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Document 62021CJ0582

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 9. April 2024.
FY gegen Profi Credit Polska S.A. w Bielsku Białej.
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy Warszawa-Praga w Warszawie.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Grundsätze des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 3 EUV – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Verfahrensautonomie – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts – Nationale Regelung, die einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorsieht, der die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Zivilverfahrens ermöglicht – Gründe – Spätere Entscheidung eines Verfassungsgerichts, mit der die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts, auf deren Grundlage das Urteil ergangen ist, mit der Verfassung festgestellt wird – Hinderung an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften – Extensive Anwendung des Rechtsbehelfs – Angeblicher Verstoß gegen das Unionsrecht, der sich aus einem späteren Urteil des Gerichtshofs zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 AEUV ergibt – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Versäumnisurteil – Keine Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln von Amts wegen.
Rechtssache C-582/21.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:282

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

9. April 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Grundsätze des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 3 EUV – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Verfahrensautonomie – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts – Nationale Regelung, die einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorsieht, der die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Zivilverfahrens ermöglicht – Gründe – Spätere Entscheidung eines Verfassungsgerichts, mit der die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts, auf deren Grundlage das Urteil ergangen ist, mit der Verfassung festgestellt wird – Hinderung an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften – Extensive Anwendung des Rechtsbehelfs – Angeblicher Verstoß gegen das Unionsrecht, der sich aus einem späteren Urteil des Gerichtshofs zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 AEUV ergibt – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Versäumnisurteil – Keine Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln von Amts wegen“

In der Rechtssache C‑582/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy Warszawa-Praga (Regionalgericht Warschau-Praga, Polen) mit Entscheidung vom 31. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 17. September 2021, in dem Verfahren

FY

gegen

Profi Credit Polska S.A. w Bielsku Białej

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten F. Biltgen und N. Piçarra, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin), der Richter S. Rodin und P. G. Xuereb, der Richterin I. Ziemele sowie der Richter J. Passer und D. Gratsias,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García, A. Szmytkowska und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. September 2023

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie der Grundsätze der Äquivalenz und der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen FY und der Profi Credit Polska S.A. w Bielsku Białej (im Folgenden: Profi Credit Polska) über von FY aufgrund eines Verbraucherkreditvertrags geschuldete Beträge.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) lautet:

„Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird“.

4

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

5

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

6

In Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

Polnisches Recht

Polnische Verfassung

7

Nach Art. 188 Nr. 1 der Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Republik Polen, im Folgenden: polnische Verfassung) entscheidet das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen) über die Vereinbarkeit u. a. der Gesetze mit der Verfassung.

8

Art. 190 Abs. 1 bis 4 der polnischen Verfassung bestimmt:

„1.   Die Entscheidungen des Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] sind allgemein bindend und endgültig.

2.   Die Entscheidungen des Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] gemäß Art. 188 werden unverzüglich in der amtlichen Veröffentlichung bekannt gemacht, in der der Normativakt veröffentlicht worden ist. Ist der Akt nicht veröffentlicht worden, ist die Entscheidung im Amtsblatt der Republik Polen ‚Monitor Polski‘ bekannt zu machen.

3.   Die Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] tritt am Tag der Verkündung in Kraft. Das Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] kann jedoch eine andere Frist bestimmen, mit deren Ablauf der Normativakt seine bindende Kraft verliert. …

4.   Stellt das Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] die Unvereinbarkeit eines Normativakts mit der Verfassung, einem völkerrechtlichen Vertrag oder einem Gesetz fest und ist auf der Grundlage dieses Normativakts eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung, endgültige Verwaltungsentscheidung oder Entscheidung in anderen Angelegenheiten ergangen, bildet die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die Grundlage für die Wiederaufnahme des Verfahrens beziehungsweise für die Aufhebung der Entscheidung nach den Grundsätzen und gemäß der Verfahrensweise, die in den auf diese Verfahren anwendbaren Vorschriften geregelt sind.“

Zivilprozessordnung

9

Art. 399 § 1 der Ustawa – Kodeks postępowania cywilnego (Gesetz über die Zivilprozessordnung) vom 17. November 1964 (Dz. U. 1964, Nr. 43, Pos. 296) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilprozessordnung) sieht vor:

„In den in diesem Kapitel vorgesehenen Fällen kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens verlangt werden.“

10

Nach Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung kann die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen dessen Nichtigkeit verlangt werden, wenn „die Partei … infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert war; die Wiederaufnahme des Verfahrens ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Hinderungsgrund vor dem Eintritt der Rechtskraft entfallen ist, die fehlende Vertretung gerügt wurde oder die Partei die [zuvor] vorgenommenen Prozesshandlungen bestätigt hat“.

11

Art. 4011 der Zivilprozessordnung bestimmt:

„Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann auch dann verlangt werden, wenn das Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] die Unvereinbarkeit des Normativakts, der Grundlage für die Entscheidung war, mit der Verfassung, einem ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag oder einem Gesetz festgestellt hat.“

12

Art. 407 § 1 und § 2 der Zivilprozessordnung sieht vor:

„§ 1.   Die Frist für den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beträgt drei Monate; sie läuft ab dem Tag, an dem die Partei Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund erlangt hat, und, falls eine Hinderung an der Mitwirkung oder die fehlende ordnungsgemäße Vertretung den Grund darstellt, ab dem Tag, an dem die Partei, deren Organ oder ihr gesetzlicher Vertreter Kenntnis vom Urteil erlangt hat.

