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Document 62012CJ0589

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 3. September 2014.
    Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs gegen GMAC UK plc.
    Vorabentscheidungsersuchen des Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber).
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie 77/388/EWG – Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 – Unmittelbare Wirkung – Minderung der Besteuerungsgrundlage – Bewirkung zweier, die gleichen Gegenstände betreffender Umsätze – Lieferung von Gegenständen – Durch Leasingverträge veräußerte Fahrzeuge, die wieder in Besitz genommen und im Wege der Versteigerung weiterveräußert werden – Rechtsmissbrauch.
    Rechtssache C‑589/12.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2131

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

    3. September 2014 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Mehrwertsteuer — Sechste Richtlinie 77/388/EWG — Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 — Unmittelbare Wirkung — Minderung der Besteuerungsgrundlage — Bewirkung zweier, die gleichen Gegenstände betreffender Umsätze — Lieferung von Gegenständen — Durch Leasingverträge veräußerte Fahrzeuge, die wieder in Besitz genommen und im Wege der Versteigerung weiterveräußert werden — Rechtsmissbrauch“

    In der Rechtssache C‑589/12

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 10. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2012, in dem Verfahren

    Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs

    gegen

    GMAC UK plc

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev (Berichterstatter),

    Generalanwältin: J. Kokott,

    Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2013,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der GMAC UK plc, vertreten durch R. Cordara, QC,

    der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von K. Lasok, QC,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal, A. Cordewener und C. Soulay als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (im Folgenden: Commissioners) und der GMAC UK plc (im Folgenden: GMAC) über den mehrwertsteuerpflichtigen Betrag bei Lieferungen, die GMAC zur Erfüllung von Leasingverträgen über Kraftfahrzeuge vorgenommen hatte.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Art. 11 Teil A der Sechsten Richtlinie, der die Besteuerungsgrundlage im Inland betrifft, sah vor:

    „(1)   Die Besteuerungsgrundlage ist:

    a)

    bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen … alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen;

    …“

    4

    Art. 11 Teil C der Sechsten Richtlinie, der verschiedene Bestimmungen enthält, sah in Abs. 1 vor:

    „Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

    Jedoch können die Mitgliedstaaten im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von dieser Regel abweichen.“

    Recht des Vereinigten Königreichs

    5

    Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie zwei Regelungskomplexe enthielten. Der erste war bei einer Minderung der Gegenleistung anwendbar, der zweite, der eine Steuererleichterung in Form einer Vergütung wegen uneinbringlicher Forderung gewährte, bei vollständiger oder teilweiser Nichtbezahlung.

    Nationale Regelungen im Zusammenhang mit einer Minderung der Gegenleistung

    6

    Diese Regelungen waren seit 1995 in Regulation 38 in Verbindung mit Regulation 24 der VAT Regulations (Mehrwertsteuerverordnung) 1995 enthalten. Sie sahen vor, dass der Steuerpflichtige bei einer Minderung der Gegenleistung für eine Lieferung inklusive Mehrwertsteuer zu einer Angleichung seines Mehrwertsteuerkontos durch Negativbuchung des betreffenden Mehrwertsteuerbetrags verpflichtet war. Dabei wurde eine Minderung der Gegenleistung nur anerkannt, wenn sie durch eine Gutschrift oder ein anderes Schriftstück mit vergleichbarer Wirkung belegt war. Entsprechende Bestimmungen galten für die Zeit von 1990 bis 1995.

    Nationale Regelungen im Zusammenhang mit uneinbringlichen Forderungen

    7

    Auf die Lieferungen, die zwischen dem 2. Oktober 1978 und dem 26. Juli 1990 ausgeführt wurden, war die Vergütung wegen uneinbringlicher Forderung nach der „alten Regelung“ anwendbar. Für die Lieferungen, die zwischen dem 1. April 1989 und dem 19. März 1997 erfolgten, konnten die Vergütungsanträge nach der „neuen Regelung“ gestellt werden. Im Überschneidungszeitraum, d. h. zwischen dem 1. April 1989 und dem 26. Juli 1990, konnte der Antrag nach einer der beiden Regelungen gestellt werden.

