URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

14. Juni 2012 ( *1 )

„Zollkodex der Gemeinschaften — Art. 236 Abs. 2 — Erstattung nicht gesetzlich geschuldeter Abgaben — Frist — Verordnung (EG) Nr. 2398/97 — Endgültiger Antidumpingzoll auf Einfuhren von Bettwäsche aus Baumwolle mit Ursprung in Ägypten, Indien und Pakistan — Verordnung (EG) Nr. 1515/2001 — Erstattung von Antidumpingzöllen, die aufgrund einer später für ungültig erklärten Verordnung erhoben wurden — Begriff ‚Höhere Gewalt‘ — Zeitpunkt der Entstehung der Verpflichtung zur Erstattung von Einfuhrabgaben“

In der Rechtssache C-533/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal d’instance de Roubaix (Frankreich) mit Entscheidung vom 8. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 17. November 2010, in dem Verfahren

Compagnie internationale pour la vente à distance (CIVAD) SA

gegen

Receveur des douanes de Roubaix,

Directeur régional des douanes et droits indirects de Lille,

Administration des douanes

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Compagnie internationale pour la vente à distance (CIVAD) SA, vertreten durch F. Citron und B. Servais, avocats,

der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, B. Cabouat, J.-S. Pilczer und C. Candat als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon und H. van Vliet als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Dezember 2011

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 236 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Compagnie internationale pour la vente à distance (CIVAD) SA (im Folgenden: CIVAD) gegen den Receveur des douanes de Roubaix (Zollkasse Roubaix), den Directeur régional des douanes et droits indirects de Lille (Regionaldirektor des Zollwesens und der indirekten Abgaben Lille) sowie die Administration des douanes (Zollverwaltung) betreffend einen Antrag auf Erstattung von Antidumpingzöllen, die dieses Unternehmen für Einfuhren von Baumwollbettwäsche aus Pakistan zu Unrecht entrichtet hatte.

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 236 des Zollkodex sieht vor:

„(1)   Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erlassen, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Eine Erstattung oder ein Erlass wird nicht gewährt, wenn die Zahlung oder buchmäßige Erfassung eines gesetzlich nicht geschuldeten Betrags auf ein betrügerisches Vorgehen des Beteiligten zurückzuführen ist.

(2)   Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

4

Nach Art. 243 Abs. 1 des Zollkodex kann „[j]ede Person … einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen“.

5

Die Verordnung (EG) Nr. 2398/97 des Rates vom 28. November 1997 (ABl. L 332, S. 1, und – Berichtigung – ABl. 1998, L 107, S. 16) führte einen endgültigen Antidumpingzoll auf Einfuhren von Bettwäsche aus Baumwolle mit Ursprung in Ägypten, Indien und Pakistan ein.

6

In Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1515/2001 des Rates vom 23. Juli 2001 über die möglichen Maßnahmen der Gemeinschaft aufgrund eines vom WTO-Streitbeilegungsgremium angenommenen Berichts über Antidumping- oder Antisubventionsmaßnahmen (ABl. L 201, S. 10) sind diese Maßnahmen wie folgt aufgeführt:

„(1)   Nimmt das SBG [Streitbeilegungsgremium der Welthandelsorganisation (WTO)] einen Bericht über eine aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 384/96 [des Rates vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. 1996, L 56, S. 1)], der Verordnung (EG) Nr. 2026/97 [des Rates vom 6. Oktober 1997 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 288, S. 1)] oder der vorliegenden Verordnung ergriffene Maßnahme der Gemeinschaft (nachstehend ‚angefochtene Maßnahme‘ genannt) an, so kann der Rat mit einfacher Mehrheit auf Vorschlag der Kommission nach Konsultationen in dem mit Artikel 15 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 bzw. Artikel 25 der Verordnung (EG) Nr. 2026/97 eingesetzten Beratenden Ausschuss (nachstehend ‚Beratender Ausschuss‘ genannt) eine oder mehrere der nachstehenden Maßnahmen ergreifen, sofern er dies für angemessen erachtet:

a)

Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Maßnahme oder

b)

andere besondere Maßnahmen, die unter den Umständen des Einzelfalls angemessen erscheinen.“

7

Art. 3 dieser Verordnung bestimmt:

„Sofern nichts anderes bestimmt ist, sind Maßnahmen aufgrund der vorliegenden Verordnung ab ihrem Inkrafttreten wirksam und geben nicht zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle Anlass.“

8

In Anbetracht der Empfehlungen in den vom SBG am 30. Oktober 2000 und am 1. März 2001 angenommenen Berichten über die Antidumpingzölle auf Einfuhren mit Ursprung in Indien (im Folgenden: Berichte des SBG) erklärte der Rat in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 160/2002 vom 28. Januar 2002 zur Änderung der Verordnung Nr. 2398/97 (ABl. L 26, S. 1) das Antidumpingverfahren betreffend die Einfuhren von Bettwäsche aus Baumwolle mit Ursprung in Pakistan für eingestellt.

