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Document 61996CO0180
Order of the Court of 12 July 1996. # United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland v Commission of the European Communities. # Application for interim relief - Agriculture - Animal health - Emergency measures against bovine spongiform encephalopathy. # Case C-180/96 R.
Beschluss des Gerichtshofes vom 12. Juli 1996.
Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Vorläufiger Rechtsschutz - Landwirtschaft - Tierseuchenrecht - Dringliche Maßnahmen gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie.
Rechtssache C-180/96 R.
Beschluss des Gerichtshofes vom 12. Juli 1996.
Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Vorläufiger Rechtsschutz - Landwirtschaft - Tierseuchenrecht - Dringliche Maßnahmen gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie.
Rechtssache C-180/96 R.
Sammlung der Rechtsprechung 1996 I-03903
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1996:308
Beschluss des Gerichtshofes vom 12. Juli 1996. - Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Vorläufiger Rechtsschutz - Landwirtschaft - Tierseuchenrecht - Dringliche Maßnahmen gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie. - Rechtssache C-180/96 R.
Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-03903
Leitsätze
Entscheidungsgründe
Tenor
++++
1. Vorläufiger Rechtsschutz ° Aussetzung des Vollzugs ° Einstweilige Anordnungen ° Voraussetzungen ° Fumus boni iuris ° Schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden ° Interessenabwägung ° Ermessen des Gerichtshofes
(EG-Vertrag, Artikel 185 f.; Verfahrensordnung des Gerichtshofes, Artikel 83 § 2)
2. Vorläufiger Rechtsschutz ° Aussetzung des Vollzugs ° Einstweilige Anordnungen ° Voraussetzungen ° Schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden ° Schäden, die ein Mitgliedstaat geltend machen kann
(EG-Vertrag, Artikel 185 f.; Verfahrensordnung des Gerichtshofes, Artikel 83 § 2)
3. Vorläufiger Rechtsschutz ° Aussetzung des Vollzugs ° Voraussetzungen ° Interessenabwägung ° Begriff
(EG-Vertrag, Artikel 185)
4. Vorläufiger Rechtsschutz ° Aussetzung des Vollzugs ° Einstweilige Anordnungen ° Voraussetzungen ° Entscheidung 96/239 mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen ° Interessenabwägung ° Vorrangige Bedeutung des Gesundheitsschutzes gegenüber wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, selbst wenn diese nur schwer wiedergutzumachen sind
(EG-Vertrag, Artikel 185 und 186)
1. Der Gerichtshof kann im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs anordnen oder sonstige einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht (Fumus boni iuris) und dargetan ist, daß sie dringlich in dem Sinne sind, daß es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachen Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, daß sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten. Dabei nimmt der Gerichtshof eine Interessenabwägung vor. Zudem sind die Aussetzung des Vollzugs und die anderen Maßnahmen nach Artikel 186 des Vertrages vorläufig in dem Sinne, daß sie den Entscheidungen über die streitigen Rechts- und Tatsachenfragen nicht vorgreifen und die später zur Hauptsache zu treffende Entscheidung nicht im voraus wirkungslos machen.
Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der Gerichtshof über ein weites Ermessen; er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge ihrer Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt.
2. Die Dringlichkeit einer beantragten Maßnahme beurteilt sich danach, ob eine vorläufige Entscheidung notwendig ist, um einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verhindern, der sich aus der sofortigen Anwendung der Maßnahme ergeben könnte, die Gegenstand der Klage ist. Die Mitgliedstaaten sind für die ° namentlich wirtschaftlichen und sozialen ° Interessen zuständig, die auf nationaler Ebene als Allgemeininteressen betrachtet werden; daher sind sie zur Verteidigung dieser Interessen klagebefugt. Folglich können sie Schäden geltend machen, die einen gesamten Sektor ihrer Volkswirtschaft betreffen, insbesondere, wenn die angefochtene Gemeinschaftsmaßnahme negative Auswirkungen auf das Beschäftigungs- und das Lebenshaltungskostenniveau haben kann.
3. Wägt der Gerichtshof im Rahmen eines Antrags auf Aussetzung des Vollzugs, in dem die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens des Antragstellers geltend gemacht wird, die widerstreitenden Interessen ab, so ist zu prüfen, ob die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug der streitigen Entscheidung entstuende, und ob ° umgekehrt ° die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde.
4. Dem Antrag des Vereinigten Königreichs auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung 96/239 der Kommission mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen kann auch nicht teilweise stattgegeben noch kann die Durchführung dieser Entscheidung durch einstweilige Anordnungen abgeändert werden. Wenn auch das Vorbringen des Vereinigten Königreichs im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht in jedem Punkt vollständig zurückgewiesen werden kann, hat die Kommission doch gewichtige Gründe für die Rechtmässigkeit ihrer Entscheidung insgesamt vorgebracht. Im übrigen spricht die Interessenabwägung in jedem Fall für die vorrangige Bedeutung des Schutzes der Bevölkerung gegen eine tödliche Bedrohung, die beim Stand der Wissenschaft nicht ausgeschlossen werden kann, gegenüber den wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, selbst wenn sie nur schwer wiedergutzumachen sind, die sich aus der Anwendung der Entscheidung ergeben können und die der fragliche Mitgliedstaat geltend machen kann.
1 Das Vereinigte Königreich hat mit Klageschrift, die am 24. Mai 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereicht wurde, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag die Nichtigerklärung der Entscheidung 96/239/EG der Kommission vom 27. März 1996 mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen (ABl. L 78, S. 47) sowie bestimmter anderer Handlungen beantragt.
2 Mit gesondertem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereicht wurde, hat das Vereinigte Königreich gemäß Artikel 185 und 186 EG-Vertrag und Artikel 83 der Verfahrensordnung die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung 96/239 und/oder den Erlaß bestimmter einstweiliger Anordnungen beantragt.
3 Die Kommission hat ihre schriftlichen Erklärungen zum Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung am 12. Juni 1996 eingereicht.
4 Am selben Tage hat der Rat beantragt, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden; er hat schriftliche Erklärungen zum Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eingereicht. Dem Antrag auf Zulassung als Streithelfer ist gemäß Artikel 37 Absätze 1 und 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 93 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung stattzugeben.
5 Am 13. Juni 1996 hat der Präsident des Gerichtshofes gemäß Artikel 85 Absatz 1 der Verfahrensordnung die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung dem Gerichtshof übertragen.
6 Die Parteien wurden am 19. Juni 1996 gehört.
Sachverhalt
7 Nach den Akten wurde die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE), auch Rinderwahnsinn genannt, zum ersten Mal 1986 im Vereinigten Königreich festgestellt. Sie gehört zu einer Gruppe von Krankheiten, die man übertragbare spongiforme Enzephalopathien nennt; für sie ist eine Degeneration des Gehirns und das schwammartige Aussehen der Nervenzellen bei mikroskopischer Betrachtung kennzeichnend. Diese Krankheiten können sowohl beim Menschen (Kuru-Krankheit in Neuguinea und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die insbesondere ältere Personen befällt) wie bei bestimmten Tierarten, darunter den Rindern, den Schafen (Traberkrankheit), der Hauskatze und dem Zuchtnerz, auftreten.
8 Vermutlicher Ursprung von BSE ist eine geänderte Futtermittelzubereitung für Rinder, die Eiweiß von Schafen enthält, die von der Traberkrankheit befallen waren. BSE hat eine Inkubationszeit von mehreren Jahren, während deren die Krankheit am lebenden Tier nicht festgestellt werden kann.
9 Zur Bekämpfung von BSE hat das Vereinigte Königreich seit Juli 1988 eine Reihe von Maßnahmen getroffen, darunter das Verbot des Verkaufs von Futtermitteln für Wiederkäuer, die Wiederkäuereiweiß enthalten, und das Verbot der Fütterung von Wiederkäuern mit solchen Futtermitteln (ruminant feed ban, enthalten in der Bovine Spongiform Encephalopathy Order 1988, SI 1988/1039, mit späteren Änderungen). Angesichts des vermuteten Ursprungs der Krankheit, nämlich der Aufnahme verseuchter Futtermittel, hätte dieses Verbot nach Ansicht von Wissenschaftlern neue BSE-Fälle bei Tieren verhüten müssen, die nach seiner Einführung geboren wurden.