§ 2.   In dem in Art. 4011 genannten Fall ist der Antrag auf Wiederaufnahme innerhalb von drei Monaten ab dem Inkrafttreten der Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] zu stellen. Falls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny [(Verfassungsgerichtshof)] die Entscheidung, von der in Art. 4011 die Rede ist, infolge der Einlegung eines später zurückgewiesenen Rechtsmittels noch nicht rechtskräftig war, läuft die Frist ab dem Tag der Zustellung des Beschlusses über die Zurückweisung oder, falls der Beschluss in einer öffentlichen Sitzung erlassen wurde, ab der Verkündung dieses Beschlusses.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Am 16. Juni 2015 schloss FY mit Profi Credit Polska, einem Kreditunternehmen, einen Verbraucherkreditvertrag über 4000 polnische Zloty (PLN) (etwa 920 Euro). Der Vertrag sah vor, dass sich der von FY geschuldete Gesamtbetrag auf 13104 PLN (etwa 3020 Euro) belaufen sollte und in 48 Monatsraten von 273 PLN (etwa 63 Euro) zurückzuzahlen war.

14

Bei Abschluss dieses Vertrags stellte FY einen Blanko-Eigenwechsel aus, der später von Profi Credit Polska unter Eintragung eines Betrags von 8170,11 PLN (etwa 1880 Euro) und eines Fälligkeitsdatums für die Zahlung ausgefüllt wurde.

15

Am 30. Oktober 2017 erhob Profi Credit Polska beim Sąd Rejonowy dla Warszawy Pragi – Południe (Rayongericht Warschau Praga-Süd, Polen, im Folgenden: erstinstanzliches Gericht) eine Klage auf Zahlung von 8170,11 PLN zuzüglich vertraglicher Zinsen. Der Klageschrift wurden lediglich der genannte Eigenwechsel und die Kündigung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kreditvertrags beigefügt, die einen zurückzuzahlenden Kreditsaldo von 6779 PLN (etwa 1560 Euro) sowie den Gesamtbetrag der Rückstände in Höhe von 8170,11 PLN auswies.

16

Am 17. April 2018 erließ das erstinstanzliche Gericht ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Versäumnisurteil (im Folgenden: Versäumnisurteil), mit dem FY verurteilt wurde, an Profi Credit Polska 8170,11 PLN zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen zu zahlen, und der Antrag auf vertragliche Zinsen abgewiesen wurde.

17

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass dieses Urteil ausschließlich auf den von FY unterzeichneten Wechsel und die Angaben in der Klageschrift von Profi Credit Polska gestützt wurde. Letztere legte den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kreditvertrag nicht vor und wurde vom erstinstanzlichen Gericht auch nicht dazu aufgefordert.

18

FY legte keinen Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein, das nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist von zwei Wochen rechtskräftig wurde.

19

Am 25. Juni 2019 stellte FY beim erstinstanzlichen Gericht einen Antrag auf Wiederaufnahme des durch das Versäumnisurteil beendeten Verfahrens. FY stützte diesen Antrag auf Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung und vertrat die Auffassung, dass das Gericht die Richtlinie 93/13 falsch ausgelegt und sie damit im Sinne dieser Bestimmung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert habe. Konkret rügte FY, das Gericht habe dem Antrag von Profi Credit Polska auf der Grundlage des von ihr ausgestellten Wechsels stattgegeben, ohne die etwaige Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags, den sie mit Profi Credit Polska geschlossen habe, insbesondere in Bezug auf die neben den Zinsen bestehenden Kosten des Kredits geprüft zu haben. Insoweit berief sich FY insbesondere auf das Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska (C‑176/17, im Folgenden: Urteil Profi Credit Polska I, EU:C:2018:711). Profi Credit Polska beantragte ihrerseits, den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurückzuweisen, da er nach Ablauf der dafür vorgeschriebenen Frist gestellt worden sei. Sie berief sich außerdem darauf, dass FY, die den Inhalt des Versäumnisurteils gekannt habe, keinen Einspruch gegen dieses eingelegt habe.

20

Mit Beschluss vom 27. August 2020 wies das erstinstanzliche Gericht den Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens als verspätet zurück und stellte darüber hinaus fest, dass der Antrag nicht auf eine gesetzliche Grundlage gestützt sei.

21

FY legte gegen diesen Beschluss Berufung beim Sąd Okręgowy Warszawa-Praga (Regionalgericht Warschau-Praga, Polen), dem vorlegenden Gericht, ein, und rügte insbesondere, dass das erstinstanzliche Gericht das Unionsrecht und die Rechtsprechung des Gerichtshofs – speziell die Verpflichtung der nationalen Gerichte, die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln eines Verbrauchervertrags von Amts wegen zu prüfen – nicht berücksichtigt habe.

22

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, das Versäumnisurteil verstoße wahrscheinlich gegen die Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13, wie sie vom Gerichtshof u. a. im Urteil Profi Credit Polska I ausgelegt worden seien, da das erstinstanzliche Gericht den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kreditvertrag und damit auch die etwaige Missbräuchlichkeit der darin enthaltenen Klauseln nicht geprüft habe.

23

Vor diesem Hintergrund wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob es nach dem Unionsrecht nicht verpflichtet sei, dem Antrag von FY auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben, unabhängig davon, dass FY keinen Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt habe.

24

Insoweit weist das vorlegende Gericht zum einen auf die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft und die Irreversibilität rechtskräftiger Urteile hin, erwähnt, dass es im polnischen Recht keine Bestimmung gebe, die ausdrücklich vorsehe, dass ein Urteil des Gerichtshofs einen Grund für die Wiederaufnahme eines Verfahrens darstelle, und stellt fest, dass das Unionsrecht den nationalen Gerichten keine allgemeine Verpflichtung auferlege, Verfahren, die zu einer rechtskräftigen Entscheidung geführt hätten, wieder aufzunehmen, um einem Urteil des Gerichtshofs zur Auslegung des Unionsrechts Rechnung zu tragen.

