Use quotation marks to search for an "exact phrase". Append an asterisk (*) to a search term to find variations of it (transp*, 32019R*). Use a question mark (?) instead of a single character in your search term to find variations of it (ca?e finds case, cane, care).
Judgment of the Court (Second Chamber) of 17 February 2005.#Finanzamt Gladbeck v Edith Linneweber (C-453/02) and Finanzamt Herne-West v Savvas Akritidis (C-462/02).#Reference for a preliminary ruling: Bundesfinanzhof - Germany.#Sixth VAT Directive - Exemption for games of chance - Determination of the conditions and limitations to which the exemption is subject - Liability of games organised outside public casinos - Respect for the principle of fiscal neutrality - Article 13B( f) - Direct effect.#Joined cases C-453/02 and C-462/02.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 17. Februar 2005. Finanzamt Gladbeck gegen Edith Linneweber (C-453/02) und Finanzamt Herne-West gegen Savvas Akritidis (C-462/02). Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Steuerbefreiung für Glücksspiele - Festlegung der Bedingungen und Beschränkungen der Befreiung - Besteuerung außerhalb öffentlicher Spielbanken veranstalteter Spiele - Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität - Artikel 13 Teil B Buchstabe f - Unmittelbare Wirkung. Verbundene Rechtssachen C-453/02 und C-462/02.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 17. Februar 2005. Finanzamt Gladbeck gegen Edith Linneweber (C-453/02) und Finanzamt Herne-West gegen Savvas Akritidis (C-462/02). Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Steuerbefreiung für Glücksspiele - Festlegung der Bedingungen und Beschränkungen der Befreiung - Besteuerung außerhalb öffentlicher Spielbanken veranstalteter Spiele - Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität - Artikel 13 Teil B Buchstabe f - Unmittelbare Wirkung. Verbundene Rechtssachen C-453/02 und C-462/02.
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Steuerbefreiung für Glücksspiele – Festlegung der Bedingungen und Beschränkungen der Befreiung – Besteuerung außerhalb öffentlicher Spielbanken veranstalteter Spiele – Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität – Artikel 13 Teil B Buchstabe f – Unmittelbare Wirkung“
Schlussanträge der Generalanwältin C. Stix‑Hackl vom 8. Juli 2004
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 17. Februar 2005
Leitsätze des Urteils
1. Steuerrecht – Rechtsangleichung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen nach der Sechsten Richtlinie
– Befreiung für Glücksspiele – Nationale Rechtsvorschriften, wonach die Steuerbefreiung für die Veranstaltung dieser Spiele
durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Betreiber zugelassener öffentlicher Spielbanken sind, ausgeschlossen ist – Unzulässigkeit
– Möglichkeit für den Einzelnen, sich vor dem nationalen Gericht auf die einschlägige Bestimmung zu berufen
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 13 Teil B Buchstabe f)
2. Vorabentscheidungsverfahren – Auslegung – Zeitliche Wirkung von Auslegungsurteilen – Rückwirkung – Begrenzung durch den Gerichtshof
– Bedeutung der finanziellen Konsequenzen des Urteils für den betreffenden Mitgliedstaat – Kein entscheidendes Kriterium
(Artikel 234 EG)
1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388, aus dem hervorgeht, dass die Veranstaltung oder der Betrieb
von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien ist, wobei die Mitgliedstaaten aber
dafür zuständig bleiben, die Bedingungen und Grenzen dieser Befreiung festzulegen, ist dahin auszulegen, dass er nationalen
Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller
Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit
durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Betreiber solcher Spielbanken sind, nicht gilt.
Bei der Ausübung der ihnen durch die in Rede stehende Bestimmung zuerkannten Befugnisse haben die Mitgliedstaaten nämlich
den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten und dürfen diese Steuerbefreiung nicht von der Identität des Veranstalters
oder Betreibers dieser Spiele oder Geräte abhängig machen.
