SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 7. November 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑604/12

H. N.

gegen

Minister for Justice, Equality and Law Reform

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Irland])

„Gemeinsames Europäisches Asylsystem — Richtlinie 2004/83/EG — Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus — Richtlinie 2005/85/EG — Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft — Nationale Verfahrensregel, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig macht — Zulässigkeit — Achtung des Rechts auf eine gute Verwaltung — Zügigkeit und Unparteilichkeit des Prüfungsverfahrens“

1. 

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft erneut die Frage der Ausgestaltung des Verfahrens für die Gewährung internationalen Schutzes in Irland und setzt die Linie der Urteile M. ( 2 ) sowie D. und A. ( 3 ) fort.

2. 

Insbesondere möchte der Supreme Court (Irland) wissen, ob eine nationale Verfahrensregel, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig macht, den Anforderungen der Richtlinie 2004/83/EG ( 4 ) und insbesondere dem in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ( 5 ) verankerten Grundsatz einer guten Verwaltung entspricht.

3. 

Der subsidiäre Schutz ist ein internationaler Schutz, der sich gemäß Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 an Drittstaatsangehörige richtet, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtlinge nicht erfüllen, aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringen, dass sie bei ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich Gefahr laufen würden, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

4. 

Im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems ergänzt der subsidiäre Schutz die Regeln des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ( 6 ). Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat ein einheitliches Verfahren erlassen, in dessen Verlauf sie den Asylantrag des Betroffenen im Licht beider Formen des internationalen Schutzes prüfen. Irland hat ein aufgegliedertes System behalten, indem es zwei getrennte Verfahren eingerichtet hat. So kann ein Antrag auf subsidiären Schutz in Irland erst ab dem Zeitpunkt eingereicht werden, zu dem das Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschöpft ist und der Minister for Justice, Equality and Law Reform dem Betroffenen seine Absicht mitgeteilt hat, eine Abschiebungsverfügung gegen ihn zu erlassen. Im Rahmen dieses Systems – wie im Rahmen jedes anderen anderswo geltenden Systems – hat eine Einzelperson nicht die Möglichkeit, einen selbständigen Antrag allein auf Gewährung des subsidiären Schutzes einzureichen.

5. 

In Anwendung dieser Rechtsvorschriften hat der Minister for Justice, Equality and Law Reform den von Herrn N. eingereichten Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt.

6. 

Herr N. ist ein pakistanischer Staatsangehöriger, der seit dem Jahr 2003 in Irland wohnt. Er hatte zunächst ein Studentenvisum, bevor er aufgrund seiner Heirat mit einer irischen Staatsangehörigen eine Aufenthaltsberechtigung erhielt, die bis zum 31. Dezember 2005 gültig war. Am 23. Februar 2006 gab der Minister for Justice, Equality and Law Reform Herrn N. seine Absicht bekannt, eine Abschiebungsverfügung zu erlassen, mit der Begründung, dass seine Aufenthaltsberechtigung nicht verlängert worden sei, da er von seiner Frau getrennt sei. Er blieb jedoch als Student im irischen Hoheitsgebiet und erwarb 2007 ein Diplom in Wirtschaftswissenschaften. Außerdem erhob er eine Klage gegen den Minister for Justice, Equality and Law Reform und den irischen Staat, in der er geltend machte, dass die Rechtsvorschriften betreffend die Abschiebungsverfügung teilweise verfassungswidrig seien.

7. 

Herr N. hat in Irland nie einen Asylantrag gestellt. Er erklärt, er befürchte nicht, wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner politischen Überzeugungen oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe verfolgt zu werden, und folglich sei er kein Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83. Dennoch bestehe die Gefahr, dass er, sollte er nach Pakistan zurückgeschickt werden, u. a. wegen der blinden Gewalt, die im Swat-Tal herrsche, wo seine Familie lebe, einen ernsthaften Schaden erleide.

8. 

Folglich reichte Herr N. am 16. Juni 2009 einen Antrag auf subsidiären Schutz ein. Der Minister for Justice, Equality and Law Reform lehnte diesen mit der Begründung ab, er habe zuvor keinen Antrag auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt. Nachdem die Anfechtungsklage, die er gegen diese Entscheidung beim High Court (Irland) erhoben hatte, abgewiesen worden war, erhob Herr N. Kassationsbeschwerde beim Supreme Court.

9. 

Da diese nationale Verfahrensvorschrift Zweifel hinsichtlich der Effizienz, der Unparteilichkeit und der Dauer des Verfahrens aufwirft, hat der Supreme Court beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Gestattet es die Richtlinie 2004/83 des Rates, ausgelegt im Licht des Grundsatzes der guten Verwaltung im Recht der Europäischen Union und insbesondere gemäß Art. 41 der Charta, einem Mitgliedstaat, in seinem Recht vorzusehen, dass ein Antrag auf subsidiären Schutzstatus nur geprüft werden kann, wenn der Antragsteller im Einklang mit dem nationalen Recht einen abschlägig beschiedenen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt hat?

10. 

Mit anderen Worten, zwingt die Beachtung des Rechts auf eine gute Verwaltung einen Mitgliedstaat, im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2004/83 ein selbständiges Verfahren zur Erlangung des subsidiären Schutzstatus einzuführen?

11. 

Zwar ist die Frage des vorlegenden Gerichts an den Gerichtshof auf die Vereinbarkeit der irischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht gerichtet, tatsächlich betrifft sie jedoch eine Verfahrensregel, die wir in allen Mitgliedstaaten antreffen. Unabhängig von der Struktur des Prüfungsverfahrens – ob es sich um eine zentrale Anlaufstelle oder um ein Verfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende handelt – prüft die zuständige nationale Behörde nämlich stets, ob der Betroffene ein Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat, bevor sie untersucht, ob ihm ein subsidiärer Schutz gewährt werden kann. In diesem Sinne unterscheidet sich das irische Verfahren nicht sehr von den in den anderen Mitgliedstaaten bestehenden Verfahren. Außerdem sieht gegenwärtig keines der Systeme die Einführung eines selbständigen Verfahrens für die Gewährung des subsidiären Schutzes vor.

12. 

In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Gründe darlegen, warum ich der Ansicht bin, dass im Rahmen des Verfahrens der Prüfung eines Asylantrags der Grundsatz der guten Verwaltung vor allem eine korrekte Feststellung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz gewährleisten muss, wofür eine umfassende Beurteilung des Antrags im Licht beider Formen des internationalen Schutzes notwendig ist. Ich werde folglich erklären, warum ich überzeugt bin, dass die in Rede stehende Verfahrensregel dadurch, dass sie eine vorherige Prüfung des Antrags unter dem Gesichtspunkt der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fordert, demjenigen, der legitimerweise einen internationalen Schutz sucht, die Gewährung eines angemessenen Status und einen effektiven Zugang zu den Rechten, die ihm die Richtlinie 2004/83 verleiht, gewährleisten kann, und dies auf der Grundlage einer Prüfung, die dem Geist und dem Wortlaut der Vorschriften entspricht, die für das gemeinsame europäische Asylverfahren bestimmend sind.

