorhersehbarkeit und Zugänglichkeit der Rechtsvorschrift, den Grundsatz der Spezialisierung des Richters und den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen wird?

Verfahren vor dem Gerichtshof

100

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. März 2019 sind die Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19 und C‑195/19 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. November 2020 sind die Rechtssachen C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 mit diesen Rechtssachen zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

101

Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑355/19 und C‑397/19 haben beantragt, die Vorabentscheidungsersuchen in diesen Rechtssachen gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Zur Begründung ihrer Anträge haben diese Gerichte angeführt, dass die Erfordernisse der Rechtsstaatlichkeit eine rasche Erledigung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten verlangten.

102

Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung sieht vor, dass der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden kann, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen dieser Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

103

Insoweit ist daran zu erinnern, dass ein solches beschleunigtes Verfahren ein Verfahrensinstrument ist, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll. Außerdem geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass das beschleunigte Verfahren keine Anwendung finden kann, wenn die Sensibilität und die Komplexität der durch einen Fall aufgeworfenen rechtlichen Fragen kaum mit der Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu vereinbaren sind, insbesondere, wenn es nicht angebracht erscheint, das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof zu verkürzen (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 48 und 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

104

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs mit Beschlüssen vom 21. März 2019 (Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19 und C‑195/19), vom 26. Juni 2019 (Rechtssache C‑397/19) und vom 27. Juni 2019 (Rechtssache C‑355/19) nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, die in Rn. 101 des vorliegenden Urteils genannten Anträge der vorlegenden Gerichte zurückzuweisen.

105

Auch wenn zunächst davon auszugehen ist, dass Vorlagefragen, die sich auf grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts beziehen, von überragender Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gerichtssystems der Union sind, für das die Unabhängigkeit der nationalen Gerichte wesentlich ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2018, Uniparts, C‑668/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:1003, Rn. 12), eignete sich der sensible und komplexe Charakter dieser Fragen, die sich in den Rahmen einer umfangreichen Justizreform und der Korruptionsbekämpfung in Rumänien einfügen, nämlich schwerlich für die Anwendung des beschleunigten Verfahrens.

106

In Anbetracht der Art der vorgelegten Fragen hat der Präsident des Gerichtshofs jedoch mit Entscheidung vom 18. September 2019 allen in Rn. 100 des vorliegenden Urteils genannten Rechtssachen gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung eine vorrangige Behandlung gewährt.

Zu den Vorlagefragen

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

107

Die polnische und die rumänische Regierung sind der Ansicht, dass der Gerichtshof für die Beantwortung bestimmter Fragen der vorlegenden Gerichte nicht zuständig sei.

108

Die polnische Regierung, die sich darauf beschränkt hat, Erklärungen zur dritten Frage in der Rechtssache C‑83/19, zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C‑127/19, zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑195/19, zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C‑291/19, zur vierten Frage in der Rechtssache C‑355/19 sowie zu den Fragen 4 bis 6 in der Rechtssache C‑397/19 abzugeben, stellt die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung dieser Fragen in Abrede. Die von den vorlegenden Gerichten aufgeworfenen Fragen zur Vereinbarkeit der rumänischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht beträfen nämlich zum einen die Organisation der Justiz, insbesondere das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder der Justizinspektion und die interne Organisation der Staatsanwaltschaft, und zum anderen die Regelung der Haftung des Staates für Schäden, die Richter dem Einzelnen durch einen Verstoß gegen innerstaatliches Recht verursacht hätten. Diese beiden Bereiche fielen aber in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und lägen daher außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts.

109

Die rumänische Regierung macht geltend, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der vierten Frage in der Rechtssache C‑83/19, der vierten und der fünften Frage in der Rechtssache C‑127/19, der zweiten Frage in der Rechtssache C‑195/19, der vierten und der fünften Frage in der Rechtssache C‑291/19, der dritten und der vierten Frage in der Rechtssache C‑355/19 sowie der Fragen 3 bis 6 in der Rechtssache C‑397/19 nicht zuständig, soweit diese Fragen die Auslegung von Art. 2 und Art. 4 Abs. 3 EUV, von Art. 67 AEUV und von Art. 47 der Charta beträfen. Diese Bestimmungen hätten nämlich für ihre Anwendbarkeit auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten erfordert, dass Rumänien Unionsrecht durchgeführt hätte, jedoch gebe es keinen Unionsrechtsakt, der für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen gelten würde. Lediglich Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV könne in Anbetracht der Rechtsprechung, die auf das Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117) zurückgehe, für die von den vorlegenden Gerichten aufgeworfenen Fragen von Bedeutung sein. Jedenfalls bezögen sich diese Fragen auf die Organisation der Justiz, die nicht in die Zuständigkeitsbereiche der Union falle.

110

Hierzu ist festzustellen, dass die Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung des Unionsrechts betreffen, sei es von Bestimmungen des Primärrechts, hier von Art. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 9 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 67 AEUV und Art. 47 der Charta, sei es von Bestimmungen des abgeleiteten Rechts, nämlich der Entscheidung 2006/928.

111

Außerdem bezieht sich das Vorbringen der polnischen und der rumänischen Regierung zur fehlenden Zuständigkeit der Union im Bereich der Organisation der Justiz und der Haftung des Staates bei Justizirrtümern in Wirklichkeit auf die Tragweite und damit auf die Auslegung der Bestimmungen des Primärrechts der Union, auf die sich die Vorlagefragen beziehen und die offenkundig in die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV fällt. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 68 und 69 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Verpflichtung gilt auch im Bereich der in der Rechtssache C‑397/19 in Rede stehenden vermögensrechtlichen Haftung der Mitgliedstaaten und der persönlichen Haftung der Richter im Fall eines Justizirrtums.

112

Nach alledem ist der Gerichtshof für die Beantwortung der in den vorliegenden Rechtssachen gestellten Fragen, einschließlich der in den Rn. 108 und 109 des vorliegenden Urteils genannten, zuständig.

Zur einer etwaigen Erledigung der Hauptsache und zur Zulässigkeit

Rechtssache C‑83/19

113

Die Justizinspektion und die rumänische Regierung halten das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑83/19 für unzulässig, da zwischen den Vorlagefragen und dem Ausgangsrechtsstreit kein Zusammenhang bestehe. Insbesondere habe die in dieser Rechtssache erbetene Auslegung des Unionsrechts keine unmittelbare Auswirkung auf den Ausgang dieses Rechtsstreits, da dieser allein auf der Grundlage des nationalen Rechts zu entscheiden sei.

114

Die Kommission bringt ihrerseits in ihren schriftlichen Erklärungen vor, die gestellten Fragen hätten offenbar ihre Bedeutung für den Ausgangsrechtsstreit verloren, da das Plenum des Obersten Richterrats Herrn Netejoru am 15. Mai 2019, also nach Anrufung des Gerichtshofs, auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 317/2004 für eine weitere Amtszeit von drei Jahren zum Chefinspekteur der Justizinspektion ernannt habe. Da durch diese Ernennung der sich aus der Dringlichkeitsverordnung Nr. 77/2018 ergebende Eingriff der Exekutive in die Unabhängigkeit der Justiz beendet worden sei, sei Herr Netejoru nunmehr in der Lage, seine Eigenschaft als Vertreter der Justizinspektion nachzuweisen, so dass sich die Fragen zur Auslegung des Unionsrechts grundsätzlich nicht mehr stellten und somit keine Veranlassung für eine Beantwortung derselben durch den Gerichtshof mehr bestehe. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission klargestellt, dass Verfahrensfehler der vom Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachten Art nach nationalem Recht im Lauf des Verfahrens behoben werden könnten, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts sei.

115

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

116

Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

117

Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, muss die beantragte Vorabentscheidung insbesondere „erforderlich“ sein, um dem vorlegenden Gericht den „Erlass seines Urteils“ in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen. Das Vorabentscheidungsverfahren setzt daher insbesondere voraus, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das im Vorabentscheidungsverfahren ergangene Urteil berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung eindeutig hervor, dass das nationale Gericht eine Vorabentscheidung für erforderlich hält, um a limine über die vom Forum der Richter Rumäniens erhobene prozessuale Einrede entscheiden zu können, mit der geltend gemacht wird, dass Herr Netejoru, der die Klageerwiderung unterzeichnet habe, seine Eigenschaft als Vertreter der Justizinspektion nicht nachgewiesen habe. Das vorlegende Gericht führt nämlich aus, dass es insbesondere gemäß Art. 248 Abs. 1 der Zivilprozessordnung zunächst über diese Einrede zu entscheiden habe und dass dann, wenn ihr stattgegeben würde, die Klageerwiderung sowie die von der Justizinspektion vorgebrachten Beweise und erhobenen Einreden aus den Akten entfernt werden müssten.

119

Daraus folgt, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts für die vom vorlegenden Gericht zu erlassende Entscheidung objektiv erforderlich ist.

120

Wie der Generalanwalt in Nr. 95 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 im Wesentlichen ausgeführt hat, bleibt diese Auslegung ungeachtet dessen erforderlich, dass Herr Netejoru zwischenzeitlich vom Obersten Richterrat zum Chefinspekteur der Justizinspektion ernannt wurde. In der vorliegenden Rechtssache ergeben sich nämlich zum einen aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass entweder die prozessuale Einrede im Ausgangsverfahren oder das Ausgangsverfahren selbst gegenstandslos geworden wäre. Zum anderen ist nach dem anwendbaren nationalen Recht, wie es das vorlegende Gericht dargelegt hat, die Fähigkeit des Betroffenen, die Justizinspektion rechtmäßig zu vertreten, zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageerwiderung zu beurteilen, wohingegen feststeht, dass diese Ernennung erst nach diesem Zeitpunkt erfolgte. Unter diesen Umständen können die von der Kommission aufgeworfenen Fragen dazu, ob die aufgrund dieser späteren Ernennung vorgelegten Fragen weiterhin erheblich sind, nicht die Vermutung der Erheblichkeit dieser Fragen in Frage stellen und damit auch nicht zu deren Erledigung in der Hauptsache führen.

121

Nach alledem ist das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑83/19 zulässig und sind die damit vorgelegten Fragen zu beantworten.

