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Document 52011AB0024

Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 17. März 2011 zu einem Entwurf des Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (CON/2011/24)

ABl. C 140 vom 11.5.2011, p. 8–11 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

11.5.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 140/8


STELLUNGNAHME DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK

vom 17. März 2011

zu einem Entwurf des Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist

(CON/2011/24)

2011/C 140/05

Einleitung und Rechtsgrundlage

Am 10. Januar 2011 wurde die Europäische Zentralbank (EZB) vom Europäischen Rat um Stellungnahme zu einem Entwurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (1) (nachfolgend der „Beschlussentwurf“), ersucht.

Die Zuständigkeit der EZB zur Abgabe einer Stellungnahme beruht auf Artikel 48 Absatz 6 des Vertrags über die Europäische Union. Diese Stellungnahme wurde gemäß Artikel 17.5 Satz 1 der Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank vom EZB-Rat verabschiedet.

Allgemeine Anmerkungen

1.

In einer Währungsunion ist eine verstärkte haushaltspolitische sowie gesamtwirtschaftliche Überwachung das geeignete Mittel, um das Risiko von Staatsschuldenkrisen in der Größenordnung und Tragweite zu minimieren, die die Europäische Union in der jüngsten Vergangenheit erfahren hat. Zu diesem Zweck hat die EZB einen „Quantensprung“ in der wirtschaftspolitischen Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) gefordert, der zu einer vertieften Wirtschaftsunion führen sollte, die im rechten Verhältnis zu dem Grad der von den Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, erreichten wirtschaftlichen Integration und gegenseitigen Abhängigkeit steht. Die EZB hat ihre Anregungen für solch einen „Quantensprung“ in ihrer Mitteilung „Reinforcing Economic Governance in the Euro Area“ („Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerung im Euro-Währungsgebiet“) vom 10. Juni 2010 vorgebracht und diesbezüglich bereits konkrete rechtliche Vorschläge in der Stellungnahme CON/2011/13 der EZB vom 16. Februar 2011 zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union (2) vorgestellt.

2.

Soweit das Risiko von Staatsschuldenkrisen selbst unter einer derartig gestärkten haushaltspolitischen und gesamtwirtschaftlichen Überwachung noch bestehen bleibt, und zum Zwecke der Wahrung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt ist es wünschenswert, einen dauerhaften Handlungsrahmen für das Krisenmanagement zu schaffen, der als Ultima Ratio Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist und deren Zugang zur Marktfinanzierung beeinträchtigt ist, vorübergehend Finanzhilfe gewähren kann. Solch ein Handlungsrahmen sollte so gestaltet werden, dass die Neigung zur Missachtung verantwortungsvollen Handelns („moral hazard“) gemindert und Anreize für vorbeugende haushaltspolitische und gesamtwirtschaftliche Korrekturen gestärkt werden.

3.

In jüngster Vergangenheit haben die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, ihre Entschlossenheit betont, Maßnahmen zur Wahrung der Stabilität im Euro-Währungsgebiet zu ergreifen, und zu diesem Zweck für die Griechische Republik ein Paket bilateraler Kredite zusammengestellt sowie die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) als vorübergehende zwischenstaatliche Fazilität des Euro-Währungsgebiets eingerichtet, um in Schwierigkeiten geratene Mitgliedstaaten finanziell zu unterstützen. Neben der EFSF besteht der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) der Europäischen Union, dessen Finanzierung ebenso wie das Kreditpaket für die Griechische Republik strengen Auflagen unterliegt, die unter den Hilfe benötigenden Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission im Namen der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, unter Beteiligung der EZB und des Internationalen Währungsfonds ausgehandelt wurden; die Hilfe leistenden Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, müssen der EFSF zustimmen.

4.