Im Übrigen hat die genannte Bestimmung unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen
oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer
innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern. Wenn die Bedingungen oder Beschränkungen, von denen ein Mitgliedstaat die
Steuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsatz abhängig macht, gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen,
kann sich dieser Mitgliedstaat folglich nicht auf diese Bedingungen oder Beschränkungen stützen, um dem Veranstalter solcher
Glücksspiele die Steuerbefreiung, auf die dieser nach der Sechsten Richtlinie einen Rechtsanspruch hat, zu verweigern.
(vgl. Randnrn. 23-24, 29-30, 37-38 und Tenor 1-2)
2. Der Gerichtshof kann sich nur ausnahmsweise nach dem der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatz der
Rechtssicherheit veranlasst sehen, mit Wirkung für die Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung
einer Bestimmung durch den Gerichtshof zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen.
Insoweit rechtfertigen die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben
können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils.
(vgl. Randnrn. 42, 44)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer) 17. Februar 2005(1)
In den verbundenen Rechtssachen C-453/02 und C-462/02betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen
vom 6. November 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 13. und 23. Dezember 2002, in den Verfahren
Finanzamt Gladbeck
gegen
Edith Linneweber (C-453/02)
und
Finanzamt Herne-West
gegen
Savvas Akritidis (C-462/02)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer),
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter C. Gulmann und R. Schintgen (Berichterstatter),
Generalanwältin: C. Stix-Hackl, Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2004,unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
von Frau Linneweber, vertreten durch Rechtsanwalt M. Nettesheim,
–
der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt D. Sellner,
–
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als Bevollmächtigte im Beistand von
Rechtsanwalt A. Böhlke,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Juli 2004,
folgendes
Urteil
1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Artikels 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG
des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Finanzamt Gladbeck und Frau Linneweber als Gesamtrechtsnachfolgerin
ihres im Jahr 1999 verstorbenen Ehemannes sowie zwischen dem Finanzamt Herne-West und Herrn Akritidis über die Entrichtung
von Mehrwertsteuer auf Einnahmen aus dem Betrieb von Glücksspielen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Artikel 2 der Sechsten Richtlinie, der deren Abschnitt II – Steueranwendungsbereich – bildet, bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
…“
4
Nach Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer:
„Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat
festgelegt werden“.
Nationales Recht
5
Nach § 1 Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (BGBl. I, S. 566, im Folgenden: UStG) unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen
und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
6
Nach § 4 Nummer 9 Buchstabe b UStG sind die Umsätze, die unter das Rennwett‑ und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze
der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, steuerfrei.
Ausgangsverfahren und VorlagefragenRechtssache C‑453/02
7
Frau Linneweber ist die Gesamtrechtsnachfolgerin ihres im Jahr 1999 verstorbenen Ehemannes. Dieser stellte mit behördlicher
Genehmigung Geldspielautomaten und Unterhaltungsgeräte in Gaststätten und in ihm gehörenden Spielhallen zur entgeltlichen
Nutzung bereit. Frau Linneweber und ihr Ehemann erklärten für die Wirtschaftsjahre 1997 und 1998 steuerfreie Umsätze aus dem
Betrieb dieser Automaten mit der Begründung, dass die Umsätze der zugelassenen Spielbanken aus dem Betrieb von Geldspielautomaten
von der Umsatzsteuer befreit seien.
8
Das Finanzamt Gladbeck vertrat demgegenüber die Ansicht, dass die betreffenden Einnahmen nicht nach § 4 Nummer 9 Buchstabe
b UStG steuerfrei seien, da sie weder der Rennwett- und Lotteriesteuer unterlägen noch aus dem Betrieb einer zugelassenen
öffentlichen Spielbank stammten.
9
Das Finanzgericht Münster gab der von Frau Linneweber erhobenen Klage mit der Begründung statt, dass in Fortführung der Grundsätze
des Urteils des Gerichtshofes vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C‑283/95 (Fischer, Slg. 1998, I‑3369) Umsätze mit Geldspielautomaten
nach Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie von der Umsatzsteuer befreit seien. In Randnummer 28 dieses Urteils
habe der Gerichtshof festgestellt, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität bei der Erhebung der Mehrwertsteuer eine
Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbiete.
