EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 27.4.2022
COM(2022) 657 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern
1.EINLEITUNG
Die legale Migration kommt sowohl den Migrantinnen und Migranten als auch den Herkunfts- und den Zielländern zugute. Sie bietet Auswanderungswilligen die Möglichkeit, ihre Lebensumstände zu verbessern, und trägt dazu bei, den Bedarf auf den Arbeitsmärkten in den Aufnahmeländern zu decken. Sie kann eine Investition in die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt sein, die den ökologischen und den digitalen Wandel der EU unterstützt und zugleich dazu beiträgt, den Zusammenhalt und die Resilienz der europäischen Gesellschaften zu stärken. Die gemeinsame Migrationspolitik der EU muss der Integration der europäischen Wirtschaft und den Wechselwirkungen zwischen den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Sie sollte die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, ihre Mitgliedschaft in der EU als Vorteil zu nutzen, um Fachkräfte und Menschen mit verschiedenen Arten von Kompetenzen anzuziehen, die zur dynamischen Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften beitragen können.
Migration und Mobilität liegen in der Natur des Menschen, es gibt sie überall auf der Welt und so auch in der EU. Am 1. Januar 2021 lebten 23,7 Millionen Drittstaatsangehörige in der EU, was 5,3 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Die irreguläre Migration in die EU ist trotz umfassender Medienberichterstattung nach wie vor nur ein begrenztes Phänomen. Jährlich kommen etwa 2,25 bis 3 Millionen Drittstaatsangehörige über legale Wege in die EU. Im Vergleich dazu beläuft sich die Zahl der irregulären Einreisen auf nur 125 000 bis 200 000.
Die legale Migration ist ein wesentlicher Bestandteil des umfassenden, im neuen Migrations- und Asylpaket
dargelegten Migrationskonzepts, das auch für mehr Kohärenz zwischen der internen und der externen Dimension der Migrationspolitik sorgt. In dieser Mitteilung werden die drei Säulen einer ehrgeizigen und nachhaltigen EU-Politik für legale Migration dargelegt, um einen wirksameren Rahmen für legale Wege in die EU zu schaffen. Diese Säulen umfassen 1) legislative, 2) operative und 3) zukunftsorientierte Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, einige der wichtigsten Herausforderungen zu bewältigen, mit denen die EU kurz- und langfristig bei der Anwerbung von Kompetenzen und Fachkräften konfrontiert ist. Darüber hinaus wird in dieser Mitteilung auf die Notwendigkeit eingegangen, die Menschen im erwerbsfähigen Alter, die infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in die EU kommen (bis April 2022 waren es über 2,5 Millionen Erwachsene), möglichst rasch in den EU-Arbeitsmarkt zu integrieren.
Politische und wirtschaftliche Argumente für Arbeitsmigration
Migrantinnen und Migranten spielen schon jetzt eine entscheidende Rolle in der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft. In den letzten zehn Jahren wurde ein erheblicher Teil der neuen Arbeitsplätze in der EU mit Arbeitsmigranten besetzt, wodurch ein Teil des Bedarfs auf dem Arbeitsmarkt gedeckt werden konnte. Die Aufnahme von Migranten ist Teil eines breiter angelegten politischen Instrumentariums, mit dem der Arbeitskräftemangel und die Qualifikationslücken einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Ursachen angegangen werden sollen. Im Laufe der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass ganze 13 % der systemrelevanten Berufe (z. B. Ärzte, Krankenschwestern oder Fahrer) von Migrantinnen und Migranten ausgeübt werden.
Darüber hinaus hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die seit dem Zweiten Weltkrieg größte Fluchtbewegung in Europa ausgelöst, wobei vor allem Frauen und Kinder in die EU kommen. Die EU hat in der Folge die Richtlinie über vorübergehenden Schutz aktiviert und wird Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, auch weiterhin aufnehmen und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt als vorrangige Aufgabe behandeln. Die Ankunft dieser Menschen in der EU bedeutet jedoch nicht, dass es nicht mehr notwendig ist, die Grundlagen für ein nachhaltiges gemeinsames Konzept für die Arbeitsmigration zu schaffen, um den Fachkräftebedarf der EU langfristig decken zu können.
Nach den COVID-19-bedingten Einbrüchen erreicht die Beschäftigung auf dem europäischen Arbeitsmarkt insgesamt wieder das Niveau vor der Pandemie: Die Erholung auf dem EU-Arbeitsmarkt setzt sich fort und führt zu einem Bedarf an weiteren Arbeitskräften, insbesondere in Branchen, in denen ein struktureller Arbeitskräftemangel herrscht, wie dem Tourismus, dem Hotel- und Gastgewerbe, der Informationstechnologie, der Gesundheitsversorgung und der Logistik. Dabei ist der Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen sogar noch größer als vor der COVID-19-Pandemie, und die Zahl der unbesetzten Stellen hat stark zugenommen, obwohl sich die Beschäftigung noch nicht vollständig erholt hat.
Angesichts des künftigen Bedarfs muss der Übergang der EU zu einer grünen und digitalen Wirtschaft, der spezifische Kompetenzen und eine Umstrukturierung unserer Volkswirtschaften und Arbeitsmärkte erfordert, auch durch legale Migration begleitet werden. Um den doppelten Übergang zu fördern, sollte die EU im Bereich der Arbeitsmigration einen vorausschauenden Ansatz verfolgen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft auf Branchen wie Bauwesen, Energie, verarbeitendes Gewerbe und Verkehr auswirken wird, weshalb dort zusätzliche Arbeitskräfte und neue Kompetenzen erforderlich sein werden.
Die Arbeitsmigration ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht von Vorteil, sondern verbessert auch das Migrationsmanagement insgesamt, trägt sie doch dazu bei, unsere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern zu stärken – auch mit dem Ziel, die irreguläre Migration zu verringern. Sie zählt zu den wichtigsten Instrumenten des neuen Migrations- und Asylpakets mit dem Ziel, im Einklang mit der Agenda für nachhaltige Entwicklung ausgewogene und für beide Seiten vorteilhafte Migrationspartnerschaften mit Drittländern aufzubauen.
Es gibt also starke politische und wirtschaftliche Argumente für die Schaffung wirksamerer legaler Wege, über die Migrantinnen und Migranten nach Europa gelangen können. Dabei sind jedoch die unterschiedlichen Gegebenheiten und Strategien der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu beachten. Die legale Migration fällt in die geteilte Zuständigkeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Allein die Mitgliedstaaten entscheiden darüber, wie viele Drittstaatsangehörige in ihr jeweiliges Hoheitsgebiet einreisen und dort Arbeit suchen dürfen.
Vor diesem Hintergrund müssen realistische, pragmatische und schrittweise Fortschritte angestrebt werden. Rechtlich ist es möglich, gemeinsame Regeln festzulegen. Die EU kann im Rahmen von bereits operativen, mit den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und Drittländern abgestimmten Initiativen konkrete, pragmatische Maßnahmen ergreifen. Neue politische Initiativen eröffnen Möglichkeiten für künftige Maßnahmen. Zusammen bilden sie das Fundament für einen gemeinsamen europäischen Ansatz für die legale Migration, der mit den europäischen Werten im Einklang steht und die EU in die Lage versetzt, die gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen.
Demografische Rahmenbedingungen und wichtigste Herausforderungen
Gegenwärtig altert und schrumpft die Erwerbsbevölkerung in der EU zugleich. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung der EU-27 wird von rund 65 % im Jahr 2019 auf 56 % bis 54 % im Jahr 2070 zurückgehen.
Diese Trends erhöhen den Druck auf die Arbeitsmärkte und schwächen die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum. Parallel zum Rückgang des Anteils der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nimmt der Anteil älterer Menschen zu. Dieses Problem ist in manchen Mitgliedstaaten besonders ausgeprägt.
In einigen EU-Regionen fällt der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stärker aus als in anderen, wobei die ländlichen Gebiete insgesamt am stärksten betroffen sind. Eine schrumpfende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter führt zur stärkeren Belastung der Renten- und Sozialschutzsysteme in Europa und stellt ihre langfristige Tragfähigkeit in Frage.
