Rechtssache C‑126/10

Foggia – Sociedade Gestora de Participações Sociais SA

gegen

Secretário de Estado dos Assuntos Fiscais

(Vorabentscheidungsersuchen des

Supremo Tribunal Administrativo)

„Rechtsangleichung – Richtlinie 90/434/EWG – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Art. 11 Abs. 1 Buchst. a – Vernünftige wirtschaftliche Gründe – Umstrukturierung oder Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – Begriffe“

Leitsätze des Urteils

1.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Auslegung, um die ersucht wird, weil die ins innerstaatliche Recht umgesetzten Bestimmungen einer Richtlinie aufgrund einer Angleichung der Behandlung innerstaatlicher Sachverhalte an die Behandlung von durch das Unionsrecht geregelten Sachverhalten auf rein innerstaatliche Sachverhalte anwendbar sind

(Art. 267 AEUV)

2.        Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Richtlinie 90/434 – Vorgänge, die eine Steuerhinterziehung oder ‑umgehung bezwecken

(Richtlinie 90/434 des Rates, Art. 11 Abs. 1 Buchst. a)

1.        Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu etwaigen Wettbewerbsverzerrungen kommt, besteht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern.

Sieht somit eine innerstaatliche Regelung vor, dass nationale und grenzüberschreitende Umstrukturierungen derselben steuerlichen Regelung für Fusionen unterliegen und dass die Vorschrift in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, nach der die Vergünstigung dieser steuerlichen Regelung versagt werden könne, wenn keine vernünftigen wirtschaftlichen Gründe vorliegen, auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte Anwendung finden soll, ist der Gerichtshof für die Beantwortung der Fragen des innerstaatlichen Gerichts zur Auslegung der Richtlinie 90/434 zuständig, auch wenn diese den Ausgangssachverhalt nicht unmittelbar regelt.

(vgl. Randnrn. 20-21, 23)

2.        Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass im Fall einer Fusion zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns davon ausgegangen werden kann, dass dieser Vorgang nicht auf „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ im Sinne dieser Richtlinie beruht, wenn die aufgenommene Gesellschaft keine Tätigkeit entfaltet, keine Beteiligung hält und der aufnehmenden Gesellschaft nur hohe Verluste unklaren Ursprungs überträgt, auch wenn sich dieser Vorgang für den Konzern wegen der Einsparung bei den Strukturkosten positiv auswirkt. Das vorlegende Gericht wird in Ansehung sämtlicher Merkmale des von ihm zu entscheidenden Rechtsstreits zu prüfen haben, ob die Anhaltspunkte, die eine Vermutung der Steuerhinterziehung oder ‑umgehung im Sinne dieser Bestimmung begründen, im Rahmen dieses Rechtsstreits vorliegen.

Dabei sind die Begriffe Umstrukturierung und Rationalisierung demnach so zu verstehen, dass sie mehr als das bloße Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil voraussetzen, und jede Umstrukturierung oder Rationalisierung, mit der nur dieser Zweck verfolgt wird, ist deshalb kein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne der genannten Bestimmung. Daher spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass eine Fusion, die zu einer Umstrukturierung oder Rationalisierung eines Konzerns führt und dadurch eine Reduzierung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten des Konzerns ermöglicht, vernünftige wirtschaftliche Gründe haben kann. Dies ist jedoch nicht der Fall bei einer Aufnahme, aus der klar hervorgeht, dass die vom betroffenen Konzern erzielte Einsparung bei den Strukturkosten angesichts des Umfangs des erwarteten Steuervorteils völlig nebensächlich ist.

Ließe man außerdem generell die Einsparung bei den Strukturkosten, die sich aus der Reduzierung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten ergibt, als vernünftigen wirtschaftlichen Grund gelten, ohne die anderen Beweggründe des beabsichtigten Vorgangs und insbesondere die Steuervorteile zu berücksichtigen, würde die Regelung in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 ihren Sinn und Zweck verlieren, die darin bestehen, die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten zu wahren, indem diese, wie es im neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt, die Anwendung der in der Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen im Fall der Steuerhinterziehung oder ‑umgehung versagen können.