10
Seine zum Bundesfinanzhof eingelegte Revision stützt das Finanzamt Gladbeck darauf, dass bei den in den Spielbanken aufgestellten
Geräten die Einsätze und Gewinnmöglichkeiten wesentlich höher seien als bei denen, die außerhalb dieser Einrichtungen betrieben
würden. Anders als vom Finanzgericht Münster angenommen, bestehe daher kein Wettbewerbsverhältnis zwischen diesen beiden Gerätearten.
11
Da der Bundesfinanzhof der Ansicht ist, dass zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Auslegung der Sechsten
Richtlinie erforderlich sei, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
1.
Ist Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Veranstaltung eines
Glücksspiels mit Geldeinsatz nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels
durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist?
2.
Verbietet Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie einem Mitgliedstaat, den Betrieb eines Geldspielautomaten
bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn der Betrieb eines Geldspielautomaten durch eine zugelassene öffentliche
Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die außerhalb der Spielbanken betriebenen Glücksspielautomaten
in wesentlichen Punkten, wie beim Höchsteinsatz und beim Höchstgewinn, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar
sind?
3.
Kann sich der Automatenaufsteller auf die Steuerfreiheit nach Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie berufen?
Rechtssache C‑462/02
12
Wie den dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten zu entnehmen ist, betrieb Herr Akritidis von 1987 bis
1991 in Herne‑Eickel einen Spielsalon. Er veranstaltete dort Roulette sowie Kartenspiele. Gemäß der Erlaubnis, über die er
verfügte, mussten diese Glücksspiele nach bestimmten Regeln laut Unbedenklichkeitsbescheinigung der zuständigen Behörden gespielt
werden.
13
Von 1989 bis 1991 hielt sich Herr Akritidis weder beim Roulettespiel noch beim Kartenspiel an die Vorgaben der zuständigen
Behörden. Unter anderem benutzte er weder die vorgeschriebene Kartentafel, noch hielt er die zulässigen Einsätze ein, noch
führte er Aufzeichnungen über die bei den fraglichen Spielen erzielten Umsätze.
14
Das Finanzamt Herne‑West schätzte den Umsatz für diesen Zeitraum unter Berücksichtigung der nicht genehmigten Roulette- und
Kartenspielumsätze. Auf Einspruch von Herrn Akritidis und unter Berücksichtigung des vorerwähnten Urteils Fischer beließ das
Finanzamt Herne‑West die Umsätze aus dem Roulettespiel steuerfrei. Es beschloss dagegen, die illegal veranstalteten Kartenspiele
als steuerpflichtig zu behandeln, wobei es den Anteil der Kartenspielumsätze an den Gesamtumsätzen schätzte.
15
Herr Akritidis erhob beim Finanzgericht Münster Klage gegen diese Entscheidung. Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, entsprechend
den Grundsätzen des Urteils Fischer seien auch die Umsätze aus dem betreffenden Kartenspiel nach Artikel 13 Teil B Buchstabe
f der Sechsten Richtlinie von der Umsatzsteuer zu befreien. Herr Akritidis könne sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar
auf diese Vorschrift berufen. Es gebe keinen Grund, die Anwendung der vom Gerichtshof in diesem Urteil aufgestellten Grundsätze
auf das Roulettespiel zu beschränken.
16
Seine zum Bundesfinanzhof eingelegte Revision stützt das Finanzamt Herne‑West darauf, dass die Grundsätze, auf die sich das
Finanzgericht Münster bezogen habe, nicht auf das hier in Rede stehende Kartenspiel übertragbar seien. Anders als bei dem
Spiel, um das es im Urteil Fischer gegangen sei, bestehe hier zwischen dem von Herrn Akritidis veranstalteten Kartenspiel
und den von den Spielbanken veranstalteten Spielen kein Wettbewerbsverhältnis, da diese Spiele nur bedingt miteinander vergleichbar
seien. Herr Akritidis entgegnet, das Kartenspiel entspreche so, wie es in seinen Räumlichkeiten gespielt worden sei, dem in
zugelassenen öffentlichen Spielbanken gespielten „Black Jack“.
