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Document 52012IE1794

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Seepiraterie — Verstärkte EU-Maßnahmen (Initiativstellungnahme)

ABl. C 76 vom 14.3.2013, p. 15–19 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

14.3.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 76/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Seepiraterie — Verstärkte EU-Maßnahmen (Initiativstellungnahme)

2013/C 76/03

Berichterstatterin: Anna BREDIMA

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 12. Juli 2012, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Seepiraterie – Verstärkte EU-Maßnahmen

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 26. November 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 486. Plenartagung am 16./17. Januar 2013 (Sitzung vom 16. Januar) mit 147 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Fazit

1.1

Die europäische Zivilgesellschaft ist sich des Ernsts des Problems der Seepiraterie noch nicht voll bewusst geworden. Der EWSA möchte das Bewusstsein der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit in Europa dafür schärfen, um die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen zu konkreten Maßnahmen zu veranlassen, mit denen das Übel an der Wurzel gepackt wird. Im Jahr 2011 war der Weltmeerestag der Bekämpfung der Piraterie gewidmet. Angesichts der Vielschichtigkeit des Problems ist ein ganzheitliches Vorgehen gefordert, unzusammenhängende Einzelmaßnahmen reichen nicht aus. Piraterie ist kein Problem, das weitab irgendwo im Indischen Ozean nur die angegriffenen Schiffe und ihre Besatzungen betrifft. Sie ist nicht nur ein misslicher Umstand, mit dem man leben kann, sondern betrifft die europäischen Verbraucher und Steuerzahler in vielerlei Hinsicht.

Nach Auffassung des EWSA braucht es einen konkreten politischen Willen der Institutionen und Mitgliedstaaten der EU, eine dauerhafte Lösung für die Piraterie zu finden.

1.2

Der EU verfügt hierfür über ein breit gefächertes Instrumentarium, von Handel und Entwicklungshilfe bis hin zu Militärpräsenz, Staatsaufbau und Wiederaufbau.

1.3

Der EWSA begrüßt die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats und der EU, die Operation EU/NAVFOR–ATALANTA bis Dezember 2014 zu verlängern und das Einsatzgebiet im Indischen Ozean (nach Osten und Süden) und an der somalischen Küste auszuweiten. Er ist der Auffassung, dass dem EU-Flottenverband (EU NAVFOR) ein weiter reichendes Mandat mit robusteren Einsatzregeln erteilt werden sollte. Der EWSA dringt auf die Aufrechterhaltung einer starken Präsenz bezüglich der Zahl der von den EU-Mitgliedstaaten für diese Operation entsandten Schiffe.

1.4

Von sehr großer Bedeutung sind die jüngste Verknüpfung des ReCAAP-Abkommens (regionales Kooperationsabkommen zur Bekämpfung der Piraterie und des bewaffneten Raubs gegen Schiffe in Asien) mit dem Verhaltenskodex von Dschibuti sowie der Abschluss bilateraler Abkommen der EU mit Kenia, den Seychellen, Mauritius und anderen Ländern über die Verfolgung von Piraten.

1.5

Der EWSA befürwortet die Schaffung einer Mission zum Ausbau der regionalen maritimen Kapazitäten durch den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). „EUCAP NESTOR“ soll die Länder am Horn von Afrika dabei unterstützen, einen Gesamtplan für die Bekämpfung der Piraterie aufzustellen, einschlägige Rechtsvorschriften auszuarbeiten und die Küstenwache zu unterstützen.

1.6

Der EWSA appelliert an die EU-Mitgliedstaaten und diejenigen Länder, mit denen die EU das Beitrittsverfahren eingeleitet oder Assoziierungsabkommen geschlossen hat, Seeräuberei zu ahnden und Seeräuber auf Hoher See gemäß Artikel 105 des UN-Seerechtsübereinkommen vom 10. Dezember 1982 zu verfolgen.