    – Alte Regelung

    8

    Die alte Regelung war durch Section 12 des Finance Act (Finanzgesetz) 1978 eingeführt und in Section 22 des Value Added Tax Act (Mehrwertsteuergesetz) 1983 (im Folgenden: VATA 1983) neu gefasst worden.

    9

    Section 22 VATA 1983 sah vor:

    „(1)

    Wenn

    (a)

    eine Person für eine Gegenleistung in Geld Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht und für diese Lieferung oder Leistung Steuern ausgewiesen und entrichtet hat und

    (b)

    die Person, die einen noch ausstehenden Betrag der Gegenleistung schuldet, zahlungsunfähig geworden ist,

    dann hat vorbehaltlich Subsection (2) und der Regelungen nach Subsection (3) die erstgenannte Person auf Antrag, der bei den Commissioners zu stellen ist, Anspruch auf Rückerstattung der auf den ausstehenden Betrag anteilig entfallenden Steuer.

    (2)

    Der Anspruch auf Rückerstattung nach dieser Section besteht nur, wenn

    (a)

    der Betreffende die Insolvenzforderung angemeldet hat und der angemeldete Betrag der ausstehende Betrag der Gegenleistung abzüglich des beantragten Betrags ist,

    (b)

    der Wert der Lieferung oder Leistung deren Marktwert nicht übersteigt und

    (c)

    im Fall einer Lieferung von Gegenständen das Eigentum an den Gegenständen auf denjenigen übergegangen ist, dem sie geliefert worden sind …“

    10

    Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, galt eine Person als zahlungsunfähig im Sinne von Section 22 VATA 1983, wenn sie für insolvent erklärt worden war oder das Gericht die Insolvenzverwaltung über ihr Vermögen angeordnet hatte. Eine Gesellschaft war zahlungsunfähig, wenn sie einer freiwilligen oder Zwangsabwicklung unterlag und „unter den gegebenen Umständen ihre Schulden nicht begleichen [konnte]“.

    – Neue Regelung

    11

    Durch Section 11 des Finance Act (Finanzgesetz) 1990 wurde die neue Regelung eingeführt und für die Lieferungen nach dem 26. Juli 1990 die alte Regelung aufgehoben.

    12

    Die neue Regelung galt für die Lieferungen nach dem 1. April 1989. Sie wurde in Section 36 des Value Added Tax Act (Mehrwertsteuergesetz) 1994 neugefasst, die wie folgt lautete:

    „(1)

    Subsection (2) wird angewandt, wenn

    (a)

    eine Person für eine Gegenleistung in Geld Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht und für diese Lieferung oder Leistung Mehrwertsteuer ausgewiesen und entrichtet hat;

    (b)

    die Gegenleistung für die Lieferung oder Leistung ganz oder teilweise als uneinbringliche Forderung abgeschrieben wurde, und

    (c)

    ein Zeitraum von sechs Monaten [der den Zweijahreszeitraum aus Section 11 des Finance Act 1990 ersetzt] (ab dem Zeitpunkt der Lieferung oder Leistung) verstrichen ist.

    (2)

    Vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen dieser Section und der darauf beruhenden Regelungen hat die Person auf Antrag, der bei den Commissioners zu stellen ist, Anspruch auf Rückerstattung der auf den ausstehenden Betrag anteilig entfallenden Mehrwertsteuer.

    (4)

    Der Anspruch auf Rückerstattung nach Subsection (2) besteht nur, wenn

    (a)

    der Wert der Lieferung oder Leistung den Marktpreis nicht übersteigt und

    (b)

    im Fall einer Lieferung von Gegenständen das Eigentum an den Gegenständen auf denjenigen übergegangen ist, dem sie geliefert worden sind, oder auf eine Person, die ihr Recht von jenem, durch ihn oder in seinem Namen herleitet.