Rechtssachen C‑127/19 und C‑355/19

122

Der Oberste Richterrat ist der Ansicht, dass das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑127/19 u. a. deshalb unzulässig sei, weil die Entscheidung 2006/928 keinen für Rumänien verbindlichen Gesetzgebungsakt der Union darstelle, der dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung vorgelegt werden könnte. Jedenfalls bezögen sich die in dieser Rechtssache vorgelegten Fragen nicht auf die einheitliche Anwendung einer Bestimmung des Unionsrechts, sondern auf die Anwendbarkeit der in diesen Fragen genannten Bestimmungen des Unionsrechts auf den Ausgangsrechtsstreit und könnten daher so formuliert nicht Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens sein.

123

Die rumänische Regierung hält ihrerseits die Fragen 1 bis 3 in der Rechtssache C‑127/19 und sämtliche Fragen in der Rechtssache C‑355/19 für unzulässig, da die vorlegenden Gerichte keinen Zusammenhang zwischen diesen Fragen und den Ausgangsrechtsstreitigkeiten dargetan hätten. Die erbetene Auslegung stehe daher in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand dieser Rechtsstreitigkeiten.

124

Erstens ist festzustellen, dass die in Rn. 122 des vorliegenden Urteils angeführten Erwägungen des Obersten Richterrats zur Natur und zu den Wirkungen der Entscheidung 2006/928 sowie zur Anwendbarkeit dieser Entscheidung im Kontext des Ausgangsrechtsstreits in Wirklichkeit die inhaltliche Prüfung der in der Rechtssache C‑127/19 vorgelegten Fragen und nicht die Prüfung der Zulässigkeit dieser Fragen betreffen.

125

Was zweitens die Einwände der rumänischen Regierung betrifft, genügt der Hinweis, dass die Ausgangsrechtsstreitigkeiten in den Rechtssachen C‑127/19 und C‑355/19 die Rechtmäßigkeit von zwei Beschlüssen des Obersten Richterrats bzw. eines Erlasses des Generalstaatsanwalts zur Durchführung bestimmter sich aus dem Gesetz Nr. 207/2018 ergebender Änderungen betreffen, deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Entscheidung 2006/928, mit Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie mit Art. 47 der Charta, vor den vorlegenden Gerichten in Abrede gestellt wird. In Anbetracht der insoweit von den vorlegenden Gerichten gemachten Angaben kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die in diesen Rechtssachen gestellten Fragen offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten stehen.

126

Unter diesen Umständen sind die Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen C‑127/19 und C‑355/19 zulässig.

Rechtssachen C‑195/19 und C‑291/19

127

Die rumänische Regierung macht geltend, dass die in den Rechtssachen C‑195/19 und C‑291/19 gestellten Fragen unzulässig seien, da die vorlegenden Gerichte keinen Zusammenhang zwischen den gestellten Fragen und den Ausgangsverfahren dargetan hätten. Was insbesondere den Verweis auf Art. 9 Satz 1 EUV und Art. 67 Abs. 1 AEUV in der zweiten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑195/19 betrifft, weist die rumänische Regierung darauf hin, dass das Vorabentscheidungsersuchen nichts enthalte, was erklären würde, inwiefern diese Bestimmungen in irgendeinem Zusammenhang mit der Realität des Ausgangsrechtsstreits stünden. Bezüglich der dritten Vorlagefrage in dieser Rechtssache führt diese Regierung weiter aus, dass diese Frage und insbesondere die Verweise auf die Rechtsprechung der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) und den Wirkungen dieser Rechtsprechung zu allgemein formuliert seien und in keinem Zusammenhang mit der Realität dieses Rechtsstreits stünden.

128

Hierzu ist festzustellen, dass an den Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C‑195/19 und C‑291/19, in denen es um die strafrechtliche Verfolgung von Richtern und Staatsanwälten geht, Staatsanwälte des AUSJ beteiligt sind. In Anbetracht der in Rn. 49 des vorliegenden Urteils genannten Berichte und Stellungnahmen zweifeln die vorlegenden Gerichte an der Vereinbarkeit der Regelung über die Errichtung der AUSJ mit den Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich die Vorlagefragen beziehen. Außerdem ergibt sich aus den Angaben dieser Gerichte, dass sie über diese Frage inzident zu entscheiden haben, bevor sie über die bei ihnen anhängigen Klagen entscheiden können.

129

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorlagefragen, soweit sie die Entscheidung 2006/928, Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta betreffen, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten stünden oder ein Problem hypothetischer Natur beträfen.

130

Was hingegen die Bezugnahme auf Art. 9 Satz 1 EUV und Art. 67 Abs. 1 AEUV in der zweiten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑195/19 betrifft, enthält das Vorabentscheidungsersuchen keine Angaben dazu, inwiefern die Auslegung dieser Bestimmungen dem vorlegenden Gericht für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienlich sein könnte. Unter diesen Umständen ist die zweite Frage unzulässig, soweit sie Art. 9 Satz 1 EUV und Art. 67 Abs. 1 AEUV betrifft.

131

Zur Zulässigkeit der dritten Frage in der Rechtssache C‑195/19 ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV begründeten Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreit sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendeszeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság, C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 179 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit hindert der Umstand, dass die betreffende Frage ihrer Form nach allgemein formuliert ist, den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

132

Im vorliegenden Fall genügt der Hinweis, dass die Ausführungen im Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑195/19 es ermöglichen, die Tragweite der dritten Frage nachzuvollziehen, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts einer nationalen Bestimmung mit Verfassungsrang in der Auslegung durch die Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) entgegensteht, wonach das nationale Gericht nicht befugt wäre, die Erkenntnisse aus dem in der vorliegenden Rechtssache ergehenden Urteil des Gerichtshofs anzuwenden und gegebenenfalls die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung, die dem Unionsrecht widerspräche, unangewendet zu lassen.

133

Art. 267 AEUV verleiht den nationalen Gerichten nach ständiger Rechtsprechung ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen aufwirft, deren Beantwortung für die Entscheidung des ihnen unterbreiteten Rechtsstreits erforderlich ist (Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 42). So muss es insbesondere einem Gericht, das nicht in letzter Instanz entscheidet, freistehen, dem Gerichtshof die Fragen vorzulegen, bei denen es Zweifel hat, wenn es der Ansicht ist, dass es aufgrund der rechtlichen Beurteilung eines übergeordneten Gerichts, selbst wenn es Verfassungsrang hat, zu einem unionsrechtswidrigen Urteil gelangen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

134

Unter diesen Umständen sind in der Rechtssache C‑195/19 die erste Frage, die zweite Frage, soweit sie Art. 2 EUV betrifft, und die dritte Frage zulässig. In der Rechtssache C‑291/19 sind alle vorgelegten Fragen zulässig.

Rechtssache C‑397/19

135

Die rumänische Regierung macht geltend, die ersten drei in der Rechtssache C‑397/19 vorgelegten Fragen seien unzulässig, da sie in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stünden, dessen Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Der Zusammenhang zwischen diesem Rechtsstreit und dem VZÜ sei nur mittelbar, so dass eine Beantwortung dieser Fragen keinen Einfluss auf den Ausgang dieses Rechtsstreits hätte. In Bezug auf die Fragen 4 bis 6 macht die rumänische Regierung geltend, dass die in diesen Fragen genannten Bestimmungen des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit stünden. Im Hinblick auf die sechste Frage ist diese Regierung insbesondere der Ansicht, dass die damit aufgeworfene Rechtsfrage außerhalb des Gegenstands dieses Rechtsstreits liege, da das vorlegende Gericht mit einer Haftungsklage gegen den rumänischen Staat und nicht mit einer Regressklage gegen einen Richter befasst sei. Die siebte Frage sei unzulässig, da die darin angeführten Behauptungen nicht nur unsubstantiiert seien, sondern damit auch ein Problem einer hypothetischen Auslegung aufgeworfen würde.

136

Die Kommission äußert ihrerseits Zweifel an der Zulässigkeit der Fragen 1 bis 6. Zwar seien die Änderungen, die durch das Gesetz Nr. 242/2018 an der Regelung der persönlichen Haftung von Richtern und Staatsanwälten vorgenommen worden seien, im VZÜ-Bericht vom November 2018 und in weiteren Berichten und Stellungnahmen, auf die in Rn. 49 des vorliegenden Urteils Bezug genommen wird, hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht als problematisch eingestuft worden, jedoch sei Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits die Frage der Haftung des Staates für einen angeblichen Justizirrtum und nicht die Frage der persönlichen Haftung des Richters, der diesen Irrtum begangen habe, im Rahmen einer Regressklage. Allerdings hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung insoweit klargestellt, dass die Zulässigkeit dieser Fragen bejaht werden könnte, sofern diese dahin umformuliert würden, dass sie darauf abzielten, eine Prüfung der Regelung der Haftung für einen Justizirrtum in ihrer Gesamtheit in Anbetracht der zwischen den beiden betreffenden Verfahren bestehenden verfahrensrechtlichen Zusammenhänge und insbesondere des Umstands vorzunehmen, dass das erste Verfahren das Ergebnis des zweiten Verfahrens beeinflussen könne, obgleich der betroffene Richter erst im zweiten Verfahren angehört werde.

137

Die siebte Frage hält die Kommission hingegen für unzulässig. Es sei grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Klage auf Anfechtung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Untersuchungshaft in einem Strafverfahren erhoben werden könne, um eine Entschädigung für den erlittenen Schaden zu erlangen, da dieser Aspekt nicht durch das Unionsrecht geregelt sei. Außerdem habe das vorlegende Gericht keinerlei Erläuterung gegeben, die es ermöglichen würde, die Vereinbarkeit der in der siebten Frage genannten Bestimmungen der Art. 539 und 541 der Strafprozessordnung mit dem Unionsrecht in Frage zu stellen.

138

Insoweit genügt, was zunächst die Zulässigkeit der Fragen 1 bis 3 betreffend die Natur und die Tragweite des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ anbelangt, die Feststellung, dass die Regelung der persönlichen Haftung der Richter, wie die Kommission ausgeführt hat, Teil der Gesetze ist, die die Organisation der Justiz in Rumänien regeln, und Gegenstand der auf Unionsebene auf der Grundlage dieses Verfahrens gewährleisteten Überwachung war. Somit ist nicht offensichtlich, dass die Auslegung des Unionsrechts, um die mit diesen Fragen ersucht wird, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht.