9

Der Gerichtshof hat in Nr. 1 des Tenors seines Urteils vom 27. September 2007, Ikea Wholesale (C-351/04, Slg. 2007, I-7723), für Recht erkannt, dass Art. 1 der Verordnung Nr. 2398/97 insoweit ungültig ist, als der Rat bei der Feststellung der Dumpingspanne bezüglich der untersuchten Ware die Methode der Nullbewertung der negativen Dumpingspannen bei jedem der betroffenen Warenmodelle angewandt hat. Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof in Nr. 2 des Tenors dieses Urteils ferner für Recht erkannt, dass ein Einführer wie der in der Rechtssache in Rede stehende, in der dieses Urteil ergangen ist, der bei einem nationalen Gericht Klage gegen die Entscheidungen erhoben hat, mit denen von ihm Antidumpingzölle nach dieser Verordnung erhoben wurden, die mit dem betreffenden Urteil für ungültig erklärt wird, grundsätzlich das Recht hat, sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens auf diese Ungültigkeit zu berufen, um die Erstattung dieser Zölle gemäß Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex zu erlangen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10

Die CIVAD mit Sitz in Frankreich, deren Gesellschaftszweck der Verkauf von Waren im Wege des Versandhandels ist, vertrieb in diesem Rahmen Baumwollbettwäsche aus Pakistan.

11

Mit Schreiben vom 26. Juli und vom 28. Oktober 2002 beantragte die CIVAD bei der Zollverwaltung die Erstattung der Antidumpingzölle, die sie für in den Zeiten vom 15. Dezember 1997 bis zum 25. Januar 1999, vom 1. Februar bis zum 23. Juli 1999 und vom 29. Juli 1999 bis zum 25. Januar 2002 nach der Verordnung Nr. 2398/97 eingereichte Einfuhranmeldungen entrichtet hatte.

12

Mit Schreiben vom 17. März 2008 gab die Zollverwaltung dem Antrag der CIVAD in Bezug auf die vom 29. Juli 1999 bis zum 25. Januar 2002 eingereichten Einfuhranmeldungen statt. Dagegen lehnte sie diesen Antrag für die in den beiden anderen erwähnten Zeiträumen eingereichten Einfuhranmeldungen mit der Begründung ab, dass er nach Ablauf der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex vorgesehenen Frist von drei Jahren gestellt worden sei.

13

Mit Schreiben vom 24. April 2008 beantragte die CIVAD bei der Zollverwaltung die Überprüfung ihrer Entscheidung und machte geltend, dass es ihr vor der Veröffentlichung der Verordnung Nr. 160/2002 zur Einstellung des Antidumpingverfahrens betreffend die Einfuhren mit Ursprung in Pakistan im Amtsblatt der Europäischen Union nicht möglich gewesen sei, Erstattungsanträge zu stellen. Mit Schreiben vom 14. August 2008 lehnte die Zollverwaltung diesen Antrag ab.

14

Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2009 erhob die CIVAD gemäß Art. 243 des Zollkodex beim Tribunal d’instance de Roubaix Klage gegen den Receveur des douanes de Roubaix, den Directeur régional des douanes et droits indirects de Lille sowie die Administration des douanes.

15

Unter diesen Umständen ist das Tribunal d’instance de Roubaix der Ansicht, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex abhänge, und hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Stellt die Rechtswidrigkeit einer Gemeinschaftsverordnung, die weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht von einem Marktteilnehmer mit einer individuellen Nichtigkeitsklage angefochten werden kann, für diesen einen Fall höherer Gewalt dar, der eine Überschreitung der in Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex genannten Frist erlaubt?

2.

Sofern die erste Frage zu verneinen ist: Sind die Zollbehörden, wenn die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsverordnung von einem WTO-Mitgliedstaat in Frage gestellt und daraufhin die Rechtswidrigkeit dieser Verordnung festgestellt wurde, gemäß Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex verpflichtet,

a)

ab der ersten Mitteilung des betreffenden Staates, der die Rechtmäßigkeit der Antidumpingverordnung in Frage stellt,

b)

ab dem Bericht der Sondergruppe, die die Rechtswidrigkeit der Antidumpingverordnung feststellt, oder

c)

ab dem Bericht des Berufungsgremiums der WTO, aufgrund dessen die Europäische Gemeinschaft die Rechtswidrigkeit der Antidumpingverordnung anerkannt hat,

von Amts wegen Antidumpingzölle zu erstatten?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

16

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Rechtswidrigkeit einer Verordnung einen Fall höherer Gewalt darstellt, der es erlaubt, die Frist von drei Jahren, binnen deren ein Einführer die Erstattung nach dieser Verordnung entrichteter Einfuhrabgaben beantragen kann, zu verlängern.