    …“

    Value Added Tax (Cars) Order (Kraftfahrzeugmehrwertsteuerverordnung) 1992

    13

    Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland ließ in seinen im Wesentlichen wortgleichen nachfolgenden Rechtstexten, zu denen die Value Added Tax (Cars) Order (Kraftfahrzeugmehrwertsteuerverordnung) 1992 (im Folgenden: Cars Order) gehört, einen Mehrwertsteuerabzug bei Gebrauchtwagenverkäufen zu.

    14

    Nach Art. 8 der Cars Order war bei Gebrauchtwagenverkäufen durch Fahrzeughändler Mehrwertsteuer auf einen der Händlerspanne entsprechenden Betrag in Rechnung zu stellen.

    15

    Für die Weiterveräußerung von Fahrzeugen, die vom Verkäufer wieder in Besitz genommen worden waren, sah Art. 4 der Cars Order jedoch eine Sonderbehandlung vor:

    „(1)

    Die nachstehend beschriebenen Umsätze werden weder als Lieferung von Gegenständen noch als Dienstleistung behandelt:

    (a)

    der Verkauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs durch eine Person, die dieses nach den Bestimmungen eines Finanzierungsvertrags wieder in Besitz genommen hat, soweit sich das Kraftfahrzeug in dem gleichen Zustand befindet wie zum Zeitpunkt seiner Wiederinbesitznahme …“.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    16

    GMAC ist ein mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen, das u. a. den Ratenverkauf von Kraftfahrzeugen betreibt.

    17

    Im Rahmen dieser Verkäufe wählt ein Verbraucher bei einem Händler ein Fahrzeug aus und bittet ihn um eine Sonderfinanzierung, woraufhin er an eine Leasinggesellschaft wie GMAC weitergeleitet wird. Ist zwischen den drei Parteien eine Einigung erzielt worden, verkauft der Händler das Fahrzeug an die Leasinggesellschaft und diese liefert es gemäß einem „Leasingvertrag“ an den Endverbraucher.

    18

    Der Verkauf der Fahrzeuge durch die Fahrzeughändler an GMAC war zum Normalsatz mehrwertsteuerpflichtig. Die Lieferung der Fahrzeuge durch GMAC gemäß dem Leasingvertrag an die Endkunden unterlag ebenfalls der Mehrwertsteuer zum Normalsatz. Bei Ausfall des Leasingnehmers nahm GMAC das Fahrzeug wieder in Besitz und veräußerte es im Wege der Versteigerung. Der Erlös aus der Veräußerung wurde auf den Restbetrag der vom Leasingnehmer geschuldeten Monatsraten angerechnet.

    19

    Die Lieferung eines Kraftfahrzeugs im Rahmen eines Leasingvertrags galt für Mehrwertsteuerzwecke als Lieferung von Gegenständen. Die Mehrwertsteuer wurde bei der Lieferung des Fahrzeugs durch GMAC an die Endkunden auf den zu zahlenden Gesamtbetrag mit Ausnahme der Finanzierungskosten fällig. Wurde das Fahrzeug anschließend zurückgenommen und versteigert, galt diese Veräußerung im Wege der Versteigerung namentlich gemäß Art. 4 der Cars Order weder als Lieferung von Gegenständen noch als Erbringung von Dienstleistungen.

    20

    Bei einer einvernehmlichen Aufhebung eines Kraftfahrzeugleasingvertrags mit anschließender Weiterveräußerung des Kraftfahrzeugs hatten die Commissioners stets die Anwendbarkeit von Regulation 38 der VAT Regulations 1995 bejaht. Das hatte zur Folge, dass der Leasingumsatz von GMAC als im Austausch für eine um den Erlös aus dem Weiterverkauf herabgesetzte Gegenleistung bewirkt galt. Bis zu der Entscheidung des High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), in der Rechtssache C&E Commissioners v GMAC (2004) hatten die Commissioners die Anwendbarkeit dieser Regelung jedoch verneint, wenn der Leasingnehmer ausgefallen und das Fahrzeug von GMAC wieder in Besitz genommen und im Wege der Versteigerung weiterveräußert worden war.