139

Sodann ist zur Zulässigkeit der Fragen 4 bis 6 darauf hinzuweisen, dass es nach der in Rn. 131 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung Sache des Gerichtshofs ist, gegebenenfalls aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen.

140

Aus dem Wortlaut dieser Fragen und den darin angeführten Gründen geht aber hervor, dass das vorlegende Gericht Zweifel daran hat, ob nationale Vorschriften zur Regelung der vermögensrechtlichen Haftung des Staates für durch Justizirrtümer verursachte Schäden und der persönlichen Haftung der Richter, deren Amtsführung diesen Irrtümern zugrunde liegt, mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem Wert der Rechtsstaatlichkeit und dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, die in Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verankert sind, vereinbar sind, insbesondere wegen des allgemeinen und abstrakten Charakters der Definition des Begriffs „Justizirrtum“ und bestimmter vorgesehener Verfahrensmodalitäten.

141

Insoweit geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das Vorliegen eines Justizirrtums im Rahmen eines gegen den Staat eingeleiteten Verfahrens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, an dem der Richter, dessen Amtsführung dem behaupteten Justizirrtum zugrunde liegt, nicht beteiligt ist, endgültig festgestellt wird. Wird am Ende dieses Verfahrens das Vorliegen eines Justizirrtums festgestellt, so kann das zuständige Ministerium den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge auf der bloßen Grundlage seiner eigenen Beurteilung entscheiden, ob es eine Regressklage gegen den betreffenden Richter erhebt oder nicht, wobei dieser dann nur über eine begrenzte Möglichkeit verfügt, den vom Staat erhobenen Rügen entgegenzutreten.

142

In Anbetracht der substanziellen und inhärenten Zusammenhänge zwischen den materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften, die das System der vermögensrechtlichen Haftung des Staates regeln, und den Vorschriften, die das System der persönlichen Haftung der Richter regeln, möchte das vorlegende Gericht mit den Fragen 4 bis 6 wissen, ob diese Vorschriften in ihrer Gesamtheit ab dem Stadium des Verfahrens gegen den Staat gegen Grundsätze des Unionsrechts verstoßen können, da die Feststellung eines Justizirrtums in diesem Verfahren für das Verfahren gegen den betreffenden Richter bindend ist, obwohl dieser am ersten Verfahren nicht beteiligt war.

143

Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass die Auslegung des Unionsrechts, um die mit den Fragen 4 bis 6 ersucht wird, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das mit diesen Fragen aufgeworfene Problem hypothetischer Natur wäre.

144

Zur Zulässigkeit der siebten Frage ist schließlich darauf hinzuweisen, dass das Vorabentscheidungsersuchen weder die genaue Tragweite dieser Frage noch die Gründe erkennen lässt, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der in dieser Frage genannten nationalen Bestimmungen mit Art. 2 EUV äußert. Da der Gerichtshof somit nicht über die Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der siebten Frage erforderlich sind, ist diese für unzulässig zu erklären.

145

Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑397/19 mit Ausnahme der siebten Frage zulässig ist.

Zur Beantwortung der Fragen

146

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen, soweit sie zulässig sind,

die Frage, ob die Entscheidung 2006/928 und die von der Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte Handlungen eines Unionsorgans darstellen, die dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV zur Auslegung vorgelegt werden können (erste Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19),

die Frage, ob die Entscheidung 2006/928 in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags fällt und, wenn ja, welche Rechtsfolgen sich daraus für Rumänien ergeben (erste Frage in der Rechtssache C‑195/19, zweite Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 sowie dritte Frage in den Rechtssachen C‑127/19, C‑291/19 und C‑397/19),

die Frage, ob die Regelungen über die Organisation der Justiz in Rumänien in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallen (vierte Frage in der Rechtssache C‑83/19 und dritte Frage in der Rechtssache C‑355/19),

die Vereinbarkeit der rumänischen Regelung über die vorläufige Ernennung auf die Leitungsstellen bei der Justizinspektion mit dem Unionsrecht (dritte Frage in der Rechtssache C‑83/19),

die Vereinbarkeit der rumänischen Regelung über die Errichtung der AUSJ mit dem Unionsrecht (vierte und fünfte Frage in der Rechtssache C‑127/19, zweite Frage in der Rechtssache C‑195/19, vierte und fünfte Frage in der Rechtssache C‑291/19 sowie dritte und vierte Frage in der Rechtssache C‑355/19),

die Vereinbarkeit der rumänischen Regelung der vermögensrechtlichen Haftung des Staates und der persönlichen Haftung der Richter im Fall eines Justizirrtums mit dem Unionsrecht (Fragen 4 bis 6 in der Rechtssache C‑397/19),

den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts (dritte Frage in der Rechtssache C‑195/19).

Zur ersten Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑355/19, C‑291/19 und C‑397/19

147

Mit der jeweils ersten Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob die Entscheidung 2006/928 und die von der Kommission auf deren Grundlage erstellten Berichte Handlungen eines Organs der Union darstellen, die vom Gerichtshof nach Art. 267 AEUV ausgelegt werden können.

148

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 267 AEUV dem Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung die Befugnis verleiht, im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Union ohne jede Ausnahme zu entscheiden (Urteile vom 13. Juni 2017, Florescu u. a., C‑258/14, EU:C:2017:448, Rn. 30, und vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

149

Die Entscheidung 2006/928 ist eine Handlung eines Organs der Union, nämlich der Kommission, die auf der Grundlage der Beitrittsakte, die zum Primärrecht der Union gehört, ergangen ist, und stellt insbesondere einen Beschluss im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV dar. Die Berichte der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, die im Rahmen des mit der genannten Entscheidung geschaffenen VZÜ erstellt werden, sind ebenfalls als Handlungen eines Organs der Union anzusehen, deren Rechtsgrundlage das Unionsrecht ist, nämlich Art. 2 dieser Entscheidung.

150

Daraus folgt, dass die Entscheidung 2006/928 und die auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte der Kommission dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV zur Auslegung vorgelegt werden können, ohne dass es dafür darauf ankäme, ob diese Handlungen bindende Wirkung haben.

151

Auf die jeweils erste Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 ist daher zu antworten, dass die Entscheidung 2006/928 und die von der Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte Handlungen eines Organs der Union darstellen, die vom Gerichtshof nach Art. 267 AEUV ausgelegt werden können.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑195/19, zur zweiten Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 sowie zur dritten Frage in den Rechtssachen C‑127/19, C‑291/19 und C‑397/19

152

Mit der ersten Frage in der Rechtssache C‑195/19, der zweiten Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 sowie der dritten Frage in den Rechtssachen C‑127/19, C‑291/19 und C‑397/19, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob die Art. 2, 37 und 38 der Beitrittsakte in Verbindung mit den Art. 2 und 49 EUV dahin auszulegen sind, dass die Entscheidung 2006/928, was ihre Rechtsnatur, ihren Inhalt und ihre zeitlichen Wirkungen anbelangt, in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags fällt und, falls dies bejaht wird, welche Rechtsfolgen sich daraus für Rumänien ergeben. Insbesondere stellen sich die vorlegenden Gerichte die Frage, ob und inwieweit die Anforderungen und Empfehlungen in den auf der Grundlage der Entscheidung 2006/928 erstellten Berichten der Kommission für Rumänien verbindlich sind.

– Zur Rechtsnatur, zum Inhalt und zu den zeitlichen Wirkungen der Entscheidung 2006/928

153

Wie aus den Erwägungsgründen 4 und 5 der Entscheidung 2006/928 hervorgeht, wurde diese im Zusammenhang mit dem Beitritt Rumäniens zur Union erlassen, der am 1. Januar 2007 auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte erfolgte.

154

Nach Art. 2 Abs. 2 des Beitrittsvertrags ist die Beitrittsakte, die die Bedingungen für den Beitritt Rumäniens zur Union und die mit diesem Beitritt verbundenen Anpassungen der Verträge festlegt, Bestandteil dieses Vertrags.

155

Somit fällt die Entscheidung 2006/928 als auf der Grundlage der Beitrittsakte erlassene Maßnahme in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags. Der Umstand, dass diese Entscheidung vor dem Beitritt Rumäniens zur Union erlassen wurde, steht dieser Feststellung nicht entgegen, da Art. 4 Abs. 3 dieses Vertrags, der am 25. April 2005 unterzeichnet wurde, die Organe der Union ausdrücklich ermächtigte, vor dem Beitritt die dort aufgeführten Maßnahmen zu erlassen, zu denen die in den Art. 37 und 38 der Beitrittsakte genannten Maßnahmen gehören.

156

Die Art. 37 und 38 der Beitrittsakte ermächtigen die Kommission, geeignete Maßnahmen zu erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr, dass Rumänien die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine schwere Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft bzw. die unmittelbare Gefahr ernster Mängel in Rumänien hinsichtlich der Beachtung des Unionsrechts betreffend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts besteht.

157

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 134 und 135 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 ausgeführt hat, wurde die Entscheidung 2006/928 wegen des Bestehens unmittelbarer Gefahren der in den Art. 37 und 38 der Beitrittsakte genannten Art erlassen.

158

Wie nämlich aus dem Monitoring-Bericht der Kommission vom 26. September 2006 über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens (KOM[2006] 549 endgültig) hervorgeht, auf den im vierten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 Bezug genommen wird, stellte die Kommission fest, dass in Rumänien Mängel u. a. in den Bereichen Justiz und Korruption fortbestanden, und schlug dem Rat vor, den Beitritt dieses Staates zur Union von der Einführung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung zur Behebung dieser Mängel abhängig zu machen. Wie u. a. aus den Erwägungsgründen 4 und 6 dieser Entscheidung hervorgeht und wie die Kommission betont hat, wurden mit dieser Entscheidung das VZÜ eingeführt und die in Art. 1 und im Anhang dieser Entscheidung genannten Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung festgelegt, um genau diese Mängel zu beheben und sicherzustellen, dass Justiz und Vollzugsbehörden in der Lage sind, die Maßnahmen umzusetzen und anzuwenden, die erlassen wurden, um zum Funktionieren des Binnenmarkts und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beizutragen.

