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Document 52001IE0932

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den "Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR und Chile: wirtschaftliche und soziale Aspekte"

ABl. C 260 vom 17.9.2001, p. 67–78 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

52001IE0932

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den "Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR und Chile: wirtschaftliche und soziale Aspekte"

Amtsblatt Nr. C 260 vom 17/09/2001 S. 0067 - 0078


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den "Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR und Chile: wirtschaftliche und soziale Aspekte"

(2001/C 260/13)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. März 2001, gemäß Artikel 23 Absatz 3 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema abzugeben.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 28. Juni 2001 an. Berichterstatter war Herr Zufiaur.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 383. Plenartagung vom 11. und 12. Juli 2001 (Sitzung vom 12. Juli) mit 69 Ja-Stimmen bei 4 Nein-Stimmen und 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seit Anfang der 90er Jahre aktiv am Ausbau der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika mitgewirkt, indem er zu den wichtigsten Aspekten der interregionalen Beziehungen Stellung genommen und die Initiativen begrüßt hat, die zur Erweiterung und Intensivierung der Kontakte zu den Ländern und Subregionen Lateinamerikas eingeleitet wurden. Durch die Zusammenarbeit mit den wirtschaftlichen und sozialen Organisationen Lateinamerikas hat der Ausschuss einen entscheidenden Impuls insbesondere für die Annäherung zwischen den Zivilgesellschaften beider Regionen gegeben. Seine jüngsten Arbeiten in diesem Bereich umfassen die Stellungnahme "Beziehungen der Europäischen Union zu Lateinamerika und zur Karibik - Der interregionale wirtschaftliche und soziale Dialog"(1), die anlässlich des ersten Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik am 28. und 29. Juni 1999 in Rio de Janeiro verabschiedet wurde, sowie die Veranstaltung des Treffens der Vertreter der Zivilgesellschaft Europa/Lateinamerika-Karibik am 23. bis 25. Juni 1999 in Rio de Janeiro.

1.2. Mit besonderem Interesse hat der WSA die Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und dem Mercado Común del Sur (MERCOSUR) sowie Chile verfolgt. So verabschiedete er am 15. Oktober 1995 eine Stellungnahme zu der "Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: 'Ausbau der Politik der Europäischen Union gegenüber MERCOSUR'"(2) und am 9. September 1998 eine Stellungnahme zum Thema "Die wirtschaftliche und soziale Lage in Chile und die Beziehungen Chiles zum MERCOSUR und zur EU"(3). Darüber hinaus unterhält der Ausschuss seit mehreren Jahren institutionelle Kontakte zu den Vertretungsorganen der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Gruppen des MERCOSUR und Chiles, unter denen insbesondere das partnerschaftliche Verhältnis zum Beratenden Wirtschafts- und Sozialforum (Foro Consultivo Económico y Social, FCES) des MERCOSUR hervorzuheben ist, mit dem er im Dezember 1997 ein "Memorandum über die institutionelle Zusammenarbeit" unterzeichnete. Anlässlich der Tagung der Außenminister des MERCOSUR, Chiles und Boliviens am 23. Februar 2000 in Vilamoura schlugen WSA und FCES gemeinsam die Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses (GBA) im Rahmen des gegenwärtig zwischen der EU und dem MERCOSUR ausgehandelten Assoziationsabkommens vor. Der Vorschlag wurde von beiden Verhandlungsparteien übernommen.

1.3. Die Unterzeichnung der Rahmenkooperationsabkommen der sog. "vierten Generation" mit dem MERCOSUR (Acuerdo Marco Interregional de Cooperación am 15. Dezember 1995) und mit Chile (Acuerdo Marco de Cooperación con Chile am 21. Juni 1996) stellte einen Meilenstein in den Kontakten der EU zu den vier MERCOSUR-Mitgliedstaaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) sowie Chile dar und war ein qualitativer Sprung in den europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen. Das letztendliche Ziel dieser Abkommen ist die Schaffung einer biregionalen Assoziation, die sich auf die Institutionalisierung eines ständigen politischen Dialogs, die Erweiterung und Diversifizierung der Zusammenarbeit und - als neues Element - die gegenseitige schrittweise Liberalisierung des Handelsverkehrs gründen soll.

1.4. Ausgehend vom Gipfeltreffen von Rio de Janeiro, begannen im November 1999 die Verhandlungen mit dem MERCOSUR und Chile über die neuen Assoziationsabkommen. Mit dem im Juli 2001 erfolgten Beginn der Gespräche über die Abschaffung von Zollsätzen werden sie in den kommenden Monaten in eine entscheidende Phase eintreten. Zudem sind vor dem zweiten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik, das am 17. und 18. Mai 2002 im Rahmen des spanischen Ratsvorsitzes der EU in Madrid stattfinden soll, erhebliche Fortschritte in den Verhandlungen zu erwarten.

1.5. Vor dieser neuen Phase in den Beziehungen zwischen der EU und dem MERCOSUR und Chile soll diese Initiativstellungnahme dem Zweck dienen, den Kontext der Verhandlungen zu analysieren, die Motivation beider Seiten für den Ausbau der Beziehungen zu beleuchten, einige der Hauptthemen zu benennen, die Gegenstand der Verhandlungen sind, die für den Abschluss eines Assoziationsabkommens unumgänglichen Aspekte zu bestimmen und schließlich die Verhandlungspositionen in den wichtigsten Fragen darzulegen. Die Stellungnahme wird insbesondere die sozialen Aspekte der eventuellen künftigen Assoziationsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile zum Gegenstand haben.

1.6. Die Stellungnahme soll also zum einen dazu beitragen, die wirtschaftlichen und sozialen Organisationen, aber auch die europäische organisierte Bürgergesellschaft insgesamt mit den zwischen der EU und dem MERCOSUR und Chile laufenden Verhandlungen vertraut zu machen. Zudem würde sie den Dialog zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren Europas und des MERCOSUR und Chiles über einige sozioökonomisch besonders relevante Verhandlungsfragen erleichtern. Schließlich würde sie auch für die inhaltliche Festlegung der sozialen Aspekte künftiger Abkommen sowie für die beschleunigte Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses im Rahmen der künftigen Abkommen der EU mit dem MERCOSUR und Chile von Nutzen sein.

2. Vorgeschichte und gegenwärtiger Stand der Beziehungen EU/MERCOSUR und EU/Chile

Das Interregionale Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR und das Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit mit Chile traten am 1. Juli 1999 bzw. am 24. April 1999 in Kraft. Ziel beider Abkommen ist die Intensivierung der Beziehungen in den Bereichen Handel, Wirtschaft und Kooperation sowie in anderen Bereichen beiderseitigen Interesses, so dass die Grundlagen für die Schaffung einer Assoziation gelegt werden können (im Fall des MERCOSUR einer interregionalen Assoziation, im Fall Chiles einer Assoziation politisch-wirtschaftlicher Art). Beide Abkommen, die große Ähnlichkeiten aufweisen, umfassen drei Hauptbereiche:

- Politischer Bereich: Die Parteien richten einen regelmäßigen politischen Dialog ein, um sich in biregionalen und multilateralen Fragen beiderseitigen Interesses enger abzustimmen und ihre Position in internationalen Foren zu koordinieren. Der politische Dialog wird aus Kontakten und Konsultationen auf verschiedenen Ebenen bestehen.

- Wirtschaftlicher Bereich: Die Parteien verpflichten sich, die Ausweitung und Diversifizierung ihres Handelsverkehrs zu fördern und seine schrittweise, gegenseitige Liberalisierung unter Berücksichtigung der Sensibilität bestimmter Produkte und gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vorzubereiten. Darüber hinaus vereinbaren die Parteien, regelmäßige Gespräche über Wirtschafts- und Handelsfragen zu führen sowie in folgenden Bereichen zusammenzuarbeiten: Lebensmittel- und Industrienormen, Qualitätsförderungspolitik, Anerkennung der Konformität, Zollfragen, Aufstellung von Statistiken, Fragen des geistigen Eigentums u. a. Mit Chile wurde zudem eine Zusammenarbeit im Bereich des öffentlichen Auftragswesens vereinbart.