(vgl. Randnrn. 46-47, 49, 52 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

10. November 2011(*)

„Rechtsangleichung – Richtlinie 90/434/EWG – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Art. 11 Abs. 1 Buchst. a – Vernünftige wirtschaftliche Gründe – Umstrukturierung oder Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – Begriffe“

In der Rechtssache C‑126/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) mit Entscheidung vom 3. Februar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 2010, in dem Verfahren

Foggia – Sociedade Gestora de Participações Sociais SA

gegen

Secretário de Estado dos Assuntos Fiscais,

Beteiligter:

Ministério Público,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie des Richters J.‑J. Kasel (Berichterstatter) und der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Foggia – Sociedade Gestora de Participações Sociais SA, vertreten durch F. Castro Silva, advogado,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Ree als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch F. Penlington als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Foggia – Sociedade Gestora de Participações Sociais SA (im Folgenden: Foggia – SGPS) und dem Secretário de Estado dos Assuntos Fiscais (Staatssekretär für Steuerangelegenheiten, im Folgenden: Secretário de Estado) wegen dessen Entscheidung, Foggia – SGPS nach einer Fusion von Unternehmen, die zum selben Konzern gehören, die Übertragung von steuerlichen Verlusten zu versagen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 90/434 heißt es: „Wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensanteilen oder ein Austausch von Anteilen als Beweggrund die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat …, sollten die Mitgliedstaaten die Anwendung dieser Richtlinie versagen können.“

4        Art. 6 der Richtlinie 90/434, der zu Titel II „Regeln für Fusionen, Spaltungen und den Austausch von Anteilen“ gehört, bestimmt:

„Wenden die Mitgliedstaaten für den Fall, dass die in Artikel 1 genannten Vorgänge zwischen Gesellschaften des Staates der einbringenden Gesellschaft erfolgen, Vorschriften an, die die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die übernehmende Gesellschaft gestatten, so dehnen sie diese Vorschriften auf die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Betriebsstätten der übernehmenden Gesellschaft aus.“

5        Art. 11 der Richtlinie 90/434, der unter Abschnitt V „Schlussbestimmungen“ steht, sieht in Abs. 1 Folgendes vor:

„Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung der Titel II, III und IV ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen

a)      als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat. Vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht;

…“

 Nationales Recht

6        Das Körperschaftsteuergesetz (Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: CIRC) enthält einen Art. 67 über die Übertragbarkeit der steuerlichen Verluste, dessen Abs. 6, 7 und 10 wie folgt lauten:

„(6)      Für die Anwendung des Teils der Art. 68 und 70 [CIRC], der sich auf Fusionen und Spaltungen von Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezieht, hat der Begriff ‚Gesellschaft‘ die Bedeutung, die sich aus dem Anhang der Richtlinie 90/434 ergibt.

(7)      Die in diesem Unterabschnitt vorgesehene Sonderregelung gilt für die Fusion und die Spaltung von Gesellschaften sowie die Einbringung von Unternehmensanteilen, wie sie in den Abs. 1 bis 3 umschrieben sind und an denen sich beteiligen:

a)      Gesellschaften mit Sitz oder tatsächlicher Geschäftsleitung auf dem portugiesischen Hoheitsgebiet, die der Körperschaftsteuer unterliegen, nicht davon befreit sind und deren steuerpflichtiger Gewinn nicht nach der vereinfachten Regelung ermittelt wird;

b)      eine oder mehrere Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wenn alle Gesellschaften die in Art. 3 der Richtlinie 90/434 festgelegten Voraussetzungen erfüllen;

(10)      Die vorgesehene Sonderregelung kommt weder ganz noch teilweise zur Anwendung, wenn die unter diese Regelung fallenden Vorgänge offensichtlich als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerumgehung haben, was insbesondere als erwiesen gelten kann, wenn die Einkommen der betroffenen Gesellschaften nicht vollständig derselben Körperschaftsteuerregelung unterliegen oder wenn die Vorgänge nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen, insbesondere der Umstrukturierung oder Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften beruhen, so dass in einem solchen Fall entsprechende zusätzliche Steuern festzusetzen sind.“

7        Art. 69 Abs. 1 und 2 CIRC bestimmt:

„(1)      Die steuerlichen Verluste der fusionierten Gesellschaften können von den steuerpflichtigen Gewinnen der neuen Gesellschaft oder der aufnehmenden Gesellschaft bis zum Ende der in Art. 47 Abs. 1 genannten Frist, die mit dem Geschäftsjahr, auf das sie sich beziehen, beginnt, abgezogen werden, sofern der Finanzminister auf Antrag der Betroffenen, der bei der Generaldirektion für Steuern vor Ablauf des Monats, der auf den Monat der Eintragung der Fusion ins Handelsregister folgt, eingereicht wird, die Genehmigung dazu erteilt.