159

Dieser Markt und dieser Raum beruhen insoweit – wie es in den Erwägungsgründen 2 und 3 der Entscheidung 2006/928 heißt – auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, dass ihre Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen und ihre Verwaltungs- und Gerichtspraxis in jeder Hinsicht mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang stehen, was bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, u. a. Korruption zu bekämpfen.

160

Nach Art. 49 EUV, wonach jeder europäische Staat beantragen kann, Mitglied der Union zu werden, besteht die Union aber aus Staaten, die die in Art. 2 EUV genannten Werte von sich aus und freiwillig übernommen haben, diese achten und sich für deren Förderung einsetzen. Aus Art. 2 EUV geht insbesondere hervor, dass sich die Union auf Werte wie die Rechtsstaatlichkeit gründet, die allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft, die sich u. a. durch Gerechtigkeit auszeichnet, gemeinsam sind. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und insbesondere zwischen deren Gerichten auf der Prämisse beruht, dass die Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilen, auf die sich, wie es im genannten Artikel heißt, die Union gründet (Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 61 und 62 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

161

Somit stellt die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, wie die Kommission sowie die belgische, die dänische und die schwedische Regierung betont haben, eine Vorbedingung für den Beitritt jedes europäischen Staates, der Mitglied der Union werden möchte, zur Union dar. In diesem Kontext wurde das VZÜ mit der Entscheidung 2006/928 eingeführt, um die Wahrung des Wertes der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien zu gewährleisten.

162

Außerdem ist die Achtung der in Art. 2 EUV verankerten Werte durch einen Mitgliedstaat eine Voraussetzung für den Genuss aller Rechte, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat ergeben. Ein Mitgliedstaat darf daher seine Rechtsvorschriften nicht dergestalt ändern, dass der Schutz des Wertes der Rechtsstaatlichkeit vermindert wird, eines Wertes, der namentlich durch Art. 19 EUV konkretisiert wird. Die Mitgliedstaaten müssen somit dafür Sorge tragen, dass sie jeden nach Maßgabe dieses Wertes eintretenden Rückschritt in ihren Rechtsvorschriften über die Organisation der Justiz vermeiden, indem sie davon absehen, Regeln zu erlassen, die die richterliche Unabhängigkeit untergraben würden (Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 63 und 64 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

163

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die vor dem Beitritt von den Organen der Union erlassenen Rechtsakte, zu denen die Entscheidung 2006/928 zählt, für Rumänien nach Art. 2 der Beitrittsakte seit seinem Beitritt zur Union bindend sind und gemäß Art. 2 Abs. 3 des Beitrittsvertrags bis zu ihrer Aufhebung in Kraft bleiben.

164

Was insbesondere die auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte erlassenen Maßnahmen anbelangt, ermächtigte zwar der jeweilige Abs. 1 dieser Artikel die Kommission, die in diesen Artikeln genannten Maßnahmen „für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren nach dem Beitritt“ zu erlassen, jedoch ist im jeweiligen Abs. 2 dieser Artikel ausdrücklich vorgesehen worden, dass die so erlassenen Maßnahmen über diesen Zeitraum hinaus angewandt werden könnten, solange die einschlägigen Verpflichtungen nicht erfüllt wären oder die festgestellten Mängel fortbestünden, und dass sie erst aufgehoben würden, wenn die einschlägige Verpflichtung erfüllt oder der betreffende Mangel beseitigt wäre. Außerdem wird im neunten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 selbst klargestellt, dass diese „aufzuheben [ist], wenn alle Vorgaben zufriedenstellend erfüllt sind“.

165

Die Entscheidung 2006/928 fällt somit, was ihre Rechtsnatur, ihren Inhalt und ihre zeitlichen Wirkungen anbelangt, in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags und entfaltet weiterhin ihre Wirkungen, solange sie nicht aufgehoben worden ist.

– Zu den Rechtswirkungen der Entscheidung 2006/928 und der auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte der Kommission

166

Art. 288 Abs. 4 AEUV sieht wie Art. 249 Abs. 4 EG vor, dass eine Entscheidung „in allen ihren Teilen“ für diejenigen „verbindlich“ ist, die sie bezeichnet.

167

Gemäß ihrem Art. 4 ist die Entscheidung 2006/928 an alle Mitgliedstaaten gerichtet, was Rumänien seit seinem Beitritt einschließt. Diese Entscheidung ist daher für diesen Mitgliedstaat seit seinem Beitritt zur Union in allen ihren Teilen verbindlich.

168

Mit dieser Entscheidung wird Rumänien somit verpflichtet, die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben zu erfüllen und der Kommission gemäß Art. 1 Abs. 1 jährlich über die insoweit erzielten Fortschritte zu berichten.

169

Insbesondere bezüglich dieser Vorgaben ist hinzuzufügen, dass diese, wie sich aus den Rn. 158 bis 162 des vorliegenden Urteils ergibt, aufgrund der von der Kommission vor dem Beitritt Rumäniens zur Union u. a. in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung festgestellten Mängel festgelegt wurden und bezwecken, die Achtung des in Art. 2 EUV verankerten Wertes der Rechtsstaatlichkeit durch diesen Mitgliedstaat zu gewährleisten, was Voraussetzung für die Wahrnehmung aller Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat ergeben.

170

Außerdem konkretisieren diese Vorgaben, wie der Generalanwalt in Nr. 152 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 ausgeführt hat und wie die Kommission und die belgische Regierung vorgebracht haben, die von Rumänien beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommenen bzw. akzeptierten besonderen Verpflichtungen und Anforderungen, die in Anhang IX der Beitrittsakte aufgeführt sind, betreffend u. a. die Bereiche Justiz und Korruptionsbekämpfung.

171

So bestand, wie u. a. die Kommission betont hat und wie sich aus den Erwägungsgründen 4 und 6 der Entscheidung 2006/928 ergibt, der Zweck der Einführung des VZÜ und der Festlegung der Vorgaben darin, den Beitritt Rumäniens zur Union zu vollenden, um die von der Kommission vor dem Beitritt in diesen Bereichen festgestellten Mängel zu beheben.

172

Daraus folgt, dass die Vorgaben für Rumänien verbindlich sind, so dass dieser Mitgliedstaat der besonderen Verpflichtung unterliegt, diese Vorgaben zu erreichen und alsbald die zu deren Erreichung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Ebenso ist dieser Mitgliedstaat verpflichtet, von der Durchführung aller Maßnahmen abzusehen, die die Erreichung dieser Vorgaben gefährden könnten.

173

Zu den von der Kommission auf der Grundlage der Entscheidung 2006/928 erstellten Berichten ist darauf hinzuweisen, dass für die Feststellung, ob eine Handlung der Union verbindliche Wirkungen erzeugt, auf das Wesen dieser Handlung abzustellen ist und ihre Wirkungen anhand objektiver Kriterien wie z. B. des Inhalts der Handlung zu beurteilen sind, wobei gegebenenfalls der Zusammenhang ihres Erlasses und die Befugnisse des die Handlung vornehmenden Organs zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 32).

174

Im vorliegenden Fall sind die auf der Grundlage der Entscheidung 2006/928 erstellten Berichte gemäß deren Art. 2 Abs. 1 zwar nicht an Rumänien, sondern an das Parlament und den Rat gerichtet. Außerdem enthalten diese Berichte zwar eine Analyse der Situation in Rumänien und werden darin Anforderungen in Bezug auf diesen Mitgliedstaat formuliert, doch werden mit den darin enthaltenen Schlussfolgerungen unter Bezugnahme auf diese Anforderungen „Empfehlungen“ an diesen Mitgliedstaat gerichtet.

175

Allerdings sind diese Berichte, wie sich aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 der genannten Entscheidung ergibt, dazu bestimmt, die Fortschritte, die Rumänien im Hinblick auf die von diesem Mitgliedstaat zu erreichenden Vorgaben erzielt hat, zu analysieren und zu bewerten. Was insbesondere die Empfehlungen in diesen Berichten anbelangt, so werden diese, wie auch die Kommission ausgeführt hat, im Hinblick auf die Verwirklichung dieser Ziele formuliert, um die Reformen dieses Mitgliedstaats in dieser Hinsicht zu leiten.

176

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, sowie die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben; diese Verpflichtung obliegt im Rahmen seiner Zuständigkeiten jedem Organ des betreffenden Mitgliedstaats (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Slowenien (Archive der EZB), C‑316/19, EU:C:2020:1030, Rn. 119 und 124 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

177

Unter diesen Umständen muss Rumänien, um den im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben zu entsprechen, den in den von der Kommission aufgrund dieser Entscheidung erstellten Berichten formulierten Anforderungen und Empfehlungen gebührend Rechnung tragen. Insbesondere darf dieser Mitgliedstaat keine Maßnahmen in den von den Vorgaben erfassten Bereichen erlassen oder beibehalten, die das von diesen Vorgaben vorgeschriebene Ergebnis gefährden könnten. In dem Fall, dass die Kommission in einem solchen Bericht Zweifel an der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit einer der Vorgaben äußert, obliegt es Rumänien, redlich mit diesem Organ zusammenzuarbeiten, um unter vollständiger Beachtung dieser Vorgaben und der Bestimmungen der Verträge die bei der Erfüllung dieser Vorgaben aufgetretenen Schwierigkeiten zu überwinden.

178

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑195/19, die zweite Frage in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19 sowie die dritte Frage in den Rechtssachen C‑127/19, C‑291/19 und C‑397/19 zu antworten, dass die Art. 2, 37 und 38 der Beitrittsakte in Verbindung mit den Art. 2 und 49 EUV dahin auszulegen sind, dass die Entscheidung 2006/928, was ihre Rechtsnatur, ihren Inhalt und ihre zeitlichen Wirkungen anbelangt, in den Anwendungsbereich des Beitrittsvertrags fällt. Diese Entscheidung ist, solange sie nicht aufgehoben worden ist, für Rumänien in allen ihren Teilen verbindlich. Die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben sollen sicherstellen, dass dieser Mitgliedstaat den in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit beachtet, und sind für diesen Mitgliedstaat in dem Sinne verbindlich, dass er verpflichtet ist, die zur Erreichung dieser Vorgaben geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, wobei er gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die von der Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte, insbesondere die in diesen Berichten formulierten Empfehlungen, gebührend zu berücksichtigen hat.

