URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

27. Februar 2014 ( *1 )

„Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit — Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit — Beschluss des Rates — Wahl der Rechtsgrundlage — Art. 48 AEUV — Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV“

In der Rechtssache C‑656/11

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 16. Dezember 2011,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten zunächst durch C. Murrell, dann durch M. Holt als Bevollmächtigte im Beistand von A. Dashwood, QC,

Kläger,

unterstützt durch

Irland, vertreten durch E. Creedon, L. Williams und J. Stanley als Bevollmächtigte im Beistand von N. J. Travers, BL, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

gegen

Rat der Europäischen Union, zunächst vertreten durch G. Marhic und M. Veiga, dann durch A. De Elera als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und N. Rouam als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch V. Kreuschitz, dann durch S. Pardo Quintillán und J. Enegren als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2013,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit seiner Klage beantragt das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland die Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/863/EU des Rates vom 16. Dezember 2011 über den Standpunkt der Europäischen Union im Gemischten Ausschuss, der mit dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit eingesetzt wurde, zur Ersetzung des Anhangs II des Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 341, S. 1, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

2

Art. 48 AEUV, der zu den Bestimmungen über die Freizügigkeit im Dritten Teil Titel IV des AEU-Vertrags gehört, lautet wie folgt:

„Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führen sie insbesondere ein System ein, das zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert:

a)

die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

b)

die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen.

…“

3

Art. 79 AEUV, der zu den Bestimmungen über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dritten Teil Titel V des AEU-Vertrags gehört, sieht vor:

„(1)   Die Union entwickelt eine gemeinsame Einwanderungspolitik, die in allen Phasen eine wirksame Steuerung der Migrationsströme, eine angemessene Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, sowie die Verhütung und verstärkte Bekämpfung von illegaler Einwanderung und Menschenhandel gewährleisten soll.

(2)   Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in folgenden Bereichen:

b)

Festlegung der Rechte von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, einschließlich der Bedingungen, unter denen sie sich in den anderen Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten dürfen;

…“

4

Die Art. 1 und 3 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sehen vor, dass sich diese Mitgliedstaaten nicht an der Annahme von Maßnahmen durch den Rat beteiligen, die nach dem Dritten Teil Titel V des AEU-Vertrags vorgeschlagen werden, sofern sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage eines Vorschlags oder einer Initiative erklären, dass sie sich daran beteiligen möchten.

5

Außerdem bestimmt Art. 2 des Protokolls (Nr. 21):

„Entsprechend Artikel 1 und vorbehaltlich der Artikel 3, 4 und 6 sind Vorschriften des Dritten Teils Titel V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, nach jenem Titel beschlossene Maßnahmen, Vorschriften internationaler Übereinkünfte, die von der Union nach jenem Titel geschlossen werden, sowie Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union, in denen solche Vorschriften oder Maßnahmen ausgelegt werden, für das Vereinigte Königreich oder Irland nicht bindend oder anwendbar …“

Das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit

6

Das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (im Folgenden: Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit) wurde am 21. Juni 1999 unterzeichnet und im Namen der Gemeinschaft mit dem Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und – bezüglich des Abkommens über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit – der Kommission vom 4. April 2002 über den Abschluss von sieben Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (ABl. L 114, S. 1) genehmigt.

7

Nach der Präambel des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit haben die Vertragsparteien beschlossen, die Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen.

8

Art. 8 („Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“) des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit sieht vor, dass die Vertragsparteien die entsprechende Koordinierung gemäß Anhang II dieses Abkommens (im Folgenden: Anhang II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) regeln, um insbesondere die Gleichbehandlung, die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigten Versicherungszeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen, die Zahlung der Leistungen an Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien haben, sowie die Amtshilfe und Zusammenarbeit der Behörden und Einrichtungen zu gewährleisten.

9

Art. 1 des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit lautet:

„1.   Die Vertragsparteien kommen überein, im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit untereinander die gemeinschaftlichen Rechtsakte, auf die Bezug genommen wird, in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens [EG–Schweiz über die Freizügigkeit] geltenden Fassung einschließlich der in Abschnitt A dieses Anhangs genannten Änderungen oder gleichwertige Vorschriften anzuwenden.

