Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52000DC0066

    Weißbuch zur Umwelthaftung

    /* KOM/2000/0066 endg. */

    52000DC0066

    Weißbuch zur Umwelthaftung /* KOM/2000/0066 endg. */


    WEISSBUCH ZUR UMWELTHAFTUNG

    (Von der Kommission vorgelegt)

    WEISSBUCH ZUR UMWELTHAFTUNG

    Einleitung

    Wir sehen uns heute schweren, vom Menschen verursachten Umweltschäden gegenüber. Der jüngste Vorfall im Zusammenhang mit dem Tanker Erika führte zu einer umfangreichen Verschmutzung der französischen Küste; Hunderttausende von Seevögeln und andere Tiere mußten leiden und einen qualvollen Tod sterben. Dies war nicht der erste Fall einer Ölverseuchung des Meeres mit schlimmen Folgen für die Umwelt. Vor einigen Jahren gab es in der Nähe des Naturschutzgebietes Doñana in Südspanien eine Umweltkatastrophe anderer Art, als ein Staudamm mit einer großen Menge giftigen Wassers brach und der Umgebung, u.a. auch unzähligen unter Schutz stehenden Vögeln, schwerer Schaden zugefügt wurde. Diese und andere Vorfälle werfen die Frage auf, wer für die Beseitigung der Verschmutzung und die Wiederherstellung der Umwelt aufkommen sollte. Sollte die Gesellschaft insgesamt - d.h. der Steuerzahler - dafür zahlen, oder sollte der Verursacher der Verschmutzung, wenn dieser zu ermitteln ist, dafür aufkommen-

    Im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Erzeugnissen sind die Befürchtungen der Öffentlichkeit groß, daß diese gesundheits- bzw. umweltschädlich sein könnten. Daher wird die Forderung erhoben, daß die Verantwortlichen dafür haften müßten.

    Die Haftbarmachung der für Aktivitäten, die Umweltrisiken beinhalten, Verantwortlichen ist eine Möglichkeit, sicherzustellen, daß man größere Vorsicht walten läßt und Umweltschäden zu vermeiden sucht. Dies bedeutet, daß beim Eintreten von Schäden infolge solcher Aktivitäten, der hierfür Verantwortliche (der Betreiber) und tatsächliche Verursacher der Verschmutzung die Wiederherstellungskosten zu tragen hat.

    In diesem Weißbuch werden die Grundlagen für eine künftige Umwelthaftungsregelung der EG dargelegt, die das Verursacherprinzip anwendet. Es werden die wichtigsten Elemente einer effizienten und anwendbaren Regelung angeführt.

    Die vorgeschlagene Regelung soll nicht nur für Personen- und Sachschäden und die Kontaminierung von Standorten gelten, sondern auch für die Schädigung der natürlichen Umwelt, insbesondere der natürlichen Ressourcen, die im Hinblick auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt in der Gemeinschaft von Bedeutung sind (Gebiete und Arten, die im Rahmen des Netzes Natura 2000 geschützt sind). Bisher ist dies noch nicht Gegenstand der Umwelthaftungsregelungen in den Mitgliedstaaten.

    Die Haftung für eine Schädigung der natürlichen Umwelt ist die Voraussetzung dafür, daß sich die Wirtschaftsakteure für mögliche nachteilige Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Umwelt verantwortlich fühlen. Derzeit existiert ein solches Verantwortungsbewußtsein in Fragen der menschlichen Gesundheit oder des Eigentums. Hierfür gibt es - in unterschiedlicher Form - auf nationaler Ebene bereits eine Umwelthaftung, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Umwelt selbst. Die Umwelt wird als "Eigentum der Allgemeinheit" betrachtet, für das die Gesellschaft insgesamt verantwortlich ist, und nicht eine einzelne Partei, die Schäden verursacht hat. Die Haftung ist ein Weg, den Menschen zum Bewußtsein zu bringen, daß sie selbst für mögliche Folgen ihrer Handlungen auf die Umwelt verantwortlich sind. Diese erhoffte neue Einstellung dürfte zu größerer Vorsicht und Vorbeugungsmaßnahmen führen.

    ZUSAMMENFASSUNG

    In diesem Weißbuch werden mehrere Möglichkeiten untersucht, wie ein EG-Umwelthaftungssystem ausgestaltet werden kann, um die Anwendung der Umweltgrundsätze des EG-Vertrages sowie die Umsetzung der gemeinschaftlichen Umweltgesetzgebung zu verbessern und eine ausreichende Sanierung der Umwelt sicherzustellen. Diesem Weißbuch vorausgegangen sind ein Grünbuch der Kommission aus dem Jahre 1993, eine Gemeinsame Anhörung mit dem Europäischen Parlament im gleichen Jahr, eine Entschließung des Parlaments mit der Forderung nach dem Erlaß einer EG-Richtlinie, eine Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses von 1994 sowie die Entscheidung der Kommission vom Januar 1997, ein Weißbuch vorzulegen. Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat sich zustimmend zu einer Gemeinschaftsaktion auf diesem Gebiet geäußert, wozu auch einige Anmerkungen zu zählen sind, in denen es um die Notwendigkeit der Haftung für Umweltschäden im Zusammenhang mit genetisch veränderten Organismen (GVO) geht. Während der Erarbeitung des Weißbuchs fanden Konsultationen mit verschiedenen Beteiligten statt.

    Umwelthaftung ist ein Instrument, mit dem der Verursacher von Umweltschäden (der Umweltverschmutzer) zur Zahlung der Kosten für die Beseitigung der von ihm verursachten Schäden gezwungen wird. Umwelthaftung greift nur dann, wenn feststellbare Verursacher vorhanden sind, der Schaden meßbar ist und ein ursächlicher Zusammenhang aufgezeigt werden kann. Sie ist jedoch kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung diffuser Verschmutzungen aus unterschiedlichen Quellen. Zu den Gründen, ein EG-Umwelthaftungssystem zu schaffen, zählen eine verbesserte Anwendung der zentralen Umweltgrundsätze (Verursacher-, Vorsorge- und Vorbeugeprinzip) und bestehender EG-Umweltschutzvorschriften, die Notwendigkeit, die Dekontaminierung und Sanierung der Umwelt sicherzustellen, eine bessere Integration der Umwelt in andere Politikbereiche sowie ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes. Von der Umwelthaftung sollten Anreize für ein umweltbewußteres Verhalten der Unternehmen ausgehen und auf diese Weise eine präventive Wirkung erzielt werden, wobei vieles vom Inhalt und von den Einzelheiten des Systems abhängig ist.

    Zu den möglichen wichtigen Merkmalen eines Gemeinschaftssystems, die im folgenden beschrieben werden, gehören: keine Rückwirkung (Anwendung nur auf künftige Umweltschäden); Abdeckung sowohl von Umweltschäden (Altlasten und Schädigung der biologischen Vielfalt) und Schäden im herkömmlichen Sinne (gesundheitliche und Sachschädigungen); ein begrenzter, mit den EG-Umweltschutzvorschriften verknüpfter Anwendungsbereich: Altlasten und Schäden im herkömmlichen Sinne sind lediglich eingeschlossen, wenn diese von einer in einer gemeinschaftlichen Regelung erfaßten gefährlichen bzw. potentiell gefährlichen Tätigkeit verursacht wurden; Schädigungen der biologischen Vielfalt nur in durch Natura 2000 geschützten Gebieten; verschuldensunabhängige Haftung für von inhärent gefährlichen Tätigkeiten verursachte Schäden, verschuldensabhängige Haftung für Vergehen, die zu Schädigungen der biologischen Vielfalt durch eine ungefährliche Tätigkeit geführt haben; [1] allgemein anerkannte Rechtfertigungsgründe, eine gewisse Erleichterung der Beweislast zugunsten des Klägers sowie in angemessener Weise zugunsten des Beklagten, Haftung vornehmlich durch den für die schadenverursachende Tätigkeit verantwortlichen Betreiber; Kriterien für die Bewertung und Vorgehensweise bei den einzelnen Schadensarten; Verpflichtung, die vom Verursacher geleisteten Entschädigungszahlungen zur Sanierung des Umweltschadens einzusetzen; verbesserter Zugang zu den Gerichten in Umweltschadensfällen; Gewährleistung der Vereinbarkeit mit internationalen Übereinkommen; Sicherstellung der Deckungsvorsorge für potentielle Haftungsansprüche; Arbeit mit den Märkten.

    [1] Siehe schematische Darstellung des potentiellen Umfangs eines solchen Systems im Anhang dieser Zusammenfassung.

    Es werden verschiedene Optionen für Gemeinschaftsaktionen vorgestellt und bewertet: Beitritt der Gemeinschaft zum Lugano-Übereinkommen; ein nur für grenzüberschreitende Schäden geltendes System; Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Gemeinschaftsempfehlung; eine Gemeinschaftsrichtlinie sowie eine sektorspezifische Haftung auf dem Gebiet der Biotechnologie. Bei jeder dieser Möglichkeiten werden Argumente dafür und dagegen angeführt, wobei eine Gemeinschaftsrichtlinie als konsequenteste Maßnahme angesehen wird. Gerechtfertigt ist eine auf diesen Bereich ausgerichtete Richtlinie unter dem Gesichtspunkt von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und wegen der Unmöglichkeit, auf der Ebene der Mitgliedstaaten mit jeweils eigenen Maßnahmen gegen alle Aspekte von Umweltschäden vorzugehen. Weitere Gründe sind die integrierende Wirkung, die von einer allgemeinen Durchsetzung über das Gemeinschaftsrecht ausgehen und die Flexibilität eines gemeinschaftlichen Ordnungsrahmens, mit dem die Ziele und Ergebnisse bestimmt werden, während die Mittel und Wege, diese zu erreichen, den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber Drittländern dürfte sich ein solches Umwelthaftungssystem kaum auswirken, denn wie die in diesem Zusammenhang ausgewerteten Erfahrungen mit bestehenden Umwelthaftungssystemen zeigen, kam es zu keinen unverhältnismäßig hohen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft des betreffenden Landes. Die Folgen für KMU und Finanzdienstleister sowie die bedeutende Frage der Versicherbarkeit der Kernelemente des Systems werden untersucht. Die Wirksamkeit eines jeden Umwelthaftungssystems hängt von einem funktionierenden Deckungsvorsorgesystem ab, das hinsichtlich der Umwelthaftung auf Rechtssicherheit und Transparenz basieren muß. Das System sollte so gestaltet sein, daß die Transaktionskosten so gering wie möglich gehalten werden.

    Die Schlußfolgerung des Weißbuchs lautet, daß die geeignetste Lösung eine Rahmenrichtlinie wäre, in der folgendes festgelegt ist: eine verschuldensunabhängige Haftung für Schäden infolge gefährlicher, Gemeinschaftsregelungen unterliegender Tätigkeiten (einschließlich Rechtfertigungsgründen) sowohl für Umweltschäden als auch Schäden im herkömmlichen Sinne sowie eine verschuldensabhängige Haftung für Schädigungen der biologischen Vielfalt infolge von ungefährlichen Aktivitäten. Die Einzelheiten einer solchen Richtlinie müßten im Rahmen von Konsultationen weiter präzisiert werden. Die Organe der Gemeinschaft sowie alle Beteiligten sind aufgefordert, sich mit dem Weißbuch auseinanderzusetzen und Stellungnahmen bis zum 1. Juli 2000 einzureichen.

    ANHANG

    Möglicher Umfang eines Gemeinschaftlichen Umwelthaftungssystems

    TGRAPH

    INHALT

    1. EINFÜHRUNG

    1.1. Zielsetzung des Weißbuchs

    1.2. Aufbau des Weißbuchs

    1.3. Hintergrund und institutioneller Kontext

    1.3.1. Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden

    1.3.2. Standpunkt des Europäischen Parlaments

    1.3.3. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    1.3.4. Entscheidung der Kommission für ein Weißbuch

    1.3.5. Haltung der Mitgliedstaaten

    1.3.6. Konsultationsverfahren

    2. Was bedeutet Umwelthaftung-

    2.1 Ziel der Umwelthaftung

    2.2. Arten von Umweltschäden, für die die Haftung angebracht ist

    3. Argumente für ein Umwelthaftungssystem der Gemeinschaft und die erwarteten Auswirkungen

    3.1. Durchsetzung der zentralen Umweltgrundsätze des EG-Vertrags

    3.2. Sicherung der Dekontaminierung und Sanierung der Umwelt

    3.3. Stärkung der Umsetzung des Umweltrechts der Gemeinschaft

    3.4. Herbeiführung einer besseren Integration

    3.5. Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes

    3.6. Erwartete Auswirkungen

    4. Mögliche Merkmale eines Umwelthaftungssystems der Gemeinschaft

    4.1. Keine Rückwirkung

    4.2. Anwendungsbereich des Systems

    4.2.1. Zu erfassende Schäden

    4.2.2. Zu erfassende Aktivitäten

    4.3. Art der Haftung, die zulässigen Rechtfertigungsgründe und die Beweislast

    4.4. Wer soll haften-

    4.5. Kriterien für die verschiedenen Schadensarten

    4.5.1. Schädigung der biologischen Vielfalt

    4.5.2. Altlasten

    4.5.3 Schäden im herkömmlichen Sinne

    4.5.4 Das Verhältnis zur Produkthaftungsrichtlinie

    4.6. Gewährleistung einer effektiven Dekontaminierung und Sanierung der Umwelt

    4.7. Zugang zu den Gerichten

    4.7.1. "Zweistufiges Konzept": Der Staat sollte an erster Stelle verantwortlich sein

    4.7.2. Dringende Fälle (einstweilige Verfügungen, Kosten von Schutzmaßnahmen)

    4.7.3. Gewährleistung ausreichender Sachkenntnis und Vermeidung unnötiger Kosten

    4.8. Verhältnis zu internationalen Übereinkommen

    4.9. Deckungsvorsorge

    5. Verschiedene Möglichkeiten für Massnahmen der Gemeinschaft

    5.1. Beitritt der Gemeinschaft zum Lugano-Übereinkommen

    5.2. Ein nur für grenzüberschreitende Schäden geltendes System

    5.3. Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Gemeinschaftsempfehlung

    5.4. Eine Gemeinschaftsrichtlinie

    5.5. Sektorspezifische Haftung auf dem Gebiet der Biotechnologie

    6. Subsidiarität und Verhältnismässigkeit

    7. Wirtschaftliche Auswirkungen der Umwelthaftung auf EG-Ebene

    8. FAZIT

    1. Einführung

    1.1. Zielsetzung des Weißbuchs

    In Artikel 174 Absatz 2 des EG-Vertrags heißt es:

    Die Umweltpolitik der Gemeinschaft "beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip."

