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Document 52011IP0066

Rechtsstaatlichkeit in Russland Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Februar 2011 zur Rechtsstaatlichkeit in Russland

ABl. C 188E vom 28.6.2012, p. 37–39 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

28.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 188/37


Donnerstag, 17. Februar 2011
Rechtsstaatlichkeit in Russland

P7_TA(2011)0066

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Februar 2011 zur Rechtsstaatlichkeit in Russland

2012/C 188 E/07

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Russland und zu den Beziehungen EU-Russland, insbesondere seine Entschließungen vom 17. September 2009 zur Ermordung von Menschenrechtsaktivisten in Russland (1), vom 17. Juni 2010 zu den Schlussfolgerungen des Gipfeltreffens EU-Russland (31. Mai und 1. Juni 2010) (2) und vom 21. Oktober 2010 zur Menschenrechtslage im Nordkaukasus (Russische Föderation) und dem Strafverfahren gegen Oleg Orlow (3),

unter Hinweis auf das derzeit geltende Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits sowie auf die laufenden Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland,

unter Hinweis auf den Jahresbericht über die Menschenrechte in der Welt 2009, der im Dezember 2010 angenommen wurde, und insbesondere auf den Fall Magnizki,

unter Hinweis auf die Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland,

unter Hinweis auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Erklärung der Vereinten Nationen über die Menschenrechtsverteidiger und die Erklärung der Vereinten Nationen über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen,

unter Hinweis auf die Partnerschaft für Modernisierung, die auf dem Gipfeltreffen EU-Russland im Mai 2010 in Rostow am Don in Gang gesetzt wurde, sowie auf die Zusicherung der russischen Führung, dass die Rechtsstaatlichkeit ein grundlegendes Element der Modernisierung Russlands darstellen werde,

gestützt auf Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass die Europäische Union nach wie vor einer weiteren Vertiefung und dem weiteren Ausbau der Beziehungen zwischen der EU und Russland verpflichtet ist, und zwar im Einklang mit den Grundsätzen, die in der Partnerschaft für Modernisierung verankert wurden, welche auf einem klaren Bekenntnis zu demokratischen Grundsätzen, zu den Grund- und Menschenrechten und zur Rechtsstaatlichkeit beruht,

B.

in der Erwägung, dass sich die Russische Föderation als Mitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie als Unterzeichnerstaat der Erklärungen der Vereinten Nationen dazu verpflichtet hat, die Menschenrechte, die Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit zu schützen und zu fördern,

C.

in der Erwägung, dass in den vergangenen Jahren mehrere Gerichtsverfahren Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justizbehörden der Russischen Föderation haben aufkommen lassen,

D.

in der Erwägung, dass die zweite Verurteilung von Michail Chodorkowski und Platon Lebedew am 30. Dezember 2010 im zweiten Prozess um die Vermögenswerte von Jukos von der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der EU, infrage gestellt worden ist,

E.

in der Erwägung, dass Boris Nemzow und etwa 70 weitere Personen nach einer Demonstration der Opposition am 31. Dezember 2010 in Moskau verhaftet worden sind,

F.

in der Erwägung, dass unabhängige Journalisten, zivilgesellschaftlich engagierte Bürger, Rechtsanwälte und Menschenrechtsverteidiger häufig Bedrohungen und Gewalttaten ausgesetzt sind und dass die Gesetze über die Bekämpfung des Extremismus und die neuen Bestimmungen des Gesetzes über den Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) unklar sind und daher häufig dazu benutzt werden, nichtstaatliche Organisationen, religiöse Minderheiten und Medienorganisationen zu drangsalieren,

G.

in der Erwägung, dass die Fälle der Journalistinnen Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa und Anastassija Baburova sowie der Tod des Rechtsanwalts Sergei Magnizki von den russischen Behörden bisher nicht aufgeklärt worden sind,

H.