Vor diesem Hintergrund und in Wiederholung ihrer Forderung nach weiterer Stärkung der haushaltspolitischen und gesamtwirtschaftlichen Überwachung im Einklang mit der Stellungnahme CON/2011/13 begrüßt die EZB den Beschlussentwurf. Nach Zustimmung aller Mitgliedstaaten zum Beschlussentwurf wird ein neuer Artikel 136 Absatz 3 in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eingefügt. Gemäß dieser Vorschrift müssen die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, einen ständigen Mechanismus, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einrichten (3). Der ESM wird aktiviert, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren, und entsprechende befristete Finanzhilfen können nur unter strengen Auflagen gewährt werden. Der ESM wird die derzeitigen vorläufigen Maßnahmen des EFSM und der EFSF ersetzen, die bis Juni 2013 oder bis zu dem Zeitpunkt in Kraft bleiben, in dem ihre Tätigkeit endet.

5.

Darüber hinaus hilft der Text des neuen Artikels 136 Absatz 3 AEUV sogar schon vor seinem Inkrafttreten bei der Klärung und damit einhergehenden Bestätigung des Anwendungsbereichs von Artikel 125 AEUV hinsichtlich der Wahrung der Finanzstabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets; d. h. die Aktivierung befristeter Finanzhilfen ist grundsätzlich mit Artikel 125 AEUV unter der Voraussetzung vereinbar, dass sie für die Wahrung der Finanzstabilität unabdingbar ist und strengen Auflagen unterliegt. Außerdem führt der neue Artikel 136 Absatz 3 nicht zur Ausdehnung der Zuständigkeiten der Union.

6.

Im Hinblick auf die genaue Ausgestaltung des ESM laufen die erforderlichen Vorbereitungen bereits. Es gibt vier Merkmale, die die Effektivität fördern und die Arbeitsweise des ESM erleichtern würden: a) der ESM sollte im Wege eines völkerrechtlichen Vertrags mit Zustimmung der Mitgliedstaaten errichtet werden, deren Währung der Euro ist, so dass nationale Rechtsvorschriften in Einklang mit den Regelungen des Vertrags gebracht werden müssen; b) die Bestimmungen zur Entscheidungsfindung innerhalb des ESM sollten auf Effizienz ausgerichtet sein, beispielsweise indem die Aktivierung des ESM durch eine gemeinsame Vereinbarung der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, geregelt wird; c) dem ESM im Einklang mit den Verträgen die Befugnis eingeräumt werden, eine angemessene Auswahl an Instrumenten einzusetzen, um im Falle akuter Marktinstabilität eine Ansteckung effektiv zu bekämpfen; und d) der ESM muss die Grundsätze eines vorsichtigen und soliden Finanzmanagements beachten und Prüfungen durch externe und interne Rechnungsprüfer unterliegen.

7.

Zusätzlich zu diesen vier Merkmalen ist es grundlegend erforderlich, dass der ESM gegen den „Moral Hazard“ geschützt wird, der jedem Krisenmanagementmechanismus innewohnt. Schutzmechanismen wie die Einbeziehung des IWF bei der Schuldentragfähigkeitsanalyse sowie Verhandlungen und Finanzierung des Programms, unabdingbare Bedingungen im Einklang mit der Praxis des IWF sowie regelmäßige und strenge Kontrollen der Einhaltung des Programms für haushaltspolitische und gesamtwirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen, von der die finanzielle Unterstützung abhängt, durch die unterstützten Mitgliedstaaten sind unerlässlich für die Bereitstellung von starken und anhaltenden Anreizen für eine solide Haushalts- und Wirtschaftspolitik in den Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Darüber hinaus unterstützen diese Schutzmechanismen die Wirksamkeit des vorgenannten gestärkten Rahmens für haushaltspolitische und gesamtwirtschaftliche Überwachung der Union.

8.

