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Document 62009CJ0279

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 22. Dezember 2010.
DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH gegen Bundesrepublik Deutschland.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Kammergericht - Deutschland.
Effektiver gerichtlicher Schutz der Rechte aus dem Unionsrecht - Recht auf ein Gericht - Prozesskostenhilfe - Nationale Regelung, die juristischen Personen bei fehlenden ‚allgemeinen Interessen‘ die Prozesskostenhilfe verweigert.
Rechtssache C-279/09.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-13849

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:811

Rechtssache C‑279/09

DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH

gegen

Bundesrepublik Deutschland

(Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts)

„Effektiver gerichtlicher Schutz der Rechte aus dem Unionsrecht – Recht auf ein Gericht – Prozesskostenhilfe – Nationale Regelung, die juristischen Personen bei fehlenden ‚allgemeinen Interessen‘ die Prozesskostenhilfe verweigert“

Leitsätze des Urteils

1.        Unionsrecht – Grundsätze – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Verankerung in der Europäischen Menschenrechtskonvention – Berücksichtigung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47)

2.        Unionsrecht – Grundsätze – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Verankerung in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Nationale Regelung, nach der die gerichtliche Geltendmachung von der Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses und/oder der Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts abhängig gemacht wird – Ausschluss einer juristischen Person, die diesen Vorschuss nicht aufbringen kann, von der Prozesskostenhilfe – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Beurteilung durch das nationale Gericht

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47)

1.        Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt und der in den Art. 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.

Hinsichtlich der Grundrechte ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu berücksichtigen; seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV die Charta „und die Verträge … rechtlich gleichrangig“. Nach ihrem Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta nämlich für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union.

Nach den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind, entspricht Art. 47 Abs. 2 der Charta Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

(vgl. Randnrn. 29-32)

2.        Der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist dahin auszulegen, dass seine Geltendmachung durch juristische Personen nicht ausgeschlossen ist und dass er u. a. die Befreiung von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses und/oder der Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts umfassen kann.

Der nationale Richter hat insoweit zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigen, ob sie einem legitimen Zweck dienen und ob die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.

Im Rahmen dieser Würdigung kann der nationale Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu verteidigen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann der nationale Richter auch der Höhe der vorzuschießenden Gerichtskosten sowie dem Umstand Rechnung tragen, ob sie für den Zugang zum Recht gegebenenfalls ein unüberwindliches Hindernis darstellen oder nicht.

Insbesondere bei juristischen Personen kann der nationale Richter deren Verhältnisse in Betracht ziehen. So kann er u. a. die Gesellschaftsform der in Rede stehenden juristischen Person, das Bestehen oder Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht sowie die Finanzkraft ihrer Gesellschafter oder Anteilseigner und deren Möglichkeit berücksichtigen, sich die zur Einleitung der Rechtsverfolgung erforderlichen Beträge zu beschaffen.

(vgl. Randnrn. 59-62 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

22. Dezember 2010(*)

„Effektiver gerichtlicher Schutz der Rechte aus dem Unionsrecht – Recht auf ein Gericht – Prozesskostenhilfe – Nationale Regelung, die juristischen Personen bei fehlenden ‚allgemeinen Interessen‘ die Prozesskostenhilfe verweigert“

In der Rechtssache C‑279/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Kammergericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2009, in dem Verfahren

DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH

gegen

Bundesrepublik Deutschland

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der DEB Deutsche Energiehandels‑ und Beratungsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwältin L. Schwarz,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und R. Holdgaard als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, S. Menez und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J.‑P. Keppenne und F. Hoffmeister als Bevollmächtigte,

–        der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch F. Simonetti, I. Hauger und L. Armati als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. September 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verankerten Effektivitätsgrundsatzes im Hinblick auf die Frage, ob dieser Grundsatz es gebietet, juristischen Personen Prozesskostenhilfe zu gewähren.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH (im Folgenden: DEB) und der Bundesrepublik Deutschland über einen von dieser Gesellschaft vor deutschen Gerichten gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. 