- Bereich der Kooperation: Die Zusammenarbeit der EU mit dem MERCOSUR sowie Chile ist vorwiegend auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit gerichtet; Ziele sind u. a. die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung, die Verbesserung der Bedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Qualität der Beschäftigung sowie allgemein die Diversifizierung und Intensivierung der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen den Parteien. Im Rahmen dieser allgemeinen Ziele sollen die Kooperationsmaßnahmen vor allem der Erhaltung der Umwelt und der sozialen Entwicklung, insbesondere der Förderung der sozialen Grundrechte, dienen.

2.1. Politischer Dialog

2.1.1. Seit 1996 unterhalten die EU und der MERCOSUR und Chile einen institutionalisierten politischen Dialog, in dessen Rahmen bisher fünf Tagungen der Außenminister der EU, des MERCOSUR und Chiles sowie eine Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs vor dem Gipfeltreffen von Rio de Janeiro stattfanden. Seit 1998 wird der politische Dialog auch in Sitzungen hoher Beamter geführt. Nach dem Beitritt Chiles (und Boliviens) zum Mechanismus für politische Konsultation und Konzertierung (MCCP) des MERCOSUR finden die Ministertagungen zwischen der EU und Chile seit dem 1. Juli 1997 zusammen mit den Sitzungen mit dem MERCOSUR statt.

2.1.2. In der Ministertagung am 23. Februar 2000 in Vilamoura (Portugal) legten der MERCOSUR, Chile und Bolivien die "Erklärung und Aktionsprogramm zur politischen Zusammenarbeit" vor, die Vorschläge für die Kooperation in Bereichen wie der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaats sowie der Verhütung von Krisen sowie vertrauensbildende und sicherheitsfördernde Maßnahmen vorsehen. Der Vorschlag wird gegenwärtig in beiden Regionen auf hochrangiger Beamtenebene geprüft. Darüber hinaus betonten die Minister der 21 beteiligten Staaten auf ihrer Tagung am 28. März 2001 in Santiago de Chile die Notwendigkeit, den Dialog zu stärken und voranzutreiben, um eine engere Abstimmung in biregionalen und multilateralen Fragen zu gewährleisten und insbesondere in den internationalen Foren mit koordinierten Positionen zu Themen gemeinsamen Interesses aufzutreten. Die Europäische Kommission hat ihrerseits in ihrer Mitteilung(4) an den Rat und das Europäische Parlament über die weiteren Schritte im Anschluss an das Gipfeltreffen EU, Lateinamerika und Karibik als eine der Prioritäten für die Beziehungen zum MERCOSUR und zu Chile die Einführung von Mechanismen einer engeren Zusammenarbeit in den internationalen Foren über strategische Fragen und andere Themen gemeinsamen Interesses genannt.

2.1.3. Im parlamentarischen Bereich ist ebenfalls eine Institutionalisierung der politischen Zusammenarbeit zwischen der EU und dem MERCOSUR und Chile festzustellen: so wurde jeweils in einer Erklärung die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und dem Gemeinsamen Parlamentarischen Ausschuss (CPC) des MERCOSUR bzw. zwischen dem EP und dem chilenischen Kongress begründet.

2.2. Wirtschaftsbeziehungen: Handel und Investitionen

2.2.1. Zusammen sind der MERCOSUR und Chile die wichtigsten Handelspartner der EU in Lateinamerika. Auf sie entfielen 1999 wertmäßig 59 % des gesamten Handelsverkehrs Lateinamerikas mit der EU (64 % der Ausfuhren der Region in die EU und 55 % der lateinamerikanischen Einfuhren aus Europa), während die EU 3,2 % ihres außergemeinschaftlichen Handels mit dem MERCOSUR und Chile abwickelte(5). Im Unterschied zu den anderen Ländern der Region haben diese fünf Länder des Cono Sur traditionell engere Handelsbeziehungen zu Europa als zu den Vereinigten Staaten, und 1999 war die EU für diese Länder der wichtigste Handelspartner außerhalb Lateinamerikas. In ähnlicher Weise geht auch der Großteil der von EU-Mitgliedstaaten in Lateinamerika getätigten ausländischen Direktinvestitionen in den MERCOSUR und nach Chile, und in Argentinien und Brasilien ist die EU zur wichtigsten Quelle von Auslandsinvestitionen geworden. Trotz der günstigen Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen im vergangenen Jahrzehnt sind jedoch insbesondere die Handelsbeziehungen durch Ungleichgewichte gekennzeichnet, die einer vollen Entfaltung des Potenzials, das die Wirtschaftskontakte der EU mit dem MERCOSUR und Chile bieten, im Wege stehen.

2.2.2. Der MERCOSUR als Block ist einer der wichtigsten außergemeinschaftlichen Handelspartner der EU, bildet den wichtigsten EU-Markt in Lateinamerika und ist der größte Lieferant der EU in der Region. Der Handelsaustausch EU-MERCOSUR hat in den 90er Jahren mit einem Gesamtwachstum von knapp 100 % zwischen 1990 und 1999 erheblich zugenommen. Der MERCOSUR hatte 1999 einen Anteil von 50,7 % am gesamten Handel Lateinamerikas mit der EU, verglichen mit nur 44 % im Jahr 1990. Dieses Wachstum ist allerdings in erster Linie auf die Zunahme der Einfuhren des MERCOSUR aus der EU zurückzuführen, die um 246 % stiegen, während sich die Ausfuhren des MERCOSUR nach Europa nur um 30,3 % erhöhten. Seit 1995 ist bei den Ausfuhren in die EU mit einem Wachstum von nur 5 % praktisch eine Stagnation festzustellen; zwischen 1998 und 1999 gingen sie um fast 10 % zurück. Seit 1995 ist infolgedessen die Handelsbilanz des MERCOSUR mit der EU negativ.

2.2.3. Die schwache Entwicklung der Ausfuhren nach Europa impliziert im Verbund mit der ganz erheblichen Ausweitung des Handels innerhalb des MERCOSUR, dass die relative Bedeutung der EU als Markt für die Volkswirtschaften des MERCOSUR abgenommen hat. Gleichzeitig haben die Ausfuhren in die USA und nach Kanada schneller zugenommen als der Absatz in die EU, vor allem in den letzten Jahren.

2.2.4. Nach vorherrschender Meinung des MERCOSUR, die u. a. von mehreren Exportverbänden zum Ausdruck gebracht wurde, ist die unzufrieden stellende Entwicklung der Ausfuhren in die EU vor allem auf die hohen Zollsätze zurückzuführen, die für Sektoren wie Landwirtschaft und Fischerei gelten (sie machen 50 % der Ausfuhren dieser Ländergruppe in die EU aus), in denen die Exporterzeugnisse des MERCOSUR wettbewerbsfähiger sind. Ein weiterer Aspekt der Handelspolitik der EU, der beim MERCOSUR immer wieder Kritik hervorruft, sind die nichttariflichen Hemmnisse, die die Ausfuhr einiger Industrieerzeugnisse erschweren. In dieser Hinsicht ist interessant, dass Lebensmittel, landwirtschaftliche Primärerzeugnisse und Metalle, die 1999 72 % der Ausfuhren des MERCOSUR in die EU ausmachten, nur 53 % der Gesamtausfuhren dieser Ländergruppe darstellten.

2.2.5. Dem Verlust an relativer Bedeutung des europäischen Marktes für die Länder des MERCOSUR steht die steigende Bedeutung der Subregion als Markt für europäische Unternehmen gegenüber. Die beträchtliche Zunahme der EU-Ausfuhren in den MERCOSUR in den 90er Jahren machte diese Ländergruppe zur einzigen Subregion Lateinamerikas, in der die EU ihre Marktanteile erhöhte, was darauf deutet, dass europäische Exportunternehmen relativ stärker von der Konsolidierung des MERCOSUR als Wirtschaftsblock profitieren konnten als ihre Konkurrenten aus anderen Teilen der Welt.

2.2.6. Die Entwicklung des Austauschs EU-MERCOSUR im Jahr 2000 deutet auf eine mögliche Verschärfung der Ungleichgewichte im Handelsbereich hin, die sich sowohl in einem weiteren relativen Rückgang der Ausfuhren des MERCOSUR in die EU als auch in einer erheblichen Verringerung der Einfuhren dieses Handelsblocks aus der EU äußert, und das, obwohl seine Gesamteinfuhren um 7 % gestiegen sind. Diese Tendenzen zeigen, dass geeignete Instrumente gefunden werden müssen, die dem gemeinsamen Interesse an einer Ankurbelung des Handelsverkehrs zwischen beiden Regionen gerecht werden.

