URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. April 2015 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage — Makrofinanzhilfen an Drittländer — Beschluss der Kommission, einen Vorschlag für eine Rahmenverordnung zurückzunehmen — Art. 13 Abs. 2 EUV und 17 EUV — Art. 293 AEUV — Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung — Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts — Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit — Art. 296 AEUV — Begründungspflicht“

In der Rechtssache C‑409/13

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 18. Juli 2013,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch G. Maganza, A. de Gregorio Merino und I. Gurov als Bevollmächtigte,

Kläger,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und J. Škeřík als Bevollmächtigte,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,

Königreich Spanien, vertreten durch M. Sampol Pucurull als Bevollmächtigten,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas und N. Rouam als Bevollmächtigte,

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Bulterman, B. Koopman und J. Langer als Bevollmächtigte,

Slowakische Republik, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Republik Finnland, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch U. Persson und A. Falk als Bevollmächtigte,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von R. Palmer, Barrister,

Streithelfer,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B. Smulders, P. Van Nuffel und M. Clausen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, C. Vajda und S. Rodin, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, A. Borg Barthet, J. Malenovský, E. Levits, J. L. da Cruz Vilaça und F. Biltgen,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2014,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Dezember 2014

folgendes

Urteil

1

Mit seiner Klage begehrt der Rat der Europäischen Union die Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 8. Mai 2013, mit dem sie ihren Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen für Makrofinanzhilfen an Drittländer zurücknahm (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtener Beschluss

Rahmenverordnungsvorschlag

2

Die Makrofinanzhilfe (im Folgenden: MFH) dient dazu, Drittländern mit kurzfristigen Zahlungsbilanzschwierigkeiten eine Finanzhilfe makroökonomischer Natur zukommen zu lassen. Ursprünglich wurde sie durch Beschlüsse des Rates gewährt, die von Fall zu Fall auf der Grundlage von Art. 235 des EG-Vertrags und dann von Art. 308 EG (denen Art. 352 AEUV entspricht) erlassen wurden. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird die MFH durch Beschlüsse gewährt, die von Fall zu Fall durch das Europäische Parlament und den Rat auf der Grundlage von Art. 212 AEUV, unbeschadet des Dringlichkeitsverfahrens gemäß Art. 213 AEUV, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.

3

Am 4. Juli 2011 legte die Kommission einen Vorschlag für eine auf die Art. 209 AEUV und 212 AEUV gestützte Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen für Makrofinanzhilfen an Drittländer vor (im Folgenden: Rahmenverordnungsvorschlag).

4

Die Erwägungsgründe 2 bis 4, 6 bis 8 und 13 des Rahmenverordnungsvorschlags lauteten:

„(2)

Gegenwärtig basieren Makrofinanzhilfen für Drittländer auf länderspezifischen Ad-hoc-Beschlüssen des Europäischen Parlaments und des Rates. Dies schmälert die Effizienz und Wirksamkeit der Hilfe, da unnötige Verzögerungen zwischen den Ersuchen um Makrofinanzhilfe und deren tatsächlicher Durchführung entstehen.

(3)

Ein Rahmen für die Umsetzung der Makrofinanzhilfen für Drittländer, mit denen die Union bedeutende politische, wirtschaftliche und kommerzielle Beziehungen unterhält, sollte die Wirksamkeit der Hilfe erhöhen. Insbesondere sollte es möglich sein, Drittländern Makrofinanzhilfen zur Verfügung zu stellen, um sie zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu ermutigen, die geeignet sind, eine Zahlungsbilanzkrise zu beheben.

(4)

In seiner Entschließung über die Durchführung der makrofinanziellen Hilfe für Drittländer vom 3. Juni 2003 … forderte das Europäische Parlament eine Rahmenverordnung für Makrofinanzhilfen, um das Beschlussverfahren zu beschleunigen und diesem Finanzierungsinstrument eine förmliche und transparente Grundlage zu geben.

(6)

2006 hat die Union ihren Rahmen für die Außenhilfe überarbeitet und gestrafft, um seine Wirksamkeit zu erhöhen. Für alle maßgeblichen Instrumente der Außenfinanzierung wurden Rahmenverordnungen erlassen, die der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen. Das einzige bedeutende Instrument, für das es gegenwärtig keine Rahmenverordnung gibt, ist die Makrofinanzhilfe.

(7)

In seinen Schlussfolgerungen vom 8. Oktober 2002 stellte der Rat Kriterien (die so genannten Genval-Kriterien) für die Makrofinanzhilfeoperationen der [Union] auf. … Es ist angebracht, diese Kriterien in einem Rechtsakt, der sowohl vom Parlament als auch vom Rat angenommen wird, förmlich niederzulegen und sie dabei gleichzeitig zu aktualisieren und zu präzisieren.

(8)

Es sollten im Voraus geeignete Verfahren und Instrumente vorgesehen werden, damit die Union Makrofinanzhilfen vor allem dann zügig bereitstellen kann, wenn die Umstände ein sofortiges Handeln erfordern. Dies würde auch die Klarheit und Transparenz der für die Durchführung von Makrofinanzhilfen geltenden Kriterien erhöhen.

(13)

Makrofinanzhilfen sollte[n] die vom Internationalen Währungsfonds und anderen multilateralen Finanzinstitutionen bereitgestellten Mittel ergänzen und es sollte eine faire Lastenteilung mit anderen Gebern bestehen. Makrofinanzhilfen sollte[n] den zusätzlichen Nutzen einer Beteiligung der Union sicherstellen.“

5

Art. 1 („Zweck und Art der Finanzhilfe“) des Rahmenverordnungsvorschlags bestimmte:

„(1)   In dieser Verordnung werden allgemeine Bestimmungen für die Gewährung von Makrofinanzhilfen an Drittländer und Gebiete, die gemäß Artikel 2 hierfür in Betracht kommen, festgelegt.

(2)   Makrofinanzhilfen sind ein in Ausnahmefällen zum Einsatz kommendes Finanzinstrument in Form einer ungebundenen und nicht zweckgewidmeten Zahlungsbilanzhilfe für als Empfänger in Betracht kommende Drittländer und Gebiete. Ziel ist die Wiederherstellung einer tragfähigen Außenbilanz in Ländern, die mit Außenfinanzierungsproblemen konfrontiert sind. Mit der Finanzhilfe wird die Durchführung entschlossener Anpassungs- und Strukturreformmaßnahmen zur Lösung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten unterstützt.

(3)   Eine Makrofinanzhilfe kann unter der Voraussetzung gewährt werden, dass nach Bereitstellung von Mitteln durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und andere multilaterale Einrichtungen und trotz Umsetzung entschlossener wirtschaftlicher Stabilisierungs- und Reformprogramme eine beträchtliche Außenfinanzierungslücke verbleibt, die gemeinsam mit den multilateralen Finanzinstitutionen festgestellt wurde.