2.   Der Begriff ‚Mitgliedstaat(en)‘ in den Rechtsakten, auf die in Abschnitt A dieses Anhangs Bezug genommen wird, ist außer auf die durch die betreffenden gemeinschaftlichen Rechtsakte erfassten Staaten auch auf die Schweiz anzuwenden.“

10

In Abschnitt A („Rechtsakte, auf die Bezug genommen wird“) des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit werden die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) sowie verschiedene Verordnungen genannt, durch die diese beiden Verordnungen geändert wurden.

Die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009

11

Nach Art. 90 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, und – Berichtigung – L 200, S. 1) wird die Verordnung Nr. 1408/71 mit dem Beginn der Anwendung der Verordnung Nr. 883/2004 aufgehoben. Allerdings sieht diese Bestimmung vor, dass die Verordnung Nr. 1408/71 u. a. für die Zwecke des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit in Kraft bleibt und ihre Rechtswirkung behält, solange dieses Abkommen nicht infolge der Verordnung Nr. 883/2004 geändert worden ist.

12

Der dritte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004 lautet:

„Die Verordnung … Nr. 1408/71 … ist mehrfach geändert und aktualisiert worden, um nicht nur den Entwicklungen auf Gemeinschaftsebene – einschließlich der Urteile des Gerichtshofes –, sondern auch den Änderungen der Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene Rechnung zu tragen. Diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass die gemeinschaftlichen Koordinierungsregeln komplex und umfangreich geworden sind. Zur Erreichung des Ziels des freien Personenverkehrs ist es daher von wesentlicher Bedeutung, diese Vorschriften zu ersetzen und dabei gleichzeitig zu aktualisieren und zu vereinfachen.“

13

Art. 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.“

14

Nach Art. 96 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. L 284, S. 1) wird die Verordnung Nr. 574/72 mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Diese Verordnung bleibt jedoch u. a. für die Zwecke des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit in Kraft und behält ihre Rechtswirkung, solange dieses Abkommen nicht infolge der Verordnung Nr. 987/2009 geändert worden ist.

15

Der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 987/2009 lautet:

„Die Verordnung … Nr. 883/2004 modernisiert die Regeln für die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, legt dabei die Durchführungsmaßnahmen und ‑verfahren fest und achtet auf deren Vereinfachung, die allen Beteiligten zugutekommen soll. Hierfür müssen die Durchführungsbestimmungen erlassen werden.“

Der angefochtene Beschluss

16

Am 28. Juni 2010 legte die Europäische Kommission einen ersten Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vor. Auf diesen Vorschlag hin erließ der Rat den Beschluss 2011/505/EU vom 6. Dezember 2010 über den von der Europäischen Union im Gemischten Ausschuss, der gemäß dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit eingesetzt wurde, zu vertretenden Standpunkt zur Ersetzung des Anhangs II dieses Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2011, L 209, S. 1). Dieser Beschluss wurde auf der Grundlage von Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV in Verbindung mit Art. 218 Abs. 9 AEUV erlassen.

17

Das Vereinigte Königreich zeigte an, dass es sich zwar an dem Beschluss des Rates nicht beteiligen wolle, aber ein Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft anstrebe, das nicht erwerbstätige Personen von der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ausschließe. Nachdem die Schweizer Behörden mitgeteilt hatten, dass sie weder den Vorschlag in seiner vorliegenden Form noch den Entwurf für einen Beschluss des Gemischten Ausschusses akzeptieren könnten, legte die Kommission am 24. Oktober 2011 einen neuen Vorschlag für einen Beschluss des Rates mit Art. 48 AEUV in Verbindung mit Art. 218 Abs. 9 AEUV als Rechtsgrundlage vor.

18

Auf dieser Grundlage erließ der Rat den angefochtenen Beschluss, wobei nur das Vereinigte Königreich und Irland gegen diesen Beschluss stimmten. Nach dem Erlass des Beschlusses erließ der Gemischte Ausschuss am 31. März 2012 den Beschluss zur Ersetzung des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Dieser Beschluss trat am 1. April 2012 in Kraft.