(2)      Die Genehmigung wird nur erteilt, wenn nachgewiesen wird, dass die Fusion auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen, insbesondere der Umstrukturierung oder Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften, beruht und dass sie Teil einer Strategie zur mittel- oder langfristigen Größenanpassung und Entwicklung des Unternehmens mit positiven Auswirkungen auf die Produktionsstruktur ist, wobei hierzu alle Informationen zu liefern sind, die für die umfassende Kenntnis des betroffenen Vorgangs, sowohl unter seinen rechtlichen als auch unter seinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten notwendig oder zweckmäßig sind.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8        Foggia – SGPS, eine Holdinggesellschaft nach portugiesischem Recht, nahm durch eine am 29. September 2003 durchgeführte Fusion drei andere zum selben Konzern gehörende Holdinggesellschaften auf.

9        Mit Antrag, der am 28. November 2003 beim Secretário de Estado einlangte, suchte Foggia – SGPS gemäß Art. 69 Abs. 1 CIRC um Genehmigung an, von ihren etwaigen steuerpflichtigen Gewinnen die ermittelten, aber noch nicht berücksichtigten steuerlichen Verluste der aufgenommenen Gesellschaften für die Geschäftsjahre 1997 bis einschließlich 2002 abziehen zu dürfen.

10      Der Secretário de Estado gab diesem Antrag in Bezug auf zwei der drei Gesellschaften statt, lehnte jedoch mit Entscheidung vom 6. Oktober 2004 die Übertragung der steuerlichen Verluste der Riguadiana – SGPS SA (im Folgenden: Riguadiana) mit der Begründung ab, dass die Fusion zwischen ihr und der Foggia – SGPS für Letztere von keinerlei wirtschaftlichem Interesse sei.

11      Hierzu haben die Dienststellen des Secretário de Estado ausgeführt, dass Riguadiana in den berücksichtigten Jahren ein Beteiligungsportfolio aufgegeben, mit ihrer Tätigkeit praktisch keine Einkünfte erzielt und nur in Wertpapiere investiert habe. Überdies sei bei den steuerlichen Verlusten dieser Gesellschaft in Höhe von ca. 2 Millionen Euro, die in der Steuererklärung für das Jahr 2002 ausgewiesen seien, nicht klar, woher sie stammten. Zwar sei die Entfernung der Riguadiana aus der Konzernstruktur geeignet, zu einer Verringerung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten des Konzerns zu führen, doch kann diese positive Wirkung auf die Strukturkosten dieses Konzerns nach Ansicht des Secretário de Estado nicht so aufgefasst werden, als würde sie ein wirtschaftliches Interesse für Foggia – SGPS darstellen.

12      Am 24. Januar 2005 erhob Foggia – SGPS beim Tribunal Central Administrativo Sul eine besondere Verwaltungsklage auf Nichtigerklärung dieser ablehnenden Entscheidung und Erlass eines Verwaltungsakts zur Genehmigung der Übertragung der betreffenden steuerlichen Verluste. Die Klage wurde abgewiesen.

13      Am 3. Dezember 2008 legte Foggia – SGPS beim Supremo Tribunal Administrativo als letztinstanzlichem Gericht Rechtsmittel ein.

14      In seiner Vorlageentscheidung führt dieses Gericht aus, dass das Vorliegen von „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ eine der beiden in Art. 69 Abs. 2 CIRC genannten kumulativen Voraussetzungen darstelle und die Beurteilung, ob eine solche Voraussetzung erfüllt sei, im Ermessen des Secretário de Estado liege. Das vorlegende Gericht äußert jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der vom Secretário de Estado vorgenommenen Auslegung des Begriffs „vernünftige wirtschaftliche Gründe“ im Hinblick auf denselben Begriff in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434.