(4)   Eine Makrofinanzhilfe ist befristeter Natur und wird eingestellt, sobald die Tragfähigkeit der Zahlungsbilanz des Empfängerlandes wiederhergestellt ist.“

6

Art. 2 des Rahmenverordnungsvorschlags betraf die für eine MFH in Betracht kommenden Länder und verwies dabei auf Anhang I („Für eine Makrofinanzhilfe in Betracht kommende Länder und Gebiete gemäß Artikel 2 Buchstaben a und b“). Er sah außerdem die Möglichkeit vor, eine solche Finanzhilfe in außergewöhnlichen und begründeten Fällen sonstigen Drittländern zu gewähren, sofern diese Länder mit der Union politisch, wirtschaftlich und geografisch eng verbunden sind.

7

Art. 3 des Rahmenverordnungsvorschlags regelte die Formen der MFH (Darlehen, Zuschuss oder eine Kombination aus beidem) und ihre Finanzierungsmodalitäten.

8

Art. 4 des Rahmenverordnungsvorschlags definierte die Bedingungen zur Gewährleistung der Vereinbarkeit einer MFH mit den einschlägigen unionsrechtlichen Finanzvorschriften. In Art. 5 des Vorschlags wurden die Regeln zur Bestimmung der Höhe einer MFH festgelegt.

9

Art. 6 („Konditionalität“) des Rahmenverordnungsvorschlags sah vor:

„(1)   Eine der Vorbedingungen für die Gewährung einer Makrofinanzhilfe ist, dass das Empfängerland über wirksame demokratische Mechanismen verfügt, einschließlich parlamentarischer Mehrparteiensysteme, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte.

(2)   Die Gewährung einer Makrofinanzhilfe ist an die Auflage geknüpft, dass ein IWF‑Programm existiert, auf dessen Grundlage IWF‑Mittel bereitgestellt werden.

(3)   Voraussetzung für die Auszahlung der Finanzhilfe sind zufriedenstellende Fortschritte bei der Umsetzung des IWF‑Programms. Eine weitere Voraussetzung ist die Durchführung – innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens – einer Reihe klar definierter, auf Strukturreformen abstellender wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die zwischen Kommission und Empfängerland zu vereinbaren und in einem Memorandum of Understanding festzulegen sind.

(4)   Zum Schutz der finanziellen Interessen der Union und im Sinne einer guten Regierungsführung im Empfängerland sieht das Memorandum of Understanding auch Maßnahmen vor, die auf die Stärkung von Effizienz, Transparenz und Rechenschaftspflicht der öffentlichen Finanzverwaltung abzielen.

(5)   Bei der Konzipierung geeigneter politischer Maßnahmen sollten auch Fortschritte bei der gegenseitigen Marktöffnung, der Entwicklung eines regelbasierten und fairen Handels sowie anderen außenpolitischen Prioritäten der Union gebührend berücksichtigt werden.

(6)   Die politischen Maßnahmen müssen mit den bestehenden Partnerschafts-, Kooperations- oder Assoziationsabkommen zwischen der Union und dem Empfängerland sowie mit den makroökonomischen Anpassungs- und Strukturreformprogrammen, die das Empfängerland mit Unterstützung des IWF durchführt, in Einklang stehen.“

10

Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags betraf das Verfahren zur Gewährung einer MFH.

11

In Art. 7 Abs. 1 des Vorschlags war vorgesehen, dass eine MFH vom betreffenden Land schriftlich bei der Kommission zu beantragen ist.

12

Art. 7 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 des Vorschlags bestimmte, dass die Kommission die beantragte Finanzhilfe nach dem sogenannten „Prüfverfahren“ des Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55, S. 13), bereitstellt, wenn die in den Art. 1, 2, 4 und 6 des Vorschlags genannten Bedingungen erfüllt sind.

13

Art. 7 Abs. 3 des Rahmenverordnungsvorschlags betraf die Angaben, die in dem Beschluss über die Gewährung eines Darlehens bzw. über die Gewährung eines Zuschusses gemacht werden müssen. Nach dieser Bestimmung sollte der Bereitstellungszeitraum in beiden Fällen in der Regel höchstens drei Jahre betragen.

14

Art. 7 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 des Vorschlags bestimmte, dass die Kommission nach Erlass des Beschlusses über die Gewährung einer MFH im sogenannten „Beratungsverfahren“ des Art. 4 der Verordnung Nr. 182/2011 die politischen Maßnahmen nach Art. 6 Abs. 3 bis 6 des Vorschlags mit dem Drittland vereinbart.

15

Art. 7 Abs. 5 des Rahmenverordnungsvorschlags sah vor, dass die Kommission nach Erlass des Beschlusses über die Gewährung einer MFH mit dem Empfängerland die für diese geltenden detaillierten finanziellen Bedingungen vereinbart und in einer Zuschuss- bzw. Darlehensvereinbarung festlegt.

16

Nach den Art. 8 und 9 des Vorschlags sollte die Kommission für die Durchführung, die Finanzverwaltung und die Auszahlung der MFH verantwortlich sein und die Befugnis haben, ihre Auszahlung unter bestimmten Bedingungen auszusetzen, zu kürzen oder einzustellen. Art. 10 des Vorschlags betraf unterstützende Maßnahmen.

17

Schließlich waren Art. 11 des Rahmenverordnungsvorschlags dem Schutz der finanziellen Interessen der Union, Art. 12 der Bewertung der Effizienz der MFH und Art. 13 dem Jahresbericht über die Durchführung der MFH gewidmet.

Interinstitutionelle Verhandlungen über den Rahmenverordnungsvorschlag

18

Nach mehreren Sitzungen der Arbeitsgruppe der Finanzreferenten des Rates legte dieser eine „Allgemeine Ausrichtung“ zum Rahmenverordnungsvorschlag vor, die vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) am 15. Dezember 2011 angenommen wurde. In dieser „Allgemeinen Ausrichtung“ schlug der Rat u. a. in Bezug auf Art. 7 Abs. 2 des Vorschlags vor, für den Erlass der Beschlüsse über die Gewährung einer MFH das ordentliche Gesetzgebungsverfahren anzuwenden, statt der Kommission eine Durchführungsbefugnis zu übertragen.

19

In seiner Plenarsitzung vom 24. Mai 2012 nahm das Parlament den Bericht des Ausschusses für internationalen Handel über den Rahmenverordnungsvorschlag an. Darin wurde u. a. vorgeschlagen, beim Erlass der Beschlüsse über die Gewährung einer MFH auf delegierte Rechtsakte zurückzugreifen.