2.2.7. Während auf der einen Seite Probleme im Handelsbereich fortbestehen, gewinnen die europäischen Investitionen im MERCOSUR immer mehr an Bedeutung. Traditionell entfällt der größte Teil der europäischen Direktinvestitionen in Lateinamerika - im Zeitraum 1990-1997 rund 60 % - auf den MERCOSUR, insbesondere auf Argentinien und Brasilien. In den vergangenen Jahren ist die Konzentration der europäischen Direktinvestitionen in diesen Ländern noch stärker geworden, die 1999 zusammen mit Chile rund 90 % der in Lateinamerika getätigten europäischen Direktinvestitionen aufnahmen. Schätzungen zufolge erhielten Argentinien und Brasilien 1999 ausländische Direktinvestitionen im Gesamtwert von mehr als 50 Mrd. Dollar - mehr als das Fünffache von 1995 -, von denen ein sehr großer Teil von europäischen Unternehmen kam.

2.2.8. Die Wirtschaftsbeziehungen der EU mit Chile weisen einige ähnliche Züge wie beim MERCOSUR auf. Die Entwicklung der chilenischen Ausfuhren in die EU verlief in den 90er Jahren unregelmäßig, mit einer Stagnation als wesentlichem Merkmal seit 1996. Darin spiegeln sich die Schwankungen der Weltmarktpreise für die relativ geringe Zahl von Produkten (hauptsächlich Kupfer), auf die sich der chilenische Export in die EU stützt, wider. Die Ausfuhren der EU nach Chile stiegen bis 1997 kontinuierlich an, entsprechend dem starken Wachstum der chilenischen Wirtschaft, sind ab 1998 jedoch zurückgegangen, als das Land Ende 1998 in eine Rezession fiel. Diese Tendenzen dürften sich 2000 verschärft haben, denn die Ausfuhren nach Europa stiegen langsamer an als die chilenischen Exporte insgesamt, während die Importe aus der EU trotz einer rund 20 %-igen Zunahme der Gesamteinfuhren auf dem gleichen Niveau blieben.

2.2.9. Infolgedessen wurden die traditionell guten Handelsbeziehungen mit Chile geschwächt und in gewissem Umfang durch die dynamische Entwicklung des chilenischen Handels mit den USA sowie mit neuen Handelspartnern in Asien und in Lateinamerika selbst beeinträchtigt. Zwischen 1990 und 1999 sank der Anteil der EU am Gesamtwert der chilenischen Exporte von 38,5 % auf 26,2 %, während die USA und vor allem andere lateinamerikanische Länder ihre Anteile erhöhen konnten. Die Europäische Union, bis 1993 noch der wichtigste Handelspartner Chiles, ist heute auf den zweiten Platz als Markt für chilenische Exporte und auf den dritten als Herkunftsgebiet der Importe Chiles zurückgefallen. Auch die europäischen Exportunternehmen haben auf dem chilenischen Markt an Boden verloren, wenn auch in relativ geringerem Umfang. Die europäischen Investitionen in Chile dagegen haben in den vergangenen Jahren einen bedeutsamen Anteil am Strom ausländischer Direktinvestitionen nach Chile ausgemacht.

2.3. Zusammenarbeit

2.3.1. Die EU ist der wichtigste Geber von öffentlicher Entwicklungshilfe für den MERCOSUR und Chile. Von der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe, die diese fünf Länder zwischen 1994 und 1998 erhielten (knapp 3,5 Mrd. Dollar), stammten 56 % von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten der EU. Wegen ihrer relativ hohen Wirtschaftskraft zählen diese Länder jedoch nicht zu den größten Begünstigten der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, und die dafür bestimmten Finanzmittel sind sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf einzelstaatlicher Ebene seit einigen Jahren rückläufig. Zwischen 1990 und 1998 erhielten die fünf Länder 21,3 % der gesamten europäischen Entwicklungshilfe für Lateinamerika (MERCOSUR 15,8 % und Chile 5,5 %).

2.3.2. Allerdings lag das Niveau der gemeinschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren unter dem Durchschnitt der 90er Jahre, und 1999 betrug der Anteil der fünf Länder an der von der Europäischen Kommission durchgeführten Zusammenarbeit nur noch 9,8 %. Wegen der Intensität der Wirtschaftsbeziehungen mit der EU kommen diese fünf Staaten jedoch weitgehend in den Genuss der Regionalprogramme, die zur Verbesserung der Bedingungen für Investitionen und direkte Zusammenarbeit zwischen den Wirtschaftsakteuren des Privatsektors beider Regionen aufgestellt wurden, wie z. B. AL-INVEST. Generell nimmt die wirtschaftliche Kooperation, dem Grundsatz der gegenseitigen Meistbegünstigung folgend, eine zentrale Position in der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR und Chile ein: vom gesamten Mittelansatz für die Zusammenarbeit zwischen 1990 und 1998 wurden für Maßnahmen in diesem Bereich 25 % im Fall des MERCOSUR und 20 % im Fall Chiles aufgewendet.

2.3.3. Ein weiteres wichtiges Merkmal der Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit dem MERCOSUR und Chile ist die Bemühung um eine breitere Fächerung der Empfänger und eine verstärkte Mitwirkung der Zivilgesellschaft hierbei. Neben der Funktion, die die Programme zur horizontalen Zusammenarbeit für die Förderung der Zusammenarbeit von verschiedenen Akteuren des wirtschaftlichen und sozialen Lebens und der Bürgergesellschaft im Allgemeinen haben, spielen die Mittel zur Finanzierung der Tätigkeit verschiedener regierungsunabhängiger Organisationen (NGO) in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. Fast 20 % der gesamten Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR und Chile waren in den Jahren 1994-1998 der Unterstützung von NGO-Aktivitäten gewidmet. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang die umfangreiche Zusammenarbeit, die seit langem durch andere soziale Organisationen auf europäischer Ebene, insbesondere die Gewerkschaften, geleistet wird.

2.3.4. Für den Zeitraum 2000-2003 wurden für die Zusammenarbeit EU-MERCOSUR folgende Prioritäten gesetzt: die makroökonomische Koordinierung innerhalb des MERCOSUR, die Entwicklung der Infrastruktur und der Verkehrsnetze, Wissenschaft und Technologie, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Informationsgesellschaft sowie das Bildungswesen. Bis 2006 soll die Zusammenarbeit in den Bereichen vertieft werden, die zur Anpassung des MERCOSUR, zur Liberalisierung des Handels mit der EU sowie zur Vollendung seines eigenen Binnenmarkts beitragen. Im gesamten Zeitraum 2000-2006 sollen in die Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR als Zusammenschluss ca. 48 Mio. EUR fließen.

2.3.5. Die Förderung der regionalen Integration stellt einen zentralen Bereich der Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR dar. Zu diesem Zweck wurden bzw. werden z. B. in den folgenden Bereichen Programme durchgeführt: Unterstützung der Institutionen; Harmonisierung der Zollbestimmungen sowie der technischen und statistischen Normen und Standards; die Vereinbarung von Veterinär- und Pflanzenschutzvorschriften sowie die Vorbereitung der Unternehmen - insbesondere der KMU - auf den gemeinsamen Markt. Über das Projekt "Stärkung der sozialen und beschäftigungspolitischen Dimension des MERCOSUR", an dessen Planung der WSA aktiv beteiligt war, will die EU die Entwicklung der sozialen und partizipativen Dimension des Prozesses der regionalen Integration innerhalb des MERCOSUR unterstützen, indem der strukturierte Dialog zwischen den Akteuren des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens sowie die an diesem Dialog beteiligten Instanzen des MERCOSUR gestärkt werden.

3. Perspektiven für den Ausbau der Beziehungen EU-MERCOSUR und EU-Chile

3.1. Die Annäherung der Europäischen Union an den MERCOSUR und an Chile gründet auf der Überzeugung, dass eine auf Gegenseitigkeit und enger Zusammenarbeit beruhende Assoziierung für beide Seiten vorteilhaft ist. Diese über Wirtschaftsbeziehungen hinausgehende Assoziierung soll umfassend sein und politische, soziale und kulturelle Kontakte als Grunddimensionen einschließen. Insofern könnte die Assoziierung der Europäischen Union mit dem MERCOSUR und Chile zu einem Musterbeispiel nicht nur für künftige Kontakte mit anderen Teilen Lateinamerikas sondern für einen neuen Typ der Kooperationsbeziehung oder "strategischen Allianz" zwischen Industrie- und Entwicklungsländern in einer multipolaren Welt werden. Eine Assoziierung böte viele Möglichkeiten, um sicherzustellen, dass die wirtschaftliche Globalisierung und die wachsende Interdependenz von Staaten und Regionen der Stabilisierung und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dienen.