10 Um die Gefahren für die menschliche Gesundheit zu verringern, hat das Vereinigte Königreich weitere Maßnahmen getroffen, darunter das Verbot des Verkaufs und der Verwendung von Sonderabfällen vom Rind, von denen vermutet wird, daß sie den Erreger enthalten (The Bovine Offal [Prohibition] Regulations 1989, SI 1989/2061, mit weiteren Änderungen). Verworfen werden dabei insbesondere der Kopf und das Rückenmark.
11 In seinem Antrag bezieht sich das Vereinigte Königreich auf eine neue Regelung, das Mature Beef Assurance Scheme, die im Mai 1996 vorgeschlagen wurde und es bestimmten Zuechtern ermöglichen würde, eine Qualitätsbescheinigung zu erlangen, wenn bestimmte besonders strenge Voraussetzungen beachtet wären, die sich insbesondere auf die Fütterung der Rinder und darauf beziehen, daß in der fraglichen Herde kein Fall von BSE aufgetreten ist.
12 Auch die Kommission hat eine Reihe von Entscheidungen zu BSE im Vereinigten Königreich erlassen. Hierzu zählt die Entscheidung 90/200/EWG der Kommission vom 9. April 1990 über zusätzliche Anforderungen an gewisse Gewebe und Organe im Hinblick auf spongiforme Rinderenzephalopathie (ABl. L 105, S. 24), ersetzt durch die Entscheidung 94/474/EG vom 27. Juli 1994 über Schutzmaßnahmen gegen die spongiforme Rinderenzyphalopathie und zur Aufhebung der Entscheidungen 89/469/EWG und 90/200/EWG (ABl. L 194, S. 96), zuletzt geändert durch Entscheidung 95/287/EG der Kommission vom 18. Juli 1995 (ABl. L 181, S. 40). Diese Maßnahmen betreffen die Entfernung von Gewebe vom Rind, das wahrscheinlich Erreger enthält, sowie die Fütterung von Wiederkäuern. Die Entscheidung 92/290/EWG der Kommission vom 14. Mai 1992 über bestimmte Schutzmaßnahmen für Rinderembryonen gegen die spongiforme Rinderenzephalopathie im Vereinigten Königreich (ABl. L 152, S. 37) hat zudem die Ausfuhr von Embryonen strengen Voraussetzungen unterworfen.
13 Das Spongiform Encephalopathy Advisory Committee (SEAC), ein unabhängiger Ausschuß zur wissenschaftlichen Beratung der Regierung des Vereinigten Königreichs, hat am 20. März 1996 mitgeteilt, bei zehn Personen, deren älteste 42 Jahre alt war, sei eine neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit festgestellt worden. In dieser Mitteilung heisst es, obwohl es keinen unmittelbaren Beweis für einen Zusammenhang gebe, sei nach den zur Verfügung stehenden Daten mangels einer glaubwürdigen Alternative die wahrscheinlichste Erklärung (the most likely explanation) für diese Fälle der Kontakt mit BSE vor der Einführung des Verbotes der Sonderabfälle vom Rind im Jahre 1989. Das sei Anlaß zu erheblicher Beunruhigung.
14 In derselben Mitteilung führte das SEAC aus, die zum Schutze der Gesundheit getroffenen Maßnahmen müssten unbedingt beachtet werden; die vollständige Entnahme des Rückenmarks solle ständig überwacht werden. Schlachtkörper von mehr als 30 Monate alten Rindern seien in zugelassenen Einrichtungen unter der Überwachung des Meat Hygiene Service zu entbeinen, die Abfälle beim Zuschneiden des Fleisches seien als Sonderabfälle vom Rind zu qualifizieren und die Verwendung von Fleisch- und Knochenmehl von Säugetieren für die Fütterung aller landwirtschaftlichen Nutztiere sei zu verbieten.
15 Am selben Tage hat der Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung den Verkauf und die Lieferung von Fleisch- und Knochenmehl von Säugetieren sowie ihre Verwendung in Futtermitteln für landwirtschaftliche Nutztiere einschließlich Gefluegel, Pferde und Zuchtfische sowie den Verkauf von Fleisch von mehr als 30 Monate alten Rindern zum menschlichen Verzehr verboten.
16 Gleichzeitig haben mehrere Mitgliedstaaten und Drittländer die Einfuhr von Rindern oder Rindfleisch aus dem Vereinigten Königreich oder ° im Falle bestimmter Drittländer ° aus der Europäischen Union verboten.
17 Am 22. März 1996 vertrat der Wissenschaftliche Veterinärausschuß der Europäischen Union die Auffassung, die zur Verfügung stehenden Daten erlaubten nicht den Nachweis, daß BSE auf den Menschen übertragen werden könne. Angesichts einer gleichwohl bestehenden Gefahr, die der Ausschuß immer berücksichtigt habe, hat er jedoch empfohlen, die jüngst vom Vereinigten Königreich getroffenen Maßnahmen betreffend die Entbeinung von Schlachtkörpern von mehr als 30 Monate alten Rindern in überwachten Einrichtungen für den Binnenhandel der Gemeinschaft umzusetzen; ausserdem solle die Gemeinschaft geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Verwendung von Fleisch- und Knochenmehl in Futtermitteln zu verbieten. Zudem müsse jeder Kontakt von Rückenmark mit Fett, Knochen und Fleisch ausgeschlossen werden; andernfalls sei der Schlachtkörper als Sonderabfall vom Rind zu behandeln. Schließlich hat der Ausschuß empfohlen, Untersuchungen über die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen fortzusetzen.
18 Am 24. März 1996 hat das SEAC seine früheren Empfehlungen über die Entbeinung von Schlachtkörpern in zugelassenen Einrichtungen, über die Behandlung von Zuschneideabfällen mit Nerven- und lymphatischem Gewebe, vom Rückgrat und vom Kopf (mit Ausnahme der Zunge, wenn sie nicht verseucht entnommen wird) als Sonderabfälle vom Rind sowie das Verbot der Verwendung von Fleisch- und Knochenmehl von Säugetieren in Futtermitteln für Wiederkäuer und landwirtschaftliche Nutztiere (einschließlich Fische und Pferde) sowie als Dünger für Flächen bestätigt, zu denen Wiederkäuer Zugang haben. Das SEAC hat jedoch ausgeführt, es könne einen Kausalzusammenhang zwischen BSE und der jüngst entdeckten Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nicht bestätigen; diese Frage bedürfe der weiteren wissenschaftlichen Untersuchung.
19 Am 27. März 1996 hat die Kommission die Entscheidung 96/239 erlassen, um die es im vorliegenden Verfahren im wesentlichen geht. Diese Entscheidung ist gestützt auf den EG-Vertrag, die Richtlinie 90/425/EWG des Rates vom 26. Juni 1990 zur Regelung der veterinärrechtlichen und tierzuechterischen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren und Erzeugnissen im Hinblick auf den Binnenmarkt (ABl. L 224, S. 29), zuletzt geändert durch die Richtlinie 92/118/EWG des Rates vom 17. Dezember 1992 (ABl. 1993, L 62, S. 49), insbesondere auf Artikel 10 Absatz 4, sowie auf die Richtlinie 89/662/EWG des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt (ABl. L 395, S. 13), zuletzt geändert durch die Richtlinie 92/118, insbesondere auf Artikel 9.