Darüber hinaus muss die EU dem Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen und Regionen begegnen und dabei alle Qualifikationsniveaus abdecken: Die Arbeitgeber in der EU sehen sich einem Arbeitskräftemangel in 28 Berufen gegenüber, in denen im Jahr 2020 14 % der Erwerbsbevölkerung der EU beschäftigt waren. Mangelberufe sind etwa Sanitär- und Heizungsinstallateur, Pflegefachkraft, Systemanalytiker, Schweißer und Brennschneider, Lkw-Fahrer, Bauingenieur und Softwareentwickler. Auch auf regionaler Ebene ist ein Arbeitskräftemangel erkennbar, der beispielsweise auf Unterschiede im Entwicklungsstand der Regionen, auf das Vorhandensein von städtischen Gebieten innerhalb der Regionen oder auf regionale Unterschiede auf den Arbeitsmärkten bzw. bei den Lebensbedingungen zurückzuführen ist.
Die EU ist bestrebt, die Erwerbsbeteiligung von Frauen, älteren Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund und anderen unterrepräsentierten Gruppen zu erhöhen. Wie in der Europäischen Kompetenzagenda dargelegt, unternimmt sie zudem Anstrengungen, die Kompetenzen der Menschen während ihres gesamten Arbeitslebens zu verbessern. Um den durch die demografische Entwicklung und den Arbeitskräftemangel stetig steigenden Bedarf auf den Arbeitsmärkten zu decken, reicht es jedoch nicht aus, einheimische Arbeitskräfte zu mobilisieren oder die Mobilität innerhalb der EU zu erleichtern. Durch Mobilität innerhalb der EU kann der Arbeitskräftemangel auch deshalb immer weniger abgemildert werden, weil davon auszugehen ist, dass die an einem Ort angeworbenen Fachkräfte und Kompetenzen an einem anderen Ort fehlen werden. Ferner gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass in fast allen Mitgliedstaaten Arbeitskräftemangel herrscht. Die COVID-19-Pandemie verstärkt die Nachfrage in einer Reihe von Mangelberufen, was sich am stärksten im Gesundheitswesen bemerkbar macht. So meldeten im Jahr 2020 Belgien, Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Ungarn, Irland, die Niederlande, Rumänien und Schweden Engpässe bei Gesundheitsfachkräften und verwandten Berufen. Von den im Ausland geborenen Pflegekräften in der EU sind weniger als ein Drittel mobile Arbeitskräfte aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, zwei Drittel stammen aus Drittländern.
Sowohl in der Europäischen Kompetenzagenda als auch im neuen Migrations- und Asylpaket wird deshalb anerkannt, dass ein stärker strategisch ausgerichteter Ansatz für die legale Migration erforderlich ist, der darauf abzielen muss, Fachkräfte wirksamer anzuziehen und zu halten, um das Wachstums- und Innovationspotenzial zu fördern und die legale Migration in Regionen und Berufe zu lenken, in denen Fachkräftemangel herrscht.
Um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die EU für Fachkräfte aus der ganzen Welt attraktiver werden. Derzeit entscheiden sich hochqualifizierte Staatsangehörige aus Drittstaaten eher für Nordamerika oder Ozeanien als für die EU. Ein erster wichtiger Schritt zur Steigerung der Attraktivität der EU wurde mit der kürzlich erfolgten Überarbeitung der Richtlinie über die Blaue Karte EU
getan. Diese räumt hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten mehr Rechte sowie insbesondere das Recht ein, in ein anderes EU-Land umzuziehen und dort zu arbeiten, und sie sieht eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren vor. Neben Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbeutung und Diskriminierung von Arbeitskräften sollten all diese für die Attraktivität der EU relevanten Aspekte auch für andere Kategorien von Migranten gestärkt werden. Die Abstimmung von Arbeitskräfteangebot und ‑nachfrage ist auch aufgrund des internationalen Kontexts herausfordernd, der durch den zunehmenden Wettbewerb um Kompetenzen und Fachkräfte gekennzeichnet ist. Hindernisse bestehen aktuell in den langwierigen und komplizierten Einwanderungsverfahren und unterschiedlichen Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie in der Schwierigkeit, Fachkräfte aus Drittländern mit potenziellen Arbeitgebern in den Mitgliedstaaten zusammenzubringen.
Wie in der Mitteilung „Aufnahme von Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen: Vorbereitung Europas zur Deckung des Bedarfs“ dargelegt, müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Integration der Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, in den Arbeitsmarkt ergreifen. Die Kommission wird die Erfassung ihrer Kompetenzen und Qualifikationen unterstützen, um einen Abgleich mit dem Bedarf der Arbeitgeber in der EU zu erleichtern.
Eine nachhaltige EU-Politik für legale Migration auf der Grundlage von drei Säulen
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die EU einen Rechtsrahmen entwickelt, mit dem die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen der Mitgliedstaaten für bestimmte Kategorien von Drittstaatsangehörigen weitgehend harmonisiert wurden. Dies schließt die Einreise und den Aufenthalt zu Arbeitszwecken ein, z. B. von hochqualifizierten Arbeitskräften (d. h. Inhabern einer „blauen Karte“), Saisonarbeitnehmern und unternehmensintern versetzten Arbeitnehmern. Darüber hinaus regelt der EU-Rechtsrahmen: i) die Zulassungsvoraussetzungen und die Rechte von Studierenden und Forschenden aus Drittstaaten, ii) das Recht auf Familienzusammenführung sowie iii) die Voraussetzungen und Verfahren für die Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts (langfristiger Aufenthalt) an Drittstaatsangehörige. Die EU-Rechtsvorschriften sehen auch ein einheitliches Verfahren mit einer kombinierten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Drittstaaten vor, die im Rahmen der nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten aufgenommen wurden.
Derzeit gelten die EU-Vorschriften weder für andere Kategorien von Arbeitsmigranten noch für Selbstständige. Einige von ihnen fallen unter nationale Vorschriften. Im März 2019 schloss die Europäische Kommission eine Gesamtbewertung dieses Rechtsrahmens ab (die
Eignungsprüfung im Bereich der legalen Migration
). Die Bilanz fiel gemischt aus, wobei betont wurde, dass mehr getan werden könne, um den EU-Rahmen für legale Migration in Bezug auf die demografischen, wirtschaftlichen und migrationspolitischen Herausforderungen der EU effizienter zu gestalten. Die Eignungsprüfung ergab, dass das System der legalen Migration in der EU eine Reihe inhärenter Mängel aufweist, wie z. B. Fragmentierung, begrenzter Geltungsbereich der EU-Vorschriften, Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Richtlinien sowie Komplexität der Verfahren und fehlerhafte Umsetzung.
Die EU hat auch Programme für die Arbeitskräftemobilität mit Drittstaaten entwickelt. Pilotprojekte zur legalen Migration haben gezeigt, dass die EU die Mitgliedstaaten gezielt bei der Umsetzung von Programmen unterstützen kann, die sowohl den Bedürfnissen der Arbeitgeber entsprechen als auch die Entwicklung der Humanressourcen in den Partnerländern stärken. Darüber hinaus hat die EU Lernenden und Lehrkräften aus Drittstaaten die Möglichkeit für Mobilität im Rahmen von Erasmus+ im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung eingeräumt. Der Anwendungsbereich und die Ziele der derzeitigen Programme können jedoch noch ausgeweitet werden.
Um Antworten zu finden, die den vielfältigen Aspekten gerecht werden, und rechtliche und operative Mängel zu beheben, hat die Kommission eine breit angelegte Konsultation durchgeführt. Sie hat die breite Öffentlichkeit im Rahmen öffentlicher Konsultationen sowie die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, die europäischen Sozialpartner und die Zivilgesellschaft konsultiert. 2021 hat das Europäische Parlament zwei Entschließungen zur legalen Migration
angenommen, in denen es die Kommission aufforderte, den rechtlichen und politischen Rahmen der EU zu verbessern und weiterzuentwickeln. Darin hat das Europäische Parlament die Kommission gemäß Artikel 225 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union aufgefordert, Vorschläge zur Erleichterung und Förderung der Einreise in die und der Mobilität innerhalb der Union für legal einwandernde Drittstaatsangehörige vorzulegen, um den bürokratischen Aufwand zu verringern, die Harmonisierung zu verbessern, die Grundrechte und die Gleichbehandlung zu fördern und die Ausbeutung von Arbeitskräften zu verhindern.