    21

    Seit jener Entscheidung ist Regulation 38 der VAT Regulations 1995 auch bei Ausfall des Leasingnehmers und Versteigerung des Fahrzeugs durch GMAC anwendbar. Der High Court of Justice befand ferner, dass auch die Cars Order anwendbar sei, so dass GMAC keine Mehrwertsteuer auf den Erlös aus der Versteigerung zahlen müsse. Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass die kombinierte Anwendung dieser Bestimmungen zu einem „Mitnahmeeffekt“ führe, aufgrund dessen die geschuldete Mehrwertsteuer letztlich niedriger sei, als sie es bei ordnungsgemäßer Umsetzung der Sechsten Richtlinie gewesen wäre.

    22

    GMAC strengte sodann ein neues Verfahren an, das ebenfalls die Zeit von 1978 bis 1997 erfasst und ganz auf die unmittelbare Wirkung der Sechsten Richtlinie gestützt ist. Ihr Begehren bezieht sich nunmehr auf den Teil der Gegenleistung für die Kraftfahrzeuglieferung an den Kunden, der wegen dessen Ausfalls offengeblieben ist. Dieser Betrag stellt keinen Preisnachlass im Sinne von Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie dar. Es handelt sich um eine teilweise Nichtbezahlung im Sinne dieser Bestimmung, d. h. um eine uneinbringliche Forderung.

    23

    Mit Schreiben vom 20. Februar 2006 stellte GMAC also einen Antrag auf Vergütung wegen uneinbringlicher Forderungen, der den Zeitraum von 1978 bis 1997 betraf und auf der Auflösung von mit Kunden geschlossenen Kraftfahrzeugleasingverträgen wegen der Nichtbezahlung des vereinbarten Kaufpreises beruhte. Die Commissioners lehnten diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Juli 2006 ab.

    24

    Das First-tier Tribunal (Tax Chamber) gab der Klage von GMAC gegen diesen Bescheid statt, da seiner Ansicht nach die rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht mit dem Unionsrecht vereinbar waren und die Anträge von GMAC auf Vergütung wegen uneinbringlicher Forderungen weder zu einer Verzerrung noch zu einem Wegfall der steuerlichen Neutralität entgegen dem Unionsrecht führten.

    25

    Das mit dem Rechtsmittel befasste Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) vertritt dagegen die Auffassung, dass die Kombination von Regulation 38 der VAT Regulations 1995, wie sie in der Entscheidung des High Court of Justice in der Rechtssache C&E Commissioners v GMAC (2004) ausgelegt worden sei, mit der Cars Order keine wirksame Umsetzung der Sechsten Richtlinie darstelle, da sie zu einer mit dem Zweck dieser Richtlinie unvereinbaren und daher unionsrechtswidrigen Mehrwertsteuerentlastung führe.

    26

    Unter diesen Umständen hat das Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Inwieweit ist ein Steuerpflichtiger bei zwei, den gleichen Gegenstand betreffenden Umsätzen berechtigt, gleichzeitig i) im Hinblick auf den einen Umsatz die unmittelbare Wirkung einer Bestimmung der Sechsten Richtlinie geltend zu machen und ii) sich im Hinblick auf den anderen Umsatz auf Vorschriften des nationalen Rechts zu berufen, wenn dies zu einem steuerlichen Gesamtergebnis im Hinblick auf beide Umsätze führt, zu dem weder das nationale Recht noch die Sechste Richtlinie bei jeweils separater Anwendung auf diese beiden Umsätze führt oder führen soll?

