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Document 52021DC0380

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Erste Lehren aus der COVID-19-Pandemie

COM/2021/380 final

Brüssel, den 15.6.2021

COM(2021) 380 final

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN






Erste Lehren aus der COVID-19-Pandemie


1.EINLEITUNG

Nach wie vor ringt die Welt mit einer beispiellosen Gesundheitskrise, die unfassbar viele Menschenleben gefordert, die Gesellschaften weltweit enormen Belastungen ausgesetzt und die Wirtschaft vor eine der heftigsten Herausforderungen der modernen Geschichte gestellt hat. Vor dem Hintergrund weiter steigender Impfquoten und sinkender Infektionsraten in Europa hat die EU eine Reihe von Maßnahmen ergriffen und sich um Koordinierung bemüht, um die Pandemie zu bewältigen und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften abzumildern. COVID-19 ist allerdings nicht weniger gefährlich geworden. Jeden Tag stecken sich mehr als doppelt so viele Menschen an wie vor einem Jahr.

Dies zeigt, dass die Pandemie trotz aller erreichten Fortschritte noch nicht vorbei ist. Es zeigt aber auch, dass wir weiterhin dringend aus dieser Krise lernen müssen, um den mit der Pandemie verbundenen neuen und sich entwickelnden Bedrohungen besser begegnen zu können. Zugleich müssen wir uns für neue und anders geartete künftige Gesundheitskrisen wappnen. In dieser Mitteilung wird deshalb auf einige erste Erkenntnisse aus dem Gesundheitsbereich eingegangen, die Europa jetzt beherzigen und entsprechend handeln muss. Es handelt sich somit zwangsläufig um einen Zwischenbericht, der auf längere Sicht als Grundlage für künftige weitere Erkenntnisse dienen soll.

Bei einem solchen Unterfangen steht an erster Stelle naturgemäß ein kritischer Blick auf das, was getan wurde, was gut funktioniert hat und was nicht. Ohne das kompetente und selbstlose Handeln so vieler, die an vorderster Front tätig waren, sähe die Lage zweifellos noch schwieriger aus. Daneben ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Krise unterschiedlich auf die einzelnen Teile der Gesellschaft ausgewirkt und die schwächsten Gruppen am härtesten getroffen hat. Dies ehrlich einzugestehen, ist entscheidend, wenn wir konkrete Lehren für Maßnahmen und die Politik ziehen wollen. So kann ermittelt werden, wo Schwachstellen und Probleme zutage getreten sind, wo die Vorsorge- und Reaktionssysteme und die entsprechenden Kulturen gestärkt werden müssen und wo Notlösungen zu dauerhaften Einrichtungen gemacht oder weiterentwickelt werden können.

Wir müssen uns auch eingestehen, dass die EU und die Mitgliedstaaten ebenso wenig auf diese Pandemie vorbereitet waren wie fast alle anderen Regionen und Länder auf der ganzen Welt. Es hat sich gezeigt, dass Vorsorge und Planung nicht ausreichend finanziert und unterentwickelt waren. Die Reaktion der EU musste deshalb zu einem großen Teil auf die Schnelle und ad hoc erfolgen. Die Koordinierung und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gestalteten sich zunächst häufig schwierig und funktionierten erst nach einiger Zeit besser. Dies kostete in der Anfangsphase der Pandemie wertvolle Zeit und zeigt, dass geeignete Strukturen schlicht nicht vorhanden waren.

Zugleich hat die EU als Reaktion auf die Pandemie eine Vielzahl beispielloser Initiativen in Rekordzeit konzipiert und umgesetzt. Es waren vor allem diese Initiativen, mit denen Menschenleben und Existenzen gerettet und die Gesundheitsdienste unterstützt wurden. Auch der Mehrwert und die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit bei Pandemien oder anderen grenzüberschreitenden Bedrohungen wurden deutlich, sei es in Bezug auf Notfallmaßnahmen, Impfstoffe, die Beschaffung, die Herstellung lebenswichtiger Güter oder eine Führungsrolle und die wirksame Unterstützung globaler Bemühungen.

Die Maßnahmen der EU zur Minderung des Risikos einer schweren Rezession waren von Anfang an zügig, wirksam und gut koordiniert. Bei ihrem Handeln setzte die EU auf eine Kombination aus der Aktivierung vorhandener Krisenreaktionsmechanismen und der Mobilisierung enormer Ressourcen. Sie beherzigte dabei weitgehend die Erkenntnisse, die seit der Finanzkrise, die 2008 begann, gewonnen worden waren. Die EU – das heißt die Mitgliedstaaten und die EU-Organe – hat aus den Erfahrungen gelernt und beim Ausbruch der Krise 2020 rasch und entschlossen gehandelt, um die Wirtschaft zu schützen. Auch die geldpolitischen Beschlüsse und die Forward Guidance der Europäischen Zentralbank, dank derer günstige Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftssektoren aufrechterhalten werden konnten, waren neben Maßnahmen der Aufsichtsbehörden unerlässlich.

WIE WERDEN LEHREN GEZOGEN? WAS WIR AUS DER WIRTSCHAFTLICHEN REAKTION FÜR DIE KRISENVORSORGE LERNEN KÖNNEN

Die EU hat entschlossene Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ergriffen. Dabei stützte sie sich weitgehend auf die Erfahrungen und Vorkehrungen, die getroffen worden waren, um früheren Herausforderungen und Krisen im Wirtschafts- und Finanzsektor zu begegnen. Von Anfang an stand jedoch fest, dass wir es mit einer Jahrhundertherausforderung zu tun hatten.

Ein bewährtes Vorgehen in drei Stufen:

-An erster Stelle standen Sofortmaßnahmen der EU zur Mobilisierung von Finanzmitteln, darunter 82 Mrd. EUR aus dem EU-Haushalt (einschließlich der Investitionsinitiativen zur Bewältigung der Coronavirus-Krise (CRII und CRII+)). Die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der befristete Rahmen für staatliche Beihilfen wurden aktiviert, damit die Mitgliedstaaten flächendeckend nachziehen konnten: 2020 erreichten die nationalen Maßnahmen in Form von Steuer- und Liquiditätshilfen eine Höhe von 3 Bio. EUR. Flankiert wurde dies durch Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zur Stärkung der Finanzstabilität.

-Zweitens wurde in einer Phase der Bewältigung auf Solidarität gesetzt, und es wurden EU-Instrumente in Höhe von 540 Mrd. EUR mobilisiert, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise abzufedern, unter anderem durch vorübergehende Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken (SURE).

-Schließlich befinden wir uns nun in der Phase der Erholung, in der über NextGenerationEU 750 Mrd. EUR bereitgestellt werden, insbesondere in Form von Unterstützung durch die Aufbau- und Resilienzfazilität und REACT-EU zur Unterstützung von Investitionen und Reformen in den kommenden sechs Jahren.

Drei Hauptmerkmale der politischen Reaktion:

-Geschwindigkeit: Die Kommission traf alle Entscheidungen in Rekordzeit, gleichzeitig wurde eine angemessene demokratische Kontrolle gewahrt. Die CRII trat nur einen Monat, nachdem sie vorgeschlagen worden war, in Kraft. Auch das neue, mit 100 Mrd. EUR ausgestattete Europäische Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) wurde innerhalb eines Monats nach seinem Vorschlag angenommen und trat im Sommer 2020 in Kraft. Die politische Einigung des Europäischen Rates über NextGenerationEU wurde weniger als zwei Monate nach Vorlage des Kommissionsvorschlags erzielt, der Eigenmittelbeschluss wurde schon fünf Monate nach Beginn des entsprechenden MFR vollständig ratifiziert. Zum Vergleich: Die letzten drei Eigenmittelbeschlüsse traten erst mehr als zwei Jahre nach Anlaufen des entsprechenden MFR in Kraft.