1.7

Der EWSA fordert die Reedereien auf, die überarbeiteten empfehlenswerten Praktiken im Bereich der maritimen Sicherheit (Best Management Practices, BMP 4) zum Eigenschutz an Bord von Schiffen anzuwenden. Der EWSA hält diejenigen Mitgliedstaaten, die die Zulassung von privaten bewaffneten Sicherheitskräften mit entsprechender Qualifikation zum Schutz gefährdeter Schiffe in Erwägung ziehen, dazu an, die einschlägigen Leitlinien der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zu befolgen und einen strikten Rechtsrahmen festzulegen, der u.a. die Bedingungen für die Haftung des Kapitäns regelt, insbesondere für den Fall, dass das Feuer eröffnet wird. Der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitskräfte ist keine eigenständige Lösung und sollte nicht die Norm werden, sie stellt lediglich eine Ergänzung zu den BMP dar. Die Mitgliedstaaten sollten Konvois mit militärischem Geleitschutz organisieren und landgestützte militärische Einheiten unter UN-Führung zum Schutz von Schiffen bereitstellen, die beim Durchfahren von hochgefährlichen Gebieten an Bord gehen können.

1.8

Der EWSA ist gegen die Einschränkung von Lösegeldzahlungen, da dies kontraproduktiv wäre und Geiseln noch stärker gefährden würde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind Lösegeldzahlungen noch eine Möglichkeit, um die sichere Freilassung von Seeleuten zu gewährleisten, die als menschliche Schutzschilde eingesetzt werden. Der EWSA verurteilt die Praxis der Piraten, Seeleute zu foltern oder zu exekutieren, um ihren Lösegeldforderungen Nachdruck zu verleihen.

1.9

Nach Auffassung des EWSA liegt der Schlüssel zur Lösung des Piraterieproblems in der Aufspürung und Unterbindung der beteiligten Finanzströme. Er begrüßt, dass die Geldgeber gezielt in den Blick genommen und Datenbanken abgeglichen werden, um ein besseres Verständnis des „Geschäftsmodells“ der Piraten zu schaffen. In der EU sollte eine schwarze Liste der an der Wäsche von Piratengeldern beteiligten Finanzinstitute erstellt werden. In dieser Hinsicht ist die Arbeit von Europol und Eurojust zu loben.

1.10

Der EWSA fordert die EU-Organe nachdrücklich auf, etwas gegen die Eskalation der bewaffneten Raubüberfälle auf See und den Öldiebstahl in Westafrika und im Golf von Guinea zu unternehmen. Da sich die Vorgehensweise sehr stark von der der somalischen Piraten unterscheidet, sollten gezielte Maßnahmen für diese Region unterstützt werden. Drei Millionen Barrel Öl und 50 % des weltweiten Containerhandels durchqueren täglich die piratenverseuchten Gebiete des Indischen Ozeans.

1.11

Der EWSA unterstreicht, dass die 218 Seeleute, die sich derzeit in Geiselhaft befinden, dringend befreit werden müssen, und spricht sich für ein Piratenabwehrtraining für den Eigenschutz von Seeleuten sowie für die klinische Betreuung als Geiseln genommener Seeleute aus. Durch drei internationale Übereinkommen (Übereinkommen von 2010 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten, der ISPS-Code von 2004 (Internationaler Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen) und das Seearbeitsübereinkommen von 2006) wird eine rechtliche Grundlage für die Ausbildung vor der Einschiffung, Schulungen und Übungen an Bord, Rückführung, Schadenersatz, Herstellung von Familienkontakten sowie die Betreuung nach der Freilassung von Seeleuten geschaffen. Der EWSA fordert die EU auf, diese Übereinkommen zu stärken und einen neuen, umfassenden Leitfaden zu formulieren, der die Betreuung von Seeleuten, die Opfer von Piraterie wurden oder werden könnten, sowie ihren Familien regelt. Die EU sollte eine Führungsrolle bei der entsprechenden Änderung dieser internationalen Übereinkommen übernehmen, um Maßnahmen für als Geiseln genommene Seeleute zu berücksichtigen.

1.12

Die Wahlen vom 20. August 2012 waren ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte des gescheiterten Staates Somalia. Der EWSA verpflichtet sich zur Zusammenarbeit bei künftigen EU-Maßnahmen, mit denen der Aufbau der Zivilgesellschaft im Land nach dem Vorbild vergleichbarer Maßnahmen in anderen afrikanischen Ländern unterstützt wird.