Die Mitgliedstaaten befürworten zwar eine Vereinfachung und Straffung der Verfahren, ziehen es aber im Allgemeinen vor, sich auf operative Aspekte zu konzentrieren und auf EU-Ebene keine neuen legislativen Arbeiten zur legalen Migration durchzuführen.
Im Hinblick auf eine bessere Steuerung der legalen Migration in der EU werden in dieser Mitteilung, die den Forderungen des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten in ausgewogener und pragmatischer Weise Rechnung trägt, drei wesentliche Säulen einer nachhaltigen EU-Politik für legale Migration dargelegt:
·eine legislative Säule, mit der die Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige
und die Richtlinie über die kombinierte Erlaubnis
neu gefasst werden, um die Verfahren für die Aufnahme von Arbeitskräften mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus in die EU sowie die Mobilität von Arbeitskräften aus Drittstaaten, die sich bereits in der EU befinden, innerhalb der EU zu vereinfachen, ihre Rechte zu stärken und sie besser vor der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu schützen;
·eine operative Säule, mit der die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem internationalen Bedarfsabgleich angegangen und dazu konkrete Schritte zur Entwicklung von Fachkräftepartnerschaften mit wichtigen Partnerländern sowie die wichtigsten Merkmale eines EU-Talentpools dargelegt werden sollen;
·eine zukunftsorientierte Säule, die auf drei prioritären Tätigkeitsbereichen beruht, auf die die EU-Strategie für legale Migration ausgerichtet werden sollte: Pflege und Betreuung, Jugend sowie Innovation.
2.LEGISLATIVE SÄULE: VEREINFACHUNG VON MIGRATIONSVERFAHREN UND VERBESSERUNG DER RECHTE VON ARBEITSMIGRANTEN
Die Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige und die Richtlinie über die kombinierte Erlaubnis bilden den Rahmen für die Verfahren und Rechte eines Großteils der Arbeitnehmer aus Drittstaaten, die sich rechtmäßig in der EU aufhalten. Diese beiden Rechtsakte haben jedoch ihre Ziele, für die sie im Jahr 2003 bzw. 2011 verabschiedet wurden, nicht vollständig erreicht. Die Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige wird von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend genutzt und sieht kein wirksames Recht auf Mobilität innerhalb der EU vor. Das Ziel der Richtlinie über die kombinierte Erlaubnis, die Verfahren zur Aufnahme von Arbeitskräften aus Drittstaaten zu vereinfachen, ist nicht zur Gänze verwirklicht worden.
Aus diesen Gründen schlägt die Kommission eine weitgehende Neufassung der beiden Richtlinien vor. Hauptziele sind die Verringerung der Kosten und des Verwaltungsaufwands für Arbeitgeber, die Verhinderung der Ausbeutung von Arbeitskräften und die Unterstützung der weiteren Integration und Mobilität von Drittstaatsangehörigen, die bereits in der EU wohnen und arbeiten.
Die Kommission wird die Umsetzung der neuesten sektorspezifischen Richtlinien auch weiterhin überwachen. 2023 wird sie über die Umsetzung der Richtlinie über Saisonarbeitnehmer und der Richtlinie über unternehmensinterne Transfers Bericht erstatten. In Bezug auf die Richtlinie über Saisonarbeitnehmer wird die Kommission im Nachgang zu den vorgenannten Entschließungen des Europäischen Parlaments prüfen, ob die derzeitigen Vorschriften Saisonarbeitnehmern einen ausreichenden Schutz vor Ausbeutung bieten. Sie wird auch untersuchen, ob künftige rechtliche Änderungen erforderlich sind.
2.1. Straffung des Verfahrens der kombinierten Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis
Mit der Richtlinie über die kombinierte Erlaubnis wird das Verfahren für Drittstaatsangehörige vereinfacht, die rechtmäßig zu Arbeitszwecken in die EU einwandern wollen. Sie führt ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Arbeits- sowie Aufenthaltserlaubnis (= kombinierte Erlaubnis) ein. Sie gewährleistet zudem die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern aus Drittländern und Staatsangehörigen des Wohnsitzmitgliedstaats, indem allen Arbeitnehmern aus Drittstaaten bestimmte Rechte gewährt werden.
Durch die vorgeschlagene Neufassung der Richtlinie wird das Antragsverfahren rationeller und effizienter gestaltet. Es wird den Antragstellern ermöglicht, sowohl aus Drittländern als auch aus Mitgliedstaaten eine Erlaubnis zu beantragen. Derzeit hält die Gesamtdauer der Antragsverfahren Arbeitgeber davon ab, Arbeitskräfte aus Drittstaaten einzustellen. Die Verkürzung der Verfahren dürfte dazu beitragen, die Attraktivität der EU zu erhöhen und den Arbeitskräftemangel in der EU zu beheben. Der Vorschlag enthält auch neue Anforderungen zur Stärkung der Garantien und der Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen gegenüber EU-Bürgern und zur Verbesserung ihres Schutzes vor Ausbeutung. Insbesondere wird die kombinierte Erlaubnis nach den vorgeschlagenen neuen Vorschriften nicht an einen einzigen Arbeitgeber gebunden sein. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer während der Gültigkeitsdauer der Erlaubnis das Recht haben, den Arbeitgeber zu wechseln, und sich gleichzeitig weiterhin rechtmäßig in dem Mitgliedstaat aufhalten können. Dies wird die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt erleichtern und die Anfälligkeit für die Ausbeutung der Arbeitskraft verringern. Darüber hinaus enthält der Vorschlag neue Verpflichtungen, denen zufolge die Mitgliedstaaten Inspektionen, Überwachungsmechanismen und Sanktionen gegen Arbeitgeber, die gegen die gemäß der Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften verstoßen, vorsehen müssen.
2.2. Verbesserung der Rechtsstellung langfristig Aufenthaltsberechtigter in der EU
Die Neufassung der Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zielt darauf ab, ein wirksameres, kohärenteres und gerechteres System für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu schaffen. Dieses System sollte ein wichtiges Instrument zur Förderung der Integration von Drittstaatsangehörigen sein, die sich rechtmäßig und langfristig in der EU niederlassen.
Der Vorschlag zielt darauf ab, die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in der EU zu erleichtern, indem Drittstaatsangehörigen die Möglichkeit eingeräumt wird, Aufenthaltszeiten in verschiedenen Mitgliedstaaten zu kumulieren, damit sie die Anforderung in Bezug auf die Dauer des Aufenthalts erfüllen, und indem klar festgelegt wird, dass alle Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts in vollem Umfang angerechnet werden, einschließlich Aufenthaltszeiten als Studierende oder als Personen mit Anspruch auf vorübergehenden Schutz oder Zeiten eines ursprünglich befristeten Aufenthalts.
Der Vorschlag zielt auch darauf ab, die Rechte der langfristig Aufenthaltsberechtigten und ihrer Familienangehörigen zu stärken. Dazu gehört das Recht, in andere Mitgliedstaaten zu ziehen und dort zu arbeiten. Dieses vom Europäischen Parlament und einigen Interessenträgern geforderte Recht sollte dem Recht der EU-Bürger (innerhalb des geltenden EU-Rechtsrahmens) so weit wie möglich gleichen. Wird es Drittstaatsangehörigen, die in einem EU-Mitgliedstaat langfristig aufenthaltsberechtigt sind, ermöglicht, ihren Arbeitsplatz zu wechseln und zwecks Beschäftigung in einen anderen Mitgliedstaat zu ziehen, kann dies dazu beitragen, die Arbeitsmarkteffizienz in der gesamten EU zu verbessern, den Fachkräftemangel zu beheben und regionale Unterschiede auszugleichen. Außerdem kann damit die allgemeine Attraktivität der EU für ausländische Fachkräfte erhöht werden.
