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Document 52006IE0744

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Das auswärtige Handeln der EU: Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft

ABl. C 195 vom 18.8.2006, p. 62–63 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

18.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 195/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Das auswärtige Handeln der EU: Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“

(2006/C 195/16)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 28. Januar 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung die Ausarbeitung zum Thema: „Das auswärtige Handeln der EU: Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 4. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr KORYFIDIS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 427. Plenartagung am 17./18. Mai 2006 (Sitzung vom 17. Mai 2006) mit 140 gegen 3 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.

Die vorliegende Stellungnahme wurde auf der Grundlage eines Fragebogens und einer Studie konzipiert. Die entsprechenden Arbeiten sind das Ergebnis einer theoretischen Langzeitanalyse vor Ort sowie des Erfahrungsschatzes, den der EWSA in seinen Beziehungen mit Beratungsgremien und vergleichbaren Organisationen der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten und in Drittländern aufgebaut hat. Dieser über viele Jahre hinweg verlaufene Prozess brachte den EWSA zu der Überzeugung, dass es jetzt an der Zeit ist, zur nächsten Phase überzugehen, dergestalt sein Engagement und die damit einhergehenden Beziehungen systematischer, regelmäßiger und aussichtsreicher gestaltet werden.

2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Globalisierung der Wirtschaft im Verbund mit den Entwicklungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Technik — insbesondere bei den Informationstechnologien — eine starke Dynamik hervorbringt, die aus heutiger Sicht nur durch eine Schwerpunktsverlagerung bei der Konzipierung und Weiterentwicklung der internationalen Beziehungen in die richtigen Bahnen gelenkt werden kann. Dieser Übergang muss über die strukturelle Integration des Verhältnisses zwischen Gemeinwesen in das klassische Verhältnis Staat zu Staat ins Werk gesetzt werden.

3.

Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Europäische Union als Governance-System in ihrer Gesamtheit und umfassend die neue Realität zeitgerecht anerkennen muss. In diesem Zusammenhang muss sie auch Politiken für das auswärtige Handeln konzipieren und ausgestalten und unter aktiver Beteiligung und Valorisierung der organisierten Zivilgesellschaft in die Tat umsetzen.

4.

Die besagten Politiken der Europäischen Union müssen tunlichst vorbeugend im Sinne von vorausschauend und unbedingt integriert sein. Das europäische demokratische Leben, der europäische Besitzstand im Wirtschafts- und Sozialbereich, die strategischen Ziele der Europäischen Union und das gesicherte Wissen sind die Parameter für die Konzipierung und Gestaltung dieser Politiken innerhalb der Grenzen der Union und darüber hinaus.

5.

In diesem Zusammenhang muss aber auch ein neues inneres organisatorisches, zugleich aber auch kreativeres Gleichgewicht gefunden werden zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit, vor allem in Bereichen und bei Aktivitäten, die auf Drittländer abzielen.

6.

Die Bewusstwerdung der organisierten europäischen Zivilgesellschaft über ihre neue Rolle ist ein komplexes Problem. Hierfür müssen zeitgerechte Methoden angestrebt werden, die einen engen Bezug zum Lernen und Wissen erschließen.

7.

Um diesen Bezug zu schaffen, aber auch ganz allgemein, damit die europäischen Bürger im Kontext einer wissensbasierten Gesellschaft und Wirtschaft agieren können, ist auch ein neuer Blickwinkel bezüglich der Programme für lebenslanges Lernen erforderlich. Dies bedeutet in der Praxis, dass die bestehenden Konzepte für lebenslanges Lernen auch Wissen einschließen müssen, das mit der Globalisierung und dem auswärtigen Handeln der Union in Zusammenhang steht.

8.

Dem EWSA als grundlegender Repräsentant der organisierten Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene kommt eine dreifache Rolle zu:

die Rolle der ganzheitlichen Vertretung der organisierten Zivilgesellschaft in Fragen des auswärtigen Handelns gegenüber den politischen Institutionen der Europäischen Union unter Einsatz seines demokratischen Besitzstandes und nach einem Verfahren, das unterschiedliche Interessen auf kreative Weise unter einen Hut bringt, und

zum anderen die Aufgabe der aktiven Mitwirkung bei der Konzipierung und Umsetzung von Gemeinschaftspolitiken, die auch in das auswärtige Handeln hineinspielen

die Gewährleistung der Beobachtung der Außenpolitik der EU und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen.

9.

Diese Funktion des EWSA deckt ein breites Spektrum an Themen und Aktivitäten ab, denn alle Probleme, die das neue weltweite Umfeld mit sich bringt, haben ihr Pendant bei den einzelnen Wesenselementen des Ausschusses, d.h. sie haben eine wirtschaftliche, soziale, ökologische und eine kulturelle Dimension.

10.

Der substanzielle Beitrag des EWSA zur Konzipierung und Ausgestaltung der das auswärtige Handeln betreffenden Gemeinschaftspolitiken liegt in dem ihm eigenen Vermögen, durch seine Standpunkte im Einzelfall eine konstruktive Ausgewogenheit zum Ausdruck zu bringen. Eine Ausgewogenheit, die durch das Zusammenspiel der verschiedenen von den Ausschussmitgliedern vertretenen Interessen im Rahmen eines Prozesses und einer Perspektive, die die besagten vier Dimensionen beinhaltet, herbeigeführt wird.