20 In der Präambel der Entscheidung 96/239 wird auf das Bekanntwerden neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Mitteilung zusätzlicher von der Regierung des Vereinigten Königreichs getroffener Maßnahmen (Schlachtkörper von über 30 Monate alten Rindern sind in zugelassenen und vom Meat Hygiene Service überwachten Betrieben zu entbeinen; die beim Zuschneiden anfallenden Abfälle sind als Sonderabfälle vom Rind zu behandeln; die Verfütterung von Mehl von Fleisch und Knochen, das von Säugetieren stammt, an die in landwirtschaftlichen Betrieben gehaltenen Tiere ist verboten) sowie auf die von einigen Mitgliedstaaten verhängten Einfuhrverbote und das Votum des Wissenschaftlichen Veterinärausschusses Bezug genommen. Die fünfte, die sechste und die siebte Begründungserwägung lauten wie folgt:
"Angesichts der derzeitigen Lage kann zu der Gefahr einer Übertragbarkeit der BSE auf den Menschen nicht endgültig Stellung genommen werden. Dieses Risiko lässt sich nicht ausschließen. Die daraus erwachsende Unsicherheit hat bei den Verbrauchern erhebliche Besorgnisse zur Folge. Unter diesen Umständen ist es angezeigt, als Dringlichkeitsmaßnahme vorläufig jeden Versand von lebenden Tieren, von Rindfleisch oder Rindfleischerzeugnissen aus dem Vereinigten Königreich nach den anderen Mitgliedstaaten zu untersagen. Zur Verhütung von Verkehrsverlagerungen muß diese Beschränkung auch für die Ausfuhr nach Drittländern gelten.
Die Kommission nimmt in den kommenden Wochen zur Beurteilung der Anwendung der getroffenen Maßnahmen im Vereinigten Königreich eine Inspektion vor. Es empfiehlt sich ausserdem, die wissenschaftliche Begründung der neuen Informationen zu vertiefen und die getroffenen Maßnahmen zu verstärken.
Die vorliegende Entscheidung sollte nach Prüfung der Gesamtheit der angeführten Punkte überarbeitet werden."
21 Artikel 1 der Entscheidung 96/239 lautet wie folgt:
"In Erwartung einer Gesamtlageprüfung und unbeschadet der zum Schutz gegen BSE erlassenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften wird der Versand von
° lebenden Rindern, Rindersamen und Rinderembryonen,
° Rindfleisch, geschlachtet im Vereinigten Königreich,
° Erzeugnisse von Rindern, die im Vereinigten Königreich geschlachtet worden sind und welche geeignet sind, als Lebensmittel oder Tierfutter verwendet zu werden und Produkte, die bestimmt sind für die Verwendung bei der Herstellung von Medizinalprodukten, Kosmetika und pharmazeutischen Erzeugnissen,
° Fleisch- und Knochenmehl, das von Säugetieren stammt,
aus dem Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs nach den anderen Mitgliedstaaten und nach Drittländern untersagt."
22 Gemäß Artikel 3 übermittelt das Vereinigte Königreich der Kommission jede zweite Woche einen Bericht über die Anwendung der zum Schutz gegen BSE getroffenen Maßnahmen; gemäß Artikel 4 legt es "weitere Vorschläge ... über die Bekämpfung der bovinen spongiformen Enzephalopathie ... im Vereinigten Königreich" vor.
23 Vom 1. bis 3. April 1996 hat der Rat eine ausserordentliche Tagung in Luxemburg abgehalten, die sich mit den durch BSE aufgeworfenen Problemen beschäftigte. In seinen Schlußfolgerungen heisst es u. a.:
"1. Im Anschluß an die Veröffentlichung neuer Informationen über BSE durch das Vereinigte Königreich unterstreicht der Rat seine Entschlossenheit, alle erforderlichen Maßnahmen für den Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen. Das vorrangige Ziel ist ein hohes Maß an Gesundheitsschutz auf der Grundlage der gesichertsten wissenschaftlichen Erkenntnisse.
2. BSE ist eine schwerwiegende Tierkrankheit, die sich auch auf die öffentliche Gesundheit auswirken kann. Die EU wie auch das Vereinigte Königreich haben eine Reihe wichtiger Beschlüsse gefasst, um mögliche Risiken für die öffentliche Gesundheit soweit wie möglich zu beschränken. Der Rat erkennt jedoch an, daß entschiedene Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Krankheit unter Kontrolle zu bekommen und schließlich zu tilgen, damit das Vertrauen in Rindfleisch wiederhergestellt wird.
3. Infolge der für das Vereinigte Königreich sowie für die übrigen Mitgliedstaaten der Union entstandenen Situation hat die Kommission am 27. März 1996 als Schutzmaßnahme eine Entscheidung erlassen, mit der die Ausfuhr von Rindern, Rindfleisch, Rindfleischerzeugnissen usw. aus dem Vereinigten Königreich in andere Mitgliedstaaten und Drittländer vorübergehend verboten wird. Der Rat hat infolgedessen ein Maßnahmenpaket vereinbart, das zusätzliche Gesundheitsmaßnahmen sowie Marktstützungsmaßnahmen umfasst. Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Verbraucher, die Stabilität auf den Märkten und den Binnenmarkt wiederherzustellen."
24 Ausserdem gelangte der Rat zu der Schlußfolgerung, daß eine Reihe von Gesundheitsmaßnahmen ergriffen werden müssen: Rinder aus dem Vereinigten Königreich, die zum Zeitpunkt der Schlachtung über 30 Monate alt seien, sowie Sonderabfälle von im Vereinigten Königreich geschlachteten Rindern von weniger als 30 Monaten dürften nicht in die Nahrungs- oder Futterkette gelangen; die Kontrollen einschließlich Überprüfungen des Systems zur Registrierung von Tierzuchtbetrieben und Identifizierung der einzelnen Tiere würden verstärkt, um eine effiziente Kontrolle der Verbringung von Rindern (Rückverfolgbarkeit) zu gewährleisten; ein Team von Spezialisten mit Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten mit der Aufgabe, die Durchführung der vom Vereinigten Königreich getroffenen Maßnahmen zu überprüfen, werde gebildet; Stützungsmaßnahmen für den Rindfleischmarkt seien zu erlassen.
25 Zur selben Zeit trat eine von der Weltgesundheitsorganisation einberufene internationale Expertengruppe in Genf unter Beteiligung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und des Internationalen Tierseuchenamtes zusammen. Auch diese Sachverständigen gelangten zu dem Ergebnis, daß der Zusammenhang zwischen BSE und der neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nicht nachgewiesen sei, daß aber die wahrscheinlichste Erklärung für die im Vereinigten Königreich aufgetretenen Fälle dieser Form der Kontakt der dortigen Bevölkerung mit BSE sei. Die Sachverständigen empfahlen insbesondere, daß alle Länder darüber wachen sollten, daß mit übertragbarer spongiformer Enzephalopathie befallene Tiere geschlachtet und alle Teile des Tieres sowie alle aus ihm gewonnenen Erzeugnisse derart beseitigt würden, daß kein Erreger in die Nahrungs- oder Futterkette gelangen könne; darüber hinaus sei es erforderlich, daß alle Länder die Methoden der Tierkörperbeseitigung überprüften, um die tatsächliche Inaktivierung der Erreger der übertragbaren spongiformen Enzephalopathie zu gewährleisten.
26 Für bestimmte Erzeugnisse führte die Sachverständigengruppe aus:
° Milch und Milcherzeugnisse seien selbst in den Ländern, in denen BSE weit verbreitet sei, als unschädlich zu betrachten. Es gebe Beweise aufgrund anderer tierischer oder menschlicher Enzephalopathien, die den Schluß nahelegten, daß durch Milch diese Krankheiten nicht übertragen werden.
° Gelatine in der Nahrungskette sei als ungefährlich zu betrachten, wenn sie aus einem Fabrikationsverfahren stamme, von dem nachgewiesen sei, daß es jede verbleibende Ansteckungsgefahr, die in den Ausgangsgeweben vorhanden gewesen sein möge, in hohem Masse ausschließe.
° Auch Talg sei als unschädlich zu betrachten, wenn wirksame Ausschmelzmethoden eingesetzt würden.
27 Am 9. April 1996 hat der Wissenschaftliche Veterinärausschuß ein Gutachten verabschiedet, wonach die Gewebe, aus denen Gelatine und Talg hergestellt würden, zur Klasse der wenig gefährlichen Erzeugnisse gehörten. Er hat zudem die Herstellungsverfahren beschrieben, die die besten Gesundheitsgarantien böten.