-Ehrgeizige Ziele: Im Rahmen der wirtschaftlichen Reaktion der EU gelang es, unterschiedliche Standpunkte zu vereinen. NextGenerationEU wurde als vorübergehende und außerordentliche Maßnahme zur Bewältigung einer außergewöhnlichen Krise konzipiert, von der alle betroffen waren, was die Handlungsfähigkeit der EU angesichts dieser Herausforderung unter Beweis stellt.

-Kohärenz: Die wirtschaftliche Reaktion der EU brachte tragfähige und sich gegenseitig verstärkende fiskal- und geldpolitische Maßnahmen hervor. Wichtig ist zudem, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen kurzfristiger Reaktion und längerfristigen Erfordernissen hergestellt wurde. Die Prioritäten der Kommission vor der Krise wurden bei der Erholung und der Konzipierung von NextGenerationEU berücksichtigt, wobei insbesondere auf den europäischen Grünen Deal, die Digitalisierung und die soziale Komponente des Aufschwungs abgestellt wurde.

Drei Lehren für künftige Maßnahmen im Gesundheitsbereich:

-Koordinierung auf EU-Ebene ist entscheidend: Koordinierte fiskalpolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene und die wichtige Rolle des EU-Haushalts und der Aufbau- und Resilienzpläne werden zur Überwindung der asymmetrischen Auswirkungen der Krise und zum Zusammenwachsen der EU beitragen. Diese gemeinsamen Maßnahmen der EU für die Wirtschaft sind ein Beleg für die Bedeutung eines gemeinsamen Handelns der EU, z. B. bei Impfstoffen. Dabei konnte sich die EU jedoch auf die Erfahrungen stützen und auf die Vorkehrungen zurückgreifen, die getroffen wurden, um die früheren Herausforderungen im Wirtschafts- und Finanzbereich zu bewältigen, und musste nicht improvisieren.

-Resilienz des Systems zur Koordinierung der EU-Politik: Die Stärkung der Resilienz von Volkswirtschaften, des Binnenmarkts und des industriellen Ökosystems der EU sind wesentliche Bausteine der politischen Maßnahmen. Dank ihrer Reaktion auf die vorangegangene Wirtschafts- und Finanzkrise konnte die EU mit Instrumenten wie der allgemeinen Ausweichklausel oder der Bankenunion viel besser auf die wirtschaftlichen Folgen reagieren. In der europäischen Gesundheitspolitik gibt es keine solchen Instrumente, die in Krisenzeiten hätten aktiviert werden können.

-Die EU als globaler Akteur: Das Gewicht der europäischen Wirtschaft und des Euro trug entscheidend zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber Schocks bei, einschließlich der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise. Die starke gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Volkswirtschaften der EU und dem Rest der Welt wurde wieder einmal deutlich, und die globalen Lieferketten gerieten ins Blickfeld wie nie zuvor. Die globale Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich muss die gleiche Mischung aus multilateralem Engagement und dem Gewicht der EU auf der Weltbühne nutzen, um durch den weiteren Rückgriff auf den Ansatz „Team Europa“ die bestmögliche gesundheitspolitische Reaktion in einer Krise wirksam einzusetzen.

Hieraus müssen wir jetzt lernen und über die Sofortmaßnahmen einen Strukturwandel anstoßen, um auf künftige Gesundheitskrisen dieser Art koordiniert reagieren zu können. Wir müssen das, was wir in den vergangenen achtzehn Monaten gelernt haben, in ein systematischeres Konzept übertragen, ein koordiniertes System, das ein frühzeitigeres Erkennen von Risiken, eine bessere Notfallplanung und eine schnellere und wirksamere gemeinsame Reaktion ermöglicht.

Im Mittelpunkt dieser Mitteilung stehen daher die Krisenvorsorge und -reaktion bei Gesundheitsnotlagen. Zunächst bietet sie einen Überblick über das bisherige Geschehen, bevor zehn erste Erkenntnisse aus der Gesundheitskrise abgeleitet werden, bei denen Handlungsbedarf seitens der EU besteht. Sie wird in die Beratungen der Staats- und Regierungschefs auf der Juni-Tagung des Europäischen Rates einfließen, dem Europäischen Parlament vorgelegt und von der Kommission im zweiten Halbjahr 2021 mit konkreten Zielen vervollständigt werden.

2.„LEARNING BY DOING“ – WAS BISHER GESCHAH

Als die Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 eine weltweite Pandemie ausrief, hatte sich das Virus in Europa schon ausgebreitet. Verschärft wurde dies durch die Tatsache, dass die chinesischen Behörden zu Beginn des Ausbruchs keine Informationen bereitgestellt bzw. sogar Informationen unterdrückt haben. Da kein solides EU-System zur Erklärung eines Notstands und zur Veranlassung der erforderlichen Koordinierung existierte, bemühten sich die Staaten ihrerseits, die Lage zu kontrollieren. Allerdings erwies sich eine kohärente und wirksame frühzeitige Reaktion als schwierig.

Es gab ein deutliches Defizit bei der Vorsorge und Planung im Hinblick auf Pandemien, da nur auf wenige einsatzbereite Instrumente zurückgegriffen werden konnte, um rasch und wirksam auf den Ausbruch der Pandemie zu reagieren. Dies traf auf globaler, europäischer, nationaler und lokaler Ebene zu, war jedoch in Europa möglicherweise stärker spürbar, das anders als andere Teile der Welt in den letzten Jahrzehnten von Epidemien oder vergleichbaren Krankheiten verschont geblieben war. Die Bemühungen, die Ausbreitung des Virus durch die Schließung innereuropäischer Grenzen und Kontrollen einzudämmen, waren nicht koordiniert und hatten eine begrenzte Wirkung oder waren gar kontraproduktiv, da wichtige Lieferketten geschwächt wurden, und vorübergehende Ausfuhrverbote für wesentliche Güter führten nur zu weiteren Engpässen. Darüber hinaus wurden die Handelsströme mit kritischen Produkten und Materialien weltweit durch Ausfuhrbeschränkungen und die Bevorzugung der heimischen Produktion durch Länder außerhalb der EU behindert.

In der Anfangsphase wurde sofort deutlich, dass die Gesundheitssysteme an ihre Belastungsgrenzen gerieten. Die erste Welle offenbarte die Grenzen der Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten in Bezug auf das Gesundheitspersonal sowie das Fehlen ausreichender Kapazitäten an Krankenhausbetten, von medizinischer Ausrüstung, Hilfsgütern und Arzneimitteln, wodurch das Gesundheitspersonal überfordert wurde und das gesamte System unter enormem Druck geriet. 1 Die Versuche, diese Mängel durch mehr Solidarität bei der Intensivpflege oder medizinischen Hilfsgütern zu beheben, zeigten, wie dringend erforderlich und wichtig die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten ist, beispielsweise durch die Entsendung von Teams und Ressourcen zur Hilfe in den am stärksten betroffenen Gebieten. Diese Bemühungen wurden jedoch häufig durch einen Mangel an zuverlässigen oder vergleichbaren Daten behindert.

