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Document 62009CJ0237

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 3. Juni 2010.
Belgischer Staat gegen Nathalie De Fruytier.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Belgien.
Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d - Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten - Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch - Befreiung der Beförderung von Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt wird - Begriffe ‚Lieferung von Gegenständen‘ und ‚Dienstleistung‘ - Unterscheidungskriterien.
Rechtssache C-237/09.

European Court Reports 2010 I-04985

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:316

Rechtssache C-237/09

État belge

gegen

Nathalie De Fruytier

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Belgien])

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d – Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten – Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch – Befreiung der Beförderung von Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt wird – Begriffe ‚Lieferung von Gegenständen‘ und ‚Dienstleistung‘ – Unterscheidungskriterien“

Leitsätze des Urteils

Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen nach der Sechsten Richtlinie – Befreiung der Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch

(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d)

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, der „die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ von der Mehrwertsteuer befreit, ist dahin auszulegen, dass er nicht auf Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen anwendbar ist, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt werden.

Wenn diese Tätigkeit nämlich allein darin besteht, dass der Beförderer die betreffenden Gegenstände für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien körperlich von einem Ort zu einem anderen verbringt, kann eine solche Tätigkeit nicht einer „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gleichgestellt werden, da sie die andere Partei nicht ermächtigt, über die in Rede stehenden Gegenstände so zu verfügen, als wäre sie ihr Eigentümer.

(vgl. Randnrn. 25, 29 und Tenor)








URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

3. Juni 2010(*)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d – Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten – Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch – Befreiung der Beförderung von Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt wird – Begriffe ‚Lieferung von Gegenständen‘ und ‚Dienstleistung‘ – Unterscheidungskriterien“

In der Rechtssache C‑237/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Belgien) mit Entscheidung vom 18. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2009, in dem Verfahren

État belge

gegen

Nathalie De Fruytier

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász, J. Malenovský (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau De Fruytier, vertreten durch E. Traversa, avocat,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis, I. Bakopoulos und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Afonso als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Frau De Fruytier gegen den belgischen Staat wegen der Frage, ob die Beförderung von Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien, die die Betroffene als Selbständige durchführt, der Mehrwertsteuer unterliegt.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Nach Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gilt als „Lieferung eines Gegenstands“ die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

4        Nach Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gilt als „Dienstleistung“ jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Art. 5 dieser Richtlinie ist.

5        Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„… [D]ie Mitgliedstaaten [befreien] unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

d)      die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch;

…“

 Nationales Recht

6        Die Art. 10 und 18 des Code de la taxe sur la valeur ajoutée (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: CTVA) setzen die in den Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen für „Lieferung von Gegenständen“ und „Dienstleistungen“ in nationales Recht um.

7        Art. 10 CTVA bestimmt:

„§ 1. Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Dazu gehören u. a. die Fälle, in denen ein Gegenstand dem Erwerber oder Übernehmer in Erfüllung eines Übergabevertrags oder einer Anweisung zur Verfügung gestellt wird.

…“

8        In Art. 18 CTVA heißt es:

„§ 1. Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne dieses Code ist.

...“

9        Art. 44 CTVA, der Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie („Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten“) in nationales Recht umsetzt, bestimmt:

„§ 1. Von der Steuer befreit sind Dienstleistungen, die von den folgenden Personen in Ausübung ihrer gewöhnlichen Tätigkeit erbracht werden:

...

2° Ärzten, Zahnärzten, Krankengymnasten, Hebammen, Krankenpflegern und Krankenschwestern, Betreuern und Betreuerinnen, Krankenwärtern und Krankenwärterinnen, Masseuren und Masseurinnen, deren Behandlungs‑ und Pflegeleistungen in der Nomenklatur der Gesundheitsleistungen der Pflichtversicherung gegen Krankheit und Invalidität aufgeführt sind;

§ 2. Ebenfalls befreit von der Steuer sind:

1° Dienstleistungen und damit eng verbundene Lieferungen von Gegenständen, die Krankenanstalten, psychiatrische Einrichtungen, Kliniken und Ambulatorien in Ausübung ihrer gewöhnlichen Tätigkeit erbringen; die Beförderung von Kranken und Verletzten mit für diese Zwecke speziell ausgestatteten Beförderungsmitteln;

...