    Ziel dieses Weißbuchs ist es zu erforschen, wie das Verursacherprinzip am wirksamsten für diese Ziele der gemeinschaftlichen Umweltpolitik eingesetzt werden kann, wobei das Hauptziel dieser Politik, nämlich die Vermeidung von Umweltschäden, stets im Vordergrund stehen sollte.

    Auf dieser Grundlage wird untersucht, wie eine gemeinschaftliche Umwelthaftung am besten ausgestaltet werden kann, um die Anwendung der Umweltgrundsätze des EG-Vertrages zu verbessern und die Sanierung der Umweltschäden sicherzustellen. Im Weißbuch wird ferner untersucht, wie eine EG-Umwelthaftungsregelung dazu beitragen kann, die Durchsetzung des gemeinschaftlichen Umweltrechts zu verbessern, und wird eine Prüfung der möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Gemeinschaftsaktion vorgenommen.

    1.2. Aufbau des Weißbuchs

    Nach einem einleitenden Teil mit einigen Hintergrundinformationen und einer Erklärung des Ziels der Umwelthaftung in den Abschnitten 1 und 2 wird im Abschnitt 3 des Weißbuchs ein EG-Umwelthaftungssystem vorgestellt. Abschnitt 4 enthält einige mögliche Merkmale eines Gemeinschaftssystems, und im darauffolgenden Abschnitt werden verschiedene Möglichkeiten für ein solches System erörtert und miteinander verglichen. Während sich Abschnitt 6 mit dieser Frage aus der Sicht der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit beschäftigt, untersucht Abschnitt 7 die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Umwelthaftungssystems der Gemeinschaft. In Abschnitt 8 schließlich wird ein Fazit gezogen, und die nächsten Schritte werden dargelegt.

    1.3. Hintergrund und institutioneller Kontext

    1.3.1. Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden

    Im Mai 1993 veröffentlichte die Kommission ihr Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden [2]. Aus den Mitgliedstaaten, der Industrie, von Umweltgruppen und anderen Beteiligten gingen über 100 Anmerkungen ein, und anhaltende Konsultationen schlossen sich an. Parlament und Kommission führten im November 1993 eine gemeinsame öffentliche Anhörung durch.

    [2] Mitteilung vom 14. Mai 1993 (KOM(93)47 endg.) an den Rat, das Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß.

    1.3.2. Standpunkt des Europäischen Parlaments

    Im April 1994 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung an, in der die Kommission aufgerufen wird, "einen Vorschlag für eine Richtlinie über die zivilrechtliche Haftung für (zukünftige) Umweltschäden" [3] zu unterbreiten. In dieser Entschließung wandte das Parlament erstmalig Artikel 192 Absatz 2 (ex-Artikel 138b Absatz 2) EG-Vertrag an, der es ihm ermöglicht, die Kommission aufzufordern, Vorschläge für Gemeinschaftsakte zu unterbreiten. Seither wurde die Frage der Umwelthaftung vom Parlament bei verschiedenen Anlässen aufgeworfen, darunter in den Jahresarbeitsprogrammen der Kommission, bei parlamentarischen Anfragen und in Schreiben an die Kommission.

    [3] Entschließung vom 20.4.94 (ABl. C 128/165).

    In seinem Fragebogen für die designierten Kommissare in Vorbereitung auf die Anhörungen stellte das Parlament erneut diese Frage und brachte wiederum zum Ausdruck, daß Gemeinschaftsvorschriften auf diesem Gebiet dringend erforderlich sind. Es unterstrich insbesondere die Notwendigkeit, Haftungsklauseln in das bestehende Gemeinschaftsrecht zur Biotechnologie aufzunehmen.

    1.3.3. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Der Wirtschafts- und Sozialausschuß verabschiedete am 23. Februar 1994 eine detaillierte Stellungnahme zum Grünbuch, in der eine Gemeinschaftsmaßnahme zur Haftung für Umweltschäden befürwortet und vorgeschlagen wurde, daß diese die Form einer Rahmenrichtlinie ausgehend von den Artikeln 174 und 175 (ex-Artikel 130r und 130s) EG-Vertrag haben könnte [4].

    [4] Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 23.2.94 (CES 226/94).

    1.3.4. Entscheidung der Kommission für ein Weißbuch

    Im Anschluß an die Orientierungsdebatte am 29. Januar 1997 beschloß die Kommission angesichts der Notwendigkeit, auf die Entschließung des Europäischen Parlaments von 1994 eine Antwort zu geben, daß ein Weißbuch zur Umwelthaftung erarbeitet werden sollte [5]

    [5] In Vorbereitung einer EG-Politik auf diesem Gebiet wurden vier Studien durchgeführt. Zusammenfassungen dieser Studien stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung.

    1.3.5. Haltung der Mitgliedstaaten

    Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat sich offiziell oder inoffiziell zustimmend zur Gemeinschaftsaktion auf dem Gebiet der Umwelthaftung im allgemeinen geäußert (Österreich, Belgien, Finnland, Griechenland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Schweden). Von anderen Mitgliedstaaten ist bekannt, daß sie Vorschläge der Kommission abwarten, bevor sie eigene Gesetze auf diesem Gebiet verabschieden, vornehmlich im Hinblick auf die Haftung für eine Schädigung der biologischen Vielfalt. Ferner erklärten Österreich, Belgien, Finnland, Deutschland, die Niederlande, Spanien und Schweden vor kurzem im Rat, daß sie die Absicht der Kommission begrüßen, im Zusammenhang mit dem zu erwartenden Weißbuch zur Haftung die Frage der Haftung für Umweltschäden in Verbindung mit der absichtlichen Freisetzung von GVO und deren Inverkehrbringen zu bewerten. Das Vereinigte Königreich hat kürzlich die Kommission aufgefordert, als eine Frage der Priorität die Machbarkeit und mögliche Kriterien für ein Haftungssystem oder -systeme zur Freisetzung und Vermarktung von GVO in Erwägung zu ziehen. Die Haltung der anderen Mitgliedstaaten ist noch nicht eindeutig.

    1.3.6. Konsultationsverfahren

    Während der Erarbeitung des Weißbuchs fanden Konsultationen mit unabhängigen Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten, mit nationalen Experten aus den Mitgliedstaaten und Betroffenen statt, von denen viele auch schriftliche Bemerkungen zu den inoffiziellen Arbeitspapieren, die ihnen in dieser Zeit zugegangen waren, einreichten. Die dargelegten Ansichten waren recht verschieden, u. a. was die Notwendigkeit gemeinschaftlicher Aktionen betrifft. Ein Kurzbericht zu den Bemerkungen der Betroffenen steht auf Anfrage zur Verfügung.

    2. Was bedeutet Umwelthaftung-

    2.1 Ziel der Umwelthaftung

    Umwelthaftung zielt darauf ab, den Verursacher von Umweltschäden (d. h. den Umweltverschmutzer) zur Zahlung der Kosten für die Beseitigung der von ihm verursachten Schäden zu zwingen.

    Umweltschutzvorschriften enthalten Normen und Verfahren, die auf den Erhalt der Umwelt gerichtet sind. Ohne Haftung kann die Nichteinhaltung von bestehenden Normen und Verfahren lediglich zu administrativen oder Strafmaßnahmen führen. Wenn jedoch die Haftung in die Vorschriften aufgenommen wird, werden potentielle Umweltverschmutzer auch für die Sanierung bzw. Wiederherstellung der von ihnen verursachten Umweltschäden aufkommen müssen.

    2.2. Arten von Umweltschäden, für die die Haftung angebracht ist

    Nicht alle Formen der Umweltschäden können durch Haftung behoben werden. Damit die Haftung greift,

    - müssen ein (oder mehrere) feststellbare Akteure (Verursacher) vorhanden sein

    - muß der Schaden konkret und meßbar sein und

    - muß ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem/den feststellbaren Verursacher(n) ermittelt werden.

    Demzufolge ist eine Haftung beispielsweise anwendbar, wenn die Schäden durch Industrieunfälle oder die kumulative Verschmutzung durch gefährliche Stoffe oder Abfälle verursacht werden, die aus feststellbaren Quellen in die Umwelt gelangen.

    Die Haftung ist jedoch kein geeignetes Instrument, um diffuse Verschmutzungen von großer räumlicher Ausdehnung in den Griff zu bekommen, bei denen sich keine Verbindung zwischen Umweltbeeinträchtigung und den Handlungen einzelner Akteure herstellen läßt. Dies gilt für die Klimaveränderungen, die durch CO2- und andere Emissionen hervorgerufen werden, das Waldsterben infolge des sauren Regens und die verkehrsbedingte Luftverschmutzung.

    3. Argumente für ein Umwelthaftungssystem der Gemeinschaft und die Erwarteten Auswirkungen

    3.1. Durchsetzung der zentralen Umweltgrundsätze des EG-Vertrags

    Die Umwelthaftung ist eine Möglichkeit für die Durchsetzung der wichtigsten Grundsätze der im EG-Vertrag (Artikel 174 Absatz 2) festgeschriebenen Umweltpolitik, vor allem des Verursacherprinzips. Wird dieses Prinzip nicht angewandt, um die Kosten für die Sanierung von Umweltschäden einzutreiben, dann wird die Umwelt entweder nicht saniert oder der Staat - und letztendlich der Steuerzahler - kommt dafür auf. Daher besteht ein erstes Ziel darin, den Verschmutzer für den von ihm verursachten Schaden haftbar zu machen. Wenn die Verschmutzer für die verursachten Schäden bezahlen müssen, werden sie die Umweltbelastung so weit verringern, daß die Grenzkosten für deren Minderung den umgangenen Schadensersatz übersteigen. Somit führt die Umwelthaftung zu einer Vermeidung von Schäden sowie zur Internalisierung der Umweltkosten [6]. Ferner kann die Umwelthaftung bewirken, daß mehr Vorsicht geübt wird, wodurch Risiken und Schädigungen vermieden und zur Verbesserung der Sachkenntnis und von Technologien möglicherweise FuE-Investitionen vorgenommen werden.

    [6] Internalisierung von Umweltkosten bedeutet, daß die Kosten für die Vorsorge sowie die Sanierung von Umweltverschmutzung von den Schadensverursachern und nicht von der Gesellschaft insgesamt getragen werden.

    3.2. Sicherung der Dekontaminierung und Sanierung der Umwelt

    Damit das Verursacherprinzip voll wirksam wird, sollten die Mitgliedstaaten eine effektive Dekontaminierung und Sanierung bzw. Wiederherstellung des früheren Zustandes der Umwelt in Fällen gewährleisten, in denen es einen haftbaren Verschmutzer gibt, indem sie absichern, daß der von ihm zu zahlende Schadensersatz auch in angemessener und wirksamer Weise für diese Zwecke eingesetzt wird.

