URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

19. März 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Staatliche Beihilfe — Art. 107 Abs. 1 AEUV — Begriff ‚staatliche Beihilfe‘ — Wohnungsbeihilfe, die vor dem Beitritt Ungarns zur Europäischen Union bestimmten Kategorien von Haushalten gewährt wurde — Von Kreditinstituten gegen Einräumung einer Staatsgarantie durchgeführte Abrechnung der Beihilfe — Art. 108 Abs. 3 AEUV — Maßnahme, die der Europäischen Kommission nicht vorab mitgeteilt wurde — Rechtswidrigkeit“

In der Rechtssache C‑672/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Ungarn) mit Entscheidung vom 30. Juli 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Dezember 2013, in dem Verfahren

OTP Bank Nyrt

gegen

Magyar Állam,

Magyar Államkincstár

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters A. Borg Barthet in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter E. Levits und F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der OTP Bank Nyrt, vertreten durch P. Nagy, ügyvéd,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Talabér-Ritz und L. Flynn als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 107 AEUV und 108 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den die OTP Bank Nyrt (im Folgenden: OTP Bank), ein ungarisches Kreditinstitut, gegen den Magyar Állam (im Folgenden: ungarischer Staat) und den Magyar Államkincstár (im Folgenden: ungarisches Schatzamt) wegen eines Erstattungsanspruchs aus einer Garantie führt, die der ungarische Staat der OTP Bank gewährt hatte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Gemäß seinem Art. 2 Abs. 2 ist der Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) sowie der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (ABl. 2003, L 236, S. 17, im Folgenden: Beitrittsvertrag) am 1. Mai 2004 in Kraft getreten.

4

Nach Art. 1 Abs. 2 des Beitrittsvertrags sind die Aufnahmebedingungen und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge in der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33, im Folgenden: Beitrittsakte) festgelegt.

5

Art. 22 der Beitrittsakte, der ebenso wie deren übrige Bestimmungen Bestandteil des Beitrittsvertrags ist, bestimmt, dass die in ihrem Anhang IV aufgeführten Maßnahmen unter den in diesem Anhang festgelegten Bedingungen angewandt werden.

6

In Nr. 3 („Wettbewerbspolitik“) von Anhang IV der Beitrittsakte heißt es:

„1.

Die folgenden Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die in einem neuen Mitgliedstaat vor dem Tag des Beitritts eingeführt worden und auch nach diesem Tag noch anzuwenden sind, gelten als zum Tag des Beitritts bestehende Beihilfen im Sinne von Artikel [108] Absatz 1 [AEUV]:

a)

Beihilfemaßnahmen, die vor dem 10. Dezember 1994 eingeführt worden sind;

b)

Beihilfemaßnahmen, die in der Anlage zu diesem Anhang aufgeführt sind;

c)

Beihilfemaßnahmen, die vor dem Tag des Beitritts von der Kontrollbehörde für staatliche Beihilfen des neuen Mitgliedstaats überprüft und als mit dem Besitzstand vereinbar beurteilt wurden und gegen die die Kommission keine Einwände aufgrund schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt gemäß dem in Nummer 2 vorgesehenen Verfahren erhoben hat.

Nach dem Tag des Beitritts weiterhin anzuwendende Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen und nicht die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllen, sind … zum Tag des Beitritts für die Zwecke der Anwendung von Artikel [108] Absatz 3 [AEUV] als neue Beihilfe anzusehen.“

7

Die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. L 83, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 659/1999) bestimmt in ihrem Art. 1 („Definitionen“):

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a)

‚Beihilfen‘ alle Maßnahmen, die die Voraussetzungen des Artikels [107] Absatz 1 [AEUV] erfüllen;

b)

‚bestehende Beihilfen‘

i)

unbeschadet … des Anhangs IV Nummer 3 und der Anlage zu diesem Anhang der [Beitrittsakte] alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrages in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrages eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind;

ii)

genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden;

iii)