17
Da der Bundesfinanzhof der Ansicht ist, dass zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Auslegung der Sechsten
Richtlinie erforderlich sei, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
1.
Verbietet Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie einem Mitgliedstaat, die Veranstaltung eines Kartenspiels
bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die Veranstaltung eines Kartenspiels durch eine zugelassene öffentliche
Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die außerhalb der Spielbanken veranstalteten Kartenspiele
in wesentlichen Punkten, wie bei den Spielregeln, beim Höchsteinsatz und beim Höchstgewinn, mit den Kartenspielen in den Spielbanken
vergleichbar sind?
2.
Kann sich der Veranstalter auf die Steuerfreiheit nach Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie berufen?
18
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 6. Februar 2003 sind die Rechtssachen C‑453/02 und C‑462/02 zu gemeinsamem
schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den VorlagefragenZur ersten Frage in der Rechtssache C‑453/02
19
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach § 4 Nummer 9 Buchstabe b UStG die Umsätze, die die zugelassenen öffentlichen Spielbanken
mit Glücksspielen oder Glücksspielgeräten erzielen, steuerfrei sind, ohne dass die Form oder die Modalitäten der Veranstaltung
und des Betriebes dieser Spiele und Geräte festgelegt sind.
20
Außerdem unterliegen, wie der Bundesfinanzhof in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt hat, die zugelassenen öffentlichen
Spielbanken hinsichtlich der Glücksspiele und Glücksspielgeräte, die sie veranstalten oder betreiben dürfen, keiner Beschränkung.
21
Daher können Glücksspiele und Glücksspielgeräte wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unabhängig von den Modalitäten
ihrer Veranstaltung oder ihres Betriebes von den zugelassenen öffentlichen Spielbanken veranstaltet oder betrieben werden,
ohne dass der damit erzielte Umsatz der Umsatzsteuer unterliegt.
22
Demnach ist die erste Frage in der Rechtssache C‑453/02 als im Wesentlichen dahin gehend zu verstehen, ob Artikel 13 Teil
B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung
oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist,
während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber
sind, nicht gilt.
23
Im Hinblick auf die Beantwortung der so umformulierten Frage ist daran zu erinnern, dass sich aus Artikel 13 Teil B Buchstabe
f der Sechsten Richtlinie ergibt, dass die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich
von der Mehrwertsteuer zu befreien ist, wobei die Mitgliedstaaten aber dafür zuständig bleiben, die Bedingungen und Grenzen
dieser Befreiung festzulegen (Urteil Fischer, Randnr. 25).
24
Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit müssen die Mitgliedstaaten jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten.
Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervorgeht, verbietet es dieser Grundsatz insbesondere, gleichartige und deshalb
miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
Auf solche Waren oder Dienstleistungen ist daher ein einheitlicher Steuersatz anzuwenden (vgl. u. a. Urteile vom 11. Oktober
2001 in der Rechtssache C‑267/99, Adam, Slg. 2001, I‑7467, Randnr. 36, und vom 23. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑109/02,
Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I‑12691, Randnr. 20).
25
Aus diesen Urteilen sowie aus den Urteilen vom 7. September 1999 in der Rechtssache C‑216/97 (Gregg, Slg. 1999, I‑4947, Randnr.
20) und Fischer geht hervor, dass für die Prüfung der Gleichartigkeit der Waren oder Dienstleistungen die Identität des Herstellers
oder des Dienstleistungserbringers und die Rechtsform, in der diese ihre Tätigkeiten ausüben, grundsätzlich nicht von Bedeutung
sind.
26
Wie die Generalanwältin in den Nummern 37 und 38 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat der Gerichtshof nämlich für die
Feststellung der Gleichartigkeit der im Urteil Fischer in Rede stehenden Tätigkeiten nur die Vergleichbarkeit der betreffenden
Tätigkeiten geprüft und ist dem Vorbringen, wonach sich die Glücksspiele im Hinblick auf die steuerliche Neutralität allein
dadurch unterschieden, dass sie von oder in zugelassenen öffentlichen Spielbanken veranstaltet werden, nicht gefolgt.