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der fünfte und der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. L 26, S. 41; Berichtigung ABl. L 32, S. 15) lauten:

„(5)      Diese Richtlinie zielt darauf ab, die Anwendung der Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug für Personen zu fördern, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. Das allgemein anerkannte Recht auf Zugang zu den Gerichten wird auch in Artikel 47 der Charta … bestätigt.

(11)      Die Prozesskostenhilfe sollte die vorprozessuale Rechtsberatung zur außergerichtlichen Streitbeilegung, den Rechtsbeistand bei Anrufung eines Gerichts und die rechtliche Vertretung vor Gericht sowie eine Unterstützung oder Befreiung von den Prozesskosten umfassen.“

4        Der persönliche Anwendungsbereich des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe ist in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/08 wie folgt definiert:

„An einer Streitsache im Sinne dieser Richtlinie beteiligte natürliche Personen haben Anspruch auf eine angemessene Prozesskostenhilfe, damit ihr effektiver Zugang zum Recht nach Maßgabe dieser Richtlinie gewährleistet ist.“

5        Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie bestimmt:

„Bei der Entscheidung über das Wesen, insbesondere die Erfolgsaussichten, eines Antrags berücksichtigen die Mitgliedstaaten unbeschadet des Artikels 5 die Bedeutung der betreffenden Rechtssache für den Antragsteller, wobei sie jedoch auch der Art der Rechtssache Rechnung tragen können, wenn der Antragsteller eine Rufschädigung geltend macht, jedoch keinen materiellen oder finanziellen Schaden erlitten hat, oder wenn der Antrag einen Rechtsanspruch betrifft, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Geschäft oder der selbständigen Erwerbstätigkeit des Antragstellers entstanden ist.“

6        Art. 94 §§ 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Mai 1991 (konsolidierte Fassung im ABl. C 177 vom 2. Juli 2010, S. 37, veröffentlicht) hat folgenden Wortlaut:

„§ 2

Natürliche Personen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage vollständig oder teilweise außer Stande sind, die Kosten nach § 1 zu tragen, haben Anspruch auf Prozesskostenhilfe.

Die wirtschaftliche Lage wird unter Berücksichtigung objektiver Faktoren wie des Einkommens, des Vermögens und der familiären Situation beurteilt.

§ 3

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, wenn die Rechtsverfolgung, für die sie beantragt ist, offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet erscheint.“

7        Art. 95 §§ 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union vom 25. Juli 2007 (konsolidierte Fassung im ABl. C 177 vom 2. Juli 2010, S. 71, veröffentlicht) hat den gleichen Wortlaut wie Art. 94 §§ 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichts.

 Nationales Recht

8        § 12 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (im Folgenden: GKG), der den für jeden Kläger in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten geltenden Grundsatz eines Vorschusses der Gerichtskosten festlegt, hat folgenden Wortlaut:

„In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten soll die Klage erst nach Zahlung der Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen zugestellt werden. Wird der Klageantrag erweitert, soll vor Zahlung der Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen keine gerichtliche Handlung vorgenommen werden; dies gilt auch in der Rechtsmittelinstanz.“

9        § 78 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO) bestimmt:

„Vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten müssen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. …“

10      In § 114 ZPO heißt es:

„Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. …“

11      § 116 ZPO lautet:

„Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag

1.      …

2.      eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung, die im Inland … gegründet und dort ansässig ist, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.“

12      § 122 Abs. 1 ZPO sieht vor:

„Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe bewirkt, dass

1.      die Bundes- oder Landeskasse

a)      die rückständigen und die entstehenden Gerichtskosten und Gerichtsvollzieherkosten,

b)      die auf sie übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei

nur nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft, gegen die Partei geltend machen kann,

2.      die Partei von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten befreit ist,

3.      die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei nicht geltend machen können.“

13      § 123 ZPO lautet:

„Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat auf die Verpflichtung, die dem Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, keinen Einfluss.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

14      DEB beantragt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, mit der ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch verfolgt werden soll.

