SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
FRANCIS G. JACOBS
vom 16. September 2004(1)
In der Rechtssache C-464/01
Johann Gruber
gegen
Bay Wa AG
„“
1. Die wesentliche Frage, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, betrifft die im Rahmen des Brüsseler Übereinkommens
(2)
[im Folgenden auch: EuGVÜ] zu treffende Unterscheidung zwischen Verbraucherverträgen und allgemeinen Verträgen.
2. Konkret stellt sich die Frage, in welche Kategorie ein Vertrag fällt, den ein Landwirt für den Kauf von Dachziegeln für einen
Bauernhof schließt, den er zum Teil privat als Unterkunft für seine Familie und zum Teil landwirtschaftlich zur Unterbringung
von Vieh und Futter nutzt.
3. Weitere Fragen eher technischer Art betreffen die Rechtshandlungen beim Abschluss eines Verbrauchervertrags, die im Wohnsitzstaat
des Verbrauchers vorgenommen werden müssen, damit die einschlägige Bestimmung des Übereinkommens angewandt werden kann.
Das Brüsseler Übereinkommen
4. Das Brüsseler Übereinkommen findet in Zivil- und Handelssachen Anwendung. Titel II verteilt die Zuständigkeiten zwischen den
Vertragsstaaten. Nach Artikel 2 sind grundsätzlich die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in denen der Beklagte seinen
Wohnsitz hat. Als Ausnahme von diesem Grundsatz sind für bestimmte Arten von Klagen andere Gerichte zuständig.
5. Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens begründet für den Fall, dass „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand
des Verfahrens bilden“, die Zuständigkeit des „Gericht[s] des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen
wäre“.
6. Der 4. Abschnitt des Titels II mit den Artikeln 13 und 15 trägt die Überschrift „Zuständigkeit für Verbrauchersachen“. Soweit
hier von Bedeutung, bestimmt Artikel 13:
„Für Klagen aus einem Vertrag, den eine Person zu einem Zweck abgeschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen
Tätigkeit dieser Person (Verbraucher) zugerechnet werden kann, bestimmt sich die Zuständigkeit ... nach diesem Abschnitt,
1. wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt,
2. wenn es sich um ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein anderes Kreditgeschäft handelt, das zur Finanzierung eines
Kaufes derartiger Sachen bestimmt ist, oder
3. für andere Verträge, wenn sie die Erbringung einer Dienstleistung oder die Lieferung beweglicher Sachen zum Gegenstand haben,
sofern
- a)
- dem Vertragsabschluss in dem Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorausgegangen
ist und
- b)
- der Verbraucher in diesem Staat die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat.
...“
7. Nach Artikel 14 kann die Klage eines Verbrauchers gegen den Vertragspartner „entweder vor den Gerichten des Vertragsstaats
erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor den Gerichten des Vertragsstaats,
in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat“.
Sachverhalt und Verfahren
8. Herr Gruber ist Landwirt in Österreich, nahe der deutschen Grenze. Sein Bauernhof besteht aus dem Hofgebäude, von dem er den
einen Teil (der mit 62 % der Nutzfläche angegeben wird) mit seiner Familie bewohnt und den anderen Teil als Schweinestall
und zur Lagerung von Futter nutzt, sowie aus davon getrennten Nebengebäuden, darunter ein weiterer Schweinestall, eine Maschinenhalle
und eine Reihe von Futtersilos.
9. Die BayWa AG hat mehrere Betriebe in Deutschland. In Pocking, nicht weit von der österreichischen Grenze, betreibt sie sowohl
einen Baustoffhandel als auch einen Bau- und Gartenmarkt. Der Bau- und Gartenmarkt legt Werbeprospekte auf, die auch jenseits
der Grenze in Österreich verteilt werden.
10. Herr Gruber wurde durch solche Werbeprospekte auf BayWa aufmerksam. Da er beabsichtigte, seinen Hof mit Dachziegeln einzudecken,
erkundigte er sich telefonisch nach dem verfügbaren Sortiment und den aktuellen Preisen, obwohl Dachziegel in den Werbesendungen
nicht ausdrücklich erwähnt waren. Er stellte sich mit Namen vor und nannte seinen Wohnort, teilte aber nicht mit, dass er
Landwirt sei. Der Mitarbeiter, mit dem er gesprochen hatte, rief ihn später zurück und unterbreitete ihm ein mündliches Angebot.
Herr Gruber wollte jedoch die Dachziegel begutachten und fuhr daher zum Betrieb von BayWa.
11. Dort wurde ihm ein schriftliches Angebot überreicht. Er gab an, dass er Landwirt sei und mit den Dachziegeln seinen Hof eindecken
wolle. Er erwähnte auch, dass er noch andere Gebäude besitze, die überwiegend der Landwirtschaft dienten, teilte jedoch nicht
mit, ob das einzudeckende Gebäude überwiegend für landwirtschaftliche oder für private Zwecke genutzt werde.
12. Am nächsten Tag rief Herr Gruber BayWa von seinem Haus in Österreich aus an und erklärte, dass er das Angebot annehme. BayWa
faxte die Auftragsbestätigung an seine Bank.
13. Bei Abschluss der Dacheindeckung stellte Herr Gruber fest, dass die gelieferten Ziegel trotz der von BayWa gegebenen Zusage
einer einheitlichen Farbgebung erhebliche Farbabweichungen aufwiesen. Er erhob deshalb aus dem Titel der Gewährleistung und
des Schadensersatzes vor den österreichischen Gerichten Klage auf Rückersatz des Kaufpreises für die Ziegel, auf die Kosten
für Abdeckung und Neueindeckung des Daches und auf Feststellung der Haftung für alle künftigen Aufwendungen.
14. Für die Zuständigkeit berief sich Herr Gruber auf die Artikel 13 ff. des Brüsseler Übereinkommens. BayWa trat dem jedoch entgegen.