I – Irisches Recht

13.

In Irland ist das Verfahren der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz durch eine Vielzahl von Verfahrensabschnitten gekennzeichnet.

14.

Die Verfahrensregeln betreffend Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind im Refugee Act 1996 (Flüchtlingsgesetz von 1996) ( 7 ) festgelegt.

15.

Der Asylantrag wird gemäß Section 8 des Refugee Act beim Refugee Applications Commissioner gestellt. Nach Section 11 des Refugee Act ist dieser Mitarbeiter des Office of the Refugee Applications Commissioner für die Anhörung des Antragstellers, die Durchführung der Ermittlungen und die Einholung der erforderlichen Auskünfte zuständig. Er fertigt danach einen Bericht, in dem er eine Empfehlung ausspricht, ob dem betreffenden Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist oder nicht, und sendet diesen Bericht an den Minister for Justice, Equality and Law Reform ( 8 ).

16.

Ist die Empfehlung des Refugee Applications Commissioner positiv, muss der Minister for Justice, Equality and Law Reform nach Section 17(1) des Refugee Act dem betreffenden Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen. Geht die Empfehlung dahin, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen, kann dieser nach Section 16 des Refugee Act gegen die Empfehlung beim Refugee Appeals Tribunal (Irland) ein Rechtsmittel einlegen. Falls das Tribunal dem Antragsteller Recht gibt und der Auffassung ist, dass eine positive Empfehlung auszusprechen ist, muss der Minister for Justice, Equality and Law Reform nach Section 17(1) des genannten Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen. Wenn jedoch das Refugee Appeals Tribunal die negative Empfehlung des Refugee Applications Commissioner bestätigt, liegt es im Ermessen des Ministers, ob er die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt oder nicht.

17.

Nach Section 5 des Illegal Immigrants (Trafficking) Act 2000 können die Asylbewerber die Gültigkeit der Empfehlungen des Refugee Applications Commissioner und die Entscheidungen des Refugee Appeals Tribunal vor dem High Court vorbehaltlich der für Asylverfahren geltenden besonderen Bestimmungen anfechten. Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des High Court zum Supreme Court ist nach der genannten Vorschrift nur zulässig, wenn der High Court das Rechtsmittel in einem Urteil zulässt („certificate of leave to appeal“).

18.

Wenn der Asylantrag endgültig abgelehnt wird, kann der Minister for Justice, Equality and Law Reform dem Betroffenen seine Absicht mitteilen, eine Abschiebungsverfügung („proposal to deport“) nach Section 3(3) des Immigration Act 1999 zu erlassen.

19.

In diesem Verfahrensstadium finden die Vorschriften über das Verfahren für die Anträge auf subsidiären Schutz Anwendung. Diese befinden sich in den European Communities (Eligibility for Protection) Regulations 2006 (Verordnung von 2006 betreffend die Europäischen Gemeinschaften [Voraussetzungen für die Gewährung von Schutz]), die vom Minister for Justice, Equality and Law Reform am 9. Oktober 2006 erlassen wurden und u. a. die Umsetzung der Richtlinie 2004/83 zum Gegenstand haben ( 9 ).

20.

Gemäß Section 4(1) der Regulations 2006 wird der Mitteilung des Minister for Justice, Equality and Law Reform ein Schreiben beigefügt, das den Betroffenen darüber informiert, dass er den subsidiären Schutzstatus und eine befristete Erlaubnis, im Hoheitsgebiet zu verbleiben („application for leave to remain“), beantragen könne. Hierzu werden dem Schreiben ein Informationsblatt über den subsidiären Schutz sowie das Formular für die Antragstellung beigefügt. Der Antragsteller wird aufgefordert, neben den persönlichen Daten alle zusätzlichen Unterlagen einzureichen und detailliert die Gründe aufzuführen, die sich speziell auf die Umstände beziehen, auf die er sich zur Stützung seines Antrags auf subsidiären Schutz beruft, und dabei insbesondere den ernsthaften Schaden näher zu bestimmen, dem er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt sein könnte.

21.

Der Minister for Justice, Equality and Law Reform entscheidet über den Antrag auf subsidiären Schutz durch mit Gründen versehene Entscheidung. Gegen diese kann Anfechtungsklage erhoben werden.

22.

Gemäß Section 4(2) der Regulations 2006 ist der Minister for Justice, Equality and Law Reform nicht verpflichtet, den Antrag auf subsidiären Schutz zu prüfen, wenn dieser von einer Person gestellt wird, deren Asylantrag nicht abgelehnt worden ist. In seinem Urteil vom 9. Juli 2010, Izevbeckhai and Others/Minister for Justice, Equality and Law Reform ( 10 ) stellte der Supreme Court fest, dass der Minister for Justice, Equality and Law Reform gemäß dieser Vorschrift nur Anträge auf subsidiären Schutz von Personen prüfen könne, deren Asylantrag zuvor abgelehnt worden sei.

II – Würdigung

23.

Ich erinnere daran, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob eine nationale Verfahrensregel, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig macht, den Anforderungen der Richtlinie 2004/83 und insbesondere dem in Art. 41 der Charta verankerten Grundsatz der guten Verwaltung entspricht.

24.

Nach meiner Auffassung ist diese Frage eindeutig zu bejahen.

A – Vorbemerkungen

25.

Vor der Prüfung der Frage möchte ich zwei Bemerkungen machen.

26.

Erstens sind für die Frage, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof stellt, noch andere Rechtsnormen zu berücksichtigen als diejenigen, die der Supreme Court in seiner Vorlageentscheidung ausdrücklich genannt hat ( 11 ). Zwar richtet dieser seine Frage nach den Rechten aus, die dem Asylbewerber in der Richtlinie 2004/83 und in Art. 41 der Charta eingeräumt werden, doch müssen meines Erachtens auch die in der Richtlinie 2005/85/EG ( 12 ) enthaltenen Vorschriften über das Verfahren der Gewährung eines internationalen Schutzes erwähnt werden.

27.

Die Richtlinie 2004/83 beabsichtigt ihrem Inhalt und ihrem Ziel nach nämlich nicht, die für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz geltenden Verfahrensregeln festzulegen, und demnach auch nicht die Verfahrensgarantien, die dem Asylbewerber danach gewährt werden müssen ( 13 ). Diese Richtlinie dient nur dazu, allen Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen, die Drittstaatsangehörige erfüllen müssen, um internationalen Schutz erhalten zu können ( 14 ), sowie den materiellen Inhalt dieses Schutzes festzulegen ( 15 ). In diesem Rahmen bestimmt die Richtlinie 2004/83 in Art. 2 Buchst. c und e die Personen, für die die Flüchtlingseigenschaft anerkannt und der subsidiäre Schutzstatus gewährt werden kann, sowie in ihrem Kapitel VII die mit diesem Status jeweils verbundenen Rechte.