Mit zunehmender Ausbreitung der Krise hat die EU ihre Fähigkeit zu einer wirksamen flächendeckenden Reaktion unter Beweis gestellt. Sie rückte zunehmend von einseitigen Maßnahmen ab und gelangte zu einheitlichen Entscheidungen und entwickelte ein breites Spektrum von Maßnahmen, die den verschiedenen Phasen der Pandemie angepasst und entsprechend aktualisiert wurden. Ein Beispiel hierfür ist der gemeinsame Ansatz bei Impfstoffen. Gleiches gilt aber auch für neue Initiativen in verschiedenen weiteren Politikbereichen. Dank der Initiative „Green Lanes“ 2 konnten die Lieferketten aufrechterhalten und die Versorgung mit Lebens- und Arzneimitteln auf dem Binnenmarkt gewährleistet werden. Der gemeinsame Ansatz zur Bewertung der Infektionsraten in verschiedenen Regionen ermöglichte kohärentere Test- und Quarantäneauflagen. Rasch wurden Initiativen im Steuer‑ und Zollbereich ergriffen, um die Versorgung mit lebenswichtiger medizinischer Ausrüstung und Schutzausrüstung zu unterstützen. Mit Leitlinien wurde die sichere grenzüberschreitende Mobilität von Grenzgängern und Saisonarbeitskräften unterstützt. Die EU-Vorschriften für die Kohäsionspolitik wurden in einem bislang ungekannten Tempo geändert, sodass die Mitgliedstaaten EU-Mittel rasch übertragen konnten, um Soforthilfe im Gesundheitswesen zu finanzieren.

Vor kurzem wurde der Vorschlag der Kommission für ein digitales COVID-Zertifikat der EU vereinbart und in Rekordzeit umgesetzt, was den Weg für die Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkungen und den Neustart von Tourismus und Reisen ebnete. Diese Initiative hat auch gezeigt, wie wichtig es ist, die grenzüberschreitende Interoperabilität von Informationssystemen und Datenströmen zu verbessern.

Ein wichtiger Aspekt, der untersucht werden sollte, ist der Ansatz, der bei der Entwicklung, Beschaffung und Herstellung von Impfstoffen verfolgt wurde. Die Kommission hat aus der anfänglich uneinheitlichen Reaktion auf die Krise Lehren gezogen und im Juni 2020 eine gemeinsame Impfstrategie der EU vorgelegt. 3 Die Strategie ermöglichte die Unterstützung und beschleunigte Entwicklung und Herstellung in großem Maßstab. Die Verhandlungen mit den Impfstoffherstellern gestalteten sich mitunter schwierig, aber dank dieses Vorgehens konnte für alle Mitgliedstaaten der Zugang zu COVID-19-Impfstoffen in einem Umfang gewährleistet werden, der die Bereitstellung von Impfstoffen im heutigen Ausmaß sowie Ausfuhren in mehr als hundert Länder weltweit möglich gemacht hat. Alle 27 Mitgliedstaaten erklärten sich bereit, ihre Kräfte zu bündeln und die Kommission mit Aufgaben zu betrauen, die bisher üblicherweise der nationalen Entscheidungsbefugnis zugerechnet werden.

Dies war ein wichtiger Schritt zur gemeinsamen Überwindung der Pandemie. Ohne diese Strategie hätten die Mitgliedstaaten gegenseitig um weniger Dosen von weniger Herstellern konkurriert. Wir hätten erhebliche Unterschiede beim Tempo der Impfkampagnen erlebt, verbunden mit einem höheren Risiko von Ungerechtigkeit, Varianten und Reisebeschränkungen. Stattdessen hat mittlerweile mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in Europa eine Impfdosis erhalten, mehr als ein Viertel ist vollständig geimpft. Auch wenn noch viel zu tun bleibt, ist dies eine historische gemeinsame Errungenschaft, die zudem in Rekordzeit erzielt wurde und eine schrittweise, dauerhafte und sichere Wiederaufnahme des sozialen und wirtschaftlichen Lebens und die Unterstützung unserer internationalen Partner ermöglicht. 4

Allerdings kann dieser Erfolg nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen, die insbesondere beim Ausbau der Herstellungs- und Produktionskapazitäten sowie in Bezug auf Abhängigkeiten von globalen Lieferketten aufgetreten sind. Diese Schwierigkeiten sind zum Teil auf das Fehlen eines ständigen integrierten Ansatzes für Forschung, Entwicklung, Marktzulassung, Produktion und Beschaffung zurückzuführen. Mit Blick auf COVID‑19‑Impfstoffe ist dieses Problem seitdem angegangen worden, für künftige Ereignisse im Gesundheitsbereich bzw. Gesundheitskrisen ist jedoch eine längerfristige Lösung erforderlich.

3.ZEHN LEHREN AUS DER COVID-19-PANDEMIE FÜR DIE GESUNDHEITSPOLITIK

Lehren aus einer Krise lassen sich nur auf der Grundlage einer ehrlichen Bewertung von Vergangenheit und Gegenwart ziehen, damit Verbesserungen für die Zukunft vorgenommen werden können. Dementsprechend wird bei jeder der zehn in dieser Mitteilung aufgeführten Lehren der Fokus auf das gelegt, was verbessert werden musste und was in Zukunft besser gemacht werden kann. Die zehn Lehren sind nicht erschöpfend und schließen sich nicht gegenseitig aus – sie bieten lediglich eine erste Momentaufnahme dessen, was nach bisherigem Wissen getan werden kann, um wirksamer auf Gesundheitskrisen zu reagieren.

Lehre 1: Eine schnellere Erkennung und Reaktion hängt von einer stärkeren globalen Überwachung und besser vergleichbaren und vollständigeren Daten ab.

Wie bei jedem Ausbruch einer neuen Infektionskrankheit ist die Früherkennung von entscheidender Bedeutung, um die Ausbreitung der Krankheit und ihre Auswirkungen auf Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft sowohl lokal als auch global erfolgreich einzudämmen. Die Überwachungssysteme in der EU und weltweit gestatten eine raschere Erkennung und frühzeitigere Warnung anderer sowie die Bewältigung einer akuten Pandemie, die sich auf wesentlich bessere Informationen stützen kann. Sie geben zudem Experten aus der ganzen Welt die Möglichkeit, Forschungsarbeiten und Risikoanalysen zu neuen Viren und ihren potenziellen Auswirkungen oder der von ihnen ausgehenden Bedrohung durchführen.

COVID-19 hat deutlich gemacht, welch wichtige Rolle diese Überwachungssysteme spielen, die bereits am 31. Dezember 2019 Informationen über besorgniserregende gehäufte Inzidenzen von Lungenentzündungen aufgegriffen haben. Sobald die Genomsequenzierung Mitte Januar abgeschlossen war, konnte die Entwicklung von Tests, Behandlungsmethoden und sogar Impfstoffen ernsthaft angegangen werden.

Allerdings hat die Pandemie auch die Grenzen der aktuellen Überwachungssysteme aufgezeigt. Es wurde deutlich, dass sie nur so wirksam sein können wie die Daten, auf denen sie beruhen. In den ersten Wochen nach Auftreten des ersten Falls führte das Fehlen vergleichbarer und vollständiger Daten dazu, dass Bedrohungsanalysen und wissenschaftliche Forschung nicht in vollem Umfang durchgeführt werden konnten. Bei der Ermittlung des tatsächlichen Ausmaßes, des Tempos der Ausbreitung und der Schwere der Epidemie ging entscheidende Zeit verloren, was wichtige Entscheidungen in Europa und weltweit verzögerte. Infolgedessen dauerte es schlicht zu lange, bis die globale Koordinierung griff. Die internationale Kommission für Pandemievorsorge und -bekämpfung stellte fest, dass das derzeitige internationale Warnsystem bei sich rasch verbreitenden Erregern von Atemwegserkrankungen nicht schnell genug reagiert.

Deshalb ist ein neues globales Überwachungssystem erforderlich, mit den erforderlichen Instrumenten und einem offenen Umfeld, damit Daten so früh wie möglich ausgetauscht werden können. Der Schwerpunkt sollte dabei darauf liegen, die in Teilen der Welt bestehenden Lücken in den Überwachungsnetzen zu schließen und den schnelleren Austausch vergleichbarer Daten zu erleichtern.