Das Gericht erster Instanz bejahte seine Zuständigkeit, da die Klage eine Verbrauchersache im Sinne dieser Vorschriften betreffe;
diese Entscheidung wurde jedoch auf Rekurs hin aufgehoben. Die Sache ist jetzt beim Obersten Gerichtshof anhängig, der das
Verfahren ausgesetzt hat und um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
- 1.
- Ist für die Verbrauchereigenschaft im Sinne des Artikels 13 EuGVÜ bei teilweiser Privatbezogenheit der Leistung deren überwiegender
privater oder beruflich‑gewerblicher Zweck entscheidend, und welche Kriterien sind für das Überwiegen des privaten oder beruflich‑gewerblichen
Zweckes maßgebend?
- 2.
- Kommt es für die Bestimmung des Zweckes auf die Umstände an, die aus der Sicht des Vertragspartners des Verbrauchers objektiv
erkennbar sind?
- 3.
- Ist ein Vertrag, der sowohl der privaten als auch der beruflich‑gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, im Zweifel
als Verbrauchersache anzusehen?
- 4.
- Geht dem Vertragsabschluss eine Werbung im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a EuGVÜ auch dann voraus, wenn
der spätere Vertragspartner des Verbrauchers zwar im Vertragsstaat des Verbrauchers eine Prospektwerbung für seine Produkte
durchgeführt, aber das später vom Verbraucher gekaufte Produkt darin nicht beworben hat?
- 5.
- Liegt auch dann eine Verbrauchersache im Sinne des Artikels 13 EuGVÜ vor, wenn der Verkäufer von seinem Staat aus telefonisch
an den im anderen Staat wohnenden Käufer ein Angebot gestellt hat, das nicht angenommen wurde, der Käufer aber später aufgrund
eines schriftlichen Angebotes das angebotene Produkt kaufte?
- 6.
- Hat der Verbraucher gemäß Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe b EuGVÜ die zum Abschluss des Vertrags erforderliche Rechtshandlung
auch dann im Staat des Verbrauchers vorgenommen, wenn er ein ihm im Staat seines Vertragspartners gestelltes Angebot in einem
von seinem Staat aus geführten Telefonat annimmt?
15. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens, die österreichische, die deutsche, die italienische, die portugiesische und die schwedische
Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2004 haben
Herr Gruber, die italienische Regierung und die Kommission Ausführungen gemacht.
Einstufung als Verbrauchersache
16. Die miteinander verknüpften Probleme, die durch die ersten Fragen des nationalen Gerichts aufgeworfen werden, sind alle von
allgemeiner Bedeutung und zweckmäßigerweise zusammen zu prüfen, wobei ich es allerdings vorziehe, bei meiner Untersuchung
die Problemstellung etwas anders zu formulieren, als es das nationale Gericht getan hat.
17. Die entscheidende Frage ist die, ob ein „gemischter“ Vertrag, wie ihn Herr Gruber mit BayWa geschlossen hat, als eine Verbrauchersache
im Sinne des Brüsseler Übereinkommens anzusehen ist.
18. Insoweit möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, welche Umstände bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind und ob
sie für den Anbieter objektiv erkennbar sein müssen.
19. Wie sich zeigen wird, ist die Antwort auf diese Fragen aus meiner Sicht ziemlich einfach. Es ist jedoch hilfreich, zuerst
einen Blick auf den Hintergrund der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens über Verbraucherverträge und auf ihre Auslegung
durch den Gerichtshof zu werfen.
Hintergrund
20. Artikel 13 der ursprünglichen Fassung des Brüsseler Übereinkommens betraf Verträge, die den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung
oder ein in Raten zurückzuzahlendes, unmittelbar zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen bestimmtes Darlehen zum Gegenstand
haben. Er bezog sich weder auf andere Dienstleistungen oder Warenlieferungen noch auf Leistungen an einen Käufer „zu einem
Zweck …, der nicht [seiner] beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit … zugerechnet werden kann“.
21. Seinen jetzigen Wortlaut erhielt Artikel 13 mit dem Beitrittsübereinkommen von 1978
(3)
. Nach dem Schlosser‑Bericht
(4)
über den Entwurf dieses Übereinkommens war Anlass für diese Entwicklung die wachsende Sorge um den Verbraucherschutz für
grenzüberschreitende Geschäfte. Der 4. Abschnitt des Titels II wurde so „zu einem Abschnitt über Zuständigkeiten in Verbrauchersachen
erweiter[t], und [es wurde] hierbei für die Zukunft klar[gestellt], dass der besondere Schutz nur zugunsten von Letztverbrauchern
gelten soll und nicht auch für Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit“ Verträge schließen.
22. Inhaltlich wurde die Definition der Verbrauchersache dem Artikel 5 des damaligen Vorentwurfs eines Übereinkommens über das
auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, aus dem später – beschränkt auf vertragliche Schuldverhältnisse
– das Übereinkommen von Rom
(5)
werden sollte, entnommen, auf den der Schlosser-Bericht Bezug nimmt.
23. Artikel 5 des Übereinkommens von Rom verbietet grundsätzlich jede Wahl des anwendbaren Rechts für einen Vertrag, die einem
Verbraucher den durch das Recht seines Wohnsitzstaats gewährten Schutz entziehen würde. Er definiert den Verbrauchervertrag
im Wesentlichen genau wie das Brüsseler Übereinkommen als einen Vertrag „über die Lieferung beweglicher Sachen oder die Erbringung
von Dienstleistungen an eine Person, den Verbraucher, zu einem Zweck, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit
des Verbrauchers zugerechnet werden kann“.