28.

Die Verfahrensregeln betreffend die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz sind in der Richtlinie 2005/85 festgelegt. Gemäß Art. 1 dieser Richtlinie soll sie Mindestnormen für die Verfahren der Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft festlegen, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, und sie bestimmt in ihren Kapiteln II und III die Verfahrensrechte und ‑pflichten, die für den Antragsteller und den Mitgliedstaat in Bezug auf die Beurteilung eines Antrags auf internationalen Schutz vorgeschrieben sind.

29.

Somit werde ich die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Vorschrift mit dem Unionsrecht nicht nur im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der Richtlinie 2004/83, sondern auch unter Beachtung der Vorschriften, die im Rahmen der Richtlinie 2005/85 vorgesehen sind, würdigen.

30.

Zweitens muss bei der Frage des vorlegenden Gerichts die Verfahrensautonomie, über die Irland hinsichtlich der Ausgestaltung der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz verfügt, beachtet werden. Es ist nämlich festzustellen, dass die Europäische Union nach dem Stand des für den vorliegenden Rechtsstreits geltenden Rechts die Verfahrensmodalitäten in Bezug auf die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz nicht regelt, wenn diese Prüfung in einem von dem Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft getrennten Verfahren erfolgt.

31.

Die Richtlinie 2005/85 zielt wie die Richtlinie 2004/83 darauf ab, die Mindestvorschriften zu harmonisieren. Folglich räumt sie den Mitgliedstaaten ein Ermessen bei der Durchführung ihrer Vorschriften und insbesondere bei der Ausgestaltung der Behandlung der Asylanträge ein ( 16 ). Außerdem ist sie gemäß ihrem Art. 3 nur anwendbar, wenn der Mitgliedstaat einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüft oder wenn er ein einheitliches Verfahren eingeführt hat, in dem er einen Antrag im Licht beider Formen des internationalen Schutzes prüft, nämlich dem, der die Flüchtlingseigenschaft und dem, der den subsidiären Schutz betrifft.

32.

Die Richtlinie 2005/85 lässt den Mitgliedstaaten somit völlig freie Hand, das Verfahren der Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz auszugestalten, wenn diese die Prüfung dieses Antrags in einem von dem Verfahren für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft getrennten Verfahren gewählt haben, wie es in Irland der Fall ist.

33.

Diese Verweisung auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird jedoch seit jeher dadurch nuanciert, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden müssen ( 17 ) und die Beachtung der Grundrechte zu gewährleisteten ist.

34.

Der Äquivalenzgrundsatz erfordert, dass die Verfahrensregeln, die in diesem Rahmen von den Mitgliedstaaten erlassen werden, nicht weniger günstig sind als diejenigen, die für eine vergleichbare Handlung auf der Grundlage des nationalen Rechts vorgesehen sind. Im vorliegenden Fall stellt sich diese Frage nicht.

35.

Was den Grundsatz der Effektivität betrifft, so erfordert dieser, dass diese Verfahrensmodalitäten die Ausübung der dem Betroffenen vom Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Im vorliegenden Fall ist deshalb zu untersuchen, ob die in Rede stehende Verfahrensregel einen effektiven Zugang der einen internationalen Schutz beantragenden Personen zu den Rechten, die ihnen die Richtlinie 2004/83 verleiht, gewährleistet.

36.

Im Übrigen haben die Mitgliedstaaten beim Erlass von Entscheidungen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, die Beachtung der Grundrechte und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu gewährleisten. Dies ist der Fall bei Entscheidungen in Bezug auf die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz ( 18 ). Es bestehen deshalb keine Zweifel, dass die irischen Behörden die Beachtung des Rechts der Betroffenen auf eine gute Verwaltung sicherstellen müssen, nicht nur, weil dieses Recht einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt ( 19 ), sondern auch, weil es sich um ein in Art. 41 der Charta verankertes Grundrecht handelt. Obwohl sich der Wortlaut von Art. 41 Abs. 1 der Charta auf die Beziehungen der Rechtssuchenden zu den „Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“ ( 20 ) bezieht, ist das Recht auf eine gute Verwaltung gleichermaßen für die Mitgliedstaaten verbindlich, wenn Letztere das Unionsrecht durchführen ( 21 ).

37.

Auf der Grundlage dieser Punkte werde ich jetzt prüfen, ob die in Rede stehende Verfahrensregel mit den Anforderungen der Richtlinie 2004/83 vereinbar ist, indem sie die Grundsätze der Effektivität und der guten Verwaltung erfüllt.

B – Zur Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes

38.

Meines Erachtens garantieren die in Rede stehenden Rechtsvorschriften dem Asylbewerber einen effektiven Zugang zu den Rechten, die ihm die Richtlinie 2004/83 verleiht, auf der Basis einer Prüfung, die mit dem Sinn und dem Wortlaut der Rechtsvorschriften, die für das gemeinsame europäische Asylverfahren bestimmend sind, vereinbar ist.

39.

Zunächst einmal stellt diese Regel dadurch, dass sie eine vorherige Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz anhand der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fordert, die Beachtung von Art. 78 AEUV in vollem Umfang sicher.

40.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinien 2004/83 und 2005/85 auf der Grundlage von Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 EG (jetzt Art. 78 AEUV) verabschiedet wurden, nach dem der Rat der Europäischen Union beauftragt war, Maßnahmen bezüglich Asyl gestützt auf eine „uneingeschränkte und allumfassende Anwendung des Genfer Abkommens“ ( 22 ) zu treffen. Diese beiden Richtlinien tragen damit zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems bei, das gemäß dem neuen Art. 78 Abs. 1 AEUV mit diesem Abkommen im Einklang stehen muss.

41.

Dieses Abkommen stellt einen völkerrechtlichen Vertrag dar, der als solcher für alle Vertragsparteien, zu denen die Mitgliedstaaten der Union gehören, bindend ist. Wie der Unionsgesetzgeber im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 anerkennt, stellt es die Grundlage oder vielmehr einen „wesentlichen Bestandteil“ des internationalen Flüchtlingsrechts dar, wobei es den Begriff des Flüchtlings als solchen sowie die Rechte und Pflichten, die an diese Eigenschaft geknüpft sind, definiert. In Ergänzung der Regeln, die im Rahmen der Genfer Konvention erlassen wurden, führte der Unionsgesetzgeber andere Formen eines internationalen Schutzes ein, darunter auch den subsidiären Schutz. So bestimmt Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b AEUV, dass das Europäische Parlament und der Rat die Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem erlassen, das nicht nur „einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus für Drittstaatsangehörige“ umfasst, sondern auch „einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige, die keinen europäischen Asylstatus erhalten, aber internationalen Schutz benötigen ( 23 ).

42.