1.13

Der EWSA dringt auf ein koordiniertes Vorgehen der EU, damit ein Teil der Entwicklungshilfe oder anderer Ressourcen in Ausbildungsprogramme für den Nachwuchs im Fischereigewerbe sowie in die Förderung der nachhaltigen Landwirtschaft und des Unternehmertums fließt. Durch die Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen für junge Somalier könnte die Piratenlaufbahn an Reiz verlieren.

2.   Das vielschichtige Problem der Piraterie

2.1   Die Komplexität der Piraterie

2.1.1

Nach fünf Jahren eskalierender Piratenangriffe auf Handelsschiffe im Golf von Aden, im Somalibecken, im Arabischen Meer und im Indischen Ozean könnten die Statistiken zu dem Trugschluss verleiten, das Piraterieproblem sei unter Kontrolle gebracht. Bei einer solchen Annahme würden der Nachahmereffekt und die Eskalation der Piraterie in Westafrika fälschlicherweise nicht berücksichtigt. Piraterie ist leider ein weltweites Problem, das auch in Indonesien, in der Straße von Malakka/Singapur, im Südchinesischen Meer und in Südamerika auftritt. Nach den aktuellen Zahlen (Stand vom 24. September 2012) sind 50 Zwischenfälle in Somalia, 34 im Golf von Guinea und 51 in Indonesien zu verzeichnen.

2.1.2

Der Einsatz von Mutterschiffen hat es den Piraten ermöglicht, erfolgreicher zu operieren. Dank ständig wechselnder Taktiken sowie mithilfe von Spezialgerät zur leichteren Identifizierung von Zielen und zum Aufbrechen abgeschotteter Sammelräume (so genannter „Zitadellen“) an Bord von Schiffen sind sie aggressiver, effizienter und gewalttätiger geworden, was mitunter Seeleute das Leben kostet.

2.1.3

Piraterie beginnt als maritimes Problem, das sich zu einem humanitären Problem und einem Problem für den Handel und die Weltwirtschaft entwickelt, das die Verbraucher auf der ganzen Welt in Mitleidenschaft zieht. Wenn die Weltgemeinschaft die Piraterie nicht wirkungsvoll bekämpft oder sich die Seeleutegewerkschaften dem Einsatz in den gefährdeten Gebieten widersetzen, könnten infolge der Unterbrechung der Lieferkette für Güter und Energie die durch Piraterie verursachten Kosten weiter steigen. Pro Jahr durchfahren 18 000 Schiffe diese Gebiete. Die Piraterie im Golf von Aden/am Horn von Afrika stellt eine strategische Bedrohung für EU dar, da sie den Seeverkehr im Hauptkorridor Europa-Asien beeinträchtigt. Die Schifffahrtsgesellschaften benutzen verstärkt den Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung, um den Suez-Kanal zu vermeiden. Piraterie ist zu einem höchst einträglichen kriminellen Geschäft und zu einem attraktiven Berufsbild für junge Menschen in der Region geworden. Ihre Kosten stehen in keinem Verhältnis zur Zahl der Piraten (in Somalia rund 1 500). Die Piraterie behindert die Lieferung der dringend benötigten EU-Nahrungsmittelhilfe an die Dürreopfer in Afrika. Die Marinepräsenz im Indischen Ozean wird mit dem Versuch verglichen, ein Gebiet von der Größe Europas mit 20 Polizei-Streifenwagen kontrollieren zu wollen.

2.1.4

Es ist nicht hinzunehmen, dass Akte von Piraterie ungesühnt bleiben und dass das internationale Recht und die internationale Ordnung ausgehöhlt werden (UN-Seerechtsübereinkommen von 1982); die EU muss einen starken politischen Willen zeigen, das Übel an der Wurzel zu packen. Die UN-Kontaktgruppe für Piraterie vor der Küste Somalias hat sich für die Festlegung einer globalen Strategie eingesetzt, die u.a. Präventiv- und Abschreckungsmaßnahmen umfasst sowie Einsatzleitlinien für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Seestreitkräften, die Verfolgung von Piraten und das Aufspüren ihrer finanziellen Ressourcen.