17

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Zollschuldner nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex die Erstattung von Einfuhrabgaben nur dann erwirken kann, wenn er vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an ihn einen Antrag bei der zuständigen Zollstelle stellt.

18

Im vorliegenden Fall steht, soweit es um die vom 1. Februar bis zum 23. Juli 1999 und vom 15. Dezember 1997 bis zum 25. Januar 1999 entrichteten Abgaben geht, fest, dass die CIVAD die entsprechenden Erstattungsanträge nach Ablauf dieser Frist von drei Jahren gestellt hat.

19

Es ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in Nr. 1 des Tenors seines Urteils Ikea Wholesale für Recht erkannt hat, dass Art. 1 der Verordnung Nr. 2398/97 insoweit ungültig ist, als der Rat bei der Feststellung der Dumpingspanne bezüglich der untersuchten Ware die Methode der Nullbewertung der negativen Dumpingspannen bei jedem der betroffenen Warenmodelle angewandt hat.

20

In Randnr. 67 des Urteils Ikea Wholesale hat der Gerichtshof auch geprüft, welche Konsequenzen aus der Feststellung dieser Ungültigkeit zu ziehen sind, und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass in einem solchen Fall die Antidumpingzölle, die gemäß der Verordnung Nr. 2398/97 gezahlt wurden, nicht gesetzlich geschuldet im Sinne von Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex waren und grundsätzlich von den Zollbehörden nach dieser Bestimmung erstattet werden müssten, sofern die Voraussetzungen einer solchen Erstattung, darunter die des Art. 236 Abs. 2 dieser Verordnung, erfüllt sind (vgl. auch Urteil vom 18. März 2010, Trubowest Handel und Makarov/Rat und Kommission, C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259, Randnr. 25).

21

Nach alledem kann ein Wirtschaftsteilnehmer nach der Feststellung der Ungültigkeit einer Antidumpingverordnung durch den Gerichtshof grundsätzlich die Erstattung der nach dieser Verordnung entrichteten Antidumpingzölle, für die die in Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex vorgesehene Frist von drei Jahren abgelaufen ist, nicht mehr verlangen. Nach Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex gilt für die Erstattung nicht gesetzlich geschuldeter Zölle nämlich eine Frist von drei Jahren.

22

Der Gerichtshof hat die Vereinbarkeit einer nationalen Verfahrensvorschrift, mit der eine angemessene Frist festgesetzt wird, innerhalb deren ein Wirtschaftsteilnehmer verpflichtet ist, bei Meidung der Verjährung die Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe zu verlangen, mit dem Unionsrecht anerkannt. Eine solche Verjährungsfrist ist nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen erscheint (vgl. Urteile vom 17. November 1998, Aprile, C-228/96, Slg. 1998, I-7141, Randnr. 19, vom 24. März 2009, Danske Slagterier, C-445/06, Slg. 2009, I-2119, Randnr. 32, und vom 15. April 2010, Barth, C-542/08, Slg. 2010, I-3189, Randnr. 28).

23

Diese Rechtsprechung ist auch dann anwendbar, wenn sich der Unionsgesetzgeber ausnahmsweise, wie in dem dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Fall, entscheidet, die Verfahrensmodalitäten, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben gelten, zu harmonisieren. Eine angemessene Ausschlussfrist liegt nämlich, unabhängig davon, ob sie durch das nationale Recht oder das Unionsrecht vorgeschrieben wird, im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Rechtsbürger und die betreffende Verwaltung schützt, und hindert gleichwohl den Rechtsbürger nicht daran, die durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteile Aprile, Randnr. 19, Danske Slagterier, Randnr. 32, und Barth, Randnr. 28).

24

In Bezug auf die Frage, ob die Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 2398/97 als Fall höherer Gewalt betrachtet werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 236 des Zollkodex die Erstattung entrichteter Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den besonders vorgesehenen Fällen gewährt werden kann. Eine solche Erstattung stellt daher eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem dar, so dass die Vorschriften, die sie vorsehen, eng auszulegen sind (Urteile vom 13. März 2003, Niederlande/Kommission, C-156/00, Slg. 2003, I-2527, Randnr. 91, und vom 17. Februar 2011, Berel u. a., C-78/10, Slg. 2011, I-717, Randnr. 62).