Auf europäischer Ebene sollte ein neues europäisches System für die Erfassung von Informationen über Pandemien eingerichtet werden, das auf dem bestehenden Frühwarn- und Reaktionssystem und einer modernisierten Version des Europäischen Überwachungssystems 5 aufbaut, um Daten in Echtzeit zu verwalten und auszutauschen, und das in das neue globale System integriert wird. Der Schwerpunkt sollte hierbei darauf liegen, dass die Mitgliedstaaten Informationen möglichst früh bereitstellen, von frühen Anzeichen möglicher Bedrohungen – u. a. Pandemien, Bioterrorismus oder einer Zwischenform – bis hin zu konkreten Daten zu Inzidenzen, Expositionen, Risikofaktoren, gesundheitlichen Auswirkungen und Kapazitäten des Gesundheitssystems. Eine Vernetzung der Gesundheitsbehörden würde hier eine koordinierte Verwaltung von Lagerbeständen und Krankenhausbetten sowie eine rasche Personalumschichtung ermöglichen. Durch eine solche Vernetzung könnten Daten zur aktuellen Lage ausgetauscht werden, die sich auf innovative Datenquellen wie die jetzt eingeführte Abwasserüberwachung stützen. 6 Auch eine schnellere und wirksamere Kontaktnachverfolgung und die grenzüberschreitende Übermittlung von Patientenakten und Patientendaten bei der Verlegung von Patienten ins Ausland wären so möglich. Dies sollte zudem in die breiter angelegte Initiative zur Schaffung eines europäischen Raums für Gesundheitsdaten integriert werden. Eine nahtlose Verknüpfung von klinischen Daten und Daten der öffentlichen Gesundheit, beispielsweise durch den sicheren Austausch elektronischer Patientenakten, ermöglicht eine Momentaufnahme in Echtzeit der epidemiologischen Lage und der Reaktionsfähigkeit.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Die EU sollte sich an die Spitze der Bemühungen um die Entwicklung und Umsetzung eines robusten neuen globalen Überwachungssystems setzen, das sich auf vergleichbare und vollständige Daten stützt.

-Das neue und verbesserte europäische System zur Sammlung von Informationen über Pandemien sollte 2021 betriebsbereit sein.

Lehre 2: Klare und koordinierte wissenschaftliche Empfehlungen erleichtern politische Entscheidungen und die öffentliche Kommunikation.

Zwar stützen sich politische Entscheidungen und die öffentliche Verbreitung von Informationen während der COVID-19-Pandemie nach wie vor auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, doch haben die ersten Monate der Krise gezeigt, wie unterschiedlich der Forschungsstand und die wissenschaftlichen Empfehlungen in den einzelnen Mitgliedstaaten waren. Auch die Ansätze für die Unterbreitung dieser Empfehlungen und deren Nutzung waren nicht einheitlich. Dies bedeutete, dass die Meldungen aufgrund unterschiedlicher Kommunikation in einzelnen Mitgliedstaaten uneinheitlich, zuweilen widersprüchlich und häufig verwirrend waren.

Die Notwendigkeit, Wissen und Fachwissen auszutauschen und die Vermittlung von Informationen und die Beratung aufeinander abzustimmen, veranlasste die Europäische Kommission, einen Beraterstab zu COVID-19 einzusetzen, der sich aus Epidemiologen und Virologen aus verschiedenen Mitgliedstaaten zusammensetzt. Dieses Gremium berät die EU auch weiterhin mit Blick auf EU-Leitlinien für wissenschaftlich fundierte und koordinierte Risikomanagementmaßnahmen. Durch weitere neue Gremien wie die EU‑Plattform für wissenschaftliche Beratung zu COVID-19 wurde ein Forum für den Peer‑to‑Peer‑Austausch und die Koordinierung unter wissenschaftlichen Beratern der Regierungen der Mitgliedstaaten geschaffen und die Arbeit des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ergänzt.

Der Erfolg dieser Gruppen ist jedoch kein Grund, auf eine stärkere Koordinierung der wissenschaftlichen Beratung auf EU-Ebene und eine konsequente, kohärente und faktengestützte Kommunikation zu verzichten. Diese sind unerlässlich. Die Kluft zwischen Wissenschaft und Politik muss überbrückt werden. Es bedarf einer verlässlichen wissenschaftlichen Stimme der EU für die direkte Kommunikation mit der Öffentlichkeit, wie es sie in Ländern in Europa und weltweit gab und gibt.

Die Benennung eines leitenden europäischen Epidemiologen würde deshalb dazu beitragen, führende Epidemiologen in den Mitgliedstaaten zusammenzubringen, um faktengestützte politische Empfehlungen für die Kommission aufzustellen. Er könnte zudem in Krisenzeiten als Anlaufstelle für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit fungieren.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Die EU sollte bis Ende 2021 einen leitenden europäischen Epidemiologen ernennen und eine entsprechende Verwaltungsstruktur schaffen.

Lehre 3: Vorsorge erfordert kontinuierliche Investitionen, Kontrolle und Überprüfung.

Als übergreifende Lehre müsste Europa beherzigen, dass Vorsorge und Planung nicht so robust, finanziell gut ausgestattet und umfassend waren, wie es nötig gewesen wäre. Es gab zwar viele Krisenvorsorgepläne, doch entsprachen die Systeme und Infrastrukturen für ihre Aktualisierung und Auslösung nicht immer den Anforderungen. Wie in vielen anderen Teilen der Welt wurden die ersten Maßnahmen als Reaktion auf die Pandemie auch in vielen Teilen Europas durch eine langjährige systematische Unterfinanzierung der Vorsorge erheblich behindert. Wie diese Krise gezeigt hat, übersteigen die Kosten des Nichttätigwerdens bei weitem die Kosten für wirksame und systematische Investitionen in Vorsorge und Planung, einschließlich der strategischen Vorausschau.

Als Lehre aus dieser Pandemie ist zu ziehen, dass ein neuer Systemansatz für die Vorsorge gebraucht wird. Dies beginnt mit verstärkten Investitionen, z. B. mit der Vormerkung von Haushaltsmitteln für die Vorsorge, zur Unterstützung von Initiativen wie der Vorratshaltung auf nationaler und europäischer Ebene. Es sollten regelmäßig Überprüfungen und Audits durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass den jüngsten Bedrohungen, Trends und Risiken begegnet werden kann und Kapazitäten vorhanden sind, falls Vorsorgepläne aktiviert werden müssen.

Um dies zu unterstützen, wird die Kommission einen jährlichen Bericht zum Stand der Vorsorge erstellen, der die sich insgesamt verändernde Risikolandschaft in Europa und den Stand der Vorsorge abbildet. Der Bericht wird Pandemien und andere gesundheitliche Notlagen sowie weitere Szenarien abdecken, mit denen die EU in naher Zukunft realistischerweise konfrontiert sein könnte. Dazu gehören chemische, biologische, radiologische und nukleare Angriffe oder Unfälle, schwere Erdbeben, Umwelt- oder Technologiekatastrophen und großflächige Stromausfälle. Bei der Ausarbeitung des Berichts wird die Kommission alle einschlägigen Fachkenntnisse und zuständigen Gremien in diesen Bereichen zurate ziehen.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Die Europäische Kommission wird einen jährlichen Bericht über den Stand der Vorsorge erstellen, der dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament vorgelegt wird.

Lehre 4: Notfallinstrumente müssen einsatzbereit und schneller und leichter zu aktivieren sein.

