Rechtssache C‑51/08

Europäische Kommission

gegen

Großherzogtum Luxemburg

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 43 EG – Niederlassungsfreiheit – Notare – Staatsangehörigkeitsvoraussetzung – Art. 45 EG – Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt – Richtlinie 89/48/EWG“

Leitsätze des Urteils

1.        Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Ausnahmen – Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind – Tätigkeiten des Notars – Ausschluss – Staatsangehörigkeitsvoraussetzung für den Zugang zum Beruf des Notars – Unzulässigkeit

(Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG)

2.        Vertragsverletzungsklage – Prüfung der Begründetheit durch den Gerichtshof – Maßgebende Lage – Lage bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist – Ungewisse Lage infolge der während des Rechtsetzungsprozesses eingetretenen besonderen Umstände – Keine Vertragsverletzung

(Art. 43 EG, 45 Abs. 1 EG und 226 EG; Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates)

1.        Ein Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung für den Zugang zum Beruf des Notars aufstellen, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 43 EG, wenn die den Notaren in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats übertragenen Tätigkeiten nicht im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Insoweit stellt Art. 45 Abs. 1 EG eine Ausnahme von der Grundregel der Niederlassungsfreiheit dar, die so auszulegen ist, dass sich ihre Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, deren Schutz diese Bestimmung den Mitgliedstaaten erlaubt, unbedingt erforderlich ist. Zudem muss diese Ausnahmeregelung auf Tätigkeiten beschränkt werden, die als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.

Zur Beurteilung der Frage, ob die den Notaren übertragenen Tätigkeiten unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, ist die Art der von den Notaren ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen. Dabei sind die verschiedenen von den Notaren ausgeübten Tätigkeiten trotz der bedeutsamen Rechtswirkungen der von ihnen erstellten Urkunden nicht im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, da dem Parteiwillen oder der richterlichen Aufsicht oder Entscheidung besondere Bedeutung zukommt.

Zum einen werden nämlich, was die authentischen Urkunden angeht, nur Akte oder Verträge beurkundet, denen sich die Parteien freiwillig unterworfen haben, wobei der Notar den von ihm zu beurkundenden Vertrag nicht ohne vorherige Einholung der Zustimmung der Parteien einseitig ändern darf. Im Übrigen verfolgen die Notare bei der ihnen obliegenden Prüfung zwar ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel, doch kann die bloße Verfolgung dieses Ziels es weder rechtfertigen, die dafür erforderlichen Vorrechte Notaren mit der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats vorzubehalten, noch reicht sie aus, um eine Tätigkeit als unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden einzustufen.

Zum anderen verleiht zwar die Anbringung der Vollstreckungsklausel durch den Notar einer authentischen Urkunde die Vollstreckbarkeit, doch beruht diese auf dem Willen der Parteien, eine Urkunde zu schaffen oder einen Vertrag zu schließen, nachdem der Notar ihre Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung geprüft hat, und ihnen Vollstreckbarkeit zu verleihen. Desgleichen ist die Beweiskraft einer notariellen Urkunde Teil der Beweisregeln und hat daher keine unmittelbare Auswirkung auf die Frage, ob die mit der Erstellung dieser Urkunde verbundene Tätigkeit als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist, zumal wenn eine privatschriftliche Urkunde nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats dieselbe Beweiskraft hat wie eine authentische Urkunde.

Das Gleiche gilt für andere dem Notar übertragene Tätigkeiten wie die Immobiliarvollstreckungspfändung, bestimmte Immobilienverkäufe, die Erstellung von Verzeichnissen eines Nachlasses, einer Gemeinschaft oder einer Miteigentümergemeinschaft, die Anbringung und Entfernung von Siegeln und die gerichtliche Teilung, die Überschreibung authentischer Urkunden, die eine Übertragung von dinglichen Immobiliarrechten enthalten, und Aufgaben der Vereinnahmung von Steuern.

Schließlich geht zum speziellen Status der Notare erstens aus der Tatsache, dass die Qualität der erbrachten Leistungen von Notar zu Notar u. a. aufgrund der beruflichen Fähigkeiten der Betreffenden schwanken kann, hervor, dass die Notare ihren Beruf in den Grenzen ihrer jeweiligen örtlichen Zuständigkeiten unter Wettbewerbsbedingungen ausüben, was für die Ausübung öffentlicher Gewalt untypisch ist. Zweitens sind die Notare ihren Klienten gegenüber unmittelbar und persönlich verantwortlich für Schäden, die aus einem Fehlverhalten bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten resultieren.

(vgl. Randnrn. 82, 84-85, 87-92, 94-97, 100-104, 106, 108-117, 125)

2.        Führen im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens besondere Umstände, wie das Fehlen einer klaren Stellungnahme des Gesetzgebers oder mangelnde Genauigkeit bei der Festlegung des Anwendungsbereichs einer Bestimmung des Unionsrechts, zu Ungewissheit, kann nicht festgestellt werden, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist eine hinreichend klare Verpflichtung für die Mitgliedstaaten bestand, eine Richtlinie umzusetzen.

(vgl. Randnrn. 141-143)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

24. Mai 2011(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 43 EG – Niederlassungsfreiheit – Notare – Staatsangehörigkeitsvoraussetzung – Art. 45 EG – Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt – Richtlinie 89/48/EWG“

In der Rechtssache C‑51/08

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 12. Februar 2008,

Europäische Kommission, vertreten durch J.‑P. Keppenne und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch E. Jenkinson und S. Ossowski als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Großherzogtum Luxemburg, vertreten durch C. Schiltz als Bevollmächtigten im Beistand von J.‑J. Lorang, avocat,

Beklagter,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und M. Messmer als Bevollmächtigte,

Republik Lettland, vertreten durch L. Ostrovska, K. Drēviņa und J. Barbale als Bevollmächtigte,

Republik Litauen, vertreten durch D. Kriaučiūnas und E. Matulionytė als Bevollmächtigte,

Republik Ungarn, vertreten durch J. Fazekas, R. Somssich, K. Veres und M. Fehér als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch M. Dowgielewicz, C. Herma und D. Lutostańska als Bevollmächtigte,

Slowakische Republik, vertreten durch J. Čorba als Bevollmächtigten,

Streithelferinnen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und J.‑J. Kasel sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter E. Juhász, G. Arestis und M. Ilešič, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. September 2010

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 EG und der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16), in der durch die Richtlinie 2001/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2001 (ABl. L 206, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/48) verstoßen hat, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt und die Richtlinie 89/48 für diesen Beruf nicht umgesetzt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        Im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 89/48 hieß es: „Die allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome präjudiziert in keiner Weise die Anwendung von Artikel [45 EG].“

3        Art. 2 der Richtlinie 89/48 lautete:

„Diese Richtlinie gilt für alle Angehörigen eines Mitgliedstaats, die als Selbständige oder abhängig Beschäftigte einen reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen.

Diese Richtlinie gilt nicht für die Berufe, die Gegenstand einer Einzelrichtlinie sind, mit der in den Mitgliedstaaten eine gegenseitige Anerkennung der Diplome eingeführt wird.“

4        Der Notarberuf ist nicht Gegenstand einer Regelung der in Art. 2 Abs. 2 genannten Art.

5        Die Richtlinie 89/48 sah eine Umsetzungsfrist vor, die nach ihrem Art. 12 am 4. Januar 1991 ablief.

6        Durch Art. 62 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22) wurde die Richtlinie 89/48 mit Wirkung vom 20. Oktober 2007 aufgehoben.

7        Nach dem 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 „berührt [sie] nicht die Anwendung des Artikels 39 Absatz 4 [EG] und des Artikels 45 [EG], insbesondere auf Notare“.

 Nationales Recht

 Allgemeine Ausgestaltung des Notarberufs

8        Die Notare üben ihre Tätigkeiten nach der luxemburgischen Rechtsordnung freiberuflich aus. Der Notarberuf wird durch das Gesetz vom 9. Dezember 1976 zur Ausgestaltung des Notariats (Mémorial A 1976, S. 1230) in der durch Gesetz vom 12. November 2004 (Mémorial A 2004, S. 2766) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz zur Ausgestaltung des Notariats) geregelt.

9        Nach Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausgestaltung des Notariats sind Notare „öffentliche Beamte, die eingesetzt sind, um alle Urkunden und Verträge aufzunehmen, denen die Parteien den mit behördlichen Urkunden verbundenen authentischen Charakter verschaffen müssen oder wollen, und um das Datum dieser Urkunden und Verträge festzuhalten, für ihre Aufbewahrung zu sorgen sowie Abschriften und Zweitschriften von ihnen auszustellen“.

10      Art. 3 dieses Gesetzes bestimmt, dass die Notare ihr Amt im gesamten Hoheitsgebiet ausüben. Wie sich u. a. aus Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes ergibt, kann jede Partei den Notar frei wählen.