15      DEB begehrt Schadensersatz wegen verspäteter Umsetzung der Richtlinien 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl. L 204, S. 1) und 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57) durch diesen Mitgliedstaat, die den diskriminierungsfreien Zugang zu den nationalen Gasnetzen hätten ermöglichen sollen. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens habe deshalb gegenüber den deutschen Netzbetreibern ihren Zugang zu deren Gasnetzen nicht durchsetzen können, weswegen ihr ein Gewinn in Höhe von rund 3,7 Milliarden Euro aus Gaslieferverträgen mit Lieferanten entgangen sei.

16      Den gemäß § 12 Abs. 1 GKG erforderlichen Gerichtskostenvorschuss, der sich auf 274 368 Euro belaufe, könne DEB, die derzeit weder Arbeitnehmer beschäftige noch Gläubiger habe, mangels Einnahmen und Vermögen nicht aufbringen.

17      Ebenso stünden ihr keine finanziellen Mittel zur Verfügung, einen Rechtsanwalt, dessen Mitwirkung zwingend vorgeschrieben sei, als Prozessbevollmächtigten zu beauftragen.

18      Das Landgericht Berlin lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, weil die Voraussetzungen des § 116 Nr. 2 ZPO nicht vorlägen.

19      Auch nach Ansicht des Kammergerichts, bei dem Beschwerde erhoben wurde, liegen die Voraussetzungen des § 116 Nr. 2 ZPO nicht vor.

20      Das Kammergericht ist unter Bezugnahme auf die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Auffassung, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung im vorliegenden Fall nicht allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens anspreche oder soziale Wirkung nach sich ziehen könne (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 1989, VIII ZR 139/89). Die Unterlassung der Rechtsverfolgung könne allgemeinen Interessen zuwiderlaufen, wenn eine juristische Person ohne die Durchführung des Rechtsstreits der Allgemeinheit dienende Aufgaben nicht mehr erfüllen könnte oder aber wenn von der Durchführung des Rechtsstreits, dessen Einleitung die juristische Person plane, deren Existenz abhinge und deshalb Arbeitsplätze verloren gingen oder eine Vielzahl von Gläubigern geschädigt werden könnte. Dies sei im Fall der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens nicht gegeben, weil diese derzeit weder Arbeitnehmer beschäftige noch Gläubiger habe.

21      Zwar ermögliche der Rechtsbegriff „allgemeine Interessen“, alle nur denkbaren allgemeinen Interessen zugunsten der juristischen Person in die Überlegung einzubeziehen (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 1990, VIII ZR 87/90). Das allgemeine Interesse an einer richtigen Entscheidung genüge hierfür regelmäßig jedoch nicht. Ebenso wenig reiche der Umstand aus, dass bei der Entscheidung des Rechtsstreits Rechtsfragen von allgemeinem Interesse zu beantworten sein sollten (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 1989). Insoweit fehle es – wie auch im vorliegenden Fall – an einem tatsächlichen, die Allgemeinheit betreffenden Nachteil, der über das etwaige Unterbleiben eines Urteilsausspruchs hinausgehe. DEB räume selbst ein, dass eine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland nicht unmittelbar zu einer Öffnung des Energiemarkts führen könne, worauf sich die DEB zur Begründung eines allgemeinen Interesses im Sinne von § 116 Nr. 2 ZPO berufen habe.

22      Eine Ausdehnung und Anwendung auf jegliche, auch mittelbare Auswirkung sei von einer Auslegung dieser innerstaatlichen Norm unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien nicht mehr gedeckt. Die Rechtsprechung habe es unter Berufung auf die Vorarbeiten zur ZPO stets für erforderlich gehalten, dass außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde.

23      Die Regelung des § 116 Nr. 2 ZPO stehe auch mit dem Grundgesetz im Einklang. Insbesondere sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Anforderungen an eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen strenger seien als für natürliche Personen.