Beihilfen, die gemäß Artikel 4 Absatz 6 dieser Verordnung oder vor Erlass dieser Verordnung, aber gemäß diesem Verfahren als genehmigt gelten;

iv)

Beihilfen, die gemäß Artikel 15 als bereits bestehende Beihilfen gelten;

v)

Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben. Werden bestimmte Maßnahmen im Anschluss an die Liberalisierung einer Tätigkeit durch gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zu Beihilfen, so gelten derartige Maßnahmen nach dem für die Liberalisierung festgelegten Termin nicht als bestehende Beihilfen;

c)

‚neue Beihilfen‘ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen;

d)

‚Beihilferegelung‘ eine Regelung, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können, beziehungsweise eine Regelung, wonach einem oder mehreren Unternehmen nicht an ein bestimmtes Vorhaben gebundene Beihilfen für unbestimmte Zeit und/oder in unbestimmter Höhe gewährt werden können;

e)

‚Einzelbeihilfen‘ Beihilfen, die nicht aufgrund einer Beihilferegelung gewährt werden, und einzelne anmeldungspflichtige Zuwendungen aufgrund einer Beihilferegelung;

f)

‚rechtswidrige Beihilfen‘ neue Beihilfen, die unter Verstoß gegen Artikel [108] Absatz 3 [AEUV] eingeführt werden;

…“

Ungarisches Recht

8

Auf der Grundlage der in den Haushaltsgesetzen der Republik Ungarn für die Jahre 2000 bis 2002 enthaltenen Ermächtigungen erließ die Regierung dieses Mitgliedstaats die Regierungsverordnung Nr. 12 vom 31. Januar 2001 über Wohnungsbeihilfen (Magyar Közlöny 2001/11, im Folgenden: Verordnung von 2001).

9

Gemäß dem in Kapitel VII enthaltenen § 24 Abs. 1 dieser Verordnung sollten die Gewährung und Auszahlung der Darlehen im Sinne der Kapitel II bis VI der Verordnung, die Festlegung der Tilgung und der Beihilfen und deren Abrechnung im zentralen Haushalt – unabhängig von der Person des Erbauers, Bauherrn oder Verkäufers – von Kreditinstituten durchgeführt werden.

10

§ 24 Abs. 15 der Verordnung von 2001 lautet:

„Das Kreditinstitut schließt mit dem Minister und dem Schatzamt einen Vertrag über die Zahlung der Beihilfen und der Vorschüsse nach Abs. 11 und das Abrechnungssystem sowie die zur Finanzkontrolle erforderliche Zurverfügungstellung von Daten. Das Kreditinstitut ist nach Abschluss des Vertrags zur Abrechnung der Beihilfen und Vorschüsse befugt.“

11

In § 25 Abs. 1 und 2 der Verordnung von 2001 heißt es:

„(1)   Sofern der Antragsteller für den Erwerb einer Wohnung auch die Wohnungsbauunterstützung nach § 5 Abs. 4 in Anspruch genommen hat, erstattet der Staat dem Kreditinstitut im Falle eines nach § 13 Abs. 1 festgesetzten, bei dem Kreditinstitut aufgenommenen und nach den Bestimmungen des Rechnungslegungsgesetzes uneinbringlich gewordenen Darlehens 80 % des Gesamtbetrags des Darlehenskapitals sowie der damit zusammenhängenden Nebenforderungen, soweit diese die Hälfte des Darlehenskapitals nicht übersteigen.