11      Die Anzahl der Notare und ihr Amtssitz sowie ihre Honorare und Vergütungen werden nach den Art. 13 und 59 des Gesetzes durch Großherzogliche Verordnung festgelegt.

12      Nach Art. 15 des Gesetzes zur Ausgestaltung des Notariats ist Voraussetzung für die Zulassung zum Amt des Notars in Luxemburg u. a., dass der Betreffende Luxemburger ist.

 Die Notartätigkeiten

13      Im Rahmen der verschiedenen Tätigkeiten des Notars nach der luxemburgischen Rechtsordnung besteht seine Hauptaufgabe darin, authentische Urkunden zu erstellen. Dabei kann das Tätigwerden des Notars je nach Art des von ihm zu beurkundenden Akts obligatorisch oder fakultativ sein. Durch sein Tätigwerden stellt der Notar das Vorliegen aller gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Zustandekommen des Akts sowie die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Beteiligten fest.

14      Die authentische Urkunde wird in Art. 1317 des Zivilgesetzbuchs, der sich in Kapitel VI („Nachweis der Verbindlichkeiten und der Zahlung“) von Titel III des Buchs III befindet, definiert. Nach diesem Artikel ist eine solche Urkunde „diejenige, die in der erforderlichen Form von dazu befugten öffentlichen Amtsträgern an dem Ort aufgenommen worden ist, an dem die Urkunde abgefasst worden ist“.

15      Nach Art. 37 des Gesetzes zur Ausgestaltung des Notariats hat eine notarielle Urkunde gemäß den Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs Beweiskraft und ist vollstreckbar, wenn sie mit der Vollstreckungsklausel versehen ist.

16      In Art. 1319 des Zivilgesetzbuchs heißt es: „Die authentische Urkunde hat unter den Vertragsparteien und ihren Erben oder Rechtsnachfolgern volle Beweiskraft für die darin enthaltene Vereinbarung.“

17      Art. 1322 des Zivilgesetzbuchs bestimmt: „Eine privatschriftliche Urkunde, die von demjenigen anerkannt wird, dem sie entgegengehalten wird, oder die rechtlich als anerkannt gilt, hat unter denjenigen, die sie unterzeichnet haben, und unter deren Erben und Rechtsnachfolgern dieselbe Beweiskraft wie eine authentische Urkunde.“

18      Nach Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 1990 zur Ausgestaltung des Dienstes der Gerichtsvollzieher (Mémorial A 1990, S. 1248) ist nur der Gerichtsvollzieher befugt, u. a. gerichtliche Entscheidungen sowie vollstreckbare Urkunden oder Titel zu vollstrecken. Ferner ist es, wie sich u. a. aus Art. 690 der neuen Zivilprozessordnung ergibt, Sache des Vollstreckungsgerichts, über Problemfälle bei der Vollstreckung zu entscheiden. Bei Eilbedürftigkeit trifft das örtliche Gericht eine vorläufige Entscheidung.

19      Neben den Beurkundungstätigkeiten sind die Notare in der luxemburgischen Rechtsordnung u. a. mit folgenden Aufgaben betraut.

20      Aufgrund der Art. 809 ff. der neuen Zivilprozessordnung übt der Notar bestimmte Tätigkeiten im Bereich der Immobiliarpfändung aus. Nach diesen Bestimmungen wird der Vollstreckungstitel zunächst von einem Gerichtsvollzieher vollstreckt, der dem Schuldner eine Zahlungsaufforderung übermittelt. Dem Schuldner wird dann eine Frist gesetzt, um der Aufforderung nachzukommen. Ist er der Aufforderung bis zum Ablauf der Frist nicht nachgekommen, sind die betreffenden Immobilien schließlich Gegenstand einer Pfändung durch Gerichtsvollzieherurkunde, an die sich die Überschreibung dieser Urkunde beim Hypothekenamt anschließt. Auf Antrag des Gläubigers entscheidet das Gericht über die darin enthaltenen Angaben und Stellungnahmen sowie über die Gültigkeit der Pfändung und betraut einen Notar mit der Durchführung des öffentlichen Verkaufs. Der Notar wickelt sodann den Verkauf ab, indem er die Modalitäten der Veröffentlichung durch Erstellung des Lastenhefts regelt, worin der Tag des Verkaufs angegeben und festgelegt wird, dass der Erlös den Gläubigern zusteht. Mit Zwischenanträgen in Bezug auf ein Vorgehen im Wege der Immobiliarpfändung wird das Gericht befasst. Außerdem können die Parteien nach Art. 879 der neuen Zivilprozessordnung in einem beurkundeten Vertrag vorsehen, dass der Gläubiger berechtigt ist, den Verkauf durch einen Notar vornehmen zu lassen, ohne dass die vorgenannten rechtlichen Förmlichkeiten eingehalten werden. Werden in einem solchen Fall Einwände erhoben, setzt der Notar alle Maßnahmen aus und verweist die Parteien auf das Eilverfahren vor dem Präsidenten des zuständigen Gerichts, damit dieser über den Rechtsstreit entscheidet.

21      Nach den Art. 1131 bis 1164 der neuen Zivilprozessordnung übt der Notar ferner bestimmte Tätigkeiten im Bereich der Anbringung und Entfernung von Siegeln aus. Die Anbringung und die Entfernung von Siegeln werden vom Friedensrichter genehmigt. Sind die zur Teilnahme an der Entfernung berechtigten Parteien abwesend, benennt der Präsident des zuständigen Gerichts von Amts wegen einen Notar zu ihrer Vertretung.

22      In den Art. 1165 bis 1168 der neuen Zivilprozessordnung wird der Notar damit betraut, auf Antrag der Personen, die die Entfernung des Siegels verlangen können, ein Verzeichnis zu erstellen. Treten Schwierigkeiten auf, gibt der Notar den Parteien auf, sich im Wege des Eilverfahrens an den Präsidenten des erstinstanzlichen Gerichts zu wenden; er kann sich selbst an dieses Gericht wenden, wenn sich sein Amtssitz in dem Kanton befindet, in dem das Gericht seinen Sitz hat.

23      Die Rolle des Notars im Rahmen bestimmter Immobilienverkäufe ist in den Art. 1177 bis 1184 der neuen Zivilprozessordnung geregelt. Diese Verkäufe können nur stattfinden, wenn ihnen u. a. das Vormundschaftsgericht zugestimmt hat. Wird der Verkauf gestattet, benennt dieses Gericht einen Notar zur Durchführung des öffentlichen Verkaufs. Dieser Verkauf findet vor dem Vormundschaftsgericht statt, das dem Notar nach Billigung der Rechnungsführung Entlastung erteilt. Das Vormundschaftsgericht kann auch durch eine mit Gründen versehene Entscheidung den freihändigen Verkauf gestatten.

24      Überdies wird der Notar durch die Art. 815 ff. des Zivilgesetzbuchs mit bestimmten Tätigkeiten im Bereich der Teilung betraut. Nach Art. 822 werden der Teilungsvorgang und die im Lauf seiner Abwicklung erhobenen Einwände dem Gericht unterbreitet. Vor diesem findet die Auflösung statt, und bei ihm sind Anträge auf Sicherung der Partien zwischen Teilhabern und auf Aufhebung der Teilung zu stellen. Weigert sich einer der Miterben, der Teilung zuzustimmen, oder erhebt er Einwände gegen die Vorgehensweise bei der Teilung oder gegen die Art und Weise ihrer Beendigung, hat das Gericht zu entscheiden. Lassen sich die Immobilien nicht ohne weiteres teilen, wird vor dem Gericht der Verkauf durch Auflösung vorgenommen. Sind alle Beteiligten volljährig, können sie jedoch vereinbaren, dass die Auflösung vor einem von ihnen einvernehmlich ausgewählten Notar erfolgt. Nachdem die beweglichen und unbeweglichen Sachen geschätzt und verkauft wurden, verweist der beauftragte Richter die Beteiligten nötigenfalls an einen Notar, der die Abrechnungen für die Teilhaber erstellt, die allgemeine Masse zusammenstellt, die Zusammensetzung der Partien festlegt und bestimmt, was an jeden Teilhaber zu liefern ist. Werden im Rahmen der Vorgänge, mit denen ein Notar betraut wurde, Einwände erhoben, erstellt der Notar ein Protokoll über die Schwierigkeiten und die jeweiligen Angaben der Beteiligten und verweist sie an den mit der Teilung beauftragten Richter.

25      Das Gesetz vom 25. September 1905 betreffend die Überschreibung der dinglichen Immobiliarrechte (Mémorial 1905, S. 893) sieht in Art. 1 vor, dass alle Urkunden, die eine Übertragung unter Lebenden, ob unentgeltlich oder entgeltlich, von dinglichen Immobiliarrechten mit Ausnahme der Vorzugsrechte und der Hypotheken enthalten, der amtlichen Überschreibung in dem Hypothekenamt unterliegen, in dessen Bezirk die betreffenden Grundstücke gelegen sind. Zur Überschreibung zugelassen sind nach Art. 2 dieses Gesetzes Urteile sowie authentische und privatschriftliche Urkunden, einerlei ob Letztere gerichtlich oder notariell beglaubigt sind oder nicht. Mit der Überschreibung betraut ist der Hypothekenbewahrer.