20

Die ersten drei Triloge von Parlament, Rat und Kommission, die am 5. und 28. Juni sowie am 19. September 2012 stattfanden, bestätigten die unterschiedlichen Meinungen dieser drei Organe in Bezug auf das Verfahren zur Gewährung einer MFH in Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags. Das Parlament und der Rat äußerten insbesondere ihre Besorgnis hinsichtlich eines Defizits an politischer und demokratischer Kontrolle des in diesem Artikel vorgesehenen Entscheidungsprozesses.

21

Im Januar 2013 legte die Kommission im Hinblick auf den vierten Trilog ein Arbeitsdokument mit dem Titel „Landing zone on implementing acts, delegated acts and co-decision in the MFA Framework Regulation“ (Avisiertes Ziel für Durchführungsrechtsakte, delegierte Rechtsakte und Mitentscheidung in der MFH-Rahmenverordnung) vor, das darauf abzielte, die jeweiligen Positionen der drei betroffenen Organe zu dieser Frage einander anzunähern und die Bedenken des Parlaments und des Rates zu zerstreuen.

22

Bei den Verhandlungen im Rahmen des vierten Trilogs vom 30. Januar 2013 konnten sich das Parlament und der Rat auf eine Lösung verständigen, die darin bestand, im Rahmen der vorgeschlagenen Verordnung für den Erlass eines Beschlusses über die Gewährung einer MFH auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zurückzugreifen, beim Abschluss eines Memorandum of Understanding mit dem Empfängerland auf einen Durchführungsrechtsakt der Kommission zurückzugreifen und der Kommission die Befugnis zum Erlass bestimmter mit der gewährten MFH verbundener Rechtsakte zu übertragen.

23

Beim fünften Trilog am 27. Februar 2013 bekräftigten die Vertreter des Parlaments und des Rates ihre Absicht, für den Erlass der Beschlüsse über die Gewährung einer MFH am Rückgriff auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren festzuhalten. Der Vertreter der Kommission erklärte, dass ein solcher Ansatz den Rahmenverordnungsvorschlag verfälsche und dass die Kommission eine Rücknahme des Vorschlags in Betracht ziehen könnte.

24

Die Ersetzung der Durchführungsbefugnis der Kommission durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren beim Erlass von Beschlüssen über die Gewährung einer MFH war Gegenstand einer grundsätzlichen Einigung zwischen Parlament und Rat, die beim sechsten Trilog am 25. April 2013 zum Ausdruck kam. Bei dieser Gelegenheit bekundete der Vertreter der Kommission offiziell, dass die Kommission mit diesem Ansatz nicht einverstanden sei, und erklärte, dass sie eine Rücknahme des Rahmenverordnungsvorschlags in Betracht ziehen könnte, wenn für den Erlass der Beschlüsse über die Gewährung einer MFH am Rückgriff auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren festgehalten werde, da eine solche Änderung den Vorschlag verfälschen und zu erheblichen verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten führen würde.

25

Mit Schreiben vom 6. Mai 2013 an Herrn Rehn, den Vizepräsidenten der Kommission, bedauerte der Vorsitzende des AStV die Ankündigung des Vertreters der Kommission beim sechsten Trilog und bat die Kommission, ihre Position insbesondere angesichts der Perspektive einer bevorstehenden Einigung zwischen Parlament und Rat zu überdenken.

26

Mit Schreiben vom 8. Mai 2013 teilte Herr Rehn den Präsidenten des Parlaments und des Rates mit, dass das Kollegium der Kommissionsmitglieder in seiner 2045. Sitzung entschieden habe, den Rahmenverordnungsvorschlag nach Art. 293 Abs. 2 AEUV zurückzunehmen.

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

27

Der Rat beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

28

Die Kommission beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

29

Die Tschechische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Italienische Republik, das Königreich der Niederlande, die Slowakische Republik, die Republik Finnland, das Königreich Schweden sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sind als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

Zur Klage

30

Der Rat trägt drei Klagegründe zur Stützung seiner Klage vor. Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV aufgestellten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts gerügt. Der zweite Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV enthaltenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Mit dem dritten Klagegrund wird eine Verletzung der in Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht gerügt.

Vorbringen der Parteien

31

Im Rahmen des ersten Klagegrundes tragen der Rat und alle als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten vor, dass die Kommission im vorliegenden Fall gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV aufgestellten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, der den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts widerspiegle, verstoßen habe.

32

Der Rat und diese Mitgliedstaaten machen zunächst als allgemeine Erwägungen geltend, dass die Verträge der Kommission kein allgemeines Vorrecht verliehen, das es ihr gestatte, ihre dem Unionsgesetzgeber unterbreiteten Vorschläge zurückzunehmen.

33

Erstens könne die Kommission aus ihrem in Art. 17 Abs. 2 EUV verankerten Initiativrecht kein dazu spiegelbildliches und in ihrem Ermessen stehendes Rücknahmerecht ableiten.

34

Das Rücknahmerecht der Kommission müsse auf objektive Sachverhalte beschränkt sein; dazu gehörten Zeitablauf, das Bekanntwerden neuer Umstände oder von Daten, aufgrund deren der Rechtsetzungsvorschlag überflüssig oder gegenstandslos geworden sei, sein absehbares Scheitern wegen eines dauerhaften Mangels an spürbaren Fortschritten des Rechtsetzungsverfahrens oder eine gemeinsame Strategie mit dem Unionsgesetzgeber im Geiste loyaler Zusammenarbeit und unter Beachtung des institutionellen Gleichgewichts.

35

Zweitens könne der Kommission kein allgemeines Rücknahmerecht auf der Grundlage des Art. 293 AEUV zuerkannt werden. Die Bejahung eines solchen Rechts der Kommission liefe vielmehr darauf hinaus, das Recht des Rates nach Art. 293 Abs. 1 AEUV, den Vorschlag der Kommission in den Grenzen seines Gegenstands und seines Zwecks abzuändern, der praktischen Wirksamkeit zu berauben.

36

Drittens liefe die Anerkennung eines immer dann bestehenden Ermessens der Kommission zur Rücknahme eines Rechtsetzungsvorschlags, wenn sie mit den zwischen den Mitgesetzgebern vereinbarten Änderungen nicht einverstanden oder mit dem Endergebnis von Verhandlungen nicht zufrieden sei, darauf hinaus, ihr ein ungerechtfertigtes Druckmittel auf den Ablauf der Gesetzgebungsarbeiten sowie ein Vetorecht bei legislativen Maßnahmen in Abhängigkeit von politischen Opportunitätserwägungen zuzuerkennen.