25

Zum anderen wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob es nach den Grundsätzen der Äquivalenz und der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts nicht verpflichtet sei, die einschlägigen Bestimmungen des polnischen Rechts so auszulegen, dass das Verfahren im Ausgangsrechtsstreit wieder aufgenommen werden könne. Es bezieht sich insbesondere auf zwei Bestimmungen der Zivilprozessordnung.

26

Erstens verweist das vorlegende Gericht auf Art. 4011 der Zivilprozessordnung, wonach ein Verfahren, das zu einem rechtskräftigen Urteil geführt habe, wieder aufgenommen werden könne, nachdem in einer Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des nationalen Rechts, auf deren Grundlage das Urteil ergangen sei, festgestellt worden sei. Es wirft die Frage auf, ob es nach dem Äquivalenzgrundsatz nicht verpflichtet sei, Art. 4011 der Zivilprozessordnung analog anzuwenden, wenn nach Eintritt der Rechtskraft eines nationalen Urteils der Gerichtshof in einem Urteil die Unvereinbarkeit der Bestimmung des nationalen Rechts, auf dessen Grundlage das nationale Urteil ergangen sei, mit dem Unionsrecht festgestellt habe.

27

Zweitens verweist das vorlegende Gericht auf Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung, der die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das zu einem rechtskräftigen Urteil geführt habe, zulasse, wenn eine Partei infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert gewesen sei. Das Gericht wirft die Frage auf, ob es nach dem Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts nicht verpflichtet sei, diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie auch den Fall erfasse, in dem ein nationales Gericht, das mit Versäumnisurteil über die auf einen Verbrauchervertrag gestützte Klage eines Gewerbetreibenden entschieden habe, entgegen der Richtlinie 93/13 nicht von Amts wegen das etwaige Vorliegen missbräuchlicher Klauseln in diesem Vertrag geprüft habe. Insoweit weist das Gericht darauf hin, dass die Modalitäten für die Ausübung des Rechts, Einspruch gegen ein Versäumnisurteil einzulegen, weitgehend denjenigen ähnelten, die für das Recht gälten, Widerspruch gegen einen gerichtlichen Zahlungsbefehl einzulegen. Zu Letzteren habe der Gerichtshof im Urteil Profi Credit Polska I entschieden, sie würden aufgrund ihres besonders restriktiven Charakters eine nicht zu vernachlässigende Gefahr in sich bergen, dass der betreffende Verbraucher dieses Recht nicht ausübe, und ermöglichten es daher nicht, die Wahrung der den Verbrauchern nach dieser Richtlinie zustehenden Rechte zu gewährleisten.

28

Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy Warszawa-Praga (Regionalgericht Warschau-Praga) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV unter Berücksichtigung des Äquivalenzgrundsatzes dahin auszulegen, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs, die auf der Grundlage von Art. 267 Abs. 1 AEUV ergangen ist und die Auslegung des Unionsrechts betrifft, ein Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens ist, das zuvor durch eine rechtskräftige Entscheidung beendet wurde, sofern eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie Art. 4011 der Zivilprozessordnung – die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässt, wenn es um eine rechtskräftige Entscheidung geht, die auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts erlassen wurde, die durch ein Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) als unvereinbar mit höherrangigem Recht eingestuft worden ist?

2.

Erfordert es der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung – erweiternd dahin ausgelegt wird, dass danach auch ein Verfahren wieder aufgenommen werden kann, in dem ein rechtskräftiges Versäumnisurteil erlassen wurde und in dem das Gericht – unter Verletzung der Verpflichtungen, die sich aus dem Urteil Profi Credit Polska I des Gerichtshofs ergeben – davon abgesehen hat, einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Darlehensgeber im Hinblick auf missbräuchliche Vertragsklauseln zu prüfen, und sich auf die Prüfung der formellen Wirksamkeit eines Wechsels beschränkt hat?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

29

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht auf das Auskunftsersuchen des Gerichtshofs vom 13. Juli 2022 klargestellt hat, dass es im Rahmen der ersten Frage sowohl auf die in Art. 190 Abs. 4 der polnischen Verfassung genannten Entscheidungen – mit denen das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts, auf deren Grundlage ein rechtskräftiges Urteil ergangen sei, mit der Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm festgestellt habe –, als auch auf sogenannte „negative Entscheidungen über Auslegungsfragen“ abziele, mit denen das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) die Unvereinbarkeit einer bestimmten Auslegung einer Bestimmung des nationalen Rechts, die als Grundlage für ein solches Urteil gedient habe, mit der Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm festgestellt habe.

30

Das vorlegende Gericht hat darauf hingewiesen, dass zwar die Tragweite dieser negativen Entscheidungen über Auslegungsfragen im Rahmen von durch rechtskräftiges Urteil beendeten Zivilverfahren umstritten sei, der Erlass einer solchen Entscheidung seiner Ansicht nach aber einen Grund für die Wiederaufnahme eines solchen Verfahrens nach polnischem Recht darstelle. Die polnische Regierung tritt dieser Auslegung entgegen.

31

Insoweit genügt jedoch der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung in dem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist (Urteile vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito, C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 76, und vom 22. September 2022, Servicios prescriptor y medios de pagos EFC, C‑215/21, EU:C:2022:723, Rn. 26).

32

Daher ist die vorliegende Frage so, wie sie durch die oben in Rn. 29 genannten Angaben des vorlegenden Gerichts klargestellt worden ist, zugrunde zu legen.