 Vorverfahren

26      Die Kommission wurde mit einer Beschwerde befasst, die die Staatsangehörigkeitsvoraussetzung für den Zugang zum Beruf des Notars in Luxemburg betraf. Nach Prüfung dieser Beschwerde forderte die Kommission das Großherzogtum Luxemburg mit Schreiben vom 8. November 2000 auf, sich binnen zwei Monaten zum einen zur Vereinbarkeit der Staatsangehörigkeitsvoraussetzung mit Art. 45 Abs. 1 EG und zum anderen zur unterbliebenen Umsetzung der Richtlinie 89/48 in Bezug auf den Beruf des Notars zu äußern.

27      Mit Schreiben vom 11. Januar 2001 antwortete das Großherzogtum Luxemburg auf dieses Aufforderungsschreiben.

28      Am 12. Juli 2002 übersandte die Kommission diesem Mitgliedstaat ein ergänzendes Aufforderungsschreiben, in dem sie ihm vorwarf, gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG und aus der Richtlinie 89/48 verstoßen zu haben.

29      Das Großherzogtum Luxemburg antwortete auf dieses ergänzende Aufforderungsschreiben mit Schreiben vom 10. September 2002.

30      Da die vom Großherzogtum Luxemburg vorgebrachten Argumente die Kommission nicht überzeugten, richtete sie an diesen Mitgliedstaat am 18. Oktober 2006 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie zu dem Ergebnis kam, dass der Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG und aus der Richtlinie 89/48 verstoßen habe. Sie forderte ihn auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Monaten nach ihrem Erhalt nachzukommen.

31      Mit Schreiben vom 14. Dezember 2006 legte das Großherzogtum Luxemburg dar, aus welchen Gründen es den von der Kommission vertretenen Standpunkt für unbegründet hielt.

32      Unter diesen Umständen hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

 Zur Klage

 Zur ersten Rüge

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

33      Mit ihrer ersten Rüge ersucht die Kommission den Gerichtshof um die Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass es den Zugang zum Beruf des Notars seinen eigenen Staatsangehörigen vorbehalten hat.

34      Vorab hebt sie hervor, dass der Zugang zum Beruf des Notars in einigen Mitgliedstaaten nicht an ein Staatsangehörigkeitserfordernis geknüpft sei und dass andere Mitgliedstaaten – wie das Königreich Spanien, die Italienische Republik und die Portugiesische Republik – dieses Erfordernis fallen gelassen hätten.

35      Sie weist an erster Stelle darauf hin, dass Art. 43 EG eine der grundlegenden Vorschriften des Unionsrechts darstelle und die Vergünstigung der Inländerbehandlung jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats garantieren solle, der sich, sei es auch nur mit einer Sekundärniederlassung, in einem anderen Mitgliedstaat niederlasse, um dort eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, und dass er jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbiete.

36      Die Kommission und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland machen geltend, Art. 45 Abs. 1 EG müsse autonom und einheitlich ausgelegt werden (Urteil vom 15. März 1988, Kommission/Griechenland, 147/86, Slg. 1988, 1637, Randnr. 8). Da dieser Artikel für Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, eine Ausnahme von der Niederlassungsfreiheit vorsehe, sei er zudem eng auszulegen (Urteil vom 21. Juni 1974, Reyners, 2/74, Slg. 1974, 631, Randnr. 43).

37      Die in Art. 45 Abs. 1 EG vorgesehene Ausnahme müsse daher auf Tätigkeiten beschränkt werden, die für sich genommen eine unmittelbare und spezifische Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt umfassten (Urteil Reyners, Randnrn. 44 und 45). Der Begriff der öffentlichen Gewalt setze die Ausübung einer vom allgemeinen Recht abweichenden Entscheidungsbefugnis voraus, die in der Fähigkeit zum Ausdruck komme, unabhängig vom Willen anderer Rechtssubjekte oder sogar gegen deren Willen zu handeln. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs manifestiere sich die öffentliche Gewalt insbesondere in der Ausübung von Zwangsbefugnissen (Urteil vom 29. Oktober 1998, Kommission/Spanien, C‑114/97, Slg. 1998, I‑6717, Randnr. 37).

38      Die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundenen Tätigkeiten seien von den im Allgemeininteresse ausgeübten Tätigkeiten zu unterscheiden. Verschiedenen Berufsgruppen seien nämlich im Allgemeininteresse besondere Kompetenzen eingeräumt worden, ohne dass ihre Tätigkeiten mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien.

39      Vom Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 1 EG seien auch Tätigkeiten ausgenommen, mit denen die Ausübung öffentlicher Gewalt unterstützt oder an ihr mitgewirkt werde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1993, Thijssen, C‑42/92, Slg. 1993, I‑4047, Randnr. 22).

40      Überdies beziehe sich Art. 45 Abs. 1 EG grundsätzlich auf bestimmte Tätigkeiten und nicht auf eine ganze Berufsgruppe, es sei denn, dass die betreffenden Tätigkeiten von den gesamten Tätigkeiten der Berufsgruppe nicht trennbar seien.

41      An zweiter Stelle nimmt die Kommission eine Prüfung der verschiedenen von Notaren in der belgischen Rechtsordnung ausgeübten Tätigkeiten vor.

42      Soweit es erstens darum geht, Akte und Verträge zu beurkunden, macht sie geltend, der Notar beschränke sich darauf, den Willen der Parteien zu bezeugen, nachdem er sie beraten habe, und diesem Willen Rechtswirkungen zu verleihen. Bei der Ausübung dieser Tätigkeit verfüge der Notar nicht über eine Entscheidungsbefugnis gegenüber den Parteien. Die Beurkundung sei somit nur die Bestätigung einer vorausgegangenen Vereinbarung zwischen den Parteien. Dass bestimmte Akte beurkundet werden müssten, spiele keine Rolle, da zahlreiche Verfahren zwingenden Charakter hätten, ohne Ausdruck der Ausübung öffentlicher Gewalt zu sein.

43      Das Gleiche gelte für die Besonderheiten der Beweisregelung in Bezug auf notarielle Urkunden, da eine vergleichbare Beweiskraft auch anderen Urkunden zukomme, die nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, wie z. B. den von vereidigten Förstern erstellten Protokollen. Dass der Notar für die von ihm erstellten Urkunden hafte, sei ebenfalls unerheblich. Dies sei nämlich bei den meisten freien Berufen der Fall, etwa bei Rechtsanwälten, Architekten oder Ärzten.

44      Was die Vollstreckbarkeit beurkundeter Akte angehe, erfolge die Anbringung der Vollstreckungsklausel vor der eigentlichen Vollstreckung und sei kein Teil von ihr. Die Vollstreckbarkeit verleihe den Notaren daher keine Zwangsbefugnis. Im Übrigen entscheide über etwaige Einwände nicht der Notar, sondern das Gericht.

45      Soweit es zweitens um die Tätigkeiten des Notars im Bereich der Immobiliarpfändung, des öffentlichen Verkaufs von Immobilien, der Erstellung von Inventaren, der Entfernung von Siegeln und der gerichtlichen Teilung geht, vertritt die Kommission die Ansicht, dass das Großherzogtum Luxemburg die genannten Tätigkeiten lediglich beschreibe, ohne den Nachweis zu erbringen, dass sie mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien.

46      Drittens sei der spezielle Status des Notars nach luxemburgischem Recht für die Beurteilung der Art der fraglichen Tätigkeiten nicht unmittelbar relevant.

47      An dritter Stelle sind die Kommission und das Vereinigte Königreich der Ansicht, dass die Vorschriften des Unionsrechts und des Völkerrechts, die Bezugnahmen auf die notarielle Tätigkeit enthielten, die Anwendung der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG auf diese Tätigkeit nicht berührten.

48      Sowohl Art. 1 Abs. 5 Buchst. d der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178, S. 1) als auch der 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 nähmen von ihrem Anwendungsbereich die Tätigkeiten von Notaren nur insoweit aus, als sie eine unmittelbare und besondere Verbindung zur Ausübung öffentlicher Befugnisse aufwiesen. Es handele sich somit um einen bloßen Vorbehalt, der keine Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 45 Abs. 1 EG habe.

49      Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1), die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1) und die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. L 143, S. 15) sähen lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten Urkunden, die in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommen worden und vollstreckbar seien, anerkennen und für vollstreckbar erklären müssten.

50      Auch die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294, S. 1) und die Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (ABl. L 310, S. 1) seien für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits irrelevant, da sie sich darauf beschränkten, den Notaren und anderen vom Staat festgelegten zuständigen Stellen die Aufgabe zu übertragen, die Vornahme bestimmter Rechtshandlungen und Formalitäten vor der Sitzverlegung, der Errichtung und der Verschmelzung von Gesellschaften zu bescheinigen.