3.2. Für die Europäische Union wäre die Intensivierung der bestehenden Kontakte zum MERCOSUR und zu Chile ein Beweis für ihre Fähigkeit, die Ziele ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in verbindliche Absprachen umzuwandeln und die internationale Identität der Union zu bekräftigen. Gleichzeitig würde die Assoziierung mit dem MERCOSUR diesen Zusammenschluss und seine Funktion als Katalysator der lateinamerikanischen Integration fördern und darüber hinaus einen bedeutenden Beitrag zur Konsolidierung eines Projektes zur regionalen Integration und Kooperation leisten, das gewisse Ähnlichkeiten mit der europäischen Integration aufweist. So soll die auf einem weitreichenden Kooperationsmodell beruhende Assoziierung zur Umsetzung der gemeinsamen Grundziele beider Zusammenschlüsse beitragen: die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, wie der Vertrag zur Europäischen Union sie vorsieht, sowie das durch den Vertrag zur Gründung des MERCOSUR festgelegte Ziel der sozial gerechten Wirtschaftsentwicklung.

3.3. Im Wirtschaftsbereich zeigte die Entwicklung des Handels und der Investitionen in den vergangenen Jahren, welches Potential in den gegenseitigen Beziehungen steckt. Der Handel mit der Europäischen Union und die europäischen Investitionen sind für die Förderung des Wirtschaftswachstums im MERCOSUR und in Chile, die Konsolidierung ihrer zunehmenden Beteiligung am Welthandel und die weitere Diversifizierung ihrer Exportsektoren von grundlegender Bedeutung. Für die Europäische Union beweisen die erhebliche Steigerung der Ausfuhren vor allem in den MERCOSUR und die Zunahme der Investitionen in die Region die Vorteile engerer Wirtschaftsbeziehungen. Hier ist der hohe Anteil der KMU - etwa 35 % - am Absatz an den MERCOSUR von besonderer Bedeutung.

3.4. Zusammen stellen der MERCOSUR und Chile einen Markt von fast 220 Millionen Einwohnern mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) dar, das über dem Weltdurchschnitt liegt. Nach der Stagnation infolge der internationalen Finanzkrise 1998-1999 setzte im Jahr 2000 die wirtschaftliche Erholung der Region ein, und es wird trotz der durch die argentinische Finanzkrise hervorgerufenen Unsicherheit damit gerechnet, dass sie anhält. Trifft diese Voraussage ein, so bestehen in den nächsten Jahren gute Aussichten für Investitionen, die u. a. durch die Notwendigkeit großer Investitionen in die Infrastruktur bedingt sind. Nach Schätzungen benötigt der Cono Sur für die Entwicklung seiner Infrastrukturnetze - ein Sektor, in dem die europäischen Unternehmen über große Erfahrung verfügen - pro Jahr durchschnittlich etwa 20 Mrd. US-Dollar.

3.5. Die Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR und mit Chile, die die Liberalisierung des Handels einschließen, werden somit der Festigung der europäischen Position auf den dynamischsten und erfolgversprechendsten Märkten Lateinamerikas dienen. Der Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen wird vor allem dem Export von Investitionsgütern, Maschinen, Ausrüstungsgütern und Transportmaterial sowie chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen zugute kommen, Wirtschaftszweigen, in denen der MERCOSUR derzeit hohe Zölle anwendet und die europäischen Unternehmen besonders wettbewerbsfähig sind. Auch der Dienstleistungssektor - zu dem u. a. die Banken und Versicherungen, der Seeverkehr und die Telekommunikation gehören - kann von einer Liberalisierung des Handels mit dem MERCOSUR und Chile profitieren. Gleichzeitig wird die Ansiedlung von europäischen Unternehmen, die für die Märkte der Region produzieren sollen, in diesen Staaten erleichtert; zudem können diese Unternehmen zollfrei Produktionsteile importieren.

3.6. Für den MERCOSUR und Chile bedeutet die Liberalisierung ihres Handels mit der Europäischen Union nicht nur einen besseren Zugang zum europäischen Markt - etwa 60 % der Einfuhren des MERCOSUR in die Europäische Union sind bereits jetzt zollfrei oder erfolgen zu Vorzugsbedingungen, sei es aufgrund der Meistbegünstigungsklausel oder aufgrund des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) -, sondern durch ein für jeweils beide Seiten verbindliches Abkommen auch eine bessere Vorhersehbarkeit und Stabilität ihrer Handelsbeziehungen zur Europäischen Union. Zugleich wäre es für diese Staaten sehr wichtig, einige Importzölle für bestimmte Erzeugnisse - insbesondere im Agrar- und Fischereisektor -, die den Hauptteil ihres Absatzes an die Europäische Union ausmachen und bei denen sie mit Wettbewerbsvorteilen rechnen, abzuschaffen bzw. zu senken. Ganz allgemein würden die Verbilligung von aus der Europäischen Union eingeführten Anlagegütern und Erleichterungen für europäische Investoren die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen des MERCOSUR und Chiles erhöhen.

3.7. Durch ihre Investitionen im MERCOSUR und in Chile wird den europäischen Unternehmen nicht nur die Möglichkeit geboten, am Wachstum der regionalen Märkte teilzuhaben sowie die Human- und anderen Ressourcen der Region für ihre Produktionsprozesse zu nutzen, sondern eine wichtige Rolle bei der Förderung der produktiven Entwicklung, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der technologischen Innovation und der Ausbildung von Arbeitskräften zugewiesen. So sollten sich die europäischen Investitionen auch auf die Konsolidierung der Grundmerkmale der sozialen Marktwirtschaft - wie den sozialen Dialog, die allgemeine und berufliche Bildung, einen angemessenen Sozialschutz sowie die Wahrung der grundlegenden Arbeits- und Sozialrechte - positiv auswirken, ebenso wie es notwendig ist, die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Handels und der Investitionen zwischen den beiden Regionen zu berücksichtigen. Insofern sollten die Grundsätze befolgt werden, die beispielsweise in der vom Europäischen Parlament am 15. Januar 1999(6) verabschiedeten "Entschließung zu EU-Normen für in Entwicklungsländern tätige europäische Unternehmen im Hinblick auf die Entwicklung eines europäischen Verhaltenskodex" oder in den von den Mitgliedstaaten sowie Argentinien, Brasilien und Chile am 27. Juni 2000 angenommenen Leitlinien der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angeführt werden.

4. Der Verhandlungsprozess: die entscheidenden Herausforderungen

4.1. Die Verhandlungen über die Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR und mit Chile werden parallel, aber formal getrennt geführt. Dieser Ansatz ist auf die Ähnlichkeit der verhandelten Abkommen und die engen Beziehungen zwischen Chile und dem MERCOSUR zurückzuführen: Diese finden u. a. in dem Assoziierungsabkommen von 1996, das die Einrichtung einer Freihandelszone innerhalb der nächsten zehn Jahre vorsieht, und in der Beteiligung Chiles, gemeinsam mit Bolivien, an den politischen Organen des MERCOSUR ihren Ausdruck. Zudem erklärte die chilenische Regierung, Chile strebe die Vollmitgliedschaft im MERCOSUR an, obwohl die entsprechenden Gespräche durch die Eröffnung der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Chile und den Vereinigten Staaten beeinträchtigt wurden. Da die Verhandlungen mit dem MERCOSUR und mit Chile parallel geführt werden, sollten sie im Prinzip auch gleichzeitig abgeschlossen werden. Allerdings ist es angesichts der Möglichkeit, dass die Verhandlungen mit Chile - aufgrund ihres Inhalts und der Tatsache, dass Verhandlungen mit einem Staat leichter sind als mit einer Gruppe von vier Staaten, - schneller vorankommen, nicht ausgeschlossen, dass die beiden Verhandlungsprozesse ab einem bestimmten Zeitpunkt mit verschiedenen Geschwindigkeiten laufen.