Auffällig im Zusammenhang mit der Pandemie war der zunehmende Einsatz verschiedener Notfallinstrumente, die für die Reaktion auf die Krise benötigt wurden. Dazu gehören die Nutzung des Soforthilfeinstruments, die für den Erwerb von Impfstoffen eingesetzten Abnahmegarantien oder der Rückgriff auf das Katastrophenschutzverfahren der Union für Notfallmaßnahmen und Rückholaktionen. Zwar wurden diese Instrumente erfolgreich eingesetzt, doch hat die Pandemie deutlich gemacht, wie wichtig schnelle, funktionierende und flexible vorübergehende und außergewöhnliche Maßnahmen sind, die sofort ergriffen werden können, damit die EU so schnell wie nötig reagieren kann.

Da es im Wesentlichen auf die Geschwindigkeit ankam, hat die Pandemie gezeigt, dass ein systematischerer Ansatz für diese Instrumente erforderlich ist. Hierfür wird ein klarer und maßgeblicher politischer Beschluss darüber gebraucht, wann eine Krisenreaktion ausgelöst werden soll, sowie ein Instrumentarium, das bei solchen Situationen zum Einsatz kommen soll. Dies könnte die automatische Aktivierung des Soforthilfeinstruments umfassen, um die Mittel in kürzester Zeit erheblich aufstocken zu können, oder andere Mechanismen, die eine rasche Unterstützung von Forschung, Entwicklung, Herstellung und Beschaffung wesentlicher Gegenmaßnahmen ermöglichen. Außerdem könnte so ein besser koordinierter Ansatz für den Informationsaustausch und die Entscheidungsfindung in Bezug auf Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sichergestellt werden.

Das Instrumentarium sollte gezielte Maßnahmen für bestimmte Sektoren umfassen. 2022 wird ein Vorschlag für ein Notfallinstrument für den Binnenmarkt (SMEI) vorgelegt, das eine rasche und flexible Reaktion auf die Auswirkungen einer Krise auf den Binnenmarkt ermöglichen soll. Dazu gehört auch, dass im Rahmen der Vergabevorschriften die Möglichkeit geschaffen wird, Verhandlungen in äußerst dringenden Fällen zu beschleunigen und die Beschaffung von Gütern im Namen der Mitgliedstaaten über die derzeitige Beschränkung auf medizinische Gegenmaßnahmen hinaus zuzulassen. Im Einklang mit der Strategie für einen reibungslos funktionierenden und resilienten Schengen-Raum 7 wird die Kommission Initiativen vorschlagen, um einen stabilen Rahmen für die Koordinierung von Kontrollmaßnahmen an den Binnen- und Außengrenzen durch die EU sowie einen Notfallplan für Verkehr und Mobilität zu schaffen, der auf den Erfahrungen mit den erfolgreichen „Green Lanes“ aufbaut, sodass Maßnahmen ergriffen werden können, wenn dies für den außergewöhnlichen Umstand vorübergehender Maßnahmen an den Binnengrenzen, die den Verkehr behindern, erforderlich ist.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Schaffung eines Rahmens für die Auslösung eines Pandemie-Notstands der EU und eines Instrumentariums für Krisensituationen.

Lehre 5: Koordinierte Maßnahmen sollten in Europa Selbstverständlichkeit werden.

Bei vielen der ersten Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie herrschten einseitige Entscheidungen und mangelnde Koordinierung vor. Dies führte zu sehr unterschiedlichen und einseitigen Herangehensweisen bei den Maßnahmen, die die einzelnen Mitgliedstaaten im Interesse des Gesundheitsschutzes ergriffen haben. Die Beschränkungen zur Eindämmung des Virus wurden ebenfalls sehr häufig geändert, und auch die Teststrategien und -methoden unterschieden sich erheblich. Dies führte dazu, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit schwand, die geltenden Maßnahmen nicht ausreichend eingehalten wurden und deren Wirksamkeit geschwächt wurde.

In der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie in Europa wurden ganz überwiegend einseitige Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten ergriffen, dann jedoch ging die Entwicklung allmählich zu mehr Solidarität und Zusammenarbeit über, da die Grenzen rein nationaler Ansätze deutlich wurden.

Fest steht allerdings, dass die Koordinierung zu langsam erfolgte und zu ineffizient war, was zum Teil darauf zurückzuführen war, dass sich Informationen und Fachwissen auf verschiedene interinstitutionelle Arbeitsgruppen verteilten. Es besteht eindeutig die Notwendigkeit, die interinstitutionelle Zusammenarbeit weiter zu stärken, die Entscheidungsfindung zu straffen und das erforderliche Fachwissen besser mit hinreichenden Befugnissen zu verknüpfen, so dass in Krisenzeiten zeitnahe und fundierte Entscheidungen getroffen werden können. Für eine wirkungsvolle interinstitutionelle Koordinierung könnte es hilfreich sein, die wichtigste Gruppe oder Einheit in jedem Organ zu benennen, die während einer Krise aktiviert werden soll, und effiziente Arbeitsmethoden zwischen diesen Gruppen oder Einheiten festzulegen. Hierfür ist zudem eine klare politische Unterstützung seitens der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat erforderlich.

Als ersten Schritt zur Verbesserung der EU-weiten Koordinierung der Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit hat die Europäische Kommission im November 2020 eine Reihe von Vorschlägen für die Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion vorgelegt. 8 Mit diesen Vorschlägen wird der Rechtsrahmen für den Umgang mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren neu gefasst, und die Krisenreaktionsmandate des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) werden gestärkt. Auch die Meldung und Überwachung von Daten soll verbessert werden. Es soll eine regelmäßige Berichterstattung über die Vorsorgepläne der EU und der Mitgliedstaaten sowie eine regelmäßige Überprüfung dieser Pläne geben. Die Kapazitäten des ECDC zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Krisenvorsorge und -reaktion werden ausgebaut, und die EMA wird sich stärker an der Überwachung und Beseitigung von Engpässen beteiligen.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Stärkung der Koordinierung und der Arbeitsmethoden zwischen den wichtigsten Kontaktgruppen oder Einheiten jedes Organs, die während einer Krise aktiviert werden sollen. Das Legislativpaket zur Europäischen Gesundheitsunion sollte rasch, das heißt noch vor Jahresende, verabschiedet werden.

Lehre 6: Für kritische Ausrüstung und Arzneimittel sind mehr öffentlich-private Partnerschaften und stabilere Lieferketten erforderlich.

Die Pandemie hat gezeigt, dass die Lieferketten, die für die Sicherheit vieler kritischer Versorgungsgüter wichtig sind, widerstandsfähiger gemacht werden müssen. Im Gesundheitsbereich hat sie zu einem Anstieg der Nachfrage nach Schlüsselprodukten wie Arzneimitteln, Beatmungsgeräten und Masken geführt. Dies hat die globalen Lieferketten unter enormen Druck gesetzt. Der Wettbewerb um Produkte führte zu Engpässen und Ungleichheiten und erschwerte zugleich die Planung einer wirksamen Reaktion nach der Ausbreitung des Virus erheblich. Infolgedessen litt Europa in den ersten Monaten der Pandemie unter einem Mangel an Tests und Testmaterial, geschultem Personal und in einigen Fällen auch Laborausrüstungen. Darüber hinaus führte das weltweite Anlaufen der Impfstoffproduktion zu Engpässen bei wichtigen Produktionsmaterialien und Inhaltsstoffen. Mehrere übermäßige Abhängigkeiten sowie die Fragilität globaler Produktionsprozesse, insbesondere bei medizinischen Gütern und Arzneimitteln, wurden deutlich. 9

Die EU hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um diese Probleme anzugehen, von der gemeinsamen Beschaffung 10 persönlicher Schutzausrüstung bis hin zur Bevorratung mit Beatmungsgeräten und Masken. Eine Clearingstelle für medizinisches Gerät hat dazu beigetragen, das Angebot der Nachfrage in den Mitgliedstaaten anzupassen, und es wurde ein Überwachungssystem eingerichtet, um Engpässe bei Medikamenten frühzeitig zu erkennen. 11 Es wurde eine Taskforce für den Ausbau der industriellen Produktion eingerichtet, um Engpässe in den Lieferketten zu beseitigen und Industriepartnerschaften zu fördern. Ein befristeter Mechanismus für Ausfuhrgenehmigungen sorgte für transparente Handelsströme bei Impfstoffen, während gleichzeitig die Lieferketten offengehalten wurden und die Rolle Europas als weltweiter Spitzenreiter bei der Ausfuhr von Impfstoffen gewahrt wurde.