33

Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie der Äquivalenzgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie – wenn ein in einer nationalen Verfahrensvorschrift vorgesehener außerordentlicher Rechtsbehelf einem Einzelnen ermöglicht, die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das zu einem rechtskräftigen Urteil geführt hat, unter Berufung auf eine spätere Entscheidung des Verfassungsgerichts des betreffenden Mitgliedstaats zu beantragen, mit der festgestellt wurde, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts oder eine bestimmte Auslegung einer solchen Bestimmung, auf deren Grundlage das Urteil ergangen ist, mit der Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm unvereinbar ist – es gebieten, dass dieser Rechtsbehelf auch für die Berufung auf eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 AEUV (im Folgenden: Vorabentscheidungsurteil über Auslegungsfragen) zur Verfügung steht.

34

Was Art. 19 Abs. 1 EUV anbelangt, sind die Mitgliedstaaten nach dessen Unterabs. 2, auf den sich das vorlegende Gericht allein bezieht, verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit den Einzelnen die Wahrung ihres Anspruchs auf einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet wird (Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia, C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Die Wahrung des Anspruchs auf einen wirksamen Rechtsschutz impliziert jedoch keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, außerordentliche Rechtsbehelfe vorzusehen, die es ermöglichen, ein durch rechtskräftiges Urteil beendetes Verfahren wegen eines Vorabentscheidungsurteils über Auslegungsfragen wieder aufzunehmen.

36

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt das Unionsrecht nämlich nicht, dass ein Rechtsprechungsorgan eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung nach einer späteren Auslegung einer einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof grundsätzlich rückgängig zu machen hat, um dieser Auslegung Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 60, sowie vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 38).

37

In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteile vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Daher gebietet es das Unionsrecht einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Situation abgeholfen werden könnte (Urteile vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Somit ist es mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten, die Modalitäten für die Umsetzung des Grundsatzes der Rechtskraft festzulegen, wobei jedoch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt sein müssen (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 54, sowie vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 21).

40

Nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dürfen nämlich die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Die Einhaltung der Anforderungen, die sich aus den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität ergeben, ist unter Berücksichtigung der Stellung der betreffenden Vorschriften im gesamten Verfahren, seines Ablaufs und der Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen (Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass, wenn für das nationale Gericht nach den anwendbaren innerstaatlichen Verfahrensvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, eine rechtskräftig gewordene Entscheidung rückgängig zu machen, um die Situation mit dem nationalen Recht in Einklang zu bringen, nach den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden muss, sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, damit die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Situation mit dem Unionsrecht wiederhergestellt wird (Urteil vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Was insbesondere die Anforderungen des Äquivalenzgrundsatzes anbelangt, auf den allein sich die vorliegende Frage bezieht, ist es Sache des nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Verfahrensmodalitäten der im nationalen Recht anwendbaren Rechtsbehelfe die Beachtung dieses Grundsatzes unter Berücksichtigung des Gegenstands, des Grundes und der wesentlichen Elemente der betreffenden Rechtsbehelfe zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. September 2018, EOS KSI Slovensko, C‑448/17, EU:C:2018:745, Rn. 40, und vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco, C‑869/19, EU:C:2022:397, Rn. 23).

44

Im Kontext des Ausgangsverfahrens erfordert diese Prüfung, dass untersucht wird, ob – wenn das nationale Recht den Einzelnen das Recht verleiht, die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu beantragen, das durch ein rechtskräftiges Urteil beendet wurde, das auf einer Bestimmung des nationalen Rechts oder einer bestimmten Auslegung einer solchen Bestimmung beruht, die mit einer späteren Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) für mit der polnischen Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm unvereinbar erklärt wurde – es geboten ist, den Einzelnen ein entsprechendes Recht einzuräumen, wenn sich aus einem vom Gerichtshof nach einem solchen rechtskräftigen Urteil erlassenen Vorabentscheidungsurteil über Auslegungsfragen ergibt, dass das Urteil auf einer Bestimmung des nationalen Rechts oder einer Auslegung einer solchen Bestimmung beruht, die mit dem Unionsrecht unvereinbar ist. Wie der Generalanwalt sinngemäß in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, führt diese Prüfung letztlich zur Klärung der Frage, ob eine Gleichwertigkeit zwischen einer solchen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs und einem solchen Urteil des Gerichtshofs festgestellt werden kann.

45

Was dies betrifft, ist – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – in Anbetracht von Art. 188 Nr. 1 und Art. 190 Abs. 4 der polnischen Verfassung sowie der Angaben dieses Gerichts offensichtlich, dass der Gegenstand eines Rechtsbehelfs vor dem Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) darin besteht, von ihm eine Entscheidung über die Gültigkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts oder einer bestimmten Auslegung einer solchen Bestimmung zu erhalten. Der Grund für den Rechtsbehelf liegt in der geltend gemachten Unvereinbarkeit dieser Bestimmung oder dieser Auslegung mit der Verfassung oder anderen höherrangigen Normen.

46

Im Übrigen scheint ein wesentliches Element dieses Verfahrens in der Wirkung einer einem solchen Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung zu bestehen, mit der das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) die Unvereinbarkeit der in Frage gestellten Bestimmung des nationalen Rechts mit der polnischen Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm feststellt. Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung verliert die betreffende Bestimmung aufgrund einer solchen Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) nämlich ihre Verbindlichkeit. Da Art. 190 Abs. 1 der Verfassung bestimmt, dass die Entscheidungen dieses Gerichts allgemein bindend und endgültig sind, scheint eine solche Entscheidung somit zur Folge zu haben, dass die Bestimmung nicht mehr Teil der nationalen Rechtsordnung ist.