15      Das Supremo Tribunal Administrativo hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Welche Bedeutung und welche Tragweite hat Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434, und welche Bedeutung haben insbesondere die Begriffe „vernünftige wirtschaftliche Gründe“ und „Umstrukturierung oder Rationalisierung“ der an Vorgängen im Sinne der Richtlinie 90/434 beteiligten Gesellschaften?

2.      Ist die Auffassung der Steuerverwaltung, dass keine schwerwiegenden wirtschaftlichen Gründe vorgelegen hätten, die den Antrag des aufnehmenden Unternehmens auf Übertragbarkeit der steuerlichen Verluste gerechtfertigt hätten, und dass die Fusion zwar eine positive Wirkung auf die Kostenstruktur der Gruppe haben könne, aus der Sicht des aufnehmenden Unternehmens aber ein wirtschaftliches Interesse an der Aufnahme angesichts der Tatsache, dass das aufgenommene Unternehmen keine Tätigkeit als Holdinggesellschaft entfaltet und keine Beteiligungen gehalten, sondern lediglich hohe Verluste übertragen habe, nicht offenkundig gewesen sei, mit der genannten Gemeinschaftsbestimmung vereinbar?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

16      Die portugiesische Regierung kommt in ihren schriftlichen Erklärungen zum Ergebnis, dass zum einen der Gerichtshof nicht zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen befugt sei und dass zum anderen das Ersuchen unzulässig sei, da die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht erheblich seien.

17      Zunächst macht die portugiesische Regierung geltend, dass der Ausgangsrechtsstreit in einem rein innerstaatlichen Kontext angesiedelt sei. Es sei fraglich, ob dieser Rechtsstreit unter die Richtlinie 90/434 und damit in die Zuständigkeit des Gerichtshofs falle, da der dem vorlegenden Gericht unterbreitete Sachverhalt weder unmittelbar noch mittelbar durch Unionsrecht geregelt werde.

18      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 1 AEUV im Wege der Vorabentscheidung u. a. „über die Auslegung der Verträge“ und über „die Auslegung der Handlungen der Organe … der Union“ entscheidet.

19      Zwar steht fest, dass der Ausgangsrechtsstreit eine Vorschrift des nationalen Rechts betrifft, die in einem rein innerstaatlichen Kontext anzuwenden ist.

20      Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt sich jedoch, dass nationale und grenzüberschreitende Umstrukturierungen nach Art. 67 CIRC derselben steuerlichen Regelung für Fusionen unterliegen und dass die Vorschrift in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434, nach der die Vergünstigung dieser steuerlichen Regelung versagt werden könne, wenn keine vernünftigen wirtschaftlichen Gründe vorliegen, auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte Anwendung finden soll.

21      Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu etwaigen Wettbewerbsverzerrungen kommt, besteht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. Urteile vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C‑28/95, Slg. 1997, I‑4161, Randnr. 32, und vom 15. Januar 2002, Andersen og Jensen, C‑43/00, Slg. 2002, I‑379, Randnr. 18, und vom 20. Mai 2010, Modehuis A. Zwijnenburg, C‑352/08, Slg. 2010, I‑4303, Randnr. 33).

22      Dabei ist es allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Unionsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich auf die Prüfung der unionsrechtlichen Bestimmungen (Urteile Leur-Bloem, Randnr. 33, und Modehuis A. Zwijnenburg, Randnr. 34).

23      Der Gerichtshof ist demnach für die Beantwortung der Fragen des Supremo Tribunal Administrativo zur Auslegung der Richtlinie 90/434 zuständig, auch wenn diese den Ausgangssachverhalt nicht unmittelbar regelt.

24      Zweitens hält die portugiesische Regierung das Vorabentscheidungsersuchen mangels eines Zusammenhangs zwischen der erbetenen Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434, dessen Wortlaut in Art. 67 Abs. 10 CIRC übernommen worden sei, und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, bei dem es um Art. 69 Abs. 2 CIRC gehe, der auf die Übertragbarkeit der steuerlichen Verluste nach Art. 6 der Richtlinie Bezug nehme, für unzulässig.