    3.3. Stärkung der Umsetzung des Umweltrechts der Gemeinschaft

    Wenn die Haftung über die weiter oben beschriebene präventive Wirkung hinausgeht und die Sanierung gewährleistet ist, sofern ein Schaden auftritt, dürfte sie auch die Einhaltung des Umweltrechts der Gemeinschaft verbessern. Daher ist die Verbindung zwischen den Bestimmungen des Haftungssystems der Gemeinschaft und bestehenden Umweltvorschriften von großer Bedeutung. Wenngleich die meisten Mitgliedstaaten nationale Gesetze erlassen haben, die sich mit der verschuldensunabhängigen Haftung für Schäden befassen, die durch auf irgendeine Weise die Umwelt gefährdende Aktivitäten hervorgerufen wurden, so sind die Gesetze im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich doch recht unterschiedlich und erfassen vielfach nicht einheitlich alle Schäden, die bekanntermaßen auf eine Gefahr für die Umwelt darstellende Aktivitäten zurückzuführen sind. Des weiteren gelten diese Haftungssysteme lediglich in Verbindung mit Schäden für die menschliche Gesundheit oder Sachschäden bzw. mit der Altlastenproblematik. Im allgemeinen finden sie keine Anwendung bei Schäden an den natürlichen Ressourcen. Deshalb ist es wichtig, daß ein Umwelthaftungssystem der Gemeinschaft auch Schädigungen der natürlichen Ressourcen einschließt, zumindest derjenigen, die bereits durch Gemeinschaftsrecht unter Schutz gestellt sind, und zwar im Rahmen des Schutzgebietssystems NATURA 2000 durch die Vogelschutzrichtlinie und die Habitatrichtlinie [7]. Von den Mitgliedstaaten ist auf jeden Fall die Beseitigung der Schäden an diesen geschützten natürlichen Ressourcen zu gewährleisten, auch dann, wenn kein Haftungssystem anwendbar ist (beispielsweise wenn der Verursacher nicht feststellbar ist), da es sich hierbei um eine aus der Habitat-Richtlinie hervorgehende Verpflichtung handelt. Die vorbeugungende Wirkung der Umwelthaftung sollte eine "Auftrieb gebende" Wirkung in einer erweiterten Union haben und damit die Umsetzung der Umweltvorschriften durch neue Mitgliedstaaten erleichtern.

    [7] Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. Nr. L 103, S. 1, und Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung des natürlichen Lebensraums sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. Nr. L 206, S. 7.

    3.4. Herbeiführung einer besseren Integration

    Durch den Vertrag von Amsterdam wurde in Artikel 6 des EG-Vertrages der Grundsatz eingeführt, daß die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen einbezogen werden müssen. Ein Umwelthaftungssystem, das alle gemeinschaftlich geregelten Aktivitäten umfaßt, die ein Risiko für die Umwelt in sich bergen (zu erfassende Aktivitäten siehe 4.2.2), wird eine bessere Einbeziehung der Umweltbelange in die verschiedenen betroffenen Sektoren durch die Internalisierung der Umweltkosten mit sich bringen.

    3.5. Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes

    Auch wenn die Hauptziele eines Gemeinschaftssystem umweltpolitischer Natur sind, können sie durchaus zur Schaffung gleicher Bedingungen für alle im Binnenmarkt beitragen. Das ist deshalb wichtig, weil der größte Teil des Gemeinschaftshandels auf dem Binnenmarkt erfolgt, d. h. der innergemeinschaftliche Handel ist für die meisten Mitgliedstaaten wichtiger als der Handel mit Drittländern, so daß Unterschiede im rechtlichen Rahmen und bei den Kosten der Unternehmen auf dem Binnenmarkt eine größere Rolle spielen als Unterschiede gegenüber Drittländern.

    Im Moment ist noch unklar, ob Wettbewerbsprobleme auf dem Binnenmarkt bestehen, die durch ein unterschiedliches Herangehen der Mitgliedstaaten an die Umwelthaftung hervorgerufen werden. Der Grund dafür könnte sein, daß einzelstaatliche Umwelthaftungssysteme in der EU eine relativ neue Erscheinung sind und erst noch voll funktionsfähig werden müssen.

    Allerdings werden von den meisten bestehenden Umwelthaftungssystemen der Mitgliedstaaten keine Schädigungen der biologischen Vielfalt erfaßt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten entschieden größer sein als die Auswirkungen der vorhandenen einzelstaatlichen Haftungsgesetze und Schwellenwerte erreichen, bei denen es die Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben, den dortigen Behörden ratsam erscheinen lassen, eine Gemeinschaftsinitiative abzuwarten und davon Abstand zu nehmen, einseitig eine Haftung für die biologische Vielfalt einzuführen. Wenn dies zuträfe, wäre eine Gemeinschaftsmaßnahmen auch aus dem Grunde gerechtfertigt, daß damit gleiche Bedingungen für alle auf dem Binnenmarkt geschaffen werden.

    Die obigen Erwägungen legen nahe, ein Haftungssystem der Gemeinschaft auch so auszugestalten, daß mögliche Auswirkungen auf die äußere Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie auf ein Mindestmaß verringert werden [8] - was konkret noch in Abschnitt 7 besprochen wird. Das ist auch ein Grund für einen schrittweisen Ansatz bei der Einführung eines Gemeinschaftssystems (siehe auch Abschnitt 6).

    [8] In dieser Hinsicht sei unterstrichen, daß in den USA im Rahmen der Umwelthaftungsvorschriften, die sich auch auf Schäden an den natürlichen Ressourcen beziehen, für die empfindlichsten Bereiche, d. h. die Öl- und die Chemieindustrie, ein Grenzausgleich bei den Steuern in Anwendung kommt.

    3.6. Erwartete Auswirkungen

    Aus dem in Abschnitt 3.1 zur Durchsetzung des Verursacher-, Vorbeuge- und Vorsorgeprinzips Gesagten geht die Erwartung hervor, daß die Haftung Anreize für ein verantwortungsvolleres Verhalten der Unternehmen schafft. Allerdings müssen eine Reihe von Voraussetzungen erfuellt sein, bevor dies der Fall sein wird. So zeigen beispielsweise in den USA die Erfahrungen mit dem Superfund-Gesetz (Haftung für die Sanierung von Altlasten) die Notwendigkeit, keine Schlupflöcher für das Umgehen dieser Haftung zuzulassen, indem gefährliche Aktivitäten auf Unternehmen mit geringer Kapitalausstattung verlagert werden, die im Falle eines großen Schadens zahlungsunfähig werden. Wenn sich Unternehmen gegen das Haftungsrisiko durch eine Versicherung absichern können, dann werden sie nicht versuchen, auf eine solch abwegige Lösung auszuweichen. Daher ist es wichtig, eine Deckungsvorsorge, z. B. Abschluß einer Versicherung, zu treffen, um zu gewährleisten, daß die Haftung auch ökologisch zu Buche schlägt (dieser Punkt wird in Abschnitt 4.9 erörtert). Damit ein Umwelthaftungssystem auch wirksam greift, wird ein funktionierendes Deckungsvorsorgesystem benötigt. Das heißt, für die Kernelemente, aus denen das System besteht, muß eine Deckungsvorsorge vorhanden sein. Darüber hinaus hängt die Effektivität der Haftung für Umweltschäden (im Gegensatz zu Schäden im herkömmlichen Sinne) von der Fähigkeit der Verwaltungs- und Justizorgane ab, entsprechende Fälle unverzüglich zu behandeln, sowie von geeigneten Zugangsmöglichkeiten der Öffentlichkeit zu den Gerichten.

    Daher muß der Effekt der Haftung im größeren Kontext und im Zusammenhang mit der konkreten Ausgestaltung des Haftungssystems gesehen werden.

    4. Mögliche Merkmale eines Umwelthaftungssystems der Gemeinschaft

    In diesem Abschnitt werden die möglichen Hauptmerkmale eines Gemeinschaftssystems beschrieben. Diese Elemente müssen in Abhängigkeit von der gewählten Option für weitere Maßnahmen insgesamt oder teilweise ins Kalkül gezogen werden (siehe Abschnitt 5).

    4.1. Keine Rückwirkung

    Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sollte das Gemeinschaftssystem nur nach vorn ausgerichtet sein. Schäden, die nach dem Inkrafttreten des Gemeinschaftssystems bekanntwerden, sollten erfaßt werden, es sei denn, die Handlung bzw. die Unterlassung, die den Schaden nach sich zogen, fanden vor dem Inkrafttreten statt. Es sollte den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, sich mit aus der Vergangenheit herrührenden Verschmutzungen zu befassen. Sie könnten für die Behandlung von bestehenden Altlasten oder Schäden an der biologischen Vielfalt Finanzierungsmechanismen einrichten, die ihrer nationalen Situation am besten angepaßt sind und dabei solche Dinge berücksichtigen wie die Anzahl solcher Altlasten, die Art der Verschmutzung und die Kosten für die Sanierung oder Wiederherstellung. Damit der Grundsatz der Nicht-Rückwirkung einheitlich angewendet werden kann, steht eine Definition von "in der Vergangenheit verursachten Verschmutzungen" noch aus.

    Einige Transaktionskosten in Verbindung mit Rechtsstreitigkeiten im Hinblick auf die Entscheidung, was als vergangene Verschmutzung und was als die in den Rahmen des Systems fallende Verschmutzung zu werten ist, sind zu erwarten. Ein rückwirkendes System würde jedoch wesentlich größere wirtschaftliche Auswirkungen haben.

    4.2. Anwendungsbereich des Systems

    Der Anwendungsbereich des System muß aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden: erstens die darunterfallenden Arten von Schäden und zweitens die zu solchen Schäden führenden Aktivitäten, die zu erfassen sind. In den folgenden Unterabschnitten wird geschildert, wie an diese Fragen herangegangen werden könnte.

    4.2.1. Zu erfassende Schäden

    Umweltschäden

    Da das System die Umwelthaftung betrifft, sind folglich auch Umweltschäden zu erfassen. Das ist jedoch nicht so selbstverständlich, wie es den Anschein hat: verschiedene einzelstaatliche Gesetze, die als "Umwelthaftungsvorschriften" bezeichnet werden (bzw. ähnliche Bezeichnungen besitzen), befassen sich eher mit herkömmlichen Arten von Schäden wie Personen- oder Sachschäden als mit Umweltschäden als solchen. Diese Gesetze gelten für Schäden, sofern diese durch Aktivitäten hervorgerufen werden, die als für die Umwelt gefährlich angesehen werden, oder wenn der Schaden auf Effekte zurückzuführen ist, die über die Umwelt zu einer Schädigung (im herkömmlichen Sinne) führen (beispielsweise Luft- oder Wasserverschmutzung). Als Beispiele für eine solche Gesetzgebung seien genannt: das deutsche Umwelthaftungsgesetz von 1990 und das dänische Gesetz über Entschädigungsleistungen bei Umweltschäden von 1994. Einige andere einzelstaatliche Gesetze umfassen auch die Beeinträchtigung der Umwelt neben den Schäden im herkömmlichen Sinne, aber es bestehen kaum weitergehende Regelungen, die diesen Tatbestand konkret festlegen.

    In diesem Weißbuch werden zwei Arten von Schäden unter der Überschrift "Umweltschäden" behandelt, die beide im Rahmen eines Gemeinschaftssystems erfaßt werden sollten:

    a) Schädigung der biologischen Vielfalt

    b) Schäden in Form von Altlasten

    Die meisten Mitgliedstaaten haben noch nicht damit begonnen, sich im Rahmen ihrer Umwelthaftungssysteme ausdrücklich mit Schädigungen der biologischen Vielfalt zu befassen. Jedoch besitzen alle Mitgliedstaaten Gesetze oder Programme in Verbindung mit der Haftung für Altlasten. Dabei handelt es sich größtenteils um Verwaltungsvorschriften, die auf die Sanierung von Altlasten auf Kosten des Verursachers (und/oder anderer) abzielen.

    Schäden im herkömmlichen Sinne

    Der Schlüssigkeit halber müssen auch Schäden im herkömmlichen Sinne wie Gesundheits- oder Sachschäden aufgenommen werden, wenn diese durch eine gefährliche Aktivität hervorgerufen wurden, wie sie im Anwendungsbereich definiert wurde, da herkömmliche Schäden und Umweltschäden vielfach auf das gleiche Ereignis zurückzuführen sind. Wenn lediglich Umweltschäden im Gemeinschaftssystem erfaßt würden und die Haftung für Schäden im herkömmlichen Sinne vollständig den Mitgliedstaaten überlassen würde, so könnte das ungleiche Ergebnisse zeitigen (beispielsweise keine oder weniger Rechtsmittel bei Gesundheitsschäden als bei Umweltschäden, die auf die gleiche Ursache zurückzuführen sind. Darüber hinaus handelt es sich bei der menschlichen Gesundheit - ein wichtiges eigenständiges politisches Ziel - um ein Interesse, das eng mit dem Umweltschutz verknüpft ist. So legt Artikel 174 Absatz 1 EG-Vertrag fest, daß die Umweltpolitik der Gemeinschaft (unter anderem) zur Verfolgung des Ziels Schutz der menschlichen Gesundheit beitragen soll.

    4.2.2. Zu erfassende Aktivitäten

    Das Ziel fast aller einzelstaatlichen Umweltschutzsysteme besteht in der Erfassung von Aktivitäten [9], die die Gefahr der Schadensverursachung in sich bergen. Viele dieser Aktivitäten werden gegenwärtig durch Umweltrechtsvorschriften der Gemeinschaft oder durch Gemeinschaftsrecht geregelt, das neben anderen Zielsetzungen auch ein ökologisches Ziel hat.

    [9] Das Befassen mit Stoffen, die ein solches Risiko in sich bergen, wird in diesem Dokument auch als (gefährliche) Aktivität bezeichnet.

    Ein konsequenter Rahmen für das Haftungssystem muß mit den entsprechenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zum Umweltschutz verknüpft werden. Neben der Gewährleistung der Sanierung der Umwelt, wo es gegenwärtig nicht möglich ist, würde das Haftungssystem daher einen zusätzlichen Anreiz für die richtige Einhaltung der einzelstaatlichen Gesetze schaffen, mit denen die Umweltvorschriften der Gemeinschaft umgesetzt werden. Eine Verletzung dieser Gesetze würde nicht nur zu administrativen und Strafmaßnahmen führen, sondern auch - wenn sich daraus ein Schaden ergibt - zu der Verpflichtung des Verursachers (Verschmutzers), den Schaden zu beheben oder eine Entschädigung für den Wertverlust des geschädigten Gutes zu zahlen. Dieser Ansatz eines begrenzten Bereiches in Verbindung mit den bestehenden Gemeinschaftsvorschriften hat darüber hinaus den Vorteil, daß damit eine optimale Rechtssicherheit gewährleistet wird.