47

Aus diesen Angaben folgt auch, dass sich das in Art. 190 Abs. 4 der polnischen Verfassung und Art. 4011 der Zivilprozessordnung für jeden Einzelnen vorgesehene Recht, ein rechtskräftiges Urteil in Frage zu stellen, das auf einer Bestimmung des nationalen Rechts beruht, deren Unvereinbarkeit mit der Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm später durch eine Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) festgestellt wurde, daraus ergibt, dass die Bestimmung ihre Verbindlichkeit verliert, so dass sich das Urteil aufgrund dieser Entscheidung als rechtsgrundlos herausstellt.

48

Vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung und unter Berücksichtigung der von diesem vorgenommenen Gleichsetzung einer negativen Entscheidung über Auslegungsfragen mit einer Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts mit der polnischen Verfassung oder einer anderen Norm höherrangigen Rechts festgestellt wird, scheint es, dass eine Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof), mit der die Unvereinbarkeit einer bestimmten, vor ihm in Frage stehenden Auslegung einer solchen Bestimmung mit der polnischen Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm festgestellt wird, im Wege der Analogie dazu führt, dass diese Auslegung ipso facto ihre Fähigkeit, ein Urteil zu stützen, verliert.

49

Wie der Generalanwalt sinngemäß in den Nrn. 78 und 88 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, enthalten die in den Rn. 46 bis 48 des vorliegenden Urteils in Bezug genommenen Entscheidungen des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) somit eine Feststellung zur Unvereinbarkeit der in Rede stehenden Bestimmung des nationalen Rechts oder einer bestimmten Auslegung einer solchen Bestimmung mit der polnischen Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm. Eine solche Feststellung erfordert nicht den Erlass einer weiteren gerichtlichen Entscheidung und führt dazu, dass diese Bestimmung oder Auslegung ihre Verbindlichkeit verliert und nicht mehr Teil der nationalen Rechtsordnung ist, was unmittelbar zur Folge hat, dass dem rechtskräftigen Urteil, das auf der Grundlage dieser Bestimmung oder Auslegung ergangen ist, seine Rechtsgrundlage entzogen wird.

50

In dieser Hinsicht unterscheiden sich jedoch Vorabentscheidungsurteile über Auslegungsfragen von den betreffenden Entscheidungen des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof). Es steht nämlich fest, dass es zwar Aufgabe des Gerichtshofs ist, eine verbindliche Auslegung des Unionsrechts vorzunehmen, dass aber die Folgen, die sich aus dieser Auslegung für den konkreten Fall ergeben, in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fallen.

51

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren einen Dialog von Gericht zu Gericht zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten einführt, der die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Das durch diese Bestimmung eingeführte System begründet daher eine direkte und enge Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den einzelstaatlichen Gerichten, in deren Rahmen diese an der ordnungsgemäßen Anwendung und einheitlichen Auslegung des Unionsrechts sowie am Schutz der den Einzelnen von dieser Rechtsordnung gewährten Rechte mitwirken (Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Im Rahmen dieser Zusammenarbeit gibt der Gerichtshof den einzelstaatlichen Gerichten als mit der Anwendung des Unionsrechts betrauten Gerichten die Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Im Übrigen ist, wie in Rn. 31 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht u. a. für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig. Daraus folgt, dass in der beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssache die Umsetzung der Auslegung, die der Gerichtshof in Beantwortung eines von diesem Gericht in dieser Rechtssache eingereichten Vorabentscheidungsersuchens vorgenommen hat, in die Zuständigkeit dieses Gerichts fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑261/21, EU:C:2022:534, Rn. 55).

55

Somit ist es im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nicht Sache des Gerichtshofs, die Vereinbarkeit einer nationalen Bestimmung mit dem Unionsrecht zu beurteilen. Vielmehr ist es Sache des nationalen Gerichts, eine solche Beurteilung im Licht der vom Gerichtshof gegebenen Auslegungshinweise vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Im Unterschied zu den betreffenden Entscheidungen des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof), mit denen dieses die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts oder einer bestimmten Auslegung einer solchen Bestimmung mit der polnischen Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm feststellt, sollen die vom Gerichtshof erlassenen Vorabentscheidungsurteile über Auslegungsfragen folglich Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die das nationale Gericht benötigt, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden. Was die etwaige Unvereinbarkeit einer vor dem nationalen Gericht in Rede stehenden Bestimmung des nationalen Rechts oder einer bestimmten vor ihm in Rede stehenden Auslegung einer solchen Bestimmung mit dem Unionsrecht und die Folgen einer solchen Unvereinbarkeit anbelangt, fallen die insoweit im Licht des Vorabentscheidungsurteils über Auslegungsfragen vorzunehmenden Beurteilungen und Feststellungen angesichts der Aufgabentrennung, die das Verfahren kennzeichnet, in dem der Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV über die Auslegung des Unionsrechts entscheidet, letztlich in die Zuständigkeit dieses nationalen Gerichts.

57

Solche Beurteilungen und Feststellungen können nicht nur von der Frage abhängen, ob die betreffende Bestimmung des Unionsrechts unmittelbare Wirkung hat – da nur eine unionsrechtliche Bestimmung mit unmittelbarer Wirkung als solche im Rahmen eines dem Unionsrecht unterliegenden Rechtsstreits geltend gemacht werden kann, um gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts die Anwendung einer gegen sie verstoßenden Bestimmung des nationalen Rechts auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 61 und 62) –, sondern auch von der Möglichkeit, die in Rede stehende nationale Vorschrift unionsrechtskonform auszulegen. Nach dem Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts obliegt es nämlich dem nationalen Gericht, das nationale Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 55).

