Rechtssache C‑237/07

Dieter Janecek

gegen

Freistaat Bayern

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts)

„Richtlinie 96/62/EG – Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität – Festlegung der Grenzwerte – Recht eines in seiner Gesundheit beeinträchtigten Dritten auf Erstellung eines Aktionsplans“

Leitsätze des Urteils

1.        Umwelt – Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität – Richtlinie 96/62

(Richtlinie 96/62 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 1882/2003, Art. 7 Abs. 3)

2.        Umwelt – Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität – Richtlinie 96/62

(Richtlinie 96/62 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 1882/2003, Art. 7 Abs. 3)

1.        Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität in der Fassung der Verordnung Nr. 1882/2003 ist dahin auszulegen, dass unmittelbar betroffene Einzelne im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte für die Emission von Feinstaubpartikeln PM10 oder der Alarmschwellen bei den zuständigen nationalen Behörden die Erstellung eines Aktionsplans erwirken können müssen, auch wenn sie nach nationalem Recht über andere Handlungsmöglichkeiten verfügen sollten, um diese Behörden dazu zu bringen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu treffen.

(vgl. Randnr. 42, Tenor 1)

2.        Bei der Anwendung von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität in der Fassung der Verordnung Nr. 1882/2003 obliegt den Mitgliedstaaten – unter der Aufsicht der nationalen Gerichte – die Verpflichtung, im Rahmen eines Aktionsplans und kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Gefahr der Überschreitung der Grenzwerte für die Emission von Feinstaubpartikeln PM10 oder der Alarmschwellen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und aller betroffenen Interessen auf ein Minimum zu verringern und schrittweise zu einem Stand unterhalb dieser Werte oder Schwellen zurückzukehren.

(vgl. Randnr. 47, Tenor 2)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

25. Juli 2008(*)

„Richtlinie 96/62/EG – Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität – Festlegung der Grenzwerte – Recht eines in seiner Gesundheit beeinträchtigten Dritten auf Erstellung eines Aktionsplans“

In der Rechtssache C‑237/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2007, in dem Verfahren

Dieter Janecek

gegen

Freistaat Bayern

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter L. Bay Larsen, K. Schiemann, J. Makarczyk und J.‑C. Bonichot (Berichterstatter),

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Janecek, vertreten durch Rechtsanwalt R. Klinger,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. De Grave als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Erlbacher, A. Alcover San Pedro und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 96/62).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Janecek und dem Freistaat Bayern über einen Antrag, den Freistaat Bayern zur Aufstellung eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung im Bereich der Landshuter Allee in München, wo der Betroffene wohnt, zu verpflichten, der kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen zu dem Zweck festlegt, die gemeinschaftsrechtlich zugelassene Grenze für Emissionen von Feinstaubpartikeln PM10 in die Luft einzuhalten.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3        Der zwölfte Erwägungsgrund der Richtlinie 96/62 lautet:

„Zum Schutz der Umwelt insgesamt und der menschlichen Gesundheit müssen die Mitgliedstaaten bei Überschreiten der Grenzwerte Maßnahmen ergreifen, damit diese Grenzwerte binnen der festgelegten Fristen eingehalten werden.“

4        Anhang I der Richtlinie 96/62 enthält eine Liste der bei der Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität zu berücksichtigenden Luftschadstoffe. In Nr. 3 dieser Liste sind „Feinpartikel wie Ruß (einschließlich PM 10)“ verzeichnet.

5        Art. 7 der Richtlinie 96/62 („Verbesserung der Luftqualität [–] Allgemeine Anforderungen“) bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen.

(3)      Die Mitgliedstaaten erstellen Aktionspläne, in denen die Maßnahmen angegeben werden, die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken. …“

6        Art. 8 dieser Richtlinie („Maßnahmen für Gebiete, in denen die Werte die Grenzwerte überschreiten“) lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten.

Gibt es für einen bestimmten Schadstoff keine Toleranzmarge, so werden die Gebiete und Ballungsräume, in denen der Wert dieses Schadstoffs den Grenzwert überschreitet, wie die Gebiete und Ballungsräume des Unterabsatzes 1 behandelt; es gelten die Absätze 3, 4 und 5.