11.

Der EWSA verfügt bereits über umfangreiche Erfahrungen in Fragen des auswärtigen Handelns der Europäischen Union. Auf der anderen Seite ist aber auch festzustellen, dass es an der Nutzung der einschlägigen Erfahrungen unter Einsatz breiter angelegter gemeinschaftlicher Instrumente und Konzepte mangelt. Zumal die Gemeinschaftsorgane haben es nicht vermocht, diesen Fundus an Erfahrungen und die Schlussfolgerungen, die sich aus den Stellungnahmen, Informationsberichten und Vorschlägen ergeben, hinreichend zu valorisieren und sich zunutze zu machen.

12.

Der EWSA ist der Ansicht, dass bessere Mittel und Wege gefunden werden müssen für die Verknüpfung der besagten Erfahrungen mit den zentralen politischen Strukturen der Europäischen Union. Dies kann durch die Unterzeichnung von Protokollen über eine verstärkte Zusammenarbeit geschehen, so wie es etwa zwischen der Europäischen Kommission und dem EWSA unterzeichnet wurde. Noch besser kann dies aber im Rahmen einer Partnerschaft zwischen sämtlichen politischen Organen der Europäischen Union und dem EWSA zur Entwicklung integrierter einschlägiger Politiken ins Werk gesetzt werden, die vorzugsweise vorausschauend angelegt sein sollten.

13.

In jedem Fall sieht der EWSA die Notwendigkeit einer Stärkung seiner Rolle sowie ganz allgemein der Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei den Globalisierungsprozessen. Der generelle Grund für diesen Handlungsbedarf ist in der Förderung der breiteren Ziele der Europäischen Union in der Welt des 21. Jahrhunderts zu suchen. Ein spezieller Grund für dieses Erfordernis ist — zumal im Falle des EWSA — die Art und Weise, in der diese Förderung erfolgen kann. Anders gesagt besteht hier ein Bezug zu der Herausbildung einer neuen Funktionsweise des Ausschusses im Rahmen und entsprechend der Wesenscharakteristik der Wissensgesellschaft sowie zu einem Merkmal, das den EWSA auszeichnet. Und zwar die Möglichkeit, jenseits der Grenzen der EU auf der Ebene der Gemeinwesen unter dem Einsatz von Instrumenten, die der „sanften Diplomatie“ zuzuordnen sind, in zuverlässiger Weise tätig zu werden.

14.

Der EWSA fordert die Anerkennung und Stärkung dieser Besonderheit und Gestaltungsmöglichkeit. Er fordert seine Würdigung als weltweiter Partner/institutionalisierter Vertreter der europäischen organisierten Zivilgesellschaft, insbesondere in internationalen Gremien, wie etwa dem Wirtschafts- und Sozialrat der UNO. Außerdem fordert er auch die Stärkung seiner Position und Rolle bei Verträgen, die mit Drittländern geschlossen werden, sowie die Förderung seiner politischen Anstrengungen, die darauf abzielen, die Zivilgesellschaft dieser Länder zu unterstützen.

15.

Damit er die besagte dreifache Funktion wahrnehmen kann, bittet der EWSA um Unterstützung bei der mittelfristigen Entwicklung seiner wichtigsten Optionen, wie etwa:

die Schaffung eines zeitgemäßen und integrierten Systems für proaktive Kommunikation, Informationsaustausch und die Vernetzung mit seinen Partnern in Europa und weltweit, sowie auch mit den anderen EU-Institutionen;

die Stärkung seiner Präsenz und seiner Zusammenarbeit mit beratenden Organen von Regierungsorganisationen und anderen einschlägigen Einrichtungen, insbesondere auf dem Gebiet der Beziehungen mit der organisierten Zivilgesellschaft;

die Einrichtung einer „elektronischen Wissensdatenbank“ über die weltweite Tätigkeit von Organen und Strukturen mit beratender Funktion, über die Netzwerke der organisierten Zivilgesellschaft und die Nutzung dieser Datenbank als Instrument für die Kommunikation, die Vorgehensweise, das Verständnis und die Auslegung der Verhaltensweisen der Zivilgesellschaft sowie als Instrument für die weltweite Vermittlung der Werte und Strategieziele der Europäischen Union;

die zweijährliche Erstellung eines Berichts über die Entwicklung der weltweiten Tätigkeit von Organen und Strukturen mit beratender Funktion und den diesbezüglichen Einfluss des auswärtigen Handelns der Europäischen Union.

16.

Angesichts der vorstehenden Feststellungen und Anregungen fordert der EWSA die politischen Organe der Europäischen Union auf, eine Methode des kontinuierlichen interinstitutionellen Dialogs auf den Weg zu bringen, der darauf abzielt:

transparente und zeitgerechte Information zu vermitteln und gesichertes kollektives Wissen über das auswärtige Handeln der Europäischen Union zusammenzutragen und

bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu einer einheitlichen und kohärenten Auffassung darüber zu gelangen, was, warum und wie zu tun ist.

Brüssel, den 17. Mai 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


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