28 Am 18. April 1996 hat der Wissenschaftliche Veterinärausschuß ein weiteres Gutachten verabschiedet, wonach BSE nicht über Bullensamen übertragen werden könne. Die wissenschaftlichen Untersuchungen über die Übertragbarkeit von BSE durch Embryonen seien noch nicht abgeschlossen; bisher sei kein Fall der erblichen Übertragung der Krankheit festgestellt worden; hingegen gebe es Hinweise darauf, daß die Traberkrankheit auf diese Weise übertragen werde. Folglich hat der Wissenschaftliche Veterinärausschuß die Erforderlichkeit der Gemeinschaftsregelung bestätigt, nach der Embryonen nur von nach Juli 1988 geborenen Spendertieren stammen dürften, die ihrerseits nicht von Kühen abstammten, bei denen der Verdacht auf BSE bestanden oder sich bestätigt habe. Da die Regelungen über das Zerlegen der Schlachtkörper und die Futtermittel für Wiederkäuer im Vereinigten Königreich aber nicht ab ihrem Inkrafttreten beachtet worden seien, hat der Ausschuß vorgeschlagen, den Juli 1988 durch den 1. August 1993 zu ersetzen.
29 Am 26. April 1996 hat der Wissenschaftliche Veterinärausschuß den Bericht der im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation zusammengetretenen Sachverständigen erörtert. Insbesondere hat er die Verfahren beschrieben, die bei der Behandlung von Gelatine und Talg angewandt werden müssten.
30 Bei seiner Tagung vom 29. und 30. April 1996 hat der Rat "Landwirtschaft" von den Berichten der Kommission, des Vereinigten Königreichs, des Inspektionsteams der Gemeinschaft, das das Vereinigte Königreich besucht hatte, sowie der Veterinärsachverständigen Kenntnis genommen. Er hat festgestellt, daß einige der Maßnahmen, insbesondere im Zusammenhang mit der Schlachtung von Tieren, die älter seien als 30 Monate, und der Vernichtung von Tierkörpern noch nicht durchgeführt worden seien und daß im Zusammenhang mit den Methoden der Kennzeichnung der Tiere und der Rückverfolgbarkeit einige Mängel festgestellt worden seien. Er ist zu der Auffassung gelangt, "daß die vom Vereinigten Königreich getroffenen Maßnahmen in Verbindung mit der ordnungsgemässen Durchführung und dem sachgerechten follow-up durch die Kommission, dem Programm der selektiven Schlachtung, den ergänzenden Maßnahmen und schließlich der erneuten Bekräftigung des Erfordernisses, sich bei allen künftigen Entscheidungen auf fundierten wissenschaftlichen Rat zu stützen, Bestandteil eines Prozesses sind, aufgrund dessen es möglich sein dürfte, das Ausfuhrverbot allmählich Schritt für Schritt aufzuheben".
31 Bei seiner Sitzung vom 20. bis 24. Mai 1996 hat der internationale Ausschuß des Internationalen Tierseuchenamts neue Empfehlungen getroffen. Danach solle insbesondere in Ländern mit weiter Verbreitung von BSE geprüft werden, ob die Tiere nach dem Zeitpunkt der tatsächlichen Durchführung des Verbotes der Futtermittel geboren worden seien oder aus einer Herde stammten, die vollständig frei von BSE sei, und ob sie niemals mit Fleisch- und Knochenmehl gefüttert worden seien.
32 Am 11. Juni 1996, also nach der Einreichung des vorliegenden Antrags, hat die Kommission die Entscheidung 96/362/EWG zur Änderung der Entscheidung 96/239/EG (ABl. L 139, S. 17) erlassen.
33 In den Begründungserwägungen der Entscheidung 96/362 werden die Stellungnahmen der wissenschaftlichen Ausschüsse, das Fehlen einer Stellungnahme des Ständigen Veterinärausschusses und der Umstand erwähnt, daß die Kommission dem Rat gemäß Artikel 17 der Richtlinie 89/662 am 23. Mai 1996 Maßnahmen vorgeschlagen habe.
34 Mit der Entscheidung 96/362 wird das Verbot der Ausfuhr von Bullensamen aufgehoben, da der wissenschaftliche Veterinärausschuß diesen in bezug auf BSE für unbedenklich hielt. Auch das Verbot für bestimmte Erzeugnisse ° Gelatine, Dikalziumphosphat, Aminosäuren und Peptide, Talg und Talgerzeugnisse sowie aus Talg hergestellte Erzeugnisse ° wird aufgehoben, soweit sie in Einrichtungen hergestellt wurden, die unter amtstierärztlicher Überwachung stehen und die nachweislich gemäß den im Anhang aufgeführten Bedingungen arbeiten (Artikel 1 Absatz 2), und soweit Art und Einrichtung der Herstellung der Erzeugnisse aus deren Kennzeichnung hervorgeht oder anderweitig festzustellen ist (Artikel 1 Absatz 3).
35 Artikel 1a der Entscheidung 96/239 in der geänderten Fassung schreibt für die Versendung bestimmter Arten von Fleisch eine amtstierärztliche Überwachung und ein System zur Ermittlung der Herkunft des Ausgangsmaterials vor, das den Ursprung des Materials über die gesamte Produktionskette hinweg sicherstellt. Gemäß Absatz 2 ist das Verzeichnis der Einrichtungen, die diese Bedingungen erfuellen, der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten mitzuteilen.
36 Artikel 1c lautet wie folgt:
"(1) Die Kommission führt gemeinschaftliche Vor-Ort-Kontrollen im Vereinigten Königreich durch, um die Anwendung der Bestimmungen dieser Entscheidung zu überprüfen, insbesondere hinsichtlich der Durchführung der amtlichen Kontrollen.
(2) Die in Absatz 1 genannten Inspektionen hinsichtlich der im Anhang genannten Erzeugnisse müssen vor einer erneuten Aufnahme der Versendung durchgeführt werden.
(3) Die Kommission setzt nach Anhörung der Mitgliedstaaten im Rahmen des Ständigen Veterinärausschusses den Zeitpunkt fest, ab welchem die Versendung wieder aufgenommen werden kann."
37 Zudem hat die Kommission seit April 1996 eine Reihe von Maßnahmen zur Stützung des Rindfleischmarktes in der gesamten Gemeinschaft erlassen und namentlich die Interventionsbedingungen bedeutend ausgeweitet. Bestimmte Maßnahmen betreffen insbesondere den Rindfleischmarkt im Vereinigten Königreich und sehen eine Beteiligung der Gemeinschaft an dem Programm zur Schlachtung und anschließenden Vernichtung von Rindern mit einem Alter von mehr als 30 Monaten im Zeitpunkt der Schlachtung vor. Hierzu gehört die Verordnung (EG) Nr. 716/96 der Kommission vom 19. April 1996 zur Festlegung aussergewöhnlicher Stützungsmaßnahmen für den Rindfleischmarkt im Vereinigten Königreich (ABl. L 99, S. 14).
Anträge der Parteien
38 Das Vereinigte Königreich beantragt, gemäß Artikel 185 und/oder 186 EG-Vertrag
A) die Anwendung des Artikels 1 der Entscheidung 96/239/EG der Kommission insoweit auszusetzen, als er sich nicht auf
(1) Fleisch von Rindern, die im Vereinigten Königreich mit einem Alter von mehr als 30 Monaten geschlachtet wurden und die die Anforderungen des Mature Beef Assurance Scheme nicht erfuellen,
und
(2) Fleisch- und Knochenmehl von Säugetieren
bezieht;
B) hilfsweise, die Anwendung des Artikels 1 der Entscheidung 96/239/EG der Kommission auf
(1) Ausfuhren von Tieren, Fleisch, Erzeugnissen und Stoffen, die von der angefochtenen Entscheidung erfasst werden, in Drittländer (hilfsweise in solche Drittländer, bei denen keine wirkliche Gefahr einer Verkehrsverlagerung besteht),
(2) Fleisch von Rindern, die den Anforderungen des Mature Beef Assurance Scheme entsprechen,
(3) Rindern, die nach dem 1. Mai 1996 geboren wurden und nicht von Tieren abstammen, bei denen BSE-Verdacht bestand oder bestätigt wurde, das Fleisch von solchen Tieren und Erzeugnisse und Stoffe von solchen Tieren,
(4) Bullensamen,
(5) Rinderembryonen,
(6) Talg und Talgderivate unter den von der Kommission am 22. Mai 1996 gebilligten Voraussetzungen und/oder
(7) Gelatine unter den von der Kommission am 22. Mai 1996 gebilligten Voraussetzungen
auszusetzen;
C) hilfsweise, diejenigen Teile der Entscheidung 96/239/EG der Kommission auszusetzen oder sonstige einstweiligen Anordnungen zu treffen, die der Gerichtshof für angebracht erachtet;
D) die Kommission zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
In der Sitzung vom 19. Juni 1996 hat das Vereinigte Königreich jedoch aufgrund der Entscheidung 96/362 die Punkte 4 (Samen), 6 (Talg) und 7 (Gelatine) seines Hilfsantrags zurückgenommen.