Solche Ad-hoc-Maßnahmen haben den Zugang der Europäer zu wesentlichen Gütern verbessert und der EU optimal ermöglicht, in großem Maßstab tätig zu werden. Sie haben jedoch auch die großen Wissenslücken zu Beginn der Pandemie in Bezug auf die Produktionskapazitäten und den potenziellen Bedarf in den Mitgliedstaaten sowie das Ausmaß der Abhängigkeit von globalen Lieferketten aufgezeigt. Dies macht deutlich, dass die Marktprioritäten und ‑kapazitäten für die Beschaffung von Produkten der medizinischen Grundversorgung in jeder Phase, von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Produktion und Lieferung, überwacht und gestaltet werden müssen.

Dafür ist eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (Health Emergency Preparedness and Response Authority – HERA) von entscheidender Bedeutung, die eine bessere Vorsorge und Reaktion der EU im Hinblick auf medizinische Maßnahmen zur Bewältigung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren gewährleisten soll. Dies würde Marktinformationen und -prognosen fördern. Es würde auch mit Unterstützung durch flexible Finanzierungs- und Beschaffungsinstrumente die Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebskapazitäten in der EU in Kombination mit den nationalen Bemühungen und dem Privatsektor stärken. Durch die Bündelung der vorhandenen Kapazitäten zur Erhöhung der Skalierbarkeit in der EU könnten die Mitgliedstaaten letztlich früher und in größerem Maßstab über Impfstoffe und Therapeutika verfügen. Durch ihr Zusammenwirken mit anderen Partnern und Regionen hätte die Arbeit der HERA auch eine ausgeprägte internationale Dimension.

Im Einklang mit den Lehren, die aus den Maßnahmen zur Bewältigung der Krise gezogen wurden, ist Kern dieses Ansatzes, dass öffentliche und private Anstrengungen gebündelt werden müssen, um Anreize für bahnbrechende Forschung und Innovation im Gesundheits‑ und Arzneimittelsektor zu schaffen, die diesen resilienter machen. Dies kann beispielsweise durch ein wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) 12 geschehen, dessen Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Generationen von Arzneimitteln oder bahnbrechenden Fertigungstechnologien liegt. Die Kommission ist bereit, Pläne der Mitgliedstaaten und der Industrie für ein mögliches IPCEI im Arzneimittelbereich zu unterstützen und gegebenenfalls zu koordinieren.

Die Krise hat auch gezeigt, dass wir mehr über die Produktionskapazitäten in Erfahrung bringen müssen, die in einer Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit eventuell zur Verfügung stehen könnten. Zu diesem Zweck wird die Kommission eine interaktive Mapping-Plattform entwickeln, um die Analyse der Lieferketten und möglicher Engpässe zu unterstützen. Im Rahmen des Programms EU4Health soll in diesem Jahr ein Pilotprojekt gestartet werden. Die EU sollte diese Informationen nutzen, um Schwachstellen und Abhängigkeiten in den Lieferketten anzugehen und die Produktionskapazitäten für wichtige Inhaltsstoffe und Materialien zur Herstellung von Impfstoffen und Therapeutika zur Bewältigung der Gesundheitskrisen zu stärken. Es wird eine Aufforderung zur Interessenbekundung für die FAB-Fazilität der EU veröffentlicht, mit der sichergestellt werden soll, dass die EU über ausreichende ständig einsatzbereite Kapazitäten zur Herstellung von 500 bis 700 Millionen Dosen Impfstoff pro Jahr verfügt, wobei die Hälfte dieser Dosen in den ersten sechs Monaten einer Pandemie einsatzbereit sein soll.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Es sollte eine Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (Health Emergency Preparedness and Response Authority – HERA) geschaffen werden, die Anfang 2022 ihre Arbeit aufnehmen kann.

-So bald wie möglich sollte ein wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse im Gesundheitsbereich eingerichtet werden, um bahnbrechende Innovationen im Gesundheits- und Arzneimittelsektor zu ermöglichen und ihn so resilienter zu machen.

Lehre 7: Ein gesamteuropäischer Ansatz ist für eine beschleunigte, umfassendere und effizientere klinische Forschung unerlässlich.

Solange die Pandemie anhält, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten alles in ihrer Macht Stehende tun, um die rasche Genehmigung klinischer Prüfungen von Impfstoffen und Therapeutika zu beschleunigen. Durch den fragmentierten und zersplitterten Ansatz für klinische Prüfungen seit dem Beginn der Pandemie in ganz Europa wurden die Bemühungen zur Rückverfolgung und Analyse von Varianten behindert. Verschärft wurde dies durch den Mangel an Sequenzierungs- und Testkapazitäten in den meisten Mitgliedstaaten in verschiedenen Phasen der Pandemie.

Da Varianten ein Ende der Pandemie Varianten ernsthaft gefährden, ist der Bedarf an umfassenderen und besser koordinierten klinischen Prüfungen kurz- bis mittelfristig umso dringlicher geworden. Um diese Kapazitäten auszubauen und den Austausch offener Daten und Kohortenstudien voranzutreiben, hat die Kommission ein neues EU-weites Netz für die Erprobung von Impfstoffen und Therapeutika mit der Bezeichnung VACCELERATE gefördert, das mit Mitteln aus dem Programm Horizont 2020 gefördert wird. Die ständige Einrichtung einer großen, flexiblen und gut ausgestatteten Plattform für multizentrische klinische Prüfungen würde für künftige Krisen zur Entwicklung eines strukturierten Konzepts klinischer Prüfungen in der EU beitragen. Diese verstärkte Unterstützung und Vereinfachung klinischer Prüfungen könnte beispielsweise auch für die Bekämpfung von Krebs und anderen Krankheiten nützlich sein.

Auch in anderen Bereichen als klinischen Prüfungen muss sich die EU weiterhin auf ihre leistungsfähige Forschungsbasis stützen. Im Rahmen von Horizont 2020 spielte die Finanzierungsfazilität für Infektionskrankheiten eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung von Mitteln für sehr risikobehaftete, aber vielversprechende Projekte von Unternehmen, die Impfstoffe, Therapien und Diagnosetechnologien für COVID-19 entwickeln. Über ihr Budget in Höhe von 400 Mio. EUR wurden auch die Impfstoffkandidaten von BioNTech und CureVac gefördert. Die Forschungsinstrumente der EU sind jedoch so konzipiert, dass diese Unterstützung nicht an eine künftige Auftragsvergabe durch die EU oder die Mitgliedstaaten geknüpft war. In Zukunft wird ein stärker vernetzter und flexiblerer Ansatz im Rahmen der neuen HERA-Behörde dazu beitragen, dass kritische Forschungsinvestitionen besser mit der Auftragsvergabe verknüpft werden.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Einrichtung einer umfassenden EU-Plattform für multizentrische klinische Prüfungen

Lehre 8: Die Fähigkeit zur Bewältigung einer Pandemie hängt von kontinuierlichen und verstärkten Investitionen in die Gesundheitssysteme ab.