4.2. In den bisherigen Verhandlungsrunden war es möglich, die Positionen der Parteien einander in unterschiedlichen Bereichen anzunähern. In den Verhandlungen mit dem MERCOSUR wurden bei der Definition des Rechtsrahmens und der institutionellen Struktur des künftigen Abkommens sowie beim politischen Dialog und den Kapiteln zur sozialen und kulturellen Zusammenarbeit Fortschritte erzielt. Auch bei den Verhandlungen mit Chile sind bedeutende Fortschritte bezüglich der institutionellen Struktur des Abkommens, im politischen Bereich sowie in verschiedenen Kapiteln der Zusammenarbeit u. a. Wissenschaft und Technologie, soziale Fragen, Kultur und Bildungswesen, außer bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu verzeichnen. In beiden Fällen wurde über eine Teilnahme an verschiedenen Programmen der Europäischen Union z. B. zu Bildung, Kultur, Energie sowie Wissenschaft und Technologie diskutiert.

4.3. Obwohl die Verhandlungsprozesse die Assoziierungsabkommen als Ganzes umfassen, wurde der Handelsliberalisierung die meiste Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Blick auf die Zollverhandlungen, die entsprechend dem Verhandlungsmandat der Europäischen Union im zweiten Halbjahr 2001 eröffnet wurden, wurden folgende Grundprinzipien für die künftigen Handelsabkommen aufgestellt:

- die Abkommen betreffen nicht nur die Liberalisierung des Warenhandels, sondern auch eine breite Palette von Handelssektoren: Dienstleistungen, Investitionen, geistiges Eigentum, öffentliche Aufträge, Wettbewerbspolitik und handelspolitische Schutzmaßnahmen sowie Beilegung von Streitigkeiten;

- kein Sektor wird von den Verhandlungen zur Handelsliberalisierung ausgeschlossen und das Abkommen muss den WTO-Bestimmungen entsprechen;

- die Sensibilität bestimmter Erzeugnisse wird gemäß den WTO-Bestimmungen berücksichtigt;

- das Abkommen wird als "einheitliche Verpflichtung" ("single undertaking") verhandelt, die als unteilbares Ganzes umgesetzt wird.

4.4. Zudem ermöglichte es der Austausch von Informationen über die Handelspolitik und die jeweiligen Interessen den Parteien, vor Eröffnung der Zollverhandlungen ihre vorläufige Position für die fünfte Verhandlungsrunde festzulegen, die in der ersten Juli-Hälfte 2001 in Montevideo bzw. Santiago de Chile stattfand.

4.5. Als erste Aktion zur Förderung des interregionalen Handels hat die Europäische Union eine breit angelegte Initiative zur Handelserleichterung gestartet, zu der u. a. verschiedene die Zusammenarbeit, den Austausch und die technische Hilfe betreffende Maßnahmen in Bereichen wie Zollbestimmungen, Normen, Gesundheits- und Pflanzenschutzvorschriften, elektronischer Handel und Wettbewerb gehören. Diese Initiative soll für mehr Transparenz in den Handelsbeziehungen zwischen den Parteien und die Identifizierung von Handelshemmnissen sorgen sowie den Anliegen des privaten Sektors auf beiden Seiten des Atlantiks gerecht werden, wie sie z. B. vom Unternehmensforum Europa-MERCOSUR (MERCOSUR-Europe Business Forum, MEBF) zum Ausdruck gebracht wurden. Das MEBF, das sich darum bemüht, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR über den Dialog und die direkte Zusammenarbeit zwischen den Wirtschaftskreisen sowie über Empfehlungen an die Regierungsstellen auszubauen, hat Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit den wichtigsten Dimensionen des Handels zwischen der EU und dem MERCOSUR beschäftigen: Marktzugang, Investitionen und Privatisierungen sowie Dienstleistungen. Diese Initiative ist nicht nur ein konkreter Beitrag zur Förderung der Handelsströme, sondern auch ein Instrument, über das der Privatsektor am Verhandlungsprozess beteiligt und die aktive Unterstützung der in diesem Rahmen verfolgten Ziele sichergestellt wird.

4.6. Die Verhandlungen über ein breit angelegtes und ausgewogenes Abkommen zur Handelsliberalisierung zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR - dem ersten dieser Art zwischen zwei Zollunionen - sind komplex und werden nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen. Verschiedene sensible Erzeugnisse, auf die beide Seiten derzeit hohe Zölle erheben - könnten Schwierigkeiten aufwerfen. Beim MERCOSUR werden die größten Probleme wahrscheinlich in verschiedenen, derzeit durch relativ hohe Zölle geschützten Industriesektoren und im Dienstleistungssektor auftreten. Auf europäischer Seite sind die schwierigsten Verhandlungsaspekte für den Agrarsektor vorauszusehen, der die meisten für die EU sensiblen Erzeugnisse umfasst und gleichzeitig den Hauptteil der Exporte des MERCOSUR ausmacht. Zudem liegt der größte Vorteil der Handelsliberalisierung mit der EU für den MERCOSUR gerade in einem besseren Zugang für seine Lebensmittelerzeugnisse und agroindustriellen Produkte zum europäischen Markt.

4.7. Angesichts des hohen Wachstumspotentials der Agrarproduktion des MERCOSUR und der Wettbewerbsfähigkeit vieler seiner Agrarerzeugnisse halten einige Sektoren des MERCOSUR die uneingeschränkte Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten mit dem unveränderten Fortbestehen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union für unvereinbar. Allerdings machen die als sensibel eingestuften Agrar- und Fischereierzeugnisse nur 14 % der Importe der Europäischen Union aus dem MERCOSUR aus. Zudem geben verschiedene Faktoren Anlass zu der Hoffnung, dass die Schwierigkeiten im Agrarsektor nicht zu einem unüberwindlichen Hindernis für die neuen Assoziierungsabkommen werden:

- Die GAP-Reformen und die Erfuellung der in der Uruguay-Runde eingegangenen Verpflichtungen erforderten eine erhebliche und beständige Senkung der Agrarzuschüsse in der Europäischen Union. Diese Entwicklung steht z. B. im Gegensatz zur Erhöhung der Subventionen in den Vereinigten Staaten und der Aufstockung der Exportkreditgarantien für die Landwirtschaft dieses Staates, die keiner multilateralen Kontrolle unterliegen. Zudem werden die derzeitigen, seit März 2000 laufenden Verhandlungen innerhalb der WTO und der Erweiterungsprozess der Europäischen Union zusammen mit anderen Faktoren wahrscheinlich eine weitere Überprüfung der GAP begünstigen und damit eine Senkung der Produktionszuschüsse sowie ihren Ersatz durch direktere Beihilfen für die Landwirte. Zugleich könnten die jüngsten Probleme, denen die europäische Landwirtschaft teilweise infolge der Nichteinhaltung der bestehenden Gemeinschaftsbestimmungen - insbesondere im Zusammenhang mit der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) - gegenübersteht, Veränderungen in den Produktionssystemen für Ackerbau und Viehwirtschaft auslösen.

Unter Berücksichtigung dieser Elemente und unter Anerkennung der Bedeutung der Landwirtschaft für die Beschäftigung und den sozialen und regionalen Zusammenhalt in Europa sowie des Prinzips der Multifunktionalität könnte eine weitere Überprüfung der GAP, über deren Ausgestaltung derzeit diskutiert wird, eine Verständigung der beiden Parteien in diesem Bereich erleichtern.

- Andererseits könnte die Abschaffung bzw. die Senkung der Zölle neue Exportmöglichkeiten für aufwendig verarbeitete und hochwertige europäische Agrarerzeugnisse (wie z. B. Milchprodukte, Wein, alkoholische Getränke und Zuckerwaren) bieten, die derzeit mit hohen Zöllen belegt sind. Die Nutzung dieser Möglichkeiten trüge zum Ausgleich des derzeitigen europäischen Defizits im Agrarhandel mit dem MERCOSUR und zur Abschwächung der kurzfristigen negativen Auswirkungen der Handelsliberalisierung für die europäische Landwirtschaft bei.

4.8. Der Hintergrund der Verhandlungen

4.8.1. Die Verhandlungen mit dem MERCOSUR und Chile finden vor einem komplexen Hintergrund statt, der von anderen internationalen Verhandlungsprozessen innerhalb der WTO und auch über die Amerikanische Freihandelszone (FTAA) geprägt ist.