24      Dies habe das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe sei letztlich eine Maßnahme der Sozialhilfe, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip herleite und zur Achtung der Menschenwürde notwendig sei, was bei juristischen Personen entfalle. Letztere seien künstliche Schöpfungen nach Maßgabe einer von der Rechtsordnung eines Staates aus Zweckmäßigkeitsgründen zugelassenen Rechtsform. Diese Rechtsform biete den hinter der Gesellschaft stehenden Personen wirtschaftliche Vorteile, insbesondere eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Demgemäß sei die Rechtsträgerschaft an ein ausreichendes Vermögen gebunden. Dieses sei Voraussetzung sowohl für ihre Gründung als auch für ihre weitere Existenz. Die juristische Person besitze demnach grundsätzlich nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie ihre Ziele und Aufgaben aus eigener Kraft zu verfolgen in der Lage sei. Die Regelung des § 116 Nr. 2 ZPO trage damit den besonderen Verhältnissen bei juristischen Personen Rechnung (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 1973, 1 BvR 153/69).

25      Das Kammergericht stellt sich jedoch die Frage, ob die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die DEB zur Verfolgung eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs gegen die Grundsätze des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs, insbesondere gegen den Grundsatz der Effektivität, verstoßen könnte. Der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, die nicht in der Lage sei, den Gerichtskostenvorschuss zu zahlen, würde durch eine solche Ablehnung die Geltendmachung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs schlechthin versagt. Es wäre ihr mithin praktisch unmöglich oder zumindest doch übermäßig erschwert, eine Entschädigung zu erlangen. Dafür spreche auch, dass der Gerichtshof den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch aus dem Erfordernis der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, speziell zum Schutz der Rechte Einzelner herleite (vgl. Urteil vom 19. November 1991, Francovich, C‑6/90 und C‑9/90, Slg. 1991, I‑5357).

26      Unter diesen Umständen hat das Kammergericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Bestehen im Hinblick darauf, dass durch die nationale Ausgestaltung der schadensersatzrechtlichen Voraussetzungen und des Verfahrens zur Geltendmachung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs durch die Mitgliedstaaten die Erlangung einer Entschädigung nach den Grundsätzen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf, Bedenken gegen eine nationale Regelung, nach der die gerichtliche Geltendmachung von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird und einer juristischen Person, die diesen Vorschuss nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen ist?

 Zur Vorlagefrage

27      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, dahin auszulegen ist, dass im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Geltendmachung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs dieser Grundsatz einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die gerichtliche Geltendmachung von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird und einer juristischen Person, wenn sie diesen Vorschuss nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen ist.

28      Nach gefestigter Rechtsprechung zum Effektivitätsgrundsatz dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. u. a. Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral, 33/76, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnr. 43, und vom 15. April 2008, Impact, C‑268/06, Slg. 2008, I‑2483, Randnr. 46). Das Gericht möchte im Kern wissen, ob der Umstand, dass eine juristische Person nicht in den Genuss von Prozesskostenhilfe gelangen kann, ihr die Ausübung ihrer Rechte in dem Sinne praktisch unmöglich macht, dass diese juristische Person deshalb keinen Zugang zu einem Gericht haben kann, weil es ihr nicht möglich ist, den Gerichtskostenvorschuss zu leisten und sich des Beistands eines Rechtsanwalts zu versichern.

29      Die Vorlagefrage betrifft somit den Anspruch einer juristischen Person auf wirksamen Zugang zu den Gerichten und im Kontext des Unionsrechts daher den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Dieser Grundsatz ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt und der in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verankert ist (Urteile vom 15. Mai 1986, Johnston, 222/84, Slg. 1986, 1651, Randnrn. 18 und 19, vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a., 222/86, Slg. 1987, 4097, Randnr. 14, vom 27. November 2001, Kommission/Österreich, C‑424/99, Slg. 2001, I‑9285, Randnr. 45, vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677, Randnr. 39, vom 19. Juni 2003, Eribrand, C‑467/01, Slg. 2003, I‑6471, Randnr. 61, und Unibet, Randnr. 37).