58

Daraus folgt, dass sich vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen die Tragweite einer Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof), mit der die Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts oder einer bestimmten Auslegung einer solchen Bestimmung mit der polnischen Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm festgestellt wird, von der Tragweite eines Vorabentscheidungsurteils über Auslegungsfragen insofern unterscheidet, als sich der Gerichtshof in einem solchen Urteil bei der Auslegung des Unionsrechts nicht unmittelbar zur etwaigen Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts oder einer Auslegung einer solchen Bestimmung mit dem Unionsrecht äußert, sondern diese Frage letztlich vom vorlegenden Gericht entschieden werden muss.

59

Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 3 EUV und der Äquivalenzgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie – wenn ein in einer nationalen Verfahrensvorschrift vorgesehener außerordentlicher Rechtsbehelf einem Einzelnen ermöglicht, die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das zu einem rechtskräftigen Urteil geführt hat, unter Berufung auf eine spätere Entscheidung des Verfassungsgerichts des betreffenden Mitgliedstaats zu beantragen, mit der festgestellt wurde, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts oder eine bestimmte Auslegung einer solchen Bestimmung, auf deren Grundlage das Urteil ergangen ist, mit der Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm unvereinbar ist – es nicht gebieten, dass dieser Rechtsbehelf auch für die Berufung auf ein Vorabentscheidungsurteil über Auslegungsfragen zur Verfügung steht, sofern sich die konkreten Folgen einer solchen Entscheidung des Verfassungsgerichts in Bezug auf die Bestimmung des nationalen Rechts oder die Auslegung einer solchen Bestimmung, auf der das rechtskräftige Urteil beruht, unmittelbar aus dieser Entscheidung ergeben.

Zur zweiten Frage

60

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Grundsatz der unionrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts dahin auszulegen ist, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts, die einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorsieht, der es einer Partei ermöglicht, die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens zu beantragen, wenn sie infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert war, erweiternd dahin auszulegen ist, dass ihr Anwendungsbereich den Fall erfasst, in dem das Gericht, das einem auf einen Verbrauchervertrag gestützten Antrag eines Gewerbetreibenden mit einem rechtskräftigen Versäumnisurteil stattgegeben hat, unter Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/13 davon abgesehen hat, diesen Vertrag von Amts wegen im Hinblick auf das etwaige Vorliegen missbräuchlicher Klauseln zu prüfen.

61

Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dem System der Verträge immanent, da den nationalen Gerichten dadurch ermöglicht wird, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn sie über den bei ihnen anhängigen Rechtsstreit entscheiden (Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Nach diesem Grundsatz obliegt es den nationalen Gerichten, unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler Rechtsnormen und der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, ob und inwieweit eine Bestimmung des nationalen Rechts im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts ausgelegt werden kann (Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Dieser Grundsatz unterliegt gewissen Schranken. So findet die Verpflichtung der nationalen Gerichte, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (Urteil vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin, C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64

Da nach der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung allein die nationalen Gerichte für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig sind, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die von ihm beabsichtigte Auslegung von Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung in Anbetracht der in der vorstehenden Randnummer genannten Schranken möglich ist. Allerdings ist es Sache des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht unter Berücksichtigung der Angaben in der Vorlageentscheidung einige nützliche Hinweise zu geben.

65

Was die vom vorlegenden Gericht angeführte nationale Rechtsprechung zum Grund für die Wiederaufnahme des betreffenden Verfahrens anbelangt, wonach sich die Hinderung einer Partei an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung nur auf Verstöße gegen Verfahrensvorschriften beziehe, umfasst das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts u. a. die Verpflichtung der nationalen Gerichte, gegebenenfalls eine gefestigte Rechtsprechung abzuändern, wenn diese auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist. Folglich darf ein nationales Gericht nicht davon ausgehen, dass es eine Bestimmung des nationalen Rechts nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt worden ist (Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C‑569/16 und C‑570/16, EU:C:2018:871, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66

In jedem Fall ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Pflicht, von Amts wegen zu prüfen, ob bestimmte in einem Verbrauchervertrag enthaltene Klauseln missbräuchlich sind, eine Verfahrensregel darstellt, die von den Gerichten zu beachten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska,C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67

Außerdem geht aus den Angaben in der Vorlageentscheidung hervor, dass sich die Erwägungen des vorlegenden Gerichts, die seiner zweiten Frage zugrunde liegen, nicht ausschließlich auf den Umstand beziehen, dass das erstinstanzliche Gericht das Versäumnisurteil allein auf der Grundlage des von FY ausgestellten Wechsels und der Kündigung des mit FY geschlossenen Kreditvertrags durch Profi Credit Polska erlassen hat, ohne die etwaige Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln geprüft zu haben, sondern auch auf die Verfahrensmodalitäten für die Ausübung des Rechts auf Einlegung eines Einspruchs gegen ein solches Urteil.

68

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das beim erstinstanzlichen Gericht anhängige Verfahren in seiner Gesamtheit zu betrachten ist, wobei auch das Recht von FY zu berücksichtigen ist, Einspruch gegen dieses Urteil einzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Profi Credit Polska I, Rn. 54).

69

Zum Ausgangsverfahren ist anzumerken, dass die vom vorlegenden Gericht beschriebenen Verfahrensmodalitäten für die Einlegung des gegen das Versäumnisurteil statthaften Einspruchs, nämlich die Einhaltung einer Einspruchsfrist von zwei Wochen, die Verpflichtung, sämtliche Einwendungen und Ansprüche sofort vorzubringen, die Tragung der Kosten in Höhe der Hälfte der Kosten eines Rechtsmittels sowie das Fehlen einer aufschiebenden Wirkung der Einlegung des Einspruchs, starke Ähnlichkeiten mit den vom Gerichtshof in den Rn. 64 bis 68 des Urteils Profi Credit Polska I geprüften Verfahrensmodalitäten aufweisen, die nach seiner Feststellung in Rn. 70 dieses Urteils das nicht zu vernachlässigende Risiko in sich bergen, dass der Verbraucher den Rechtsbehelf nicht erhebt.