Zur vierten Frage in der Rechtssache C‑83/19 und zur dritten Frage in der Rechtssache C‑355/19

179

Mit der vierten Frage in der Rechtssache C‑83/19 und der dritten Frage in der Rechtssache C‑355/19, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob die Regelungen über die Organisation der Justiz in Rumänien wie die über die vorläufige Ernennung auf Leitungsstellen der Justizinspektion und die Errichtung der AUSJ in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallen und ob sie die Anforderungen erfüllen müssen, die sich aus dem in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit ergeben.

180

Hierzu ist festzustellen, dass die Entscheidung 2006/928, wie aus ihrem sechsten Erwägungsgrund sowie dem außerordentlich weit gefassten Wortlaut der Vorgaben 1, 3 und 4 in deren Anhang hervorgeht und wie der in Rn. 158 des vorliegenden Urteils angeführte Bericht der Kommission bestätigt, das gesamte Justizsystem in Rumänien sowie die Korruptionsbekämpfung in diesem Mitgliedstaat erfasst. Insoweit stellte die Kommission in Rz. 3.1 ihres Berichts an das Europäische Parlament und den Rat vom 27. Juni 2007 über Rumäniens Fortschritte bei den Begleitmaßnahmen nach dem Beitritt (KOM[2007] 378 endgültig), der nach Art. 2 dieser Entscheidung vorgesehen ist, fest, dass die Vorgaben aufgrund dessen, dass jede einzelne von ihnen dazu beitrage, ein unabhängiges, unparteiisches Justiz- und Verwaltungssystem aufzubauen, nicht getrennt voneinander betrachtet werden könnten, sondern als Teil jeder angestrebten Justizreform und der Korruptionsbekämpfung betrachtet werden müssten, solange diese Vorgaben noch nicht erreicht seien.

181

Im vorliegenden Fall wurden jedoch, wie der Generalanwalt in den Nrn. 178 und 250 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 im Wesentlichen ausgeführt hat, durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelungen, die aus den in den Jahren 2018 und 2019 durchgeführten Reformen hervorgegangen sind, Änderungen an den verschiedenen Justizgesetzen vorgenommen, die im Rahmen der Verhandlungen über den Beitritt Rumäniens zur Union mit dem Ziel erlassen wurden, die Unabhängigkeit und die Effektivität der Justiz zu verbessern, und den legislativen Rahmen der Organisation des Justizsystems in diesem Mitgliedstaat bilden.

182

Was konkret die in der Rechtssache C‑83/19 streitige nationale Regelung anbelangt, so betrifft diese die vorläufige Ernennung auf Leitungsstellen der Justizinspektion, bei der es sich um eine Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit innerhalb des Obersten Richterrats handelt, dessen Rechenschaftspflicht – als Garantie transparenterer und leistungsfähigerer Gerichtsverfahren – ausdrücklich Gegenstand der ersten Vorgabe im Anhang der Entscheidung 2006/928 ist. Diese Einrichtung verfügt über wesentliche Zuständigkeiten im Rahmen von Disziplinarverfahren innerhalb der Justiz sowie im Rahmen von Verfahren betreffend die persönliche Haftung von Richtern und Staatsanwälten. Ihre institutionelle Struktur und ihre Tätigkeit sowie die in der Rechtssache C‑83/19 in Rede stehende Regelung waren im Übrigen Gegenstand von gemäß Art. 2 der Entscheidung 2006/928 erstellten Berichten der Kommission, und zwar insbesondere der in den Jahren 2010, 2011 und 2017 bis 2019 erstellten Berichte.

183

Die in den Rechtssachen C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 in Rede stehende nationale Regelung betrifft hingegen die Errichtung der AUSJ und die Modalitäten der Bestimmung der Staatsanwälte, die dort ihr Amt ausüben sollen. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 180 und 181 seiner Schlussanträge in diesen Rechtssachen ausgeführt hat, fällt die Errichtung einer solchen Abteilung unter die Vorgaben 1, 3 und 4 im Anhang der Entscheidung 2006/928, die die Organisation des Justizsystems und die Korruptionsbekämpfung betreffen, und war im Übrigen Gegenstand der in den Jahren 2018 und 2019 gemäß Art. 2 dieser Entscheidung erstellten Berichte der Kommission.

184

Daraus folgt, dass solche Regelungen in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallen und dass sie, wie sich aus Rn. 178 des vorliegenden Urteils ergibt, den Anforderungen genügen müssen, die sich aus dem Unionsrecht und insbesondere aus dem in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit ergeben.

185

Daher ist auf die vierte Frage in der Rechtssache C‑83/19 und auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑355/19 zu antworten, dass die Regelungen über die Organisation der Justiz in Rumänien wie die über die vorläufige Ernennung auf Leitungsstellen der Justizinspektion und die Errichtung einer mit der Untersuchung von Straftaten innerhalb der Justiz betrauten Abteilung der Staatsanwaltschaft in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallen, so dass sie die Anforderungen erfüllen müssen, die sich aus dem Unionsrecht und insbesondere aus dem in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit ergeben.

Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑83/19

186

Mit seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑83/19 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer von der Regierung eines Mitgliedstaats erlassenen nationalen Regelung entgegenstehen, die es diesem erlaubt, Leitungsstellen derjenigen Einrichtung der Justiz, die für die Durchführung von Disziplinarermittlungen und die Erhebung von Disziplinarklagen gegen Richter und Staatsanwälte zuständig ist, ohne Einhaltung des für solche Stellen im nationalen Recht vorgesehenen ordentlichen Ernennungsverfahrens vorläufig zu besetzen.

187

Wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, stellt das vorlegende Gericht diese Frage deshalb, weil die Aufgaben, mit denen eine Einrichtung der Justiz wie die von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung erfasste betraut ist, und insbesondere der Umfang der Befugnisse, über die die leitenden Mitglieder dieser Einrichtung im Rahmen dieser Aufgaben verfügen, Fragen im Hinblick auf das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit aufwerfen können.

188

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe überträgt, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586‚ Rn. 50, vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 47, und vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 98).

189

Schon das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, ist einem Rechtsstaat inhärent (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 36, und vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 51).

190

Insoweit ist es, wie in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorgesehen, Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 109 und 110 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

191

Folglich hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden (Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 37, und vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586‚ Rn. 52).

192

Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).

193

Nationale Regelungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gelten für alle Richter und Staatsanwälte und damit für Richter der ordentlichen Gerichte, die in dieser Eigenschaft über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden haben. Da letztere somit als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil des rumänischen Rechtsbehelfssystems in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sind, müssen sie den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden.

194

Um sicherzustellen, dass Einrichtungen, die zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts angerufen werden können, in der Lage sind, den nach dieser Bestimmung erforderlichen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtungen gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).

195

Dieses Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt. Nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Unabhängigkeit der Gerichte u. a. gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 116 und 118 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

196

Nach ständiger Rechtsprechung setzen die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraus, dass es Regeln gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2006, Wilson, C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 117, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 53).

197

Insoweit sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die für den Status der Richter und die Ausübung ihres Richteramts geltenden Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten, auszuschließen, und damit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 119 und 139 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

198

Was insbesondere die Vorschriften über die Disziplinarregelung betrifft, so verlangt das Erfordernis der Unabhängigkeit nach ständiger Rechtsprechung, dass diese Regelung die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. Insoweit bilden Regeln, die insbesondere festlegen, welche Verhaltensweisen Disziplinarvergehen begründen und welche Sanktionen konkret anwendbar sind, die die Einschaltung einer unabhängigen Instanz gemäß einem Verfahren vorsehen, das die in den Art. 47 und 48 der Charta niedergelegten Rechte, namentlich die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang sicherstellt, und die die Möglichkeit festschreiben, die Entscheidungen der Disziplinarorgane vor Gericht anzufechten, eine Reihe von Garantien, die wesentlich sind, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67, vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531‚ Rn. 77, und vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 114).

199

Da zudem, wie der Generalanwalt in Nr. 268 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 im Wesentlichen ausgeführt hat, die Aussicht auf die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung als solche geeignet ist, Druck auf diejenigen auszuüben, deren Aufgabe es ist, zu entscheiden, ist es wesentlich, dass die für die Durchführung von Untersuchungen und die Erhebung von Disziplinarklagen zuständige Einrichtung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben objektiv und unparteiisch handelt und zu diesem Zweck frei von jeder äußeren Beeinflussung ist.

200

Deshalb und weil die Personen, die die Leitungsstellen in einer solchen Einrichtung besetzen, einen entscheidenden Einfluss auf die Tätigkeit der Einrichtung ausüben können, müssen die Regeln für das Verfahren zu ihrer Ernennung auf diese Stellen, wie der Generalanwalt in Nr. 269 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19 im Wesentlichen ausgeführt hat, so gestaltet sein, dass sie keinen berechtigten Zweifel daran aufkommen lassen können, dass die Befugnisse und Aufgaben dieser Einrichtung als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit oder zur Ausübung politischer Kontrolle über diese Tätigkeit benutzt werden.

201

Die Entscheidung hierüber ist letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, nachdem es die dafür erforderliche Würdigung vorgenommen hat. Art. 267 AEUV gibt dem Gerichtshof nämlich nicht die Befugnis, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, sondern nur die, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Unionsorgane zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof aber das Unionsrecht im Rahmen der durch diesen Art. 267 AEUV begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 132, und vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 96).

202

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass die Leiter der Einrichtung, deren Aufgabe die Durchführung von Disziplinaruntersuchungen und die Erhebung von Disziplinarklagen gegen Richter und Staatsanwälte ist, von der Regierung eines Mitgliedstaats ernannt werden, für sich genommen nicht geeignet ist, Zweifel wie die in Rn. 200 des vorliegenden Urteils genannten aufkommen zu lassen.

203

Das Gleiche gilt für nationale Bestimmungen, die vorsehen, dass einer Leitungsstelle einer solchen Einrichtung im Fall der Vakanz dieser Stelle nach Ablauf der betreffenden Amtszeit vorläufig mit dem Leiter besetzt wird, dessen Amtszeit abgelaufen ist, bis die Stelle nach Maßgabe des Gesetzes besetzt wird.