1°ter Lieferungen von menschlichen Organen und menschlichem Blut sowie von Muttermilch;

...“

 Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

10      Frau De Fruytier führt als Selbständige Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien durch.

11      Die belgische Steuerverwaltung erhob auf die Tätigkeit von Frau De Fruytier Mehrwertsteuer.

12      Da Frau De Fruytier der Ansicht ist, dass ihre Tätigkeit von der Mehrwertsteuer befreit sei, erhob sie Klage. Das Tribunal de première instance de Namur gab ihr mit Urteil vom 1. Juni 2006 und die Cour d’appel de Liège gab ihr mit Urteil vom 26. Oktober 2007 recht. Beide Gerichte ordneten die entsprechenden Steuerrückzahlungen an.

13      Die Cour d’appel de Liège führte aus, dass die von Frau De Fruytier durchgeführten Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen gemäß Art. 44 § 2 l°ter CTVA aus folgenden Gründen von der Steuer befreit seien.

14      Nach belgischem Recht sei der Handel mit menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen verboten. Daher könne, um die praktische Wirksamkeit von Art. 44 § 2 l°ter CTVA zu wahren, die dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit, die dort im Zusammenhang mit menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch genannt sei, keine Lieferung im Sinne einer „Lieferung von Gegenständen“ sein, wie sie in Art. 10 CTVA definiert sei, weil eine solche „Lieferung“, da gesetzlich verboten, in diesem Fall ausgeschlossen sei. Die „Lieferung“ im Sinne von Art. 44 § 2 l°ter CTVA sei daher als mit der tatsächlichen Auslieferung eines Gegenstands verbunden zu betrachten, der die Beförderungsleistungen von Frau De Fruytier entsprächen.

15      Der belgische Staat legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde ein.

16      Zur Stützung seines Rechtsmittels machte er geltend, der Begriff „Lieferung“ in Art. 44 § 2 l°ter CTVA sei im Sinne von Art. 10 CTVA, also als jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei auf eine andere Partei, zu verstehen, die dann berechtigt sei, wie ein Eigentümer oder als Eigentümer darüber zu verfügen. Deshalb könne die Beförderungstätigkeit von Frau De Fruytier nicht als „Lieferung“ im Sinne von Art. 10 CTVA gelten, sondern müsse als eine Dienstleistung angesehen werden, so dass sie nicht unter die Steuerbefreiung des Art. 44 § 2 l°ter CTVA falle.

17      Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stellen die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführten Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen eine nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreite Lieferung von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch dar?

 Zur Vorlagefrage

18      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie, der „die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ von der Mehrwertsteuer befreit, dahin auszulegen ist, dass er auf Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen Anwendung findet, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt werden.

19      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Sechste Richtlinie den Anwendungsbereich für die Mehrwertsteuer sehr weit fasst und alle wirtschaftlichen Aktivitäten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden in ihn einbezieht. Art. 13 dieser Richtlinie befreit jedoch bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten (Art. 13 Teil A) und andere Tätigkeiten (Art. 13 Teil B) von der Mehrwertsteuer (vgl. Urteile vom 16. Oktober 2008, Canterbury Hockey Club und Canterbury Ladies Hockey Club, C‑253/07, Slg. 2008, I‑7821, Randnr. 15, und vom 28. Januar 2010, Eulitz, C-473/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 24).