Die Pandemie hat strukturelle Schwächen in den Gesundheitssystemen offengelegt. Zwar standen die einzelnen Mitgliedstaaten vor unterschiedlichen Problemen, doch gab es auch eine Reihe gemeinsamer Herausforderungen. Dazu zählten das Fehlen von Kapazitätspuffern, die Frage, wie schnell die Gesundheitssysteme voll einsatzfähig wurden, und die erheblichen Auswirkungen auf die Behandlung anderer Krankheiten und die medizinische Versorgung generell. Dass die Gesundheitssysteme so vielen Menschen helfen konnten, ist letztlich dem Engagement, der Aufopferungsbereitschaft und dem Einsatz vieler Gesundheitsfachkräfte in der gesamten EU zu verdanken. Dies spricht zwar für die Professionalität der Beteiligten, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesundheitssysteme in Europa resilienter werden müssen und dass die medizinische Versorgung und die Präventions- und Vorsorgemaßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit besser integriert werden müssen.

Zunächst einmal muss sichergestellt werden, dass die Investitionen in die Kapazitäten und die Effizienz der Gesundheitssysteme aufgestockt werden, einschließlich der Investitionen in bessere Arbeitsbedingungen und die Attraktivität der Gesundheits- und Pflegeberufe. EU4Health, die Mittel für die Kohäsionspolitik und die Aufbau- und Resilienzfazilität bieten wichtige Finanzierungsmöglichkeiten, um Investitionen in die Gesundheitssysteme und ihre Kapazitäten anzukurbeln. Die Kommission begrüßt, dass die Mitgliedstaaten in ihren Aufbau‑ und Resilienzplänen ein breites Spektrum von Gesundheitsreformen und Investitionen vorgeschlagen haben, mit denen Resilienz, Qualität, Zugänglichkeit und Effizienz gestärkt werden sollen. Dazu gehört ein Schwerpunkt auf Investitionen, die zum digitalen Wandel beitragen, in Infrastruktur, Qualifikationen und die Verlagerung der Gesundheitsversorgung auf die Telemedizin. Zu diesem Zweck kann das Europäische Semester auch eine regelmäßige Bewertung der Resilienz der nationalen Gesundheitssysteme unterstützen. Strukturelle Veränderungen und Verbesserungen der Kapazität können über die EU-Kohäsionsfonds gefördert werden.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Unterstützung der Mitgliedstaaten zwecks Stärkung der generellen Resilienz der Gesundheitssysteme im Rahmen ihrer Investitionen zu Aufbau- und Resilienzzwecken

Lehre 9: Für Europa ist Pandemievorsorge und -bekämpfung eine globale Priorität.

Die Entwicklung der Pandemie hat gezeigt, dass das Virus langfristig nur mit globalen Maßnahmen bekämpft werden kann. Selbst wenn Europa seine Impfziele allmählich erreicht und einige Mitgliedstaaten mit der Impfung von Kindern beginnen, haben andere Teile der Welt keinen Zugang zu den Impfstoffen, die sie benötigen. Dadurch steigt die Gefahr, dass die Pandemie weiter um sich greift und sich neue, potenziell gegen Impfungen resistente Varianten entwickeln und in Europa ausbreiten. Dies ist eine Frage der Solidarität, liegt aber auch in Europas eigenem Interesse. Diese Erkenntnisse gelten für jede globale Pandemie und erfordern den Einsatz politischer, finanzieller und diplomatischer Instrumente.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben von Anfang an zusammengearbeitet. Dazu gehörten gemeinsame Rückholaktionen für EU-Bürger, die in weit entfernten Regionen der Welt gestrandet waren. Dies bedeutete auch koordinierte Anstrengungen im Rahmen des Ansatzes „Team Europa“, sich an die Spitze der internationalen Solidarität zu setzen und Finanzinstrumente in flexibler Weise zu mobilisieren. Dank dieses Ansatzes konnte die EU bei den internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie eine führende Rolle übernehmen.

Die EU bemühte sich um die Schaffung und Unterstützung von Instrumenten für die Lieferung von Impfstoffen an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, dem ACT-Accelerator und COVAX. Team Europa ist nach wie vor einer der größten Unterstützer von COVAX und hat fast 3 Mrd. EUR zugesagt, darunter 1,3 Mrd. EUR aus dem EU-Haushalt in Form von finanzieller Unterstützung; die EU hat zudem zugesagt, bis Ende des Jahres 100 Millionen Impfstoffdosen zu spenden. Darüber hinaus hat sie humanitäre Hilfe angeboten und dazu beigetragen, Menschen in schwer erreichbaren Gebieten mit medizinischen Hilfsgütern zu versorgen.

Die EU hat auch bei der Aufrechterhaltung der Lieferketten und des Handels eine Vorreiterrolle übernommen. Etwa die Hälfte der in der EU hergestellten Impfstoffdosen wird exportiert. In anderen Teilen der Welt wurde hingegen ein restriktiverer Ansatz gewählt, wobei das Ausfuhrverbote aus einer Reihe von Ländern zu erheblichen Verzögerungen bei der Impfstoffherstellung weltweit geführt haben. Die EU sollte schneller bereit sein, auf solche Maßnahmen zu reagieren, wird aber stets alles daransetzen, auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten. In diesem Sinne setzt sich die EU für multilaterale Maßnahmen in der Welthandelsorganisation ein, um Lieferketten offenzuhalten und Handelshemmnisse abzubauen, und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz in Bezug auf das Problem der gerechten Verteilung von Impfstoffen, auch mit Blick auf das geistige Eigentum. Auch unsere Nachbarschaft darf nicht vergessen werden. Grenzüberschreitende Aktivitäten wurden besonders durch den ungleichen Zugang zu Impfstoffen und medizinischer Ausrüstung beeinträchtigt. Die Partner in unserer unmittelbaren Nachbarschaft sollten in die Bemühungen der EU zur Verbesserung der Vorsorge- und Reaktionsfähigkeit, einschließlich der künftigen HERA, einbezogen werden und zugleich weiter Unterstützung beim Kapazitätsaufbau, bei der Überwachung, der Ausbildung und der strukturellen Anpassung der Infrastruktur erhalten.

Gleichzeitig hat die Pandemie gezeigt, wie fragil das internationale System und die globale Zusammenarbeit sind. Das globale System der Gesundheitssicherheit war nicht in der Lage, ausreichende Daten bereitzustellen und mit der Geschwindigkeit und den Befugnissen steuernd einzugreifen, die dafür notwendig gewesen wären, die Eindämmung der Pandemie für die meisten Länder zu einer realistischen Strategie zu machen. Reisebeschränkungen erfolgten nicht in einem bereits bestehenden gemeinsamen Rahmen. Dies zeigt, dass die globalen Strukturen für Gesundheitssicherheit gestärkt werden müssen. Die EU steht an der Spitze der weltweiten Anstrengungen zur Stärkung und Reform der WHO. Als Richtschnur für die derzeitigen und künftigen Maßnahmen im Bereich der globalen Gesundheit hat die Kommission zusammen mit dem italienischen G20-Vorsitz den Weltgesundheitsgipfel einberufen, auf dem viele Staats- und Regierungschefs aus aller Welt die Erklärung von Rom unterzeichnet haben.