    Bei den im Hinblick auf Gesundheits- und Sachschäden sowie Altlasten zu erfassenden Aktivitäten könnte es sich um Tätigkeiten handeln, die in folgenden Kategorien von Gemeinschaftsvorschriften geregelt werden: Rechtsvorschriften, die Grenzwerte für die Einleitung bzw. Emission gefährlicher Stoffe in Wasser oder Luft enthalten, Rechtsvorschriften, die gefährliche Stoffe und Zubereitungen (auch) im Hinblick auf den Umweltschutz betreffen, Rechtsvorschriften, die auf die Verhütung und Kontrolle von Unfall- und Verschmutzungsgefahren abzielen, wie z. B. die IVURL und die überarbeitete Seveso-II-Richtlinie, Rechtsvorschriften über den Umgang mit gefährlichen Stoffen und sonstigen Abfällen sowie deren Herstellung, Behandlung, Rückgewinnung, Recycling, Reduzierung, Lagerung, Beförderung, grenzüberschreitende Verbringung und Beseitigung, Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Biotechnologie sowie Rechtsvorschriften für die Beförderung gefährlicher Stoffe. Bei der weiteren Ausgestaltung einer Gemeinschaftsinitiative ist der Umfang der Aktivitäten noch präziser festzulegen, z. B. durch die Erstellung einer Liste aller entsprechenden Gemeinschaftsvorschriften, mit denen die Umwelthaftung verknüpft werden sollte. Außerdem sind einige dieser Aktivitäten, wie z. B. Aktivitäten im Zusammenhang mit genetisch veränderten Organismen (GVO), nicht an sich gefährlich, verfügen jedoch über das Potential, unter bestimmten Umständen gesundheitliche Schädigungen bzw. beträchtlichen Umweltschaden hervorzurufen. Dies könnte z. B. dann eintreten, wenn etwas aus einem Leck in einer Hochsicherheitsanlage entweicht bzw. wenn nach einer absichtlichen Freisetzung unvorhergesehene Folgen eintreten. Aus diesem Grunde wird es für solche Aktivitäten als angemessen erachtet, wenn sie in einem gemeinschaftsweiten Haftungssystem erfaßt werden. In solchen Fällen könnte es sein, daß das System beispielsweise hinsichtlich der zugelassenen Rechtfertigungsgründe nicht für alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit GVO gleich ist, sondern je nach Vorschrift und Tätigkeit differenziert werden muß.

    Ein im Hinblick auf die Schädigung der biologischen Vielfalt zu berücksichtigender wichtiger Faktor ist das Vorhandensein spezieller Gemeinschaftsvorschriften zum Erhalt der biologischen Vielfalt, nämlich der Vogelschutzrichtlinie und der Habitatrichtlinie. Mit diesen Richtlinien wird ein durch das Natura 2000-Netz zu realisierendes System für den besonderen Schutz von natürlichen Ressourcen, insbesondere der für die Bewahrung der biologischen Vielfalt erforderlichen, geschaffen. Diese Verpflichtung obliegt dann den Mitgliedstaaten. Das Umwelthaftungssystem würde lediglich das Instrument zur Verfügung stellen, durch das der Verursacher für die Behebung solcher Schäden zu zahlen hat. Da das Ziel dieser beiden Richtlinien im Schutz der betreffenden natürlichen Ressourcen unabhängig von den Tätigkeiten, die einen Schaden an ihnen hervorrufen, besteht und da diese Ressourcen empfindlich sind und daher recht leicht durch Tätigkeiten, die normalerweise nicht als von vornherein gefährlich eingestuft werden, geschädigt werden können, sollte das auf Schädigungen der biologischen Vielfalt anwendbare Haftungssystem auch andere als gefährliche Aktivitäten umfassen, die zu erheblichen Schäden in durch Natura 2000 geschützten Gebieten führen. Allerdings sollte die in diesem Falle geltende Art der Haftung sich von jener unterscheiden, die auf Schäden zu beziehen ist, die durch gefährliche Aktivitäten hervorgerufen worden sind, wie unter 4.3 ausgeführt.

    4.3. Art der Haftung, die zulässigen Rechtfertigungsgründe und die Beweislast

    Verschuldensunabhängige Haftung bedeutet, daß nicht das Fehlverhalten eines Akteurs festgestellt werden muß, sondern lediglich die Tatsache, daß der betreffende Schaden durch eine bestimmte Handlung (oder Unterlassung) verursacht wurde. Auf den ersten Blick kann eine verschuldensabhängige Haftung [10] wirtschaftlich wirksamer sein als eine verschuldensunabhängige, da Anreize für Umweltreinhaltungsaufwendungen den durch verringerte Emissionen erzielten Nutzen nicht übersteigen. Die in letzter Zeit verabschiedeten einzelstaatlichen und internationalen Umwelthaftungssysteme gehen jedoch mehr vom Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung aufgrund der Annahme aus, daß auf diese Weise Zielsetzungen im Bereich Umwelt besser erreicht werden können. Ein Grund dafür ist, daß es für die Kläger in Umwelthaftungsstreitigkeiten sehr schwer ist, das Fehlverhalten des Beklagten zu beweisen. Ein weiterer Grund besteht darin, daß jemand, der eine von vornherein gefährliche Tätigkeit ausübt, auch das Risiko für dadurch hervorgerufene Gefahren tragen sollte, nicht aber der Geschädigte oder die Gesellschaft insgesamt. Diese Gründe sprechen für ein Gemeinschaftssystem, das im allgemeinen auf verschuldensunabhängiger Haftung beruht. Wie bereits in 4.2.2. erwähnt, sollte die Umwelthaftung Schädigungen der biologischen Vielfalt mit einschließen, ob sie nun durch gefährliche Tätigkeiten hervorgerufen worden sind oder nicht. Allerdings wird vorgeschlagen, statt der verschuldensunabhängigen Haftung die verschuldensabhängige Haftung bei Schäden Anwendung finden zu lassen, die von einer ungefährlichen Tätigkeit verursacht worden sind. Tätigkeiten, die in Übereinstimmung mit Maßnahmen im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie und der Habitatrichtlinie, die auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt zielen, durchgeführt werden, würden eine Haftung der Person, die die Tätigkeit ausübt, ausschließen, sofern kein Verschulden vorliegt. Solche Aktivitäten finden z. B. im Rahmen eines Agrarumweltvertrags gemäß Verordnung des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes [11] statt. Ist ein Verschulden des Verursachers nicht feststellbar, so ist im Falle einer durch eine ungefährliche Aktivität hervorgerufenen Schädigung der Staat für die Sanierung bzw. Wiederherstellung der biologischen Vielfalt verantwortlich.

    [10] Die verschuldensabhängige Haftung greift, wenn ein Betreiber vorsätzlich oder nachlässig gehandelt hat oder nicht die gebührende Sorgfalt angewandt hat. Ein solches Handeln (bzw. eine solche Unterlassung) kann einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gegen die Bedingungen einer Genehmigung bedeuten, aber auch andere Formen annehmen.

    [11] Verordnung Nr. 1257/99 des Rates (ABl. L 160, S. 80).

    Das Umwelthaftungssystem sollte im Einklang mit anderen Gemeinschaftspolitiken und Maßnahmen zu deren Durchführung umgesetzt werden.

    Die Wirksamkeit eines Haftungssystems hängt nicht nur vom grundlegenden Charakter des Systems ab, sondern auch von solchen Elementen wie den zulässigen Rechtfertigungsgründen und der Aufteilung der Beweislast. Die positiven Auswirkungen der verschuldensunabhängigen Haftung sollten daher nicht unterwandert werden, indem zu viele Rechtfertigungsgründe zugelassen werden oder dem Kläger die unmöglich zu erbringende Beweislast übertragen wird.

    Rechtfertigungsgründe

    Zulässig sollten allgemein anerkannte Rechtfertigungsgründe sein wie Höhere Gewalt, die Tatsache, daß der Kläger zur Entstehung des Schadens beigetragen oder sein Einverständnis gegeben hat, sowie das Einschreiten eines Dritten (ein Beispiel hierfür ist der Fall, wo ein Betreiber einen Schaden durch eine Aktivität verursacht hat, die er aufgrund der Anordnung einer staatlichen Behörde ausgeführt hat. [12]

    [12] Werden Haftungsansprüche bestritten, so können auch bestimmte prozedurale Aspekte von Belang sein, wie z. B. Mangel der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bzw. Fragen der Begrenzung der Schadenersatzpflicht.

    Von mehreren Betroffenen, insbesondere von Wirtschaftsakteuren, wurde die Ansicht geäußert, daß eine Rechtfertigung auch im Zusammenhang mit einem Schaden durch laut Gemeinschaftsvorschriften zulässige Freisetzungen, dem Einsatz neuester Techniken und/oder mit Entwicklungsrisiken zugelassen werden sollte. Aus wirtschaftlichen Gründen ist eine Vorhersagbarkeit in bezug auf die Haftung gegenüber Dritten erforderlich, wobei Anwendung und Umfang dieser Haftungsansprüche in jedem Fall von laufenden Entwicklungen abhängig sind (z. B. Änderungen der Vorschriften und der Rechtsprechung, medizinischer Fortschritt usw.). Rechtfertigungsgründe wie die eben genannten sind normalerweise im Rahmen der bestehenden einzelstaatlichen Umwelthaftungssysteme der EU-Mitgliedstaaten nicht zulässig.

    Bei Entscheidungen über diese Rechtfertigungsgründe sollten alle einschlägigen Auswirkungen berücksichtigt werden, unter anderem auch mögliche Auswirkungen auf KMU (siehe auch Abschnitt 7).

    Beweislast

    In Umweltverfahren könnte es für den Kläger schwerer, für den Beklagten jedoch leichter sein, Fakten zum kausalen Zusammenhang (oder dessen Fehlen) zwischen der vom Beklagten ausgeübten Tätigkeit und dem Schaden zu nennen. Daher gibt es in mehreren nationalen Umwelthaftungssystemen Bestimmungen zur Erleichterung der Beweislast für Schuld bzw. die Verursachung des Schadens zugunsten des Klägers. Auch das Gemeinschaftssystem könnte in der einen oder anderen Form Erleichterungen hinsichtlich der herkömmlichen Beweislast enthalten, was zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer definiert werden sollte.

    Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes

    Es könnte Situationen geben, in denen es nicht recht und billig erschiene, den Verursacher für die gesamte Entschädigung aufkommen zu lassen Dem Gericht (oder einem anderen zuständigen Gremium, z. B. einem Schiedsrichter) müßte ein gewisser Spielraum für eine Entscheidung darüber eingeräumt werden - beispielsweise in Fällen, in denen ein Betreiber, durch den ein Schaden verursacht wurde, nachweisen kann, daß dieser Schaden vollständig und ausschließlich durch Schadstoffemissionen verursacht wurde, die im Rahmen der Zulassung ausdrücklich genehmigt worden waren - daß ein Teil der Entschädigung von der zulassenden Behörde und nicht vom Verursacher zu tragen ist. Für eine solche Bestimmung sind weitere Kriterien festzulegen, beispielsweise wenn der haftbare Betreiber alles in seinen Kräften Stehende getan hat, um den Schaden abzuwenden.

    4.4. Wer soll haften-

    Im Rahmen eines gemeinschaftlichen Umwelthaftungssystems [13] sollte die Haftung dem- bzw. denjenigen zugewiesen werden, der/die die Kontrolle über eine (unter den Anwendungsbereich fallende) Tätigkeit ausübt/-üben, durch die der Schaden verursacht wird (d. h. der Betreiber). Wird die Tätigkeit durch ein Unternehmen ausgeübt, das eine juristische Person darstellt, so haftet die juristische Person und nicht die leitenden Angestellten (Entscheidungsträger) oder andere Mitarbeiter, die möglicherweise daran beteiligt waren. Kreditinstitute, die keine Kontrolle über den Betrieb ausüben, dürfen nicht haftbar gemacht werden.

    [13] Auf der Grundlage von Artikel 176 EG-Vertrag können die Mitgliedstaaten jedoch auch andere Beteiligte haftbar machen.

    4.5. Kriterien für die verschiedenen Schadensarten

    Zur Behandlung der verschiedenen Schadensformen sind unterschiedliche Ansätze angezeigt. Für Schädigungen der biologischen Vielfalt liegen noch keine sinnvollen Haftungsregelungen und -kriterien vor, so daß solche entwickelt werden müssen. Hinsichtlich der Haftung für Altlasten gibt es einzelstaatliche Gesetze und Systeme, die jedoch recht unterschiedlich sind. Schäden im herkömmlichen Sinne sollten im Hinblick auf andere umweltrelevante Formen eines Schadens einheitlich behandelt werden, was allerdings nur dann erreicht werden kann, wenn die grundlegenden Regelungen für alle Arten von Schäden gleich sind.