2.1.5

Die EU, die über 40 % der weltweiten Schiffstonnage verfügt, kann es sich nicht leisten, dass die Eskalation der Piraterie außer Kontrolle gerät. „Seepiraterie ist eine echte Bedrohung für die EU-Verkehrspolitik“, wie EU-Verkehrskommissar Siim Kallas richtig bemerkte. Bedroht sind darüber hinaus auch der Außenhandel, die Energieversorgung und die Energieversorgungssicherheit der EU sowie Leib und Leben der Seeleute und die humanitären Hilfslieferungen.

2.2   Menschliche Kosten der Piraterie

2.2.1

Im Lauf des Jahres 2011 wurden mindestens sieben Seeleute von Piraten ermordet und 39 verletzt. 2012 (Stand vom 24. September) wurden nach 225 Angriffen und 24 Entführungen 6 Seeleute ermordet und 448 als Geiseln genommen. Am 30. Juni 2012 kaperten Piraten 11 Schiffe, und 218 Seeleute wurden in Somalia als Geiseln gefangen gesetzt. Bei Piratenangriffen vor der somalischen Küste wurden seit 2007 mehr als 43 Seeleute getötet und 2 653 als Geiseln genommen.

2.2.2

Internationale Reeder- und Seeleuteverbände (wie z.B. die Internationale Schifffahrtskammer [ICS], der Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft [ECSA], die Europäische Transportarbeiter-Föderation [ETF], das Asiatische Reederforum [ASF], der Zusammenschluss 31 internationaler Schifffahrtsverbände „SOS – Save Our Seafarers“) ziehen an einem Strang, um die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten stärker ins Blickfeld zu rücken, indem sie über die Medien an die Öffentlichkeit gehen und sich auf höchster Ebene an Politiker und Industrievertreter wenden. Laut ASF-Bericht (vom 24. Mai 2012) wurden in den letzten sieben Jahren bei Piratenangriffen 62 Seeleute getötet, und 4 000 wurden auf 200 von somalischen Piraten gekaperten Schiffen als Geiseln genommen. Während die Piratenangriffe im Indischen Ozean zum ersten Mal in fünf Jahren (2007-2012) zurückgegangen sind, hat sich die Zahl der getöteten Seeleute in den letzten zwei Jahren verdreifacht (Sultan AHMED BIN SULAYEM, Vorstandsvorsitzender von DP World, 30.6.2012). Für Selbstzufriedenheit ist hier aber kein Platz.

2.2.3

Bei der Verbrechensprävention steht die Eindämmung der Piraterie an erster Stelle, nicht die Unterbindung der Zahlungen für die Freilassung der Opfer eben dieses Verbrechens. Der Tod von Seeleuten sollte nicht als „Kollateralschaden“ im Krieg gegen die Piraten hingenommen werden (Nautilus International).

2.3   Wirtschaftliche Kosten der Piraterie

2.3.1

Zwei Berichte über die wirtschaftliche Seite der Piraterie sind erwähnenswert:

2.3.2

In der Studie „The Economic Cost of Maritime Piracy“ (Dezember 2010) werden die unmittelbaren Kosten untersucht: Lösegelder, Versicherungsprämien, Ausweichrouten um das Kap der Guten Hoffung, Abschreckungsmaßnahmen, bewaffnete Wachleute, Entsendung von drei Marineeinheiten, Verfolgungseinsätze, Finanzierung von Organisationen zur Pirateriebekämpfung, humanitäre Kosten. Die durchschnittlichen Kosten werden auf insgesamt 7 bis 12 Mrd. USD pro Jahr geschätzt. Darüber hinaus schätzte die One Earth Foundation die Lösegeldkosten für 2009-2010 auf 830 Mio. USD und die jährlichen Kosten für abschreckende Ausrüstung/private bewaffnete Sicherheitskräfte auf 360 Mio. bis 2,5 Mrd. USD.