204

Gleichwohl ist weiterhin erforderlich, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass von Entscheidungen über die Ernennung solcher Leitungspersonen so gestaltet sind, dass sie den in Rn. 199 dieses Urteils genannten Anforderungen genügen.

205

Insbesondere kann eine nationale Regelung Zweifel wie die in Rn. 200 des vorliegenden Urteils genannten hervorrufen, wenn sie, sei es auch nur vorübergehend, zur Folge hat, dass es der Regierung des betreffenden Mitgliedstaats erlaubt ist, unter Außerachtlassung des im nationalen Recht vorgesehenen ordentlichen Ernennungsverfahrens die Leitungsstellen der Einrichtung zu besetzen, deren Aufgabe die Durchführung von Disziplinaruntersuchungen und die Erhebung von Disziplinarklagen gegen Richter und Staatsanwälte ist.

206

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte des nationalen rechtlichen und tatsächlichen Kontexts zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung zur Folge hatte, dass der nationalen Regierung eine unmittelbare Befugnis zur Besetzung dieser Stellen verliehen wurde und berechtigte Zweifel hinsichtlich einer Verwendung der Befugnisse und Aufgaben der Justizinspektion als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Tätigkeit der Richter und Staatsanwälte oder zur Ausübung politischer Kontrolle über diese Tätigkeit hervorrufen konnte.

207

Nach alledem ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑83/19 zu antworten, dass Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer von der Regierung eines Mitgliedstaats erlassenen nationalen Regelung, die es diesem erlaubt, Leitungsstellen derjenigen Einrichtung der Justiz, die für die Durchführung von Disziplinarermittlungen und die Erhebung von Disziplinarklagen gegen Richter und Staatsanwälte zuständig ist, ohne Einhaltung des im nationalen Recht vorgesehenen ordentlichen Ernennungsverfahrens vorläufig zu besetzen, entgegenstehen, wenn diese Regelung geeignet ist, berechtigte Zweifel hinsichtlich einer Verwendung der Befugnisse und Aufgaben dieser Einrichtung als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Tätigkeit dieser Richter und Staatsanwälte oder zur Ausübung politischer Kontrolle über diese Tätigkeit hervorzurufen.

Zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C‑127/19, zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑195/19, zur vierten und zur fünften Frage in der Rechtssache C‑291/19 sowie zur dritten und zur vierten Frage in der Rechtssache C‑355/19

208

Mit der vierten und der fünften Frage in der Rechtssache C‑127/19, der zweiten Frage in der Rechtssache C‑195/19, der vierten und der fünften Frage in der Rechtssache C‑291/19 sowie der dritten und der vierten Frage in der Rechtssache C‑355/19, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Errichtung einer spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft mit ausschließlicher Zuständigkeit für die Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälte begangenen Straftaten vorsieht.

209

Die vorlegenden Gerichte sind der Ansicht, dass die Errichtung in Rumänien einer solchen Abteilung, d. h. der AUSJ, der diese ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen wird, geeignet sei, einen Druck auf Richter auszuüben, der mit den Garantien nach Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta unvereinbar sei. Außerdem verstärkten die Vorschriften über die Zuständigkeit und die Organisation der AUSJ, die Arbeitsweise der AUSJ sowie die Ernennung und Entlassung der dieser zugewiesenen Staatsanwälte diese Befürchtung und seien im Übrigen geeignet, die Bekämpfung von Korruptionsdelikten zu behindern. Schließlich sei die AUSJ in Anbetracht der begrenzten Zahl ihrer Staatsanwälte nicht in der Lage, die bei ihr anhängigen Fälle innerhalb einer angemessenen Frist zu bearbeiten.

210

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus der in Rn. 111 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, die Organisation der Justiz, einschließlich der Staatsanwaltschaft, in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts fällt.

211

Daher ist, wie in den Rn. 191, 194 und 195 des vorliegenden Urteils ausgeführt, weiterhin wesentlich, dass diese Einrichtung so gestaltet ist, dass die Beachtung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen, insbesondere derjenigen der Unabhängigkeit der Gerichte, die über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden haben, gewährleistet wird, um den Rechtsunterworfenen einen effektiven gerichtlichen Schutz für ihre aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte zu gewährleisten.

212

Nach der in den Rn. 196 und 197 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit die Ausarbeitung von Regeln, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit von Richtern für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, die ihre Entscheidungen leiten könnten, auszuräumen, und somit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

213

Sieht ein Mitgliedstaat spezifische Vorschriften für Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte vor, wie z. B. die Vorschriften über die Errichtung einer besonderen Abteilung der Staatsanwaltschaft mit ausschließlicher Zuständigkeit für die Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälte begangenen Straftaten, so gebietet das Erfordernis der Unabhängigkeit, um bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel im Sinne der vorstehenden Randnummer auszuräumen, dass diese spezifische Vorschriften durch objektive und überprüfbare Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt sind und dass sie ebenso wie die Vorschriften über die disziplinarische Haftung von Richtern und Staatsanwälten die notwendigen Garantien dafür vorsehen, dass diese Strafverfahren nicht als System der politischen Kontrolle der Tätigkeit dieser Richter und Staatsanwälte verwendet werden können und dass sie die in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte in vollem Umfang gewährleisten.

214

Solche spezifischen Vorschriften dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass Richter und Staatsanwälte, die mit Korruptionsfällen betraut sind, äußeren Faktoren, auf die in Rn. 212 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, ausgesetzt sind, da andernfalls nicht nur gegen die Anforderungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen würde, sondern im vorliegenden Fall auch gegen die spezifischen Verpflichtungen, die Rumänien nach der Entscheidung 2006/928 im Bereich der Korruptionsbekämpfung obliegen. Des Weiteren dürfen sie nicht dazu führen, dass sich die Dauer der Ermittlungen bei Korruptionsdelikten verlängert oder in irgendeiner anderen Weise die Bekämpfung der Korruption geschwächt wird.

215

Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass der Oberste Richterrat vor dem Gerichtshof zwar geltend gemacht, dass die Errichtung der AUSJ durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, Richter und Staatsanwälte vor willkürlichen Strafanzeigen zu schützen, doch ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass die Begründung dieses Gesetzes keine Rechtfertigung im Zusammenhang mit zwingenden Erfordernissen der geordneten Rechtspflege erkennen lässt, was jedoch die vorlegenden Gerichte unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte zu prüfen haben werden.

216

Zweitens ist eine autonome Struktur innerhalb der Staatsanwaltschaft wie die AUSJ, die mit der Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälte begangenen Straftaten betraut ist, aufgrund dessen, dass sie nach Maßgabe der Vorschriften über die Zuständigkeit, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise einer solchen Struktur sowie des einschlägigen nationalen Kontexts so wahrgenommen werden könnte, dass damit ein Instrument zur Ausübung von Druck auf und zur Einschüchterung von Richtern eingeführt werden soll, und damit der Eindruck erweckt werden könnte, dass diese Richter nicht unabhängig und unparteiisch sind, geeignet, das Vertrauen zu beeinträchtigen, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

217

Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass es genügt, dass bei der AUSJ eine Strafanzeige gegen einen Richter oder einen Staatsanwalt gestellt wird, damit die AUSJ ein Verfahren einleitet, und zwar auch dann, wenn die Anzeige im Rahmen eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gestellt wird, das eine andere Person als einen Richter oder einen Staatsanwalt betrifft, wobei dieses Verfahren dann unabhängig von der Art der dem Richter oder Staatsanwalt zur Last gelegten Straftat und den gegen ihn angeführten Beweisen auf die AUSJ übertragen wird. Selbst in dem Fall, dass sich die laufende Untersuchung auf eine Straftat bezieht, die in die Zuständigkeit einer anderen spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft wie der DNA fällt, wird der Fall ebenfalls auf die AUSJ übertragen, wenn ein Richter oder Staatsanwalt Beschuldigter ist. Schließlich kann die AUSJ gegen Entscheidungen, die vor ihrer Errichtung ergangen sind, Klage erheben oder eine von der DNA, der DIICOT oder dem Generalstaatsanwalt bei einem Obergericht erhobene Klage zurücknehmen.

218

Nach Angaben der vorlegenden Gerichte würde das auf diese Weise geschaffene System es ermöglichen, dass Anzeigen missbräuchlich gestellt werden, u. a. um in sensiblen laufenden Verfahren, insbesondere komplexen und medialisierten Fällen im Zusammenhang mit Korruption auf hoher Ebene oder organisierter Kriminalität, einzugreifen, da die Akte in dem Fall, dass eine solche Anzeige gestellt wird, automatisch in die Zuständigkeit der AUSJ fiele.

219

Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen und dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 22. Oktober 2019 über Rumäniens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens (COM[2019] 499 final, S. 5), geht hervor, dass praktische Beispiele aus der Tätigkeit der AUSJ die Verwirklichung der in Rn. 216 des vorliegenden Urteils genannten Gefahr bestätigen, dass diese Abteilung einem Instrument zur Ausübung politischen Drucks gleichkommt und ihre Befugnisse zur Änderung des Ablaufs bestimmter strafrechtlicher Ermittlungen oder gerichtlicher Verfahren, die u. a. Fälle von Korruption auf hoher Ebene betreffen, in einer Weise ausübt, die Zweifel an ihrer Objektivität aufkommen lässt, was die vorlegenden Gerichte gemäß der in Rn. 201 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu beurteilen haben werden.

220

In diesem Rahmen werden diese Gerichte außerdem zu prüfen haben, ob die Vorschriften über die Organisation und die Arbeitsweise der AUSJ sowie über die Ernennung und Abberufung der dieser Abteilung zugewiesenen Staatsanwälte nicht – insbesondere unter Berücksichtigung der Änderungen dieser Vorschriften durch Dringlichkeitsverordnungen, mit denen von dem im nationalen Recht vorgesehenen ordentlichen Verfahren abgewichen wird – geeignet sind, diese Abteilung für äußere Einflüsse durchlässig zu machen.

221

Was drittens die in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte betrifft, ist es insbesondere wichtig, dass die Vorschriften über die Organisation und die Arbeitsweise einer spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft wie der AUSJ so gestaltet sind, dass sie nicht verhindern, dass die Fälle betroffener Richter und Staatsanwälte innerhalb einer angemessenen Frist verhandelt werden können.