    4.5.1. Schädigung der biologischen Vielfalt

    Da dieses Gebiet nicht generell von den Haftungsregelungen der Mitgliedstaaten erfaßt ist, könnte mit einem Haftungssystem der Gemeinschaft ein Anfang dadurch gemacht werden, daß diese Art von Schäden im Rahmen der bestehenden Gemeinschaftsvorschriften zur biologischen Vielfalt behandelt werden.

    - Welche Schädigungen der biologischen Vielfalt sollten einbezogen werden-

    Es sind Schädigungen der biologischen Vielfalt zu erfassen, die auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie in Natura 2000-Gebieten geschützt ist. Unter solche Schädigungen könnte Schaden an natürlichen Lebensräumen, wildlebenden Tieren oder Pflanzenarten gemäß der Definition in den Anhängen zu den genannten Richtlinien fallen.

    - Wann sollte eine Schädigung der biologischen Vielfalt erfaßt werden-

    Das System sollte erst bei Erreichen eines Schwellenwertes, also nur bei erheblichen Schäden zur Anwendung kommen. Die Kriterien dafür sind in erster Linie von der Interpretation dieses Begriffs [14] im Zusammenhang mit der Habitatrichtlinie abzuleiten.

    [14] Demnächst soll eine Unterlage der Dienststellen der Kommission über die Auslegung unter anderem dieses Begriffs im Zusammenhang mit Artikel 6 der Habitatrichtlinie veröffentlicht werden.

    - Wie können Schädigungen der biologischen Vielfalt bewertet und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zu angemessenen Kosten sichergestellt werden-

    Die wirtschaftliche Bewertung von Schädigungen der biologischen Vielfalt ist besonders dann von Bedeutung, wenn der Schaden irreparabel ist. Aber auch wenn eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands möglich ist, muß es Bewertungskriterien für die betreffende natürliche Ressource geben, um unverhältnismäßig hohe Wiederherstellungskosten zu vermeiden. So ist in jedem Einzelfall eine Kosten-Nutzen-Analyse bzw. eine Angemessenheitsanalyse vorzunehmen. Den Ausgangspunkt für eine solche Analyse könnten in den Fällen, in denen eine Wiederherstellung möglich ist, die Sanierungskosten (einschließlich der Kosten für die Schadensbewertung) bilden. Zur Einschätzung des Nutzens der betreffenden natürlichen Ressource [15] muß ein System geschaffen werden, für das Anregungen von bereits bestehenden oder auf regionaler Ebene in der Entwicklung befindlichen Systemen entnommen werden könnten (z. B. Andalusien, Hessen).

    [15] Zum Beispiels das Vorkommen des Mittelspechts (siehe Titelblatt), eine in der Vogelschutzrichtlinie geschützte Art.

    Ist eine Wiederherstellung technisch nicht oder nur teilweise möglich, muß die Bewertung der natürlichen Ressourcen auf den Kosten alternativer Lösungen basieren, die auf die Schaffung natürlicher Ressourcen abzielen, die den zerstörten natürlichen Ressourcen gleichwertig sind, um Naturschutz und biologische Vielfalt wieder so herzustellen, wie dies im Netz Natura 2000 vorgegeben ist.

    Die Bewertung der natürlichen Ressourcen kann in Abhängigkeit von dem angewandten Verfahren mehr oder weniger kostspielig sein. Wirtschaftliche Bewertungsmethoden wie die Zahlungsbereitschaftsanalyse (kontingenter Bewertungsansatz), die Reisekostenanalyse und andere Formen von Präferenzerfassungsmethoden, die eine Befragung einer Vielzahl von Personen durch Umfragen erfordern, können, wenn sie in jedem Fall durchgeführt werden, kostspielig werden. Durch die Ergebnisübertragung ("benefits transfer") lassen sich die Kosten jedoch spürbar verringern. Der Aufbau von diesem Zweck dienenden Datenbanken, wie z. B. das Environmental Valuation Reference Inventory (EVRI), die entsprechendes Bewertungsmaterial enthalten, ist besonders wichtig. Diese Datenbanken können zur Ermittlung des Problemhintergrundes sowie als Quelle für direkt vergleichbare Bewertungen herangezogen werden.

    - Auf welche Weise kann bei der Sanierung die Einhaltung von Mindestanforderungen sichergestellt werden-

    Die Sanierung sollte auf die Wiederherstellung des Zustands der betreffenden natürlichen Ressource vor Eintritt der Schäden abzielen. Dies läßt sich beispielsweise anhand von historischen Daten und Bezugsdaten (normale Eigenschaften der betreffenden Ressource) einschätzen. In den meisten Fällen wird eine Wiederherstellung des vorherigen Zustands der natürlichen Ressourcen in qualitativer und quantitativer Hinsicht nicht bzw. nur mit einem extrem hohen Kostenaufwand möglich sein. Daher sollte bei der Wiederherstellung der geschädigten Ressourcen vorzugsweise ein den früheren Verhältnissen vergleichbarer Zustand angestrebt werden, wobei auch solche Faktoren in Betracht zu ziehen sind wie die Funktion und die angenommene zukünftige Verwendung der geschädigten Ressourcen.

    - Auswirkungen der Schädigung der biologischen Vielfalt auf die Kosten für Vorbeugung und Wiederherstellung

    Die Schädigung der biologischen Vielfalt im Sinne dieses Weißbuchs kann nur in den durch die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie geschützten Gebieten erfolgen, die bis zu 10 % des EU-Territoriums ausmachen dürften, sobald das Natura 2000-Netz eingerichtet ist. In diesen Gebieten dürfen nur umweltfreundliche Tätigkeiten ausgeführt werden. Das bedeutet also, daß das Gros der Umweltschäden in diesen Gebieten nur durch Anlagen hervorgerufen werden können, die gefährliche Aktivitäten in benachbarten Gebieten betreiben. Diese Anlagen werden jedoch bereits durch die anderen Säulen des vorgeschlagenen Systems erfaßt, die sich auf Schäden im herkömmlichen Sinne und auf Altlasten beziehen. Daraus folgt, daß die einzigen für diese Aktivitäten entstehenden zusätzlichen Kosten durch die Einbeziehung der biologischen Vielfalt die mit der Verhütung von Schädigungen und der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt gemäß den im Weißbuch vorgesehenen Kriterien sind.

    Angesichts der Tatsache, daß - wie bereits gesagt - gefährliche Aktivitäten in geschützten Gebieten nicht ausgeführt werden sollen, werden dort auftretende Schädigungen der biologischen Vielfalt nur in Ausnahmefällen durch IVU-Industrien oder große Anlagen hervorgerufen, für die Kosten und Wettbewerbsfähigkeit kritische Faktoren darstellen. Daher beschränken sich die Auswirkungen der Haftung für Schäden an der biologischen Vielfalt für diese Industrien auf ein Minimum. Andererseits könnte sich bei der Art von umweltfreundlichen Aktivitäten, die in den geschützten Gebieten durchgeführt werden dürfen, infolge ihrer Natur durchaus das gewünschte Niveau der Vorbeugung und Wiederherstellung kostengünstig internalisieren lassen.

    4.5.2. Altlasten

    Die meisten Mitgliedstaaten haben spezielle Gesetze oder Programme für die Sanierung von Altlasten älteren und neueren Datums. Das Gemeinschaftssystem sollte darauf abzielen, für neueintretende Verunreinigungen die Grundsätze der Umweltschutzpolitik (das Verursacherprinzip sowie das Vorbeugungs- und das Vorsorgeprinzip) und eine gewisse Harmonisierung im Hinblick auf die Sanierungsstandards und -ziele durchzusetzen. Für Altlasten gilt der auf gefährliche Tätigkeiten bezogene Ansatz, und das System käme lediglich bei erheblicher Kontamination zur Anwendung. Zu den Altlasten gehören Verunreinigungen des Bodens, von Oberflächengewässern und des Grundwassers. Wenn ein im Rahmen des Artenschutzrechts geschütztes Gebiet zu einem kontaminierten Gebiet gehört, würde für das betreffende Gebiet zusätzlich zu dem für Altlasten anzuwendenden System das System für Schädigungen der biologischen Vielfalt gelten. Dies bedeutet unter Umständen, daß nach der Dekontaminierung der Altlast eine Wiederherstellung der natürlichen Ressource durchzuführen ist.

    - Sanierungsstandards

    Hierbei handelt es sich um Standards, nach denen die Notwendigkeit der Sanierung einer Altlast eingeschätzt und deren Durchführung beschlossen werden kann. Auch in diesem Bereich sollten wie bei Schädigungen der biologischen Vielfalt lediglich erhebliche Schäden einbezogen werden. Das wichtigste qualitative Kriterium ist hierbei die Frage, ob die Altlast zu einer ernsthaften Bedrohung für den Menschen und die Umwelt führen kann.

    - Sanierungsziele

    In den Sanierungszielen sollte die zu erhaltende oder wiederherzustellende Boden- und Wasserqualität festgelegt werden. Hauptziel ist die Beseitigung aller ernsthaften Gefahren für Mensch und Umwelt. Annehmbare Schwellenwerte werden unter Zugrundelegung der besten zur Verfügung stehenden Verfahren bestimmt, die wirtschaftlich und technisch durchführbar sind (gemäß IVU-Richtlinie). Ein weiteres Ziel besteht darin, daß der Boden für die gegenwärtige und für die wahrscheinliche künftige Flächennutzung geeignet sein soll. Diese qualitativen Ziele sollten nach Möglichkeit mit zahlenmäßig festgelegten Standards kombiniert werden, aus denen die zu erreichende Boden- und Wassergüte hervorgeht. Ist aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen eine Sanierung nicht möglich, so kann die vollständige oder partielle Schadenseindämmung eine Lösungsmöglichkeit sein.

    4.5.3 Schäden im herkömmlichen Sinne

    Die Definition von Schäden im herkömmlichen Sinne. d. h. Personen- und Sachschaden und mögliche wirtschaftliche Verluste, bleibt der einzelstaatlichen Gesetzgebung vorbehalten. Alle in diesem Dokument behandelten Elemente des Systems sind jedoch auch auf Schäden im herkömmlichen Sinne anzuwenden. Eine Ausnahme dabei sind die speziellen Regelungen zum Zugang zu den Gerichten (4.7) sowie die spezifischen Kriterien für die Sanierung und Bewertung von Umweltschäden (4.5.1 und 4.5.2). Bei Schäden im herkömmlichen Sinne sollte das Gemeinschaftssystem nicht den Begriff "erheblicher Schaden" einführen.

    4.5.4 Das Verhältnis zur Produkthaftungsrichtlinie [16]

    [16] Richtlinie 85/374/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte; ABl. Nr. 85, L 210, S. 29, geändert durch Richtlinie 99/34/EG; ABl. Nr. 99, L 141, S. 20.

    Die Produkthaftungsrichtlinie befaßt sich mit dem durch fehlerhafte Produkte hervorgerufenen Schaden an Personen und Gütern (d. h. Schäden im herkömmlichen Sinne), beinhaltet jedoch keinen Umweltschaden. Überlappungen zwischen den beiden Haftungssystemen können im Bereich der Schäden im herkömmlichen Sinne nicht ausgeschlossen werden. Dies träfe z. B. zu, wenn der Schaden durch ein Produkt hervorgerufen wird, das gefährliche Stoffe enthält und es sich damit um ein fehlerhaftes Produkt handelt - hervorgerufen durch eine höhere Konzentration chemischer Substanzen als in den EG-Umweltvorschriften zugelassen. In einem solchen Falle findet die Produkthaftungsrichtlinie als Rechtsvorschrift Anwendung, wenn ein Ersatz für Schäden im herkömmlichen Sinne geleistet werden soll. [17]

    [17] Von der Kommission wurde kürzlich ein Grünbuch zur Produkthaftung veröffentlicht, um Informationen über die tatsächliche Anwendung der Richtlinie zu sammeln und eine Debatte über eine möglicherweise erforderliche wesentliche Überarbeitung der Richtlinie in Gang zu setzen.

    4.6. Gewährleistung einer effektiven Dekontaminierung und Sanierung der Umwelt

    Eine Verpflichtung sowohl hinsichtlich der Schädigung der biologischen Vielfalt als auch von Altlasten sollte darin bestehen, daß der vom Verursacher für die Wiederherstellung oder Sanierung zu zahlende Schadensersatz bzw. die Entschädigung auf wirksame Weise für diesen Zweck verwendet wird. Ist eine Wiedergutmachung des Schadens aus technischen oder wirtschaftlichen (Kosten-Nutzen-)Gründen nicht oder nur teilweise möglich, sollte ein Entschädigungsbetrag in Höhe des Wertes des nicht wiederhergestellten Schadens für vergleichbare Projekte der Wiederherstellung oder Verbesserung geschützter natürlicher Ressourcen ausgegeben werden. Die Festlegung vergleichbarer Projekte durch die zuständigen Behörden sollte nur nach einer umfassenden Analyse des zu erwartenden Nutzens für die Umwelt erfolgen.