19

Der dritte Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Zur Gewährleistung einer kohärenten und korrekten Anwendung der Rechtsakte der Union und zur Vermeidung administrativer und etwaiger rechtlicher Schwierigkeiten muss Anhang II [über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit] geändert werden, um neue Rechtsakte der Union, auf die in dem Abkommen [EG–Schweiz über die Freizügigkeit] noch nicht Bezug genommen wird, aufzunehmen.“

20

Nach Art. 1 des angefochtenen Beschlusses beruht der von der Union im Gemischten Ausschuss zu vertretenden Standpunkt auf dem in Anhang A des angefochtenen Beschlusses dargelegten Entwurf eines Beschlusses dieses Ausschusses.

21

Die Erwägungsgründe 2 und 3 dieses Entwurfs eines Beschlusses des Gemischten Ausschusses lauten:

„(2)

Anhang II des Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist zuletzt durch den Beschluss Nr. 1/2006 vom 6. Juli 2006 … geändert worden und sollte nun aktualisiert werden, um den neuen Rechtsakten der Europäischen Union Rechnung zu tragen, die seitdem in Kraft getreten sind, insbesondere der Verordnung … Nr. 883/2004 … und den zur Durchführung dieser Verordnung erlassenen Maßnahmen.

(3)

[Die] Verordnung … Nr. 883/2004 hat die Verordnung … Nr. 1408/71 … ersetzt.“

22

Art. 1 dieses Beschlussentwurfs lautet:

„Anhang II [über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit] erhält die Fassung des Anhangs des vorliegenden Beschlusses.“

23

Dieser letztgenannte Anhang enthält die neue Fassung des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, in der eine Bezugnahme auf die Verordnung Nr. 883/2004, geändert durch die Verordnung Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 284, S. 43), und auf die Verordnung Nr. 987/2009 an die Stelle der ursprünglichen Bezugnahme auf die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 sowie die Verordnungen zu ihrer Änderung tritt.

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

24

Das Vereinigte Königreich beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

25

Der Rat beantragt, die Klage abzuweisen und dem Vereinigten Königreich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

26

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 22. Mai 2012 ist Irland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs zugelassen worden, während die Französische Republik und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden sind.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

27

Das Vereinigte Königreich, unterstützt durch Irland, rügt, dass der Rat dem angefochtenen Beschluss Art. 48 AEUV als materielle Rechtsgrundlage zugrunde gelegt habe.

28

Diese Parteien des Rechtsstreits tragen dazu vor, dass Art. 48 AEUV, der darauf abziele, die Freizügigkeit von Personen, die erwerbstätig seien oder gewesen seien, und ihrer Familien innerhalb der Union zu erleichtern, nicht die materielle Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses zur Ersetzung des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sein könne, der u. a. bewirke, dass auf Schweizer Staatsangehörige, die weder erwerbstätig noch Familienangehörige eines Erwerbstätigen seien, Rechte erstreckt würden, die ihnen bisher nicht zugestanden hätten. Für den Erlass einer solchen Maßnahme sei Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV die geeignete Rechtsgrundlage, der dem Europäischen Parlament und dem Rat die Zuständigkeit dafür einräume, Maßnahmen zu erlassen in Bezug auf die „Festlegung der Rechte von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, einschließlich der Bedingungen, unter denen sie sich in den anderen Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten dürfen“.

29

Indem der Rat nicht Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV als Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses gewählt habe, habe er dem Vereinigten Königreich und Irland ihr Recht aus dem Protokoll (Nr. 21) genommen, sich nicht am Erlass dieses Beschlusses zu beteiligen und nicht durch ihn gebunden zu sein.

30

Für diese Rüge führt das Vereinigte Königreich an, dass Art. 48 AEUV eine Bestimmung sei, die den Grundsatz der Freizügigkeit von zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbständigen, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten seien, innerhalb der Union ergänze. Die durch diesen Artikel gewährte Zuständigkeit könne nicht ausgeweitet werden, um Maßnahmen zugunsten von Drittstaatsangehörigen oder nicht erwerbstätigen Personen zu erlassen.