(2)   Der Staat erstattet dem Kreditinstitut im Falle eines nach § 5/A bei dem Kreditinstitut aufgenommenen und nach den Bestimmungen des Rechnungslegungsgesetzes uneinbringlich gewordenen Vorschussdarlehens den Gesamtbetrag des Darlehenskapitals sowie der damit zusammenhängenden Nebenforderungen.“

12

§ 25/C der Verordnung von 2001, der durch § 10 der Regierungsverordnung Nr. 257 vom 6. Dezember 2011 (im Folgenden: Verordnung von 2011) eingefügt wurde, bestimmt:

„Die Erstattungspflicht des Staates nach § 25 Abs. 1 und 2 der [Verordnung von 2001] ist bei Darlehensverträgen, die am 1. Mai 2004 oder später geschlossen wurden, nicht durchsetzbar.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Am 15. September 2008 schlossen das Ministerium für kommunale Selbstverwaltung, das Schatzamt und die OTP Bank auf der Grundlage von § 24 Abs. 15 der Verordnung von 2001 einen Kommissionsvertrag.

14

Gemäß Punkt I/1. dieses Vertrags beauftragte das Ministerium für kommunale Selbstverwaltung die OTP Bank zwecks Durchführung der Verordnung von 2001 mit der Abrechnung der staatlichen Wohnungsbeihilfen. In diesem Rahmen erledigte die OTP Bank folgende Aufgaben: Prüfung der Anträge auf Wohnungsbeihilfen und geförderte Wohnungsdarlehen, Auszahlung der Beihilfen unter den in der Verordnung von 2001 vorgesehenen Voraussetzungen, Überwachung der Eintragungen von Hypotheken sowie Verfügungs- und Belastungsverboten zugunsten des Staats ins Grundbuch, Verbuchung der als Wohnungsbeihilfe gewährten Beträge im Haushalt und Übermittlung der Daten gemäß den Bestimmungen der Verordnung von 2001.

15

Als Gegenleistung hierfür stand der OTP Bank die in Punkt II/5. des Kommissionsvertrags vom 15. September 2008 festgelegte Kostenerstattung zu, nämlich 1,5 % der als Wohnungsbeihilfe gewährten Beträge bzw. 3 % der in den Verträgen über Vorschussdarlehen festgelegten Beträge, der Wohnungsbeihilfen für junge Menschen und der früheren Beihilfe in Form einer Steuererstattung.

16

Nach § 25 Abs. 1 der Verordnung von 2001 in seiner bei Abschluss des Kommissionsvertrags vom 15. September 2008 – also vor seiner Änderung durch die Verordnung von 2011 – geltenden Fassung war der ungarische Staat unter bestimmten Voraussetzungen außerdem verpflichtet, dem Kreditinstitut im Fall eines bei diesem aufgenommenen und nach den Bestimmungen des Rechnungslegungsgesetzes uneinbringlich gewordenen Darlehens 80 % des Gesamtbetrags des Darlehenskapitals sowie der damit zusammenhängenden Nebenforderungen zu erstatten.

17

§ 25 Abs. 2 der Verordnung von 2001 sah vor, dass der Staat ferner gewährleisten musste, dass dem Kreditinstitut im Fall eines bei diesem gemäß § 5/A aufgenommenen und uneinbringlich gewordenen Vorschussdarlehens das Darlehenskapital und die damit zusammenhängenden Nebenforderungen erstattet werden.

18

Die OTP Bank forderte den ungarischen Staat mehrmals ohne Erfolg zur Erfüllung des Kommissionsvertrags für das dritte Quartal des Jahres 2009 und die darauf folgenden Quartale auf. Dieser bestritt eine solche Verpflichtung und berief sich insoweit auf die mit der Verordnung von 2011 eingefügten Bestimmungen von § 25/C der Verordnung von 2001. Der ungarische Staat war der Auffassung, aufgrund dieser Änderung der Rechtsvorschriften für ab dem 1. Mai 2004 geschlossene Darlehensverträge von den in § 25 Abs. 1 und 2 der Verordnung von 2001 festgelegten Verpflichtungen entbunden zu sein.