    4.7. Zugang zu den Gerichten

    Die Schädigung der Umwelt unterscheidet sich vom Schaden im herkömmlichen Sinne, wo die Opfer das Recht haben, bei den zuständigen Verwaltungs- oder Strafgerichten eine Klage einzureichen, um ihre privaten Interessen zu sichern. Da der Schutz der Umwelt im öffentlichen Interesse liegt, ist der Staat (neben anderen Bereichen des Gemeinwesens) in erster Linie für das Eingreifen verantwortlich, wenn die Umwelt bereits geschädigt ist oder ein Schaden droht. Allerdings ist die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln für diese Zwecke begrenzt, und es wächst das Bewußtsein, daß sich die Öffentlichkeit insgesamt für die Umwelt verantwortlich fühlen sollte und unter Umständen in der Lage sein müßte, für sie einzutreten. In ihrer Mitteilung an den Rat und das Parlament zur Umsetzung des Umweltrechts der Gemeinschaft [18] hat die Kommission auf die Notwendigkeit eines solchen verbesserten Zugangs zu den Gerichten verwiesen.

    [18] KOM (96) 500 endg. Auf Seite 15 findet sich beispielsweise folgender Wortlaut: "Ein besserer Zugang zu den Gerichten für die Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen wäre für die Anwendung des Umweltrechts der Gemeinschaft von Vorteil. Erstens könnten Einzelfälle im Zusammenhang mit Problemen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts mit größerer Wahrscheinlichkeit im Sinne des Gemeinschaftsrechts entschieden werden. Zweitens wird dies - was wahrscheinlich noch wichtiger ist - allgemein zu einer Verbesserung der praktischen Anwendung und Durchsetzung des Umweltrechts der Gemeinschaft führen, da sich die möglicherweise haftbaren Akteure vermutlich an die Vorschriften halten werden, um das mit der dann größeren Wahrscheinlichkeit zu erwartende Verfahren zu vermeiden."

    Ein wichtiges Rechtsinstrument auf diesem Gebiet ist die Konvention von Aarhus. [19]. Sie enthält konkrete Bestimmungen für den Zugang zu den Gerichten, die die Grundlage für verschiedene Aktionen von Einzelpersonen und öffentlichen Interessenvereinigungen bilden. Zu diesen Aktionen gehört die Anfechtung der Entscheidung einer staatlichen Behörde vor einem ordentlichen Gericht oder einem anderen rechtmäßig eingesetzten unabhängigen und unparteiischen Gremium (Recht auf die verwaltungsrechtliche und gerichtliche Überprüfung), die Forderung nach angemessenen und effektiven Rechtsmitteln einschließlich von einstweiligen Verfügungen, sowie die Anfechtung von Handlungen oder Unterlassungen von Privatpersonen und staatlichen Behörden, die gegen Bestimmungen des nationalen Umweltrechts verstoßen [20]. Ein Umwelthaftungssystem der Gemeinschaft könnte zur Überführung der Konvention in Gemeinschaftsrecht wie folgt beitragen:

    [19] Konvention der UNO-Wirtschaftskommission für Europa über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu den Gerichten in Umweltfragen, die auf der Vierten Paneuropäischen Konferenz der Umweltminister in Aarhus (23.-25. Juni 1998) verabschiedet und auch von der Gemeinschaft unterzeichnet wurde.

    [20] Artikel 9 der Konvention von Aarhus.

    4.7.1. "Zweistufiges Konzept": Der Staat sollte an erster Stelle verantwortlich sein

    An erster Stelle (erste Stufe) sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet sein, die Sanierung von Schädigungen der biologischen Vielfalt und die Dekontaminierung sicherzustellen, indem sie die vom Verursacher gezahlte Entschädigung oder den Schadensersatz einsetzen. Umweltschutz-Interessenvereinigungen (die die entsprechenden Voraussetzungen im Rahmen des einzelstaatlichen Rechts erfuellen) sollte eine Beteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten zugestanden werden [21]. Generell sollten öffentliche Interessenvereinigungen das Recht erhalten, gemäß dem Subsidiaritätsprinzip in Aktion zu treten, d. h. wenn der Staat überhaupt nicht oder nicht in angemessener Weise tätig wird (zweite Stufe). Dieses Konzept sollte für die verwaltungsrechtliche und gerichtliche Überprüfung sowie für Klagen gegen den Verursacher gelten.

    [21] Artikel 2(5) der Konvention von Aarhus

    4.7.2. Dringende Fälle (einstweilige Verfügungen, Kosten von Schutzmaßnahmen)

    Interessenvereinigungen sollten das Recht haben, in dringenden Fällen bei Gericht eine einstweilige Verfügung zu erwirken, um einen (potentiellen) Verursacher zur Vornahme oder Unterlassung von Handlungen zu zwingen und somit erheblichen Umweltschäden vorzubeugen oder künftige Schäden zu vermeiden. Sie sollten zu diesem Zweck berechtigt sein, den mutmaßlichen Verursacher zu verklagen, ohne zuvor den Staat anzurufen. Inhalt einer einstweiligen Verfügung kann das Verbot einer umweltschädigenden Tätigkeit oder die Verpflichtung des betreffenden Betreibers sein, vor oder nach einem Ereignis Schäden vorzubeugen bzw. Maßnahmen zur Wiederherstellung des früheren Zustandes zu ergreifen. Das Gericht entscheidet, ob der Erlaß einer einstweiligen Verfügung berechtigt ist.

    Die Möglichkeit, Anspruch auf Rückerstattung angemessener Kosten zu stellen, die für das Ergreifen dringender Vorbeugungsmaßnahmen entstanden sind (d. h. für die Vermeidung von Schäden oder weiterem Schaden), sollte in erster Linie Interessengruppen gewährt werden, ohne daß diese erst um Maßnahmen einer staatlichen Stelle ersuchen müssen.

    4.7.3. Gewährleistung ausreichender Sachkenntnis und Vermeidung unnötiger Kosten

    Nur Interessengruppen, die objektiven Qualitätskriterien genügen, dürften in der Lage sein, gegen den Staat oder den Verursacher Klage einzureichen. Die Sanierung der Umwelt sollte in Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden auf optimale und kosteneffektive Weise erfolgen.

    Eine entscheidende Rolle spielt auch, ob auf spezielle Sachkenntnis zurückgegriffen werden kann und unabhängige und anerkannte Sachverständige und Wissenschaftler herangezogen werden.

    Da Kosten unvermeidlich sind, wenn vom Recht auf Zugang zu den Gerichten Gebrauch gemacht wird, wäre es sinnvoll in Erfahrung zu bringen, wie in diesem Zusammenhang auf außergerichtliche Regelungen wie Schieds- und Schlichtungsverfahren zurückgegriffen werden kann. Solche Lösungen haben das Ziel, Zeit und Kosten zu sparen.

    4.8. Verhältnis zu internationalen Übereinkommen

    Eine wachsende Zahl internationaler Übereinkommen und Protokolle hat die (Umwelt-)Haftung in verschiedenen Bereichen zum Gegenstand. Zum Beispiel gibt es die seit langem bestehenden Übereinkommen und Protokolle über Schäden durch nukleare Tätigkeiten sowie in bezug auf die Ölverschmutzung der Meere. Ein Übereinkommen aus jüngerer Vergangenheit hat Schäden durch die Beförderung von gefährlichen und schädlichen Stoffen auf See zum Gegenstand; gegenwärtig wird von den Mitgliedstaaten seine Ratifizierung geprüft. All diese Übereinkommen beruhen auf dem Grundsatz der strengen, aber begrenzten Haftung sowie dem zweistufigen Konzept. Im Falle der Ölverschmutzung ist als zweite Stufe ein Fonds vorgesehen, der von den beteiligten Ölgesellschaften der importierenden Staaten gemeinsam finanziert wird und der die über die Haftung des Schiffseigners hinausgehende Haftung - bis zu einem Hoechstbetrag - ausgleicht. Angesichts der jüngsten Tankerunfälle sollte geprüft werden, ob die internationale Regelung durch EG-Maßnahmen ergänzt werden soll. Die Kommission wird eine Mitteilung über die Sicherheit von Öltankern (Juni 2000) ausarbeiten und unter anderem prüfen, ob eine ergänzende EG-Haftungsregelung für Ölverschmutzung vonnöten ist. Dazu sollen eine Reihe von Alternativen geprüft werden, die den Besonderheiten des Sektors Rechnung tragen. Alles in allem sollte eine künftige EG-Umwelthaftungsregelung zu klären haben, in welchem Maße Raum für die Anwendung in den Bereichen bleibt, die bereits durch internationales Recht abgedeckt sind.

    4.9. Deckungsvorsorge

    Die Versicherbarkeit ist wichtig, um zu gewährleisten, daß die Ziele eines Umwelthaftungssystems auch erreicht werden können.

    Wie festgestellt wurde, kann die verschuldensunabhängige Haftung auch Nebenergebnisse bzw. die Verlagerung riskanter Produktionen von größeren Unternehmen auf kleinere bringen, in der Hoffnung, dadurch die Haftung zu umgehen. Diese kleineren Betriebe, denen es vielfach an den Mitteln für Risikomanagement-Systeme fehlt, die so wirksam sind wie die ihrer größeren Gegenspieler, sind häufig für einen höheren Schadensanteil verantwortlich, als aufgrund ihrer Größe zu erwarten wäre. Wenn sie einen Schaden hervorrufen, ist es ebenfalls wenig wahrscheinlich, daß sie über die finanziellen Mittel verfügen, um für die Sanierung des Schadens bezahlen zu können. Der Abschluß einer Versicherung verringert die Risiken, denen die Unternehmen ausgesetzt sind (indem ein Teil dieser Risiken auf Versicherer übertragen wird). Daher dürften sie weniger geneigt sein zu versuchen, die Haftung zu umgehen [22].

    [22] Andererseits hat ein Unternehmen, das in der Lage ist, sich gegen die Schäden zu versichern, die es möglicherweise an den natürlichen Ressourcen verursacht, ein Interesse daran, sich verantwortungsbewußt zu verhalten. Der Grund dafür ist, daß sich ein Unternehmen, um eine Versicherungspolice zu erhalten, normalerweise einer Umweltprüfung unterziehen, vielfach über ein wirksames Risikomanagement-System verfügen und, wenn die Versicherung bezahlen muß, häufig auch einen Teil der Kosten übernehmen muß.

    Ein Versicherungsschutz für Umweltrisiken und insbesondere für Schäden an den natürlichen Ressourcen könnte sich allmählich durchsetzen. Solange es jedoch keine weithin akzeptierten Meßverfahren für die Bezifferung von Umweltschäden gibt, ist es schwierig, den Haftungsbetrag im voraus zu bestimmen. Die Berechnung risikoabhängiger Tarife ist jedoch für die Erfuellung der Haftung bei Versicherungsverträgen und Versicherungsgesellschaften erforderlich, um jederzeit angemessene technische Voraussetzungen schaffen zu können. Die Entwicklung von qualitativen und verläßlichen quantitativen Kriterien für die Anerkennung und Messung von Umweltschäden wird die finanzielle Sicherheit für das Umwelthaftungssystem verbessern und zu seiner Funktionsfähigkeit beitragen. Allerdings wird das nicht über Nacht geschehen und könnte auch weiterhin kostspielig bleiben. Das rechtfertigt einen vorsichtigen Ansatz bei der Festlegung des Haftungssystems.

    Die Festlegung von Hoechstsätzen für Schäden an natürlichen Ressourcen könnte die Chancen für eine frühzeitige Herausbildung eines Versicherungsmarktes auf diesem Gebiet verbessern, obwohl dadurch die effektive Anwendung des Verursacherprinzips unterwandert würde.

    Betrachtet man den Versicherungsmarkt (Versicherungen bilden neben Bankbürgschaften, Eigenkapitalrücklagen oder branchenorientierten Haftungsfonds eine Möglichkeit der Deckungsvorsorge), so wird deutlich, daß Versicherungen gegen Risiken im Zusammenhang mit Umweltschäden noch verhältnismäßig wenig entwickelt sind, sich jedoch in den Teilen des Versicherungsmarktes, die sich speziell diesem Bereich widmen, klare Fortschritte abzeichnen. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung neuer Arten von Versicherungspolicen für die Deckung der mit der Sanierung von Altlasten verbundenen Kosten, wie es in den Niederlanden der Fall ist.

    Die Versicherbarkeit von Umweltrisiken ist für die Deckungsvorsorge entscheidend, hängt aber wesentlich davon ab, daß das Haftungssystem für Rechtssicherheit und Transparenz sorgt. In den Umwelthaftungssystemen nahezu aller Mitgliedstaaten ist eine solche Deckungsvorsorge jedoch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Ist dies doch der Fall (wie z. B. im deutschen Umwelthaftungsgesetz), so treten bei der Umsetzung der betreffenden Bestimmung Schwierigkeiten auf, weshalb die erforderliche Durchführungsverordnung bislang noch nicht erlassen werden konnte.