37

Viertens würde die Anerkennung eines solchen Rücknahmeermessens der Kommission nach Ansicht des Rates und der Bundesrepublik Deutschland dem Demokratieprinzip zuwiderlaufen, das nach Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV im Parlament und in der Tatsache zum Ausdruck komme, dass die Mitglieder des Rates Regierungen angehörten, die den nationalen Parlamenten politisch verantwortlich seien.

38

Im Anschluss an diese allgemeinen Erwägungen tragen der Rat und die als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten vor, dass die Kommission durch den Erlass des angefochtenen Beschlusses das Parlament und den Rat daran gehindert habe, ihre legislativen Vorrechte auszuüben, indem sie sich ohne objektiven Grund und aufgrund rein politischer Opportunitätserwägungen dem Kompromiss widersetzt habe, den Parlament und Rat gerade finalisiert hätten.

39

Hierzu führen sie erstens aus, eine angebliche Verfälschung des Rechtsetzungsvorschlags, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des institutionellen Gleichgewichts oder eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des von den Mitgesetzgebern geplanten Rechtsakts erlaube es der Kommission nicht, ihren Vorschlag zurückzunehmen.

40

Hilfsweise machen sie zweitens geltend, dass im vorliegenden Fall jedenfalls keiner dieser Umstände vorliege.

41

Insoweit tragen sie in Bezug auf die geltend gemachte Verfälschung des Rechtsetzungsvorschlags vor, dass eine solche Verfälschung nur vorstellbar sei, wenn der Gesetzgeber vom Anwendungsbereich, Gegenstand oder Zweck des Vorschlags abweichen wolle. Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen, da der zwischen Parlament und Rat erzielte Kompromiss weder dem Rahmenverordnungsvorschlag die praktische Wirksamkeit und die Daseinsberechtigung genommen noch die Erreichung der verfolgten Ziele gefährdet habe.

42

Der das Verfahren zur Gewährung einer MFH betreffende Teil des Rahmenverordnungsvorschlags habe nämlich nachrangige und instrumentelle Bedeutung und sei daher nicht das Kernstück dieses Vorschlags gewesen, ohne das seine anderen Teile ihre Bedeutung verloren hätten. Gegenstand des Kompromisses sei allenfalls die Behebung des dem Rahmenverordnungsvorschlag anhaftenden Fehlers gewesen, denn durch die Übertragung einer Durchführungsbefugnis auf die Kommission wären die Befugnisse beeinträchtigt worden, die die Art. 209 AEUV und 212 AEUV dem Unionsgesetzgeber im Bereich der MFH angesichts der politischen Dimension dieser Materie vorbehielten.

43

Der Rat, die Bundesrepublik Deutschland, die Französische Republik, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich machen außerdem geltend, dass der von Parlament und Rat angestrebte Kompromiss auch das mit dem Rahmenverordnungsvorschlag verfolgte allgemeine Ziel, das Verfahren zur Gewährung von MFH durch die Formalisierung und Präzisierung der für ihre Umsetzung geltenden Regeln zu rationalisieren, um dieses Instrument transparenter und berechenbarer zu machen, nicht in Frage gestellt habe.

44

Zu dem mit der geplanten Rahmenverordnung ebenfalls verbundenen Kohärenzziel führt die Französische Republik aus, dass die MFH den anderen in den Erwägungsgründen des Rahmenverordnungsvorschlags angeführten Instrumenten der Union im Bereich der Finanzhilfe nicht gleichgesetzt werden könne. Folglich habe es keiner Anpassung der im Bereich der MFH geltenden Verfahren an die im Kontext dieser anderen Instrumente anzuwendenden Verfahren bedurft.

45

In Bezug auf die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des institutionellen Gleichgewichts tragen der Rat, die Bundesrepublik Deutschland, die Italienische Republik, die Republik Finnland und das Vereinigte Königreich vor, dass eine solche Gefahr im vorliegenden Fall in Anbetracht insbesondere des umfassenden Charakters des Rechtsbehelfssystems und der Verfahren zur gerichtlichen Kontrolle der Gesetzgebungsakte der Union ausgeschlossen sei.

46

Die Französische Republik und das Königreich Schweden machen ferner geltend, dass der Kompromiss, den die Mitgesetzgeber eingegangen seien, der Kommission die Freiheit gelassen habe, im Fall eines Antrags auf Gewährung einer MFH darüber zu entscheiden, ob es angebracht sei, dem Unionsgesetzgeber einen Vorschlag für die Gewährung einer solchen Finanzhilfe zu unterbreiten, gegebenenfalls ihre Höhe zu bestimmen sowie ihre Durchführung und Kontrolle sicherzustellen.

47

Im Rahmen des zweiten Klagegrundes tragen der Rat und alle als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten vor, dass die Kommission im vorliegenden Fall gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV enthaltenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen habe.

48

Sie werfen der Kommission vor, weder einen Vorbehalt noch eine Warnung ausgesprochen zu haben, als die Mitgesetzgeber im Dezember 2011 bzw. im Mai 2012 ihre Standpunkte zum Rahmenverordnungsvorschlag angenommen hätten. Zudem habe sie die Mitgesetzgeber nicht rechtzeitig über ihre Absicht informiert, den Rahmenverordnungsvorschlag zurückzunehmen, und diese somit daran gehindert, die geplante Rücknahme durch eine Änderung ihrer gemeinsamen Ausrichtung zu verhindern. Außerdem habe die Kommission ihren Vorschlag noch schnell an eben dem Tag zurückgenommen, an dem das Parlament und der Rat im Begriff gewesen seien, eine Einigung zu erzielen, die zum Erlass eines Rechtsakts geführt hätte, mit dem sie nicht einverstanden gewesen sei.

49

Die Nichtbeachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit durch die Kommission werde dadurch noch gravierender, dass sie die in den Art. 3 Abs. 2 und 11 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Rates im Anhang des Beschlusses des Rates vom 1. Dezember 2009 zur Festlegung seiner Geschäftsordnung (ABl. L 325, S. 35) vorgesehenen Verfahrenswege nicht ausgeschöpft habe, um zu überprüfen, ob die nach Art. 293 Abs. 1 AEUV für die Abänderung des Rahmenverordnungsvorschlags erforderliche Einstimmigkeit im vorliegenden Fall vorgelegen habe.

50

Die Italienische Republik und das Vereinigte Königreich fügen hinzu, die Kommission habe von vornherein jedes Gespräch und jede Verhandlung mit den Mitgesetzgebern über den Inhalt von Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags ausgeschlossen, während es bei den Mitgesetzgebern insoweit einen gemeinsamen Ansatz gegeben habe.

51

Im Rahmen des dritten Klagegrundes machen der Rat und alle als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten geltend, dass ein Beschluss zur Rücknahme eines Rechtsetzungsvorschlags ein der richterlichen Kontrolle unterliegender Rechtsakt sei, der demzufolge dem in Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgesehenen Begründungserfordernis entsprechen müsse.