    2.

    Wenn die erste Frage dahin zu beantworten ist, dass es Umstände gibt, unter denen ein Steuerpflichtiger hierzu nicht berechtigt wäre (oder hierzu in bestimmtem Umfang nicht berechtigt wäre), welches sind die Umstände, unter denen dies der Fall wäre, und insbesondere in welchem Verhältnis müssen die beiden Umsätze stehen, damit solche Umstände vorliegen?

    3.

    Sind die Fragen 1 und 2 je danach unterschiedlich zu beantworten, ob die innerstaatliche Behandlung eines Umsatzes mit der Sechsten Richtlinie im Einklang steht oder nicht?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten und zur dritten Frage

    27

    Mit seiner ersten und seiner dritten Frage, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einem Steuerpflichtigen die Berufung auf die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung im Hinblick auf einen Umsatz mit der Begründung versagen kann, dass sich dieser Steuerpflichtige im Hinblick auf einen anderen, die gleichen Gegenstände betreffenden Umsatz auf Vorschriften des nationalen Rechts berufen kann und die kumulative Anwendung dieser Bestimmungen zu einem steuerlichen Gesamtergebnis führen würde, zu dem weder das nationale Recht noch die Sechste Richtlinie bei jeweils separater Anwendung auf diese Umsätze führt oder führen soll.

    28

    Das vorlegende Gericht hat ferner Zweifel, ob es insoweit erheblich ist, ob das nationale Recht, das auf den zuletzt genannten Umsatz anwendbar ist, mit der Sechsten Richtlinie im Einklang steht oder nicht.

    29

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat (Urteil Almos Agrárkülkereskedelmi, C‑337/13, EU:C:2014:328, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    30

    Eine Unionsbestimmung ist unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist noch zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit einer Maßnahme der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf (Urteil Almos Agrárkülkereskedelmi, EU:C:2014:328, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    31

    Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie regelt, in welchen Fällen die Mitgliedstaaten die Besteuerungsgrundlage unter von ihnen festgelegten Bedingungen entsprechend zu vermindern haben. So verpflichtet diese Bestimmung die Mitgliedstaaten, die Besteuerungsgrundlage immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält (Urteil Goldsmiths, C‑330/95, EU:C:1997:339, Rn. 16).

    32

    Diese Bestimmung lässt somit den Mitgliedstaaten zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Maßnahmen zur Bestimmung des Betrags der Minderung; dieser Umstand beeinträchtigt jedoch nicht die Genauigkeit und Unbedingtheit der Verpflichtung, in den von dieser Bestimmung erfassten Fällen ein Recht auf Minderung der Besteuerungsgrundlage einzuräumen. Sie erfüllt daher die Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten (Urteil Almos Agrárkülkereskedelmi, EU:C:2014:328, Rn. 34).

    33

    Wie das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt hat, sind die Fragen, die dem Gerichtshof gestellt werden, damit zu erklären, dass die Steuerbehörden des Vereinigten Königreichs im Ausgangsverfahren die Auffassung vertreten haben, dass dem Steuerpflichtigen nicht gleichzeitig ein „Mitnahmeeffekt“ und Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie zugutekommen könne, da insbesondere die kumulative Anwendung von Regulation 38 der VAT Regulations 1995, der Cars Order und dieser Richtlinie zu einem steuerlichen Gesamtergebnis führe, zu dem weder das nationale Recht noch die Richtlinie bei jeweils separater Anwendung auf diese Umsätze führe oder führen solle.

    34

    Nach Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs wird in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die dem Endverbraucher in Rechnung gestellte und den Steuerbehörden geschuldete Mehrwertsteuer nicht anhand der Gegenleistung berechnet, die der Steuerpflichtige für die ausgeführten Lieferungen tatsächlich erhalten hat. Die unmittelbare Wirkung sei aber kein Grundsatz des Unionsrechts, der herangezogen werden könne, um ein der Sechsten Richtlinie zuwiderlaufendes Ergebnis zu erzielen. Der Steuerpflichtige dürfe sich daher nicht im Hinblick auf einen Umsatz auf die Vorschriften des nationalen Rechts und im Hinblick auf einen anderen Umsatz auf die unmittelbare Wirkung von Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie berufen.