39 Die Kommission beantragt,
° den Antrag zurückzuweisen,
° das Vereinigte Königreich zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
40 Der Rat beantragt,
° den Antrag zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung
41 Nach den Artikeln 185 und 186 EG-Vertrag kann der Gerichtshof, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung einer angefochtenen Handlung aussetzen oder in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.
42 Nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes müssen entsprechende Anträge den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen.
43 Nach Artikel 36 Absatz 3 der Satzung des Gerichtshofes und Artikel 86 § 4 der Verfahrensordnung stellt der Beschluß im Verfahren der einstweiligen Anordnung nur eine einstweilige Regelung dar und greift der Entscheidung des Gerichtshofes zur Hauptsache nicht vor.
44 Somit kann der Gerichtshof im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs einer Handlung anordnen oder sonstige einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht (Fumus boni iuris) und dargetan ist, daß sie dringlich in dem Sinne sind, daß es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, daß sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten (Beschluß vom 19. Juli 1995 in der Rechtssache C-149/95 P(R), Kommission/Atlantic Container Line u. a., Slg. 1995, I-2165, Randnr. 22). Nach ständiger Rechtsprechung nimmt der Gerichtshof weiter eine Interessenabwägung vor. Zudem kommen die Aussetzung des Vollzugs und andere Maßnahmen nach Artikel 186 EG-Vertrag nur in Betracht, wenn sie vorläufig in dem Sinne sind, daß sie der Entscheidung über die streitigen Rechts- oder Tatsachenfragen nicht vorgreifen und die später zur Hauptsache zu treffende Entscheidung nicht im voraus wirkungslos machen (Beschluß Kommission/Atlantic Container Line u. a., Randnr. 22).
45 Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der Gerichtshof über ein weites Ermessen; er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge ihrer Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (Beschluß Kommission/Atlantic Container Line u. a., Randnr. 23).
Parteivorbringen
46 Das Vereinigte Königreich bringt vor, daß das Rindfleisch und die Erzeugnisse von Rindern, für die die Aufhebung des Verbotes begehrt werde, für den menschlichen Verzehr und für anderen einschlägigen Gebrauch unbedenklich seien und daß das Verbot rechtlich nicht gerechtfertigt werden könne; das Verbot habe schwere, nicht wiedergutzumachende Schäden verursacht und verursache sie weiterhin; schließlich spreche die Interessenabwägung für eine sofortige Aufhebung des Verbotes.
47 Insbesondere gebe es für das Ausfuhrverbot keine wissenschaftliche Grundlage; es sei ausschließlich oder in erster Linie zur Beruhigung der Verbraucher verhängt worden und um den Rindfleischmarkt zu stützen. Dieses Ziel sei jedoch nicht erreicht worden; vielmehr sei das Verbot aus der Sicht des Verbrauchervertrauens kontraproduktiv gewesen.
48 Die Kommission hält dagegen, das Vereinigte Königreich habe weder den Fumus boni iuris noch die Dringlichkeit, noch die Wahrscheinlichkeit eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens dargetan. Auch die Interessenabwägung spreche klar für eine Aufrechterhaltung der bestehenden vorübergehenden Dringlichkeitsmaßnahmen, bis die derzeit unternommenen Untersuchungen gegebenenfalls eine solide Basis für die Aufhebung gäben. Der Rat ist dem beigetreten.
Rechtliche Würdigung
49 Zum Fumus boni iuris bringt das Vereinigte Königreich zunächst vor, die Kommission habe mit der Entscheidung und den anderen angefochtenen Maßnahmen ihre Befugnisse und ihren Beurteilungsspielraum überschritten; diese Maßnahmen seien nicht durch eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit von Menschen oder Tieren gerechtfertigt; sie seien rechtswidrige Hindernisse für den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft; sie stellten einen Befugnismißbrauch dar und seien mit den in Artikel 39 Absatz 1 EG-Vertrag aufgeführten Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik unvereinbar; sie seien ungenügend begründet; sie diskriminierten und verstießen gegen die Artikel 6 und 40 Absatz 3 EG-Vertrag; sie verletzten den Grundsatz der Verhältnismässigkeit; Artikel 1 dritter Gedankenstrich der Entscheidung 96/239 sei rechtswidrig, weil er gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und die Begründungspflicht verstosse und Erzeugnisse betreffe, hinsichtlich deren die Kommission keine Befugnisse habe.
50 Ausserdem seien die Richtlinien 89/662 und 90/425 insoweit rechtswidrig, als sie eine Rechtsgrundlage für die Erstreckung des Ausfuhrverbots auf Erzeugnisse böten, die im Anhang II des EG-Vertrags nicht erwähnt seien.
51 Schließlich seien die Unverhältnismässigkeit und Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf Ausfuhren in Drittländer, auf das Fleisch von Tieren aus BSE-freien Herden, auf nach dem 1. Mai 1996 geborene Rinder sowie auf Samen, Embryonen, Talg und Gelatine besonders offenkundig.
52 Bei der Prüfung, ob die Kommission, wie es das Vereinigte Königreich erstens behauptet, dem ersten Anschein nach ihre Befugnisse überschritten hat, sind zunächst die Rechtsgrundlagen der streitigen Entscheidung, nämlich Artikel 10 Absatz 4 der Richtlinie 90/425 und Artikel 9 der Richtlinie 89/662, zu prüfen; dann ist im Licht dieser Bestimmungen das Ziel der streitigen Entscheidung zu würdigen, und schließlich ist die Bedeutung der Erkenntnisse zu prüfen, auf der diese Entscheidung beruht, um zu entscheiden, ob die Gesundheit von Menschen oder Tieren tatsächlich erheblich gefährdet war.
53 Mit den Richtlinien 90/425 und 89/662, die gestützt auf Artikel 43 EWG-Vertrag erlassen wurden, sollen die veterinärrechtlichen Kontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft durch Kontrollen am Abgangsort der Ware ersetzt werden. Nach der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie 90/425 erfordert "diese Lösung ... ein grösseres Vertrauen in die veterinärrechtlichen Kontrollen des Versandmitgliedstaats"; dieser hat "dafür Sorge zu tragen, daß diese veterinärrechtlichen Kontrollen in angemessener Weise erfolgen".
54 Artikel 10 der Richtlinie 90/425 und Artikel 9 der Richtlinie 89/662 ähneln sich. Sie sehen vor, daß jeder Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission unverzueglich von allen Zoonosen, Krankheiten und anderen Ursachen unterrichtet, die eine erhebliche Gefahr für die Tiere oder die menschliche Gesundheit darstellen können. Der Versandmitgliedstaat trifft unverzueglich die von der Gemeinschaftsregelung vorgesehenen Gegenmaßnahmen und vorbeugenden Maßnahmen; der Bestimmungsmitgliedstaat kann vorbeugende Maßnahmen treffen. Nach Absatz 4 der beiden Artikel prüft die Kommission in allen diesen Fällen im Ständigen Veterinärausschuß so bald wie möglich die Lage, erlässt die notwendigen Maßnahmen für die von der jeweiligen Richtlinie erfassten Erzeugnisse und, falls es die Umstände erfordern, für die Folgeerzeugnisse, verfolgt die Entwicklung der Lage und ändert nach dem gleichen Verfahren die getroffenen Entscheidungen nach Maßgabe dieser Entwicklung ab oder hebt sie auf. Anhang C der Richtlinie 90/425 enthält eine Liste der Tierkrankheiten bzw. Seuchen, für die Dringlichkeitsmaßnahmen mit vorgeschriebenen territorialen Beschränkungen vorgeschrieben sind, die einen oder mehrere Mitgliedstaaten, eine oder mehrere Regionen und eine oder mehrere Zonen betreffen können.