52

Das Schreiben vom 8. Mai 2013, mit dem der Vizepräsident der Kommission die Präsidenten des Parlaments und des Rates über den angefochtenen Beschluss informiert habe, enthalte aber keine Angaben zu dessen Gründen. Diese seien nur in den internen Dokumenten der Kommission zu finden, von denen der Rat erst während des vorliegenden Gerichtsverfahrens Kenntnis erlangt habe.

53

Dieses völlige Fehlen einer Begründung bestätige die Willkürlichkeit des angefochtenen Beschlusses.

54

Die Kommission entgegnet auf den ersten Klagegrund, erstens sei die Rücknahme eines Rechtsetzungsvorschlags, genau wie die Vorlage oder die Änderung eines solchen Vorschlags, Ausdruck ihres in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EUV verankerten Initiativrechts im allgemeinen Interesse der Union. Dieses Rücknahmerecht sei für sie eines der Mittel, die ihr durch die Verträge übertragenen Verpflichtungen im Rahmen der Verfahren zum Erlass von Rechtsakten der Union zu erfüllen.

55

Ebenso wie es allein ihr obliege, zu entscheiden, ob sie einen Rechtsetzungsvorschlag vorlege oder nicht und ob sie ihren ursprünglichen Vorschlag oder einen bereits geänderten Vorschlag abändere oder nicht, sei es daher allein ihre Sache, einen Vorschlag aufrechtzuerhalten oder zurückzunehmen, solange er noch nicht angenommen worden sei.

56

Im vorliegenden Fall habe sie den angefochtenen Beschluss nicht aufgrund von Opportunitäts- oder politischen Erwägungen gefasst, von denen sie sich angeblich habe leiten lassen und sich dabei eine Rolle als „dritter Zweig“ der Legislative der Union angemaßt haben solle, sondern weil der Rechtsakt, den die Mitgesetzgeber hätten erlassen wollen, eine Verfälschung ihres Rahmenverordnungsvorschlags dargestellt hätte und wegen der grundsätzlichen Einigung von Parlament und Rat, in Art. 7 dieses Vorschlags die Durchführungsbefugnis der Kommission beim Erlass der Beschlüsse über die Gewährung einer MFH durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu ersetzen, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des institutionellen Gleichgewichts mit sich gebracht hätte.

57

Zweitens treffe es nicht zu, dass der angefochtene Beschluss gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts verstoßen habe.

58

Zu den Befugnissen des Unionsgesetzgebers gehöre nicht die souveräne Befugnis, einen Rechtsakt zu erlassen, der den Sinn ihres Vorschlags grundlegend umgestalten oder ihm seine Daseinsberechtigung nehmen würde.

59

Der angefochtene Beschluss habe auch nicht gegen Art. 293 Abs. 1 AEUV verstoßen und habe auf Art. 293 Abs. 2 AEUV gestützt werden können, der die Gesamtverantwortung veranschauliche, die ihr im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens zukomme.

60

Schließlich gehe das Argument fehl, dass dieser Beschluss das Demokratieprinzip beeinträchtigt habe, denn die Kommission verfüge wie die übrigen Unionsorgane über eine ihr eigene demokratische Legitimität.

61

Zum zweiten Klagegrund trägt die Kommission unter Hinweis auf den Verlauf der Arbeiten, die dem Erlass des angefochtenen Beschlusses vorausgegangen seien, vor, die beiden auf einen angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gestützten Vorwürfe des Rates seien unbegründet.

62

Zum dritten Klagegrund führt die Kommission aus, der angefochtene Beschluss sei eine interne Verfahrensentscheidung, für die die in Art. 296 AEUV aufgestellte Begründungspflicht nicht gelte. Jedenfalls sei sie ihrer Pflicht, das Parlament und den Rat über den Erlass des angefochtenen Beschlusses und die Gründe dafür zu informieren, voll und ganz nachgekommen. Diese Gründe seien nämlich von den Vertretern der Kommission bei den verschiedenen Sitzungen der Arbeitsgruppe der Finanzreferenten des Rates und bei den Trilogen, die zwischen dem 26. Februar und dem 7. Mai 2013 stattgefunden hätten, ständig wiederholt worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

63

Mit seinen drei Klagegründen, die gemeinsam zu prüfen sind, macht der Rat, unterstützt von den als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten, geltend, dass der angefochtene Beschluss unter Verletzung von Art. 13 Abs. 2 EUV und Art. 296 Abs. 2 AEUV erlassen worden sei.

64

Nach Art. 13 Abs. 2 EUV handelt jedes Unionsorgan nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind. In dieser Bestimmung kommt der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts zum Ausdruck, der für den organisatorischen Aufbau der Union kennzeichnend ist (vgl. Urteil Meroni/Hohe Behörde, 9/56, EU:C:1958:7, S. 44) und gebietet, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteile Parlament/Rat, C‑70/88, EU:C:1990:217, Rn. 22, und Parlament/Rat, C‑133/06, EU:C:2008:257, Rn. 57).

65

Art. 13 Abs. 2 EUV schreibt außerdem vor, dass die Unionsorgane loyal zusammenarbeiten.

66

Art. 296 Abs. 2 AEUV sieht u. a. vor, dass die Rechtsakte der Union mit einer Begründung zu versehen sind.

67

Das Vorbringen des Rates und der als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten geht im Wesentlichen dahin, dass die Kommission, indem sie den Rahmenverordnungsvorschlag mit dem angefochtenen Beschluss zurückgenommen habe, die ihr durch die Verträge verliehenen Befugnisse überschritten und dadurch das institutionelle Gleichgewicht beeinträchtigt habe, da ihr die Verträge nicht die Befugnis verliehen, einen Rechtsetzungsvorschlag unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles zurückzunehmen. Die Kommission habe ferner gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen. Der angefochtene Beschluss leide außerdem an einem Begründungsmangel.

68

Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 17 Abs. 2 EUV ein Gesetzgebungsakt der Union nur „auf Vorschlag der Kommission“ erlassen werden darf, außer in dem hier nicht gegebenen Fall, dass in den Verträgen etwas anderes festgelegt ist.

69

Desgleichen besteht das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, auf das die im Rahmenverordnungsvorschlag angeführten Art. 209 AEUV und 212 AEUV Bezug nehmen, gemäß Art. 289 AEUV in der gemeinsamen Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament und den Rat „auf Vorschlag der Kommission“.