in der Erwägung, dass Präsident Medwedew bei zahlreichen Gelegenheiten zugesichert hat, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken, und festgestellt hat, dass es seine Aufgabe sei, völlig unabhängige moderne Gerichte zu schaffen, die dem Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands entsprechen,

1.

bekräftigt seine Überzeugung, dass Russland weiterhin ein wichtiger Partner der Europäischen Union ist, wenn es darum geht, eine nachhaltige Zusammenarbeit auf der Grundlage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen;

2.

verurteilt den Terroranschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo auf das Schärfste und drückt den Familien der Opfer seit Mitgefühl und den bei dem Anschlag Verletzten seine Solidarität aus; betont, dass die russische Regierung gesetzeskonform und gemäßigt auf diesen Anschlag reagieren und die russischen Justizbehörden frei und unabhängig arbeiten lassen sollte, damit diese die für den Anschlag Verantwortlichen verfolgen und verurteilen können;

3.

äußert sich besorgt angesichts von Berichten über politisch motivierte Gerichtsverfahren, unfaire Verfahren und nicht durchgeführte Ermittlungen bei schweren Verbrechen wie Mord, bei Drangsalierungen oder bei anderen Gewalttaten; fordert die russischen Justiz- und Strafverfolgungsbehörden auf, ihre Aufgaben gründlich, unparteiisch und unabhängig wahrzunehmen, damit Straftäter vor Gericht gestellt werden;

4.

äußert seine große Besorgnis angesichts der Schuldsprüche im jüngsten zweiten Prozess gegen Michail Chodorkowski und Platon Lebedew; betont, dass im Zusammenhang mit diesem und mit vorherigen Verfahren gegen die beiden Männer schwerwiegende rechtliche Fragen aufgeworfen wurden, und fordert eine unabhängige gerichtliche Überprüfung im Zusammenhang mit den anhängigen Berufungsverfahren gegen die Urteile; fordert die russische Regierung auf, im Einklang mit den Zusagen von Präsident Dmitri Medwedew, für mehr Rechtsstaatlichkeit und Transparenz zu sorgen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Justizsystem zu verbessern;

5.

fordert den Bürgerbeauftragten der Russischen Föderation auf, eine Überprüfung der Anklagepunkte und laufenden Verfahren gegen den Preisträger 2009 des vom Europäischen Parlament verliehenen Sacharow-Preises für geistige Freiheit, Oleg Orlow, in Auftrag zu geben; weist erneut darauf hin, dass nach der Ermordung von Natalja Estemirowa, einem führenden Mitglied von „Memorial“ in Tschetschenien, keine wirksamen Ermittlungen durchgeführt worden sind;

6.

bedauert, dass die friedlichen Kundgebungen, die am letzten Tag jedes zweiten Monats veranstaltet werden, um auf Artikel 31 der russischen Verfassung aufmerksam zu machen, regelmäßig aufgelöst werden, und dass – wie im Fall von Boris Nemzow – immer wieder bekannte Oppositionsvertreter verhaftet werden;

7.

bestärkt die Präsidenten des Rates und der Kommission sowie die Hohe Vertreterin darin, diese Fälle weiterhin genau zu verfolgen und sie in unterschiedlichen Formaten und Treffen mit Russland, insbesondere auf dem anstehenden Gipfeltreffen EU-Russland, zur Sprache zu bringen;

8.

weist den Rat und die Hohe Vertreterin auf die ganze Palette geeigneter Maßnahmen hin, die sie ergreifen können, wenn sie feststellen, dass die Menschenrechte systematisch verletzt werden und die Rechtsstaatlichkeit nicht gewahrt wird;

9.

fordert die EU und Russland auf, die Verhandlungen über ein neues verbindliches und umfassendes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu intensivieren, und bekräftigt seine nachdrückliche Unterstützung für ein breit angelegtes Abkommen, das auch die Bereiche Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Menschen- und Grundrechte umfasst; betont, dass unbedingt für ein echtes Funktionieren der Justiz gesorgt und die Bekämpfung der Korruption verstärkt werden muss;

10.