25

Daher ist der Begriff der höheren Gewalt im Sinne von Art. 246 Abs. 2 Unterabs. 2 des Zollkodex eng auszulegen.

26

In diesem Zusammenhang ist an die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu erinnern, wonach die Bedeutung des Begriffs der höheren Gewalt, da er auf den verschiedenen Anwendungsgebieten des Unionsrechts nicht den gleichen Inhalt hat, anhand des rechtlichen Rahmens zu bestimmen ist, innerhalb dessen er seine Wirkungen entfalten soll (Urteil vom 18. Dezember 2007, Société Pipeline Méditerranée et Rhône, C-314/06, Slg. 2007, I-12273, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Im Kontext der Zollregelung sind unter höherer Gewalt grundsätzlich ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (Urteil vom 8. Juli 2010, Kommission/Italien, C-334/08, Slg. 2010, I-6865, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Wie der Gerichtshof bereits klargestellt hat, umfasst der Begriff der höheren Gewalt demgemäß ein objektives Merkmal, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände bezieht, und ein subjektives Merkmal, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft (Urteil Société Pipeline Méditerranée et Rhône, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ist keines dieser beiden Merkmale gegeben.

30

Was zum einen das objektive Merkmal angeht, kann die Rechtswidrigkeit einer Antidumpingverordnung wie der Verordnung Nr. 2398/97 nicht als ungewöhnlicher Umstand betrachtet werden. Hierzu genügt der Hinweis, dass die Union eine Rechtsunion ist, in der ihre Organe, Institutionen und Einrichtungen der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob ihre Handlungen insbesondere mit dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag vereinbar sind. Wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liegt es in der Natur der Sache des Rechts der Union, dass bestimmte Normen, die es bilden, für nichtig erklärt werden können.

31

Was das subjektive Merkmal angeht, hätte die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei der ersten Entrichtung der Antidumpingzölle nach der Verordnung Nr. 2398/97 einen Erstattungsantrag zu dem Zweck stellen können, insbesondere die Gültigkeit dieser Verordnung anzufechten.

32

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass mit den erwähnten Verträgen ein umfassendes System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen worden ist, das dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, Institutionen und Einrichtungen der Union zuweist (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010, E und F, C-550/09, Slg. 2010, I-6213, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

In diesem Zusammenhang kann ein Wirtschaftsteilnehmer, der glaubt, durch die Anwendung einer von ihm für rechtswidrig gehaltenen Antidumpingverordnung geschädigt worden zu sein, wenn er gemäß Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex einen Antrag auf Erstattung der von ihm entrichteten Abgaben gestellt hat und dieser Antrag abgelehnt worden ist, mit diesem Rechtsstreit das zuständige nationale Gericht befassen und vor diesem die Rechtswidrigkeit der betreffenden Verordnung einwenden. Dieses Gericht kann oder muss dann sogar dem Gerichtshof unter den Voraussetzungen des Art. 267 AEUV eine Frage nach der Gültigkeit der fraglichen Verordnung vorlegen (Urteil Trubowest Handel und Makarov/Rat und Kommission, Randnr. 24).

34

Da die CIVAD über die Möglichkeit verfügte, die Gültigkeit der Verordnung Nr. 2398/97 vor Ablauf der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex festgelegten Frist von drei Jahren durch Einreichung eines Antrags auf Erstattung nach Art. 236 Abs. 1 dieser Verordnung anzufechten, kann deren später vom Gerichtshof in seinem Urteil Ikea Wholesale festgestellte Ungültigkeit nicht als Fall höherer Gewalt betrachtet werden, der die Klägerin des Ausgangsverfahrens daran gehindert hätte, einen Erstattungsantrag innerhalb dieser Frist zu stellen.

35

Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 2 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Rechtswidrigkeit einer Verordnung keinen Fall höherer Gewalt im Sinne dieser Bestimmung darstellt, der es erlaubt, die Frist von drei Jahren, binnen deren ein Einführer die Erstattung nach dieser Verordnung entrichteter Einfuhrabgaben beantragen kann, zu verlängern.

Zur zweiten Frage

36

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er die nationalen Behörden verpflichtet, von Amts wegen Antidumpingzölle zu erstatten, die in Anwendung einer Verordnung erhoben wurden, die später vom SBG für nicht mit dem Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 (ABl. 1994, L 336, S. 103, im Folgenden: Antidumpingübereinkommen) in Anhang 1 A des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche genehmigt (ABl. L 336, S. 1), vereinbar erklärt worden ist.