222

Vorbehaltlich einer Überprüfung durch die vorlegenden Gerichte ergibt sich jedoch aus den Angaben dieser Gerichte, dass dies bei der AUSJ möglicherweise nicht der Fall ist, insbesondere aufgrund der kombinierten Wirkung der offenbar sehr geringen Zahl der dieser Abteilung zugewiesenen Staatsanwälte, die im Übrigen wohl weder über die Mittel noch über das Fachwissen verfügen, um Ermittlungen in komplexen Korruptionsfällen durchzuführen, auf der einen und der Arbeitsbelastung, die sich für diese Staatsanwälte aus der Übertragung solcher Fälle von den für deren Behandlung zuständigen Abteilungen ergibt, auf der anderen Seite.

223

Nach alledem ist auf die vierte und die fünfte Frage in der Rechtssache C‑127/19, die zweite Frage in der Rechtssache C‑195/19, die vierte und die fünfte Frage in der Rechtssache C‑291/19 sowie die dritte und die vierte Frage in der Rechtssache C‑355/19, zu antworten, dass Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Errichtung einer spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft mit ausschließlicher Zuständigkeit für die Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälte begangenen Straftaten vorsieht, ohne dass die Errichtung einer solchen Abteilung

durch objektive und überprüfbare Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt ist und

mit besonderen Garantien einhergeht, die es zum einen ermöglichen, jede Gefahr auszuschließen, dass diese Abteilung als ein Instrument zur politischen Kontrolle der Tätigkeit dieser Richter und Staatsanwälte verwendet wird, das deren Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte, und zum anderen, sicherzustellen, dass diese Zuständigkeit gegenüber Letztgenannten unter vollumfänglicher Beachtung der sich aus den Art. 47 und 48 der Charta ergebenden Anforderungen wahrgenommen werden kann.

Zur vierten bis zur sechsten Frage in der Rechtssache C‑397/19

224

Mit den Fragen 4 bis 6 in der Rechtssache C‑397/19, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die vermögensrechtliche Haftung des Staates und die persönliche Haftung von Richtern für durch einen Justizirrtum verursachte Schäden regelt, wenn diese Regelung

erstens den Begriff „Justizirrtum“ abstrakt und allgemein definiert;

zweitens vorsieht, dass die Feststellung des Vorliegens eines Justizirrtums, die im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der vermögensrechtlichen Haftung des Staates ohne Anhörung des betreffenden Richters getroffen worden ist, für das Verfahren zur Prüfung von dessen persönlicher Haftung bindend ist;

drittens einem Ministerium die Zuständigkeit für die Einleitung der Untersuchung, mit der überprüft werden soll, ob gegen den Richter eine Regressklage zu erheben ist, sowie für die Erhebung dieser Klage auf der Grundlage seiner eigenen Beurteilung zuweist.

225

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung das Vorliegen eines Justizirrtums eine der Voraussetzungen sowohl für die vermögensrechtliche Haftung des Staates als auch für die persönliche Haftung des betreffenden Richters darstellt. In Anbetracht der Erfordernisse, die sich aus den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und insbesondere der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit ergeben, sind die Regelung, die es den Rechtsunterworfenen ermöglicht, den Staat für den ihnen durch einen Justizirrtum entstandenen Schaden haftbar zu machen, und die Regelung über die persönliche Haftung von Richtern wegen eines solchen Justizirrtums im Rahmen einer Regressklage getrennt zu prüfen.

226

Was zum einen die Haftung des Staates für unionsrechtswidrige Gerichtsentscheidungen betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass nicht ersichtlich ist, dass die Unabhängigkeit eines letztinstanzlichen Gerichts durch die Möglichkeit, diese Haftung unter bestimmten Voraussetzungen feststellen zu lassen, gefährdet würde (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 42).

227

Diese Beurteilung lässt sich entsprechend auf die Möglichkeit übertragen, die Haftung des Staates für Gerichtsentscheidungen feststellen zu lassen, die nach nationalem Recht mit einem Justizirrtum behaftet sind.

228

Der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand, dass die materiellen Voraussetzungen für die Feststellung der Haftung des Staates, insbesondere hinsichtlich der Definition des Begriffs „Justizirrtum“, in der in Rede stehenden nationalen Regelung abstrakt und allgemein formuliert sind, ist für sich genommen ebenfalls nicht geeignet, die richterliche Unabhängigkeit zu gefährden, da eine Regelung dieser Haftung bereits ihrem Wesen nach bei einer solchen Definition abstrakte und allgemeine Kriterien vorsehen muss, die durch die nationale Rechtsprechung zu konkretisieren sind.

229

Was zum anderen die persönliche Haftung von Richtern für Schäden aufgrund eines von ihnen begangenen Justizirrtums betrifft, so ist zu betonen, dass diese Haftungsregelung zur Organisation der Justiz gehört und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Insbesondere kann die Möglichkeit für die Behörden eines Mitgliedstaats, diese Haftung im Wege einer Regressklage geltend zu machen, je nach der von den Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidung einen Aspekt darstellen, der einen Beitrag zur Verantwortlichkeit und zur Effizienz der Justiz leisten kann. Bei der Ausübung dieser Befugnis müssen die Mitgliedstaaten jedoch das Unionsrecht beachten.

230

Daher ist es, wie in den Rn. 191, 194 und 195 des vorliegenden Urteils ausgeführt, weiterhin wesentlich, dass die Regelung der persönlichen Haftung von Richtern so gestaltet ist, dass die Beachtung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen, insbesondere derjenigen der Unabhängigkeit der Gerichte, die über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden haben, gewährleistet wird, um den Rechtsunterworfenen den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.

231

So verlangt der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nach der in den Rn. 196 und 197 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung das Vorliegen von Garantien, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit von Richtern für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutiven, die ihre Entscheidungen leiten könnten, auszuräumen, und somit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

232

Insoweit birgt die Anerkennung eines Grundsatzes der persönlichen Haftung von Richtern für die von ihnen begangenen Justizirrtümer die Gefahr eines Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit, da sie die Entscheidungsfindung durch die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten beeinflussen kann.

233

Folglich muss die Geltendmachung der persönlichen Haftung eines Richters wegen eines Justizirrtums im Rahmen einer Regressklage auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben und durch objektive und überprüfbare Kriterien, die sich aus Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege ergeben, sowie durch Garantien beschränkt sein, die darauf abzielen, jegliche Gefahr eines Drucks von außen bezüglich des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen zu vermeiden und damit bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel im Sinne von Rn. 231 des vorliegenden Urteils auszuräumen.

234

Hierzu ist es wesentlich, dass Regeln vorgesehen werden, die u. a. die Verhaltensweisen, die die persönliche Haftung von Richtern begründen können, klar und präzise definieren, um die dem Auftrag des Richters inhärente Unabhängigkeit zu gewährleisten und zu verhindern, dass Richter der Gefahr ausgesetzt werden, dass ihre persönliche Haftung allein aufgrund ihrer Entscheidung eintreten kann. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 95 und 100 seiner Schlussanträge in der Rechtssache C‑397/19 im Wesentlichen ausgeführt hat, verlangt die Gewährleistung der Unabhängigkeit zwar nicht, dass Richtern eine absolute Immunität bezüglich der in Ausübung ihrer richterlichen Aufgaben vorgenommenen Handlungen gewährt wird, doch darf die persönliche Haftung eines Richters für in Ausübung seiner Amtstätigkeit verursachte Schäden nur in Ausnahmefällen eintreten, in denen seine schwere individuelle Schuld festgestellt worden ist. Insoweit genügt der Umstand, dass eine Entscheidung einen Justizirrtum enthält, für sich allein nicht für den Eintritt der persönlichen Haftung des betreffenden Richters.

235

Was die Modalitäten der Geltendmachung der persönlichen Haftung von Richtern im Rahmen einer Regressklage betrifft, so muss die nationale Regelung klar und präzise die erforderlichen Garantien vorsehen, die gewährleisten, dass weder die Untersuchung, mit der das Vorliegen von Voraussetzungen und Umständen geprüft werden soll, aufgrund deren diese Haftung eintreten kann, noch die Regressklage sich zu Instrumenten zur Ausübung von Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit wandeln können.

236

Um zu verhindern, dass diese Modalitäten eine abschreckende Wirkung auf Richter bezüglich der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, in völliger Unabhängigkeit zu richten, entfalten können, insbesondere in sensiblen Bereichen wie dem der Korruptionsbekämpfung, ist es, wie die Kommission im Wesentlichen ausgeführt hat, unerlässlich, dass die Behörden, die für die Einleitung und Durchführung der Untersuchung zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen und Umstände, die die persönliche Haftung des Richters begründen können, und für die Erhebung der Regressklage zuständig sind, ihrerseits Behörden sind, die bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben objektiv und unparteiisch handeln, und dass die materiellen Voraussetzungen und Verfahrensmodalitäten für die Ausübung dieser Befugnisse so geartet sind, dass sie keine berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit dieser Behörden aufkommen lassen können.

237

Außerdem ist es wichtig, dass die in Art. 47 der Charta verankerten Rechte, insbesondere die Verteidigungsrechte des Richters, in vollem Umfang gewahrt werden, und die Stelle, die für die Entscheidung über die persönliche Haftung des Richters zuständig ist, ein Gericht ist.

238

Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die in den Rn. 233 bis 237 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen erfüllt sind.

239

Von diesen Aspekten kommt, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass im vorliegenden Fall das Vorliegen eines Justizirrtums im Rahmen des gegen den Staat angestrengten Haftungsverfahrens endgültig festgestellt wird und dass diese Feststellung für das durch die Regressklage eingeleitete Verfahren zur Geltendmachung der persönlichen Haftung des betreffenden Richters bindend ist, obwohl dieser im Rahmen des ersten Verfahrens nicht angehört wurde. Eine solche Regel ist nicht nur geeignet, die Gefahr von Druck von außen auf die Tätigkeit von Richtern zu begründen, sondern kann auch deren Verteidigungsrechte beeinträchtigen, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

240

Was im Übrigen die Behörden betrifft, die für die Einleitung und Durchführung des Untersuchungsverfahrens, mit dem überprüft werden soll, ob die Voraussetzungen und Umstände vorliegen, die die persönliche Haftung des betreffenden Richters begründen können, und für die Erhebung einer Regressklage gegen diesen zuständig sind, geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass der zu diesem Zweck von der Justizinspektion erstellte Bericht nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung keine bindende Wirkung hat und es letztlich allein dem Ministerium für öffentliche Finanzen zukommt, auf der Grundlage seiner eigenen Beurteilung zu entscheiden, ob diese Voraussetzungen und Umstände für die Erhebung dieser Regressklage erfüllt sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte des nationalen rechtlichen und tatsächlichen Kontexts zu prüfen, ob solche Aspekte, insbesondere in Anbetracht dieses Ermessensspielraums, es ermöglichen können, dass die Regressklage als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit verwendet wird.