Darüber hinaus sieht der Vorschlag einen Mechanismus vor, der Gleichwertigkeit zwischen dem langfristigen Aufenthaltstitel der EU und den nationalen dauerhaften Aufenthaltstiteln in Bezug auf die Verfahren, das Recht auf Gleichbehandlung und den Zugang zu Informationen herstellen soll, so dass Drittstaatsangehörige eine echte Wahl zwischen den beiden Arten von Aufenthaltstiteln haben. Außerdem wird damit die zirkuläre Migration begünstigt, indem langfristig Aufenthaltsberechtigten die Rückkehr in ihr Herkunftsland erleichtert wird, ohne dass sie ihre Rechte verlieren, was sowohl den Herkunfts- als auch den Aufenthaltsländern zugutekommt.
3.OPERATIVE SÄULE: UNTERSTÜTZUNG EINER BESSEREN ABSTIMMUNG ZWISCHEN KOMPETENZEN UND BEDARF FÜR DIE EU UND DIE PARTNERLÄNDER
Neben der legislativen Säule schlägt die Kommission vor, die operative Zusammenarbeit auf Unionsebene sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch mit den Partnerländern deutlich zu intensivieren. Die Arbeiten zur Einrichtung von Fachkräftepartnerschaften und des EU‑Talentpools, zwei Schlüsselinitiativen, die im Rahmen des neuen Migrations- und Asylpakets angekündigt wurden, sind bereits weit fortgeschritten.
Neben einem verstärkten politischen Engagement der Mitgliedstaaten schlägt die Kommission nun einen klaren Fahrplan vor, nach dem diese beiden wichtigen Initiativen bis spätestens Ende 2022 eingeleitet werden sollen.
3.1. Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der EU und den Partnerländern durch Fachkräftepartnerschaften
Fachkräftepartnerschaften sind eines der Kernelemente der externen Dimension des neuen Migrations- und Asylpakets. Sie zielen darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den Partnerländern zu stärken sowie die internationale Mobilität der Arbeitskräfte und die Talentförderung auf eine für beide Seiten vorteilhafte und kreislauforientierte Weise anzukurbeln. Sie bilden das Fundament für einen umfassenden politischen Rahmen und die finanzielle Unterstützung mit dem Ziel, maßgebliche Partnerländer strategisch in alle Bereiche der Migrationssteuerung einzubinden, einschließlich der wirksamen Rückführung und Rückübernahme sowie der Verhinderung irregulärer Ausreisen. Wie im Migrationspaket dargelegt, sollte die Schaffung legaler Wege auch zur Verringerung der irregulären Migration beitragen.
Die Kommission steuert die Entwicklung von Fachkräftepartnerschaften, um sicherzustellen, dass diese maßgeschneidert und flexibel konzipiert werden und dem Arbeitsmarkt- und Qualifikationsbedarf der Mitgliedstaaten und Partnerländer gerecht werden.
Fachkräftepartnerschaften sollten die direkte Unterstützung von Mobilitätsprogrammen für Arbeit oder Ausbildung mit dem Aufbau von Kapazitäten und Investitionen in Humankapital (einschließlich der Entwicklung von Kompetenzen, der Berufsbildung und der Durchführung arbeitsbasierter Austauschprogramme) kombinieren. Damit soll sichergestellt werden, dass Partnerländer, Mitgliedstaaten, Unternehmen auf beiden Seiten und Einzelpersonen in gleichem Maße von den Partnerschaften profitieren. Im Einklang mit der bilateralen Zusammenarbeit der EU mit Partnerländern sollten sie der wirtschaftlichen Entwicklung der Herkunftsgemeinschaften zugutekommen, die übergeordneten Entwicklungsziele der wichtigsten Partnerländer voranbringen und die Chancen für ihre Bürgerinnen und Bürger stärken. Gleichzeitig sollten sie dazu beitragen, den Mangel in bestimmten Bereichen der Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten zu beheben und die Wirtschaft auf beiden Seiten beim Aufbau der nachgefragten Kompetenzen zu unterstützen. Sie sollten das Risiko der Abwanderung von Fachkräften (brain drain) aus den Partnerländern in die Chance der Zuwanderung von Fachkräften (brain gain) zum Nutzen aller Partner verwandeln. Dies wäre für die Beteiligten von Vorteil, da sie Zugang zu neuen Ausbildungsmöglichkeiten, Berufserfahrungen und zusätzlichen Hochschul- oder beruflichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erhalten, die entweder in der EU oder in ihren Herkunftsländern entwickelt wurden.
Fachkräftepartnerschaften werden allen Qualifikationsniveaus offenstehen und können verschiedene Wirtschaftszweige wie IKT, Wissenschaft, Ingenieurwesen, Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege, Landwirtschaft, Verkehr, Gartenbau, Lebensmittelverarbeitung und Tourismus, Bauwesen und Häfen, Verkehr und Logistik betreffen, und zwar entsprechend den Interessen der beiden Seiten, die diese Partnerschaften ausgestalten, und unter Berücksichtigung der Risiken der Abwanderung von Fachkräften. Sie werden verschiedene Formen der Mobilität (zeitlich begrenzte, langfristige oder zirkuläre Mobilität) ermöglichen, so wie von den beiden Seiten vereinbart. Sie sollten insbesondere dem ökologischen und dem digitalen Wandel Rechnung tragen und die Arbeitsmärkte unterstützen, um das Wachstumspotenzial der EU zu steigern und zukunftsorientierte Technologien und Lösungen zu fördern.
Die Kommission wird die Teilnahme mehrerer Mitgliedstaaten an einer Fachkräftepartnerschaft pro Partnerland unterstützen. Dies wird ein breiteres Spektrum an Aktivitäten, unterschiedliche Formen der Mobilität für verschiedene Kompetenz- und Wirtschaftsbereiche, eine stärkere Wirkung sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Partnerländer und einen Mehrwert für die individuelle Berufslaufbahn ermöglichen.
Die gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten und der Partnerländer für eine Fachkräftepartnerschaft ist entscheidend, um Skalierbarkeit zu gewährleisten und zu einer für beide Seiten vorteilhaften und nachhaltigen Zusammenarbeit zu gelangen. Fachkräftepartnerschaften müssen dem tatsächlichen Bedarf und den Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt auf beiden Seiten entsprechen. Die Partnerschaften sollten öffentlichen und privaten Interessenträgern wie Arbeitgebern, Ausbildungseinrichtungen und den Organisationen der Diaspora zugutekommen. Gemäß dem Konzept der „Team Europa“-Initiativen sollten im Rahmen von Fachkräftepartnerschaften sowohl Finanzierungsinstrumente der EU als auch der Mitgliedstaaten und Mittel des Privatsektors und gegebenenfalls der Partnerländer mobilisiert werden – verbunden mit einer umfassenden Einbindung verschiedener Interessenträger in die Gestaltung und Umsetzung der Fachkräftepartnerschaften.
Umsetzung der Fachkräftepartnerschaften
Die Initiative der Fachkräftepartnerschaften wurde auf einer hochrangigen Veranstaltung im Juni 2021 auf den Weg gebracht. Seitdem hat sich die Kommission mit den Mitgliedstaaten über die Konzipierung und konkrete Umsetzung der Partnerschaften ausgetauscht, hochrangige Dialoge mit Partnerländern geführt und Fachkräftepartnerschaften bei der Planung des mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 berücksichtigt.
Fachkräftepartnerschaften werden auf den Erfahrungen mit bestehenden Pilotprojekten aufbauen. Zugleich sehen sie eine neue, stärker strategisch ausgerichtete und umfassendere Zusammenarbeit mit den Partnerländern im Bereich der legalen Migration vor. Der strukturierte Rahmen der Fachkräftepartnerschaften wird zusammen mit robusten Koordinierungsmechanismen gewährleisten, dass die politischen Ziele der EU, der Mitgliedstaaten und der Partnerländer berücksichtigt und durch konkrete Programme in die Praxis umgesetzt werden.
Gemeinsam mit den relevanten Partnern der Fachkräftepartnerschaft wird die Kommission sicherstellen, dass auf technischer Ebene ein geeigneter Koordinierungsmechanismus eingerichtet wird, um die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und Interessenträger auf EU-Seite mit den Partnerländern insgesamt zu koordinieren. Durch diesen Mechanismus wird die Umsetzung der Partnerschaft und ihrer Maßnahmen überwacht und die Komplementarität mit allen anderen einschlägigen Initiativen im Bereich Migration und Arbeitsmarktentwicklungen gewährleistet.