24. Der Giuliano‑Lagarde‑Bericht
(6)
über den Entwurf für dieses Übereinkommen wirft ein weiteres Licht auf den Begriff:
„Die Definition des ‚Verbrauchervertrags‘ entspricht der des Artikels 13 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen. Diese Bestimmung sollte unter Berücksichtigung
des angestrebten Ziels, nämlich des Schutzes der schwächeren Partei, und in Übereinstimmung mit anderen, das gleiche Ziel
verfolgenden internationalen Übereinkünften, wie z. B. dem Vollstreckungsübereinkommen, ausgelegt werden. Deshalb … gilt die
Vorschrift nicht für Verträge, die von Kaufleuten, Industriellen oder freiberuflich tätigen Personen (z. B. Ärzten) abgeschlossen
werden, welche für die Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit Geräte kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch
nehmen. Handelt eine solche Person zum Teil im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit und zum Teil außerhalb
dieses Rahmens, so fällt dieser Sachverhalt nur dann unter Artikel 5, wenn die Person im Wesentlichen außerhalb des Rahmens
ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt. Hat der Empfänger der beweglichen Sache, der Dienstleistung oder des
Kredits tatsächlich im Wesentlichen außerhalb des Rahmens seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gehandelt, die andere
Partei davon aber keine Kenntnis gehabt und unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände davon auch keine Kenntnis haben können,
so fällt der Sachverhalt nicht unter Artikel 5. Wenn sich also der Empfänger der beweglichen Sache oder der Dienstleistung
als Berufsangehöriger ausgibt und z. B. auf Papier mit entsprechendem Briefkopf Gegenstände bestellt, die tatsächlich zur
Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dienen können, so ist der gute Glaube der anderen Partei gewahrt,
und das Geschäft fällt nicht unter Artikel 5.“
25. Zum Begriff der Verbrauchersache in den Artikeln 13 ff. des Brüsseler Übereinkommens hat der Gerichtshof insbesondere in den
Rechtssachen Shearson Lehmann Hutton
(7)
und Benincasa
(8)
Stellung genommen.
26. Im Urteil Shearson Lehmann Hutton sah der Gerichtshof den Grund für die Bestimmungen in „dem Bestreben …, den Verbraucher
als den wirtschaftlich schwächeren und rechtlich weniger erfahrenen Vertragspartner zu schützen, [dem] daher der Entschluss
zur gerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte nicht dadurch erschwert werden darf, dass er bei den Gerichten des Staates klagen
muss, in dessen Hoheitsgebiet sein Vertragspartner seine Niederlassung hat“
(9)
.
27. Er hat jedoch auch Gründe dargelegt, aus denen der Begriff „Verbraucher“ in diesem Zusammenhang nicht zu weit ausgelegt werden
darf: Die betreffende Zuständigkeitsvorschrift stellt eine Ausnahme von der in Artikel 2 niedergelegten Regel dar. Abgesehen
von solchen ausdrücklichen Ausnahmen lehnt das Übereinkommen eine Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Klägers ab. Aus
dem Schutzzweck ergibt sich, dass die Ausnahme nicht auf Personen ausgedehnt werden darf, die dieses Schutzes nicht bedürfen
(10)
. Der Begriff bezieht sich daher „nur auf den nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnden privaten Endverbraucher“
(11)
.
28. Im Urteil Benincasa hat der Gerichtshof diesen Ansatz bestätigt und erläutert, dass „nach der Stellung [der] Person innerhalb
des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person
zu [fragen ist]. … [So] kann ein und dieselbe Person im Rahmen bestimmter Vorgänge als Verbraucher und im Rahmen anderer Vorgänge
als Unternehmer angesehen werden. … [N]ur die Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten
Verbrauch schließt, [fallen] unter die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers als des Beteiligten, der als der wirtschaftlich
schwächere Vertragspartner angesehen wird. Der mit diesen Vorschriften angestrebte besondere Schutz ist nicht gerechtfertigt
bei Verträgen, deren Zweck in einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit besteht …“
(12)
Eingereichte Erklärungen
29. Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen sind alle, die Erklärungen abgegeben haben, der Ansicht, dass die Anwendung
der Artikel 13 ff. auf „gemischte“ Verträge nicht ausgeschlossen sei. Es besteht außerdem allgemeine Übereinstimmung darüber,
dass die Rechtsnatur eines solchen Vertrages danach zu bestimmen sei, welches Element überwiege. Unterschiedliche Auffassungen
existieren jedoch in Bezug auf die Frage, unter welchen Umständen die „Verbraucher“-Aspekte eines Vertrages als in diesem
Sinne überwiegend anzusehen sind. Diese Auffassungen können grob in zwei Gruppen eingeteilt werden.
30. Knapp umrissen besteht der eine Standpunkt darin, dass aus Gründen des Verbraucherschutzes im Zweifel der Einstufung als Verbrauchersache
der Vorzug zu geben sei. Zweck der Sonderregelung sei es, den Verbraucher, der als wirtschaftlich schwächer und rechtlich
weniger erfahren als die andere Vertragspartei angesehen werde, dadurch zu schützen, dass er nicht vor den Gerichten eines
anderen Vertragsstaats klagen müsse. Niemandem, der sich in einer solchen Lage befinde, dürfe dieser Schutz verweigert werden.
31. Die Vertreter des anderen Standpunkts sprechen sich für eine enge Auslegung der Artikel 13 ff. aus: Danach fällt ein Vertrag
im Zweifel in die gewerbliche oder berufliche Sphäre des Verbrauchers, da diese Bestimmungen eine Ausnahme von der Zuständigkeit
der Gerichte des Erfüllungsortes nach Artikel 5 Nummer 1 enthielten, die ihrerseits eine Ausnahme von dem in Artikel 2 verankerten
Grundsatz sei, dass die Gerichte am Wohnsitz des Beklagten (actor sequitur forum rei) zuständig seien. Als Ausnahme zugunsten
der Gerichte am Wohnsitz des Klägers, einem Gerichtsstand, den das Übereinkommen grundsätzlich ablehne, sei sie besonders
außergewöhnlich. Der Gerichtshof habe wiederholt festgestellt, dass solche Ausnahmen eng auszulegen seien, und zwar speziell
in Bezug auf die Artikel 13 ff.