31

Da die Erwähnung zu‑ und abwandernder Selbständiger in Art. 48 AEUV durch den AEU-Vertrag ergänzt worden sei, sei zudem davon auszugehen, dass die Verfasser dieses Vertrags dort nicht erwerbstätige Personen erwähnt hätten, wenn dies ihre Absicht gewesen wäre.

32

Das Vereinigte Königreich trägt im Übrigen vor, dass Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV bis vor sehr Kurzem die Rechtsgrundlage für auf Drittstaatsangehörige anwendbare Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit gewesen sei. Diese Bestimmung könne nicht mit der Begründung außer Acht gelassen werden, dass mit dem angefochtenen Beschluss nur das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit aktualisiert werde, da der Inhalt einer Maßnahme – und nicht sein Verhältnis zu früheren Maßnahmen – den Ausschlag dafür gebe, ob sie im Rahmen einer durch eine bestimmte Vorschrift des AEU-Vertrags eingeräumten Zuständigkeit erlassen werden könne.

33

Nach Ansicht dieses Mitgliedstaats kann auch die mit dem Urteil vom 31. März 1971, Kommission/Rat („AETR“, 22/70, Slg. 1971, 263), begründete und jetzt im AEU-Vertrag in Art. 3 Abs. 2 AEUV und Art. 216 Abs. 1 AEUV kodifizierte Rechtsprechung nicht angeführt werden. Aus dieser Rechtsprechung könne nämlich nicht abgeleitet werden, dass der Erlass eines internen Rechtsakts, mit dem gemeinsame Regeln aufgestellt würden, unter Verstoß gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung zur Erweiterung der materiellen Zuständigkeit führe, die der Union kraft der fraglichen Rechtsgrundlage übertragen sei.

34

Irland hebt hervor, dass der Rat den Geltungsbereich von Art. 48 AEUV nicht erweitern könne, indem er sich darauf stütze, dass in dem Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit Bestimmungen enthalten seien, die mit den Art. 45 AEUV und 48 AEUV vergleichbar seien, da zum einen der Geltungsbereich des Primärrechts nicht durch sekundärrechtliche Maßnahmen erweitert werden könne, mit denen Assoziierungsabkommen mit Drittstaaten geschlossen würden, und zum anderen die für den angefochtenen Beschluss geeignete Rechtsgrundlage nicht anhand des Abkommens zu bestimmen sei, zu dessen Durchführung er erlassen worden sei, sondern nach Maßgabe des Ziels und des Inhalts der betreffenden Maßnahmen. Im Übrigen weist es die Idee zurück, dass die fehlende Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands an einem gemäß Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV erlassenen Beschluss die Verwirklichung der Ziele des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit beeinträchtigen könne.

35

Auf das Ersuchen, in der mündlichen Verhandlung zu den Folgen Stellung zu nehmen, die aus dem Urteil vom 26. September 2013, Vereinigtes Königreich/Rat (C‑431/11), abzuleiten sind, haben das Vereinigte Königreich und Irland geltend gemacht, dass die Schlussfolgerung, zu der der Gerichtshof in jenem Urteil gelangt sei, auf den im vorliegenden Fall angefochtenen Beschluss keine Anwendung finden könne, da dieser in einem unterschiedlichen Zusammenhang erlassen worden sei.

36

Die Schlussfolgerung, die der Gerichtshof in jenem Urteil gezogen habe, beruhe nämlich insbesondere auf der Feststellung einer engen Assoziation zwischen der Union und den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und auf dem Ziel des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen), das in der möglichst umfassenden Verwirklichung der Freizügigkeit und des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bestehe, so dass der innerhalb des Gebiets der Union verwirklichte Markt auf die Mitgliedstaaten der EFTA ausgeweitet werde. Indessen gebe es zum einen kein entsprechendes Instrument zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Zum anderen entspreche das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit diesen Merkmalen nicht und bleibe, was die verfolgten Ziele, die Liberalisierung und die rechtliche Integration betreffe, in vielerlei Hinsicht hinter dem EWR-Abkommen zurück.