Die Verwendung des Begriffs „subsidiär“ sowie der Wortlaut von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 enthalten somit den eindeutigen Hinweis, dass der Status, den der subsidiäre Schutz verleiht, sich an Drittstaatsangehörige richtet, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllen ( 24 ). In Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 heißt es im Übrigen weiter, dass jedes Ersuchen um internationalen Schutz, das auf der Grundlage der Richtlinie 2004/83 gestellt wird, als Asylantrag im Sinne der Genfer Konvention betrachtet wird.

43.

Somit ist es nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers, durch die Einführung einer subsidiären Form des Schutzes in das gemeinsame europäische Asylsystem, eine Wahlmöglichkeit zwischen der einen oder der anderen Form des internationalen Schutzes anzubieten. Sein Ziel ist es, die „Vorrangstellung“ der Genfer Konvention zu gewährleisten, indem er sicherstellt, dass die in der Union errichteten subsidiären Schutzformen nicht die grundlegende Bedeutung dieser Konvention schwächen. Ein solcher Zweck kommt in den Vorarbeiten zur Richtlinie 2004/83 klar zum Ausdruck. Die Europäische Kommission hat in ihrem Richtlinienvorschlag ( 25 ) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „… im Normalfall erst dann zu prüfen [ist], ob ein Antragsteller für die Gewährung subsidiären Schutzes in Frage kommt, wenn ihm der Flüchtlingsstatus nachweislich nicht verliehen werden kann“ ( 26 ), wobei sie sich auf die Notwendigkeit, die „uneingeschränkte … und allumfassende … Anwendung der Genfer Konvention“ ( 27 ) zu gewährleisten, und auf die Notwendigkeit, das im Rahmen dieser Konvention bestehende System nicht zu untergraben, stützt.

44.

Grundsätzlich ist somit der Schutz, den die Flüchtlingseigenschaft bietet, zuerst zu prüfen, denn der Unionsgesetzgeber hat in Ergänzung der im Rahmen dieser Konvention aufgestellten Regeln weitere Formen des internationalen Schutzes eingeführt, die als „subsidiär“, „komplementär“ oder auch „vorübergehend“ bezeichnet werden ( 28 ).

45.

Eine solche Auslegung ist auch dann geboten, wenn der Antragsteller offensichtlich nicht als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 angesehen werden kann, was Herr N. in der vorliegenden Rechtssache geltend macht. In einem solchen Fall sieht Art. 23 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 nämlich ausdrücklich vor, dass der Mitgliedstaat die Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschleunigen kann, aber in keinem Fall befreit ihn der Unionsgesetzgeber von dieser vorherigen Prüfung ( 29 ), und zwar zu Recht. Nur diese Prüfung ermöglicht es, dem Betroffenen einen „angemessenen Status“ gemäß Art. 78 Abs. 1 AEUV zu gewähren. Hierdurch kann nämlich jeder Mitgliedstaat eine erschöpfende Prüfung des Antrags vornehmen, um das Bedürfnis des Betroffenen nach internationalem Schutz korrekt zu ermitteln. Dies erfordert, dass sich die nationale Asylbehörde vor der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz vergewissern kann, dass die Bedrohung, der sich der Betroffene ausgesetzt sieht, nicht zur „Verfolgung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 zählt und keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft notwendig macht.

46.

Insoweit darf man nicht vergessen, dass die Flüchtlingseigenschaft unter dem Einfluss der Richtlinie 2004/83 mehr Rechte und umfangreichere wirtschaftliche und soziale Vorteile bietet als bei einem subsidiären Schutzstatus ( 30 ). Somit ermöglicht diese vorherige Beurteilung auch, dem Betroffenen das Maximum an Rechten zu garantieren. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil M. bemerkt hat, ist die Natur der Rechte, die mit dem Status als Flüchtling, und derjenigen, die mit dem subsidiären Schutzstatus verbunden sind, unterschiedlich ( 31 ). In Kapitel VII („Inhalt des internationalen Schutzes“) der Richtlinie 2004/83 wird danach differenziert, ob die betroffene Person Flüchtling oder eine Person mit subsidiärem Schutzstatus ist ( 32 ). Gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus erlaubt sie den Mitgliedstaaten, restriktivere Voraussetzungen hinsichtlich der Erteilung von Aufenthaltstiteln oder der Ausstellung von Reisedokumenten festzulegen ( 33 ). So müssen die Mitgliedstaaten den Flüchtlingen zwar eine Aufenthaltsberechtigung von mindestens drei Jahren gewähren, doch können sie den Zeitraum dieser Berechtigung auf ein Jahr begrenzen, wenn sie einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird. Diese Richtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten auch, den Zugang zu bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Rechten wie den Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Sozialhilfeleistungen zu begrenzen ( 34 ). So müssen die Mitgliedstaaten zwar den Personen mit internationalem Schutzstatus die gleiche notwendige soziale Unterstützung gewähren, wie sie für nationale Staatsangehörige vorgesehen ist, sie können diese Unterstützung jedoch für Personen mit subsidiärem Schutzstatus auf die Grundleistungen begrenzen.

47.

Es ist festzustellen, dass es im Interesse jedes Asylbewerbers ist, dass sein Antrag an den Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geprüft wird. Ich verstehe deshalb die Gründe für das Vorgehen von Herrn N. in dieser Rechtssache nicht.

48.

Insoweit ist es meines Erachtens nicht Sache des Asylbewerbers, den für seine Situation angemessenen Status zu bestimmen. Dies fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Asylbehörde, die auf der Grundlage der bei dem Betroffenen und bei ihren Dienststellen eingeholten Informationen den Antrag gemäß den im Rahmen der Richtlinien 2004/83 und 2005/85 festgelegten Regeln untersucht.

49.

Man darf nicht vergessen, dass die erwartete Entscheidung für denjenigen, der rechtmäßig einen internationalen Schutz sucht, von existenzieller Bedeutung ist. Man darf auch nicht aus den Augen verlieren, dass dieser sich in einer menschlich und materiell äußerst schwierigen Situation befindet und dass das Verfahren, das er bei den staatlichen Behörden einleitet, die Wahrung seiner grundlegendsten Rechte gewährleisten muss. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass der Betroffene immer in der Lage ist, zu ermitteln, ob die Situation, in der er sich befindet, sich auf die Kriterien für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bezieht oder eher die Voraussetzungen erfüllt, die für die Gewährung subsidiären Schutzes festgelegt worden sind. Die Ziehung der Trennlinie zwischen den beiden Formen internationalen Schutzes kann äußerst heikel sein, insbesondere in Situationen, die durch blinde Gewalt gegenüber bestimmten Gruppen gekennzeichnet sind, was von den nationalen Asylbehörden praktisch stets die Vornahme einer detaillierten und gründlichen Prüfung der von dem Antragsteller vorgelegten Erklärungen und Beweise verlangt. Man muss ferner die psychologische Not berücksichtigen, in der sich der Asylbewerber befinden kann, und die für ihn z. B. wegen seiner Sprache bestehenden Schwierigkeiten, nicht nur die Verfahrensregeln zu verstehen, sondern auch die ihm zustehenden Rechte und Pflichten zu kennen. In diesem Zusammenhang gibt es viele, denen rechtlicher Beistand nicht zu Gebote steht. Deshalb können wir nicht riskieren, dass ein Einzelner auf der Suche nach einer Zuflucht es unterlässt, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen, obwohl er dazu berechtigt wäre.