19

In diesem Kontext erhob die OTP Bank beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) Klage gegen den ungarischen Staat auf Zahlung von 1261506204 ungarischen Forint (HUF) zuzüglich Nebenforderungen und gegen das Schatzamt auf Duldung des zu erlassenden Urteils. Nach Ansicht der OTP Bank hat der ungarische Staat mit dem Erlass von § 25/C der Verordnung von 2001 die Erfüllung des Kommissionsvertrags vom 15. September 2008 unmöglich gemacht und diesen dadurch einseitig aufgelöst. Aus diesem Grund forderte die OTP Bank außerdem eine Abrechnung der in Ausführung dieses Vertrags erbrachten Dienstleistungen nach § 479 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

20

Der ungarische Staat und das Schatzamt beantragten die Abweisung der Klage der OTP Bank und trugen vor, die Änderung der Verordnung von 2001 durch die Verordnung von 2011 sei erforderlich gewesen, weil die vom ungarischen Staat gemäß § 25 Abs. 1 und 2 der Verordnung von 2001 gegebene Garantie (im Folgenden: Staatsgarantie) eine nach dem Unionsrecht verbotene staatliche Beihilfe darstelle. Mit dem Erlass der Verordnung von 2011 habe der ungarische Staat somit lediglich bezweckt, das ungarische Recht mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.

21

Die Klage der OTP Bank wurde vom Fővárosi Törvényszék abgewiesen. Das Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) hob dieses Urteil auf, wobei es darauf hinwies, dass es angebracht sein könne, zu prüfen, ob die etwaige staatliche Beihilfe nach Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, und verwies die Sache an das Fővárosi Törvényszék zurück.

22

In dem neuen Verfahren vor dem Fővárosi Törvényszék machte die OTP Bank geltend, falls dieses Gericht der Auffassung sein sollte, dass die Staatsgarantie unter Art. 107 Abs. 1 AEUV falle, müsse es den Gerichtshof fragen, ob die Staatsgarantie – insbesondere unter Berücksichtigung der Ausnahme für Beihilfen sozialer Art nach Art. 107 Abs. 2 Buchst. a AEUV sowie des Umstands, dass die Begünstigten der fraglichen Beihilfeform nicht die Kreditinstitute, sondern Einzelpersonen seien – nach dem Unionsrecht mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.

23

Dem Fővárosi Törvényszék zufolge erfordert die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Auslegung des Unionsrechts. Falls die Staatsgarantie keine verbotene staatliche Beihilfe darstelle oder aber eine nach Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe sei, habe der ungarische Staat möglicherweise den Kommissionsvertrag aufgelöst, ohne eine gültige Rechtsgrundlage dafür zu haben.

24

Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stellt die mit der Verordnung von 2001 geschaffene und vor dem Beitritt Ungarns zur Europäischen Union übernommene Staatsgarantie eine staatliche Beihilfe dar, und, wenn ja, ist sie mit dem Binnenmarkt vereinbar?

2.

Wenn die im Rahmen der vorgenannten Verordnung geschaffene Staatsgarantie nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar ist: Wie kann auf der Grundlage des Unionsrechts einer möglichen Verletzung der Interessen der Betroffenen abgeholfen werden?

Zur Zulässigkeit

25

Die ungarische Regierung und die Europäische Kommission meinen, dass das Vorabentscheidungsersuchen oder zumindest eine der Fragen unzulässig sein könnte.

26

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteil Bruno u. a., C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile van der Weerd u. a., C‑222/05 bis C‑225/05, EU:C:2007:318, Rn. 22, sowie Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 27).