25      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hat im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den einzelstaatlichen Gerichten nach Art. 267 AEUV nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteile Leur-Bloem, Randnr. 24, vom 22. Dezember 2008, Les Vergers du Vieux Tauves, C‑48/07, I‑10627, Randnr. 16, und vom 8. September 2011, Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 30).

26      Es spricht nämlich eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteile vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a., C‑222/05 bis C‑225/05, Slg. 2007, I‑4233, Randnr. 22, Les Vergers du Vieux Tauves, Randnr. 17, und Paint Graphos u. a., Randnr. 31).

27      Im vorliegenden Fall kann nicht ernsthaft geltend gemacht werden, dass die Auslegung der Richtlinie 90/434 in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das Problem hypothetischer Natur ist, da das Ersuchen des vorlegenden Gerichts es gerade in die Lage versetzen soll, die Frage zu beantworten, ob die Auslegung des Begriffs „vernünftige wirtschaftliche Gründe“ durch den Secretário de Estado mit demselben Begriff in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie vereinbar ist.

28      Entgegen dem Vorbringen der portugiesischen Regierung ist das Vorabentscheidungsersuchen daher für zulässig zu erklären.

29      In Anbetracht der Formulierung der zweiten Frage ist jedoch auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV zwar nicht über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Unionsrecht oder über die Auslegung nationaler Vorschriften entscheiden kann, aber befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, im Hinblick auf die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über eine solche Vereinbarkeit zu befinden (vgl. u. a. Urteile vom 15. Dezember 1993, Hünermund u. a., C‑292/92, Slg. 1993, I‑6787, Randnr. 8, und vom 6. März 2007, Placanica u. a., C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007, I‑1891, Randnr. 36).

30      Nach alledem ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen ist, dass eine Fusion zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns als im Sinne dieser Richtlinie auf „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ beruhend angesehen werden kann, wenn sie eine positive Wirkung auf die Strukturkosten dieses Konzerns hat, auch wenn die aufgenommene Gesellschaft keine Tätigkeit entfaltet, keine Beteiligung hält und der aufnehmenden Gesellschaft nur hohe Verluste überträgt.

 Zu den Vorlagefragen

31      Vorweg ist anzumerken, dass das in der Richtlinie 90/434 vorgesehene gemeinsame Steuersystem verschiedene steuerliche Vorteile umfasst und gleichermaßen auf alle Fusionen, Spaltungen und Einbringungen von Unternehmensteilen sowie jeden Austausch von Anteilen anzuwenden ist, gleichgültig, ob ihre Gründe finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind (vgl. Urteile Leur-Bloem, Randnr. 36, und vom 5. Juli 2007, Kofoed, C‑321/05, Slg. 2007, I‑5795, Randnr. 30).

32      Die Gründe für den geplanten Vorgang sind jedoch von Bedeutung, wenn die Mitgliedstaaten von ihrer Möglichkeit nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie Gebrauch machen, die Vergünstigung der Richtlinie nicht zu gewähren (Urteil Modehuis A. Zwijnenburg, Randnr. 42).

33      Insbesondere können die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ausnahmsweise oder in besonderen Fällen ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn der Austausch von Anteilen insbesondere als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. In dieser Vorschrift wird außerdem klargestellt, dass die Tatsache, dass der Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen wie etwa der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften beruht, eine Vermutung dafür begründen kann, dass mit diesem Vorgang ein derartiges Ziel verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Leur-Bloem, Randnrn. 38 und 39, und Kofoed, Randnr. 37).

34      Zum Begriff der „vernünftigen wirtschaftlichen Gründe“ im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Buchst. a hatte der Gerichtshof bereits Gelegenheit, klarzustellen, dass dieser Begriff nach dem Wortlaut und den Zielen dieses Art. 11 sowie den Zielen der Richtlinie 90/434 im Allgemeinen mehr als das bloße Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil voraussetzt. Eine Fusion durch Austausch von Anteilen, mit der nur dieser Zweck verfolgt wird, ist deshalb kein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne der genannten Bestimmung (Urteil Leur-Bloem, Randnr. 47).