4.8.2. Laut dem Verhandlungsmandat der Europäischen Union können die Verhandlungen mit dem MERCOSUR und mit Chile erst nach dem Abschluss einer neuen Runde Handelsverhandlungen innerhalb der WTO abgeschlossen werden. Allerdings sind die Aussichten für diese Verhandlungen nach dem gescheiterten Versuch, auf der Ministersitzung der WTO in Seattle im November/Dezember 1999 eine weitere multilaterale Verhandlungsrunde einzuleiten, ungewiss. Selbst wenn es auf der vierten Ministerkonferenz der WTO, die vom 9. bis 13. November 2001 in Katar stattfindet, gelingen sollte, eine neue weltweite Verhandlungsrunde zu starten, ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese vor Ende 2004 abgeschlossen wird. Auch wenn die Abkommen mit dem MERCOSUR und mit Chile weiterhin mit den Bestimmungen der WTO und anderen multilateralen Vereinbarungen der Parteien vereinbar sein sollen, könnte eine solche Verschleppung der laufenden Verhandlungen sich negativ auswirken. Insofern wird die Möglichkeit erwogen, das Verhandlungsmandat zu ändern. Insbesondere das Europäische Parlament forderte in mehreren Entschließungen(7), dass die Abhängigkeit der Verhandlungen mit dem MERCOSUR und mit Chile vom Abschluss der Verhandlungsrunde der WTO aufgehoben wird, auch insofern als durch diese Bedingung andere Assoziierungsabkommen diskriminiert werden. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss teilt die Ansicht, dass das Abschlussdatum für die Verhandlungen mit dem MERCOSUR und mit Chile nicht vom Abschluss der WTO-Verhandlungsrunde abhängig gemacht und die Unterzeichnung der die interregionalen Beziehungen stärkenden Abkommen mit diesen beiden Parteien so schnell wie möglich erfolgen sollte.

4.8.3. Andererseits verhandeln der MERCOSUR und Chile zusammen mit 29 anderen Staaten der Hemisphäre seit September 1998 über die FTAA. Obwohl sich die Verhandlungen noch in einer technischen Phase befinden und weiterhin Zweifel daran bestehen, dass die Regierung der Vereinigten Staaten vom Kongress die Genehmigung erhält, Handelsvereinbarungen im "Eilverfahren" (fast track) abzuschließen, läuft der Prozess zur Schaffung der FTAA planmäßig. So wurden auf dem dritten Gipfel der amerikanischen Staats- und Regierungschefs, der vom 20. bis 22. April 2001 in Quebec stattfand, die Fortschritte bei der Errichtung der FTAA festgestellt, zu denen auch die Ausarbeitung eines vorläufigen Entwurfs des Übereinkommens gehört. Zudem bestätigten die Vertreter der 34 an dem Prozess beteiligten Staaten den zum ersten Mal 1994 aufgestellten Zeitplan für die Schaffung der FTAA und verpflichteten sich, die Verhandlungen bis spätestens Januar 2005 abzuschließen, damit das Übereinkommen spätestens am 31. Dezember desselben Jahres in Kraft treten kann.

4.8.4. Auch wenn mehreren Schätzungen zufolge die Länder des MERCOSUR durch den Freihandel mit der EU einen größeren Nettogewinn erzielen als im Rahmen der FTAA möglich wäre, nehmen die Regierungen der Gruppierung an, dass sich die beiden Prozesse ergänzen und miteinander vereinbaren lassen. Auch bietet die gleichzeitige Teilnahme an Verhandlungen über den Freihandel mit den beiden wichtigsten Wirtschaftsblöcken der Welt den südamerikanischen Ländern die Möglichkeit, ihre Verhandlungsposition zu stärken und die Kosten für die Öffnung ihrer Märkte zu mindern. Für die EU könnte die Errichtung einer panamerikanischen Freihandelszone ohne Abkommen über die Handelsliberalisierung mit den vorrangigen Partnern in Lateinamerika die europäischen Positionen in den Wirtschaftssystemen des Cono Sur gegenüber den US-amerikanischen Konkurrenten ernsthaft schwächen und die Tendenzen beschleunigen, die sich in den letzten Jahren in den Handelsbeziehungen abgezeichnet haben. Es ist in diesem Zusammenhang an die Tatsache zu erinnern, dass ein wichtiger Grund für die Verhandlungen über die Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile war, dass die FTAA nicht zu einem ähnlichen Rückgang der Marktquoten führe, wie er im Handel mit Mexiko nach Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) festzustellen war.

4.8.5. Die FTAA stellt für die EU eine Herausforderung dar, die über den wirtschaftlichen Bereich hinausgeht. In dem Maße wie die Bildung einer die Erdhalbkugel umspannenden Freihandelszone - auf Grund des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Übergewichts der USA im Vergleich zu den anderen Ländern der Hemisphäre und trotz des multilateralen Charakters des Verhandlungsprozesses - zur Verstärkung des US-amerikanischen Einflusses auf die lateinamerikanische Region führt, bietet die FTAA die Perspektive einer Schwächung des europäischen Einflusses auf die Region, vor allem auf die Länder des MERCOSUR und auf Chile - dort, wo die Bindung an Europa traditionell am stärksten ist. Wegen dieser Perspektive erhält die Assoziierung mit der EU, die als Vorbild einer auf sozialer Marktwirtschaft fußenden Gesellschaft angesehen wird, eine besondere Bedeutung: Sie gilt als Beispiel für eine vorbildliche, umfassende, auf Hegemonieansprüche verzichtende interregionale Zusammenarbeit, die den Integrationsprozess im Cono Sur und der ganzen lateinamerikanischen Region verstärkt und erleichtert. Bemerkenswert sind dabei die Widerstände gegen die FTAA in einigen Sektoren des MERCOSUR und Chiles. Sie richten sich gegen eine als rein "merkantilistisch" und "ökonomistisch" angesehene Initiative, die einem Integrationsmodell entgegenwirkt, das neben einer wirtschaftlichen und kommerziellen auch eine soziale, politische und kulturelle Dimension aufweist.

4.8.6. Im Fall des MERCOSUR besteht eine zentrale Bedingung für den Erfolg der Verhandlungen mit der EU und über die FTAA im inneren Zusammenhalt des Bündnisses. In jüngster Zeit haben die brasilianische Geldabwertung (1999) und die argentinische Finanzkrise hinsichtlich der Zukunft des MERCOSUR Besorgnis ausgelöst. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zwischen den Mitgliedern besser zu koordinieren, die institutionellen Mechanismen zu stärken und die Konsolidierung der Zollunion voranzutreiben. Es ist nicht auszuschließen, dass der Prozess zur Bildung der FTAA zusätzliche zentrifugale Kräfte freisetzen kann, die den inneren Zusammenhalt der Gruppe und ihre Rolle als Beschleuniger der lateinamerikanischen Integration gefährden: eine Möglichkeit, die mit Beginn der am Rande des FTAA-Prozesses stattfindenden Verhandlungen über den Freihandel zwischen Chile und den USA wahrscheinlicher geworden ist.

4.8.7. Hingegen zielt der Verhandlungsprozess mit der EU - sowohl hinsichtlich der allgemeinen Zielsetzung der Assoziierung als auch hinsichtlich der konkreten Ziele der Zusammenarbeit zwischen der EU und dem MERCOSUR - eindeutig auf die Stärkung der Gruppe, was in der gegenwärtigen Situation wichtiger ist denn je. In Bezug auf eine der augenblicklich wichtigsten Prioritäten des MERCOSUR - ein höheres Maß an Koordinierung zwischen den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Mitgliedsländer - könnte die EU in Anbetracht ihrer Erfahrungen beim Aufbau des Gemeinsamen Marktes bzw. der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) einen erheblichen Beitrag zur Konsolidierung des regionalen Raums MERCOSUR leisten. Eine der Prioritäten, die in der Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Folgemaßnahmen zum ersten Gipfeltreffen zwischen Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union(8) genannt werden, ist eben diese Unterstützung der Zusammenarbeit im makroökonomischen Bereich mit dem Ziel, zur Finanzstabilität der Region beizutragen und die regionale Integration in den Wirtschafts- und Finanzsektoren zu fördern.