70

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Modalitäten, sofern sie es nicht ermöglichen, die Wahrung der den Verbrauchern nach der Richtlinie 93/13 zustehenden Rechte zu gewährleisten, als Ausdruck einer Situation angesehen werden können, in der im Sinne von Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung eine Partei infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert wird.

71

Allerdings kann die Anerkennung eines Anspruchs auf Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens in Anwendung des Grundsatzes der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts nicht a priori als das einzige Mittel angesehen werden, das geeignet ist, einem Verbraucher unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den mit der Richtlinie 93/13 angestrebten Schutz zu gewährleisten.

72

Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie in Anbetracht der schwächeren Position, in der sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden befindet, vorsieht, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Es handelt sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wiederherzustellen (Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco,C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Bestimmung ist als eine Norm zu betrachten, die den im nationalen Recht zwingenden innerstaatlichen Bestimmungen gleichwertig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a.,C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Im Übrigen verpflichtet die Richtlinie 93/13, wie sich aus ihrem Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem 24. Erwägungsgrund ergibt, aufgrund der Art und der Bedeutung des öffentlichen Interesses, auf dem der Verbraucherschutz beruht, die Mitgliedstaaten, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, „damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird“ (Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

74

Die Verfahren zur Prüfung, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, sind dabei nicht unionsrechtlich harmonisiert und somit nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten, vorausgesetzt allerdings, dass sie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil Profi Credit Polska I, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht, dass der Äquivalenzgrundsatz die Anwendung von Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gebieten könnte. Es gibt nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Bestimmung in einem Fall anwendbar wäre, in dem davon abgesehen wurde, von Amts wegen einen Verteidigungsgrund zu berücksichtigen, der auf einer zwingenden nationalen Norm beruht, mit der Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, wie in Rn. 72 des vorliegenden Urteils ausgeführt, als gleichwertig anzusehen ist.

76

Was den Effektivitätsgrundsatz anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Wirksamkeit der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten, u. a. für die sich aus der Richtlinie 93/13 ergebenden Rechte das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes impliziert, das auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist und insbesondere für die Verfahrensmodalitäten für Klagen gilt, die sich auf solche Rechte stützen (Urteil vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia,C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77

Sollte das vorlegende Gericht dabei im Ausgangsverfahren insbesondere unter Berücksichtigung der in den Rn. 67 bis 69 des vorliegenden Urteils dargelegten Gesichtspunkte zu der Feststellung gelangen, dass die Verfahrensmodalitäten für die Ausübung des Rechts auf Einlegung eines Einspruchs gegen das Versäumnisurteil nicht ermöglichen, die Wahrung der den Verbrauchern nach der Richtlinie 93/13 zustehenden Rechte zu gewährleisten, würde daraus folgen, dass dieses Verfahren nicht mit dem Recht der Verbraucher auf einen wirksamen Rechtsbehelf vereinbar ist.

78

Sollte das vorlegende Gericht der Auffassung sein, dass der in Art. 401 Nr. 2 der Zivilprozessordnung für die Wiederaufnahme des Zivilverfahrens vorgesehene Grund der rechtswidrigen Hinderung einer Partei an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften nicht auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation angewandt werden kann, wäre folglich davon auszugehen, dass ein Verbraucher wie FY über einen anderen Rechtsbehelf verfügen muss, damit ihm der mit der Richtlinie 93/13 angestrebte Schutz tatsächlich gewährleistet wird. Die Rechtskraft des Versäumnisurteils, das ohne Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln des betreffenden Vertrags ergangen ist, kann dem nicht entgegenstehen.

79

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass die Wahrung der durch diese Richtlinie garantierten Rechte gegebenenfalls auch im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens oder sogar nach dessen Beendigung gewährleistet werden können muss.

80

Zum einen erfordert nämlich, wenn ein Gewerbetreibender gegen einen Verbraucher einen Vollstreckungstitel auf der Grundlage eines mit diesem geschlossenen Vertrags erwirkt, ohne dass die etwaige Missbräuchlichkeit sämtlicher oder eines Teils der Klauseln dieses Vertrags geprüft worden wäre, der Effektivitätsgrundsatz, dass das mit der Vollstreckung dieses Titels befasste Gericht diese Prüfung gegebenenfalls von Amts wegen vornehmen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC, C‑49/14, EU:C:2016:98, Rn. 55).

81

Es ist unerheblich, ob das Fehlen einer vorherigen Prüfung solcher Klauseln darauf zurückzuführen ist, dass – wie in der Rechtssache, in der das vorstehend in Rn. 80 genannte Urteil ergangen ist – die Behörde, die den Vollstreckungstitel ausgestellt hat, für diese Prüfung nicht zuständig war, oder darauf, dass – wie im Ausgangsverfahren – das Gericht, das ein sofort vollstreckbares Versäumnisurteil erlassen hat, von einer solchen Prüfung abgesehen hat und zudem die Modalitäten für die Ausübung des Rechts auf Einlegung eines Einspruchs gegen dieses Urteil möglicherweise zu restriktiv sind. Ohne eine wirksame Überprüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Klauseln, die in dem betreffenden Vertrag enthalten sind, kann nämlich die Wahrung der von der Richtlinie 93/13 gewährleisteten Rechte nicht garantiert werden (Urteil Profi Credit Polska I, Rn. 62).