51      In dem am 5. Oktober 1961 in Den Haag geschlossenen Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation werde lediglich der Begriff „öffentliche Urkunde“ im Sinne dieses Übereinkommens definiert.

52      Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. März 2006 zu den Rechtsberufen und dem allgemeinen Interesse an der Funktionsweise der Rechtssysteme (ABl. C 292E, S. 105, im Folgenden: Entschließung von 2006) sei eine rein politische Handlung mit mehrdeutigem Inhalt, denn zum einen habe das Europäische Parlament in Nr. 17 dieser Entschließung ausgeführt, dass Art. 45 EG auf den Beruf des Notars anwendbar sei, und zum anderen habe es in Nr. 2 der Entschließung den in seiner Entschließung vom 18. Januar 1994 zur Lage und Organisation des Notarstands in den zwölf Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (ABl. C 44, S. 36, im Folgenden: Entschließung von 1994) vertretenen Standpunkt bekräftigt, dass das im Recht mehrerer Mitgliedstaaten vorgesehene Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zum Notarberuf gestrichen werden sollte.

53      Die Kommission und das Vereinigte Königreich fügen an vierter Stelle hinzu, in der Rechtssache, in der das Urteil vom 30. September 2003, Colegio de Oficiales de la Marina Mercante Española (C‑405/01, Slg. 2003, I‑10391), ergangen sei, auf das mehrere Mitgliedstaaten Bezug nähmen, sei es um die Wahrnehmung einer breiten Palette von Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und von polizeilichen, notariellen und personenstandsrechtlichen Befugnissen durch die Kapitäne und Ersten Offiziere von Handelsschiffen gegangen. Der Gerichtshof habe daher keine Gelegenheit gehabt, die verschiedenen von den Notaren ausgeübten Tätigkeiten im Detail an Art. 45 Abs. 1 EG zu messen. Aus diesem Urteil lasse sich folglich nicht schließen, dass die genannte Vorschrift auf Notare anwendbar sei.

54      Entgegen dem Vorbringen des Großherzogtums Luxemburg werde im Übrigen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zwischen Notaren und Behörden unterschieden, indem anerkannt werde, dass eine öffentliche Urkunde von einer Behörde oder einer anderen hierzu vom Staat ermächtigten Stelle ausgestellt werden könne (Urteil vom 17. Juni 1999, Unibank, C‑260/97, Slg. 1999, I‑3715, Randnrn. 15 und 21).

55      Das Großherzogtum Luxemburg macht an erster Stelle geltend, der Begriff „Ausübung öffentlicher Gewalt“ im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG sei in der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit verstanden worden. Dabei habe der Gerichtshof im Urteil Colegio de Oficiales de la Marina Mercante Española anerkannt, dass die notariellen Aufgaben eine Teilhabe an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstellten. Zudem ergebe sich aus dem Urteil Unibank, dass die Erstellung authentischer Urkunden durch einen öffentlichen Amtsträger wie den Notar mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sei.

56      Dieser Mitgliedstaat teilt im Wesentlichen den Standpunkt der Kommission, dass sich der Begriff der öffentlichen Gewalt vom Begriff des Allgemeininteresses unterscheide, das eine notwendige, aber keine ausreichende Voraussetzung für ihn sei. Dagegen hält er, ebenso wie die Tschechische Republik, die Republik Ungarn, die Republik Polen und die Slowakische Republik, eine Gleichsetzung des Begriffs der öffentlichen Gewalt mit dem der streitigen Gerichtsbarkeit für unzulässig.

57      An zweiter Stelle ist das Großherzogtum Luxemburg der Ansicht, dass die Notare zum einen aufgrund der vom allgemeinen Recht abweichenden Rechtswirkungen, die den von ihnen erstellten Urkunden beigemessen würden, und zum anderen aufgrund ihres speziellen Status nach luxemburgischem Recht unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhätten.

58      Zum erstgenannten Aspekt hebt das Großherzogtum Luxemburg hervor, da die authentische Urkunde den vollen Beweis für die in ihr enthaltenen Erklärungen und Angaben erbringe, stehe sie mit ihrer Beweiskraft an der Spitze der Hierarchie schriftlicher Beweise. Im Übrigen könne ihre Authentizität nur mittels einer Fälschungsklage in Frage gestellt werden.

59      Die authentische Urkunde sei zudem vollstreckbar, ohne dass zuvor eine gerichtliche Entscheidung eingeholt werden müsse. Der Gläubiger müsse lediglich die vollstreckbare Ausfertigung der fraglichen Urkunde einem Gerichtsvollzieher übergeben, der die Aufgabe habe, sie mit Hilfe der öffentlichen Gewalt zu vollstrecken.

60      Die Slowakische Republik fügt hinzu, der Notar müsse die Ausstellung der authentischen Urkunde ablehnen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

61      Das Großherzogtum Luxemburg weist ferner darauf hin, dass der Notar bei der Beurkundung die Rolle des Steuereinnehmers spiele, indem er die Zahlung etwaiger Registrierungsgebühren entgegennehme.

62      Überdies stelle die Rechtsberatung, die die Notare bei der Beurkundung vornähmen, eher ein diese vorbereitendes, obligatorisches und mit ihr verbundenes Element dar.

63      Aus dem Status des Notars nach luxemburgischem Recht ergebe sich, dass er eine öffentliche Funktion habe, die insbesondere in einer strengen Überwachung durch den Staat, in einem Vertrauens- und Solidaritätsverhältnis zwischen Notar und Staat und in äußeren Anzeichen wie der Erlaubnis, das Staatssiegel zu führen, dem vom Notar zu leistenden Eid, seiner Unabhängigkeit und den für ihn geltenden Unvereinbarkeitsregeln zum Ausdruck komme.

64      An dritter Stelle macht das Großherzogtum Luxemburg geltend, die Notare würden in der luxemburgischen Rechtsordnung mit bestimmten Tätigkeiten betraut, die ihre Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt belegten.

65      Erstens sei in Bezug auf die Tätigkeiten des Notars im Rahmen von Immobiliarpfändungen darauf hinzuweisen, dass das Gericht nach Art. 832 der neuen Zivilprozessordnung einen Notar mit der Durchführung des öffentlichen Verkaufs betraue. Diesem werde dadurch eine umfassende Aufgabe übertragen. Außerdem könnten die Parteien nach Art. 879 der neuen Zivilprozessordnung in einem beurkundeten Vertrag vorsehen, dass der Gläubiger berechtigt sei, die mit einer Hypothek belastete Immobilie durch einen Notar verkaufen zu lassen, ohne dass die für die Immobiliarpfändung vorgesehenen rechtlichen Förmlichkeiten eingehalten würden.

66      Die Teilhabe des Notars an der Ausübung öffentlicher Gewalt komme zweitens darin zum Ausdruck, dass notarielle Urkunden nach Art. 2 des Gesetzes vom 25. September 1905 betreffend die Überschreibung der dinglichen Immobiliarrechte der Überschreibung durch das Hypothekenamt unterlägen.

67      Drittens benenne das Vormundschaftsgericht, wenn Immobilien Minderjährigen oder unter Vormundschaft stehenden Volljährigen gehörten, einen Notar, der den öffentlichen Verkauf im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 1180 der neuen Zivilprozessordnung vornehme. Außerdem benenne das Vormundschaftsgericht im Fall der einvernehmlichen Teilung für deren Vornahme einen Notar.

68      Viertens habe der Notar nach den Art. 1167 ff. der neuen Zivilprozessordnung die Aufgabe, das Verzeichnis eines Nachlasses, einer Gemeinschaft oder einer Miteigentümergemeinschaft zu erstellen. Falls Schwierigkeiten aufträten, müssten diese dagegen dem Gericht unterbreitet werden.

69      Fünftens könne der Präsident des Gerichts, wenn die zur Teilnahme an der Entfernung von Siegeln berechtigten Parteien abwesend seien, nach Art. 1152 der neuen Zivilprozessordnung von Amts wegen einen Notar zu ihrer Vertretung benennen.

70      Sechstens sei der Notar nach den Art. 815 ff. der neuen Zivilprozessordnung mit mehreren Aufgaben in Bezug auf die gerichtliche Teilung betraut, insbesondere mit der Bildung der teilbaren Masse, der Zusammenstellung der Partien, der Auslosung und gegebenenfalls der Erstellung eines Protokolls über die Schwierigkeiten. Etwaige Einwände seien wiederum dem Gericht zu unterbreiten.