55 Nunmehr ist das Ziel der Entscheidung 96/239 festzustellen.
56 Nach Auffassung des Vereinigten Königreichs beruht der Erlaß dieser Entscheidung auf wirtschaftlichen Erwägungen, der Notwendigkeit, das Vertrauen der Verbraucher wiederherzustellen und den gesamten Rindfleischmarkt zu schützen. Das ergebe sich aus dem dritten Satz der fünften Begründungserwägung der Entscheidung und aus den öffentlichen Erklärungen des für Landwirtschaft zuständigen Mitglieds der Kommission.
57 In der Sitzung hat die Kommission ihre Entscheidung als "Eindämmungsmaßnahme" bezeichnet, der besondere Maßnahmen zum Ausrotten der Krankheit folgen müssten; die Entscheidung verfolge ein weit gefasstes Ziel, nämlich den Schutz der öffentlichen Gesundheit im Zusammenhang des Binnenmarktes. Der Rat hat dieser Beschreibung zugestimmt; sie ergebe sich insbesondere aus seinen Schlußfolgerungen bei der ausserordentlichen Tagung vom 1. bis 3. April 1996.
58 In der zweiten Begründungserwägung der Entscheidung 96/239 wird auf zusätzliche Informationen bezueglich des Auftretens bestimmter Fälle der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit im Vereinigten Königreich hingewiesen. In den beiden ersten Sätzen der fünften Begründungserwägung heisst es: "Angesichts der derzeitigen Lage kann zu der Gefahr einer Übertragbarkeit der BSE auf den Menschen nicht endgültig Stellung genommen werden. Dieses Risiko lässt sich nicht ausschließen." Man kann nicht einen einzelnen Teil dieser Begründungserwägung herausgreifen und nur den Satz berücksichtigen, der die Besorgnisse der Verbraucher zum Gegenstand hat. Der streitige Text muß in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Im übrigen ergibt sich angesichts der Art der getroffenen Maßnahmen klar, daß die Entscheidung 96/239 eine Maßnahme zur Eindämmung darstellt, bis weitere Maßnahmen zur Ausrottung von BSE getroffen werden.
59 Schließlich ist zu prüfen, ob die Informationen, auf die sich die Kommission beim Erlaß der streitigen Entscheidung stützte, ernst zu nehmen waren und ob die Gesundheit von Menschen oder Tieren tatsächlich erheblichen Gefahren ausgesetzt war.
60 Unbestreitbar stellte die Mitteilung des SEAC über den wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen BSE und der neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit eine besonders wichtige Information dar, die die Überprüfung der Maßnahmen bezueglich der Ausfuhr von Rindern, von Rindfleisch und Erzeugnissen von Rindern aus dem Vereinigten Königreich rechtfertigte. Auch wenn die Wissenschaftler aus Gründen der Vorsicht keine Gewißheit zum Ausdruck brachten, hatte sich die Lage doch insofern erheblich geändert, als die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen nicht mehr nur als theoretische Möglichkeit, sondern als die wahrscheinlichste Erklärung für die neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit betrachtet wurde, die bei mehreren Personen aufgetreten war. Zwar war die Möglichkeit einer solchen Gefahr für die menschliche Gesundheit seit mehreren Jahren gesehen worden, doch enthielt die Mitteilung des SEAC neue Elemente, die diese Möglichkeit wahrscheinlicher machten und das Tätigwerden der Kommission rechtfertigten.
61 Die von der Kommission beim Erlaß der Entscheidung 96/239 berücksichtigten Informationen waren somit in besonderem Masse ernst zu nehmen. Das ist im übrigen auch die Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs; diese hat sofort Maßnahmen getroffen, um den Empfehlungen des SEAC nachzukommen.
62 Damit erlaubt im Gegensatz zur Auffassung des Vereinigten Königreichs nichts den Schluß, die Kommission habe ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen, nämlich zur Stabilisierung des Rindfleischmarktes, gehandelt. Im Gegenteil zeigen die Umstände, wie sich aus der fünften Begründungserwägung in ihrer Gesamtheit ergibt, daß die Kommission vor allem den Schutz der Gesundheit im Zusammenhang des Binnenmarktes im Auge hatte, wozu sie nach den Richtlinien 90/425 und 89/662 verpflichtet war.
63 Nach Artikel 3 Buchstabe o EG-Vertrag gehört zu den Zielen der Gemeinschaft ein "Beitrag zur Erreichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus". Dieses Ziel wird in Artikel 129 Absatz 1 Unterabsatz 1 EG-Vertrag wieder aufgegriffen, wonach die Gemeinschaft einen Beitrag zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus leistet. Nach Artikel 129 Absatz 1 Unterabsatz 3 sind die Erfordernisse im Bereich des Gesundheitsschutzes Bestandteil der übrigen Politiken der Gemeinschaft. Schließlich hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß bei der Verfolgung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik von Erfordernissen des Allgemeininteresses, wie etwa des Verbraucherschutzes oder des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren, denen die Gemeinschaftsorgane bei der Ausübung ihrer Befugnisse Rechnung zu tragen hätten, nicht abgesehen werden dürfe (Urteil vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 855, Randnr. 12).
64 Zweitens führt das Vereinigte Königreich zur Begründungspflicht aus, selbst wenn die Entscheidung 96/239 erlassen worden sein sollte, um die Gesundheit von Menschen oder Tieren zu schützen, müsse sie doch für nichtig erklärt werden, weil die Kommission unter Verstoß gegen Artikel 190 EG-Vertrag nicht die Gründe angegeben habe, aus denen sie die früher getroffenen Maßnahmen für unzureichend und daher die neuen Maßnahmen für gerechtfertigt gehalten habe.
65 Eine Betrachtung der Begründungserwägungen der Entscheidung 96/239 ergibt, daß diese auf mehreren Gründen beruht, nämlich zunächst der Veröffentlichung neuer Informationen über das Auftreten bestimmter Fälle der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit im Vereinigten Königreich, dann dem Erlaß zusätzlicher Maßnahmen betreffend die Behandlung von Rindfleisch und die Verfütterung von Mehl von Fleisch und Knochen an die in den landwirtschaftlichen Betrieben gehaltenen Tiere durch das Vereinigte Königreich und schließlich Einfuhrverboten anderer Mitgliedstaaten. Diese Gründe belegen, daß in Anbetracht der gegebenen Gefahren eine erhebliche Unsicherheit bestand, ob die früher vom Vereinigten Königreich und den Europäischen Gemeinschaften getroffenen Maßnahmen wirksam und ausreichend waren.
66 Drittens macht das Vereinigte Königreich geltend, die Entscheidung 96/239 diskriminiere das Vereinigte Königreich sowie die britischen Erzeuger, Marktteilnehmer und Verbraucher willkürlich, da gegen andere Mitgliedstaaten keine Schutzmaßnahmen getroffen worden seien. Das Vereinigte Königreich sei nicht der einzige Staat, in dem BSE aufgetreten sei, selbst wenn die Krankheit dort am weitesten verbreitet sei. Die Diskriminierung der britischen Verbraucher beruhe darauf, daß die Entscheidung 96/239 bestenfalls das Vertrauen der Verbraucher in der übrigen Gemeinschaft, nicht aber dasjenige der Verbraucher im Vereinigten Königreich wiederherstellen könne.
67 Hierzu genügt der Hinweis darauf, daß 97,9 % der BSE-Fälle in Europa, wie in der mündlichen Verhandlung betont wurde, im Vereinigten Königreich aufgetreten sind.
68 Wie im übrigen die Kommission und der Rat dargelegt haben, erfasst die Eindämmungsmaßnahme deshalb das gesamte Vereinigte Königreich und nicht nur eine oder mehrere bestimmte Regionen, weil die Krankheit, die zweifellos vor mehreren Jahren örtlich beschränkt gewesen ist, sich im gesamten Staatsgebiet ausgebreitet hat; da nicht alle Tiere angemessen identifiziert worden sind, lässt sich weder feststellen, wo sie herkommen, noch, ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer Herde gehörten, in der BSE-Fälle aufgetreten sind. Hierzu hat das Vereinigte Königreich in der mündlichen Verhandlung dargelegt, nur mit BSE infizierte Tiere oder Tiere, bei denen eine solche Infektion vermutet worden sei, seien erfasst worden; es hat die von der Kommission vorgelegte Zahl von 11 000 BSE-kranken Tieren, deren Herkunftsherde nicht festgestellt werden konnten, nicht bestritten.