4.8.8. Die zu dem Ende März 2001 begonnenen Anpassungsprogramm gehörende Entscheidung der argentinischen Regierung, vorübergehend die Einfuhrzölle auf Konsumgüter auf 35 % anzuheben und die für Investitionsgüter geltenden Zölle auf Produkte aus Ländern außerhalb des MERCOSUR auf 0 % zu senken, hat gezeigt, wie wichtig es ist zu vermeiden, dass das makroökonomische Ungleichgewicht zu Maßnahmen mit negativen Auswirkungen auf den regionalen Integrationsprozess des MERCOSUR und möglicherweise auf Drittländer führt. Auch wenn eine Bewertung der Konsequenzen dieser Maßnahme - die den gemeinsamen Außenhandelszoll des MERCOSUR auf europäische Exporte unterläuft - von einer detaillierteren Untersuchung der sektoralen Auswirkungen abhängt, unterstreicht die Entscheidung doch, dass es für die EU wichtig ist, die Wirtschaftsbeziehungen mit dem MERCOSUR auf wechselseitige und verbindliche Zugeständnisse zu gründen.

5. Die soziale Dimension und die Beteiligung der Zivilgesellschaft

5.1. Die Intensivierung der Kontakte mit dem MERCOSUR und Chile muss ein vorrangiges strategisches Ziel der EU-Außenpolitik und eine Priorität bei den Beziehungen mit Lateinamerika darstellen. In den laufenden Verhandlungen kann die EU ihre Absicht unter Beweis stellen, ihre Kontakte mit einer Region, die mit Europa geschichtlich und kulturell eng verbunden ist, auszubauen und die Zusammenarbeit mit einer der wichtigsten Regionen der Welt zum gegenseitigen Vorteil zu verstärken. Der biregionale Charakter der Verhandlungen mit dem MERCOSUR (es handelt sich um Verhandlungen zwischen zwei Integrationsorganisationen) und die ganze Art des Assoziierungsprozesses mit dem MERCOSUR und Chile weisen auf einen neuen Typ der Beziehung zwischen den Regionen hin. Dieser könnte als Modell in einer Welt der zunehmenden Globalisierung und gegenseitigen Abhängigkeit dienen.

5.2. Nach Auffassung des Ausschusses bieten die gegenwärtige Phase der Intensivierung der Kontakte mit dem MERCOSUR und Chile sowie die zukünftigen Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile eine hervorragende Gelegenheit zur Umsetzung der Bestimmungen der vom Europäischen Rat in Nizza (7.-9. Dezember 2000) verabschiedeten Europäischen Sozialagenda, in der die Stärkung der sozialen Dimension der Außenbeziehungen der EU empfohlen wird. Die EU kann einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der sozialen Dimension der regionalen Integration im Cono Sur leisten, vor allem durch die Verwirklichung der Grundsätze der 1998 verabschiedeten Erklärungen zur Sozial- und Beschäftigungspolitik. Deshalb begrüßt der Ausschuss die Initiative zur Unterstützung eines Kooperationsprojekts, das die soziale und beschäftigungspolitische Dimension des MERCOSUR hervorheben und im Rahmen des Interregionalen Rahmenabkommens über die Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR verwirklicht werden soll.

5.3. Der Ausschuss ist mit der Definition in der Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Folgemaßnahmen zum ersten Gipfeltreffen zwischen Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union insofern einverstanden, als die Unterstützung der empfindlichsten Gesellschaftsgruppen und die Bekämpfung der Armut höchste Priorität bei der Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR und Chile haben müssen. In dieser Hinsicht stimmen die Ziele der EU mit denen des MERCOSUR und Chiles vollkommen überein. Diese Ziele finden sich z. B. in der Charta von Buenos Aires über das soziale Engagement im MERCOSUR sowie in Bolivien und Chile, die von den Präsidenten der sechs Länder am 30. Juni 2000 verabschiedet wurde und in der die große Verantwortung des Staates bei der Schaffung politischer Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut und zur Unterstützung der diesbezüglichen Aktionen der Zivilgesellschaft herausgestellt wird. Andererseits weist der Ausschuss im Hinblick auf die Verringerung der EU-Mittel für die Zusammenarbeit mit dem MERCOSUR und Chile in den letzten Jahren auf die Notwendigkeit hin, dass das Engagement der EU in diesem Bereich das hohe Niveau der Mittelzuteilung wie in vergangenen Zeiten erreicht, um so einen wirkungsvollen Beitrag zur Armutsbekämpfung in diesen Ländern leisten zu können.

5.4. Der WSA begrüßt die am 15. Dezember 2000 verabschiedete Erklärung der Präsidenten zu den Grundrechten der Verbraucher des MERCOSUR, in der sich die Staaten zur Wahrung einer Reihe von fundamentalen Rechten verpflichten, z. B. des Rechts auf wirksamen Schutz des Lebens, der Gesundheit, der Umwelt und der Verbraucher. Sie verpflichten sich darüber hinaus zur Bereitstellung von öffentlichen und privaten Diensten und von sicheren und angemessenen Produkten sowie zur Erleichterung des Zugangs zu Rechts- und Verwaltungsorganen mit dem Ziel des Schutzes der individuellen und kollektiven Verbraucherinteressen. Diese Erklärung bedeutet einen wichtigen Schritt bei der Abstimmung der regionalen Integration auf die Interessen und Sorgen der Bürger. Sie stimmt dabei vollkommen mit den Anstrengungen der EU überein, die Integration der Märkte mit dem Verbraucherschutz in Einklang zu bringen. Des Weiteren bietet sie neue Möglichkeiten zur interregionalen Zusammenarbeit.

5.5. In Anbetracht des Fernziels der Handelsliberalisierung und der Marktöffnung empfiehlt der Ausschuss, dass in den zukünftigen Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile ausdrücklich auf die fundamentalen Arbeitsrechte in der Erklärung der Grundsätze der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) von 1998 hingewiesen wird. Diese Rechte gehören zu einer Sammlung von Prinzipien, die neben Menschenrechten auch weitere Prinzipien der Demokratie und des Rechtstaates umfassen und die als Grundlage für die neuen Abkommen dienen können. Die Berücksichtigung dieser Prinzipien wird dazu beitragen, das vorrangige Ziel der Förderung und den Schutz der Menschenrechte (einschließlich wirtschaftlicher und sozialer Rechte) zu erreichen, so wie es in der Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Folgemaßnahmen zum ersten Gipfeltreffen zwischen Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union formuliert wird.

5.6. Die aktive Beteiligung der verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass dauerhafte und intensive Kontakte zwischen der EU und dem MERCOSUR und Chile erreicht werden und dass die zukünftigen Assoziierungsabkommen auf festen Beziehungen zwischen den Gesellschaften beider Regionen gründen. Der Ausschuss wertet es positiv, dass in den unterschiedlichen Foren über die Zusammenarbeit und den regionalen Dialog zunehmend erkannt wird, wie wichtig die Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure sowie der Akteure aus anderen Sektoren der organisierten Zivilgesellschaft ist. Hiervon zeugen die folgenden Fälle:

- In der Erklärung der Konferenz der Außenminister der EU und der Gruppe von Rio, die am 23. März 2001 in Santiago de Chile stattfand, wird die Bedeutung der Förderung und Intensivierung des Handels und der Zusammenarbeit zwischen den Zivilgesellschaften der beiden Regionen herausgestellt.

- In dem Kommuniqué der Konferenz der Außenminister der EU und des MERCOSUR, Chiles und Boliviens, die Februar 2000 in Valamoura stattfand, werden die Bedeutung des Beitrags der neuen Akteure, Partner und Mittel der Zivilgesellschaft sowie die Bedeutung der Förderung des Handels und der Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft der beiden Regionen betont.

- In ihrer Mitteilung über die Folgemaßnahmen zum ersten Gipfeltreffen zwischen Lateinamerika, der Karibik und der Europäischen Union schlägt die Europäische Kommission vor, den Dialog und die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit den wirtschaftlichen Akteuren zu einer Priorität der Beziehungen mit dem MERCOSUR und Chile zu machen.

- Bei dem letzten Gipfeltreffen der Präsidenten des MERCOSUR, Chiles und Boliviens am 14. und 15. Dezember 2000 wurde die Bedeutung der Beteiligung der Zivilgesellschaft an dem Integrationsprozess und insbesondere des Wirtschafts- und Sozialausschusses hervorgehoben.