(2)      Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe zwischen dem Grenzwert und der Summe von Grenzwert und Toleranzmarge liegen.

(3)      Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1 ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann.

Der Plan oder das Programm, zu dem die Öffentlichkeit Zugang haben muss, umfasst mindestens die in Anhang IV aufgeführten Angaben.

(4)      Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1, in denen der Wert von mehr als einem Schadstoff die Grenzwerte überschreitet, stellen die Mitgliedstaaten einen integrierten Plan auf, der sich auf alle betreffenden Schadstoffe erstreckt.

…“

7        Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten PM10-Konzentrationen in der Luft die Grenzwerte des Anhangs III Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

Die in Anhang III Abschnitt I festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 8 der Richtlinie 96/62/EG anzuwenden.“

8        Anhang III Stufe 1 Nr. 1 der Richtlinie 1999/30 enthält in einer Tabelle die Grenzwerte für Feinstaubpartikel (PM10).

 Nationales Recht

9        Im deutschen Recht ist die Richtlinie 96/62 durch das Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002 (BGBl. I S. 3830) und der Änderung durch das Gesetz vom 25. Juni 2005 (BGBl. I S. 1865) (im Folgenden: BImSchG) umgesetzt worden.

10      § 45 BImSchG („Verbesserung der Luftqualität“) bestimmt:

„(1)      Die zuständigen Behörden ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der durch eine Rechtsverordnung nach § 48a festgelegten Immissionswerte sicherzustellen. Hierzu gehören insbesondere Pläne nach § 47.

…“

11      In § 47 BImSchG („Luftreinhaltepläne, Aktionspläne, Landesverordnungen“) heißt es:

„(1)      Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Abs. 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der Rechtsverordnung entspricht.

(2)      Besteht die Gefahr, dass die durch eine Rechtsverordnung nach § 48a Abs. 1 festgelegten Immissionsgrenzwerte oder Alarmschwellen überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen Aktionsplan aufzustellen, der festlegt, welche Maßnahmen kurzfristig zu ergreifen sind. Die im Aktionsplan festgelegten Maßnahmen müssen geeignet sein, die Gefahr der Überschreitung der Werte zu verringern oder den Zeitraum, während dessen die Werte überschritten werden, zu verkürzen. Aktionspläne können Teil eines Luftreinhalteplans nach Absatz 1 sein.

…“

12      Die in § 47 BImSchG genannten Immissionsgrenzwerte wurden in der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung dieses Gesetzes festgelegt, die in § 4 Abs. 1 bestimmt:

„Für Partikel PM10 beträgt der über 24 Stunden gemittelte Immissionsgrenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit 50 Mikrogramm pro Kubikmeter bei 35 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr. …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

13      Herr Janecek wohnt am Mittleren Ring in München in der Landshuter Allee, etwa 900 Meter nördlich von einer Luftgütemessstelle.

14      Nach den Messergebnissen an dieser Messstelle wurde der Immissionsgrenzwert für Feinstaubpartikel PM10 in den Jahren 2005 und 2006 weitaus mehr als 35 Mal überschritten, obwohl das BImSchG nicht mehr als 35 Überschreitungen zulässt.

15      Es ist unstreitig, dass für das Gebiet der Stadt München ein Luftreinhalteplan besteht, der am 28. Dezember 2004 für verbindlich erklärt wurde.

16      Gleichwohl erhob der Kläger des Ausgangsverfahrens beim Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag, den Freistaat Bayern zur Aufstellung eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung im Bereich der Landshuter Allee zu verpflichten, damit kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen zu dem Zweck festgelegt werden, die zugelassene Grenze von jährlich 35 Überschreitungen des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel PM10 einzuhalten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unbegründet ab.