35      Daher kann eine Fusion, die auf mehreren Beweggründen beruht, zu denen auch steuerliche Überlegungen zählen können, jedoch vorausgesetzt, dass diese im Rahmen des beabsichtigten Vorgangs nicht überwiegen, einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund haben.

36      Im Falle der Feststellung, dass die Fusion ausschließlich auf die Erlangung eines Steuervorteils abzielt und damit nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht, kann nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 davon ausgegangen werden, dass dieser Vorgang als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe eine Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat.

37      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können sich die zuständigen nationalen Behörden bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang einen solchen Beweggrund hat, nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; sie müssen vielmehr in jedem Einzelfall eine Gesamtuntersuchung des betreffenden Vorgangs vornehmen. Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder ‑umgehung vorliegt, automatisch vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, ginge nämlich über das zur Verhinderung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie 90/434 verfolgte Ziel (Urteil Leur-Bloem, Randnrn. 41 und 44).

38      Im Rahmen dieser Gesamtuntersuchung müssen die vom vorlegenden Gericht angeführten Anhaltspunkte berücksichtigt werden, nämlich dass die aufgenommene Gesellschaft im Zeitpunkt der Fusion keine eigene Geschäftsführungstätigkeit mehr entfaltete, dass sie keine Beteiligungen mehr hielt und dass die aufnehmende Gesellschaft die steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste der aufgenommenen Gesellschaft zu übernehmen gedachte.

39      Keiner dieser Anhaltspunkte ist jedoch für sich genommen ausschlaggebend.

40      Eine Fusion oder Umstrukturierung in Form der Aufnahme einer Gesellschaft, die keinerlei Tätigkeiten entfaltet und keine eigenen Aktiva in die aufnehmende Gesellschaft einbringt, kann dennoch aus der Sicht der Letzteren auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruhen.

41      Ebenso wenig ist es ausgeschlossen, dass eine Fusion durch Aufnahme einer Gesellschaft mit solchen Verlusten vernünftige wirtschaftliche Gründe haben kann, da Art. 6 der Richtlinie 90/434 ausdrücklich auf Gesetzesbestimmungen verweist, die eine Übernahme der steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste der aufgenommenen Gesellschaft gestatten.

42      Der Umstand hingegen, dass diese steuerlichen Verluste sehr hoch sind und ihr Ursprung nicht klar feststeht, kann einen Hinweis auf Steuerhinterziehung oder ‑umgehung darstellen, wenn die Fusion durch Aufnahme einer Gesellschaft ohne Einbringung von Aktiva nur auf die Erlangung eines rein steuerlichen Vorteils abzielt.

43      Somit stellt sich das vorlegende Gericht unter Berufung auf die in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 verwendeten Begriffe „Umstrukturierung“ und „Rationalisierung“ die Frage, ob die positive Wirkung auf die Strukturkosten, die sich aus der Reduzierung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten des Konzerns infolge der Fusion durch Aufnahme ergebe, einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund im Sinne dieses Artikels darstellen könne.

44      Für die Beantwortung dieser Frage ist klarzustellen, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 als Ausnahme zu den von der Richtlinie 90/434 aufgestellten Steuerregeln unter Berücksichtigung seines Wortlauts, seines Zwecks und seines Kontextes eng auszulegen ist (Urteil Modehuis A. Zwijnenburg, Randnr. 46).

45      Aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Buchst. a und vor allem aus der Formulierung „insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung“ geht hervor, dass die davon erfassten Vorgänge Beispiele für vernünftige wirtschaftliche Gründe darstellen und im Einklang mit diesem letzteren Begriff auszulegen sind.

46      Wie der Gerichtshof in Randnr. 47 des Urteils Leur-Bloem entschieden hat, sind die Begriffe Umstrukturierung und Rationalisierung demnach so zu verstehen, dass sie mehr als das bloße Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil voraussetzen, und jede Umstrukturierung oder Rationalisierung, mit der nur dieser Zweck verfolgt wird, ist deshalb kein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne der genannten Bestimmung.