32. Was die zu berücksichtigenden Umstände angeht, so herrschen ganz unterschiedliche Meinungen. In einigen Erklärungen wird die
Ansicht geäußert, dass der Prozentsatz der erworbenen Waren entscheidend sei, der für den jeweiligen Zweck tatsächlich genutzt
werde oder vorgesehen sei, während in anderen auf die Schwierigkeiten hingewiesen wird, die mit dem Abstellen auf rein quantitative
Erwägungen verbunden seien. Nach Auffassung von Herrn Gruber soll es zwar auf die Absicht des Verbrauchers ankommen, aber
ein Unternehmen, das sich mit seiner Werbung an private Haushalte wende, müsse immer damit rechnen, dass es sich bei seinen
Vertragspartnern um Verbraucher handele. Andere meinen, abzustellen sei auf den Wortlaut des Vertrages selbst oder auf eine
Reihe anderer objektiver Faktoren – wie die Benutzung von Papier mit Firmenbriefkopf durch den Verbraucher, die Art der Waren
oder Dienstleistungen und ihre Beziehung zum Betrieb des Verbrauchers, die Menge der bestellten Waren oder den bekannten sozio‑ökonomischen
Hintergrund –, die erkennen lassen könnten, dass wahrscheinlich eine Verbindung zur gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit
des Verbrauchers bestehe. Die italienische, die portugiesische und die schwedische Regierung halten es nicht für erheblich,
ob der Anbieter von der Verbrauchereigenschaft Kenntnis habe, die anderen Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, dagegen
schon.
Beurteilung
33. Die entscheidende Frage ist, wie ich gesagt habe, die, ob ein „gemischter“ Vertrag, wie ihn Herr Gruber mit BayWa geschlossen
hat, als eine Verbrauchersache im Sinne des Brüsseler Übereinkommens anzusehen ist. Drei grundlegende Gesichtspunkte sind
dabei zu bedenken.
34. Erstens ist in der Tat der Vertrag zu klassifizieren und nicht der Verbraucher. Es gibt keinen persönlichen Status als Verbraucher
oder Nichtverbraucher; was zählt, ist die Eigenschaft, in der der Verbraucher tätig wurde, als er den jeweiligen Vertrag schloss.
Das folgt aus dem Wortlaut von Artikel 13 und ist vom Gerichtshof hervorgehoben worden, insbesondere im Urteil Benincasa.
35. Zweitens ist der Vertrag als Ganzes einzustufen und kann nicht aufgeteilt werden. Denn es gibt in diesem Zusammenhang nicht
so etwas wie einen „gemischten Vertrag“, sondern nur Verbraucher- und andere Verträge. Das ergibt sich ebenfalls aus dem Wortlaut
von Artikel 13 und auch aus einem der wesentlichen Ziele des Brüsseler Übereinkommens, nämlich der Vermeidung der Häufung
von Gerichten, die für dieselbe Angelegenheit, insbesondere für ein und denselben Vertrag, zuständig sind
(13)
. Es wäre absurd und würde gegen den eigentlichen Zweck des Übereinkommens verstoßen, wenn ein Gericht für einen Streit über
einen Teil des Vertragswerts zuständig wäre und ein anderes Gericht hinsichtlich des verbleibenden Teils. Ein Vertrag der
in Rede stehenden Art muss deshalb entweder unter Artikel 5 Nummer 1 oder unter die Artikel 13 ff. fallen.
36. Drittens, und das ist am Wichtigsten, soll es mit den Artikeln 13 ff. dem privaten Verbraucher – der im Rahmen des jeweiligen
Vertrages in der Regel sowohl wirtschaftlich und in Bezug auf seine geschäftliche und rechtliche Erfahrung als auch hinsichtlich
der Ressourcen in einer schwächeren Position ist als der ihn beliefernde Anbieter – erleichtert werden, Klage gegen diesen
Anbieter zu erheben. Dies wird sowohl aus dem Giuliano‑Lagarde‑Bericht als auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu
den Artikeln 13 ff. deutlich. Es ist diese Erwägung, die aus meiner Sicht den Ansatz bezeichnet, dem im Hinblick auf Verträge
der fraglichen Art zu folgen ist.
37. Den Verbrauchern wird ein besonderer und außergewöhnlicher Schutz gewährt, weil sie sich, wenn sie in dieser Eigenschaft einen
Vertrag schließen, in einer schwächeren Position befinden als ein Anbieter, der im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen
Tätigkeit handelt.
38. Auch wenn es natürlich Verträge geben wird, in denen die Verhältnisse anders liegen, ist es nach dem Brüsseler Übereinkommen
nicht erforderlich, die relative Schwäche der Position des Verbrauchers im Einzelfall nachzuweisen, doch fingiert das Übereinkommen
im Interesse der Rechtssicherheit, dass jeder, der Waren oder Dienstleistungen für einen Zweck erwirbt, der nicht mit seiner
gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, in einer schwächeren Position ist als der ihn beliefernde Anbieter.
39. Umgekehrt ist deshalb zu unterstellen, dass jemand, der solche Lieferungen für einen Zweck erwirbt, der mit seiner gewerblichen
oder beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, auf der gleichen Stufe steht wie der Anbieter und nicht den gleichen außergewöhnlichen
Schutz beanspruchen kann.
40. Dient ein Vertrag gleichzeitig privaten und gewerblichen oder beruflichen Zwecken, so kann möglicherweise der Anteil bestimmt
werden, der in die jeweilige Kategorie fällt. Es kann jedoch unmöglich angenommen werden, dass der Verbraucher in Bezug auf
diesen oder auch irgendeinen anderen Anteil sich sowohl in einer schwächeren Position als der Anbieter als auch auf gleicher
Stufe mit ihm hinsichtlich ein und desselben Vertrags befindet.
41. Soweit der Verbraucher einen Vertrag zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken schließt, hat zu gelten, dass er auf gleicher
Stufe mit dem Anbieter steht. Diese Position der Gleichheit – seine unterstellte geschäftliche und rechtliche Erfahrung sowie
seine Ressourcen im Vergleich zu denen des Anbieters – wird nicht dadurch unterminiert, dass der Vertrag auch privaten Zwecken
dient. Das muss unabhängig von der relativen Bedeutung beider Arten von Zwecken gelten, solange sie beide signifikant sind.