30      Hinsichtlich der Grundrechte ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu berücksichtigen; seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV die Charta „und die Verträge … rechtlich gleichrangig“. Nach ihrem Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta nämlich für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union.

31      Insoweit hat nach Art. 47 Abs. 1 der Charta jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Nach Art. 47 Abs. 2 hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen. Art. 47 Abs. 3 der Charta sieht speziell vor, dass Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

32      Nach den Erläuterungen zu diesem Artikel, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EU und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind, entspricht Art. 47 Abs. 2 der Charta Art. 6 Abs. 1 EMRK.

33      In Anbetracht dieser Umstände ist die Vorlagefrage dahin umzuformulieren, dass sie die Auslegung des in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Schutzes im Hinblick auf die Prüfung betrifft, ob im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Geltendmachung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die gerichtliche Geltendmachung von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird und einer juristischen Person, wenn sie diesen Vorschuss nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen ist. 

34      Nach § 122 Abs. 1 ZPO kann die Prozesskostenhilfe sowohl die Gerichtskosten als auch die Ansprüche der Rechtsanwälte gegen die Partei decken. Da das nationale Gericht nicht erläutert hat, ob sich die Vorlagefrage nur auf den Aspekt des Gerichtskostenvorschusses bezieht, sind beide Aspekte zu prüfen.

35      In Art. 52 Abs. 3 der Charta heißt es, dass, soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, diese die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen werden. Nach der Erläuterung zu dieser Bestimmung werden die Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte nicht nur durch den Wortlaut der EMRK, sondern u. a. auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestimmt. Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta steht deren Art. 52 Abs. 3 Satz 1 dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt (in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2010, McB., C‑400/10 PPU, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 53).

36      Was speziell Art. 47 Abs. 3 der Charta betrifft, wird im letzten Absatz der Erläuterung zu Art. 47 das Urteil Airey des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erwähnt (Urteil vom 9. Oktober 1979, Airey/Irland, Serie A, Nr. 32, S. 11), wonach eine Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, wenn mangels einer solchen Hilfe die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht gewährleistet wäre. Es wird weder angegeben, ob einer juristischen Person eine solche Hilfe zu gewähren ist, noch, was sie abdeckt.

37      Diese Bestimmung ist in ihrem Kontext im Licht anderer Vorschriften des Unionsrechts, des Rechts der Mitgliedstaaten und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen.

38      Wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, kann der in Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta verwendete Begriff „Person“ auf Individualpersonen hinweisen, schließt aber auch juristische Personen rein sprachlich nicht aus.

39      Insoweit ist festzustellen, dass zwar die Erläuterungen zur Charta in diesem Punkt keinen Aufschluss geben, das aber die Verwendung des Begriffs „Person“ in der deutschen Sprachfassung dieses Art. 47 im Gegensatz zum Begriff „Mensch“, der in zahlreichen anderen Bestimmungen, z. B. in den Art. 1, 2, 3, 6, 29, 34 und 35 dieser Charta verwendet wird, darauf hindeuten kann, dass juristische Personen vom Anwendungsbereich dieses Artikels nicht ausgeschlossen sind.

40      Im Übrigen ist das in Art. 47 der Charta normierte Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, in deren Titel VI („Justizielle Rechte“) enthalten, in dem weitere Verfahrensgrundsätze verankert sind, die sowohl auf natürliche als auch auf juristische Personen Anwendung finden.

41      Der Umstand, dass der Anspruch auf Prozesskostenhilfe nicht in Titel IV der Charta („Solidarität“) behandelt wird, zeigt, dass dieses Recht nicht in erster Linie als Sozialhilfe angelegt ist, wie es im deutschen Recht der Fall zu sein scheint, ein Gesichtspunkt, den die deutsche Regierung dafür angeführt hat, dass diese Hilfe natürlichen Personen vorbehalten bleiben müsse.