Zur Unterstützung der multilateralen Bemühungen muss auch mehr auf bilateraler Ebene mit Partnern aus der Nachbarschaft und darüber hinaus, also auch aus Afrika, Asien und Lateinamerika, unternommen werden. Neue Partnerschaften zur Pandemievorsorge werden dazu beitragen, den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zu verbessern, gemeinsame Konzepte für Vorsorge und Reaktion zu gewährleisten und für ein koordiniertes Vorgehen im Krisenfall zu sorgen. Dazu gehört die kontinuierliche Unterstützung zur Stärkung der Gesundheitssysteme, für eine universelle Gesundheitsversorgung und zur Förderung der lokalen Produktion von Gesundheitsprodukten, beispielsweise durch die Initiative im Rahmen des Ansatzes „Team Europa“ zur Herstellung von und zum Zugang zu Impfstoffen, Arzneimitteln und Gesundheitstechnologien in Afrika.

Schließlich ist auch der geopolitische Wettbewerb während Pandemien zu berücksichtigen. Die Reaktion auf die Pandemie wurde häufig auch als Wettbewerb zwischen Konkurrenten oder Systemen interpretiert bzw. dargestellt. Eine entschlossene Reaktion wurde von einigen internationalen Akteuren als Beweis für ihre Stärke und Glaubwürdigkeit hingestellt, und mittels Desinformation sollten Regionen diskreditiert oder destabilisiert werden. Dies zeigt, dass die globale Reaktion der EU einheitlicher dargestellt und vermittelt werden muss.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Weitere Führungsrolle bei der weltweiten Reaktion auf die Pandemie als „Team Europa“ durch COVAX, die gemeinsame Nutzung des Impfstoffbestands und Offenheit für Exporte

-Stärkung der globalen Strukturen für Gesundheitssicherheit, insbesondere durch eine führende Rolle bei der Stärkung der WHO

-Aufbau von Partnerschaften für Pandemievorsorge mit wichtigen Partnern

Lehre 10: Es sollte koordinierter und differenzierter gegen Falschinformationen und Desinformation vorgegangen werden.

Seit Beginn der Pandemie haben Falschinformationen und Desinformation ein ohnehin akutes Kommunikationsproblem verschärft, indem gefährliche Informationen verbreitet, Impfskepsis geschürt und durch Verschwörungstheorien generell zu Angst und Polarisierung beigetragen wurde. Dies zeigt, dass die Autorität von Wissenschaft und Experten ständig und anhaltend in Frage gestellt und mit Misstrauen gesehen wird.

Die Geschwindigkeit, mit der sich Fehlinformationen und Desinformation zu Beginn der Pandemie verbreitet haben, verdeutlicht den Bedarf an ständig verfügbaren Kapazitäten, die gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Risiken auslösen können. Dabei müssen alle wichtigen Akteure, darunter Plattformen, Werbetreibende und die Medien, einbezogen und zugleich die Grundrechte wie die Meinungsfreiheit in vollem Umfang geschützt werden. Diese Bemühungen sollten durch die Stärkung und Koordinierung der europäischen Krisenkommunikation ergänzt werden.

Die Pandemie hat auch deutlich gemacht, welche Gefahr von der Manipulation von Informationen aus dem Ausland und ausländischen Kampagnen ausgeht, die dazu dienen, durch Einmischung das Vertrauen in politische Prozesse und Institutionen zu untergraben. 13 Diese Kampagnen richteten sich auch gegen Länder in unserer Nachbarschaft.

Die Kommission legte im Juni 2020 eine Reihe von Sofortmaßnahmen zur Bewältigung der Situation vor, die darauf ausgerichtet waren, das Handeln der EU wirksamer zu gestalten und Plattformen dazu zu bewegen, mehr Verantwortung zu übernehmen. 14 Zusätzlich wurde danach im Internet im Europäischen Aktionsplan für Demokratie und im Gesetz über digitale Dienste ein längerfristiger Ansatz zur Bekämpfung von Desinformation und Manipulation von Informationen vorgestellt. 15 Dies muss durch Kapazitäten für die strategische Kommunikation unterstützt werden, um gegen Fehlinformations- und Desinformationskampagnen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene sowie in unserer Nachbarschaft vorzugehen. Diese Maßnahmen müssen von den einschlägigen öffentlichen und privaten Akteuren vollständig umgesetzt und dann eingesetzt werden. Durch umfassende Koordinierung unter den EU‑Organen kann auch das Potenzial der EU genutzt werden, um Maßnahmen gegen Desinformation wirksamer zu verbreiten.

Welche Lehre ist zu ziehen?

-Weiterentwicklung der Instrumente für eine bessere Koordinierung zur Aufdeckung von Desinformationskampagnen und zur Reaktion darauf auf EU‑Ebene

4.SCHLUSSFOLGERUNG

Die Maßnahmen der EU als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie werden engagiert fortgesetzt und zeichnen sich durch Geschwindigkeit, Umfang, Ehrgeiz und Solidarität in beispiellosem Maße aus – sowohl innerhalb der EU als auch im Verhältnis zu unseren internationalen Partnern. Am besten haben sie dort funktioniert, wo wir die Stärke der Zusammenarbeit im Interesse gemeinsamer Lösungen bewiesen haben, sei es bei Impfstoffen, Investitionen in den Wiederaufbau oder dem Schutz unseres Binnenmarkts. Waren sie weniger wirksam, war dies mangelnder Koordinierung und einseitigen Maßnahmen geschuldet, was häufig darauf zurückzuführen ist, dass neue oder Ad-hoc-Strukturen und -Lösungen entwickelt werden mussten.

Krisen waren schon häufig Katalysatoren für eine stärkere Europäische Union in den Bereichen, in denen sie am dringendsten benötigt wird. Die Konferenz zur Zukunft Europas wird Gelegenheit bieten, den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören und mit ihnen über das weitere Vorgehen zu diskutieren. Zwar können wir nicht jede Krise, die uns treffen wird, in allen Einzelheiten vorhersagen, doch können wir Rahmen schaffen, um unsere Reaktion wirksamer zu gestalten und unsere Strukturen widerstandsfähiger zu machen. Dieses Dokument ist die Antwort auf das Ersuchen des Europäischen Rates um einen Bericht über die Lehren und zugleich der nächste Schritt, um sicherzustellen, dass wir nicht nur die Schäden dieser Krise beheben, sondern uns auch auf eine bessere Zukunft vorbereiten.

(1)

   https://ec.europa.eu/health/sites/default/files/state/docs/2020_healthatglance_rep_en.pdf.

(2)

   C(2020) 1897 final, 23. März 2020.

(3)

   COM(2020) 245 final, 17. Juni 2020.

(4)

   COM(2021) 129 final, 17. März 2021.

(5)

    https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/european-surveillance-system-tessy .

(6)

   Im Nachgang zu der Empfehlung der Kommission zu einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU, C(2021) 1925, 17. März 2021.

(7)

   COM(2021) 277 final, 2. Juni 2021.

(8)

   COM(2020) 727 final, COM(2020) 726 final, COM(2020) 725 final, 11. November 2020.

(9)

   https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2021/653626/EXPO_STU(2021)653626_EN.pdf.

(10)

   Verfahren zur gemeinsamen Auftragsvergabe betrafen Bestellungen für Handschuhe und Schutzanzüge, Augen- und Atemschutz, Beatmungsgeräte, Laborausrüstung, Arzneimittel für Intensivstationen usw.

(11)

   https://ec.europa.eu/health/sites/default/files/state/docs/2020_healthatglance_rep_en.pdf.

(12)

   COM 2014/C 188/02, 20. Juni 2014.

(13)

   https://euvsdisinfo.eu/eeas-special-report-update-short-assessment-of-narratives-and-disinformation-around-the-covid-19-pandemic-update-december-2020-april-2021/?highlight=special.

(14)

   COM(2020) 790 final, 3. Dezember 2020.

(15)

   Dies wurde in den jüngsten Leitlinien für die Stärkung des Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation (COM(2021) 262 final, 26. Mai 2021) hervorgehoben.

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