42. Folglich kann jemand, der einen Vertrag für Zwecke schließt, die teilweise mit seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit
im Zusammenhang stehen und teilweise nicht, nicht in einer Position sein, in der er sich auf den durch die Artikel 13 ff.
EuGVÜ gewährten außergewöhnlichen Schutz berufen kann, es sei denn, der gewerbliche oder berufliche Zweck ist nicht signifikant.
43. Zu dieser Schlussfolgerung zwingen nicht nur die grundsätzlichen Erwägungen, die im Schlosser‑ und im Giuliano‑Lagarde‑Bericht
dargelegt sind, und die Logik, die dem betreffenden Schutz zugrunde liegt. Sie ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des
Gerichtshofes, wonach diese Bestimmungen als Ausnahme von der Regel und insbesondere als Ausnahme, die den Gerichten am Wohnsitz
des Klägers die Zuständigkeit verleiht, eng auszulegen sind und nicht auf Personen erstreckt werden dürfen, die nicht schutzbedürftig
sind.
44. Das nationale Gericht fragt außerdem, ob für den Anbieter objektiv erkennbar sein muss, inwieweit der Vertrag den privaten
Zwecken des Verbrauchers oder aber seinen gewerblichen oder beruflichen Zwecken dient.
45. In Anbetracht der Auffassung, zu der ich oben gelangt bin, muss das Gericht, bei dem Klage erhoben wird, im Streitfall feststellen,
ob der Vertrag in erheblichem Maß einem Zweck diente, der mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Verbrauchers
im Zusammenhang steht.
46. Diese Feststellung ist auf der Grundlage der Beweise zu treffen, und ich stimme hier in einigen der beim Gerichtshof eingereichten
Erklärungen geäußerten Ansicht zu, dass der gesamte Kontext relevant ist.
47. Ergibt sich aus den Beweisen, dass der Vertrag in erheblichem Maß einem Zweck dient, der mit der gewerblichen oder beruflichen
Tätigkeit des Verbrauchers im Zusammenhang steht, so sind die Artikel 13 ff. nicht anwendbar, und es kommt nicht darauf an,
ob der betreffende Zweck für den Anbieter objektiv erkennbar war.
48. Ergibt sich, dass es keinen signifikanten gewerblichen oder beruflichen Zweck gab, so ist der Vertrag als Verbrauchersache
einzustufen. In diesem Fall entstünde nur dann eine Schwierigkeit, wenn der Anbieter trotz dieser Feststellung aufgrund der
Begleitumstände vernünftige Gründe für die Annahme hatte, dass der Vertrag einem Zweck diente, der mit der gewerblichen oder
beruflichen Tätigkeit des Verbrauchers im Zusammenhang stand.
49. In einem solchen Fall kann dem Verbraucher meines Erachtens der Schutz der Artikel 13 ff. nicht verweigert werden, es sei
denn, er hat sich so verhalten, dass sich der Eindruck aufdrängte, dass er sich in seiner Eigenschaft als Gewerbetreibender
oder Berufstätiger betätigt hat, und er daher wie jemand behandelt werden kann, der vorgibt, den Vertrag im Rahmen seiner
Geschäftstätigkeit geschlossen zu haben.
50. Dürfen die Bestimmungen über Verbrauchersachen nicht dahin ausgelegt werden, dass der durch sie gewährte Schutz auf Personen
ausgeweitet wird, die nicht schutzbedürftig sind, so dürfen sie auch nicht dahin ausgelegt werden, dass der Schutz denen verweigert
wird, für die er gedacht ist. Dieser Schutz soll zweifellos jedem zukommen, der einen Vertrag ausschließlich oder überwiegend
zu Zwecken schließt, die nicht mit seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen. Die Bedeutung dieses
Zieles erhält durch Artikel 153 EG, mit dem das gleiche Gesamtziel der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus
verfolgt wird, weiteres Gewicht.
51. Gibt ein Verbraucher jedoch vor, dass er in seiner Eigenschaft als Gewerbetreibender oder Berufstätiger handelt – indem er
z. B. auf Papier mit Firmenbriefkopf korrespondiert, Waren an seine Geschäftsadresse liefern lässt oder die Möglichkeit der
Erstattung der Mehrwertsteuer erwähnt –, und erkennt der Anbieter in gutem Glauben keine Gründe, die dagegen sprechen, so
ist die Annahme berechtigt, dass der Verbraucher auf sein Recht auf diesen Schutz verzichtet hat, wie im Giuliano‑Lagarde‑Bericht
vorgeschlagen wird.
52. Im Licht der vorstehenden Erwägungen kann der Vertrag zwischen Herrn Gruber und BayWa wahrscheinlich nicht als Verbrauchersache
im Sinne des Brüsseler Übereinkommens eingestuft werden, so dass sich die übrigen Vorlagefragen, die nur relevant sind, wenn
ein Vertrag in dieser Weise eingestuft werden kann, nicht stellen. Die Beurteilung ist jedoch Sache des nationalen Gerichts,
und ich werde die betreffenden Fragen daher gleichwohl erörtern.
Vorausgehende Werbung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers
53. Anlass für die vierte Frage des nationalen Gerichts ist die Tatsache, dass Herr Gruber auf die Tätigkeiten von BayWa zwar
durch Werbung aufmerksam wurde, die zu ihm nach Österreich gesandt worden war, diese Werbung aber die Ziegel, die er kaufen
wollte und tatsächlich kaufte, nicht erwähnte. Fällt dieser Fall unter den Begriff eines Vertrages, dem „eine Werbung vorausgegangen
ist“?
54. Der Schlosser‑Bericht verweist auf den Giuliano‑Lagarde‑Bericht, soweit es um darum geht, was im Einzelnen mit Werbung im
Wohnsitzstaat des Verbrauchers gemeint ist.