2.3.3

In der Studie „The Economics of Piracy“ (Mai 2011) geht es um die „Wertschöpfungskette“ zwischen Piraten, Finanziers, Wirtschaftsprüfern und Waffenlieferanten. Sie macht deutlich, weshalb die Piraterie im Vergleich zum somalischen Pro-Kopf-BIP eine weitaus lohnendere Alternative sein kann (die Einkünfte von Piraten sind mitunter 67-157 mal so hoch wie das somalische Durchschnittseinkommen). In der Studie wird die Notwendigkeit, die über das informelle „Hawala“-Geldtransfersystem laufenden Finanzströme zu verfolgen, in den Vordergrund gestellt, und die jährlichen Kosten werden auf 4,9 bis 8,3 Mrd. USD geschätzt.

3.   EU-Maßnahmen

3.1   EU-Organe

3.1.1

In ihrer gemeinsamen Erklärung über eine Partnerschaft zur Bekämpfung der Seepiraterie und des bewaffneten Raubs im westlichen Indischen Ozean (London, 15. Mai 2012) haben die Europäische Union und die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) ihre Entschlossenheit bekräftigt, ihre Kapazitäten zur Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen und bewaffneten Raubüberfällen auszubauen und die maritime Ordnungspolitik im westlichen Indischen Ozean zu verbessern. Der „Verhaltenskodex von Dschibuti“ ist zu einem entscheidenden Instrument geworden, das es 18 ostafrikanischen Staaten erlaubt, eine regionale Lösung für das Problem zu finden. Darüber hinaus hat die EU die Arbeit des mit der Bekämpfung von Seeräuberei und von bewaffneten Raubüberfällen auf Schiffe befassten Piraterie-Meldezentrums des International Maritime Bureau (IMB) über einen Dreijahreszeitraum finanziell unterstützt.

3.1.2

Die internationale Kontaktgruppe für Seeräuberei untersucht die Möglichkeiten eines scharfen Vorgehens gehen die Nutznießer, da Lösegelder in Höhe von 300-500 Mio. EUR an die somalischen Drahtzieher fließen, die das Geld anlegen – vielleicht sogar bei Banken in der EU. Der EWSA dringt darauf, solche Lösegelder aufzuspüren und zu beschlagnahmen, sodass Piraterie kein attraktives Geschäft mehr ist.

3.1.3

Nach der Annahme des Strategischen Rahmens für das Horn von Afrika ist die Ernennung eines Sonderbeauftragten für die Koordinierung der EU-Maßnahmen in dieser Region ein Schritt in die richtige Richtung.

3.1.4

Der EWSA begrüßt die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Hochseepiraterie (10. Mai 2012), die auf eine bessere Koordinierung der EU-Organe zwecks Intensivierung der Bemühungen um die Bekämpfung der Piraterie und den Wiederaufbau Somalias als souveräner Staat abzielt.

3.1.5

Seit 2008 hat der EWSA in Stellungnahmen bereits mehrfach seine Besorgnis über die starke Zunahme von bewaffnetem Raub und Piraterie in Südostasien und Afrika zum Ausdruck gebracht (1). Er hat die Europäische Kommission dazu aufgerufen, die Festlegung geeigneter Gerichtsbarkeiten anzustreben, damit Piraterie nicht länger ungestraft bleibt. Außerdem hat er die Kommission aufgefordert, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten die Frage eines Piratenabwehrtrainings für Seeleute zu prüfen.

3.1.6

Auf seiner Konferenz zur „Attraktivität maritimer Berufe“ (7. März 2010) hat der EWSA die Piraterie als ein Hemmnis für das Ergreifen des Seemannsberufs ausgemacht, das Kampagnen für ein attraktives Berufsbild konterkariert.

3.2   Europäische Sozialpartner (ECSA/ETF)

3.2.1

Der Verband der Reeder der Europäischen Union (ECSA) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) haben in einer gemeinsamen Erklärung (31. Juli 2012) ihre Besorgnis darüber bekundet, dass die Angriffe trotz erfolgreicher Bemühungen auf internationaler und europäischer Ebene weitergehen. Sie haben die Bekämpfung der Piraterie ganz oben auf die Tagesordnung des Ausschusses für den sektoralen sozialen Dialog im Seeverkehr gesetzt.