82

In einer solchen Situation erfordert jedoch die volle Wirksamkeit des mit der Richtlinie 93/13 angestrebten Verbraucherschutzes außerdem, dass das Vollstreckungsverfahren ausgesetzt werden kann – im gegebenen Fall nach Modalitäten, die nicht geeignet sind, den Verbraucher davon abzuhalten, einen Rechtsbehelf zu erheben und aufrechtzuerhalten –, bis das zuständige Gericht die Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln des betreffenden Vertrags vorgenommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García, C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Mai 2022, Impuls Leasing România, C‑725/19, EU:C:2022:396, Rn. 60).

83

Zum anderen muss der Verbraucher in einer Situation, in der das Vollstreckungsverfahren beendet wurde, gemäß Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes in der Lage sein, in einem nachfolgenden getrennten Verfahren die Missbräuchlichkeit der Klauseln des Vertrags geltend zu machen, um seine Rechte aus dieser Richtlinie wirksam und vollständig ausüben zu können, um Ersatz des finanziellen Schadens zu erlangen, der durch die Anwendung dieser Klauseln verursacht wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 58).

84

Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts dahin auszulegen ist, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob eine Bestimmung des nationalen Rechts, die einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorsieht, der es einer Partei ermöglicht, die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens zu beantragen, wenn sie infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert war, erweiternd dahin ausgelegt werden kann, dass ihr Anwendungsbereich den Fall erfasst, in dem erstens das Gericht, das einem auf einen Verbrauchervertrag gestützten Antrag eines Gewerbetreibenden mit einem rechtskräftigen Versäumnisurteil stattgegeben hat, unter Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/13 davon abgesehen hat, diesen Vertrag von Amts wegen im Hinblick auf das etwaige Vorliegen missbräuchlicher Klauseln zu prüfen, und in dem sich zweitens herausstellt, dass die Verfahrensmodalitäten für die Ausübung des Rechts auf Einlegung eines Einspruchs gegen dieses Versäumnisurteil durch den Verbraucher das nicht zu vernachlässigende Risiko in sich bergen, dass der Verbraucher darauf verzichtet, und sie folglich nicht ermöglichen, die Wahrung der dem Verbraucher nach dieser Richtlinie zustehenden Rechte zu gewährleisten. Sofern eine solche erweiternde Auslegung aufgrund der Schranken, die die allgemeinen Rechtsgrundsätze und die fehlende Möglichkeit einer Auslegung contra legem darstellen, nicht in Betracht kommt, gebietet es der Effektivitätsgrundsatz, dass die Wahrung dieser Rechte im Rahmen eines Verfahrens zur Vollstreckung des Versäumnisurteils oder eines gesonderten nachfolgenden Verfahrens gewährleistet wird.

Kosten

85

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 4 Abs. 3 EUV und der Äquivalenzgrundsatz

sind dahin auszulegen, dass

sie – wenn es ein in einer nationalen Verfahrensvorschrift vorgesehener außerordentlicher Rechtsbehelf einem Einzelnen ermöglicht, die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das zu einem rechtskräftigen Urteil geführt hat, unter Berufung auf eine spätere Entscheidung des Verfassungsgerichts des betreffenden Mitgliedstaats zu beantragen, mit der festgestellt wurde, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts oder eine bestimmte Auslegung einer solchen Bestimmung, auf deren Grundlage das Urteil ergangen ist, mit der Verfassung oder einer anderen höherrangigen Norm unvereinbar ist – es nicht gebieten, dass dieser Rechtsbehelf auch für die Berufung auf eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 AEUV zur Verfügung steht, sofern sich die konkreten Folgen einer solchen Entscheidung des Verfassungsgerichts in Bezug auf die Bestimmung des nationalen Rechts oder die Auslegung einer solchen Bestimmung, auf der das rechtskräftige Urteil beruht, unmittelbar aus dieser Entscheidung ergeben.

 

2.

Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts

ist dahin auszulegen, dass

es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob eine Bestimmung des nationalen Rechts, die einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorsieht, der es einer Partei ermöglicht, die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens zu beantragen, wenn sie infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert war, erweiternd dahin ausgelegt werden kann, dass ihr Anwendungsbereich den Fall erfasst, in dem erstens das Gericht, das einem auf einen Verbrauchervertrag gestützten Antrag eines Gewerbetreibenden mit einem rechtskräftigen Versäumnisurteil stattgegeben hat, unter Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen davon abgesehen hat, diesen Vertrag von Amts wegen im Hinblick auf das etwaige Vorliegen missbräuchlicher Klauseln zu prüfen, und in dem sich zweitens herausstellt, dass die Verfahrensmodalitäten für die Ausübung des Rechts auf Einlegung eines Einspruchs gegen dieses Versäumnisurteil durch den Verbraucher das nicht zu vernachlässigende Risiko in sich bergen, dass der Verbraucher darauf verzichtet, und sie folglich nicht ermöglichen, die Wahrung der dem Verbraucher nach dieser Richtlinie zustehenden Rechte zu gewährleisten. Sofern eine solche erweiternde Auslegung aufgrund der Schranken, die die allgemeinen Rechtsgrundsätze und die fehlende Möglichkeit einer Auslegung contra legem darstellen, nicht in Betracht kommt, gebietet es der Effektivitätsgrundsatz, dass die Wahrung dieser Rechte im Rahmen eines Verfahrens zur Vollstreckung des Versäumnisurteils oder eines gesonderten nachfolgenden Verfahrens gewährleistet wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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