In einem ersten Schritt und im Anschluss an hochrangige Gespräche beabsichtigt die Kommission, auf der Grundlage einer intensiven und kontinuierlichen Zusammenarbeit bei allen Aspekten der Migrationssteuerung gemäß dem umfassenden Ansatz des neuen Migrations- und Asylpakets (einschließlich der irregulären Migration), die ersten Fachkräftepartnerschaften mit nordafrikanischen Partnern, insbesondere Ägypten, Marokko und Tunesien, ins Leben zu rufen. Die Umsetzung dieser Partnerschaften soll Ende 2022 beginnen. Die Arbeiten bezüglich der Fachkräftepartnerschaften werden auf erfolgreichen mit diesen Partnern entwickelten Pilotprojekten aufbauen, deren Geltungsbereich und Zielvorgaben erweitert werden. Darüber hinaus werden sie durch einen umfassenderen Kooperationsrahmen flankiert, der mit den Mitgliedstaaten und den jeweiligen Partnerländern festzulegen ist, wobei sämtliche relevanten Akteure in diesem Prozess mobilisiert werden sollen.
Im Rahmen eines schrittweisen Vorgehens wird der Start von Fachkräftepartnerschaften mit weiteren Partnerländern in Afrika und Asien ein logischer nächster Schritt hin zur verstärkten Zusammenarbeit bei der Migrationssteuerung sein. Insbesondere ist geplant, ab Herbst 2022 parallel zur Umsetzung der Fachkräftepartnerschaften, die mit Ägypten, Marokko und Tunesien ins Leben gerufen werden, mit der Bewertung der Durchführbarkeit von Fachkräftepartnerschaften mit Pakistan, Bangladesch, Senegal und Nigeria (als Kernelement einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Migrationssteuerung mit diesen Ländern) zu beginnen.
3.2. Entwicklung eines EU-Talentpools zwecks besserer Abstimmung zwischen Arbeitgebern in der EU und den von ihnen benötigten Fachkräften
Die Kommission schlägt die Einrichtung der ersten unionsweiten Plattform und des EU‑Talentpools vor, um die EU für Drittstaatsangehörige attraktiver zu machen und um eine Abstimmung zwischen Arbeitgebern in der EU und den auf dem EU-Markt nicht verfügbaren Fachkräften zu erreichen. Der EU-Talentpool wird ein unionsweiter Pool von Bewerberinnen und Bewerbern aus Drittstaaten sein, die auf der Grundlage spezifischer Qualifikationsniveaus, Kriterien und Migrationserfordernisse und nach Prüfung ihrer persönlichen Eignung ausgewählt werden.
Während der Erarbeitung dieser Mitteilung ergab sich infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine neue Situation: Es wurde dringend notwendig, Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, einen erleichterten Zugang zum EU-Arbeitsmarkt zu gewähren. Um auf diese Herausforderung zu reagieren und die Kompetenzen der Vertriebenen bestmöglich zu nutzen, hat die Kommission angekündigt, dass sie bis zum Sommer 2022 das Pilotprojekt eines EU-Talentpools für Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fliehen, einrichten wird. Durch diese webbasierte Pilotinitiative können die Kompetenzen von Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind und sich in den Mitgliedstaaten aufhalten, ermittelt und erfasst werden, um ihre Vermittlung an Arbeitgeber in der EU zu erleichtern. Bei dem Pilotprojekt sollen laufende erfolgreiche Initiativen in Mitgliedstaaten wie Portugal und Rumänien berücksichtigt werden. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten sowie in Absprache mit Arbeitgebern, Sozialpartnern und allen anderen einschlägigen Interessenträgern entwickelt. Das Pilotprojekt kann die Arbeitsvermittlung innerhalb der EU erleichtern und den Behörden einen Überblick über das breite Spektrum an Kompetenzen geben, die für ihre Länder erschlossen werden können. Es könnte die Arbeitsvermittlung in vorrangigen Sektoren erleichtern, die für die große Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine von Bedeutung sind, z. B. Bildung für ankommende Kinder (unterstützt durch kommunale Dienste, die diese Leistungen organisieren) oder Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und medizinischer Versorgung (durch Fachkräfte im Gesundheitswesen oder Dolmetscher).
Die Kommission hat bereits eine thematische Gruppe von Kontaktstellen aus Mitgliedstaaten eingerichtet, die an der Teilnahme an der Pilotinitiative im Rahmen des Europäischen Migrationsnetzwerks interessiert sind. Die thematische Gruppe wird die Pilotinitiative bis zum Sommer entwickeln und umsetzen. Es wird ein Internetportal zur Verfügung gestellt, über das Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, ihr Interesse an einer Beschäftigung in den Mitgliedstaaten bekunden und ihre Kompetenzen und Berufserfahrungen darlegen können. Das Portal ist so gestaltet, dass es Aspekten des EU-Instruments zur Erstellung von Kompetenzprofilen für Drittstaatsangehörige, des spezifischen EU-Instruments zur Erfassung und Dokumentation der Kompetenzen von Drittstaatsangehörigen, Rechnung trägt. Bei der Umsetzung der Initiative wird die Zusammenarbeit mit den ukrainischen Behörden angestrebt, u. a. hinsichtlich der leichteren Anerkennung von Qualifikationen im Einklang mit der Empfehlung der Kommission über die Anerkennung von Qualifikationen für Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fliehen.
Parallel zu dieser Pilotinitiative wird in enger Abstimmung mit den teilnehmenden Mitgliedstaaten und anderen einschlägigen Interessenträgern, wie Arbeitgeberorganisationen, Sozialpartnern und Berufsbildungszentren, ein ständiger und allgemeiner EU-Talentpool für alle Drittstaatsangehörigen eingerichtet, die daran interessiert sind, in der EU zu leben und zu arbeiten. Bis Mitte 2023 will die Kommission den EU-Talentpool und sein Internetportal offiziell ins Leben rufen. Sie wird eine Empfehlung zur Einrichtung des EU-Talentpools vorlegen, einschließlich einer Charta und eines detaillierten Fahrplans für seine einzelnen Entwicklungsphasen. Die thematische Gruppe, die an dem Pilotprojekt arbeitet, wird auch federführend bei der Gestaltung der Organisations- und Leitungsstruktur und der Funktionsweise des EU-Talentpools sein und dabei die praktischen Erfahrungen mit der Pilotinitiative berücksichtigen. Dies umfasst u. a. die Bestimmung der auf dem EU‑Arbeitsmarkt benötigten Kompetenzen, die Vereinbarung der einschlägigen Zulassungskriterien, die Organisation des Zulassungsverfahrens und die Koordinierung des Zugangs potenzieller Arbeitgeber zum EU-Talentpool. Ein umfassendes Engagement und eine aktive Mitarbeit der teilnehmenden Mitgliedstaaten werden deshalb entscheidend für die Entwicklung und Umsetzung des EU-Talentpools sein.
3.3. Verbesserung der Steuerung der Arbeitsmigration auf EU-Ebene
Fortschritte im Bereich der Arbeitsmigration und der Erfolg der vorgenannten neuen Initiativen werden von einer engeren Zusammenarbeit und einer besseren Abstimmung zwischen den Bereichen Migration und Beschäftigung abhängen. Mit diesem Paket richtet die Kommission eine neue Plattform ein, die Fachdiskussionen über praktische Aspekte der Arbeitsmigration ermöglichen wird, insbesondere über die externe Dimension der Migrationspolitik, den Arbeitskräftemangel und Fragen im Zusammenhang mit den Arbeitsmarktprozessen. Die Umsetzung der Fachkräftepartnerschaften und des EU-Talentpools soll durch die Arbeit der Plattform unterstützt werden. Die Diskussionen könnten zu einem verstärkten politischen Austausch in geeigneten Gremien, z. B. auf der Ebene des Rates und des Europäischen Parlaments, beitragen. In die Diskussionen könnten gegebenenfalls Vertreter der Sozialpartner, EU-Agenturen, öffentliche Arbeitsverwaltungen, internationale Organisationen und von Migranten geführte Organisationen sowie Sachverständige und andere wichtige Akteure einbezogen werden.