55. Nach dem letztgenannten Bericht betrifft diese Voraussetzung
(14)
„Fälle, in denen der Kaufmann Schritte unternommen hat, um seine beweglichen Sachen oder Dienstleistungen in dem Land zu
verkaufen, in dem sich der Verbraucher aufhält. Dieser Gedankenstrich muss auch Versandgeschäfte und den Detailreisehandel
umfassen. Der Kaufmann muss also bestimmte Handlungen vorgenommen haben wie beispielsweise Werbung in Presse, Rundfunk, Fernsehen
oder Filmtheatern oder mittels speziell in das betreffende Land versandter Kataloge oder Abgabe persönlicher Verkaufsangebote
über einen Handelsvertreter oder Reisenden. …
(15)
“
56. In zwei Rechtssachen hat der deutsche Bundesgerichtshof den Gerichtshof gefragt, ob die Bestimmung einen Zusammenhang zwischen
der Werbung und dem Vertragsabschluss verlangt
(16)
, aber in beiden hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a EuGVÜ aus anderen Gründen
nicht anwendbar ist, und diesen Aspekt nicht geprüft.
57. In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Shearson Lehmann Hutton hat Generalanwalt Darmon jedoch die Auffassung vertreten,
dass kein Kausalzusammenhang zwischen der Werbung und dem Vertragsabschluss nachgewiesen zu werden brauche
(17)
. Er hat festgestellt, dass das Übereinkommen vom Verbraucher nicht den Nachweis verlange, dass die Werbung ihn tatsächlich
erreicht habe oder dass ein Kausalzusammenhang zwischen dieser Werbung und dem Vertragsabschluss bestehe, eine Anforderung,
die ohnehin im Allgemeinen nicht zu erfüllen wäre. Darüber hinaus würde eine solche Forderung gegen das Ziel des Verbraucherschutzes
verstoßen, der nur diejenigen Einschränkungen zulasse, die sich aus dem Wortlaut des Übereinkommens ergäben. Die einzige akzeptable
Einschränkung beruhe auf dem gesunden Menschenverstand: Die Werbung dürfe zeitlich nicht zu sehr vom Vertragsabschluss entfernt
sein, was das nationale Gericht zu beurteilen habe. Somit stelle Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a „eine Art unwiderleglicher
Vermutung für einen Kausalzusammenhang zwischen dem Erscheinen der Werbung und dem Vertragsabschluss dar, sofern Erstere Letzterem
vorausgegangen“ sei.
58. Von den Beteiligten, die zu diesem Punkt Erklärungen abgegeben haben, ist nur die portugiesische Regierung der Ansicht, dass
die Verbraucherschutzvorschriften nur dann anwendbar seien, wenn eine enge Verbindung zwischen den beworbenen und den erworbenen
Waren oder Dienstleistungen bestehe. Die anderen Beteiligten stimmen im Wesentlichen darin überein, dass es ausreiche, wenn
der Verbraucher Werbematerial erhalten und anschließend Waren oder Dienstleistungen von dem Werbung Betreibenden erworben
habe, ohne dass es auf die Art der Waren oder Dienstleistungen ankomme. Sogar die portugiesische Regierung räumt ein, dass
eine strenge Übereinstimmung zwischen den beworbenen und den erworbenen Gegenständen nicht erforderlich sei, sofern sie ähnlich
seien oder zum selben Tätigkeitsbereich gehörten.
59. Die Kommission weist zusätzlich zu den Schwierigkeiten, mit denen der Nachweis eines spezifischen Kausalzusammenhangs verbunden
sei, insbesondere auf die Gefahr hin, dass die Anbieter ihre Werbung so gestalten könnten, dass die Anwendung der Artikel 13 ff.
wirksam ausgeschlossen wäre, und dadurch das Ziel des Übereinkommens umgingen.
60. Ich kann der von Generalanwalt Darmon in der Rechtssache Shearson Lehmann Hutton vertretenen und in der Mehrheit der beim
Gerichtshof eingereichten Erklärungen unterstützten Betrachtungsweise nur zustimmen. Wie hervorgehoben wurde, ist im Übereinkommen
lediglich von einem Vertrag die Rede, dem eine Werbung „vorausgegangen“ ist, und nicht von einem, der durch sie „zustande
gekommen“ ist.
61. Der Fall, auf den sich Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a bezieht, ist im Wesentlichen der der absichtlichen grenzüberschreitenden
Werbung. Ein Kaufmann in einem Vertragsstaat, der bei Einzelnen in einem anderen Vertragsstaat für seine Waren oder Dienstleistungen
wirbt, muss sich dessen bewusst sein, dass alle sich daraus ergebenden Verträge Verbrauchersachen im Sinne des Übereinkommens
sein werden, wenn die anderen relevanten Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Betrachtungsweise, nach der es auf den Nachweis
einer spezifischen Verbindung zwischen der Werbung und den tatsächlich erworbenen Waren oder Dienstleistungen ankäme, könnte
nicht dem Kriterium der Rechtssicherheit genügen.
62. Darüber hinaus zielt kommerzielle Werbung selten oder nie darauf ab, nur den Verkauf bestimmter Gegenstände unter Ausschluss
aller anderen Arten von Geschäften zu fördern. Im Gegenteil, das Ziel besteht in der Regel darin, die Existenz des Werbetreibenden
und die ganze Bandbreite seiner geschäftlichen Tätigkeiten einem möglichst breiten Publikum bekannt zu machen und die größtmögliche
Zahl von Geschäften in so vielen Branchen wie möglich abzuschließen. Umgekehrt tritt häufig der Fall ein, dass der Empfänger
einer Werbesendung, dem das Geschäft des Werbung Betreibenden seiner Art nach zusagt, weitere Erkundigungen einzieht und gegebenenfalls
Waren oder Dienstleistungen erwirbt, die in dieser Sendung nicht ausdrücklich erwähnt sind.