    35

    Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

    36

    Wie sich nämlich aus Rn. 32 des vorliegenden Urteils ergibt, entfaltet Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie unmittelbare Wirkung, so dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Frage, ob ein Steuerpflichtiger wie GMAC nach der Lieferung eines Gegenstands im Rahmen eines Leasingvertrags einen Anspruch auf Minderung der Besteuerungsgrundlage aufgrund dieser Bestimmung geltend machen kann, davon abhängt, ob die Kunden von GMAC ihre Zahlungsverpflichtung aus diesem Vertrag ganz oder teilweise nicht erfüllen.

    37

    Diese Bestimmung ist zwar Ausdruck eines Grundprinzips der Sechsten Richtlinie, nach dem die Besteuerungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung keinen Betrag als Mehrwertsteuer erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt (Urteil Almos Agrárkülkereskedelmi, EU:C:2014:328, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    38

    Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich jedoch, dass die Gegenleistung für jeden Umsatz der Besteuerung unterläge, wenn die Versteigerung des vom Leasingnehmer zurückgegebenen Fahrzeugs nicht nach dem nationalen Recht selbst von der Mehrwertsteuer befreit wäre. Die Besteuerungsgrundlage würde sich dann aus den vom Leasingkunden und vom Erwerber in der Versteigerung gezahlten Beträgen zusammensetzen. Damit würde die Besteuerungsgrundlage im Einklang mit dem in der vorstehenden Randnummer festgestellten Grundsatz der tatsächlich von GMAC erlangten Gegenleistung entsprechen.

    39

    Insoweit ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, nach der ein Mitgliedstaat, der die in einer Richtlinie vorgeschriebenen Umsetzungsmaßnahmen nicht fristgemäß erlassen hat, dem Einzelnen nicht entgegenhalten kann, dass er selbst die aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen nicht erfüllt hat (vgl. u. a. Urteil Rieser Internationale Transporte, C‑157/02, EU:C:2004:76, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    40

    Daher kann der Umstand, dass die Veräußerung des Fahrzeugs im Wege der Versteigerung nach nationalem Recht nicht als Lieferung eines Gegenstands oder Erbringung einer Dienstleistung behandelt wurde, nicht dazu führen, dass der Steuerpflichtige bei Nichtbezahlung des Gesamtpreises oder eines Teils davon seinen Anspruch nach Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie auf Minderung der Besteuerungsgrundlage verliert.

    41

    Darüber hinaus ist festzustellen, dass nach dem Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das sich aus Art. 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1301) und Art. 2 der Sechsten Richtlinie ergibt, die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben wird, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (vgl. u. a. Urteile Midland Bank, C‑98/98, EU:C:2000:300, Rn. 29, und Zita Modes, C‑497/01, EU:C:2003:644, Rn. 37).

    42

    Daher muss die Besteuerungsgrundlage des Fahrzeugleasingvertrags in dem Fall, dass der Gesamtpreis oder ein Teil davon nicht bezahlt worden ist, nach Maßgabe der Gegenleistung angepasst werden, die der Steuerpflichtige im Rahmen dieses Vertrags tatsächlich erhalten hat. Die von dem Steuerpflichtigen erlangte Gegenleistung, die von einem Dritten im Rahmen eines anderen Umsatzes, im vorliegenden Fall der Veräußerung des vom Leasingnehmer zurückgegebenen Fahrzeugs im Wege der Versteigerung, gezahlt worden ist, hat keinen Einfluss auf das Ergebnis, dass sich der Steuerpflichtige im Rahmen des Leasingvertrags auf die unmittelbare Wirkung von Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie berufen kann.