4.ZUKUNFTSORIENTIERTE SÄULE:
VORRANGIGE HANDLUNGSSCHWERPUNKTE
Über die oben beschriebenen unmittelbaren legislativen und operativen Maßnahmen hinaus muss weiterhin daran gearbeitet werden, zusätzliche Möglichkeiten für eine mittel- bis längerfristige legale Zuwanderung in die EU auszuloten. Die Kommission hält es für sinnvoll, zukunftsorientierte Maßnahmen auf drei Aktionsbereiche auszurichten: Pflege und Betreuung, Jugend sowie Innovation.
Diese drei Bereiche entsprechen drei wichtigen politischen Prioritäten, die auch vom Europäischen Parlament in seinem jüngsten Bericht mit einer Rechtsetzungsinitiative hervorgehoben wurden: Anwerbung von Arbeitskräften mit geringer oder mittlerer Qualifikation aus Drittländern in Sektoren, in denen ein erheblicher Arbeitskräftemangel und ‑bedarf besteht, z. B. die Langzeitpflege, Schaffung von mehr Möglichkeiten für junge Menschen innerhalb und außerhalb der EU, Förderung von Innovation und Unternehmertum in der EU und Investitionen in die technologische Souveränität der EU.
4.1. Anwerbung von Langzeitpflegekräften aus Drittländern
Mit der überarbeiteten Richtlinie über die Blaue Karte EU wurden die Vorschriften zur Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern modernisiert. Die Kommission wird jetzt prüfen, wie Arbeitskräfte mit geringer oder mittlerer Qualifikation, die auf dem EU‑Arbeitsmarkt benötigt werden, besser angeworben werden können. Die Fachkräftepartnerschaften richten sich an Arbeitskräfte aller Qualifikationsniveaus, auch die mit niedriger und mittlerer Qualifikation. Der vorgeschlagene EU-Talentpool wird es außerdem zumindest längerfristig ermöglichen, Arbeitskräfte mit einem breiten Spektrum an Kompetenzen zu gewinnen. Die Eignungsprüfung hat gezeigt, dass in der EU ein Bedarf an Arbeitskräften mit geringer oder mittlerer Qualifikation besteht, es in Bezug auf die entsprechenden Berufe und den Bedarf jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten gibt. Es handelt sich um eine große und sehr diverse Kategorie von Arbeitnehmern, die von landwirtschaftlichen Arbeitnehmern über Lkw-Fahrer bis hin zu IT‑Betriebstechnikern reicht. Diese Kategorie umfasst unterschiedliche Qualifikationsniveaus, Branchen sowie politische und rechtliche Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten.
Die Kommission spricht sich deshalb für einen schrittweisen Ansatz aus und schlägt vor, sich zunächst auf eine Branche zu konzentrieren, in der ein Handeln auf EU-Ebene eindeutig von Vorteil ist: die Langzeitpflege.
Auch wenn sich die Langzeitpflegesysteme innerhalb der EU in Bezug auf ihre Struktur und ihre Ausgereiftheit stark unterscheiden, stehen alle Länder vor gemeinsamen Herausforderungen, nämlich der Notwendigkeit einer zugänglichen, erschwinglichen und hochwertigen Pflege vor dem Hintergrund der wachsenden Nachfrage nach Gesundheits- und Sozialfürsorge und des Personalmangels in einer alternden Bevölkerung. Arbeitsmigranten, insbesondere Arbeitsmigrantinnen, machen einen wesentlichen Teil der Langzeitpflegekräfte aus. Während der COVID-19-Krise hat sich die Langzeitpflege als eine grundlegende Dienstleistung erwiesen, die von systemrelevanten Arbeitskräften erbracht wird. Allerdings haben begrenzte Investitionen in diese Branche, schwierige Arbeitsbedingungen und daraus resultierende Personalengpässe zu den erheblichen Herausforderungen bei der Gewährleistung der Kontinuität der Pflegedienste und einer angemessenen Reaktion auf die Pandemie beigetragen.
Die Mitgliedstaaten haben Schwierigkeiten, Pflegekräfte anzuziehen und zu halten. Im Bereich der Langzeitpflege werden bis 2030 voraussichtlich bis zu 7 Millionen Arbeitsplätze für medizinische Fachkräfte und Pflegekräfte entstehen, die nur teilweise vom EU‑Arbeitsmarkt abgedeckt werden.
Legale Wege für Langzeitpflegekräfte sind auf nationaler Ebene geregelt, wobei die verschiedenen Vorschriften und Bedingungen einem Flickenteppich gleichen. Es muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang die EU-Ebene dazu beitragen könnte, die Zulassung dieser Kategorie von systemrelevanten Arbeitskräften in die EU zu verbessern. Eine solche Verbesserung käme sowohl den Mitgliedstaaten als auch den Herkunftsländern zugute und würde zugleich für eine ethisch vertretbare Rekrutierung und hohe Standards sorgen.
Fachkräftepartnerschaften könnten dieses Ziel unterstützen, indem sie die Ausbildung von Langzeitpflegekräften in Verbindung mit einer umfassenderen Zusammenarbeit mit Partnerländern fördern, unter anderem durch die Entwicklung von Möglichkeiten, wie ausländische Fachkräfte und die Diaspora dazu beitragen können, Chancen im Herkunftsland zu schaffen. Dies würde dazu beitragen, das Risiko einer Abwanderung hochqualifizierter Kräfte in der Pflegebranche der Herkunftsländer zu mindern.
Eine Ausweitung der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung durch die geplante Überarbeitung der Barcelona-Ziele würde dazu führen, dass mehr Langzeitpflegekräfte für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wird die Kommission im Rahmen der geplanten europäischen Pflegestrategie für 2022 und im Einklang mit dem Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte und dem Grünbuch zum Thema Altern eine Bestandsaufnahme der Zugangsbedingungen und Rechte von Langzeitpflegekräften aus Drittländern in den Mitgliedstaaten sowie des diesbezüglichen Bedarfs einleiten, um den Mehrwert und die Machbarkeit der Entwicklung eines Systems für den legalen Zugang auf EU-Ebene zu sondieren, das dazu dient, solche Arbeitskräfte anzuziehen.
Im Rahmen dieser Analyse werden die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Regelungen auf EU-Ebene sorgfältig untersucht, insbesondere auf die Arbeitsbedingungen, einschließlich der Gehälter, von Langzeitpflegekräften in der EU. Es werden auch die Auswirkungen auf die Herkunftsländer berücksichtigt und mögliche Regelungen geprüft, die für beide Seiten vorteilhaft sind. Es könnten Schulungsprogramme entwickelt werden, die auch darauf abzielen, die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in diesen Drittländern zu erhöhen. Die Analyse wird sich auch auf ethische Standards für die Einstellung erstrecken, wie sie von der Weltgesundheitsorganisation unterstützt werden.
4.2. Förderung der Mobilität junger Menschen
Mobilitätsprogramme für junge Menschen sollen diesen die Möglichkeit geben, in einem anderen Land zu leben, zu arbeiten und Erfahrungen zu sammeln, und gleichzeitig den kulturellen Austausch fördern und die Beziehungen zwischen den jeweiligen Ländern stärken. Die Mobilitätsprogramme für junge Menschen, die es in verschiedenen Teilen der Welt gibt, richten sich in der Regel an junge Drittstaatsangehörige (z. B. zwischen 18 und 30 Jahren) mit einem gewissen Bildungsniveau. Sie kommen in ein Land, um für einen begrenzten und nicht verlängerbaren Zeitraum zu reisen, zu arbeiten und zu leben, wenn sie über ausreichende Mittel, eine Kranken- oder eine Reiseversicherung verfügen und nicht von unterhaltsberechtigten Angehörigen begleitet werden. Ein Stellenangebot ist nicht erforderlich, um sich für ein Mobilitätsprogramm zu bewerben.