69 Über die Übertragung von BSE bestehen nach wie vor wissenschaftliche Unklarheiten. Am 31. Oktober 1995 wurden 23 148 BSE-Fälle bei Tieren festgestellt, die nach dem Inkrafttreten des Verbotes der Verwendung von Fleisch- und Knochenmehl in Futtermitteln für Rinder, der vermuteten Ursache der Krankheit, geboren waren (Bovine Spongiform Encephalopathy in Great Britain, A Progreß Report, November 1995, Punkt 7). Nur die Kenntnis der Herkunftsherde eines jeden kranken Tieres und ihre Rekonstituierung hätten es erlaubt, zum einen festzustellen, ob dieses Tier trotz des Verbotes verseuchte Futtermittel erhalten hatte oder ob eine andere Erklärung für den Ursprung der Krankheit gesucht werden musste, und im Falle der Verwendung unzulässiger Futtermittel zum anderen die Tiere festzustellen, die aufgrund der gleichen Fütterung auch infiziert sein konnten, selbst wenn sie noch keine klinischen Merkmale der Krankheit aufwiesen.
70 Die fehlende Kennzeichnung der Tiere und die fehlende Kontrolle ihrer Verbringungen macht es auch unmöglich, bestimmte von den internationalen Sachverständigen des Internationalen Tierseuchenamts empfohlene Maßnahmen zu ergreifen, die voraussetzen, daß die Tiere aus Herden stammen, in denen niemals ein BSE-Fall aufgetreten war, und entsprechend gekennzeichnet sind (vgl. das bei der Tagung vom 20. bis 24. Mai 1996 beschlossene revidierte Kapitel des International Animal Health Code).
71 Im übrigen ist nicht nachgewiesen, daß keine Übertragung durch das Muttertier stattfindet. Studien sind noch im Gange; ihre Ergebnisse lassen sich nur schwer interpretieren, weil das Verbot der Verfütterung von Fleisch- und Knochenmehl an Rinder missachtet wird. Am 31. Oktober 1995 waren 933 BSE-Fälle bei Tieren erfasst, die von kranken Muttertieren abstammten, aber nach dem Inkrafttreten des Verbotes geboren waren. In diesen Fällen lässt sich nicht feststellen, ob die Krankheit durch das Muttertier übertragen wurde oder durch die Aufnahme verseuchter Futtermittel verursacht war (Bovine Spongiform Encephalopathy in Great Britain, Punkt 9). Hingegen steht fest, daß die Traberkrankheit vertikal übertragbar ist. Die Möglichkeit, daß die Krankheit auch bei Rindern auf diese Weise übertragen werden kann, ist somit ernst zu nehmen.
72 Wenn die Krankheit schließlich auch nicht ansteckend erscheint (horizontale Übertragung), so gibt es doch unerklärt viele Infektionen bei Kälbern, die nahe dem Zeitpunkt geboren werden, zu dem eine andere, infizierte Kuh kalbt (perinatale Infektion).
73 Was weiter die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit betrifft, so war das Verbot mit einem legitimen Zweck, nämlich dem Gesundheitsschutz, begründet. Als Eindämmungsmaßnahme im Vorgriff auf Ausrottungsmaßnahmen war es zudem zur Erreichung dieses Zieles unverzichtbar.
74 Unstreitig haben die vom Vereinigten Königreich erlassenen Verbote der Verwendung von Fleisch- und Knochenmehl von Wiederkäuern in Futtermitteln für Wiederkäuer und die Maßnahmen zur Behandlung des Fleisches positive Ergebnisse gezeitigt und insbesondere zum Rückgang der BSE-Fälle geführt. Jedoch bestehen ernstliche Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Trotz des im Jahre 1988 erlassenen Verbotes wurde nämlich ein Teil des Viehs noch mindestens fünf Jahre lang mit verdächtigem Mehl gefüttert, weil bestimmte Zuechter ihre Lager aufgebraucht haben, weil sie absichtlich oder fahrlässig an Rinder Fleisch- und Knochenmehl von Wiederkäuern verfüttert haben, das für andere landwirtschaftliche Nutztiere bestimmt war, oder auch weil sie Rindern grundsätzlich unbedenkliche Futtermittel gegeben haben, die aber bei der Herstellung in Ermangelung hinreichender Vorsorgemaßnahmen verseucht worden waren.
75 Selbst wenn schließlich über die Zusammensetzung der Futtermittel, die der einzelne Zuechter an seine Tiere verfüttert hat, Gewißheit bestuende, so ließe sich doch wegen der mangelnden Kontrolle der Verbringung der Rinder (Rückverfolgbarkeit) nicht sicher feststellen, in welcher Herde das Tier geboren wurde, wie oft es den Besitzer wechselte und folglich, ob es in einer der Herden, denen es angehörte, mit verseuchten Futtermitteln gefüttert worden sein könnte.
76 Was die Maßnahmen bezueglich der Schlachtung der Tiere und der Zerlegung der Schlachtkörper betrifft, so ergibt sich aus den der Nichtigkeitsklage des Vereinigten Königreichs beigefügten Unterlagen, daß unangemeldete Prüfungen in den betroffenen Betrieben erst ab Mai 1995 vorgenommen wurden (Bovine Spongiform Encephalopathy in Great Britain, Punkt 16). Nach diesem Bericht beachteten im September 1995 48 % der Schlachthäuser die gesetzlichen Vorschriften nicht in vollem Umfang. Bestimmte Verstösse betrafen die Trennung von Sonderabfällen vom Rind (Kopf, Rückenmark). Im Oktober 1995 verstießen immer noch 34 % der Schlachthäuser gegen die Vorschriften.
77 Das Vorbringen zur Rechtswidrigkeit von Artikel 1 dritter Gedankenstrich der Entscheidung 96/239 sowie der Richtlinien 89/662 und 90/425, auf die diese Entscheidung gestützt ist, ist dem ersten Anschein nach nur bezueglich der Erzeugnisse von Rindern erheblich. Diese Erzeugnisse fallen unter die Entscheidung 96/362, die das Verbot der Entscheidung 96/239 in bestimmter Hinsicht aufhebt, so daß das Vereinigte Königreich die Punkte 4, 6 und 7 seines Hilfsantrags fallengelassen hat. In diesem Stadium braucht daher auf dieses Vorbringen nicht eingegangen zu werden.
78 Was die im Hilfsantrag des Vereinigten Königreichs besonders genannten Erzeugnisse betrifft, so bezieht sich das entsprechende Vorbringen unter Berücksichtigung des Fallenlassens bestimmter Punkte dieses Antrags infolge des Erlasses der Entscheidung 96/362 im wesentlichen auf Fleisch aus BSE-freien Herden, auf nach dem 1. Mai 1996 geborene Rinder und auf Embryonen. In Anbetracht der Unsicherheit über den Übertragungsweg der Krankheit sowie das Fehlen einer Kennzeichnung und von Möglichkeiten, die Herkunft und die Verbringung von Rindern (Rückverfolgbarkeit) festzustellen, also der Unmöglichkeit, die Herden zu bestimmen, denen sie angehörten, erscheinen die Rügen, mit denen die Rechtswidrigkeit oder Unverhältnismässigkeit der Entscheidung dargetan werden soll, soweit sie diese Erzeugnisse betrifft, dem ersten Anschein nach nicht als begründet.
79 Zum Verbot der Ausfuhr in Drittländer schließlich bringt das Vereinigte Königreich vor, die Entscheidung der Kommission habe keine Rechtsgrundlage, da die Richtlinien, auf die sie gestützt sei, nur den Binnenhandel der Gemeinschaft beträfen.