17      Der Verwaltungsgerichtshof, bei dem Berufung eingelegt wurde, nahm einen anderen Standpunkt ein und entschied, dass die betroffenen Anwohner von den zuständigen Behörden die Aufstellung eines Aktionsplans fordern könnten, aber keinen Anspruch darauf hätten, dass dieser geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der kurzfristigen Einhaltung der Immissionsgrenzwerte für Feinstaubpartikel PM10 enthalte. Die nationalen Behörden seien nur dazu verpflichtet, sich zu vergewissern, dass dieses Ziel im Rahmen des Möglichen und Verhältnismäßigen mit einem solchen Plan verfolgt werde. Der Verwaltungsgerichtshof verpflichtete demzufolge den Freistaat Bayern, einen Aktionsplan unter Beachtung dieser Vorgaben aufzustellen.

18      Herr Janecek und der Freistaat Bayern legten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein. Nach Auffassung dieses Gerichts kann der Kläger des Ausgangsverfahrens aus § 47 Abs. 2 BImSchG keinen Anspruch auf Aufstellung eines Aktionsplans herleiten. Außerdem lasse sich weder aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 noch aus dessen Zweck ein subjektives Recht auf die Erstellung eines solchen Plans ableiten.

19      Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens nach nationalem Recht durch ein – auch rechtswidriges – Unterlassen der Aufstellung eines Aktionsplans zwar nicht in seinen Rechten beeinträchtigt werde, aber dennoch über Mittel verfüge, um die Einhaltung der Vorschriften zu erwirken. Der Schutz gegen die schädlichen Wirkungen von Feinstaubpartikeln PM10 sei nämlich über von einem solchen Plan unabhängige Maßnahmen sicherzustellen, und die betroffenen Personen hätten einen Anspruch darauf, dass die zuständigen Behörden diese Maßnahmen durchführten. Somit sei ein wirksamer Schutz unter Bedingungen gewährleistet, die denen entsprächen, die sich aus der Aufstellung eines Plans ergäben.

20      Das Bundesverwaltungsgericht räumt allerdings ein, dass ein Teil des Schrifttums aus den fraglichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts andere Schlussfolgerungen ziehe, wonach betroffene Dritte einen Anspruch auf die Aufstellung von Aktionsplänen hätten, was durch das Urteil vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland (C‑59/89, Slg. 1991, I‑2607), bestätigt zu werden scheine.

21      Daher hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 dahin auszulegen, dass dem in seiner Gesundheit beeinträchtigten Dritten ein subjektives Recht auf Erstellung eines Aktionsplans selbst dann eingeräumt wird, wenn er unabhängig von einem Aktionsplan in der Lage ist, sein Recht auf Abwehr gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Überschreitung des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel PM10 im Wege der Klage auf Einschreiten der Behörde durchzusetzen?

2.      Hat ein von gesundheitsschädlicher Belastung mit Feinstaubpartikeln PM10 betroffener Dritter, wenn die erste Frage zu bejahen ist, einen Anspruch auf Erstellung eines solchen Aktionsplans, der kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen festlegt, durch die sichergestellt wird, dass der Immissionsgrenzwert für Feinstaubpartikel PM10 strikt eingehalten wird?

3.      In welchem Ausmaß muss, wenn die zweite Frage zu verneinen ist, durch die in einem Aktionsplan bestimmten Maßnahmen die Gefahr der Überschreitung des Grenzwerts verringert und deren Dauer beschränkt werden? Darf sich der Aktionsplan nach Art eines Stufenkonzepts auf Maßnahmen beschränken, die eine Einhaltung des Grenzwerts zwar nicht gewährleisten, aber kurzfristig immerhin zur Verbesserung der Luftqualität beitragen?

 Zu den Vorlagefragen

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

22      Der Kläger des Ausgangsverfahrens macht geltend, dass in allen Fällen, in denen die Nichtbeachtung der Vorschriften einer Richtlinie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit durch die nationalen Behörden die Gesundheit von Personen gefährden könnte, die entsprechenden Personen das Recht haben müssten, sich auf die zwingenden Vorschriften dieser Richtlinie zu berufen (in Bezug auf die Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub [ABl. L 229, S. 30] vgl. Urteil vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland, C‑361/88, Slg. 1991, I‑2567, Randnr. 16, und in Bezug auf die Richtlinien 75/440/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten [ABl. L 194, S. 26] und 79/869/EWG des Rates vom 9. Oktober 1979 über die Messmethoden sowie über die Häufigkeit der Probenahmen und der Analysen des Oberflächenwassers für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten [ABl. L 271, S. 44] Urteil vom 17. Oktober 1991, Kommission/Deutschland, C‑58/89, Slg. 1991, I‑4983, Randnr. 14).