63. Infolgedessen geht dem Vertragsabschluss eine Werbung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers im Sinne des Artikels 13 Absatz 1
Nummer 3 Buchstabe a EuGVÜ dann voraus, wenn der Anbieter zuvor Waren oder Dienstleistungen in dem betreffenden Staat beworben
hat, auch wenn er die vom Verbraucher gekauften spezifischen Produkte nicht erwähnt hat.
Ausdrückliches Angebot an den Verbraucher
64. Das nationale Gericht ersucht in seiner fünften Frage um Aufschluss über die alternative Voraussetzung in Artikel 13 Absatz
1 Nummer 3 Buchstabe a, nämlich die eines Vertrages, dessen Abschluss im Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers ein ausdrückliches
Angebot vorausgegangen ist. Umfasst dieser Begriff auch den Fall, dass der Anbieter telefonisch dem Verbraucher in dessen
Wohnsitzstaat ein Angebot macht, dem ein schriftliches Angebot folgt, das dem Verbraucher im Staat des Anbieters ausgehändigt
wird, und es das letztgenannte Angebot ist, das der Verbraucher annimmt?
65. Die beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen stimmen im Wesentlichen darin überein, dass die Voraussetzung unter den beschriebenen
Umständen erfüllt sei, auch wenn die portugiesische Regierung betont, dass sich die beiden Angebote auf dasselbe Produkt beziehen
müssten. Die Kommission weist darauf hin, dass auch hier Voraussetzung lediglich die sei, dass dem Vertrag ein ausdrückliches
Angebot an den Verbraucher im Staat seines Wohnsitzes vorausgegangen sei, nicht, dass der Vertrag aufgrund dieses Angebots
geschlossen werde.
66. Auch dieser Auffassung schließe ich mich an. Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache kann das Angebot, das Herrn
Gruber in Deutschland ausgehändigt wurde, nicht als ein Angebot betrachtet werden, das in seinem Wohnsitzstaat, Österreich,
an ihn gerichtet war. Er hatte jedoch zuvor, als er in Österreich war, ein mündliches Angebot erhalten, das eindeutig der
Definition in Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a entspricht. Dieses Angebot ging dem Vertragsabschluss voraus.
67. Es ist vielleicht trotzdem sinnvoll, zwischen einem „ausdrücklichen Angebot“ und „Werbung“ zu unterscheiden. Diese ist naturgemäß
allgemein, Ersteres ist als ausdrücklich definiert. Brauchen sich Werbesendungen somit nicht auf dieselben Waren oder Dienstleistungen
zu beziehen wie die, die anschließend erworben werden, so müssen offenbar doch diejenigen Waren oder Dienstleistungen, für
die ein ausdrückliches Angebot abgegeben wird, im Wesentlichen mit denen identisch sein, die später erworben werden. Hätte
sich also das telefonische Angebot an Herrn Gruber auf Ziegel bezogen und das schriftliche Angebot und der anschließende Kauf
Dachbalken gegolten, so wäre die Voraussetzung „ausdrückliches Angebot“ nicht erfüllt gewesen.
68. Erhält ein Verbraucher in seinem Wohnsitzstaat telefonisch ein ausdrückliches Angebot von einem Anbieter aus einem anderen
Staat und erwirbt er anschließend vom Anbieter die auf diese Weise angebotenen Waren oder Dienstleistungen, so ist davon auszugehen,
dass dem Vertragsabschluss ein ausdrückliches Angebot im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a EuGVÜ vorausging,
auch wenn die tatsächlichen Vertragsbedingungen auf einem späteren Angebot beruhen, das nicht im Wohnsitzstaat des Verbrauchers
zugegangen ist.
Zum Abschluss des Vertrages erforderliche Rechtshandlungen
69. Mit seiner letzten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob der Verbraucher gemäß Artikel 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe b EuGVÜ
die zum Abschluss des Vertrages erforderliche Rechtshandlung auch dann im Staat seines Wohnsitzes vorgenommen hat, wenn er
ein ihm im Staat des Anbieters gestelltes Angebot in einem von seinem eigenen Staat aus geführten Telefonat annimmt
70. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung scheint es klar, dass die Frage zu bejahen ist – wie in der Tat von allen Beteiligten,
die Erklärungen abgegeben haben, zu diesem Punkt vorgeschlagen wird –, und diese Ansicht wird durch den Schlosser- und den
Giuliano‑Lagarde‑Bericht bestätigt.
71. Im Schlosser-Bericht heißt es, dass „die neue Regelung im Prinzip wieder dem Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf
vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht [folgt]. Die beiden in Artikel 13 Nr. 3 genannten Voraussetzungen
– Angebot oder Werbung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers sowie dortige Vornahme der auf Seiten des Verbrauchers zum Vertragsschluss
notwendigen Rechtshandlungen – müssen kumulativ vorliegen.“
(18)
72. Im Giuliano‑Lagarde‑Bericht heißt es, dass „die Worte ‚erforderliche Rechtshandlungen‘ … ausdrücklich … gewählt [worden seien],
um das klassische Problem der Bestimmung des Ortes des Vertragsabschlusses zu umgehen. Diese Frage ist bei den hier behandelten
Sachverhalten besonders schwierig, da es sich normalerweise um auf dem Briefwege geschlossene internationale Verträge handelt.
Der Begriff ‚Rechtshandlung‘ umfasst insbesondere die Abgabe einer schriftlichen Erklärung oder eine sonstige Willensbekundung
auf ein Angebot oder eine Werbung hin.“
(19)
73. Daher ist der Ort, an dem das Angebot abgegeben wird, unerheblich, sofern ein Angebot (oder Werbung) vorliegt, das dem Verbraucher
in seinem Wohnsitzstaat zugeht. Worauf es ankommt, ist, ob der Verbraucher die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen
Rechtshandlungen in seinem Wohnsitzstaat vornimmt. Es spielt auch keine Rolle, welche Kommunikationsmittel zum Vertragsabschluss
verwendet werden.