80 Die Kommission hält dem entgegen, als Eindämmungsmaßnahme im Hinblick auf die Ausrottung habe die Entscheidung das von der Krankheit befallene Gebiet vollständig isolieren müssen. Angesichts der zahlreichen Betrügereien bei der Einfuhr von Rindfleisch sei eine Erstreckung des Ausfuhrverbots auf Drittländer unumgänglich gewesen, um die praktische Wirksamkeit zu garantieren. In der Sitzung hat der Rat die Kommission insoweit unterstützt und sich hilfsweise auf eine weite Auslegung der Befugnisse gestützt, die die Kommission bei der laufenden Verwaltung der gemeinsamen Agrarpolitik habe.
81 Das Vorbringen des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission und des Rates werfen dem ersten Anschein nach schwierige Rechtsfragen auf, die einer vertieften Prüfung nach streitiger Verhandlung bedürfen.
82 Die Dringlichkeit der beantragten Maßnahmen beurteilt sich danach, ob eine Entscheidung notwendig ist, um einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verhindern, der sich aus der Anwendung der Maßnahme, die Gegenstand der Klage ist, bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über diese Klage ergeben könnte.
83 Hierzu bringt das Vereinigte Königreich zunächst vor, 1995 seien aus dem Vereinigten Königreich Rinder, Rindfleisch und Erzeugnissen von Rindern im Wert von mehr als 840 Millionen ECU ausgeführt worden; von diesem Sektor hingen ungefähr 500 000 Arbeitsplätze ab. Die landwirtschaftlichen Betriebe seien, insbesondere soweit sie auf Rindfleisch spezialisiert seien, von der Schließung der Ausfuhrmärkte erheblich betroffen. Die angefochtene Entscheidung schädige auch alle diejenigen, deren Tätigkeit mit der Ausfuhr von Kälbern und Fleisch zusammenhänge, insbesondere die Ausfuhrhändler, die Spediteure und die Schlachthäuser. In diesem Zusammenhang sei auf Konkurse, Entlassungen und damit zusammenhängende soziale Probleme hinzuweisen. Auch die Zuechter und Exporteure von Schafen sowie die Erzeuger und Exporteure von Milcherzeugnissen würden durch das Ausfuhrverbot geschädigt. Die finanziellen Verluste könnten 1,2 Milliarden ECU pro Jahr übersteigen. Ungefähr 55 000 Arbeitsplätze im Rindfleischsektor seien durch die BSE-Krise unmittelbar gefährdet, ein grosser Anteil direkt durch das Ausfuhrverbot.
84 Die Nachfrage nach den von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Erzeugnissen wäre zwar auch ohne das gemeinschaftliche Ausfuhrverbot unvermeidlich zurückgegangen. Gleichwohl sei der schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden, der aus dem Verlust der Märkte entstehe, grossenteils der angefochtenen Entscheidung anzulasten. Diese habe nämlich die Besorgnisse der Verbraucher in bezug auf Rind- und Kalbfleisch verstärkt und verfestigt und ihnen einen Anschein der Legitimität gegeben. Zudem stelle sie für bestimmte Mitgliedstaaten und Drittländern das einzige Hindernis dar, das dem Marktzugang britischen Rindfleischs und britischer Erzeugnisse von Rindern entgegenstehe.
85 Die Mitgliedstaaten sind für die ° namentlich wirtschaftlichen und sozialen ° Interessen zuständig, die auf nationaler Ebene als Allgemeininteressen betrachtet werden; daher sind sie zur Verteidigung dieser Interessen klagebefugt. Folglich können sie Schäden geltend machen, die einen gesamten Sektor ihrer Volkswirtschaft betreffen, insbesondere, wenn die angefochtene Gemeinschaftsmaßnahme negative Auswirkungen auf das Beschäftigungs- und das Lebenshaltungskostenniveau haben kann (Beschluß vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnr. 27).
86 Wie sich aus den Akten und der mündlichen Verhandlung ergibt, besteht die Wahrscheinlichkeit eines erheblichen Schadens im Vereinigten Königreich; die Marktteilnehmer insbesondere auf dem Sektor der Erzeugung und der Ausfuhr von Rindfleisch befinden sich derzeit in einer sehr schwierigen Lage; es lässt sich auch nicht ausschließen, daß der Schaden teilweise nicht wiedergutzumachen ist.
87 Gleichwohl ist die Hauptursache dieses Schadens ungewiß; es ist nicht dargetan, daß dies die Entscheidung 96/239 ist. Schließlich wurde der Rückgang der Nachfrage nach Rindfleisch bereits eine Woche vor Erlaß dieser Entscheidung durch die Mitteilung des SEAC und der Regierung des Vereinigten Königreichs ausgelöst, ein Zusammenhang zwischen BSE und der neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sei wahrscheinlich. Im übrigen waren der Entscheidung 96/239 Verbote anderer Mitgliedstaaten und bestimmter Drittländer vorhergegangen. In diesem Verfahrensstadium ist nicht nachgewiesen, daß die Entscheidung 96/239 den durch diese Maßnahmen verursachten Schaden erheblich vergrössert hat und daß sich die Nachfrage nach britischem Rindfleisch ohne diese Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten oder in Drittländern ungeachtet der Behandlung der Sache in den Medien und des wachsenden Gesundheitsbewusstseins der Verbraucher erholt hätte.
88 Wie die Kommission im übrigen ohne Widerspruch seitens des Vereinigten Königreichs vorgetragen hat, haben die Organe mehrere Maßnahmen zur Entschädigung der betroffenen Marktteilnehmer erlassen, damit deren Marktstellung keinen nicht wiedergutzumachenden Schaden nehme.
89 Nach alledem kann zwar das Vorbringen des Vereinigten Königreichs beim derzeitigen Verfahrensstand nicht in jedem Punkt vollständig zurückgewiesen werden, doch hat die Kommission gewichtige Gründe für die Rechtmässigkeit ihrer Entscheidung sowohl für den Binnenhandel der Gemeinschaft wie für Ausfuhren in dritte Länder vorgebracht. Selbst unterstellt also, daß das Vereinigte Königreich das Vorliegen eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens in vollem Umfang nachgewiesen hätte, wäre es Sache des Gerichtshofes, das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Ausfuhrverbots für Rinder, Rindfleisch und Erzeugnisse von Rindern gegen das Interesse der anderen Parteien an der Aufrechterhaltung dieses Verbotes abzuwägen. Dabei müsste geprüft werden, ob die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug der streitigen Entscheidung entstuende, und ob ° umgekehrt ° die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde (Beschluß Kommission/Atlantic Container Line u. a., Randnr. 50).
90 Eine solche Interessenabwägung spräche in jedem Fall für die Aufrechterhaltung der Entscheidung der Kommission, da sich das Interesse an ihrer Aufrechterhaltung mit dem Interesse des Antragstellers an ihrer Aussetzung nicht vergleichen lässt.
91 Die vorstehende Prüfung hat zwar gezeigt, daß die Aufrechterhaltung des Ausfuhrverbots bis zum Erlaß des Urteils zur Hauptsache wahrscheinlich einen wirtschaftlichen und sozialen Schaden nach sich ziehen und daß dieser Schaden teilweise nur schwer wiedergutzumachen sein wird, wenn die Klage Erfolg haben sollte.
92 Dieser Schaden ist jedoch eher in Kauf zu nehmen als der schwere Schaden für die Gesundheit der Bevölkerung, den die Aussetzung der streitigen Entscheidung nach sich ziehen könnte und der bei Klageabweisung nicht mehr behoben werden könnte.
93 Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, insbesondere ihre neuerdings entdeckte Form, ist der Wissenschaft nur ungenügend bekannt. Daß sie tödlich verläuft, wurde in der mündlichen Verhandlung wiederholt gesagt. Es gibt zur Zeit keine Heilungsmöglichkeiten. Der Tod tritt einige Monate nach der Diagnose ein. Da die wahrscheinlichste Erklärung für diese tödliche Krankheit ein Kontakt mit BSE ist, darf es kein Zögern geben. Auch wenn die Entscheidung der Kommission für das Vereinigte Königreich wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten hervorruft, ist dem Gesundheitsschutz doch vorrangige Bedeutung zuzuerkennen.
94 Nach alledem sind sowohl der Haupt- wie der Hilfsantrag des Vereinigten Königreichs zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
beschlossen:
1. Der Antrag des Vereinigten Königreichs wird zurückgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Luxemburg, den 12. Juli 1996