71      Das Großherzogtum Luxemburg und die Republik Litauen machen an vierter Stelle ferner geltend, der Unionsgesetzgeber habe bestätigt, dass die Notare an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhätten. Nach den in den Randnrn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils erwähnten Unions- und Völkerrechtsakten seien entweder die Tätigkeiten der Notare von ihrem jeweiligen Geltungsbereich ausgenommen, weil die Notare an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhätten, oder es werde anerkannt, dass notarielle Urkunden gerichtlichen Entscheidungen oder den von einer Behörde stammenden Schriftstücken gleichgestellt seien. Überdies ergebe sich aus den in Randnr. 55 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsakten, dass notarielle Urkunden in Bezug auf ihre Vollstreckbarkeit gerichtlichen Entscheidungen gleichgestellt seien. Die Republik Litauen fügt hinzu, das Parlament habe in seinen Entschließungen von 1994 und 2006 deutlich gemacht, dass der Beruf des Notars mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sei.

72      Das Großherzogtum Luxemburg macht hilfsweise geltend, da der Gebrauch der luxemburgischen Sprache bei der Ausübung der Tätigkeiten des Notars erforderlich sei, diene die fragliche Staatsangehörigkeitsvoraussetzung zur Bewahrung der Geschichte, der Kultur, der Tradition und der nationalen Identität Luxemburgs im Sinne von Art. 6 Abs. 3 EU.

 Würdigung durch den Gerichtshof

–       Vorbemerkungen

73      Mit ihrer ersten Rüge wirft die Kommission dem Großherzogtum Luxemburg vor, Angehörige anderer Mitgliedstaaten dadurch daran zu hindern, sich in seinem Hoheitsgebiet zur Ausübung des Notarberufs niederzulassen, dass es den Zugang zu diesem Beruf unter Verstoß gegen Art. 43 EG seinen eigenen Staatsangehörigen vorbehalte.

74      Diese Rüge betrifft somit allein das nach der einschlägigen luxemburgischen Regelung für den Zugang zu diesem Beruf aufgestellte Staatsangehörigkeitserfordernis unter dem Aspekt von Art. 43 EG.

75      Folglich ist klarzustellen, dass die Rüge weder den Status und die Organisation des Notariats in der luxemburgischen Rechtsordnung betrifft noch die Voraussetzungen, die neben der Staatsangehörigkeit für den Zugang zum Beruf des Notars in diesem Mitgliedstaat bestehen.

76      Ferner ist hervorzuheben, dass die erste Rüge, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, auch nicht die Anwendung der Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr betrifft. Ebenso wenig betrifft sie die Anwendung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

–       Zur Begründetheit

77      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 43 EG eine der grundlegenden Vorschriften des Unionsrechts darstellt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Reyners, Randnr. 43).

78      Der Begriff der Niederlassung im Sinne dieser Vorschrift ist ein sehr weiter Begriff, der die Möglichkeit für einen Unionsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsmitgliedstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Europäischen Union im Bereich der selbständigen Tätigkeiten gefördert wird (vgl. u. a. Urteil vom 22. Dezember 2008, Kommission/Österreich, C‑161/07, Slg. 2008, I‑10671, Randnr. 24).

79      Die Niederlassungsfreiheit, die den Angehörigen eines Mitgliedstaats im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zuerkannt wird, umfasst u. a. das Recht zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den Rechtsvorschriften, die im Mitgliedstaat der Niederlassung für dessen eigene Angehörigen gelten (vgl. u. a. Urteil vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich, 270/83, Slg. 1986, 273, Randnr. 13, und in diesem Sinne Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 27). Mit anderen Worten verbietet Art. 43 EG jedem Mitgliedstaat, in seinen Rechtsvorschriften in Bezug auf Personen, die von der Freiheit, sich in diesem Staat niederzulassen, Gebrauch machen, für die Ausübung ihrer Tätigkeit andere als die für seine eigenen Staatsangehörigen festgelegten Bedingungen vorzusehen (Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 28).

80      Art. 43 EG soll also die Vergünstigung der Inländerbehandlung jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats garantieren, der sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, um dort eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, und untersagt jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ergibt (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 14).

81      Im vorliegenden Fall wird aber durch die streitigen nationalen Rechtsvorschriften der Zugang zum Beruf des Notars den luxemburgischen Staatsangehörigen vorbehalten; sie schaffen damit eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit, die grundsätzlich nach Art. 43 EG verboten ist.

82      Das Großherzogtum Luxemburg macht jedoch geltend, die notariellen Tätigkeiten seien vom Anwendungsbereich des Art. 43 EG ausgenommen, da sie im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien. Daher ist zunächst die Tragweite des Begriffs der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne der letztgenannten Vorschrift zu prüfen und dann zu klären, ob die den Notaren nach der luxemburgischen Rechtsordnung übertragenen Tätigkeiten unter diesen Begriff fallen.

83      Was den Begriff „Ausübung öffentlicher Gewalt“ im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG angeht, ist bei seiner Würdigung nach ständiger Rechtsprechung zu berücksichtigen, dass den anerkannten Ausnahmen vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit durch die genannte Bestimmung dem Unionsrecht eigene Grenzen gesetzt werden, um zu verhindern, dass der Vertrag durch einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten seiner praktischen Wirksamkeit in diesem Bereich beraubt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Reyners, Randnr. 50, Kommission/Griechenland, Randnr. 8, und vom 22. Oktober 2009, Kommission/Portugal, C‑438/08, Slg. 2009, I‑10219, Randnr. 35).

84      Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung stellt Art. 45 Abs. 1 EG eine Ausnahme von der Grundregel der Niederlassungsfreiheit dar. Als solche ist er so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, deren Schutz diese Bestimmung den Mitgliedstaaten erlaubt, unbedingt erforderlich ist (Urteile Kommission/Griechenland, Randnr. 7, Kommission/Spanien, Randnr. 34, vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, C‑451/03, Slg. 2006, I‑2941, Randnr. 45, vom 29. November 2007, Kommission/Österreich, C‑393/05, Slg. 2007, I‑10195, Randnr. 35, und Kommission/Deutschland, C‑404/05, Slg. 2007, I‑10239, Randnrn. 37 und 46, sowie Kommission/Portugal, Randnr. 34).

85      Ferner hat der Gerichtshof wiederholt hervorgehoben, dass die in Art. 45 Abs. 1 EG vorgesehene Ausnahmeregelung auf Tätigkeiten beschränkt werden muss, die als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (Urteile Reyners, Randnr. 45, Thijssen, Randnr. 8, Kommission/Spanien, Randnr. 35, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, Randnr. 46, Kommission/Deutschland, Randnr. 38, und Kommission/Portugal, Randnr. 36).

86      Dabei hat der Gerichtshof ausgeführt, dass von der in Art. 45 Abs. 1 EG vorgesehenen Ausnahmeregelung bestimmte Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten für die Ausübung öffentlicher Gewalt ausgenommen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Thijssen, Randnr. 22, Kommission/Spanien, Randnr. 38, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, Randnr. 47, Kommission/Deutschland, Randnr. 38, und Kommission/Portugal, Randnr. 36) sowie bestimmte Tätigkeiten, deren Ausübung – auch wenn sie Kontakte, die regelmäßig oder organisch in das Verfahren eingebettet sein können, mit Verwaltungsbehörden oder Gerichten oder sogar einen, möglicherweise obligatorischen, Beitrag zur Erfüllung ihrer Aufgaben umfasst – die Beurteilungs- oder Entscheidungsbefugnisse dieser Behörden oder Gerichte unberührt lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil Reyners, Randnrn. 51 und 53), oder auch bestimmte Tätigkeiten, die nicht die Ausübung von Entscheidungsbefugnissen (vgl. in diesem Sinne Urteile Thijssen, Randnrn. 21 und 22, vom 29. November 2007, Kommission/Österreich, Randnrn. 36 und 42, Kommission/Deutschland, Randnrn. 38 und 44, sowie Kommission/Portugal, Randnrn. 36 und 41) oder Zwangsbefugnissen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Kommission/Spanien, Randnr. 37) oder den Einsatz von Zwangsmitteln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. September 2003, Anker u. a., C‑47/02, Slg. 2003, I‑10447, Randnr. 61, sowie Urteil Kommission/Portugal, Randnr. 44) umfassen.

87      Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist zu prüfen, ob die den Notaren in der luxemburgischen Rechtsordnung übertragenen Tätigkeiten unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.

88      Dabei ist die Art der von den Angehörigen dieses Berufs ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Thijssen, Randnr. 9).

89      Das Großherzogtum Luxemburg und die Kommission sind sich darüber einig, dass die Haupttätigkeit der Notare nach der luxemburgischen Rechtsordnung darin besteht, authentische Urkunden in der gesetzlichen Form zu erstellen. Dabei müsse der Notar u. a. prüfen, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erstellung der Urkunde erfüllt seien. Die authentische Urkunde besitze zudem Beweiskraft und sei vollstreckbar.