50.

Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass diese vorherige Beurteilung ermöglicht, das Verfahren auf Gewährung eines internationalen Schutzes vollständig auszuschöpfen, wodurch sichergestellt wird, dass kein weiterer Antrag in der Union eingereicht wird und die Sekundärmigration von Asylbewerbern im Hoheitsgebiet der Union – ein Phänomen, das als „Asyl-Shopping“ ( 35 ) bekannt ist – begrenzt wird.

51.

Nach alledem ist es schwierig für mich, die Auffassung, die Herr N. und die Kommission in ihren Erklärungen vertreten, zu teilen. Sie sind nämlich der Ansicht, Irland müsse unter Berücksichtigung der geltenden Vorschriften ein selbständiges Verfahren zur Erlangung des subsidiären Schutzstatus einführen.

52.

Nach alledem könnte eine solche Auslegung der Rechtsvorschriften meines Erachtens den Geist, der dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegt, und insbesondere den Zweck und den Wortlaut von Art. 78 AEUV sowie der Richtlinien 2004/83 und 2005/85 missachten.

53.

Zunächst könnte sie den Vorrang der Genfer Konvention beeinträchtigen, da die subsidiären Schutzformen schließlich die grundlegende Bedeutung dieses Abkommens schwächen könnten. Weiter könnte sie die vom Unionsgesetzgeber angestrebte Harmonisierung der Regeln des Asylrechts ( 36 ) beeinträchtigen und so der Sekundärmigration von Asylbewerbern, die von der Union bekämpft wird, fördern. Wie nämlich die deutsche Regierung in ihren Erklärungen ausführt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Asylbewerber den subsidiären Schutz in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der für das Asylverfahren zuständig ist, beantragt und somit derselbe Sachverhalt unter zwei verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten parallel in zwei Mitgliedstaaten geprüft wird.

54.

Außerdem – und dies ist sicher das stärkste Argument – könnte die Einführung eines eigenständigen Verfahrens nicht die umfassende Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz gewährleisten, die jedoch Garantin der dem Asylbewerber im Rahmen der Richtlinie 2004/83 gewährten Rechte ist. Wir würden mit anderen Worten riskieren, dem Grundrechtsschutz der am stärksten Schutzbedürftigen einen schweren Schlag zu versetzen. Das von der Kommission befürwortete System führt nämlich dazu, dass eine für die Garantie der der Rechte der Betroffenen unerlässliche Etappe unpassierbar wird. Die Kommission hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, der Fall, dass der Betroffene keinen Antrag stelle, spiele eine marginale Rolle. Dieses Argument ist jedoch zurückzuweisen, da die Grundrechte des Einzelnen offenkundig nicht deswegen angetastet werden dürfen, weil hiervon nur eine kleine Zahl von Personen betroffen wäre.

55.

Schließlich hat es, abgesehen vom Fehlen einer Rechtsgrundlage, keinen Sinn, von Irland zu verlangen, ein selbständiges Verfahren zur Erlangung des subsidiären Schutzstatus einzuführen, während die Mitgliedstaaten jetzt eine „zentrale Anlaufstelle“ einrichten müssen. Meine Würdigung wäre nicht vollständig, wenn ich kein Wort über die Ziele verlieren würde, die der Unionsgesetzgeber in der zweiten Phase des gemeinsamen europäischen Asylsystems verfolgt, und insbesondere in der neuen Richtlinie 2013/32, auch wenn diese Vorschriften auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar sind ( 37 ).

56.

Diese Richtlinie führt nämlich gemäß ihrem elften Erwägungsgrund ein einheitliches Asylverfahren ein, um eine umfassende und effiziente Bewertung des Bedürfnisses der Antragsteller nach internationalem Schutz zu gewährleisten. Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt gegenwärtig, dass „[b]ei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz … die Asylbehörde zuerst fest[stellt], ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt; ist dies nicht der Fall, wird festgestellt, ob der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat“ ( 38 ). Die Einführung eines einheitlichen Verfahrens ist nicht mehr nur eine Möglichkeit, wie unter der Richtlinie 2005/85, sondern stellt gegenwärtig eine Pflicht dar, die es dem Unionsgesetzgeber ermöglicht, die Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen zu vereinfachen und zu rationalisieren und die administrative Last der Mitgliedstaaten zu erleichtern.

57.

Dies alles belegt, wenn das nötig sein sollte, dass der Asylbewerber nicht die Möglichkeit hat – und nicht haben darf –, zwischen der einen oder der anderen Form des internationalen Schutzes zu wählen. Wie die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat, darf die Gewährung internationalen Schutzes also nicht von einer subjektiven Einschätzung des Antragstellers abhängen, und dieser darf sich hierauf nicht im Hinblick auf tatsächliche oder angenommene Interessen berufen. Sein Antrag ist unbedingt anhand der Kriterien für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu prüfen, und nur wenn ihm diese nicht zuerkannt werden kann, kann er die Gewährung einer subsidiären Form des Schutzes beantragen. Dieser Befund ist zwingend, unabhängig von der Struktur des Verfahrens, das der Mitgliedstaat eingeführt hat, ob es sich um eine zentrale Anlaufstelle handelt oder ein System wie dasjenige, das im Ausgangsverfahren in Rede steht, wobei sich die beiden Verfahren insoweit nur sehr gering unterscheiden.

58.

Nach alledem bin ich daher überzeugt, dass die in Rede stehende Verfahrensregel dem Asylbewerber eine effektiven Zugang zu den Rechten gewährleistet, die ihm die Richtlinie 2004/83 verleiht, und zwar im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz.

59.

Ich bin auch der Meinung, dass eine solche Regelung eine gute Verwaltung im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz gewährleistet, da sie eine vorherige Prüfung dieses Antrags anhand der Voraussetzungen für die Festlegung der Flüchtlingseigenschaft fordert.

C – Zur Beachtung des Rechts auf eine gute Verwaltung

60.

Nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 und dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 hat sich der Unionsgesetzgeber verpflichtet, die Grundrechte beim Erlass der materiell-rechtlichen und der Verfahrensvorschriften für die Gewährung internationalen Schutzes zu beachten. Er hat somit darauf geachtet, dass die zuständigen nationalen Behörden das Recht des Betroffenen auf eine gute Verwaltung gewährleisten; dies konkretisiert er in Kapitel II der Richtlinie 2005/85, indem er ihnen bestimmte Verfahrenspflichten auferlegt.

61.