27
Daher hat der Gerichtshof in Randnummer 31 des Urteils Fischer entschieden, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten
Richtlinie es einem Mitgliedstaat verwehrt, die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels außerhalb einer zugelassenen öffentlichen
Spielbank der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die Veranstaltung des gleichen Glücksspiels durch eine solche Einrichtung
steuerfrei ist.
28
Da es demnach auf die Identität des Veranstalters eines Glücksspiels nicht ankommt für die Feststellung, ob die unerlaubte
Veranstaltung dieses Spiels als mit der erlaubten Veranstaltung des gleichen Spiels in Wettbewerb stehend anzusehen ist, muss
das Gleiche erst recht für die Feststellung gelten, ob zwei rechtmäßig veranstaltete Glücksspiele oder betriebene Glücksspielgeräte
als miteinander in Wettbewerb stehend anzusehen sind.
29
Folglich dürfen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der ihnen durch Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie
zuerkannten Befugnisse, die Bedingungen und Beschränkungen der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiung der Veranstaltung
oder des Betriebes von Glücksspielen und Glücksspielgeräten von der Mehrwertsteuer festzulegen, diese Steuerbefreiung nicht
von der Identität des Veranstalters oder Betreibers dieser Spiele oder Geräte abhängig machen.
30
Angesichts dieser Erwägungen ist auf die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C‑453/02 zu antworten, dass Artikel 13 Teil
B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die
Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken
steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht
Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑453/02 und zur ersten Frage in der Rechtssache C‑462/02
31
Angesichts der Antwort auf die erste Frage in der Rechtssache C‑453/02 ist weder die zweite Frage in dieser Rechtssache noch
die erste Frage in der Rechtssache C‑462/02 zu beantworten.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑453/02 und zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑462/02
32
Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie unmittelbare
Wirkung in dem Sinne hat, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen
Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu
verhindern.
33
Hierzu ist daran zu erinnern, dass sich der Einzelne in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen
einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen
Vorschriften berufen kann; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen,
die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81,
Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25, vom 10. September 2002 in der Rechtssache C‑141/00, Kügler, Slg. 2002, I‑6833, Randnr.
51, und vom 20. Mai 2003 in den Rechtssachen C‑465/00, C‑138/01 und C‑139/01, Österreichischer Rundfunk u. a., Slg. 2003,
I‑4989, Randnr. 98).
34
Was im Einzelnen Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie betrifft, so geht aus der Rechtsprechung hervor, dass
diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zwar unbestreitbar ein Ermessen bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung
bestimmter darin vorgesehener Steuerbefreiungen einräumt, dass aber gleichwohl ein Mitgliedstaat einem Steuerpflichtigen,
der in der Lage ist, zu beweisen, dass er steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Sechsten Richtlinie fällt,
nicht die Tatsache entgegenhalten kann, dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern
sollen, nicht erlassen hat (Urteil Becker, Randnr. 33).
35
Der Umstand, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie dieses Ermessen der Mitgliedstaaten durch die Klarstellung
bestätigt, dass sie für die Feststellung der Bedingungen und Beschränkungen der Steuerbefreiungen für Glücksspiele mit Geldeinsatz
zuständig sind, ist nicht geeignet, diese Auslegung in Frage zu stellen. Da diese Glücksspiele nämlich grundsätzlich von der
Mehrwertsteuer befreit sind, kann sich jeder, der sie veranstaltet, unmittelbar auf diese Steuerbefreiung berufen, wenn der
betreffende Mitgliedstaat auf die Ausübung der ihm durch Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie ausdrücklich
zuerkannten Befugnisse verzichtet oder es unterlassen hat, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen.