47      Daher spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass eine Fusion, die zu einer Umstrukturierung oder Rationalisierung eines Konzerns führt und dadurch eine Reduzierung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten des Konzerns ermöglicht, vernünftige wirtschaftliche Gründe haben kann. Dies ist jedoch nicht der Fall bei einer Aufnahme wie im Ausgangsverfahren, aus der klar hervorgeht, dass die vom betroffenen Konzern erzielte Einsparung bei den Strukturkosten angesichts des Umfangs des erwarteten Steuervorteils, nämlich in Höhe von mehr als 2 Millionen Euro, völlig nebensächlich ist.

48      Außerdem ist die Einsparung von Kosten, die sich aus der Reduzierung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten durch die Auflösung der aufgenommenen Gesellschaft ergibt, jeder Fusion durch Aufnahme immanent, da die Fusion naturgemäß zu einer Vereinfachung der Konzernstruktur führt.

49      Ließe man jedoch generell die Einsparung bei den Strukturkosten, die sich aus der Reduzierung der Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten ergibt, als vernünftigen wirtschaftlichen Grund gelten, ohne die anderen Beweggründe des beabsichtigten Vorgangs und insbesondere die Steuervorteile zu berücksichtigen, würde die Regelung in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 ihren Sinn und Zweck verlieren, die darin bestehen, die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten zu wahren, indem diese, wie es im neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt, die Anwendung der in der Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen im Falle der Steuerhinterziehung oder ‑umgehung versagen können.

50      Überdies ist darauf hinzuweisen, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts widerspiegelt, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist. Die Anwendung der Unionsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass missbräuchliche Praktiken, d. h. Vorgänge geschützt werden, die nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs, sondern nur zu dem Zweck durchgeführt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 1999, Centros, C‑212/97, Slg. 1999, I‑1459, Randnr. 24, vom 21. Februar 2006, Halifax u. a., C‑255/02, Slg. 2006, I‑1609, Randnrn. 68 und 69, und Kofoed, Randnr. 38).

51      Insoweit hat das vorlegende Gericht in Ansehung sämtlicher Merkmale des von ihm zu entscheidenden Rechtsstreits zu prüfen, ob nach Maßgabe der oben in den Randnrn. 39 bis 51 angeführten Kriterien die Anhaltspunkte, die eine Vermutung der Steuerhinterziehung oder ‑umgehung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 begründen, im Rahmen dieses Rechtsstreits vorliegen.

52      Daher ist auf die Vorlagefragen, wie sie in Randnr. 30 des vorliegenden Urteils umformuliert worden sind, zu antworten, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen ist, dass im Falle einer Fusion zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns davon ausgegangen werden kann, dass dieser Vorgang nicht auf „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ im Sinne dieser Richtlinie beruht, wenn die aufgenommene Gesellschaft keine Tätigkeit entfaltet, keine Beteiligung hält und der aufnehmenden Gesellschaft nur hohe Verluste unklaren Ursprungs überträgt, auch wenn sich dieser Vorgang für den Konzern wegen der Einsparung bei den Strukturkosten positiv auswirkt. Das vorlegende Gericht wird in Ansehung sämtlicher Merkmale des von ihm zu entscheidenden Rechtsstreits zu prüfen haben, ob die Anhaltspunkte, die eine Vermutung der Steuerhinterziehung oder -umgehung im Sinne dieser Bestimmung begründen, im Rahmen dieses Rechtsstreits vorliegen.

 Kosten

53      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass im Falle einer Fusion zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns davon ausgegangen werden kann, dass dieser Vorgang nicht auf „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ im Sinne dieser Richtlinie beruht, wenn die aufgenommene Gesellschaft keine Tätigkeit entfaltet, keine Beteiligung hält und der aufnehmenden Gesellschaft nur hohe Verluste unklaren Ursprungs überträgt, auch wenn sich dieser Vorgang für den Konzern wegen der Einsparung bei den Strukturkosten positiv auswirkt. Das vorlegende Gericht wird in Ansehung sämtlicher Merkmale des von ihm zu entscheidenden Rechtsstreits zu prüfen haben, ob die Anhaltspunkte, die eine Vermutung der Steuerhinterziehung oder -umgehung im Sinne dieser Bestimmung begründen, im Rahmen dieses Rechtsstreits vorliegen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Portugiesisch.