    Die Bedenken der Finanzkreise sind ein Grund dafür, warum in diesem Weißbuch ein schrittweiser Ansatz vorgeschlagen wird (siehe Abschnitt 6). Die Begrenzung des Umfangs gefährlicher Aktivitäten, die Beschränkung auf die natürlichen Ressourcen, die bereits durch bestehendes Gemeinschaftsrecht geschützt sind, und die Begrenzung auf erhebliche Schäden tragen insgesamt dazu bei, die Risiken des Systems kalkulierbarer und handhabbarer zu machen. Überdies sollte, solange im Zusammenhang mit dem neuen System noch Erfahrungen gesammelt werden müssen und um sich nicht der erforderlichen Flexibilität zu berauben, im Gemeinschaftssystem keinerlei Verpflichtung zur Deckungsvorsorge festgelegt werden. Die Bereitstellung einer Deckungsvorsorge für die aus dem System resultierenden Risiken durch den Versicherungs- und Bankensektor sollte auf freiwilliger Basis erfolgen. Die Kommission beabsichtigt, mit diesen Sektoren im Gespräch zu bleiben, um die weitere Entwicklung von speziellen Instrumenten der Deckungsvorsorge zu fördern.

    5. Verschiedene Möglichkeiten für Massnahmen der Gemeinschaft

    Bei der Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik zur Umwelthaftung wurden verschiedene Ansätze und Instrumente in Betracht gezogen, von denen die wichtigsten mit ihren Vor- und Nachteilen in diesem Abschnitt erörtert werden.

    5.1. Beitritt der Gemeinschaft zum Lugano-Übereinkommen

    1993 wurde das Europarat-Übereinkommen für die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch umweltgefährdende Tätigkeiten begründet. An den diesbezüglichen Verhandlungen waren die Kommission und alle Mitgliedstaaten beteiligt. Das Übereinkommen beinhaltet ein Umwelthaftungssystem, das alle Arten von Schäden einschließt (sowohl Schäden im herkömmlichen Sinne als auch Personen- und Sachschäden und die Beeinträchtigung der Umwelt schlechthin), die durch eine gefährliche Tätigkeit verursacht werden. Gefährliche Tätigkeiten in bezug auf den Umgang mit gefährlichen Stoffen, Biotechnologie und Abfall sind genau definiert. Der Geltungsbereich unterliegt keiner Einschränkung, so daß auch andere als die ausdrücklich genannten Tätigkeiten als gefährlich eingestuft werden können. Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte, des Inhalts und der Unterzeichner dieses Übereinkommens ist der Öffentlichkeit zugänglich.

    Ein Beitritt der Gemeinschaft zu diesem Übereinkommen stuende im Einklang mit einem internationalen Subsidiaritätsprinzip (wenn die betreffende Angelegenheit durch den Beitritt der Gemeinschaft zu einem bestehenden internationalen Übereinkommen geregelt werden kann, sollten keine neuen EG-Rechtsvorschriften festgelegt werden). Darüber hinaus deckt das Übereinkommen ein umfassendes Spektrum ab (alle Arten von Schäden infolge gefährlicher Tätigkeiten) und hat einen breiten und offenen Geltungsbereich, so daß es den Vorzug aufweist, ein einheitliches System darzustellen und die Betreiber aller gefährlichen Tätigkeiten gleich zu behandeln. Sechs Mitgliedstaaten [23] haben das Übereinkommen unterzeichnet, und weitere ziehen eine Unterzeichnung in Betracht. Von mehreren Mitgliedstaaten [24] sind die entsprechenden Rechtsvorschriften für die Umsetzung des Übereinkommens bereits erarbeitet worden, oder sie sind dabei, die Ratifizierung einzuleiten. Es gibt jedoch auch Mitgliedstaaten [25], die das Übereinkommen nicht zu unterzeichnen oder zu ratifizieren gedenken. Das Übereinkommen steht auch den mittel- und osteuropäischen Ländern offen. Selbst Länder, die nicht Mitglied des Europarates sind, können ihm beitreten, so daß es eine bedeutende internationale Verbreitung finden könnte. Der Beitritt der Gemeinschaft könnte andere Länder ebenfalls zum Beitritt ermutigen.

    [23] Finnland, Griechenland, Italien, Luxemburg, die Niederlande und Portugal.

    [24] Österreich, Finnland, Griechenland, die Niederlande, Portugal.

    [25] Dänemark, Deutschland, Vereinigtes Königreich.

    Aus dem Vergleich zwischen den Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens und den Umwelthaftungsregelungen der Mitgliedstaaten ergibt sich der allgemeine Eindruck, daß das Übereinkommen in einigen Punkten über die Regelungen der meisten Mitgliedstaaten hinausgeht (insbesondere durch die explizite Einbeziehung von Umweltschädigungen schlechthin). Infolge seines offenen Geltungsbereichs für gefährliche Tätigkeiten geht es auch weiter als die Regelungen einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten, in denen Systeme mit einem geschlossenen und begrenzteren Anwendungsbereich gelten. Diese Mitgliedstaaten und der überwiegende Teil der Unternehmen sind der Meinung, daß der Geltungsbereich des Lugano-Übereinkommens zu weit gefaßt sei und zu wenig Rechtssicherheit gewähre, und daß die darin enthaltenen Definitionen, insbesondere in bezug auf Umweltschäden, zu ungenau seien. In dem Übereinkommen werden Umweltschäden auf eine relativ unpräzise Weise berücksichtigt. So wird beispielsweise keine Sanierung gefordert, und es werden keine Kriterien für die Sanierung oder die wirtschaftliche Bewertung der betreffenden Schäden genannt. Wenn also der Beitritts zu dem Übereinkommen ins Auge gefaßt würde, müßte das Lugano-System durch einen gemeinschaftlichen Rechtsakt ergänzt werden, um im Hinblick auf die Haftung größere Klarheit und Genauigkeit für diesen neuen Bereich zu schaffen.

    5.2. Ein nur für grenzüberschreitende Schäden geltendes System

    Die Mitgliedstaaten sind sich zunehmend der jenseits ihrer Grenzen verursachten Schäden bewußt, nicht zuletzt infolge der Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber den von einem anderen Land ausgehenden Emissionen. Mit fortschreitender Umsetzung der Habitat-Richtlinie und Fortschritten bei Natura 2000 werden grenzüberschreitende Probleme wahrscheinlich noch stärker ins Bewußtsein rücken, zumal sich viele Lebensräume beiderseits der Grenze zwischen Mitgliedstaaten erstrecken. Selbst wenn Emissionen nur in einem Mitgliedstaat abgegeben werden und die unmittelbar daraus resultierende Schädigung eines dieser Lebensräume dort erfolgt, können die Schäden Folgen für die anderen Mitgliedstaaten haben, weil beispielsweise die Unversehrtheit einer Art oder eines Lebensraums in seiner Gesamtheit in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Verschmutzung von Flüssen oder Seen hat mitunter ebenfalls eine grenzüberschreitende Dimension.

    Das Hauptargument der Fürsprecher eines nur für grenzüberschreitende Schäden geltenden Systems lautet, daß es aufgrund des Subsidiaritätsprinzips nicht genügend Argumente dafür gibt, ein Haftungssystem auf Probleme anzuwenden, die innerhalb nur eines Mitgliedstaats angesiedelt sind, wohingegen grenzüberschreitende Probleme tatsächlich besser auf Gemeinschaftsebene zu lösen sind. Als Nachteil schlägt zu Buche, daß die Annahme eines Systems, das sich nur auf grenzüberschreitende Probleme bezieht, bei der Haftung für Schädigungen der biologischen Vielfalt eine erhebliche Lücke hinterließe, da es hierfür in den meisten Mitgliedstaaten noch keine Regelungen gibt. Das wichtige Ziel der verstärkten praktischen Anwendung des Umweltrechts der Gemeinschaft wäre nicht mit einem System zu erreichen, das den Großteil der potentiellen Verstöße gegen dieses Recht, d. h. der innerhalb eines Mitgliedstaats erfolgenden, nicht abdecken würde. Ein nur für grenzüberschreitende Schäden geltendes System hätte darüber hinaus sogar zur Folge, daß Personen innerhalb ein und desselben Mitgliedstaats eine völlig unterschiedliche Behandlung zuteil würde, da beispielsweise Personen, die in grenzüberschreitende Schäden verwickelt sind, nach dem gemeinschaftlichen, nur für grenzüberschreitende Schäden geltenden System haftbar gemacht werden könnten, während andere, die im selben Land dieselbe Tätigkeit ausüben und vergleichbare Schäden verursachen, ungestraft davonkommen können, sofern das betreffende einzelstaatliche System keine Regelungen für einen solchen Fall vorsieht. Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß dem vom Europäischen Gerichtshof geschaffenen Fallrecht könnte damit sogar die Rechtmäßigkeit eines solchen Gemeinschaftssystems in Frage gestellt werden.

    5.3. Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Gemeinschaftsempfehlung

    Diese Möglichkeit - beispielsweise eine mit dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht verknüpfte Empfehlung - fände wohl die Unterstützung all derer, die von der Notwendigkeit eines rechtsverbindlichen Instruments nicht überzeugt sind. Sie könnten die Auffassung vertreten, daß nicht ausreichend nachgewiesen ist, daß das in den Mitgliedstaaten geltende Recht den einschlägigen Umweltproblemen nicht gewachsen ist. Im Vergleich zu verbindlichen Rechtsakten würde eine Empfehlung als rechtlich nicht verbindliches Instrument ohne entsprechenden Durchsetzungsmechanismus in Fällen grenzüberschreitender Umweltschädigung innerhalb der Gemeinschaft für die Betreiber zu niedrigeren Kosten und für die Umwelt zu weniger Vorteilen führen. Ähnliche Argumente können in diesem Zusammenhang in bezug auf (freiwillige) Umweltvereinbarungen angeführt werden.

    5.4. Eine Gemeinschaftsrichtlinie

    Die Vorteile einer Richtlinie im Vergleich zum Beitritt der Gemeinschaft zum Lugano-Übereinkommen bestehen hauptsächlich darin, daß sich der Anwendungsbereich einer Richtlinie besser abgrenzen läßt und das für die Schädigung der biologischen Vielfalt geltende System besser ausgestaltet und mit den einschlägigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft in Einklang gebracht werden kann. Dies bietet eine größere Rechtssicherheit als das Lugano-Übereinkommen. Auch wenn die Gemeinschaft dem Lugano-Übereinkommen nicht beitritt, kann letzteres eine wichtige Quelle für Anregungen für eine künftige Gemeinschaftsrichtlinie sein. Was die Anwendung einer Haftungsregelung auf Drittländer betrifft, so würde eine Gemeinschaftsrichtlinie über die Umwelthaftung im Rahmen des Erweiterungsprozesses bei den beitrittswilligen Ländern selbstverständlich berücksichtigt und die in diesen Ländern in bezug auf die Umwelthaftung bestehende Lage einer Prüfung unterzogen.

    Vergleicht man diese Art von Gemeinschaftsmaßnahme mit den in 5.2 und 5.3 beschriebenen begrenzteren und unverbindlichen Optionen, so handelt es sich bei ersterer um die Variante mit einem höheren Zugewinn hinsichtlich der besseren Durchsetzung der Umweltgrundsätze und des Rechts der Gemeinschaft und der wirksamen Sanierung der Umwelt.

    5.5. Sektorspezifische Haftung auf dem Gebiet der Biotechnologie

    Mehrfach hat das Europäische Parlament die Kommission gebeten, Haftungsbestimmungen in vorhandenen Richtlinien zur Biotechnologie aufzunehmen. Die in 5.4 genannte Option könnte angewandt werden, indem gezieltere Haftungsbestimmungen, die auf konkrete Sektoren anwendbar sind (z. B Biotechnologie), anstelle eines horizontalen Ansatzes vorgeschlagen werden, der alle (potentiell) gefährlichen Tätigkeiten auf gleiche Weise abdeckt.

    Ein horizontaler Ansatz hat den Vorteil, daß mit einem einzigen Rechtsakt ein allgemeiner Rahmen geschaffen wird. Wenn die erfaßten Tätigkeiten gleiche Umweltrisiken bedeuten und vergleichbare wirtschaftliche Fragen aufwerfen, dann wäre dieser Ansatz nicht nur einheitlicher, sondern auch effizienter. Ein sektorspezifischer Ansatz würde kein konsequentes System bzw. die gleiche Anwendung des Verursacher-, Vorbeugungs- und Vorsorgeprinzips auf Aktivitäten gewährleisten, die in dem Sinne vergleichbar sind, daß sie für Mensch und Umwelt eine Gefahr darstellen. Ferner würde das Ziel der besseren Durchsetzung aller entsprechenden Teile des gemeinschaftlichen Umweltrechts nicht erreicht, wenn Haftungsbestimmungen lediglich in einem spezifischen Bereich der Vorschriften eingeführt würden. Schließlich könnte man einem Sektor nur schwer erklären, weshalb gerade er für Haftungsbestimmungen ausgesucht wurde, wenn auch andere Sektoren die gleichen Risiken in sich bergen. Aus all den genannten Gründen sollte einem horizontalen Umwelthaftungssystem der Vorzug gegeben werden.

    6. Subsidiarität und Verhältnismässigkeit

    Gemäß EG-Vertrag soll die Umweltpolitik der Gemeinschaft zur Erhaltung und zum Schutz der Umwelt sowie zur Verbesserung ihrer Qualität sowie zum Schutz der menschlichen Gesundheit beitragen (Artikel 174 Absatz 1). Diese Politik muß darüber hinaus unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau abzielen. Sie beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und der Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip (Artikel 174 Absatz 2). Die Umsetzung all dieser Grundsätze, die gemäß Wortlaut des Vertrages (siehe Kursivschrift) für die Gemeinschaftsorgane verbindlich sind, ist zur Zeit jedoch auf Gemeinschaftsebene nicht optimal. Ein Grund dafür ist die Diskrepanz, die zwischen den meisten Mitgliedstaaten hinsichtlich der Haftungsregelungen für Schädigungen der biologischen Vielfalt besteht. (Siehe in diesem Zusammenhang auch Abschnitt 3).