37

Der Rat, unterstützt durch die Französische Republik und die Kommission, weist diese Analyse zurück und macht geltend, dass für den Erlass des angefochtenen Beschlusses Art. 48 AEUV als materielle Rechtsgrundlage heranzuziehen gewesen sei.

38

Der Rat legt dar, dass mit dem angefochtenen Beschluss dafür gesorgt werden solle, dass der Besitzstand der Union betreffend die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, der durch die Verordnung Nr. 883/2004 und ihre Durchführungsverordnung, nämlich die Verordnung Nr. 987/2009, geändert worden sei, sowohl auf Schweizer Staatsangehörige mit Wohnsitz im Gebiet der Union als auch auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Union mit Wohnsitz im Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft Anwendung finde. Die Auswirkungen der Verordnung Nr. 883/2004 gingen weit über die Änderungen des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnung Nr. 1408/71 hinaus, da sie die Vorschriften in dem entsprechenden Bereich ersetze, aktualisiere und vereinfache. Der angefochtene Beschluss bezwecke somit die Aktualisierung der Vorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die zwischen den Vertragsparteien bereits in Kraft gewesen seien.

39

In Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses weist der Rat darauf hin, dass dieser den von der Union im Gemischten Ausschuss zu vertretenden Standpunkt festlege und im Wesentlichen die Aufnahme der oben angeführten Verordnungen in Anhang II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorsehe, indem die Verordnung Nr. 1408/71 und die mit ihr zusammenhängenden Rechtsakte, die in der Union nicht mehr anwendbar seien, ersetzt würden.

40

Die Aufnahme dieser Verordnungen in Anhang II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ergebe sich unmittelbar aus den Verpflichtungen, die die Union im Rahmen des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit eingegangen sei. Das Wesen dieses Abkommens bestehe gerade, wie sich insbesondere aus seinem Art. 8 ergebe, der den Wortlaut von Art. 48 AEUV übernehme, darin, die Freizügigkeit zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft in gleicher Weise wie innerhalb der Union zu verwirklichen. Entsprechend seiner Systematik und seinen allgemeinen Zielen müsse das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit jeden neuen Sekundärrechtsakt der Union auf dem entsprechenden Gebiet einbeziehen, um die Einheitlichkeit und die Gleichwertigkeit der Rechte und Pflichten in seinem Anwendungsbereich zu gewährleisten.

41

Zudem machen der Rat und die Kommission geltend, dass sich die Vertragsparteien des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit verpflichtet hätten, alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet seien, die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus diesem Abkommen sicherzustellen, der Ausschluss eines oder mehrerer Mitgliedstaaten in der Praxis aber dazu führen könne, die Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens zu gefährden, und den Verpflichtungen der Union gegenüber der Schweizerischen Eidgenossenschaft zuwiderlaufe.

42

In Bezug auf nicht erwerbstätige Personen tragen der Rat, die Französische Republik und die Kommission vor, dass die meisten dieser Personen bereits von der Verordnung Nr. 1408/71 erfasst worden seien und dass die Begriffe des Arbeitnehmers und des Selbständigen in diesem Bereich immer sehr weit ausgelegt worden seien. Die neue Kategorie nicht erwerbstätiger, vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 erfasster Personen sei sehr begrenzt, was im Rahmen des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit noch mehr gelte. Art. 48 AEUV könne daher auch in Bezug auf diese verbliebene Kategorie von Personen eine geeignete und hinreichende Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Beschlusses darstellen, da die Ausweitung des Mechanismus der Koordination der Systeme der sozialen Sicherheit auf nicht erwerbstätige Schweizer Staatsangehörige nicht Zweck oder Hauptbestandteil des angefochtenen Beschlusses sei.

43

Zu Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV trägt der Rat vor, dass die Änderung der Bestimmungen über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit keine Maßnahme zur Entwicklung der gemeinsamen Einwanderungspolitik darstelle. Der angefochtene Beschluss ziele nicht auf eine wirksame Steuerung der Migrationsströme, eine Erleichterung der Kontrollen an den Außengrenzen, eine Regelung der Einwanderung innerhalb der Union oder eine angemessene Behandlung Schweizer Staatsangehöriger ab.