    43

    Daraus folgt, dass es für die Feststellung, ob sich ein Steuerpflichtiger wie GMAC auf die Rechte aus Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie berufen kann, ohne Bedeutung ist, ob das auf den Versteigerungsumsatz anwendbare nationale Recht mit der Sechsten Richtlinie im Einklang steht oder nicht.

    44

    Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht ferner geltend, es sei missbräuchlich, sich selektiv so auf die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung zu berufen, dass eine Situation geschaffen werde, in der das mit dem fraglichen Gesetz beabsichtigte Ergebnis nicht erreicht werde.

    45

    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Rn. 74 und 75 des Urteils Halifax u. a. (C‑255/02, EU:2006:121) namentlich entschieden hat, dass die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer voraussetzt, dass zum einen die in Rede stehenden Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und dass zum anderen aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich die Erlangung dieses Steuervorteils bezweckt wird.

    46

    Es ist Sache des nationalen Gerichts, gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts – soweit dadurch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird – festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praktik im Ausgangsverfahren erfüllt sind. Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er auf Vorlage entscheidet, gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben (vgl. u. a. Urteil Halifax u. a., EU:C:2006:121, Rn. 76 und 77 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    47

    Wenn, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs geltend macht, das mit der Sechsten Richtlinie verfolgte Ziel nicht erreicht werden kann, geschieht dies aufgrund eines „Mitnahmeeffekts“, der ausschließlich auf der Anwendung des nationalen Rechts beruht. Wie aus Rn. 38 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ergibt sich der fragliche Steuervorteil nämlich im Wesentlichen daraus, dass gemäß Art. 4 der Cars Order die Veräußerung des vom Leasingnehmer zurückgegebenen Fahrzeugs im Wege der Versteigerung nicht besteuert wird.

    48

    Im Übrigen hat der Gerichtshof befunden, dass für einen Unternehmer die Wahl zwischen steuerfreien Umsätzen und besteuerten Umsätzen auf einer Reihe von Gesichtspunkten, insbesondere auf steuerlichen Überlegungen im Zusammenhang mit dem objektiven Mehrwertsteuersystem, beruhen kann. Wenn der Steuerpflichtige die Wahl zwischen verschiedenen Umsätzen hat, hat er nämlich das Recht, seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält (vgl. Urteil RBS Deutschland Holdings, C‑277/09, EU:C:2010:810, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    49

    Nach alledem ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einem Steuerpflichtigen die Berufung auf die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung im Hinblick auf einen Umsatz nicht mit der Begründung versagen kann, dass sich dieser Steuerpflichtige im Hinblick auf einen anderen, die gleichen Gegenstände betreffenden Umsatz auf Vorschriften des nationalen Rechts berufen kann und die kumulative Anwendung dieser Bestimmungen zu einem steuerlichen Gesamtergebnis führen würde, zu dem weder das nationale Recht noch die Sechste Richtlinie bei jeweils separater Anwendung auf diese Umsätze führt oder führen soll.

    Zur zweiten Frage

    50

    Angesichts der Antwort auf die erste und die dritte Frage bedarf die zweite Frage keiner Beantwortung.

    Kosten

    51

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 11 Teil C Abs. 1 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einem Steuerpflichtigen die Berufung auf die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung im Hinblick auf einen Umsatz nicht mit der Begründung versagen kann, dass sich dieser Steuerpflichtige im Hinblick auf einen anderen, die gleichen Gegenstände betreffenden Umsatz auf Vorschriften des nationalen Rechts berufen kann und die kumulative Anwendung dieser Bestimmungen zu einem steuerlichen Gesamtergebnis führen würde, zu dem weder das nationale Recht noch die Sechste Richtlinie 77/388 bei jeweils separater Anwendung auf diese Umsätze führt oder führen soll.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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