23      Der Kläger des Ausgangsverfahrens meint, dass die Richtlinie 96/62 den Schutz der menschlichen Gesundheit zum Ziel habe, und trägt vor, dass Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie eine zwingende Vorschrift darstelle, die schon dann die Erstellung eines Aktionsplans vorschreibe, wenn auch nur die bloße Gefahr der Überschreitung eines Grenzwerts bestehe. Die Verpflichtung, in diesem Fall, dessen Vorliegen im Ausgangsrechtsstreit nicht umstritten sei, einen solchen Plan zu erstellen, sei somit eine Vorschrift, auf die er sich nach der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung berufen könne.

24      Hinsichtlich des Inhalts des Aktionsplans trägt der Kläger des Ausgangsverfahrens vor, dass er alle geeigneten Maßnahmen vorsehen müsse, damit die Überschreitung der Grenzwerte so kurz wie möglich dauere. Das ergebe sich insbesondere aus dem Aufbau des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62, in dem klar angegeben sei, dass Aktionspläne bereits bei bloßer Gefahr einer Überschreitung dieser Werte zu erstellen seien, und aus Art. 8 Abs. 3 derselben Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten dann, wenn die Grenzwerte bereits überschritten seien, Maßnahmen ergreifen müssten, um einen Plan oder ein Programm auszuarbeiten oder durchzuführen, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden könne.

25      Die niederländische Regierung trägt vor, dass Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 Dritten kein subjektives Recht auf die Erstellung eines Aktionsplans einräume. Die Mitgliedstaaten verfügten sowohl hinsichtlich der Erstellung der Aktionspläne als auch hinsichtlich der Festlegung ihres Inhalts über ein weites Ermessen.

26      Aus derselben Bestimmung gehe hervor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Erstellung eines Aktionsplans und die Durchführung der dazugehörigen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses für erforderlich und angemessen hielten, in ihrer Zuständigkeit habe belassen wollen.

27      Folglich erlege Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 den Mitgliedstaaten keine Verpflichtung zur Erzielung eines bestimmten Resultats auf. Das weite Ermessen, über das sie verfügten, erlaube es ihnen, verschiedene Interessen gegeneinander abzuwägen und konkrete Maßnahmen zu treffen, die sowohl der Beachtung der Grenzwerte als auch anderen Interessen und Verpflichtungen wie dem freien Verkehr innerhalb der Europäischen Union Rechnung trügen.

28      Somit müssten die Mitgliedstaaten nur Aktionspläne erstellen, in denen die Maßnahmen angegeben würden, die kurzfristig zu ergreifen seien, um die Gefahr einer Überschreitung der genannten Werte zu verringern oder deren Dauer zu beschränken.

29      Die österreichische Regierung weist darauf hin, dass der Gerichtshof entschieden habe, dass gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, die Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit festlegten, den Betroffenen zugleich einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Einhaltung dieser Werte einräumten (Urteil vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland,C‑59/89).

30      Wenn Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 unmittelbare Wirkung haben könne, folge daraus aber nicht, dass diese Bestimmung zugunsten der Einzelnen ein subjektives Recht auf Erstellung von Aktionsplänen begründe, da sie nur darauf abziele, dass nach Maßgabe nationaler Programme Maßnahmen, die zur Einhaltung der Grenzwerte beitragen sollten, festgelegt würden.

31      Die Kommission macht geltend, dass sich aus dem Wortlaut der Richtlinie 96/62, insbesondere aus Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 5 und dem zwölften Erwägungsgrund, ergebe, dass die Festlegung von Grenzwerten für Feinstaubpartikel PM10 dem Schutz der menschlichen Gesundheit diene. Zu entsprechenden Bestimmungen habe der Gerichtshof entschieden, dass die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssten, sich auf diese Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend zu machen (Urteile vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland, C‑361/88, Randnr. 16, und Kommission/Deutschland, C‑59/89, Randnr. 19, sowie vom 17. Oktober 1991, Kommission/Deutschland, Randnr. 14).