44

Die Kommission hebt dazu hervor, dass das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit nicht nur die „angemessene Behandlung“ betreffe, die Schweizer Staatsangehörigen mit rechtmäßigem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat gewährleistet werden müsse, sondern es sowohl diesen Staatsangehörigen als auch den Unionsbürgern, wenn sie sich jeweils im Gebiet der anderen Vertragspartei befänden, erlaube, in den Genuss von Rechten zu kommen, die mit den in Rechtsakten der Union enthaltenen gleichwertig seien. Dieses Abkommen und der angefochtene Beschluss garantierten so allen diesen Staatsangehörigen und Bürgern die Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit, ohne ihre Ansprüche auf soziale Sicherheit zu verlieren und ohne einer Diskriminierung ausgesetzt zu sein.

45

Die Französische Republik ergänzt, dass Art. 48 eine gegenüber Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV speziellere Vorschrift im Hinblick auf den Erlass eines Beschlusses sei, mit dem ein Mechanismus zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit eingeführt werden solle.

46

In der mündlichen Verhandlung haben der Rat und die Kommission geltend gemacht, dass die Kriterien, die im Urteil Vereinigtes Königreich/Rat im Hinblick auf die Bestimmung der Rechtsgrundlage für eine Maßnahme zur Änderung eines bestehenden Abkommens aufgestellt worden seien, auch für den angefochtenen Beschluss gälten und bestätigten, dass Art. 48 AEUV die angemessene Rechtsgrundlage sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

47

Nach ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören. Ergibt die Prüfung eines Unionsrechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder vorherrschende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt auf nur eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf diejenige, die die hauptsächliche oder vorherrschende Zielsetzung oder Komponente erfordert (Urteile vom 29. April 2004, Kommission/Rat, C-338/01, Slg. 2004, I-4829, Rn. 54 und 55 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat, C‑130/10, Rn. 42 und 43).

48

Dabei spielt es kein Rolle, welche Rechtsgrundlage für den Erlass anderer Handlungen der Union, die gegebenenfalls ähnliche Merkmale aufweisen, herangezogen wurde, da die Bestimmung der Rechtsgrundlage einer Handlung in Ansehung des Ziels und des Inhalts dieser Handlung zu erfolgen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Vereinigtes Königreich/Rat, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das vom Vereinigten Königreich vorgebrachte Argument, dass Art. 79 Abs. 2 Buchst. b AEUV bereits als Rechtsgrundlage für auf Drittstaatsangehörige anwendbare Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit gedient habe, ist somit ohne Weiteres zurückzuweisen.

49

Auf die Rechtmäßigkeit der Wahl der Rechtsgrundlage einer Handlung der Union wirkt es sich auch nicht aus, welche Folge sie im Hinblick auf die Anwendung oder die fehlende Anwendung des Protokolls (Nr. 21) und des Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks, die dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügt sind, haben kann.

50

Dagegen kann der Kontext der fraglichen Handlung für die Wahl ihrer Rechtsgrundlage relevant sein. Soweit die Handlung nämlich auf eine Änderung der in einem bestehenden Abkommen enthaltenen Regeln abzielt, sind auch dieser Kontext und insbesondere Ziel und Inhalt des Abkommens zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Vereinigtes Königreich/Rat, Rn. 48).

51

Da im vorliegenden Fall mit dem angefochtenen Beschluss das Ziel verfolgt wird, den Standpunkt der Union im Gemischten Ausschuss, der mit dem Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit eingesetzt wurde, zur Änderung des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit festzulegen, ist an erster Stelle der Kontext dieses Beschlusses und insbesondere das Ziel und der Inhalt – im Bereich der sozialen Sicherheit – dieses Abkommens zu prüfen.