28

Somit obliegt es dem Gerichtshof nur ausnahmsweise, die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil PreussenElektra, C‑379/98, EU:C:2001:160, Rn. 39). Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht seinerseits die Aufgabe des Gerichtshofs beachtet, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (Urteil Schmidberger, C‑112/00, EU:C:2003:333, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Sodann ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV zwar nicht über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Unionsrecht oder über die Auslegung nationaler Vorschriften entscheiden kann; er ist aber befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, über die bei ihm anhängige Rechtssache zu befinden (vgl. u. a. Urteil Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Insbesondere hindert nach der Rechtsprechung die Zuständigkeit der Kommission für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt ein nationales Gericht nicht daran, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Begriffs der Beihilfe zur Vorabentscheidung vorzulegen (Urteil DM Transport, C‑256/97, EU:C:1999:332, Rn. 15). So kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht vor allem die Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, aufgrund deren es feststellen kann, ob eine nationale Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne des Unionsrechts angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Fallimento Traghetti del Mediterraneo, C‑140/09, EU:C:2010:335, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Die nationalen Gerichte können nämlich mit Rechtsstreitigkeiten befasst werden, in deren Rahmen sie den in Art. 107 Abs. 1 AEUV enthaltenen Beihilfebegriff auszulegen und anzuwenden haben, um insbesondere zu bestimmen, ob eine staatliche Maßnahme dem in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Vorprüfungsverfahren hätte unterworfen werden müssen oder nicht und, falls ja, ob sich der betreffende Mitgliedstaat an diese Verpflichtung gehalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil P, C‑6/12, EU:C:2013:525, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Soweit es schließlich, wie in Rn. 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dem Gerichtshof obliegt, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. u. a. Urteil Byankov, C‑249/11, EU:C:2012:608, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

In Anbetracht dessen und um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, sind die beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht danach fragt, ob die Staatsgarantie als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden kann und, falls ja, ob die Pflicht bestand, diese nach Art. 108 Abs. 3 AEUV anzumelden, und welche Konsequenzen sich gegebenenfalls aus der Nichtbeachtung dieser Pflicht ergeben.

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

34

Was die Kontrolle der Beachtung der den Mitgliedstaaten durch die Art. 107 AEUV und 108 AEUV auferlegten Verpflichtungen angeht, ist vorab auf die Art und Weise, in der die Bestimmungen von Art. 108 AEUV innerhalb dieses Artikels strukturiert sind, sowie die Befugnisse und Verantwortlichkeiten einzugehen, die diese Bestimmungen der Kommission einerseits und den Mitgliedstaaten andererseits einräumen.

35

Art. 108 AEUV sieht unterschiedliche Verfahren vor, je nachdem, ob es sich um bestehende oder um neue Beihilfen handelt. Während neue Beihilfen gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV vorab der Kommission zu melden sind und nicht durchgeführt werden dürfen, bevor das Verfahren zu einem abschließenden Beschluss geführt hat, dürfen bestehende Beihilfen gemäß Art. 108 Abs. 1 AEUV regelmäßig durchgeführt werden, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit festgestellt hat (Urteil P, EU:C:2013:525, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Im Rahmen dieses Kontrollsystems nehmen die Kommission und die nationalen Gerichte unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Befugnisse wahr (Urteil Namur-Les assurances du crédit, C‑44/93, EU:C:1994:311, Rn. 14).

37

Gemäß der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung können die nationalen Gerichte mit Rechtsstreitigkeiten befasst werden, in deren Rahmen sie den in Art. 107 Abs. 1 AEUV enthaltenen Beihilfebegriff auszulegen und anzuwenden haben, insbesondere um zu bestimmen, ob eine staatliche Maßnahme dem Vorprüfungsverfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV hätte unterworfen werden müssen oder nicht. Die nationalen Gerichte müssen die betreffende Maßnahme für rechtswidrig erklären, falls sie zu dem Ergebnis gelangen, dass diese tatsächlich vorab der Kommission hätte gemeldet werden müssen. Sie sind hingegen nicht befugt, darüber zu befinden, ob eine staatliche Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar ist; diese Prüfung fällt in die alleinige Zuständigkeit der Kommission (vgl. in diesem Sinne Urteil P, EU:C:2013:525, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zur Beantwortung der Fragen

38

In Anbetracht dessen und um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, muss erstens geklärt werden, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV darstellt. Insoweit sind dem vorlegenden Gericht die erforderlichen Hinweise zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale zu geben, von denen Art. 107 Abs. 1 AEUV die Einstufung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe abhängig macht, nämlich die Finanzierung dieser Maßnahme durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln, die Selektivität einer solchen Maßnahme sowie ihre Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und die aus der Maßnahme resultierende Verzerrung des Wettbewerbs. Diese drei Tatbestandsmerkmale sind nacheinander zu prüfen.