20      Weiter sind nach ständiger Rechtsprechung die Begriffe, mit denen die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Lieferung und jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Daher entspricht es nicht dem Sinn dieser Regel einer engen Auslegung, wenn die zur Umschreibung der in Art. 13 genannten Befreiungen verwendeten Begriffe so ausgelegt werden, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen (vgl. Urteile vom 14. Juni 2007, Horizon College, C‑434/05, Slg. 2007, I‑4793, Randnr. 16, Haderer, C‑445/05, Slg. 2007, I‑4841, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed, C‑461/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie genannten Steuerbefreiungen autonome unionsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen (vgl. insbesondere Urteile vom 25. Februar 1999, CPP, C‑349/96, Slg. 1999, I‑973, Randnr. 15, Horizon College, Randnr. 15, und vom 22. Oktober 2009, Swiss Re Germany Holding, C‑242/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 33). Daher müssen Begriffe einer Vorschrift der Sechsten Richtlinie, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. November 2003, Zita Modes, C-497/01, Slg. 2003, I‑14393, Randnr. 34, und vom 21. April 2005, HE, C‑25/03, Slg. 2005, I‑3123, Randnr. 63).

22      Nach alledem muss der Begriff „Lieferung eines Gegenstands“, auf den sich Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie über die „Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ bezieht, eine dem Unionsrecht eigene autonome und einheitliche Auslegung erhalten.

23      Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie „[a]ls Lieferung eines Gegenstands … die Übertragung der Befähigung [gilt], wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“ (vgl. Urteil vom 29. März 2007, Aktiebolaget NN, C‑111/05, Slg. 2007, I‑2697, Randnr. 31). Ferner ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Begriff „Dienstleistungen“ jede Leistung erfasst, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Art. 5 dieser Richtlinie ist (vgl. Urteil vom 11. Februar 2010, Graphic Procédé, C‑88/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 17).

24      Ferner bezieht sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Begriff „Lieferung eines Gegenstands“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen, sondern erfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Februar 1990, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, C‑320/88, Slg. 1990, I‑285, Randnrn. 7 und 8, vom 4. Oktober 1995, Armbrecht, C‑291/92, Slg. 1995, I‑2775, Randnrn. 13 und 14, vom 6. Februar 2003, Auto Lease Holland, C‑185/01, Slg. 2003, I‑1317, Randnrn. 32 und 33, sowie Aktiebolaget NN, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Wenn die Beförderung von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende allein darin besteht, dass der Beförderer die betreffenden Gegenstände für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien körperlich von einem Ort zu einem anderen verbringt, kann eine solche Tätigkeit nicht einer „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gleichgestellt werden, da sie die andere Partei nicht ermächtigt, über die in Rede stehenden Gegenstände so zu verfügen, als wäre sie ihr Eigentümer.

26      Infolgedessen kann eine solche Tätigkeit nicht in den Genuss der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung der „Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ von der Mehrwertsteuer kommen.

27      Auch wenn nach der Vorlageentscheidung menschliche Organe und dem menschlichen Körper entnommene Substanzen in Belgien nicht verkehrsfähig sind und selbst wenn das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über die Menschenrechte und Biomedizin, geschlossen in Oviedo am 4. April 1997, in Art. 21 (Verbot finanziellen Gewinns) bestimmt, dass der menschliche Körper und Teile davon als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden dürfen, können diese Umstände für sich genommen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie nicht jede praktische Wirksamkeit nehmen. Denn dieses Übereinkommen, das nach seinem Art. 33 Abs. 1 u. a. für die Mitgliedstaaten des Europarats und die der Europäischen Union zur Unterzeichnung aufliegt, ist von der Union nicht unterzeichnet worden. Im Übrigen hat gegenwärtig nur eine leichte Mehrheit der Mitgliedstaaten dieses Übereinkommen ratifiziert.

28      Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass in anderen Mitgliedstaaten als Belgien solche Umsätze, insbesondere solche, die Frauenmilch betreffen, erlaubt sind und daher nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit werden können.

29      Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie, der „die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ von der Mehrwertsteuer befreit, dahin auszulegen ist, dass er nicht auf Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen anwendbar ist, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt werden.

 Kosten

30      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, der „die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ von der Mehrwertsteuer befreit, ist dahin auszulegen, dass er nicht auf Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen anwendbar ist, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt werden.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.

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