90      Hierzu ist hervorzuheben, dass nach den luxemburgischen Rechtsvorschriften Akte oder Verträge, denen sich die Parteien freiwillig unterworfen haben, beurkundet werden. Die Parteien entscheiden nämlich, innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen, selbst über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten und können die Bestimmungen, denen sie sich unterwerfen wollen, frei wählen, wenn sie dem Notar einen Akt oder einen Vertrag zur Beurkundung unterbreiten. Dessen Tätigwerden setzt daher voraus, dass zuvor eine Einigung oder Willensübereinstimmung der Parteien zustande gekommen ist.

91      Außerdem darf der Notar den von ihm zu beurkundenden Vertrag nicht ohne vorherige Einholung der Zustimmung der Parteien einseitig ändern.

92      Die Beurkundungstätigkeit der Notare ist somit als solche nicht im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden.

93      Dass bei bestimmten Akten oder Verträgen eine Beurkundung zwingende Voraussetzung ihrer Wirksamkeit ist, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. Es ist nämlich nicht ungewöhnlich, dass die Gültigkeit verschiedener Akte nach den nationalen Rechtsordnungen und unter den vorgesehenen Modalitäten Formerfordernissen oder zwingenden Validierungsverfahren unterliegt. Dieser Umstand reicht daher nicht aus, um die vom Großherzogtum Luxemburg vertretene These zu untermauern.

94      Auch die Pflicht der Notare, vor der Beurkundung eines Akts oder eines Vertrags zu prüfen, ob alle gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für das Zustandekommen dieses Akts oder Vertrags erfüllt sind, und, wenn dies nicht der Fall ist, die Beurkundung zu verweigern, ist nicht geeignet, das vorstehende Ergebnis in Frage zu stellen.

95      Zwar verfolgt der Notar, wie das Großherzogtum Luxemburg hervorhebt, bei dieser Prüfung das im Allgemeininteresse liegende Ziel, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten. Die bloße Verfolgung dieses Ziels kann es jedoch nicht rechtfertigen, die dafür erforderlichen Vorrechte Notaren mit der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats vorzubehalten.

96      Dass in Verfolgung eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels gehandelt wird, genügt für sich genommen nicht, um eine bestimmte Tätigkeit als unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden einzustufen. Es steht nämlich fest, dass die im Rahmen verschiedener reglementierter Berufe ausgeübten Tätigkeiten nach den nationalen Rechtsordnungen häufig die Pflicht der sie ausübenden Personen einschließen, ein solches Ziel zu verfolgen, ohne dass diese Tätigkeiten deshalb mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.

97      Dass mit den notariellen Tätigkeiten im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt werden, die insbesondere dazu dienen, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten, stellt allerdings einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der etwaige Beschränkungen von Art. 43 EG rechtfertigen kann, die sich aus den Besonderheiten der notariellen Tätigkeit ergeben, wie etwa den für die Notare aufgrund der Verfahren zu ihrer Bestellung geltenden Vorgaben, der Beschränkung ihrer Zahl und ihrer örtlichen Zuständigkeit oder auch der Regelung ihrer Bezüge, ihrer Unabhängigkeit, der Unvereinbarkeit von Ämtern und ihrer Unabsetzbarkeit, soweit diese Beschränkungen zur Erreichung der genannten Ziele geeignet und erforderlich sind.

98      Es trifft auch zu, dass der Notar die Beurkundung eines Akts oder eines Vertrags, der nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt, unabhängig vom Willen der Parteien verweigern muss. Nach einer solchen Weigerung steht es den Parteien jedoch frei, die festgestellte Regelwidrigkeit abzustellen, die Bestimmungen des fraglichen Akts oder Vertrags zu ändern oder auf diesen Akt oder Vertrag zu verzichten.

99      Zudem können die Rechtsberatung und der Rechtsbeistand durch den Notar bei der Beurkundung eines Akts oder Vertrags nicht als Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt angesehen werden, selbst wenn der Notar gesetzlich zu einer solchen Beratung oder einem solchen Beistand verpflichtet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Reyners, Randnr. 52).

100    Was die Beweiskraft und die Vollstreckbarkeit notarieller Urkunden anbelangt, so verleihen sie diesen Urkunden unbestreitbar bedeutsame Rechtswirkungen. Dass eine bestimmte Tätigkeit die Erstellung von Urkunden umfasst, die mit solchen Wirkungen ausgestattet sind, reicht jedoch nicht aus, um diese Tätigkeit als im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden einzustufen.

101    Insbesondere in Bezug auf die Beweiskraft einer notariellen Urkunde ist nämlich festzustellen, dass sie Teil der in der fraglichen Rechtsordnung gesetzlich verankerten Beweisregeln ist. So gehört Art. 1319 des Zivilgesetzbuchs, der die Beweiskraft authentischer Urkunden regelt, zu dem mit „Nachweis der Verbindlichkeiten und der Zahlung“ überschriebenen Kapitel VI dieses Gesetzbuchs. Die einer bestimmten Urkunde durch Gesetz verliehene Beweiskraft hat daher keine unmittelbare Auswirkung auf die Frage, ob die mit der Erstellung dieser Urkunde verbundene Tätigkeit als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist, wie es die Rechtsprechung verlangt (vgl. in diesem Sinne Urteile Thijssen, Randnr. 8, und Kommission/Spanien, Randnr. 35).

102    Zudem hat eine privatschriftliche Urkunde, die von demjenigen anerkannt wird, dem gegenüber sie geltend gemacht wird, oder die gesetzlich als anerkannt gilt, gemäß Art. 1322 des Zivilgesetzbuchs unter denjenigen, die sie unterschrieben haben, und unter deren Erben und Rechtsnachfolgern „dieselbe Beweiskraft wie eine authentische Urkunde“.

103    Zur Vollstreckbarkeit der authentischen Urkunde hat das Großherzogtum Luxemburg zutreffend ausgeführt, dass sie die Vollstreckung der in ihr enthaltenen Verpflichtung ermöglicht, ohne dass zuvor das Gericht tätig werden muss.

104    Die Vollstreckbarkeit der authentischen Urkunde verschafft dem Notar aber keine Befugnisse, die mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Zwar verleiht die Anbringung der Vollstreckungsklausel durch den Notar der authentischen Urkunde die Vollstreckbarkeit, doch beruht diese auf dem Willen der Parteien, eine Urkunde zu schaffen oder einen Vertrag zu schließen, nachdem der Notar ihre Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung geprüft hat, und ihnen Vollstreckbarkeit zu verleihen.

105    Ferner ist zu prüfen, ob die übrigen dem Notar in der luxemburgischen Rechtsordnung übertragenen Tätigkeiten, auf die das Großherzogtum Luxemburg Bezug nimmt, mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.

106    Erstens ist zu den Aufgaben, mit denen der Notar im Rahmen von Immobiliarpfändungen betraut ist, festzustellen, dass seine Hauptaufgabe darin besteht, den Verkauf – sofern dieser vom Richter genehmigt wurde – abzuwickeln, indem er die Modalitäten der Veröffentlichung durch Erstellung des Lastenhefts regelt, worin der Tag des Verkaufs angegeben und festgelegt wird, dass der Erlös den Gläubigern zusteht.

107    Hierzu ist zum einen festzustellen, dass der Notar nicht befugt ist, selbst die Pfändung vorzunehmen. Zum anderen ist es das zuständige Gericht, das nach der Entscheidung über etwaige im Antrag enthaltene Angaben und Stellungnahmen sowie über die Gültigkeit der Pfändung den Notar benennt und ihn mit der Durchführung des öffentlichen Verkaufs betraut. Ferner sind Zwischenanträge in Bezug auf ein Vorgehen im Wege der Immobiliarpfändung beim zuständigen Gericht zu stellen. Selbst wenn der Gläubiger – wie Art. 879 der neuen Zivilprozessordnung, auf den das Großherzogtum Luxemburg verweist, vorsieht – in einem beurkundeten Vertrag ermächtigt wird, den Verkauf durch einen Notar vornehmen zu lassen, ohne dass die rechtlichen Förmlichkeiten für die Immobiliarpfändung eingehalten werden, ist der Notar im Übrigen im Fall von Einwänden verpflichtet, alle Maßnahmen auszusetzen und die Parteien auf das Eilverfahren vor dem Präsidenten des Gerichts zu verweisen.

108    Die Aufgaben, mit denen die Notare im Rahmen von Immobiliarpfändungen betraut sind, werden somit unter der Aufsicht des Gerichts wahrgenommen, dem der Notar etwaige Einwände zuleiten muss und das zudem die Letztentscheidungsbefugnis hat. Diese Aufgaben können folglich als solche nicht als unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Thijssen, Randnr. 21, vom 29. November 2007, Kommission/Österreich, Randnrn. 41 und 42, Kommission/Deutschland, Randnrn. 43 und 44, sowie Kommission/Portugal, Randnrn. 37 und 41).