32      Die in diesen Urteilen herausgearbeiteten Grundsätze fänden auf die in der Richtlinie 96/62 vorgesehenen Aktionspläne Anwendung. Die zuständige Behörde sei daher zur Erstellung solcher Pläne verpflichtet, wenn die in dieser Richtlinie festgelegten Voraussetzungen erfüllt seien. Daraus folge, dass ein von der Überschreitung der Grenzwerte betroffener Dritter sein Recht darauf geltend machen könne, dass ein Aktionsplan, der zur Erreichung des Ziels hinsichtlich der in dieser Richtlinie festgelegten Grenzwerte erforderlich sei, erstellt werde.

33      In Bezug auf den Inhalt der Aktionspläne legt die Kommission ihrer Antwort den Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 zugrunde, wonach die Aktionspläne Maßnahmen vorzusehen hätten, „die … kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken“. Die zuständige Behörde verfüge über einen Ermessensspielraum, um die Maßnahmen zu treffen, die ihr am besten geeignet erschienen, unter der Voraussetzung, dass sie im Rahmen des tatsächlich Möglichen und des rechtlich Verhältnismäßigen so ausgestaltet seien, dass die verbindlichen Grenzwerte so rasch wie möglich wieder eingehalten werden könnten.

 Antwort des Gerichtshofs

 Zur Erstellung von Aktionsplänen

34      Mit seiner ersten Frage möchte das Bundesverwaltungsgericht wissen, ob ein Einzelner von den zuständigen nationalen Behörden im – in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 geregelten – Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen die Erstellung eines Aktionsplans beanspruchen kann.

35      Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten die klare Verpflichtung auf, sowohl im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte als auch im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Alarmschwellen Aktionspläne zu erstellen. Diese Auslegung, die sich aus einer bloßen Betrachtung des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 ergibt, wird im Übrigen in deren zwölftem Erwägungsgrund bestätigt. Was in Bezug auf die Grenzwerte dargelegt ist, gilt erst recht in Bezug auf die Alarmschwellen, für die Art. 2 dieser Richtlinie, der die verschiedenen in dieser Richtlinie verwendeten Begriffe bestimmt, vorsieht, dass die Mitgliedstaaten „umgehend Maßnahmen gemäß dieser Richtlinie ergreifen“.

36      Außerdem können sich Einzelne nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gegenüber öffentlichen Stellen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 1979, Ratti, 148/78, Slg. 1979, 1629, Randnr. 20). Die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte haben die Bestimmungen des nationalen Rechts so weit wie möglich so auszulegen, dass sie mit dem Ziel der entsprechenden Richtlinie im Einklang stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 1990, Marleasing,C‑106/89, Slg. 1990, I‑4135, Randnr. 8). Sofern eine solche Auslegung nicht möglich ist, haben sie die mit der Richtlinie unvereinbaren Regelungen des nationalen Rechts außer Anwendung zu lassen.

37      Wie der Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, wäre es mit dem zwingenden Charakter, den Art. 249 EG der Richtlinie verleiht, unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit ihr auferlegte Verpflichtung von den betroffenen Personen geltend gemacht werden kann. Diese Überlegung gilt ganz besonders für eine Richtlinie, die eine Eindämmung und Reduzierung der Luftverschmutzung und damit den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt.

38      So hat der Gerichtshof entschieden, dass die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Nichtbeachtung der Maßnahmen, die in Richtlinien über die Qualität der Luft und des Trinkwassers zum Zweck des Schutzes der öffentlichen Gesundheit vorgegeben werden, die Gesundheit von Personen gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf die in diesen Richtlinien enthaltenen zwingenden Vorschriften zu berufen (vgl. Urteile vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland, C‑361/88, und Kommission/Deutschland, C‑59/89, sowie vom 17. Oktober 1991, Kommission/Deutschland).

39      Daraus folgt, dass natürliche oder juristische Personen, die unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen betroffen sind, bei den zuständigen Behörden – gegebenenfalls unter Anrufung der zuständigen Gerichte – erwirken können müssen, dass beim Vorliegen einer solchen Gefahr ein Aktionsplan erstellt wird.