70

Das der Kommission durch die Art. 17 Abs. 2 EUV und 289 AEUV eingeräumte Initiativrecht bedeutet, dass es Sache der Kommission ist, zu entscheiden, ob sie einen Vorschlag für einen Rechtsakt vorlegt oder nicht, abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall, dass sie nach dem Unionsrecht zur Vorlage eines solchen Vorschlags verpflichtet ist. Wenn die Kommission, die nach Art. 17 Abs. 1 EUV die allgemeinen Interessen der Union fördert und zu diesem Zweck geeignete Initiativen ergreift, einen Rechtsetzungsvorschlag vorlegt, steht es ihr aufgrund dieses Initiativrechts auch zu, den Gegenstand, das Ziel und den Inhalt dieses Vorschlags zu bestimmen.

71

Art. 293 AEUV stattet dieses Initiativrecht mit einer zweifachen Garantie aus.

72

Zum einen bestimmt Art. 293 Abs. 1 AEUV, dass der Rat, wenn er aufgrund der Verträge auf Vorschlag der Kommission tätig wird, diesen Vorschlag außer in den Fällen, die von den dort genannten Bestimmungen des AEUV erfasst werden, nur einstimmig abändern kann.

73

Zum anderen kann die Kommission nach Art. 293 Abs. 2 AEUV, solange kein Beschluss des Rates ergangen ist, ihren Vorschlag jederzeit im Verlauf der Verfahren zur Annahme eines Rechtsakts der Union ändern.

74

Aus Art. 17 Abs. 2 EUV in Verbindung mit den Art. 289 AEUV und 293 AEUV geht hervor, dass sich die Befugnis der Kommission im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens entgegen dem Vorbringen des Rates und einiger als Streithelfer beigetretener Mitgliedstaaten nicht darin erschöpft, einen Vorschlag vorzulegen und anschließend Kontakte zu fördern und eine Annäherung der Standpunkte des Parlaments und des Rates anzustreben. Ebenso wie es grundsätzlich Sache der Kommission ist, zu entscheiden, ob sie einen Rechtsetzungsvorschlag vorlegt oder nicht, und gegebenenfalls seinen Gegenstand, sein Ziel und seinen Inhalt zu bestimmen, hat sie, solange kein Beschluss des Rates ergangen ist, die Befugnis, ihren Vorschlag zu ändern und bei Bedarf auch zurückzunehmen. Im vorliegenden Fall ist im Übrigen nicht streitig, dass es diese Rücknahmebefugnis gibt, sondern Uneinigkeit besteht nur über ihren Umfang und ihre Grenzen. Zudem steht fest, dass noch kein Beschluss des Rates über den Rahmenverordnungsvorschlag ergangen war, als die Kommission beschloss, ihn zurückzunehmen.

75

Die Rücknahmebefugnis, die der Kommission nach den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen zusteht, kann ihr jedoch kein Vetorecht im Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens verleihen, das gegen die Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung und des institutionellen Gleichgewichts verstoßen würde.

76

Daher muss die Kommission, wenn sie nach der Vorlage eines Vorschlags im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beschließt, diesen Vorschlag zurückzunehmen, dem Parlament und dem Rat die Gründe für diese Rücknahme erläutern, und diese müssen im Streitfall durch überzeugende Gesichtspunkte untermauert werden.

77

Insoweit ist hervorzuheben, dass ein Rücknahmebeschluss unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles eine Handlung ist, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann, da ein solcher Beschluss, indem er das mit der Vorlage des Vorschlags der Kommission eingeleitete Gesetzgebungsverfahren beendet, das Parlament und den Rat daran hindert, ihre Gesetzgebungsfunktion nach den Art. 14 Abs. 1 EUV und 16 Abs. 1 EUV in der von ihnen gewünschten Weise auszuüben.

78

Die gerichtliche Kontrolle, zu deren Ausübung der Gerichtshof in der Lage sein muss, wenn wie im vorliegenden Fall eine Nichtigkeitsklage erhoben wird, rechtfertigt es daher, dass eine Entscheidung wie der angefochtene Beschluss der Begründungspflicht unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Rat, C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 42).

79

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Frage, ob die Begründung einer Entscheidung den Anforderungen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts (vgl. in diesem Sinne Urteile Delacre u. a./Kommission, C‑350/88, EU:C:1990:71, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere ist ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem Kontext ergangen ist, der den Betroffenen bekannt war (vgl. in diesem Sinne Urteil Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80

Im vorliegenden Fall trifft es zwar zu, dass, wie der Rat und einige als Streithelfer beigetretene Mitgliedstaaten hervorheben, das Schreiben vom 8. Mai 2013, mit dem der Vizepräsident der Kommission die Präsidenten des Parlaments und des Rates über den Erlass des angefochtenen Beschlusses informierte, abgesehen von einem Hinweis auf Art. 293 Abs. 2 AEUV als Grundlage des angefochtenen Beschlusses keine Angaben zu dessen Gründen enthält. Aus den dem Gerichtshof übermittelten Unterlagen geht jedoch hervor, dass die Kommission in den Sitzungen der Arbeitsgruppe der Finanzreferenten des Rates vom 26. Februar und 9. April 2013 sowie bei den Trilogen vom 27. Februar und 25. April 2013 erklärte, dass sie eine Rücknahme des Rahmenverordnungsvorschlags in Betracht ziehen könnte, weil die von Parlament und Rat in Bezug auf Art. 7 des Vorschlags geplante Änderung diesen in einem den verschiedenen mit ihm verfolgten Zielen zuwiderlaufenden Sinn so sehr verfälsche, dass ihm seine Daseinsberechtigung genommen werde.

81

Somit ist davon auszugehen, dass die Gründe für den angefochtenen Beschluss dem Parlament und dem Rat in rechtlich hinreichender Weise zur Kenntnis gebracht wurden.

82

In der Sache sind Gründe wie die im vorliegenden Fall von der Kommission geltend gemachten geeignet, die Rücknahme eines Rechtsetzungsvorschlags zu rechtfertigen.

83

Es ist nämlich anzuerkennen, dass die Kommission zur Rücknahme eines Rechtsetzungsvorschlags berechtigt ist, wenn eine von Parlament und Rat beabsichtigte Änderung den Vorschlag in einer Weise verfälscht, die der Verwirklichung der mit ihm verfolgten Ziele entgegensteht und ihm deshalb die Daseinsberechtigung nimmt. Sie kann dies jedoch erst tun, nachdem sie den Bedenken des Parlaments und des Rates, die ihrem Wunsch nach Änderung des Vorschlags zugrunde liegen, im Geist der loyalen Zusammenarbeit, der nach Art. 13 Abs. 2 EUV in den Beziehungen zwischen Unionsorganen im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vorherrschen muss, gebührend Rechnung getragen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Parlament/Rat, C‑65/93, EU:C:1995:91, Rn. 23).