109    Das Gleiche gilt zweitens für die den Notaren durch die Art. 1177 bis 1184 der neuen Zivilprozessordnung übertragenen Befugnisse im Rahmen bestimmter Immobilienverkäufe. Aus diesen Vorschriften geht nämlich hervor, dass die Entscheidung über die Gestattung solcher Verkäufe vom Vormundschaftsgericht getroffen wird.

110    Drittens ist zu den Tätigkeiten der Notare im Bereich der Erstellung des Verzeichnisses von Nachlässen, Gemeinschaften oder Miteigentümergemeinschaften und im Bereich der Anbringung und Entfernung von Siegeln hervorzuheben, dass sie der Genehmigung des Friedensgerichts bedürfen. Im Fall von Schwierigkeiten verweist der Notar die Frage nach Art. 1168 der neuen Zivilprozessordnung an den Präsidenten des erstinstanzlichen Gerichts.

111    Was viertens die Tätigkeiten der Notare im Bereich der gerichtlichen Teilung angeht, ist die Teilungsklage nach Art. 822 des Zivilgesetzbuchs dem Gericht zu unterbreiten. Der Notar wird nur tätig, wenn die Beteiligten vereinbaren, dass die Auflösung vor ihm erfolgen soll. In diesem Fall hat er u. a. die Aufgabe, das Inventar zu erstellen, die allgemeine Masse zusammenzustellen und die Zusammensetzung der Partien festzulegen. Auch dann hat jedoch das Gericht über alle etwaigen Streitigkeiten zu entscheiden. Folglich übt der Notar bei diesen Tätigkeiten keine öffentliche Gewalt aus.

112    In Bezug auf die in den Randnrn. 106 bis 111 des vorliegenden Urteils genannten notariellen Tätigkeiten ist noch hinzuzufügen, dass – wie in Randnr. 86 dieses Urteils ausgeführt – berufliche Tätigkeiten, die einen, sei es auch obligatorischen, Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Gerichte umfassen, deshalb nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (Urteil Reyners, Randnr. 51).

113    Fünftens ist die Tatsache, dass authentische Urkunden, die eine Übertragung von dinglichen Immobiliarrechten enthalten, einer Überschreibung durch das Hypothekenamt unterliegen, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht unmittelbar relevant. Diese Überschreibung, mit der im Übrigen der Hypothekenbewahrer betraut ist, steht im Zusammenhang mit Maßnahmen in Bezug auf die Publizität der genannten Urkunden, und mit ihr ist somit für den Notar keine unmittelbare und spezifische Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden.

114    Sechstens können Aufgaben der Vereinnahmung von Steuern, mit denen der Notar betraut ist, wenn er Registrierungsgebühren entgegennimmt, als solche nicht als unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden angesehen werden. Hierzu ist klarzustellen, dass die Vereinnahmung durch den Notar für Rechnung des Schuldners erfolgt und dass sich ihr die Übergabe entsprechender Beträge an die zuständige staatliche Stelle anschließt, so dass sie sich nicht grundlegend von der Vereinnahmung der Mehrwertsteuer unterscheidet.

115    Zum speziellen Status der Notare nach luxemburgischem Recht genügt der Hinweis, dass nach den Ausführungen in den Randnrn. 85 und 88 des vorliegenden Urteils anhand der Art der fraglichen Tätigkeiten für sich genommen und nicht anhand dieses Status als solchen zu prüfen ist, ob die Tätigkeiten unter die in Art. 45 Abs. 1 EG vorgesehene Ausnahme fallen.

116    Hierzu bedarf es jedoch zweier Erläuterungen. Zum einen steht fest, dass – außer in den Fällen, in denen die Bestimmung des Notars durch das Gericht vorgesehen ist – jede Partei den Notar frei wählen kann, wie sich u. a. aus Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Ausgestaltung des Notariats ergibt. Es trifft zwar zu, dass das Honorar der Notare durch Großherzogliche Verordnung festgelegt wird; gleichwohl kann die Qualität der erbrachten Leistungen von Notar zu Notar u. a. aufgrund der beruflichen Fähigkeiten der Betreffenden schwanken. Folglich üben die Notare, wie der Generalanwalt in Nr. 18 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ihren Beruf unter Wettbewerbsbedingungen aus, was für die Ausübung öffentlicher Gewalt untypisch ist.

117    Zum anderen sind die Notare, wie die Kommission geltend macht, ohne dass das Großherzogtum Luxemburg ihr insoweit widersprochen hätte, ihren Klienten gegenüber unmittelbar und persönlich verantwortlich für alle Schäden, die aus einem Fehlverhalten bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten resultieren.

118    Überdies vermag auch das vom Großherzogtum Luxemburg aus einigen Unions- und Völkerrechtsakten abgeleitete Argument nicht zu überzeugen. Zu den in Randnr. 48 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsakten ist festzustellen, dass der Ausschluss der notariellen Tätigkeiten vom Anwendungsbereich eines Rechtsakts durch den Gesetzgeber nicht bedeutet, dass diese Tätigkeiten zwangsläufig unter die in Art. 45 Abs. 1 EG vorgesehene Ausnahme fallen. Speziell im Fall der Richtlinie 2005/36 geht schon aus dem Wortlaut ihres 41. Erwägungsgrundes, wonach sie „nicht die Anwendung … des Artikels 45 [EG], insbesondere auf Notare“, berührt, hervor, dass der Unionsgesetzgeber gerade nicht zur Anwendbarkeit von Art. 45 Abs. 1 EG auf den Beruf des Notars Stellung genommen hat.

119    Auch die Argumentation, die sich auf die in den Randnrn. 49 und 50 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsakte der Union stützt, greift nicht durch. Die in Randnr. 49 erwähnten Verordnungen betreffen die Anerkennung und Vollstreckung öffentlicher Urkunden, die in einem Mitgliedstaat aufgenommen worden und vollstreckbar sind, und wirken sich folglich nicht auf die Auslegung von Art. 45 Abs. 1 EG aus. Gleiches gilt für die in Randnr. 50 angeführten Rechtsakte der Union, denn sie beschränken sich, wie die Kommission zu Recht geltend macht, darauf, den Notaren und anderen vom Staat festgelegten zuständigen Stellen die Aufgabe zu übertragen, die Vornahme bestimmter Rechtshandlungen und Formalitäten vor der Sitzverlegung, der Errichtung und der Verschmelzung von Gesellschaften zu bescheinigen.

120    Das Großherzogtum Luxemburg kann sich auch nicht auf Art. 1 des am 5. Oktober 1961 in Den Haag geschlossenen Übereinkommens zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation stützen, denn in dieser Bestimmung wird lediglich der Begriff „öffentliche Urkunde“ im Sinne des Übereinkommens definiert.

121    Die in Randnr. 52 des vorliegenden Urteils erwähnten Entschließungen von 1994 und 2006 besitzen keine Rechtswirkungen, da solche Entschließungen ihrem Wesen nach keine verbindlichen Rechtsakte sind. Überdies heißt es darin zwar, dass der Notarberuf unter Art. 45 EG falle, doch hat das Parlament in der erstgenannten Entschließung ausdrücklich seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass Maßnahmen getroffen werden, damit das Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zum Notarberuf gestrichen wird; dieser Standpunkt wurde in der Entschließung von 2006 nochmals implizit bekräftigt.

122    Zu dem vom Großherzogtum Luxemburg aus dem Urteil Colegio de Oficiales de la Marina Mercante Española abgeleiteten Argument ist festzustellen, dass es in der Rechtssache, die Gegenstand dieses Urteils war, um die Auslegung von Art. 39 Abs. 4 EG und nicht von Art. 45 Abs. 1 EG ging. Außerdem geht aus Randnr. 42 des Urteils hervor, dass der Gerichtshof bei der Entscheidung, dass die den Kapitänen und Ersten Offizieren von Schiffen übertragenen Aufgaben eine Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstellen, auf die Gesamtheit ihrer Aufgaben abgestellt hat. Der Gerichtshof hat also nicht allein die den Kapitänen und Ersten Offizieren übertragenen notariellen Befugnisse der Entgegennahme, Aufbewahrung und Weiterleitung von Testamenten gesondert von ihren übrigen Befugnissen, etwa der Zwangsanwendung oder der Verhängung von Sanktionen, geprüft.

123    Zum Urteil Unibank, auf das das Großherzogtum Luxemburg ebenfalls verweist, ist festzustellen, dass die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, nicht die Auslegung von Art. 45 Abs. 1 EG betraf. Außerdem hat der Gerichtshof in Randnr. 15 dieses Urteils entschieden, dass eine Urkunde erst durch die Beteiligung einer Behörde oder einer anderen vom Ursprungsstaat ermächtigten Stelle zu einer öffentlichen Urkunde im Sinne von Art. 50 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) werden kann.