- In den beiden Entschließungen vom 1. März 2001 empfiehlt das Europäische Parlament, dass die künftigen Assoziierungsabkommen die strukturierte Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen Dialog erlauben, z. B. durch die Veranstaltung regelmäßiger Konferenzen mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft der EU, des MERCOSUR und Chiles oder die beobachtende Teilnahme dieser Vertreter an den Ministerkonferenzen und den Foren über den Dialog und die interregionale Zusammenarbeit.

5.7. Für den erfolgreichen Abschluss der laufenden Verhandlungen zwischen der EU und dem MERCOSUR und Chile ist es unabdingbar, die Zivilgesellschaft über den Stand der Debatten hinreichend zu informieren; dies gilt insbesondere für die Vertreter der Interessen, die von den im Rahmen der Verhandlungen getroffenen Entscheidungen am stärksten betroffen sind. Größtmögliche Transparenz und geeignete Mechanismen zur Kanalisierung der Erwartungen und Vorschläge der verschiedenen Sektoren der organisierten Zivilgesellschaft sind Faktoren, die die Rechtmäßigkeit des Verhandlungsprozesses und die gesellschaftliche Unterstützung für die Ziele der Verhandlungsziele entscheidend stärken.

5.8. Der Ausschuss begrüßt deshalb das Abkommen, das am 23. März 2001 auf der letzten Ministerkonferenz zwischen der EU, dem MERCOSUR, Bolivien und Chile in Santiago de Chile verabschiedet wurde. Dessen Ziel ist die Durchführung regelmäßiger Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaften, um so den Austausch und die Zusammenarbeit zu fördern, über die Entwicklung der laufenden Verhandlungen zu informieren und Vorschläge für die weitere Entwicklung zusammenzutragen. Der Ausschuss wünscht deshalb den baldigen Beginn der konkreten Initiativen auf der Grundlage dieses Abkommens. Darüber hinaus begrüßt der Ausschuss die Absicht der Europäischen Kommission, die organisierte Zivilgesellschaft in die Verhandlungen mit dem MERCOSUR und Chile einzubeziehen. Diese Absicht wurde am 12. Oktober 2000 auf der von der Kommission organisierten Konferenz bekundet, an welcher eine große Zahl der unterschiedlichsten Vertreter der europäischen Zivilgesellschaft teilnahmen. Es ist ebenfalls Wunsch des Ausschusses, dass zukünftig derartige Veranstaltungen regelmäßig stattfinden. Der Ausschuss befürwortet des Weiteren die Konsolidierung der Tätigkeiten des MEBF zwecks Annäherung an den MERCOSUR und begrüßt das Erste Gipfeltreffen der Unternehmer in der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik, das am 20. und 21. November 2000 stattfand und bei dem festgestellt wurde, dass Unternehmenskooperationen zur Erleichterung der interregionalen Verhandlungen beitragen können.

5.9. Die zukünftigen Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR und Chile müssen die Zusammenarbeit und die unmittelbaren Kontakte zwischen den Akteuren der Zivilgesellschaft erleichtern. Sie müssen zudem sicherstellen, dass diese Akteure eine zentrale Position innerhalb der interregionalen Beziehungen einnehmen. Neben der bereits gebilligten Einrichtung eines CCM im Rahmen der institutionellen Struktur der Abkommen müssen die Organisationen, die die sozialen Interessen vertreten, eine zentrale und aktive Rolle bei der Durchführung verschiedener Programme und Aktionen zur Zusammenarbeit annehmen. Sie leisten auf diese Weise einen Beitrag zu den Prinzipien des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und reagieren auf die Notwendigkeit, das Ungleichgewicht zwischen sozialen Sektoren und Regionen zu vermindern. Als vorrangig ist auch die Förderung von Aktionen zu erachten, die von den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren durchgeführt werden mit dem Ziel der Erleichterung der direkten Zusammenarbeit zwischen den Organisationen, die die Bürger der EU, des MERCOSUR und Chiles vertreten. Deshalb spielen die Bürger die eigentliche Hauptrolle in den neuen Beziehungen der Assoziation.

Brüssel, den 12. Juli 2001.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Göke Frerichs

(1) ABl. C 169 vom 16.6.1999.

(2) ABl. C 18 vom 22.1.1996.

(3) ABl. C 407 vom 28.12.1998.

(4) KOM(2000) 670 endg. vom 31.10.2000.

(5) Handelsdaten von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) ("Periodic Note on Integration and Trade in the Americas", Dezember 2000) sowie von EUROSTAT.

(6) A4-0508/1998 vom 15.1.1999.

(7) A5-0049/2001 und A5-0050/2001 vom 6.2.2001.

(8) KOM(2000) 670 endg., 31.10.2000.

ANHANG

zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender Änderungsantrag, der mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen erhalten hat, wurde vom Ausschuss im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 4.7

Ersetzen durch:

"Die MERCOSUR-Länder sind Erzeuger von Agrarprodukten aus tropischen und gemäßigten Klimazonen. 1999 waren sie der drittgrößte Lieferant der Europäischen Union für europäische Agrarerzeugnisse aus gemäßigten Klimazonen (12 % der Einfuhren stammen aus dem MERCOSUR und aus Chile). Diese Einfuhren konzentrieren sich auf Erzeugnisse, die wenig bis gar nicht geschützt sind (Obst und Gemüse sowie Ölsaaten). Jedoch verfügen die MERCOSUR-Länder noch über Spielräume für Produktivitätssteigerungen bei anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Europäischen Union, die schon jetzt einem starken Wettbewerb ausgesetzt sind:

- Rindfleisch, dessen Absatz durch eine Vertrauenskrise bei den Verbrauchern beeinträchtigt wird,

- Gefluegel, das auf den internationalen Märkten einem starken Wettbewerb ausgesetzt ist,

- Ölsaaten, deren Produktion angesichts der Abhängigkeit Europas von pflanzlichem Eiweiß ausgebaut werden muss.

Darüber hinaus scheinen die möglichen Exportzuwächse für den europäischen Landwirtschafts- und Ernährungssektor insofern sehr beschränkt zu sein, als dieser Sektor in den MERCOSUR-Ländern stark expandiert. Daher ist der Agraraspekt der EU-MERCOSUR-Beziehungen ein kritischer Punkt für die europäische Landwirtschaft.

Das Funktionieren und die Verwaltung des MERCOSUR-Marktes unterscheidet sich im Übrigen stark von der Situation auf dem europäischen Binnenmarkt und berücksichtigt keineswegs die Erwartungshaltung der Verbraucher in Bezug auf die Rückverfolgbarkeit der Erzeugnisse in der Nahrungsmittelkette und die Feststellbarkeit der Qualität.

Schließlich erforderten die GAP-Reformen und die Erfuellung der in der Uruguay-Runde eingegangenen Verpflichtungen eine erhebliche und beständige Senkung der Agrarzuschüsse in der Europäischen Union. Diese Entwicklung steht z. B. im Gegensatz zur Erhöhung der Subventionen in den Vereinigten Staaten und der Aufstockung der Exportkreditgarantien für die Landwirtschaft dieses Staates, die keiner multilateralen Kontrolle unterliegen. Die GAP muss sich darüber hinaus den mit dem Erfolg der EU-Erweiterung verknüpften Fristen und Herausforderungen sowie den Gesundheitsschutzproblemen stellen. Die Verhandlungen mit den MERCOSUR-Ländern, die im Rahmen eines breiter angelegten Prozesses, der auch soziale Aspekte und Menschenrechte einschließt, geführt werden, müssen auch andere als wirtschaftliche Überlegungen berücksichtigen (Gesundheitsschutz, Anbau- und Haltungsmethoden, Tierschutz) und das europäische Agrar- und Ernährungsmodell anerkennen. Daher dürfen sich die Agrarhandelsbeziehungen zwischen der EU und dem MERCOSUR nicht auf die Problematik des Marktzugangs beschränken."

Begründung

Die europäische Landwirtschaft steht im direktem Wettbewerb mit den Agrarerzeugnissen aus den MERCOSUR-Ländern, die nicht den gleichen Beschränkungen in Bezug auf den Gesundheits-, Umwelt- und Tierschutz unterliegen. Da es bei den Beziehungen mit dem MERCOSUR nicht nur um Handelsaspekte geht, dürfen sich die Agrarverhandlungen nicht auf die Handelsbedingungen beschränken.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 19, Nein-Stimmen: 43, Stimmenthaltungen: 11.

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