äußert seine Besorgnis angesichts der beträchtlichen Anzahl von Berichten über Verstöße gegen die Menschenrechte in Russland, darunter gegen das Recht, sich friedlich zu versammeln, und betont, dass im Rahmen der Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland ein ständiger Dialog über die Menschenrechte geführt werden muss, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf den von der russischen Regierung unternommenen Schritten zur Gewährleistung der Sicherheit von Menschenrechtsverteidigern liegen sollte;

11.

betont, dass die umfassende Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit das Bild und die Glaubwürdigkeit Russlands in der Welt verbessern werden, was vor allem auch im Hinblick auf seine Beziehungen zur Europäischen Union gilt, die wichtig sind und sich zu einer strategischen Partnerschaft entwickeln sollten, wenn man sich die gegenseitige Abhängigkeit und die vielfältigen gemeinsamen Interessen vor Augen hält, insbesondere bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Sicherheit, Wirtschaft und Energie sowie in Bezug auf die Achtung demokratischer Grundsätze und Verfahren, der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte;

12.

fordert die Kommission auf, dem Europäischen Parlament umgehend eine Bewertung darüber vorzulegen, ob die Maßnahmen der Justiz gegen Jukos und dessen Führungskräfte mit den Anforderungen, die Russland im Zusammenhang mit seinem Wunsch nach einer Vollmitgliedschaft in der WTO erfüllen muss, im Einklang stehen;

13.

weist darauf hin, dass sich Russland als Mitglied des Europarates dazu verpflichtet hat, die gemeinsamen europäischen Normen im Hinblick auf Demokratie, Grund- und Menschenrechte sowie Rechtsstaatlichkeit umfassend zu achten; fordert in diesem Zusammenhang die staatlichen Stellen in Russland auf, allen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nachzukommen und Maßnahmen zu ergreifen, um Rechtsverletzungen in den einzelnen Fällen beheben indem sie unter anderem für wirksame Ermittlungen sorgen und die Täter zur Rechenschaft ziehen, sowie allgemeine Maßnahmen zu ergreifen, um die Urteile umzusetzen – darunter auch politische und rechtliche Änderungen –, damit ähnliche Verletzungen in Zukunft nicht mehr stattfinden;

14.

fordert erneut, dass die Menschenrechtskonsultationen intensiviert sowie wirkungsvoller und gezielter gestaltet werden, wobei das Justiz-, das Innen- und das Außenministerium Russland sowohl an den in Brüssel als auch an den in Moskau stattfindenden Treffen teilnehmen und das Europäische Parlament auf allen Ebenen uneingeschränkt einbezogen werden sollte; erinnert die Hohe Vertreterin an die im Haushaltsbeschluss des Europäischen Parlaments vorgesehene Schaffung eines Forums der Zivilgesellschaft;

15.

fordert den Rat und die Kommission auf, Russland praktische Unterstützung und Fachwissen anzubieten, damit die Unabhängigkeit der Justiz und der Strafverfolgungsbehörden gestärkt und die Fähigkeit des Justizsystems, politischem und wirtschaftlichem Druck zu widerstehen, verbessert wird; betont, dass die Europäische Union bereit ist, einen Beitrag zum Aufbau eines solchen Unterstützungsprogramms für die Justiz zu leisten und sich an der Aus- und Weiterbildung des Personals der Strafverfolgungsbehörden, der Staatsanwälte und der Richter, insbesondere zu Menschenrechtsfragen, zu beteiligen;

16.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation, dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu übermitteln.


(1)  ABl. C 224 E vom 17.9.2009, S. 27.

(2)  Angenommene Texte, P7_TA(2010)0234.

(3)  Angenommene Texte, P7_TA(2010)0390.


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