52

Wie der Gerichtshof in den Rn. 26 und 27 des Urteils vom 12. November 2009, Grimme (C-351/08, Slg. 2009, I-10777), dargelegt hat, ist das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit eines von sieben sektorspezifischen Abkommen, die dieselben Vertragsparteien am 21. Juni 1999 unterzeichnet haben. Diese Abkommen wurden unterzeichnet, nachdem die Schweizerische Eidgenossenschaft am 6. Dezember 1992 das EWR-Abkommen zurückgewiesen hatte.

53

Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat sich zwar nicht für die Teilnahme am EWR und am Binnenmarkt der Union entschieden, ist aber gleichwohl durch eine Vielzahl bilateraler Abkommen mit dieser verbunden, die weite Bereiche abdecken und spezifische Rechte und Pflichten vorsehen, die in mancher Hinsicht den im AEU-Vertrag festgelegten entsprechen. Das Ziel dieser Abkommen, einschließlich des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit, besteht darin, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu intensivieren (Urteil vom 6. Oktober 2011, Graf und Engel, C-506/10, Slg. 2011, I-9345, Rn. 33).

54

Das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit wurde im Namen der Gemeinschaft mit dem Beschluss 2002/309 genehmigt, und zwar auf der Grundlage von Art. 310 EG (jetzt Art. 217 AEUV), der der Gemeinschaft die Zuständigkeit dafür überträgt, mit einem oder mehreren Staaten oder einer oder mehreren internationalen Organisationen Abkommen zu schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen.

55

In Bezug auf den Inhalt dieses Abkommens ist darauf hinzuweisen, dass die Vertragsparteien nach seiner Präambel beschlossen haben, zwischen ihnen die Freizügigkeit auf der Grundlage der in der Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen.

56

Was die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit betrifft, übernimmt Art. 8 des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit so die Bestimmungen, die sich gegenwärtig in Art. 48 Buchst. a und b AEUV finden, mit denen zum einen die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen und zum anderen die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen, gewährleistet werden soll.

57

Aus den Art. 1 und 2 sowie dem Abschnitt A des Anhangs II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, auf den Art. 8 des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit verweist, geht hervor, dass die Vertragsparteien übereingekommen sind, untereinander die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 anzuwenden. Der in diesen Rechtsakten verwendete Begriff „Mitgliedstaat(en)“ ist insoweit dahin zu lesen, dass er sich auch auf die Schweizerische Eidgenossenschaft bezieht.

58

Angesichts dieser Bestimmungen des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit hat der Gerichtshof in Rn. 31 des Urteils vom 18. November 2010, Xhymshiti (C-247/09, Slg. 2010, I-11845), bereits festgestellt, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft im Rahmen der Anwendung dieser Verordnungen einem Mitgliedstaat der Union gleichzustellen ist.

59

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Union, indem sie im Jahr 2002 das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit geschlossen hat, die Anwendung ihrer seinerzeit in den Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 enthaltenen Regelung über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auf die Schweizerische Eidgenossenschaft ausgedehnt hat. Diese derart ausgedehnte Regelung kommt sowohl Schweizer Staatsangehörigen, die sich im Gebiet der Union aufhalten, als auch Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union zugute, die sich im Gebiet der Schweiz aufhalten.

60

Was zweitens den Inhalt des angefochtenen Beschlusses betrifft, ist festzustellen, dass der damit festgelegte Standpunkt der Union, wie sich sowohl aus der Überschrift als auch aus Art. 1 und Anhang I dieses Beschlusses ergibt, darin bestand, in Anhang II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit die Bezugnahme auf die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 und die Verordnungen, mit denen diese geändert wurden, durch eine Bezugnahme auf die Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung Nr. 988/2009 geänderten Fassung und auf die Verordnung Nr. 987/2009 zu ersetzen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 durch die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 aufgehoben wurden, jedoch für die Zwecke des Abkommens EG–Schweiz über die Freizügigkeit in Kraft blieben, solange dieses nicht infolge dieser neuen Verordnungen geändert worden ist.