4.   Besser koordinierte EU-Maßnahmen

4.1

Piraterie ist ein komplexes und vielschichtiges Problem, das nur mithilfe eines ganzheitlichen, koordinierten Konzepts mit Maßnahmen zu Wasser und zu Land gelöst werden kann. Die EU ist ganz besonders prädestiniert, ein solches Konzept zu unterbreiten: in diplomatischer, handels- und verkehrspolitischer, militärischer und humanitärer Sicht genießt sie als Interessenträger in der Region großes Ansehen.

4.2

Die Seeleute zahlen immer noch einen hohen Preis. Sämtliche Bemühungen sollten auf die Abwendung von Gefahren für ihre physische, seelische und psychische Unversehrtheit gerichtet werden. Die Internationale Schifffahrtskammer (ICS) hat für die Reedereien einen Leitfaden mit bewährten Verfahren zur Unterstützung betroffener Seeleute und ihrer Familien zusammengestellt.

4.3

Da die tieferen Ursachen der Piraterie eine langfristige Lösung an Land erfordern, ist der Kapazitätsaufbau in Somalia von entscheidender Bedeutung, um der Straffreiheit ein Ende zu setzen und die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Die EU-Flaggenstaaten müssen sich stärker engagieren, um eine bessere Koordinierung der Flottenverbände und die Verfolgung der Piraten zu gewährleisten.

4.4

Seit dem Wiederaufflammen der Piraterie im Jahr 2007 ist nun der politische Wille gefordert, sie ganz oben auf die politische Tagesordnung der EU zu setzen und mehr Mittel für mehr Militärflugzeuge und Militärschiffe bereitzustellen. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) und die Europäische Kommission sollten gemeinsam mit dem Europäischen Rat die Zuständigkeitsbereiche für Maßnahmen zur Pirateriebekämpfung und zum Kapazitätsaufbau in Somalia festlegen. Die Weltbank, Interpol und Europol können bei der Aufspürung von Lösegeldern helfen.

4.5

Die Rechtsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten zur Pirateriebekämpfung müssen aktualisiert werden:

Da die Piraterie in einigen Ländern gar nicht mehr als Straftatbestand geführt wird, sollte ein klarerer Rechtsrahmen hinsichtlich der für die Verfolgung von Piraten zuständigen Gerichtsbarkeiten geschaffen werden.

Was die Vorschläge angeht, Lösegeldzahlungen für rechtswidrig zu erklären, könnte ein solches Verbot unbeabsichtigte Folgen haben und zu einer noch stärkeren Gefährdung von Menschenleben führen. Generell sollte die Zahlung von Lösegeldern in der EU zulässig sein.

Der Einsatz von privaten bewaffneten Sicherheitskräften mit ordnungsgemäßer Zulassung sollte in den Mitgliedstaaten erlaubt sein, sofern ein strikter Rechtsrahmen existiert, der u.a. die Zuständigkeit für die Ausbildung dieser Sicherheitskräfte demjenigen Mitgliedstaaten überträgt, in dem sie niedergelassen sind, und die Bedingungen für die Haftung des Kapitäns regelt, insbesondere für den Fall, dass das Feuer eröffnet wird.

Die EU sollte mit den Küstenstaaten der Region die Probleme untersuchen, die durch die Durchfuhr von Schiffen mit bewaffneten Sicherheitskräften an Bord entstehen.

Brüssel, den 16. Januar 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“, ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31.

EWSA-Stellungnahme „Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018“, ABl. C 255, 22.9.2010, S. 103.

EWSA-Stellungnahme „Auf dem Weg zur Integration der Meeresüberwachung: Ein gemeinsamer Informationsraum für den maritimen Bereich der EU“, ABl. C 44, 11.2.2011, S. 173.

EWSA-Stellungnahme „Partnerschaft Europäische Union – Afrika — Afrika und Europa verbinden: Schritte zum Ausbau der Zusammenarbeit im Verkehrsbereich“, ABl. C 18, 19.1.2011, S. 69.

EWSA-Stellungnahme „Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten“, ABl. C 43, 15.2.2012, S. 69.

EWSA-Stellungnahme „Seearbeitsübereinkommen/Verantwortlichkeiten der Flaggen- und der Hafenstaaten“, ABl. C 299, 4.10.2012, S. 153.


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