40      Dass diese Personen über andere Handlungsmöglichkeiten verfügen und insbesondere von den zuständigen Behörden den Erlass konkreter Maßnahmen zur Verringerung der Verschmutzung verlangen können, wie es das deutsche Recht nach den Angaben des vorlegenden Gerichts vorsieht, ist insoweit ohne Bedeutung.

41      Zum einen enthält die Richtlinie 96/62 nämlich keinerlei Vorbehalt hinsichtlich Maßnahmen, die nach anderen Bestimmungen des nationalen Rechts getroffen werden können, und zum anderen sieht sie ein ganz spezielles Planungsinstrumentarium vor, um, wie es im zwölften Erwägungsgrund heißt, die Umwelt „insgesamt“ und unter Berücksichtigung aller einzubeziehenden Faktoren wie insbesondere der Anforderungen betreffend den Betrieb von Industrieanlagen oder den Verkehr zu schützen.

42      Auf die erste Frage ist somit zu antworten, dass Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 dahin auszulegen ist, dass unmittelbar betroffene Einzelne im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen bei den zuständigen nationalen Behörden die Erstellung eines Aktionsplans erwirken können müssen, auch wenn sie nach nationalem Recht über andere Handlungsmöglichkeiten verfügen sollten, um diese Behörden dazu zu bringen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu treffen.

 Zum Inhalt der Aktionspläne

43      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das Bundesverwaltungsgericht wissen, ob die zuständigen nationalen Behörden verpflichtet sind, Maßnahmen zu erlassen, die eine kurzfristige Einhaltung des Grenzwerts erlauben, oder ob sie sich auf den Erlass solcher Maßnahmen beschränken können, die eine Verringerung der Überschreitung und eine Beschränkung ihrer Dauer erlauben und damit dazu angetan sind, die Lage stufenweise zu verbessern.

44      Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 müssen die Aktionspläne die Maßnahmen enthalten, „die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken“. Aus diesem Wortlaut ergibt sich unmittelbar, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Maßnahmen dahin gehend zu ergreifen, dass es zu keinerlei Überschreitung kommt.

45      Vielmehr ergibt sich aus dem Aufbau der Richtlinie, die eine integrierte Verminderung der Umweltverschmutzung bezweckt, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu ergreifen haben, die geeignet sind, die Gefahr einer Überschreitung und ihre Dauer unter Berücksichtigung aller zur gegebenen Zeit vorliegenden Umstände und der betroffenen Interessen auf ein Minimum zu reduzieren.

46      Unter diesem Aspekt ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten somit zwar über einen Ermessensspielraum verfügen, dass Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 aber der Ausübung dieses Ermessens hinsichtlich der Ausrichtung der Maßnahmen, die der Aktionsplan enthalten muss, am Ziel der Verringerung der Gefahr der Überschreitung und der Beschränkung ihrer Dauer unter Berücksichtigung des Ausgleichs, der zwischen diesem Ziel und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen sicherzustellen ist, Grenzen setzt, die vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C‑72/95, Slg. 1996, I‑5403, Randnr. 59).

47      Daher ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass den Mitgliedstaaten – unter der Aufsicht der nationalen Gerichte – nur die Verpflichtung obliegt, im Rahmen eines Aktionsplans und kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Gefahr der Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und aller betroffenen Interessen auf ein Minimum zu verringern und schrittweise zu einem Stand unterhalb dieser Werte oder Schwellen zurückzukehren.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 ist dahin auszulegen, dass unmittelbar betroffene Einzelne im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen bei den zuständigen nationalen Behörden die Erstellung eines Aktionsplans erwirken können müssen, auch wenn sie nach nationalem Recht über andere Handlungsmöglichkeiten verfügen sollten, um diese Behörden dazu zu bringen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu treffen.

2.      Den Mitgliedstaaten obliegt – unter der Aufsicht der nationalen Gerichte – nur die Verpflichtung, im Rahmen eines Aktionsplans und kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Gefahr der Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und aller betroffenen Interessen auf ein Minimum zu verringern und schrittweise zu einem Stand unterhalb dieser Werte oder Schwellen zurückzukehren.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.