42      Auch die Einbeziehung der Bestimmung über die Gewährung einer Prozesskostenhilfe in den Artikel der Charta betreffend das Recht, einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, zeigt, dass bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Gewährung dieser Hilfe das Recht der Person selbst, die in ihren durch das Recht der Union garantierten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, zum Ausgangspunkt zu nehmen ist, nicht aber das Allgemeininteresse der Gesellschaft, auch wenn dieses einer der Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Hilfe sein kann.

43      Die weiteren Unionsrechtsvorschriften, die die Parteien des Ausgangsverfahrens sowie die Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission herangezogen haben, insbesondere die Richtlinie 2003/8, die Verfahrensordnungen des Gerichts und des Gerichts für den öffentlichen Dienst, sehen keine Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen vor. Daraus lässt sich allerdings kein allgemein geltender Schluss ziehen, da, wie sich zum einen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie und zum anderen aus den Zuständigkeiten des Gerichts und des Gerichts für den öffentlichen Dienst ergibt, diese Vorschriften für spezifische Kategorien von Rechtsstreitigkeiten gelten.

44      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 76 bis 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, lässt die Prüfung des Rechts der Mitgliedstaaten erkennen, dass es bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen keinen wirklich gemeinsamen Grundsatz gibt, der von allen Mitgliedstaaten geteilt würde. In Nr. 80 der Schlussanträge hat der Generalanwalt auch darauf hingewiesen, dass in der Praxis der Mitgliedstaaten, die die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen zulassen, eine relativ weit verbreitete Unterscheidung zwischen juristischen Personen mit und ohne Gewinnerzielungsabsicht bestehe.

45      Die Prüfung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeigt, dass dieses Rechtsprechungsorgan wiederholt darauf hingewiesen hat, dass das Recht auf Zugang zu einem Gericht Bestandteil des Rechts auf einen fairen Prozess im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK sei (vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 7. Mai 2002, McVicar/Vereinigtes Königreich, Recueil des arrêts et décisions 2002-III, § 46). Es komme insoweit darauf an, dass einem Beschwerdeführer die Möglichkeit geboten werde, sein Anliegen sachgerecht vor Gericht zu verteidigen (EGMR, Urteil vom 15. Februar 2005, Steel und Morris/Vereinigtes Königreich, § 59). Das Recht auf Zugang zu den Gerichten habe jedoch keine absolute Geltung.

46      Zur Prozesskostenhilfe in Form des Beistands eines Rechtsanwalts hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Frage, ob die Gewährung einer Prozesskostenhilfe für ein faires Verfahren erforderlich sei, in Ansehung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beantworten sei und u. a. vom Umfang der Auswirkungen auf den Kläger, der Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie von der Fähigkeit des Klägers abhänge, seine Sache wirksam zu vertreten (EGMR, Urteile Airey/Irland, § 26, McVicar, §§ 48 und 49, vom 16. Juli 2002, P., C. und S./Vereinigtes Königreich, Recueil des arrêts et décisions 2002-VI, § 91, und Steel und Morris, § 61). Allerdings dürfe den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers oder seinen Erfolgsaussichten im Verfahren Rechnung getragen werden (EGMR, Urteil Steel und Morris, § 62).

47      Was die Prozesskostenhilfe in der Form einer Befreiung von den Gerichtskosten oder einer cautio judicatum solvi vor der Einleitung der Rechtsverfolgung angeht, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch alle Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die Prüfung untersucht, ob durch die Beschränkungen des Rechts auf Zugang zu den Gerichten das Recht nicht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt war, ob sie einem legitimen Zweck dienten und ob die angewandten Mittel in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel standen (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteile vom 13. Juli 1995, Tolstoy Miloslavsky/Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 316-B, §§ 59 bis 67, und vom 19. Juni 2001, Kreuz/Polen, Recueil des arrêts et décisions 2001-VI, §§ 54 und 55).