Zum Tatbestandsmerkmal der Finanzierung der Maßnahme durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln

39

Art. 107 Abs. 1 AEUV betrifft „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art“.

40

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff der Beihilfe weiter als der der Subvention, da er nicht nur positive Leistungen wie die Subventionen selbst umfasst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, und die somit als solche, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. u. a. Urteil Cassa di Risparmio di Firenze u. a., C‑222/04, EU:C:2006:8, Rn. 131 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Was das Ausgangsverfahren betrifft, ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten zum einen, dass die Staatsgarantie im Kommissionsvertrag vorgesehen war, der am 15. September 2008 zwischen dem Ministerium für kommunale Selbstverwaltung, dem Schatzamt und der OTP Bank auf der Grundlage von § 24 Abs. 15 der Verordnung von 2001 abgeschlossen wurde.

42

Zum anderen sandten die Kreditinstitute im Rahmen der vierteljährlichen staatlichen Garantieeinlösung ihre Anträge an das Ministerium für kommunale Selbstverwaltung oder das Wirtschaftsministerium, die ihnen die beantragten Beihilfen und Vorschüsse von dem durch das Schatzamt geführten Konto zulasten des Postens „Sonstige Wohnungsbeihilfen“ im zentralen Haushalt überwiesen.

43

Folglich stellt die Staatsgarantie eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar.

Zum Tatbestandsmerkmal der Selektivität der Maßnahme

44

Art. 107 Abs. 1 AEUV betrifft Beihilfen, „die bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produktionszweige begünstigen“, d. h. selektive Beihilfen.

45

Daher bedarf der Klärung, ob die Staatsgarantie geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Maßnahme verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.

46

Die Verordnung von 2001, auf deren Grundlage die Staatsgarantie gewährt wurde, regelt Beihilfen zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse bestimmter Kategorien von Haushalten. So sieht § 24 Abs. 1 dieser Verordnung vor, dass die Gewährung und Auszahlung der Darlehen sowie die Festlegung der Tilgung und der Beihilfen den Kreditinstituten obliegt. Im Gegenzug gewährt § 25 Abs. 1 und 2 der Verordnung den betreffenden Kreditinstituten die besagte Staatsgarantie.

47

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die nationalen Gerichte im Fall einer Beihilfe, die in Form einer Garantie gewährt wird, die Empfänger dieser Beihilfe bestimmen, bei denen es sich entweder um den Kreditnehmer oder um den Kreditgeber oder aber in bestimmten Fällen auch um beide zusammen handeln kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Residex Capital IV, C‑275/10, EU:C:2011:814, Rn. 37).

48

In der vorliegenden Rechtssache sieht – wie aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils hervorgeht – die Verordnung von 2001 vor, dass es Sache der Kreditinstitute ist, diese Verordnung durchzuführen und somit die Staatsgarantie in Anspruch zu nehmen. Die in Rede stehende Maßnahme kommt somit offenbar ausschließlich dem Wirtschaftszweig der Kreditinstitute zugute.

49

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine Beihilfe auch dann selektiv im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV sein, wenn sie einen ganzen Wirtschaftszweig betrifft (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Belgien/Kommission, C‑75/97, EU:C:1999:311, Rn. 33, und Paint Graphos u. a., EU:C:2011:550, Rn. 53).

50

Folglich kann die Staatsgarantie als selektiv angesehen werden. Der Umstand, dass sie gegebenenfalls auch Empfängern zugutekommt, die keine Kreditinstitute sind, wie vorliegend bestimmten Haushalten, deren Einkommen allein ihnen nicht den Erwerb einer Immobilie ermöglicht, stellt diese Feststellung, die für die Zwecke der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV ausreicht, nicht in Frage.