Ein Schlüsselelement des Beschlussentwurfs ist, dass er statt eines Mechanismus der Union einen zwischenstaatlichen Mechanismus bereitstellt. Die EZB befürwortet den Rückgriff auf die Methode der Union und würde es begrüßen, wenn der ESM, gestützt auf die bis dahin gewonnenen Erfahrungen, zu einem geeigneten Zeitpunkt in einen Mechanismus der Union umgewandelt würde. In der Zwischenzeit regt die EZB an, dass den Organen der Union aufgrund ihrer Sachkunde und ihrer Ausrichtung auf das kollektive Unionsinteresse hinsichtlich der Prüfung der zur Aktivierung des ESM führenden Umstände und der Auflagen für die Finanzhilfe eine zentrale Rolle übertragen wird.

9.

Während die EZB gemäß Artikel 21.2 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbanken (nachfolgend „ESZB-Satzung“) in der gleichen Weise wie im Rahmen der Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands der Union (4), des EFSM und der EFSF als Fiskalagent für den ESM handeln darf, würde Artikel 123 AEUV in Bezug auf die Rolle der EZB und des Eurosystems dem ESM nicht erlauben, ein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Artikel 18 der ESZB-Satzung zu werden. Bezüglich des Letzteren erinnert die EZB daran, dass das Verbot der monetären Finanzierung in Artikel 123 AEUV sowohl aus Gründen der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten als auch zur Erhaltung der Integrität der einheitlichen Geldpolitik und der Unabhängigkeit der EZB und des Eurosystems eine der Säulen der Rechtsstruktur der WWU ist (5).

10.

Die EZB legt den Mitgliedstaaten nahe, dem Beschlussentwurf umgehend zuzustimmen, damit er zu dem darin genannten Datum, dem 1. Januar 2013, in Kraft treten kann.

11.

Die EZB empfiehlt, dass der Beschlussentwurf in einem rechtstechnischen Punkt geändert wird. Ein spezieller Redaktionsvorschlag mit Begründung ist im Anhang aufgeführt.

Geschehen zu Frankfurt am Main am 17. März 2011.

Der Präsident der EZB

Jean-Claude TRICHET


(1)  Siehe die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 16. und 17. Dezember 2010.

(2)  Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht. Siehe ebenfalls die einleitenden Bemerkungen des EZB-Präsidenten nach der Sitzung des EZB-Rats vom 4. November 2010.

(3)  Siehe die Erklärung der Eurogruppe vom 28. November 2010.

(4)  Siehe den zweiten Unterabsatz zu Punkt 1 der EZB-Stellungnahme CON/2009/37 vom 20. April 2009 zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten (ABl. C 106 vom 8.5.2009, S.1).

(5)  Siehe den Konvergenzbericht der EZB vom Mai 2010, S. 24.


ANHANG

Redaktionsvorschlag

Vorschlag des Europäischen Rates

Änderungsvorschlag der EZB (1)

Änderung

Artikel 2 Absatz 2

„Dieser Beschluss tritt am 1. Januar 2013 in Kraft, sofern alle Mitteilungen …“

Artikel 1 dieses Beschlusses tritt am 1. Januar 2013 in Kraft, sofern alle Mitteilungen …“

Begründung

Lediglich Artikel 1 des Beschlussentwurfs wird in Übereinstimmung mit Artikel 48 Absatz 6 des EU-Vertrags am 1. Januar 2013, falls die nationalen Zustimmungsverfahren bis zu diesem Datum abgeschlossen wurden, oder zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss aller nationalen Zustimmungsverfahren in Kraft treten. Artikel 2, der sich mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Mitteilung des Abschlusses ihres jeweiligen nationalen Zustimmungsverfahrens befasst, wird wie der Beschlussentwurf selbst gemäß Artikel 297 Absatz 2 AEUV Unterabsatz 2 in Kraft treten (d. h. am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union, wenn nicht im Beschlussentwurf ein Zeitpunkt festgelegt ist), da in Artikel 48 Absatz 6 des EU-Vertrags eine Bezugnahme auf das Inkrafttreten dieser speziellen Mitteilungspflicht fehlt.


(1)  Der neue Wortlaut, der nach dem Änderungsvorschlag der EZB eingefügt werden soll, erscheint in Fettschrift.


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