36
Ferner ist festzustellen, dass das, was für den Fall gilt, dass ein Mitgliedstaat die ihm durch Artikel 13 Teil B Buchstabe
f der Sechsten Richtlinie zuerkannten Befugnisse nicht ausgeübt hat, erst recht für den Fall gelten muss, dass ein Mitgliedstaat
in Ausübung dieser Befugnisse innerstaatliche Rechtsvorschriften erlassen hat, die mit dieser Richtlinie nicht vereinbar sind.
37
Wenn wie in den Ausgangsverfahren die Bedingungen oder Beschränkungen, von denen ein Mitgliedstaat die Steuerbefreiung für
Glücksspiele mit Geldeinsatz abhängig macht, gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen, kann sich, wie die
Generalanwältin in Nummer 72 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, dieser Mitgliedstaat folglich nicht auf diese Bedingungen
oder Beschränkungen stützen, um dem Veranstalter solcher Glücksspiele die Steuerbefreiung, auf die dieser nach der Sechsten
Richtlinie einen Rechtsanspruch hat, zu verweigern.
38
Somit ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑453/02 und auf die zweite Frage in der Rechtssache C‑462/02 zu antworten,
dass Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie unmittelbare Wirkung in dem Sinne hat, dass sich ein Veranstalter
oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung
mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.
Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils
39
Die deutsche Regierung hat in ihren mündlichen Erklärungen darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof die Möglichkeit habe,
die zeitliche Wirkung des vorliegenden Urteils zu beschränken, wenn er eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren
in Rede stehende als unvereinbar mit der Sechsten Richtlinie ansehen sollte.
40
Zur Begründung ihres Ersuchens hat die deutsche Regierung den Gerichtshof auf die verhängnisvollen finanziellen Folgen aufmerksam
gemacht, die ein Urteil hätte, mit dem die Unvereinbarkeit einer Bestimmung wie des § 4 Nummer 9 UStG mit der Sechsten Richtlinie
festgestellt würde. Außerdem habe das Verhalten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Anschluss an das Urteil
vom 5. Mai 1994 in der Rechtssache C‑38/93 (Glawe, Slg. 1994, I‑1679) die Bundesrepublik Deutschland zu der Ansicht geführt,
dass § 4 Nummer 9 UStG mit der Sechsten Richtlinie in Einklang stehe.
41
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts,
die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 234 EG vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem
Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre.
Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das
Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen
für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (vgl. u. a.
Urteile vom 11. August 1995 in den Rechtssachen C‑367/93 bis C‑377/93, Roders u. a., Slg. 1995, I‑2229, Randnr. 42, und vom
3. Oktober 2002 in der Rechtssache C‑347/00, Barreira Pérez, Slg. 2002, I‑8191, Randnr. 44).
42
Der Gerichtshof kann sich nur ausnahmsweise nach dem der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatz der
Rechtssicherheit veranlasst sehen, mit Wirkung für die Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung
einer Bestimmung durch den Gerichtshof zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (vgl.
u. a. Urteile vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C‑104/98, Buchner u. a., Slg. 2000, I‑3625, Randnr. 39, und Barreira Pérez,
Randnr. 45).
43
In Bezug auf die Ausgangsverfahren ist erstens festzustellen, dass sich das Vorbringen, § 4 Nummer 9 UStG habe vernünftigerweise
als mit der Sechsten Richtlinie in Einklang stehend angesehen werden können, nicht auf das Verhalten der Kommission im Anschluss
an das Urteil Glawe stützen lässt. In diesem Urteil ging es nämlich nur um die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage des mit
dem Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsatzes und keineswegs um die durch das deutsche Mehrwertsteuerrecht allgemein
eingeführte unterschiedliche Behandlung der zugelassenen öffentlichen Spielbanken und der übrigen Glücksspielveranstalter.
44
Zweitens rechtfertigen die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben
können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils (vgl. u. a. Urteile Roders u. a.,
Randnr. 48, und Buchner u. a., Randnr. 41).
45
Daher ist die zeitliche Wirkung des vorliegenden Urteils nicht zu beschränken.
Kosten
46
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von
Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1.
Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage
ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen
und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für
die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.
2.
Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388 hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter
oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung
mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.