48      Aus diesen Entscheidungen ergibt sich, dass die Prozesskostenhilfe sowohl den Beistand eines Rechtsanwalts als auch die Befreiung von den Gerichtskosten decken kann.

49      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat darüber hinaus entschieden, dass dann, wenn ein Verfahren der Auslese der Rechtssachen im Hinblick auf die Prüfung eingeführt werden dürfe, ob Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne, die Funktionsweise dieses Verfahrens nicht willkürlich sein dürfe (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 26. Februar 2002, Del Sol/Fankreich, § 26, Entscheidung vom 29. September 2009, Pucasu/Deutschland, S. 6 letzter Absatz, Urteil vom 14. Oktober 2010, Pedro Ramos/Schweiz, § 49).

50      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte auch die Situation einer Handelsgesellschaft zu prüfen, die Prozesskostenhilfe beantragt hatte, obwohl das französische Recht diese Hilfe nur für natürliche Personen und ausnahmsweise für juristische Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht vorsieht, die ihren Sitz in Frankreich haben und nicht über ausreichende Mittel verfügen. Er hat befunden, dass die Ungleichbehandlung zwischen Handelsgesellschaften auf der einen und natürlichen und juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht auf der anderen Seite auf einer objektiven und nachvollziehbaren Rechtfertigung beruhe, die mit der steuerlichen Regelung der Prozesskostenhilfe im Zusammenhang stehe, die die Möglichkeit vorsehe, die gesamten Prozesskosten vom steuerbaren Ertrag abzuziehen und einen Verlustsaldo auf ein folgendes Steuerjahr zu verlagern (EGMR, Beschluss vom 26. August 2008, VP Diffusion Sarl, S. 4, 5 und 7).

51      Ferner hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Bezug auf eine Gemeinschaft von Nutzern landwirtschaftlichen Gemeinschaftsvermögens, die Prozesskostenhilfe beantragt hatte, um einer Klage entgegenzutreten, mit der das Eigentumsrecht an einem Grundstück geltend gemacht wurde, befunden, dass dem Umstand Rechnung zu tragen sei, dass die von Vereinigungen und privaten Gesellschaften für ihre Rechtsverteidigung genehmigten Gelder aus von deren Mitgliedern angenommenen, genehmigten und gezahlten Mitteln stammten, und hervorgehoben, dass der Antrag für die Beteiligung an einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit über das Eigentum an einem Grundstück gestellt worden sei, dessen Ausgang nur die Mitglieder der in Rede stehenden Gemeinschaften betreffe (EGMR, Entscheidung vom 24. November 2009, C.M.V.M.C. O´Limo, Nr. 26). Der Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Weigerung, der klägerischen Gemeinschaft unentgeltlich Prozesskostenhilfe zu gewähren, deren Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht in seinem Wesensgehalt beeinträchtigt habe.

52      Aus der Prüfung dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch nach Maßgabe der geltenden Vorschriften und der Situation der fraglichen Gesellschaft zu beurteilen ist.

53      Der Gegenstand des Rechtsstreits, insbesondere seine wirtschaftliche Bedeutung, kann in die Überlegungen einbezogen werden.

54      Im Rahmen der Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers kann, wenn es sich um eine juristische Person handelt, insbesondere der Gesellschaftsform – Kapital- oder Personengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter oder unbeschränkter Haftung –, der Finanzkraft ihrer Anteilseigner, dem Gesellschaftszweck, den Modalitäten ihrer Gründung und speziell dem Verhältnis zwischen den ihr zur Verfügung gestellten Mitteln und der geplanten Tätigkeit Rechnung getragen werden.

55      Die EFTA-Überwachungsbehörde macht in ihren Erklärungen geltend, dass nach deutschem Recht einem Unternehmen in Fällen, in denen es noch nicht in der Lage gewesen sei, sich richtig mit Arbeitnehmern und anderen Betriebsfaktoren zu etablieren, niemals Prozesskostenhilfe bewilligt werden könnte. Diese Voraussetzung könnte sich vor allem auf Antragsteller auf Prozesskostenhilfe auswirken, die durch das Unionsrecht verliehene Rechte, insbesondere die Niederlassungsfreiheit oder den Zugang zu einem bestimmten Markt in einem Mitgliedstaat in Anspruch nehmen wollten.