124    Zu dem vom Großherzogtum Luxemburg angesprochenen Erfordernis, den Gebrauch der luxemburgischen Sprache bei der Ausübung der Tätigkeiten des Notars zu gewährleisten, ist festzustellen, dass sich die erste Rüge im vorliegenden Rechtsstreit allein auf die fragliche Staatsangehörigkeitsvoraussetzung bezieht. Zwar stellt der Schutz der nationalen Identität der Mitgliedstaaten ein legitimes Ziel dar, das von der Unionsrechtsordnung geachtet wird – wie dies im Übrigen Art. 4 Abs. 2 EUV anerkennt –, doch kann das vom Großherzogtum geltend gemachte Interesse durch andere Mittel als den allgemeinen Ausschluss der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten sachgerecht gewahrt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg, C‑473/93, Slg. 1996, I‑3207, Randnr. 35).

125    Unter diesen Umständen sind die notariellen Tätigkeiten nach ihrer gegenwärtigen Definition in der luxemburgischen Rechtsordnung nicht im Sinne von Art. 45 Abs. 1 EG mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden.

126    Folglich ist festzustellen, dass das in der luxemburgischen Regelung aufgestellte Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zum Notarberuf eine nach Art. 43 EG verbotene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellt.

127    Nach alledem ist die erste Rüge begründet.

 Zur zweiten Rüge

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

128    Die Kommission wirft dem Großherzogtum Luxemburg vor, die Richtlinie 89/48 in Bezug auf den Notarberuf nicht umgesetzt zu haben. Dieser Beruf dürfe dem Anwendungsbereich der Richtlinie nicht entzogen werden, da die Tätigkeit des Notars nicht unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sei.

129    Die Richtlinie 89/48 gestatte es den Mitgliedstaaten, eine Eignungsprüfung oder einen Anpassungslehrgang vorzusehen, die das erforderliche hohe Qualifikationsniveau der Notare gewährleisten könnten. Außerdem würde die Anwendung dieser Richtlinie nicht die Bestellung von Notaren mittels Auswahlverfahren verhindern, sondern nur den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten Zugang zu diesen Auswahlverfahren verschaffen. Ihre Anwendung hätte auch keine Auswirkungen auf das Verfahren zur Bestellung der Notare.

130    Das Vereinigte Königreich ist zudem der Ansicht, dass die Bezugnahme auf den Notarberuf im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 diesen Beruf nicht insgesamt vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließe.

131    Das Großherzogtum Luxemburg trägt, ohne eine förmliche Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, vor, mit der zweiten Rüge werde eine unterbliebene Umsetzung nicht der Richtlinie 2005/36, sondern der Richtlinie 89/48 geltend gemacht. Letztere sei aber mit Wirkung vom 20. Oktober 2007 durch die Richtlinie 2005/36 aufgehoben worden.

132    In der Sache machen das Großherzogtum Luxemburg, die Republik Ungarn, die Republik Polen und die Slowakische Republik geltend, im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 heiße es ausdrücklich, dass sie „nicht die Anwendung des Artikels 39 Absatz 4 [EG] und des Artikels 45 [EG], insbesondere auf Notare“, berühre. Dieser Vorbehalt bestätige, dass der Notarberuf von Art. 45 Abs. 1 EG erfasst werde, so dass die Richtlinie 2005/36 auf diesen Beruf keine Anwendung finde. Die Republik Litauen weist ferner darauf hin, dass im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 89/48 ein ähnlicher, wenn auch weniger spezifischer Vorbehalt zu finden sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

–       Zur Zulässigkeit

133    Nach ständiger Rechtsprechung ist im Rahmen einer auf Art. 226 EG gestützten Klage das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand des Stands des Unionsrechts am Ende der Frist zu beurteilen, die die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat für ein Handeln gemäß ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt hat (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien, C‑365/97, Slg. 1999, I‑7773, Randnr. 32, vom 5. Oktober 2006, Kommission/Belgien, C‑275/04, Slg. 2006, I‑9883, Randnr. 34, und vom 19. März 2009, Kommission/Deutschland, C‑270/07, Slg. 2009, I‑1983, Randnr. 49).

134    Im vorliegenden Fall lief die genannte Frist am 18. Dezember 2006 ab. Zu diesem Zeitpunkt war aber noch die Richtlinie 89/48 in Kraft, die erst mit Wirkung vom 20. Oktober 2007 durch die Richtlinie 2005/36 aufgehoben wurde. Eine auf die unterbliebene Umsetzung der Richtlinie 89/48 gestützte Klage ist daher nicht gegenstandslos (vgl. entsprechend Urteil vom 11. Juni 2009, Kommission/Frankreich, C‑327/08, Randnr. 23).

135    Der Einwand des Großherzogtums Luxemburg ist daher zurückzuweisen.

–       Zur Begründetheit

136    Die Kommission wirft dem Großherzogtum Luxemburg vor, die Richtlinie 89/48 in Bezug auf den Beruf des Notars nicht umgesetzt zu haben. Folglich ist zu prüfen, ob die Richtlinie für diesen Beruf gilt.

137    Dabei ist ihr normativer Zusammenhang zu berücksichtigen.

138    Hierzu ist festzustellen, dass der Richtliniengeber im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 89/48 ausdrücklich bestimmt hat, dass die durch sie geschaffene allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome „in keiner Weise die Anwendung von … Artikel [45 EG]“ präjudiziert. In diesem Vorbehalt kommt zum Ausdruck, dass der Richtliniengeber die unter Art. 45 Abs. 1 EG fallenden Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbeziehen wollte.

139    Zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 89/48 hatte der Gerichtshof aber noch keine Gelegenheit gehabt, sich zu der Frage zu äußern, ob die Tätigkeiten des Notars unter Art. 45 Abs. 1 EG fallen.

140    Überdies hat das Parlament in den Jahren nach dem Erlass der Richtlinie 89/48 in seinen – in den Randnrn. 52 und 121 des vorliegenden Urteils erwähnten – Entschließungen von 1994 und 2006 zum einen ausgeführt, dass Art. 45 Abs. 1 EG vollständig auf den Beruf des Notars als solchen anwendbar sei, zum anderen aber die Streichung des Staatsangehörigkeitserfordernisses für den Zugang zu diesem Beruf als wünschenswert bezeichnet.

141    Ferner hat der Unionsgesetzgeber beim Erlass der an die Stelle der Richtlinie 89/48 getretenen Richtlinie 2005/36 in deren 41. Erwägungsgrund klargestellt, dass sie die Anwendung des Art. 45 EG, „insbesondere auf Notare“, nicht berührt. Wie in Randnr. 118 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat der Unionsgesetzgeber mit diesem Vorbehalt nicht zur Anwendbarkeit von Art. 45 Abs. 1 EG und damit der Richtlinie 2005/36 auf die Tätigkeiten des Notars Stellung genommen.

142    Dies bestätigt insbesondere die Entstehungsgeschichte der letztgenannten Richtlinie. Das Parlament hatte nämlich in seiner Legislativen Entschließung zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2004, C 97E, S. 230), die in erster Lesung am 11. Februar 2004 festgelegt wurde, vorgeschlagen, im Text der Richtlinie 2005/36 ausdrücklich anzugeben, dass sie nicht für Notare gilt. Zwar wurde dieser Vorschlag weder im geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (KOM[2004] 317 endg.) noch in dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 10/2005 vom 21. Dezember 2004, vom Rat festgelegt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, C 58E, S. 1), übernommen, doch bestand der Grund dafür nicht darin, dass die geplante Richtlinie auf den Beruf des Notars Anwendung finden sollte, sondern vor allem darin, dass Art. 45 Abs. 1 EG „für diejenigen Tätigkeiten Ausnahmen von den Grundsätzen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit vorsieht, die eine unmittelbare und spezifische Beteiligung an der Ausübung öffentlicher Gewalt beinhalten“.

143    Insoweit erscheint es angesichts der besonderen Umstände, die den Rechtsetzungsprozess begleiteten, sowie der daraus nach dem oben wiedergegebenen normativen Zusammenhang resultierenden Ungewissheit nicht möglich, festzustellen, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist eine hinreichend klare Verpflichtung für die Mitgliedstaaten bestand, die Richtlinie 89/48 in Bezug auf den Beruf des Notars umzusetzen.

144    Folglich ist die zweite Rüge zurückzuweisen.

145    Nach alledem ist festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 43 EG verstoßen hat, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat; im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

146    Nach Art. 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage der Kommission nur teilweise stattgegeben wird, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

147    Gemäß Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Tschechische Republik, die Französische Republik, die Republik Lettland, die Republik Litauen, die Republik Ungarn, die Republik Polen, die Slowakische Republik und das Vereinigte Königreich tragen daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Großherzogtum Luxemburg hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 43 EG verstoßen, dass es für den Zugang zum Beruf des Notars eine Staatsangehörigkeitsvoraussetzung aufgestellt hat.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Europäische Kommission, das Großherzogtum Luxemburg, die Tschechische Republik, die Französische Republik, die Republik Lettland, die Republik Litauen, die Republik Ungarn, die Republik Polen, die Slowakische Republik und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.