    Hinzu kommt, daß die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten kein geeignetes Mittel darstellen, mit dem in der Gemeinschaft grenzüberschreitende Umweltschäden beispielsweise an Wasserläufen und Lebensräumen, die sich über Landesgrenzen hinweg erstrecken, geregelt werden können. Deshalb erscheint im Interesse der Vermeidung unzulänglicher Lösungen für grenzüberschreitende Schäden ein Gemeinschaftssystem erforderlich.

    Auch für die Durchsetzung ihrer Umwelthaftungsregelungen wenden die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Instrumente an. Setzen einige Mitgliedstaaten mehr auf das Verwaltungsrecht bzw. auf das öffentliche Recht, ziehen andere in stärkerem Maße das Zivilrecht heran. In allen Mitgliedstaaten findet eine Kombination beider Anwendung. Ein Gemeinschaftssystem sollte im Hinblick auf die Ziele und Ergebnisse verbindlich sein, die Wahl der Mittel und Wege zu deren Erreichung jedoch den Mitgliedstaaten überlassen werden.

    In Übereinstimmung mit den Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit wäre ein Gemeinschaftssystem, das auf Artikel 175 des Vertrages basiert, in Form eines Ordnungsrahmens vorstellbar, der die wesentlichen Mindestanforderungen enthält und im Laufe der Zeit auf der Grundlage der in der ersten Phase der Anwendung gewonnenen Erfahrungen durch weitere Elemente ergänzt wird (schrittweiser Ansatz).

    Sollte es sich bei dem Instrument für die Schaffung des Systems um eine Richtlinie handeln, wird die einheitliche gemeinschaftsweite Anwendung des Systems über die Überwachung des Gemeinschaftsrechts und des durch den Europäischen Gerichtshof geschaffenen Fallrechts durch die Kommission sichergestellt.

    7. Wirtschaftliche Auswirkungen der Umwelthaftung auf EG-Ebene

    Ein Gemeinschaftssystem gemäß dem Weißbuch würde sich erheblich von bestehenden Systemen unterscheiden. Daher reichen die bisher gesammelten Erfahrungen nicht aus, um nachhaltige Ansichten zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Gemeinschafts systems einschließlich der Auswirkungen auf seine externe Wettbewerbsfähigkeit zu erhärten. Die Kommission wird ihre Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet fortsetzen und weitere Studien zu den wirtschafts- und den umweltspezifischen Auswirkungen der Umwelthaftung durchführen. Die Ergebnisse dieser Studien werden eingehend bewertet und bei der Vorbereitung künftiger Initiativen der Kommission auf diesem Gebiet gebührend berücksichtigt. Zu diesem Zeitpunkt bietet allerdings das Datenmaterial zu bestehenden Haftungssystemen einen nützlichen allgemeinen analytischen Rahmen.

    Die Daten zu den Auswirkungen der Umweltregelung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft lassen erkennen, daß keine ausdrücklichen negativen Auswirkungen feststellbar sind. Außerdem stehen Daten über die Auswirkungen von Umwelthaftungssystemen zur Verfügung. Die jährlichen Gesamtsanierungskosten - wenngleich sie die Kosten der Schädigung von natürlichen Ressourcen ausschließen - des rückwirkenden [26] US Superfund machen etwa 5 % des Jahr für Jahr in den USA aufgewandten Gesamtbetrages für die Einhaltung aller Umweltregelungen aus. Zu den für Schäden an den natürlichen Ressourcen für den US Superfund entstehenden Kosten liegen keine Gesamtzahlen vor. Hinsichtlich der in den Mitgliedstaaten geltenden Umwelthaftungssysteme zeigt das vorhandene Datenmaterial, daß sich daraus keine erheblichen Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit ergeben haben.

    [26] Das Weißbuch spricht sich gegen eine rückwirkende Haftung aus, die - wenn alle anderen Faktoren gleich sind - sich stärker auf die Kosten auswirkt.

    Zwar sind wir uns hinsichtlich der Auswirkungen eines gemeinschaftlichen Haftungssystems auf die externe Wettbewerbsfähigkeit nicht sicher, aber es muß berücksichtigt werden, daß die meisten OECD-Länder irgendeine Umwelthaftungs regelung besitzen. Deshalb wird eine Umwelthaftungsregelung auf EU-Ebene nicht einfach dadurch zu erreichen sein, daß die EU einseitig eine Norm für den Umweltschutz verabschiedet [27].

    [27] In diesem Zusammenhang sollte unbedingt darauf hingewiesen werden, daß Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit und der Verlagerung der Produktion ins Ausland eher unter den entwickelten Ländern als zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern auftreten (diese Schlußfolgerung wird auch durch die kürzlich erschienene WTO-Studie "Trade and the Environment" (WTO 1999) gestützt. Da die meisten OECD-Länder bereits irgendeine Umwelthaftungsregelung besitzen, dürften die Auswirkungen eines gemeinschaftlichen Haftungssystems auf die externe Wettbewerbsfähigkeit eher begrenzt sein.

    Das soll nicht bedeuten, daß die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie, insbesondere der exportorientierten Branchen sowie der Sektoren, die infolge von Importen einem starken Wettbewerb ausgesetzt sind, nicht mit allen erdenklichen Mitteln geschützt werden sollte. Es gibt Möglichkeiten, potentielle Probleme mit der externen Wettbewerbsfähigkeit zu umgehen, die sich aus unterschiedlichen, mit den Welthandelsvorschriften vereinbaren Haftungsstandards auf internationaler Ebene ergeben könnten.

    Was die KMU betrifft, so verursachen sie oftmals größere Umweltschäden, als aufgrund ihrer Größe zu erwarten wäre - was möglicherweise auf fehlende Mittel zurückzuführen ist. Unter diesem Gesichtspunkt könnte sich die Haftung erheblicher auf sie auswirken. Unerwünschte Nebenwirkungen wie eine Zunahme des Anteils des von den KMU verursachten Schadens könnten durch den zielgerichteteren Einsatz einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Fördermechanismen abgeschwächt werden, die eine Erleichterung der Anwendung sauberer Verfahren durch die KMU zum Ziel haben.

    Der vorgeschlagene Haftungsansatz schützt im Finanzsektor tätige Unternehmen vor Haftungsansprüchen, sofern diese keine Verantwortung für die betrieblichen Abläufe tragen. Unerwünschte negative Auswirkungen auf diesen Sektor sind daher eher unwahrscheinlich. Vorausgesetzt, die Rechtssicherheit in bezug auf Haftung und Transparenz ist gewahrt, sollten sich mit der Zeit positive Auswirkungen, insbesondere auf den Versicherungssektor, ergeben, je mehr Erfahrungen mit der Funktionsweise des Systems gesammelt wurden und neue Märkte für Versicherungsprodukte entstanden sind.

    Auch die Auswirkungen der Umwelthaftung auf die Beschäftigung sind eine wichtige Frage. Die verfügbaren Forschungsergebnisse über die Gesamtauswirkungen des Umweltrechts legen nahe, daß zwar in bestimmten Branchen die Zahl der Arbeitsplätze zu- oder abnehmen könnte, daß jedoch die Beschäftigung insgesamt nicht systematisch betroffen sein dürfte [28].

    [28] Vgl. z.B. Benchmarkstudie "Jobs, Competitiveness and Environmental Regulation: What are the real issues" von R. Repetto, World Resources Institute, März 1995.

    Zwar liegen noch keine empirischen Studien über die spezifischen Auswirkungen einer EG-Haftungsregelung auf die externe Wettbewerbsfähigkeit vor, aber es ist mit einigen negativen Auswirkungen zu rechnen, wenn Unternehmen sich von umweltbelastenden Tätigkeiten und Prozessen auf saubere Alternativen umstellen. Diese Auswirkungen dürften aber ausgeglichen werden. Das wirtschaftliche Wesen der Haftung besteht darin, daß sie eine Motivation zur Einführung besserer Vorbeugungsmaßnahmen darstellt. Daher steht zu erwarten, daß die Beschäftigung in Branchen, die saubere Technologien und Dienstleistungen produzieren und anbieten, von der Umwelthaftung profitieren wird. Im Zuge der Entwicklung der Versicherungen für Schäden an den natürlichen Ressourcen dürfte auch mit der Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Bereich zu rechnen sein.

    Das Schlüsselkonzept besteht in einer nachhaltigen Entwicklung, wobei die wirtschaftliche, gesellschaftliche und umweltpolitische Dimension angemessen zu berücksichtigen ist.

    Schließlich sei daran erinnert, daß die Anwendung politischer Instrumente häufig mit Kosten verbunden ist, auch wenn sie zu einem Nettogewinn führen. Daher ist eine Minimierung der Kosten in Verbindung mit festgelegten Zielen anzustreben.

    Bei der Haftung verdienen die Transaktionskosten, d. h. die Kosten für die Erreichung und Durchsetzung von Regelungen, besondere Beachtung. In dieser Hinsicht seien drei Fälle erwähnt. Erstens die Vereinigten Staaten, wo Rechtsstreitigkeiten zugegebenermaßen weiter verbreitet sind als in Europa und wo die Haftungsverordnungen hohe Transaktionskosten - im wesentlichen Rechtskosten - in Höhe von 20 % der Gesamtkosten für Durchsetzung und Schadensersatz nach sich ziehen. Zweitens gibt es hinsichtlich der verschuldensunabhängigen Umwelthaftungssysteme in den Mitgliedstaaten keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie zu einer Zunahme der Ansprüche oder Transaktionskosten geführt haben. Schließlich gibt es die in der Gemeinschaft mit der Einführung der Produkthaftungsrichtlinie (siehe Fußnote 9) gesammelten Erfahrungen. Ein Studienbericht über den anfänglichen Zeitraum, in dem diese Richtlinie Anwendung fand, konnte keine erhebliche Steigerung der Zahl oder der Struktur der Ansprüche feststellen. Daraus kann geschlußfolgert werden, daß bei der Gestaltung der Merkmale eines Umwelthaftungssystems auf die Ursachen der Unterschiede bei den Transaktionskosten zwischen den verschiedenen Systemen zu achten ist und Merkmale zu vermeiden sind, die besonders zu solchen Kosten beitragen.

    Unter diesem Gesichtspunkt sollten auch die Regelungen hinsichtlich des direkten Zugangs zu den Gerichten durch andere Beteiligte als die staatlichen Behörden bewertet werden. In diesem Zusammenhang könnte die Anwendung außergerichtlicher Lösungen hilfreich sein. Auch Normen für die Sanierung und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands sollten im Hinblick auf die Kosten, die sie wahrscheinlich verursachen werden, bewertet werden.

    Bei der Behandlung früherer Verschmutzungen und anderer Formen der Verschmutzung, für die eine Haftung kein geeignetes Instrumentarium darstellen würde, wie im Falle von diffusen Schäden oder wenn der Verursacher nicht auffindbar ist, könnten die Mitgliedstaaten - wie dies von einigen bereits getan wird - zu anderen Mitteln greifen, beispielsweise zu Gebühren für das Ausmaß der Verschmutzung oder zu Fonds auf nationaler bzw. regionaler Ebene.

    8. FAZIT

    Mit diesem Weißbuch wurde der Versuch unternommen, verschiedene Optionen für Gemeinschaftsmaßnahmen auf dem Gebiet der Umwelthaftung zu bewerten. Ausgehend von der in diesem Dokument vorgenommenen Analyse sieht die Kommission eine gemeinschaftliche Rahmenrichtlinie zur Umwelthaftung als die geeignetste Lösung an, die eine verschuldensunabhängige Haftung einschließlich von Rechtfertigungsgründen in bezug auf Schäden im herkömmlichen Sinne (d. h. gesundheitliche und Sachschäden) und Umweltschäden (Altlasten und Schädigungen der biologischen Vielfalt in Natura-2000-Gebieten) infolge gefährlicher Tätigkeiten, die einer Gemeinschaftsregelung unterliegen und verschuldensabhängige Haftung für Schäden an dieser biologischen Vielfalt durch ungefährliche Tätigkeiten. Ein solcher Ansatz würde das effektivste Mittel für die Durchsetzung der Umweltgrundsätze des EG-Vertrages, insbesondere des Verursacherprinzips, bieten.

    Einzelheiten einer solchen Rahmendirektive sollten im Rahmen der durchzuführenden Konsultationen weiter ausgearbeitet werden.

    Die Kommission fordert das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen sowie alle Beteiligten zu einer Aussprache über das Weißbuch und die darin unterbreiteten Vorschläge auf und hofft auf entsprechende Stellungnahmen, die bis zum 1. Juli 2000 unter der folgenden Anschrift an die Kommission zu richten sind:

    Generaldirektion Umwelt, nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz, Referat Rechtsfragen (GD ENV.B.3), Rue de la Loi 200, 1049 Brüssel, E-Mail: : Carla.DEVRIES@cec.eu.int oder Charlotta.COLLIANDER@cec.eu.int

    Top