Wie wir gesehen haben, sind die Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet, diese Verfahrensgarantien auf die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz anzuwenden, wenn dieser Antrag im Rahmen eines von dem Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft getrennten Verwaltungsverfahren erfolgt. Dies ergibt sich aus den Grenzen des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2005/85. Ich erinnere jedoch daran, dass sie verpflichtet bleiben, die Beachtung des Rechts des Betroffenen auf eine gute Verwaltung zu gewährleisten, da zum einen die Gewährung eines subsidiären Schutzes in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt und zum anderen das Recht auf eine gute Verwaltung nicht nur ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, sondern auch ein Grundrecht.

62.

Der Umfang dieses Rechts ist extrem weit.

63.

Gemäß Art. 41 Abs. 1 der Charta erfordert das Recht auf eine gute Verwaltung, dass „Angelegenheiten … unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden“. Nach Art. 41 Abs. 2 der Charta umfasst dieses Recht „insbesondere“ das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird ( 39 ), das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses sowie die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil M. festgestellt hat, ist diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut allgemein anwendbar ( 40 ).

64.

Im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems ist das Recht auf eine gute Verwaltung in Kapitel II der Richtlinie 2005/85 verankert. Es wird konkretisiert durch die Anerkennung von Verfahrenspflichten durch die Verwaltung und die Einführung einer engen Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Asylbewerber. Das Recht auf eine gute Verwaltung muss somit eine korrekte Ermittlung des Bedürfnisses des Betroffenen nach internationalem Schutz ermöglichen. Zu diesem Zweck verpflichtet Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 die Asylbehörde, den Antrag auf internationalen Schutz einzeln, objektiv und unparteiisch zu prüfen. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie fordert darüber hinaus, dass dieses Verfahren so rasch wie möglich auf der Grundlage einer angemessenen und vollständigen Prüfung des Sachverhalts und der Umstände durchgeführt wird, auf die sich der Antrag stützt. Schließlich muss gemäß den Art. 10 und 13 der Richtlinie 2005/85 die nationale Asylbehörde die Beachtung des Rechts des Betroffenen auf rechtliches Gehör in persönlichen Anhörungen, in deren Verlauf es diesem möglich sein muss, seine persönliche Situation völlig vertraulich und erforderlichenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers darzulegen, sicherstellen. Ich wiederhole, alle diese Verfahrenspflichten sollen dem Betroffenen die Zuerkennung eines angemessenen Status gemäß dem Wortlaut von Art. 78 Abs. 1 AEUV sowie den effektiven Zugang zu den Rechten, die ihm die Richtlinie 2004/83 verleiht, garantieren.

65.

Dadurch, dass die in Rede stehende Verfahrensregel eine vorherige Prüfung des Antrags unter dem Gesichtspunkt der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich macht, verwirklicht sie, wie wir gesehen haben, diese Ziele in vollem Umfang.

66.

Herr N. und die Kommission machen dennoch geltend, diese Verfahrensregel garantiere nicht die Unparteilichkeit und die Zügigkeit des Verfahrens.

67.

Sie führen zum einen aus, diese Regelung bewirke, dass derjenige, der einen subsidiären Schutz beantrage, einer Vielzahl von Verfahrensschritten gegenüberstehe, die unvermeidbar die bereits überlange Verfahrensdauer in Irland verlängerten. Nach Auffassung der Kommission verpflichtet die genannte Regelung den Antragsteller, „an einer Fiktion teilzunehmen“ ( 41 ), wenn er seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einreicht, oder „[zwingt ihn], die Formalitäten eines Verfahrens zu durchlaufen, das keine Aussicht auf Erfolg hat“ ( 42 ), was die Beurteilung des Antrags auf subsidiären Schutz unweigerlich verzögere.

68.

Zum anderen sind Herr N. und die Kommission der Ansicht, die Verfahrensregel erfülle das Erfordernis der Unparteilichkeit nicht, da der Antrag auf subsidiären Schutz gestellt werde, während der Minister for Justice, Equality and Law Reform nicht nur den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt habe, sondern auch im Begriff sei, eine Abschiebungsverfügung gegen ihn zu erlassen. Somit sei „das Verfahren bereits in Richtung auf die Entfernung orientiert [und der Minister for Justice, Equality and Law Reform habe] die Tendenz zu einer Abschiebung“ ( 43 ), was dem Erfordernis von Gerechtigkeit und Unparteilichkeit widerspreche.

69.

Zwar teile ich die Besorgnis, die hinsichtlich der Verfahrensdauer für die Prüfung von Asylanträgen in Irland geäußert wurde ( 44 ), dennoch bin ich der Ansicht, dass die von Herrn N. und der Kommission geäußerte Kritik mehr auf die Systematik des Verfahrens im Ganzen gerichtet ist als auf die in Rede stehende Regelung. Zwar fügt diese einen Verfahrensabschnitt hinzu, da die nationale Asylbehörde gehalten ist, den Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 festgelegten Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und gegebenenfalls im Hinblick auf die in Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie für die Gewährung des subsidiären Schutzes genannten Voraussetzungen zu prüfen. Im Übrigen denke ich, dass die Schnelligkeit des Verfahrens nicht nur zur Rechtssicherheit des Antragstellers beiträgt, sondern auch zu dessen Integration.

70.

Wir haben jedoch gesehen, dass es unerlässlich ist, diese Prüfung vorab durchzuführen, und dass die Mitgliedstaaten sich diese nicht ersparen können, ohne den Betroffenen der Rechte zu berauben, die ihm die Richtlinie 2004/83 verleiht, und den Geist zu verletzen, der dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegt.

71.

Außerdem ist diese vorherige Prüfung meines Erachtens nicht die Quelle der übermäßigen Verfahrensverzögerung, da nach den mir vorliegenden Angaben die Verzögerung sich mehr auf das Stadium der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz konzentriert ( 45 ). Insoweit ist zu bemerken, dass die genannte vorherige Prüfung im Rahmen der in den anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Verfahren keine übermäßigen Verzögerungen zur Folge hat. Folglich lässt sich ein Ausschluss der Prüfung des Antrags unter dem Gesichtspunkt der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht durch einen Zeitgewinn rechtfertigen. Vielmehr ist sie geboten, um zu gewährleisten, dass die Rechte voll und ganz gewahrt werden.

72.

Ich prüfe jetzt die von Herrn N. und der Kommission geäußerten Befürchtungen, die die Unparteilichkeit des Verfahrens betreffen.

73.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst das Unparteilichkeitsgebot zwei Aspekte, die subjektive Unparteilichkeit und die objektive Unparteilichkeit. Die subjektive Unparteilichkeit gebietet, dass kein Mitglied des betroffenen Organs Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile an den Tag legen darf, wobei die persönliche Unparteilichkeit bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen ist. Was die objektive Unparteilichkeit betrifft, so muss das Organ hinreichende Garantien bieten, um jeden berechtigten Zweifel in dieser Hinsicht auszuschließen ( 46 ).