Ein EU-Jugendmobilitätsprogramm könnte die EU insgesamt zu einem attraktiveren Ziel machen. Hierfür müsste qualifizierten jungen Menschen aus Drittländern die Möglichkeit gegeben werden, für einen begrenzten (und nicht verlängerbaren) Zeitraum in die EU einzureisen, um dort zu wohnen, zu reisen und zu arbeiten. Die Bedingungen (Alter, Bildungsniveau und ausreichende Mittel) würden denen ähneln, die im Rahmen nationaler Programme gelten. Im Rahmen eines solchen Programms könnten auf EU-Ebene die Zugangsbedingungen und -verfahren sowie die Rechte junger Staatsangehöriger aus Drittländern, die an dem Programm teilnehmen, geregelt werden. Um qualifizierte junge Menschen besser anzuziehen und Größenvorteile zu erzielen, könnte auch gemeinsam mit den Mitgliedstaaten geprüft werden, ob den jungen Menschen das Recht auf Mobilität innerhalb der EU gewährt werden könnte.
Nicht nur jungen Drittstaatsangehörigen, sondern auch jungen Bürgerinnen und Bürgern der EU müssen Möglichkeiten zum Reisen und Arbeiten eröffnet werden, damit sie neue Erfahrungen gewinnen und Kompetenzen im Ausland erwerben können. Ein europäisches Jugendmobilitätsprogramm müsste deshalb durch gegenseitige Vereinbarungen oder Vereinbarungen mit Drittländern über die Zugangsbedingungen und Rechte ergänzt werden, wobei den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden könnte, Quoten für in die EU einreisende junge Menschen festzulegen.
Die Kommission wird prüfen, ob es möglich ist, ein europäisches Jugendmobilitätsprogramm zu entwickeln, und dazu verschiedene Optionen insbesondere für Abkommen mit Drittländern durchspielen, die auf Gegenseitigkeit beruhen sollten. Dieser Prozess wird im dritten Quartal 2022 auf dem Europäischen Migrationsforum eingeleitet, bei dem einschlägige Interessenträger zusammenkommen und zu dem auch junge Interessenträger eingeladen werden, wodurch gleichfalls ein Beitrag zu den allgemeinen Zielen des Europäischen Jahres der Jugend 2022 geleistet wird.
4.3. Erleichterung des Zugangs von Gründerinnen und Gründern von Start-up-Unternehmen auf EU-Ebene
In den letzten Jahren haben die nationalen Programme für die Aufnahme „innovativer Unternehmer“ und Start-up-Gründer sowohl in der EU als auch weltweit zugenommen.
Sie umfassen Anreize wie Sondervisa oder Aufenthaltstitel für innovative Unternehmer aus dem Ausland. Allen Programmen ist gemein, dass sie auf eine bestimmte Art von Unternehmen abzielen, d. h. auf solche, die innovativ und skalierbar sind bzw. einen Mehrwert für die nationale Wirtschaft oder das Unternehmensumfeld haben.
Start-up-Unternehmen und unternehmerische Initiative im Allgemeinen wirken sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung und Innovation in der EU aus. Sind sie außerdem von zentraler Bedeutung für den doppelten Übergang der EU hin zu einer nachhaltigen und zu einer digitalen Wirtschaft. In diesem Zusammenhang wurden im Aktionsplan für Integration und Inklusion der bedeutende Beitrag von Unternehmern mit Migrationshintergrund zum Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie ihre Rolle bei der Unterstützung der Erholung nach der COVID-19-Krise hervorgehoben.
Durch EU-Maßnahmen könnte der Zugang innovativer Unternehmer und Start-up-Gründer zum gesamten EU-Binnenmarkt weiter erleichtert werden, indem ihre Einwanderung und die Gründung ihres Unternehmens gefördert werden. Solche Maßnahmen würden dazu beitragen, dass die besten Talente angezogen und so Innovation und Unternehmertum in der EU gefördert werden. Dies stünde im Einklang mit der Innovationsagenda für Europa und der allgemeinen Unterstützung von Unternehmensgründungen durch die EU. Diese allgemeine Unterstützung umfasst die Schaffung eines unternehmensfreundlichen Umfelds, die Förderung des Unternehmertums, die Verbesserung des Zugangs zu neuen Märkten und der Internationalisierung, die Erleichterung des Zugangs zu Finanzmitteln sowie die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Kommission setzt sich auch für die Unterstützung von Unternehmerinnen und Unternehmern unter Flüchtlingen aus der Ukraine ein und prüft insbesondere Maßnahmen, die ihnen helfen sollen, ein eigenes Unternehmen in der EU zu gründen.
Aufbauend auf den jüngsten Initiativen („Scale-up Europe“ unter dem französischen Ratsvorsitz) bietet sich die Gelegenheit, die Gespräche mit allen einschlägigen Institutionen und Interessenträgern wieder aufzunehmen, um den Spielraum für weitere spezifische Maßnahmen auf EU-Ebene in Bezug auf den Einwanderung ausländischer innovativer Unternehmer zu bewerten. Die EU könnte Hilfe in Form der Unterstützung nationaler Programme leisten, unter anderem durch die Förderung des Informationsaustauschs. Geprüft wird auch, ob ein neues EU-Visum für innovative Unternehmer eingeführt werden sollte, wobei nationale Programme als Anregung berücksichtigt werden, insbesondere bezüglich der Kriterien für die Auswahl der vielversprechendsten und innovativsten Unternehmer. Diese Optionen werden in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und mit Initiativen der Interessenträger erörtert, etwa im Rahmen des Europäischen Innovationsrats und der European Start-up Nations Alliance. Diese Allianz ist ein „Umsetzungsinstrument“ des „EU Start-up Nations Standards“, einer politischen Initiative im Rahmen der KMU-Strategie der Kommission von 2020, mit der die Mitgliedstaaten dazu bewegt werden sollen, bewährte Verfahren auszutauschen und zu übernehmen, die Hightech-KMU ein wachstumsfreundliches Umfeld bieten, einschließlich bewährter Verfahren zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften in der EU.
5.SCHLUSSFOLGERUNG
In dieser Mitteilung wird ein pragmatisches und schrittweise umzusetzendes Konzept für eine ehrgeizige und nachhaltige EU-Politik für legale Migration dargelegt, mit der Kompetenzen und Talente angezogen werden, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und auf den demografischen Wandel in Europa zu reagieren. Die Maßnahmen werden die wirtschaftliche Erholung der EU nach der COVID-19-Pandemie sowie den digitalen und den ökologischen Wandel unterstützen und sichere Wege nach Europa schaffen und zugleich die irreguläre Migration verringern.
Um die Kompetenzen und Talente anzuziehen, die wir brauchen, muss die EU ein attraktiveres und effizienteres System schaffen. Dies erfordert einen überarbeiteten Rechtsrahmen, eine verstärkte Zusammenarbeit mit Partnerländern, eine bessere Steuerung der Arbeitsmigration unter Einbeziehung aller wichtigen Interessenträger sowie neue Aktionsbereiche im Hinblick auf die Zukunft.
Die Kommission wird ihren Teil zum Aufbau und zur Umsetzung dieses neuen Ansatzes in vollem Umfang beitragen und fordert ein starkes, aktives Engagement aller: des Europäischen Parlaments, des Rates und der Mitgliedstaaten, der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, weiterer beteiligter Interessenträger und der relevanten Partnerländer.
Hierfür wird die Kommission im dritten Quartal 2022 eine hochrangige Konferenz organisieren. Auf dieser Konferenz wird die neue EU-Plattform für Arbeitsmigration ins Leben gerufen und der Weg für eine nachhaltige EU-Politik für legale Migration weiter geebnet.
ANHANG
Praktische Modalitäten für einen EU-Talentpool
Der nachstehende Anhang enthält eine Übersicht über die denkbaren Modalitäten eines EU‑Talentpools. Er beruht auf der Analyse und den Empfehlungen der OECD-Machbarkeitsstudie sowie auf Sondierungsgesprächen mit den zuständigen Kommissionsdienststellen.
Der EU-Talentpool könnte auf einem Internetportal basieren, über das Bewerber aus Drittländern ihr Interesse an einer Arbeit in der EU bekunden können. Die Bewerber müssen ein Online-Profil erstellen und die erforderlichen Unterlagen vorlegen, aus denen ihr Kompetenzniveau, ihre Ausbildung und ihre Berufserfahrung hervorgehen. Noch offen ist, ob die Bewerber bei der Erstellung ihres Profils einen Nachweis ihrer Qualifikation hochladen müssen. Alternativ kann zumindest zu Beginn ein Profil erstellt werden, ohne dass entsprechende Dokumente angehängt werden müssen. Bei dieser Option könnten die Nutzer möglicherweise noch Links zu Profilen in Datenbanken Dritter mit detaillierteren Informationen angeben oder Belege für das Vermittlungs- und Auswahlverfahren hochladen, wenn sie dies wünschen. Ebenfalls wird geprüft, ob eine Verknüpfung mit der Europass-Plattform entwickelt werden kann.