241

Nach alledem ist auf die Fragen 4 bis 6 in der Rechtssache C‑397/19 zu antworten, dass Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, die die vermögensrechtliche Haftung des Staates und die persönliche Haftung von Richtern für durch einen Justizirrtum verursachte Schäden regelt und den Begriff „Justizirrtum“ abstrakt und allgemein definiert, nicht entgegenstehen. Allerdings sind diese Bestimmungen auch dahin auszulegen, dass sie einer solchen Regelung entgegenstehen, wenn diese vorsieht, dass die Feststellung des Vorliegens eines Justizirrtums, die im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der vermögensrechtlichen Haftung des Staates ohne Anhörung des betreffenden Richters getroffen worden ist, für das nachfolgende Verfahren im Zusammenhang mit einer Regressklage zur Prüfung von dessen persönlicher Haftung bindend ist, und wenn sie nicht allgemein die Garantien umfasst, die zum einen erforderlich sind, um zu verhindern, dass eine solche Regressklage als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit verwendet wird, und zum anderen, um die Wahrung der Verteidigungsrechte des betreffenden Richters zu gewährleisten, damit bei den Rechtsunterworfenen jeder berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit von Richtern für äußere Faktoren, die deren Entscheidungen leiten könnten, ausgeräumt wird, und ausgeschlossen ist, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑195/19

242

Mit seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑195/19 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung mit Verfassungsrang eines Mitgliedstaats in der Auslegung durch das Verfassungsgericht dieses Staates entgegensteht, wonach ein untergeordnetes Gericht nicht berechtigt ist, eine in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallende nationale Bestimmung, die es im Licht eines Urteils des Gerichtshofs als mit dieser Entscheidung oder mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV unvereinbar ansieht, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen.

243

Das vorlegende Gericht führt aus, dass diese Frage mit der jüngsten Rechtsprechung der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) zusammenhänge, wonach das Unionsrecht, insbesondere die Entscheidung 2006/928, keinen Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht beanspruchen könne. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts besteht die Gefahr, dass das so von der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) ausgelegte Verfassungsrecht die Anwendung der Erkenntnisse aus dem zu erlassenden Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑195/19 verhindere.

244

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs besagt der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung in ihrem Hoheitsgebiet nicht beeinträchtigen darf (Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a., C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 214 und die dort angeführte Rechtsprechung).

245

Somit kann nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass sich ein Mitgliedstaat auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruft, auch wenn sie Verfassungsrang haben. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts für alle Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich, ohne dass dem insbesondere die innerstaatlichen Bestimmungen über die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten, auch wenn sie Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Februar 2013, Melloni, C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 59, und vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 148 und die dort angeführte Rechtsprechung).

246

Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts, wonach es dem nationalen Gericht obliegt, das nationale Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen, dem System der Verträge immanent ist, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

247

Ebenfalls nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und eine nationale Regelung nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, verpflichtet, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es ihre vorherige Beseitigung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a., C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 215 und die dort angeführte Rechtsprechung).

248

Insoweit ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, jede nationale Bestimmung, die einer Bestimmung des Unionsrechts, die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unmittelbare Wirkung hat, entgegensteht, unangewendet zu lassen (Urteile vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 61, und vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 161).

249

Im vorliegenden Fall verpflichtet die Entscheidung 2006/928, die konkret Gegenstand der Erwägungen der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) ist, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt, Rumänien, wie in Rn. 172 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die darin genannten Vorgaben alsbald zu erreichen. Da diese Ziele klar und präzise formuliert und an keine Bedingung geknüpft sind, haben sie unmittelbare Wirkung.

250

Außerdem ist das vorlegende Gericht in Anbetracht dessen, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV den Mitgliedstaaten eine klare und präzise Ergebnispflicht auferlegt, die in Bezug auf die Unabhängigkeit, die die zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts berufenen Gerichte aufweisen müssen, unbedingt ist (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 146), auch verpflichtet, im Rahmen seiner Zuständigkeiten in Anbetracht der Erwägungen in den Rn. 208 bis 223 des vorliegenden Urteils die volle Wirksamkeit dieser Bestimmung zu gewährleisten, indem es erforderlichenfalls jede dieser entgegenstehende nationale Bestimmung unangewendet lässt.

251

Somit verlangt der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV oder die Entscheidung 2006/928, dass das vorlegende Gericht die betreffenden Bestimmungen unabhängig davon, ob sie gesetzlicher oder verfassungsrechtlicher Natur sind, unangewendet lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 150 und die dort angeführte Rechtsprechung).

252

Nach alledem ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑195/19 zu antworten, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung mit Verfassungsrang eines Mitgliedstaats in der Auslegung durch das Verfassungsgericht dieses Staates entgegensteht, wonach ein untergeordnetes Gericht nicht berechtigt ist, eine in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallende nationale Bestimmung, die es im Licht eines Urteils des Gerichtshofs als mit dieser Entscheidung oder mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV unvereinbar ansieht, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen.

Kosten

253

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung sowie die von der Europäischen Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte stellen Handlungen eines Organs der Union dar, die vom Gerichtshof nach Art. 267 AEUV ausgelegt werden können.

 

2.

Die Art. 2, 37 und 38 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht in Verbindung mit den Art. 2 und 49 EUV sind dahin auszulegen, dass die Entscheidung 2006/928, was ihre Rechtsnatur, ihren Inhalt und ihre zeitlichen Wirkungen anbelangt, in den Anwendungsbereich des Vertrags zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union fällt. Diese Entscheidung ist, solange sie nicht aufgehoben worden ist, für Rumänien in allen ihren Teilen verbindlich. Die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben sollen sicherstellen, dass dieser Mitgliedstaat den in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit beachtet, und sind für diesen Mitgliedstaat in dem Sinne verbindlich, dass er verpflichtet ist, die zur Erreichung dieser Vorgaben geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, wobei er gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die von der Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte, insbesondere die in diesen Berichten formulierten Empfehlungen, gebührend zu berücksichtigen hat.

 

3.

Die Regelungen über die Organisation der Justiz in Rumänien wie die über die vorläufige Ernennung auf Leitungsstellen der Justizinspektion und die Errichtung einer mit der Untersuchung von Straftaten innerhalb der Justiz betrauten Abteilung der Staatsanwaltschaft fallen in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928, so dass sie die Anforderungen erfüllen müssen, die sich aus dem Unionsrecht und insbesondere aus dem in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit ergeben.

 

4.

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 sind dahin auszulegen, dass sie einer von der Regierung eines Mitgliedstaats erlassenen nationalen Regelung, die es diesem erlaubt, Leitungsstellen derjenigen Einrichtung der Justiz, die für die Durchführung von Disziplinarermittlungen und die Erhebung von Disziplinarklagen gegen Richter und Staatsanwälte zuständig ist, ohne Einhaltung des im nationalen Recht vorgesehenen ordentlichen Ernennungsverfahrens vorläufig zu besetzen, entgegenstehen, wenn diese Regelung geeignet ist, berechtigte Zweifel hinsichtlich einer Verwendung der Befugnisse und Aufgaben dieser Einrichtung als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Tätigkeit dieser Richter und Staatsanwälte oder zur Ausübung politischer Kontrolle über diese Tätigkeit hervorzurufen.

 

5.

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Errichtung einer spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft mit ausschließlicher Zuständigkeit für die Untersuchung von durch Richter und Staatsanwälten begangenen Straftaten vorsieht, ohne dass die Errichtung einer solchen Abteilung

durch objektive und überprüfbare Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt ist und

mit besonderen Garantien einhergeht, die es zum einen ermöglichen, jede Gefahr auszuschließen, dass diese Abteilung als ein Instrument zur politischen Kontrolle der Tätigkeit dieser Richter und Staatsanwälte verwendet wird, das deren Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte, und zum anderen, sicherzustellen, dass diese Zuständigkeit gegenüber Letztgenannten unter vollumfänglicher Beachtung der sich aus den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergebenden Anforderungen wahrgenommen werden kann.

 

6.

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die die vermögensrechtliche Haftung des Staates und die persönliche Haftung von Richtern für durch einen Justizirrtum verursachte Schäden regelt und den Begriff „Justizirrtum“ abstrakt und allgemein definiert, nicht entgegenstehen. Allerdings sind diese Bestimmungen auch dahin auszulegen, dass sie einer solchen Regelung entgegenstehen, wenn diese vorsieht, dass die Feststellung des Vorliegens eines Justizirrtums, die im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der vermögensrechtlichen Haftung des Staates ohne Anhörung des betreffenden Richters getroffen worden ist, für das nachfolgende Verfahren im Zusammenhang mit einer Regressklage zur Prüfung von dessen persönlicher Haftung bindend ist, und wenn sie nicht allgemein die Garantien umfasst, die zum einen erforderlich sind, um zu verhindern, dass eine solche Regressklage als Instrument zur Ausübung von Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit verwendet wird, und zum anderen, um die Wahrung der Verteidigungsrechte des betreffenden Richters zu gewährleisten, damit bei den Rechtsunterworfenen jeder berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit von Richtern für äußere Faktoren, die deren Entscheidungen leiten könnten, ausgeräumt wird, und ausgeschlossen ist, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

 

7.

Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung mit Verfassungsrang eines Mitgliedstaats in der Auslegung durch das Verfassungsgericht dieses Staates entgegensteht, wonach ein untergeordnetes Gericht nicht berechtigt ist, eine in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fallende nationale Bestimmung, die es im Licht eines Urteils des Gerichtshofs als mit dieser Entscheidung oder mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV unvereinbar ansieht, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.