74.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nichts in den Unterlagen enthalten ist, was die persönliche Unparteilichkeit des Minister for Justice, Equality and Law Reform in Frage stellen könnte, wobei Herr N. nichts vorträgt, das geeignet wäre, meine Würdigung zu unterstützen.

75.

Im Übrigen teile ich nicht die in Bezug auf die objektive Unparteilichkeit des Verfahrens geäußerten Befürchtungen.

76.

Zum einen ist erneut daran zu erinnern, dass ‐ unabhängig von der Struktur des Verfahrens ‐ die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz immer nach einer Entscheidung erfolgt, mit der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wird.

77.

Zum anderen hat der Minister for Justice, Equality and Law Reform, wenn er die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz beginnt, gegen den Betroffenen noch keine Abschiebungsverfügung erlassen. Gemäß Section 3(3) des Immigration Act 1999 hat der Minister for Justice, Equality and Law Reform nur seine Absicht mitgeteilt, eine solche Verfügung zu erlassen. Diese Mitteilung soll dem Betroffenen erklären, dass er nach der Ablehnung seines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft über keine gültige Aufenthaltsberechtigung verfügt, die ihm erlauben würde, im Hoheitsgebiet zu bleiben ‐ eine Folge, die in allen Mitgliedstaaten anzutreffen ist. Die Mitteilung soll ihn auch über die Rechte informieren, die er in diesem Verfahrensstadium besitzt. Insbesondere informiert diese Mitteilung den Betroffenen gemäß Section 4(1) der Regulations 2006, dass er den subsidiären Schutzstatus und eine befristete Berechtigung, im Hoheitsgebiet zu bleiben, beantragen kann. Ihr ist somit ein Informationsblatt über den subsidiären Schutz sowie das Formular für die Antragstellung beigefügt. Der Antragsteller wird aufgefordert, neben den persönlichen Daten alle zusätzlichen Unterlagen einzureichen und detailliert die Gründe aufzuführen, die sich speziell auf die Umstände beziehen, auf die er sich zur Stützung seines Antrags auf subsidiären Schutz beruft, und dabei insbesondere den ernsthaften Schaden näher zu bestimmen, dem er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt sein könnte. Im Hinblick auf diese Umstände erscheint es mir schwierig, dem Minister for Justice, Equality and Law Reform eine „Tendenz zur Abschiebung“ zu unterstellen, da der subsidiäre Schutzstatus dem Betroffenen ermöglicht, einen gültigen Aufenthaltstitel für das Hoheitsgebiet zu erhalten.

78.

Schließlich teile ich nicht die Auffassung der Kommission in ihren Erklärungen, wonach eine solche Regelung „den Antragsteller verpflichtet, an einer Fiktion teilzunehmen“, oder, weiter noch, „[ihn zwingt,] die Formalitäten eines Verfahrens zu durchlaufen, das keine Aussicht auf Erfolg hat“, worunter die Effizienz des Verfahrens leide. Man darf nämlich nicht den Zweck dieses Verfahrens aus den Augen verlieren. Es handelt sich nicht um ein klassisches Verwaltungsverfahren, das z. B. darauf gerichtet ist, eine Steuerermäßigung oder eine Fahrerlaubnis zu erhalten. Das Verwaltungsverfahren ist auf die Gewährung eines Grundrechts gerichtet, worum es sich bei dem Recht auf Asyl handelt, und diese vorherige Prüfung muss ermöglichen, eine Entscheidung mit vitaler Bedeutung für denjenigen zu treffen, der rechtmäßig um internationalen Schutz ersucht. Es geht somit nicht darum, ihn zu einem zusätzlichen Behördenschritt zu „zwingen“, sondern vielmehr darum, eine umfassende Beurteilung seines Antrags sicherzustellen und ihm die Rechte zu garantieren, die für seine Situation im Aufnahmestaat am besten geeignet sind. Es handelt sich auch nicht um die Teilnahme an einer Fiktion, denn es ist, wie auch immer, manchmal äußerst schwierig in einem frühen Stadium des Verfahrens festzustellen, ob für eine Person nach ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland die Gefahr der „Verfolgung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 oder die Gefahr, einen „ernsthaften Schaden“ im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie zu erleiden, besteht, was der Rechtsstreit beim Gerichtshof im Übrigen zur Genüge zeigt.

79.

Im Hinblick darauf bin ich daher der Ansicht, dass die in Rede stehende Verfahrensregel, soweit sie eine vorherige Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz anhand der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fordert, dem Grundsatz einer guten Verwaltung, wie er in Art. 41 der Charta festgelegt ist, entspricht.

80.

Nichtsdestoweniger muss Irland sein Verfahren noch so ausgestalten, dass die Asylanträge gemäß dem von der Richtlinie 2005/85 verfolgten Ziel der Zügigkeit so effizient wie möglich geprüft werden. Insoweit können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 23 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85 das Verfahren in Bezug auf die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Eigenschaft als Flüchtling beschleunigen, wenn der Antragsteller offensichtlich nicht als solcher angesehen werden kann oder wenn der Antrag unwahrscheinliche oder unvollständige Angaben enthält und deshalb nicht überzeugend ist.

81.

Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass die Richtlinie 2004/83 zum einen im Licht der im Rahmen der Richtlinie 2005/85 aufgestellten Verfahrensregeln und ‑garantien und zum anderen im Licht des Grundsatzes der guten Verwaltung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Verfahrensregel, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig macht, nicht entgegensteht.

III – Ergebnis

82.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Supreme Court wie folgt zu antworten:

Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist zum einen im Licht der im Rahmen der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgestellten Verfahrensregeln und ‑garantien und zum anderen im Licht des Grundsatzes der guten Verwaltung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Verfahrensregel, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig macht, nicht entgegensteht.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Urteil vom 22. November 2012 (C‑277/11).

( 3 ) Urteil vom 31. Januar 2013 (C‑175/11).

( 4 ) Richtlinie des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, und Berichtigung ABl. 2005, L 204, S. 24).

( 5 ) Im Folgenden: Charta.

( 6 ) Dieses am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954], im Folgenden: Genfer Konvention) ist am 22. April 1954 in Kraft getreten. Es wurde durch das am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 ergänzt.

( 7 ) Gesetz in der durch Section 11(1) des Immigration Act 1999 (Einwanderungsgesetz von 1999), durch Section 9 des Illegal Immigrants (Trafficking) Act 2000 (Gesetz über illegale Einwanderung [Menschenhandel] von 2000) und durch Section 7 des Immigration Act 2003 (Einwanderungsgesetz von 2003) geänderten Fassung (im Folgenden: Refugee Act).

( 8 ) Section 13 des Refugee Act.

( 9 ) Im Folgenden: Regulations 2006.

( 10 ) [2010] IESC 44.

( 11 ) Ich erinnere daran, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten Sache des Gerichtshofs ist, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu kann der Gerichtshof auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die in den Vorlagefragen nicht angeführt sind, soweit sie für die Untersuchung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil vom 8. Dezember 2011, Banco Bilbao Vizcaya Argentaria [C-157/10, Slg. 2011, I-13023, Randnrn. 18 bis 20 und die dort angeführte Rechtsprechung]).