84

Daher ist erstens zu prüfen, ob die von der Kommission im vorliegenden Fall vorgetragenen Gesichtspunkte die von ihr zur Stützung des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe untermauern.

85

Insoweit ist festzustellen, dass das Hauptziel des Rahmenverordnungsvorschlags nach seinen Erwägungsgründen 2 und 8 darin bestand, die Unionspolitik im Bereich der MFH mit einem Rahmen auszustatten, der eine zügige Bereitstellung solcher Hilfen erlaubt, und den die Wirksamkeit dieser Politik schmälernden Verzögerungen ein Ende zu setzen, die sich daraus ergaben, dass bei jedem Fall der Gewährung einer MFH gemeinsame Entscheidungen des Parlaments und des Rates getroffen wurden.

86

Wie aus dem vierten Erwägungsgrund des Rahmenverordnungsvorschlags hervorgeht, wollte die Kommission mit ihrer Rechtsetzungsinitiative einer Entschließung des Parlaments vom 3. Juni 2003 Folge leisten, in der es eine Rahmenverordnung für MFH forderte, um u. a. das Beschlussverfahren in diesem Bereich zu beschleunigen.

87

Nach den Erwägungsgründen 4 und 6 bis 8 des Rahmenverordnungsvorschlags waren weitere Ziele dieses Vorschlags die Erhöhung der Transparenz der Unionspolitik im Bereich der MFH, insbesondere in Bezug auf die Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Hilfe, und die Sicherstellung der Kohärenz dieser Politik mit anderen durch Rahmenverordnungen, die der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen, geregelten Unionspolitiken im Bereich der Außenhilfe.

88

Zur Erreichung dieser verschiedenen Ziele sah der Rahmenverordnungsvorschlag, wie aus den Rn. 5 bis 9 des vorliegenden Urteils hervorgeht, vor, dass das Parlament und der Rat auf der Grundlage der Art. 209 AEUV und 212 AEUV einen Rechtsrahmen für die Unionspolitik im Bereich der MFH erlassen, mit dem die für eine solche Hilfe in Betracht kommenden Länder, die Formen, die Finanzierungsmodalitäten und die verschiedenen Voraussetzungen für die Gewährung einer MFH insbesondere in Bezug auf die Beachtung der demokratischen Mechanismen, der Durchführung wirtschaftlicher Strukturreformen und von Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Finanzverwaltung sowie in Bezug auf die Anwendung der Grundsätze eines offenen, regelbasierten und fairen Handels konkretisiert worden wären.

89

In diesem Kontext sollte durch Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags der Kommission eine Durchführungsbefugnis für den Erlass, innerhalb der Grenzen und Voraussetzungen des geplanten Rechtsrahmens, von Entscheidungen über die Gewährung einer MFH und den Abschluss von Memoranda of understanding mit den Empfängerländern einer solchen Hilfe übertragen werden.

90

Wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, hätte die Änderung, die das Parlament und der Rat an Art. 7 in Form der Ersetzung, in dessen Abs. 2, der Durchführungsbefugnis der Kommission in Bezug auf den Erlass der einzelnen Entscheidungen über die Gewährung einer MFH durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vornehmen wollten, einen wesentlichen Bestandteil des Rahmenverordnungsvorschlags in einer Weise verfälscht, die mit dem Ziel dieses Vorschlags – die Wirksamkeit der Unionspolitik im Bereich der MFH zu verbessern – unvereinbar gewesen wäre.

91

Eine solche Änderung hätte nämlich die Beibehaltung des Prozesses der fallweisen Gewährung durch das Parlament und den Rat im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens bedeutet, während das Hauptziel des Rahmenverordnungsvorschlags gerade darin bestand, durch einen rechtlichen Rahmen für die Voraussetzungen der Durchführung der Unionspolitik im Bereich der MFH diesem Entscheidungsprozess ein Ende zu setzen, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen und damit die Wirksamkeit dieser Politik zu verbessern.

92

Wie die Kommission nach den dem Gerichtshof vorgelegten Dokumenten in der Sitzung der Arbeitsgruppe der Finanzreferenten des Rates vom 26. Februar 2013 erläuterte, haben die mit dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren einhergehenden Modalitäten unausweichlich einen mehrmonatigen Entscheidungsprozess zur Folge; dies ist geeignet, die Koordinierung der MFH mit der Bereitstellung von Mitteln durch den IWF oder andere multilaterale Finanzinstitutionen zu erschweren. Diese Mittel sollen die MFH ergänzen, worauf in den Art. 1 Abs. 3 und 6 Abs. 2 des Rahmenverordnungsvorschlags sowie in seinem 13. Erwägungsgrund hingewiesen wurde.

93

Außerdem wäre die von Parlament und Rat beabsichtigte Änderung der Verwirklichung des mit dem Rahmenverordnungsvorschlag verfolgten Ziels zuwidergelaufen, das im Streben nach Kohärenz darin bestand, das Verfahren zur Gewährung einer MFH an das für andere Finanzinstrumente der Union im Bereich der Außenhilfe geltende Verfahren anzupassen.

94

Wie sich aus der Analyse in den Rn. 85 bis 93 des vorliegenden Urteils ergibt, war die Kommission zu der Annahme berechtigt, dass die von Parlament und Rat beabsichtigte Änderung von Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags geeignet war, diesen Vorschlag in der grundlegenden Frage des Verfahrens zur Gewährung einer MFH in einer Weise zu verfälschen, die die Verwirklichung der von der Kommission mit ihm verfolgten Ziele verhindert und ihm daher seine Daseinsberechtigung genommen hätte.

95

Folglich verstieß der Beschluss der Kommission, in Anbetracht dieser Erwägungen den Rahmenverordnungsvorschlag zurückzunehmen, weder gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung noch gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, die in Art. 13 Abs. 2 EUV niedergelegt sind.

96

Zu der auf einen Verstoß gegen das in Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV angesprochene Demokratieprinzip gestützten Argumentation geht aus Art. 17 Abs. 2 EUV in Verbindung mit den Art. 289 AEUV und 293 AEUV hervor, dass die Kommission nicht nur befugt ist, einen Rechtsetzungsvorschlag vorzulegen, sondern ihren Vorschlag auch, solange noch kein Beschluss des Rates ergangen ist, ändern oder bei Bedarf zurücknehmen kann. Da diese Rücknahmebefugnis der Kommission von dem ihr übertragenen Initiativrecht nicht zu trennen und in ihrer Ausübung durch die Bestimmungen der oben genannten Artikel des AEU-Vertrags begrenzt ist, kann im vorliegenden Fall von einem Verstoß gegen das fragliche Prinzip keine Rede sein. Demnach ist auch diese Argumentation als unbegründet zurückzuweisen.