37

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex die Zollbehörden die Erstattung oder den Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben von Amts wegen vornehmen, wenn sie innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner feststellen, dass der Betrag nicht gesetzlich geschuldet im Sinne von Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex war.

38

Die Feststellung des SBG, dass eine Antidumpingverordnung nicht mit dem Antidumpingübereinkommen in Einklang stehe, kann keinen Umstand darstellen, der geeignet ist, die Erstattung von Einfuhrabgaben gemäß Art. 236 Abs. 1 und 2 des Zollkodex zu erlauben.

39

Für die Rechtsakte der Organe, Institutionen und Einrichtungen der Union gilt nämlich die Vermutung der Rechtmäßigkeit, die besagt, dass diese Akte Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder auf ein Vorabentscheidungsersuchen oder eine Rechtswidrigkeitseinrede hin für ungültig erklärt worden sind (Urteile vom 5. Oktober 2004, Kommission/Griechenland, C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Randnr. 18, und vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C-199/06, Slg. 2008, I-469, Randnr. 60).

40

Da allein der Gerichtshof befugt ist, die Ungültigkeit eines Unionsrechtsakts wie einer Antidumpingverordnung festzustellen und diese Zuständigkeit Rechtssicherheit gewährleisten soll, indem sie die einheitliche Anwendung des Unionsrechts sicherstellt (vgl. Urteil vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Randnr. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung), ist die Feststellung des SBG, dass eine Antidumpingverordnung nicht mit dem Antidumpingübereinkommen in Einklang stehe, nicht geeignet, die Vermutung der Gültigkeit einer solchen Verordnung zu beeinträchtigen.

41

Daher blieb die Verordnung Nr. 2398/97 in Ermangelung einer Feststellung der Ungültigkeit, einer Änderung oder einer Aufhebung durch die zuständigen Organe der Union auch nach dieser Feststellung durch das SBG in allen ihren Teilen verbindlich und behielt ihre unmittelbare Geltung in jedem Mitgliedstaat.

42

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass nach den Art. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1515/2001 der Rat, wenn das SBG einen Bericht über eine von der Union ergriffene Antidumping- oder Antisubventionsmaßnahme annimmt, diese Maßnahme, sofern er das für angemessen erachtet, aufheben oder ändern oder andere besondere Maßnahmen erlassen kann, die angemessen erscheinen, und dass, sofern nichts anderes bestimmt ist, die etwaigen so vom Rat erlassenen Maßnahmen ab ihrem Inkrafttreten wirksam sind und nicht zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle Anlass geben.

43

Da die Verordnung Nr. 2398/97 nicht vom Gerichtshof für ungültig erklärt und auch nicht durch die Verordnung Nr. 160/2002 aufgehoben oder geändert worden war, und zwar unabhängig von den Feststellungen des SBG über die Vereinbarkeit der Verordnung Nr. 2398/97 mit dem Antidumpingübereinkommen, galt für sie daher bis zum 27. September 2007, dem Tag der Verkündung des Urteils Ikea Wholesale, die Vermutung der Gültigkeit, so dass die nationalen Zollbehörden vor diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen konnten, dass nach den Bestimmungen dieser Verordnung erhobene Abgaben nicht gesetzlich geschuldet im Sinne von Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex seien. Unter diesen Umständen konnten sie vor diesem Zeitpunkt auch nicht von Amts wegen nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex eine Erstattung der gemäß der Verordnung Nr. 2398/97 entrichteten Antidumpingzölle vornehmen.

44

Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er es den nationalen Behörden nicht gestattet, gemäß einer Unionsverordnung erhobene Antidumpingzölle auf der Grundlage einer Feststellung der Unvereinbarkeit dieser Verordnung mit dem Antidumpingübereinkommen durch das SBG von Amts wegen zu erstatten.

Kosten

45

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Rechtswidrigkeit einer Verordnung keinen Fall höherer Gewalt im Sinne dieser Bestimmung darstellt, der es erlaubt, die Frist von drei Jahren, binnen deren ein Einführer die Erstattung nach dieser Verordnung entrichteter Einfuhrabgaben beantragen kann, zu verlängern.

 

2.

Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es den nationalen Behörden nicht gestattet, gemäß einer Unionsverordnung erhobene Antidumpingzölle auf der Grundlage einer Feststellung der Unvereinbarkeit dieser Verordnung mit dem Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 in Anhang 1 A des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche genehmigt, durch das Streitbeilegungsgremium von Amts wegen zu erstatten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.