61

Drittens ist in Bezug auf das mit dem angefochtenen Beschluss verfolgte Ziel darauf hinzuweisen, dass angesichts insbesondere des dritten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 883/2004 und des ersten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 987/2009 mit diesen Verordnungen das Ziel verfolgt wird, die vielfach geänderten und aktualisierten Vorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu ersetzen, um den Entwicklungen auf Unionsebene – einschließlich der Urteile des Gerichtshofs – und den Änderungen der Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene Rechnung zu tragen, indem diese Vorschriften aktualisiert und vereinfacht werden.

62

Aus dem dritten Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 1 des angefochtenen Beschlusses und den Erwägungsgründen 2 und 3 des diesem Beschluss beigefügten Entwurfs eines Beschlusses des Gemischten Ausschusses geht hervor, dass mit diesem Beschluss – aufgrund dieser Entwicklung – bezweckt wird, Anhang II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit durch eine Aufnahme der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 zu aktualisieren, um eine kohärente und korrekte Anwendung der Rechtsakte der Union zu gewährleisten und administrative und etwaige rechtliche Schwierigkeiten zu vermeiden.

63

Daraus folgt, dass der Hauptzweck des angefochtenen Beschlusses darin besteht, in der Folge des Inkrafttretens der neuen Unionsregelung im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auch die Regelung, die durch das Abkommen EG–Schweiz über die Freizügigkeit auf die Schweizerische Eidgenossenschaft ausgedehnt wurde, zu aktualisieren und so die bereits 2002 mit diesem Abkommen EG–Schweiz gewollte und bewirkte Ausdehnung der sozialen Rechte zugunsten der Bürger der betroffenen Staaten beizubehalten (vgl. entsprechend Urteil Vereinigtes Königreich/Rat, Rn. 57).

64

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der angefochtene Beschluss angesichts seines Kontexts sowie seines Inhalts und seines Ziels zu Recht auf der Grundlage von Art. 48 AEUV erlassen werden konnte.

65

Diese Feststellung wird nicht durch das Argument des Vereinigten Königreichs in Frage gestellt, dass Art. 48 AEUV die Freizügigkeit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten im Binnenmarkt erleichtern solle und nicht die Rechtsgrundlage für eine Maßnahme darstellen könne, mit der die Freizügigkeit zwischen der Union und einem Drittstaat erleichtert werden solle. Wie aus dem Urteil Vereinigtes Königreich/Rat hervorgeht, kann Art. 48 AEUV nämlich eine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass eines Beschlusses wie des in Rede stehenden darstellen, wenn der Drittstaat, wie es bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft der Fall ist, kraft eines auf der Grundlage von Art. 217 AEUV genehmigten Abkommens zum Zwecke der Anwendung der Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 bereits einem Mitgliedstaat gleichgestellt worden ist und mit dem Beschluss hauptsächlich das Ziel verfolgt wird, die Aktualisierung dieser Verordnungen durch die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 widerzuspiegeln.

66

Diese Feststellung wird auch nicht durch das Argument des Vereinigten Königreichs in Frage gestellt, dass Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 ihren persönlichen Geltungsbereich auf alle nicht erwerbstätigen Personen ausweite und damit auch auf solche, die noch nicht in den Genuss der mit der Verordnung Nr. 1408/71 gewährten Rechte gekommen seien. Dazu genügt der Hinweis, dass die Ausweitung der Vorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Schweizer Staatsangehörige mit Wohnsitz im Gebiet der Union, die zu dieser Kategorie nicht erwerbstätiger, von der Verordnung Nr. 1408/71 noch nicht erfasster Personen gehören, nicht als das Ziel oder der hauptsächliche oder vorherrschende Bestandteil des angefochtenen Beschlusses angesehen werden kann, sondern vielmehr als nebensächlich gegenüber der Aktualisierung der gesamten Regelung in Anhang II über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit anzusehen ist.

67

Die Klage ist daher abzuweisen.

Kosten

68

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Vereinigte Königreich mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem dahin gehenden Antrag des Rates die Kosten aufzuerlegen.

69

Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen Irland, die Französische Republik und die Europäische Kommission jeweils ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt die Kosten.

 

3.

Irland, die Französische Republik und die Europäische Kommission tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.