97

Zweitens ist im Licht der vom Rat und von den als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten vorgetragenen Rügen zu prüfen, ob die von der Kommission am 8. Mai 2013 beschlossene Rücknahme unter Beachtung des ebenfalls in Art. 13 Abs. 2 EUV aufgestellten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit erfolgte.

98

Insoweit ist allgemein festzustellen, dass die Kommission den Rahmenverordnungsvorschlag erst zurücknahm, als sich zeigte, dass der Rat und das Parlament beabsichtigten, diesen Vorschlag in einer Weise zu ändern, die den mit ihm verfolgten Zielen widersprach.

99

Insbesondere geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen hervor, dass der Rat und das Parlament zunächst unterschiedliche Standpunkte zu der in Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags behandelten Frage des Verfahrens bei der Entscheidung über die Gewährung einer MFH vertraten. In einer vom AStV am 15. Dezember 2011 angenommenen „Allgemeinen Ausrichtung“ hatte der Rat insoweit die Beibehaltung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen, während das Parlament in einem am 24. Mai 2012 angenommenen Bericht eine auf die Heranziehung delegierter Rechtsakte gestützte Lösung befürwortet hatte.

100

Da es zwischen den Mitgesetzgebern in Bezug auf die Beibehaltung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens für den Erlass der einzelnen Entscheidungen über die Gewährung einer MFH keinen Konsens gab, kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie nicht schon zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit einer Rücknahme des Rahmenverordnungsvorschlags ansprach.

101

Wie aus dem in Rn. 21 des vorliegenden Urteils angeführten, im Januar 2013 vorgelegten und von der Kommission für den Trilog vom 30. Januar 2013 verfassten Arbeitsdokument hervorgeht, wollte die Kommission offenbar vielmehr angesichts der gemeinsamen Bedenken des Parlaments und des Rates, dass der in Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags vorgesehene Entscheidungsprozess bei der Gewährung einer MFH ein Defizit an politischer und demokratischer Kontrolle aufweise, auf eine Annäherung der jeweiligen Standpunkte der betreffenden Organe hinarbeiten.

102

In diesem Dokument wurde nämlich eine Kompromisslösung vorgeschlagen, die im Wesentlichen auf einer Kombination aus einer detaillierten Rahmenregelung wie der im Rahmenverordnungsvorschlag vorgesehenen, mit der insbesondere die politischen Voraussetzungen für die Gewährung einer MFH festgelegt werden sollten, informellen Konsultationsmechanismen des Parlaments und der Mitgliedstaaten über die Entwürfe der Durchführungsakte der Kommission in Bezug auf die Gewährung einer MFH, dem Rückgriff auf eine begrenzte Zahl delegierter Rechtsakte, im konkreten Fall vier, zur Änderung oder Ergänzung bestimmter nachrangiger Bestandteile des Rechtsrahmens in Bezug auf u. a. die Liste der für eine MFH in Betracht kommenden Länder und die Kriterien für die Auswahl des Finanzierungsinstruments (Zuschuss oder Darlehen), einem selektiven Rückgriff auf das Ausschussverfahren sowie verschiedenen Beurteilungsmechanismen und Berichten an das Parlament und den Rat beruhte.

103

Entgegen dem Vorbringen einiger als Streithelfer beigetretener Mitgliedstaaten hat die Kommission somit keineswegs jede Diskussion über das Verfahren zur Gewährung einer MFH ausgeschlossen, sondern versucht, zu einer Lösung zu kommen, mit der den Bedenken von Parlament und Rat unter Beibehaltung der mit dem Rahmenverordnungsvorschlag im Bereich der MFH verfolgten Ziele Rechnung getragen werden sollte.

104

Sobald – ab dem vierten Trilog, der am 30. Januar 2013 stattfand – ein gemeinsamer Wille des Parlaments und des Rates, am ordentlichen Gesetzgebungsverfahren für den Erlass der Entscheidungen über die Gewährung einer MFH festzuhalten, erkennbar wurde, sprach die Kommission, wie die zu den Akten gegebenen Dokumente bestätigen, in der Sitzung der Arbeitsgruppe der Finanzreferenten des Rates vom 26. Februar 2013 sowie beim fünften Trilog, der am 27. Februar 2013 stattfand, die Möglichkeit einer Rücknahme des Rahmenverordnungsvorschlags und die Gründe der in Betracht gezogenen Rücknahme an. Gleiches tat sie in der Sitzung der Arbeitsgruppe der Finanzreferenten des Rates vom 9. April 2013 sowie beim sechsten Trilog am 25. April 2013. Sowohl die Dokumente zum Trilog vom 27. Februar 2013 als auch das Schreiben des Präsidenten des AStV an den Vizepräsidenten der Kommission vom 6. Mai 2013 im Anschluss an den Trilog vom 25. April 2013 zeigen, dass die Mitgesetzgeber diese Warnungen der Kommission deutlich wahrgenommen haben.

105

Das Vorbringen, die Kommission habe ihre Absicht, den Rahmenverordnungsvorschlag zurückzunehmen, zu spät angekündigt, ist daher nicht begründet.

106

Im Übrigen können unter den oben in Rn. 104 des vorliegenden Urteils erläuterten Umständen und mangels eines Hinweises in den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen darauf, dass das Parlament und der Rat auf eine Änderung von Art. 7 des Rahmenverordnungsvorschlags hätten verzichten können, weder der unterbliebene Rückgriff der Kommission auf die in Art. 3 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Rates vorgesehene Möglichkeit, eine Abstimmung des Rates über diesen Vorschlag zu verlangen, noch der Umstand, dass der angefochtene Beschluss an dem Tag erlassen wurde, an dem das Parlament und der Rat im Begriff gewesen sein sollen, ihre Einigung über diesen Vorschlag zu formalisieren, als Verstoß der Kommission gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit angesehen werden.

107

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Erlass des angefochtenen Beschlusses durch die Kommission weder gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts oder den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, die in Art. 13 Abs. 2 EUV niedergelegt sind, noch gegen das in Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV verankerte Demokratieprinzip verstieß. Überdies hat die Kommission im vorliegenden Fall der durch Art. 296 Abs. 2 AEUV auferlegten Begründungspflicht genügt.

108

Die drei vom Rat zur Stützung seiner Klage angeführten Gründe sind daher als unbegründet zurückzuweisen.

109

Folglich ist die Klage abzuweisen.

Kosten

110

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Rates beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten, so dass die Tschechische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Italienische Republik, das Königreich der Niederlande, die Slowakische Republik, die Republik Finnland, das Königreich Schweden sowie das Vereinigte Königreich ihre eigenen Kosten zu tragen haben.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

 

3.

Die Tschechische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Italienische Republik, das Königreich der Niederlande, die Slowakische Republik, die Republik Finnland, das Königreich Schweden sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.