( 12 ) Richtlinie des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13, und Berichtigung ABl. 2006, L 236, S. 36).

( 13 ) Urteil M., oben in Fn. 2 angeführt (Randnr. 73).

( 14 ) Vgl. Art. 1 der genannten Richtlinie.

( 15 ) Vgl. Nr. 19 meiner Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil M., oben in Fn. 2 angeführt, ergangen ist, und Urteil M., Randnr. 72.

( 16 ) Vgl. in dieser Hinsicht elfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 sowie Urteil D. und A., oben in Fn. 3 angeführt (Randnrn. 62 bis 66).

( 17 ) Vgl. u. a. Urteile vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, Randnr. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Vgl. insoweit Art. 6 Abs. 3 EUV. Vgl. auch Urteile vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C-411/10 und C-493/10, Slg. 2011, I-13905, Randnr. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, Randnrn. 18 bis 21), sowie G. und R., oben in Fn. 17 angeführt (Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Nr. 111 meiner Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil vom 6. September 2011, Scatollon (C-108/10, Slg. 2011, I-7491), ergangen ist, sowie die Nrn. 32 und 114 meiner Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil M., oben in Fn. 2 angeführt, ergangen ist.

( 19 ) Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17), betreffend Art. 41 dieser Charta, in denen es heißt:

„Art. 41 ist auf das Bestehen der Union als eine Rechtsgemeinschaft gestützt, deren charakteristische Merkmale sich durch die Rechtsprechung entwickelt haben die unter anderem eine gute Verwaltung als allgemeinen Rechtsgrundsatz festgeschrieben hat (siehe u. a. [Urteil vom 31. März 1992 (Rechtssache C‑255/90 P, Burban/Parlament, Slg. 1992, I‑2253].“

Siehe auch Urteil vom 18. Dezember 2008, Sopropé (C-349/07, Slg. 2008, I-10369, Randnrn. 33 und 38).

( 20 ) Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Cicala (C-482/10, Slg. 2011, I-14139, Randnr. 28).

( 21 ) Vgl. Erläuterungen zur Charta, betreffend Art. 51 Abs. 1, sowie Urteile vom 15. November 2011, Dereci u. a. (C-256/11, Slg. 2011, I-11315, Randnr. 72), sowie M., oben in Fn. 2 angeführt (Randnrn. 82 bis 84).

( 22 ) Vgl. zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83.

( 23 ) Hervorhebung nur hier.

( 24 ) Vgl. Erwägungsgründe 5 und 24 der Richtlinie 2004/83.

( 25 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen (KOM[2001] 510 endg.).

( 26 ) S. 15.

( 27 ) Ebd. In seiner Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“ (ABl. 2002, C 221, S. 43), hat der Wirtschafts- und Sozialausschuss außerdem ausgeführt, dass „[d]ie Kommission … darauf [verweist], dass bei der Prüfung des Antrags eine Reihenfolge einzuhalten ist, wobei stets zuerst der Flüchtlingsstatus zu prüfen ist, während der subsidiäre Schutz kein Mittel sein kann, den durch den Flüchtlingsstatus verliehenen Schutz abzuschwächen“ (Ziff. 2.3.5).

( 28 ) Vgl. Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. L 212, S. 12).

( 29 ) Diese Bestimmung sieht vor:

„[Di]e Mitgliedstaaten [können] festlegen, dass ein Prüfungsverfahren gemäß den Grundprinzipien und Garantien nach Kapitel II vorrangig oder beschleunigt durchgeführt wird, wenn

b)

der Antragsteller offensichtlich nicht als Flüchtling anzuerkennen ist oder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem Mitgliedstaat nach Maßgabe der Richtlinie 2004/83 offensichtlich nicht erfüllt“.

( 30 ) Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180, S. 60) beseitigt die bestehenden Unterschiede im Niveau der Rechte von Flüchtlingen und der Rechten von Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die nicht mehr als gerechtfertigt angesehen werden können. Die Änderungen betreffen die Dauer der Aufenthaltstitel, den Zugang zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zum Arbeitsmarkt.

( 31 ) Vgl. Randnr. 92 dieses Urteils.

( 32 ) Dieses Kapitel führt u. a. die Voraussetzungen auf, unter denen Personen mit internationalem Schutzstatus einen Aufenthaltstitel sowie Reisedokumente erhalten und Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Sozialhilfeleistungen, medizinischer Versorgung sowie zu Wohnraum haben können.

( 33 ) Vgl. Art. 24 und 25 dieser Richtlinie.

( 34 ) Vgl. Art. 26 und 28 der Richtlinie 2004/83.

( 35 ) Dieses Phänomen entsteht durch die Unterschiede, die in den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Voraussetzungen der Gewährung internationalen Schutzes bestehen. Es beschreibt die Situation eines Asylbewerbers, der, nachdem er in einen Mitgliedstaat eingereist ist, der für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, dennoch entscheidet, den Antrag in einem anderen Mitgliedstaat zu stellen, weil in diesem die Erfolgsaussichten größer sind oder weil ihm die Aufnahmebedingungen günstiger erscheinen.

( 36 ) Vgl. u. a. die Erwägungsgründe 6 und 7 der Richtlinie 2004/83, die Erwägungsgründe 3 und 6 der Richtlinie 2005/85, die Erwägungsgründe 8 bis 10 sowie 12 und 13 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337, S. 9), und den 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32.

( 37 ) Die Richtlinie 2013/32 ist am 19. Juli 2013 in Kraft getreten. Dennoch ist Irland, wie im 58. Erwägungsgrund dieser Richtlinie festgestellt wird, nach den Art. 1, 2 und 4a Abs. 1 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts durch diese Richtlinie nicht gebunden.

( 38 ) Vgl. auch den 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32. Hervorhebung nur hier.

( 39 ) Urteil M., oben in Fn. 2 angeführt (Randnr. 82).

( 40 ) Ebd. (Randnr. 84).

( 41 ) Randnr. 43 der Erklärungen der Kommission.

( 42 ) Randnr. 41 dieser Erklärungen.

( 43 ) Randnr. 42 der genannten Erklärungen.

( 44 ) Vgl. dazu die Nrn. 112 bis 115 meiner Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil M., oben in Fn. 2 angeführt, ergangen ist.

( 45 ) Im Rahmen der Rechtssache, in der das Urteil M., oben in Fn. 2 angeführt, ergangen ist, habe ich festgestellt, dass die Prüfung des Antrags des Betroffenen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sechseinhalb Monate dauerte und die Prüfung seines Antrags auf subsidiären Schutz 21 Monate.

( 46 ) Vgl. Beschluss vom 15. Dezember 2011, Altner/Kommission (C‑411/11 P, Randnr. 15), und Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission (C‑439/11 P, Randnr. 155 und die dort angeführte Rechtsprechung).