Die Profile der Bewerber könnten einer ersten Prüfung auf der Grundlage klarer Zulassungskriterien unterzogen werden, die von den am EU-Talentpool teilnehmenden nationalen Behörden vereinbart wurden. Diese Kriterien, die gemeinsam mit den teilnehmenden Mitgliedstaaten festzulegen sind, können sich auf ein bestimmtes Bildungsniveau, Sprachkenntnisse, berufliche Fähigkeiten oder Erfahrungen beziehen. Um den spezifischen Bedürfnissen des EU-Arbeitsmarkts gerecht zu werden, könnten sie auch mit dem ermittelten Bedarf oder den Engpässen auf nationalen oder regionalen Arbeitsmärkten oder insbesondere in Branchen mit Fachkräftemangel verknüpft werden. Diese erste Prüfung erfordert eine enge Koordinierung zwischen den beteiligten nationalen Behörden, die von der Europäischen Kommission unterstützt wird. Noch offen ist, ob die Vorauswahl automatisiert und jeder, der die Auswahlkriterien auf der Grundlage seines Profils erfüllt, ohne weitere Bewertung in den EU-Talentpool aufgenommen wird, oder ob eine individuelle Überprüfung der zugrundeliegenden Dokumente durch die nationalen Kontaktstellen erfolgen sollte. Mit der ersten Option bestünde die Gefahr, dass sich der Pool mit leeren, gefälschten Profilen füllt. Die zweite Option könnte hingegen dazu führen, dass potenzielle Bewerber davon abgehalten werden, sich zu registrieren und umfassende personenbezogene Daten zu übermitteln, wenn sie insbesondere in den ersten Entwicklungsphasen nicht sicher sein können, dass sie eine positive Rückmeldung erhalten.
Der EU-Talentpool könnte auch aktuelle und geplante Plattformen für Selbsttests auf EU-Ebene zur Bescheinigung von Fähigkeiten und Kenntnissen (Sprach-, Computer- und sonstige Fähigkeiten wie Soft Skills usw.) umfassen.
Bewerber, die eine bestimmte Zulassungsschwelle erfüllen, werden in den EU-Talentpool aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt könnten ihre Profile von den zuständigen Behörden und potenziellen Arbeitgebern eingesehen werden. Das eigentliche Einstellungsverfahren findet außerhalb des EU-Talentpools statt. Sobald ihnen eine Stelle in einem Mitgliedstaat angeboten wird, könnten die Bewerber einen Aufenthaltstitel auf der Grundlage der einschlägigen europäischen oder nationalen Migrationsregelungen beantragen. Die Aufnahme in den EU-Talentpool würde keinen neuen Weg der legalen Migration darstellen und kein Recht auf Einreise in die EU begründen. Die in den Pool aufgenommenen Bewerber müssten nach wie vor zunächst eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, um auf der Grundlage eines Stellenangebots in einem Mitgliedstaat arbeiten zu können. Der EU-Talentpool wird jedoch als Instrument konzipiert, mit dem die Mitgliedstaaten und Arbeitgeber dabei unterstützt werden, dem Bedarf auf den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten gerecht zu werden, der von den inländischen Arbeitskräften nicht abgedeckt werden kann. Die Mitgliedstaaten können sich je nach Bedarf an diesem Instrument beteiligen.
Der EU-Talentpool wird sich auf nationale Kontaktstellen in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat stützen. Dabei könnte es sich um Vertreter der Einwanderungsbehörden handeln, einer vom teilnehmenden Mitgliedstaat benannten öffentlichen Stelle, idealerweise aus öffentlichen Arbeitsverwaltungen, Investitionsagenturen, Einrichtungen zur Gewinnung von Talenten (gegebenenfalls einschließlich Berufsbildungszentren sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in den Partnerländern), Arbeitsämtern usw. Dies könnte die Schaffung von Synergien und die Förderung der Koordinierung zwischen der Abstimmung von Stellenangebot und ‑nachfrage einerseits und den Einwanderungsverfahren andererseits ermöglichen. Die nationalen Kontaktstellen wären in der Lage, die Datenbank mit den registrierten Kompetenzen zu konsultieren und zugelassene Personen mit interessierten Arbeitgebern in dem betreffenden Mitgliedstaat oder mit passenden Stellenangeboten in Verbindung zu bringen. Gleichzeitig könnte ein anonymisierter Überblick über die Zahl der Profile, die einem bestimmten Kompetenzniveau entsprechen, öffentlich zugänglich gemacht werden, damit sich die Suche für potenzielle Arbeitgeber lohnt. Diese Arbeitgeber könnten dann über die zuständige nationale Kontaktstelle mit den entsprechenden Personen Kontakt aufnehmen.
Im Zuge der Weiterentwicklung des EU-Talentpools könnten nach und nach eine Reihe zusätzlicher Komponenten oder Funktionen hinzugefügt werden. Dazu können ein Portal zur Gewinnung von Talenten mit gezielten Informationen und Orientierungshilfen für Bewerber, eine Datenbank relevanter und geeigneter Stellenangebote oder eine Komponente zur Stellensuche oder Stellenvermittlung gehören. Ein System zur Vermittlung von Stellenangeboten würde die Profile der Bewerber ausgehend von den von beiden Seiten bereitgestellten Informationen mit den am besten geeigneten Stellenangeboten verknüpfen. Kontakte zwischen potenziellen Migranten und Arbeitgebern würden über den EU-Talentpool hergestellt, während die eigentliche Einstellung außerhalb des EU-Talentpools erfolgen würde.
Die Kommission prüft außerdem Möglichkeiten für die Schaffung von Synergien mit anderen derzeit verfügbaren Instrumenten, wie der neuen Europass-Plattform, die Menschen bei der Planung ihrer beruflichen Laufbahn auf einem sich rasch verändernden Arbeitsmarkt unterstützt, dem EU-Instrument zur Erstellung von Kompetenzprofilen für Drittstaatsangehörige oder der EFR-Talentplattform, die auf dem EURAXESS-Netz aufbaut, das in 43 Ländern eingerichtet wurde und acht internationale Knotenpunkte umfasst, die Forschenden weltweit Dienstleistungen anbieten. Synergien könnten auch mit Instrumenten geschaffen werden, die Erkenntnisse über Kompetenzen liefern, wie z. B. dem Skills-OVATE-Tool des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung.
Dieses Instrument bietet aktuelle Informationen über die von Arbeitgebern am häufigsten benötigten Kompetenzen und die Tendenzen bei der Nachfrage nach Kompetenzen.
Aufbauend auf den Erfahrungen mit der Pilotinitiative des EU-Talentpools für Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fliehen, könnte der EU-Talentpool auch weiterhin schutzbedürftigen Menschen offenstehen, die über die erforderlichen Qualifikationen oder Fähigkeiten verfügen, um sich registrieren zu lassen. Das Instrument zielt in erster Linie darauf ab, Fachkräfte aus Drittländern zu gewinnen. Es könnte jedoch ausgeweitet werden, um bereits in der EU ansässigen Geflüchteten die Integration in den EU‑Arbeitsmarkt zu erleichtern. Optional könnten auch die Kriterien für die Zulassung zum EU-Talentpool für Personen, die sich bereits in der EU aufhalten, weiter ausgeweitet werden, um die bereits in der EU vorhandenen Kompetenzen auf verschiedenen Niveaus zu ermitteln. Angesichts der Flexibilität des Instruments und seiner Organisationsstruktur könnten solche Anpassungen bei Bedarf recht flexibel und auch zeitlich begrenzt vorgenommen werden. Es könnte auch erwogen werden, die Bekanntheit des EU-Talentpools unter Flüchtlingen (auch in Drittländern) aktiv zu erhöhen. Dies würde den EU-Talentpool zu einem nützlichen Instrument machen, um arbeitsbezogene komplementäre Zugangswege in die Mitgliedstaaten zu unterstützen.