74. Telefoniert ein Verbraucher von seinem Haus aus, um ein Angebot anzunehmen, so ist diese Rechtshandlung offensichtlich zum
Abschluss des Vertrages erforderlich. Selbst wenn es zuvor Diskussionen oder Verhandlungen im Staat des Anbieters gegeben
hat, die die Vertragsbedingungen gestalten, so ist es andererseits wahrscheinlich, dass diese Rechtshandlungen eher vom Anbieter
als vom Verbraucher vorgenommen werden und dass sie jedenfalls dem Abschluss des Vertrages vorausgehen.
75. Folglich nimmt ein Verbraucher im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe b die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen
Rechtshandlungen im Staat seines Wohnsitzes vor, wenn er die Annahme eines Angebots von diesem Staat aus mitteilt, unabhängig
davon, wo das Angebot gestellt worden ist und welche Kommunikationsmittel verwendet wurden.
Ergebnis
76. Meiner Ansicht nach sollte der Gerichtshof die Fragen des Obersten Gerichtshofes wie folgt beantworten:
- 1.
- Wer einen Vertrag für Zwecke schließt, die teilweise mit seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen
und teilweise nicht, kann sich nicht auf die Gerichtsstandsregel der Artikel 13 ff. EuGVÜ berufen, es sei denn, der gewerbliche
oder berufliche Zweck ist nicht signifikant.
- 2.
- Bei der Feststellung, ob jemand einen Vertrag ausschließlich oder überwiegend zu Zwecken geschlossen hat, die nicht mit seiner
gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen, brauchen Umstände, die aus der Sicht des Vertragspartners
des Verbrauchers objektiv erkennbar waren, nicht berücksichtigt zu werden, es sei denn, der Verbraucher hat vorgegeben, dass
er in seiner Eigenschaft als Gewerbetreibender oder Berufstätiger handelt, und der Vertragspartner hat in gutem Glauben keine
Gründe erkannt, die dagegen sprechen.
- 3.
- Dem Vertragsabschluss geht eine Werbung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a EuGVÜ
dann voraus, wenn der Anbieter zuvor Waren oder Dienstleistungen in dem betreffenden Staat beworben hat, auch wenn er die
vom Verbraucher gekauften spezifischen Produkte nicht erwähnt hat.
- 4.
- Erhält ein Verbraucher in seinem Wohnsitzstaat telefonisch ein ausdrückliches Angebot von einem Anbieter aus einem anderen
Vertragsstaat und erwirbt er anschließend von dem Anbieter die auf diese Weise angebotenen Waren oder Dienstleistungen, so
ist davon auszugehen, dass dem Vertragsabschluss ein ausdrückliches Angebot im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a
EuGVÜ vorausging, auch wenn die tatsächlichen Vertragsbedingungen auf einem späteren Angebot beruhen, das nicht im Wohnsitzstaat
des Verbrauchers zugegangen ist.
- 5.
- Ein Verbraucher nimmt im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe b EuGVÜ die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen
Rechtshandlungen im Staat seines Wohnsitzes vor, wenn er die Annahme eines Angebots von diesem Staat aus mitteilt, unabhängig
davon, wo das Angebot gestellt worden ist und welche Kommunikationsmittel verwendet wurden.
- 1 –
- Originalsprache: Englisch.
- 2 –
- Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 27. September 1968. Eine konsolidierte Fassung des Übereinkommens in der durch die vier aufeinander
folgenden Beitrittsübereinkommen geänderten Fassung – der maßgebenden Fassung in der vorliegenden Rechtssache – ist im ABl. 1998,
C 27, S. 1, veröffentlicht. Seit 1. März 2002 (nach dem hier maßgebenden Zeitraum) ist das Übereinkommen außer in Bezug auf
Dänemark und einige überseeische Gebiete anderer Mitgliedstaaten durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001,
L 12, S. 1) ersetzt worden.
- 3 –
- Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland
zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof (ABl. L 304, S. 1).
- 4 –
- ABl. 1979, C 59, S. 71 (S. 117 bis 120, Nrn. 153 bis 161).
- 5 –
- ABl. 1980, L 266, S. 1; vgl. Schlosser‑Bericht (Nr. 155).
- 6 –
- ABl. 1980, C 282, S. 23 (Nr. 2).
- 7 –
- Urteil vom 19. Januar 1993 in der Rechtssache C‑89/91 (Slg. 1993, I‑139).
- 8 –
- Urteil vom 3. Juli 1997 in der Rechtssache C‑269/95 (Slg. 1997, I‑3767).
- 9 –
- Randnr. 18.
- 10 –
- Randnrn. 16, 17 und 19 des Urteils.
- 11 –
- Randnr. 22 des Urteils.
- 12 –
- Randnrn. 16 und 17.
- 13 –
- Vgl. z. B. Urteile vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C‑96/00 (Gabriel, Slg. 2002, I‑6367, Randnr. 57), vom 10. April 2003
in der Rechtssache C‑437/00 (Pugliese, Slg. 2003, I‑3573, Randnr. 16) und vom 5. Februar 2004 in der Rechtssache C‑18/02 (DFDS
Torline, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 26).
- 14 –
- Im Rahmen des Übereinkommens von Rom: Artikel 5 Absatz 2 erster Gedankenstrich.
- 15 –
- S. 24 des Berichts (zitiert in Fußnote 6).
- 16 –
- Urteil Shearson Lehmann Hutton (zitiert in Fußnote 7), 2. Frage, und Urteil vom 15. September 1994 in der Rechtssache C‑318/93
(Brenner und Noller, Slg. 1994, I‑4275, 3. Frage).
- 17 –
- Vgl. insbesondere Nrn. 81 bis 85 der Schlussanträge und Punkt 2 der hilfsweise vorgeschlagenen Entscheidung in Nr. 113 der
Schlussanträge.
- 18 –
- S. 18 des Berichts (zitiert in Fußnote 4).
- 19 –
- S. 24.