56      Es ist festzustellen, dass die nationalen Gerichte einen solchen Umstand auf jeden Fall zu berücksichtigen haben. Allerdings müssen sie einen gerechten Ausgleich anstreben, um den Zugang von Antragstellern, die sich auf das Unionsrecht berufen, zu den Gerichten zu gewährleisten, ohne jedoch diese gegenüber anderen Antragstellern zu bevorzugen. Hierzu haben das vorlegende Gericht und die deutsche Regierung ausgeführt, dass der Rechtsbegriff „allgemeine Interessen“ es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermögliche, alle nur denkbaren allgemeinen Interessen zugunsten der juristischen Person in die Überlegung einzubeziehen.

57      DEB hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung die Doppelrolle der Bundesrepublik Deutschland im Ausgangsverfahren unterstrichen. Dieser Mitgliedstaat sei nämlich nicht nur Verursacher des ihr entstandenen Schadens, sondern auch derjenige, der effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten habe.

58      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht nicht verbietet, dass ein Mitgliedstaat Legislative, Exekutive und Judikative zugleich verkörpert, sofern diese Aufgaben unter Wahrung des Gewaltenteilungsgrundsatzes wahrgenommen werden, der für die Funktionsweise eines Rechtsstaats kennzeichnend ist. Es ist nicht vorgetragen worden, dass dies in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mitgliedstaat nicht der Fall wäre.

59      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass der in Art. 47 der Charta verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dahin auszulegen ist, dass seine Geltendmachung durch juristische Personen nicht ausgeschlossen ist und dass er u. a. die Befreiung von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses und/oder der Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts umfassen kann.

60      Der nationale Richter hat insoweit zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigen, ob sie einem legitimen Zweck dienen und ob die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.

61      Im Rahmen dieser Würdigung kann der nationale Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu verteidigen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann der nationale Richter auch der Höhe der vorzuschießenden Gerichtskosten sowie dem Umstand Rechnung tragen, ob sie für den Zugang zum Recht gegebenenfalls ein unüberwindliches Hindernis darstellen oder nicht.

62      Insbesondere bei juristischen Personen kann der nationale Richter deren Verhältnisse in Betracht ziehen. So kann er u. a. die Gesellschaftsform der in Rede stehenden juristischen Person, das Bestehen oder Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht sowie die Finanzkraft ihrer Gesellschafter oder Anteilseigner und deren Möglichkeit berücksichtigen, sich die zur Einleitung der Rechtsverfolgung erforderlichen Beträge zu beschaffen.

 Kosten

63      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist dahin auszulegen, dass seine Geltendmachung durch juristische Personen nicht ausgeschlossen ist und dass er u. a. die Befreiung von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses und/oder der Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts umfassen kann.

Der nationale Richter hat insoweit zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigen, ob sie einem legitimen Zweck dienen und ob die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.

Im Rahmen dieser Würdigung kann der nationale Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu verteidigen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann der nationale Richter auch der Höhe der vorzuschießenden Gerichtskosten sowie dem Umstand Rechnung tragen, ob sie für den Zugang zum Recht gegebenenfalls ein unüberwindliches Hindernis darstellen oder nicht.

Insbesondere bei juristischen Personen kann der nationale Richter deren Verhältnisse in Betracht ziehen. So kann er u. a. die Gesellschaftsform der in Rede stehenden juristischen Person, das Bestehen oder Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht sowie die Finanzkraft ihrer Gesellschafter oder Anteilseigner und deren Möglichkeit berücksichtigen, sich die zur Einleitung der Rechtsverfolgung erforderlichen Beträge zu beschaffen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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