51

Allerdings ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof vorgetragen worden, dass die Verordnung von 2001 im Jahr 2008 dahin gehend geändert worden sei, dass die Möglichkeit zu ihrer Durchführung auf andere Wirtschaftsteilnehmer ausgedehnt worden sei.

52

Da es sich hierbei um eine Tatsachenfrage handelt, ist es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Angaben zutreffen, und zu beurteilen, ob sie geeignet sind, die Selektivität der Staatsgarantie in Frage zu stellen.

Zum Tatbestandsmerkmal der Auswirkung der Maßnahme auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und ihrer Eignung zur Verzerrung des Wettbewerbs

53

Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet Beihilfen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.

54

Um eine nationale Maßnahme als staatliche Beihilfe einzustufen, bedarf es keines Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der in Rede stehenden Beihilfe auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern es ist nur zu prüfen, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen (Urteile Italien/Kommission, C‑372/97, EU:C:2004:234, Rn. 44, und Unicredito Italiano, C‑148/04, EU:C:2005:774, Rn. 54).

55

Insbesondere wird durch eine von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe der innergemeinschaftliche Handel beeinflusst, wenn sie bei diesem die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen konkurrierenden Unternehmen stärkt (vgl. Urteil Unicredito Italiano, EU:C:2005:774, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Insoweit ist es nicht erforderlich, dass das begünstigte Unternehmen selbst am innergemeinschaftlichen Handel teilnimmt. Wenn nämlich ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Beihilfe gewährt, kann die inländische Tätigkeit dadurch beibehalten oder verstärkt werden, so dass sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, in den Markt dieses Mitgliedstaats einzudringen, verringern. Zudem kann die Stärkung der Position eines Unternehmens, das bis dahin nicht am innergemeinschaftlichen Handel teilgenommen hat, dieses in die Lage versetzen, in den Markt eines anderen Mitgliedstaats einzudringen (Urteil Unicredito Italiano, EU:C:2005:774, Rn. 58).

57

In Bezug auf das Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass die Staatsgarantie es den Kreditinstituten ermöglicht, Darlehen zu gewähren, ohne das damit verbundene wirtschaftliche Risiko tragen zu müssen. Somit müssen Kreditinstitute, die einen Kommissionsvertrag wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden geschlossen haben, nicht zwangsläufig die Zahlungsfähigkeit der Darlehensnehmer prüfen oder einen Garantieaufschlag vorsehen. Zudem werden die Darlehensnehmer in den meisten Fällen zusätzliche Dienstleistungen der betreffenden Kreditinstitute in Anspruch nehmen, wie die Eröffnung eines Girokontos. Die Staatsgarantie gewährt den Kreditinstituten daher einen Vorteil, weil sie dazu führt, dass sich die Zahl ihrer Kunden vergrößert und ihre Einnahmen steigen.

58

Folglich führt die Staatsgarantie dazu, die Stellung der Kreditinstitute im Verhältnis zu den anderen Marktteilnehmern zu stärken und es den in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Marktteilnehmern zu erschweren, in den ungarischen Markt einzudringen. Diese Garantie ist daher im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen.

59

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die ausschließlich Kreditinstituten gewährte Staatsgarantie a priori eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die Selektivität einer solchen Garantie näher zu prüfen und u. a. festzustellen, ob diese Garantie im Anschluss an die Änderung der Verordnung von 2001, die im Jahr 2008 vorgenommen worden sein soll, auch anderen Wirtschaftsteilnehmern als Kreditinstituten gewährt werden kann und, falls ja, ob dieser Umstand geeignet ist, die Selektivität der Garantie in Frage zu stellen.

60

Für den Fall, dass das vorlegende Gericht die Staatsgarantie als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einstufen sollte, ist zweitens, um ihm die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit zu ermöglichen, zu klären, ob für sie das Anmeldeverfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV gilt. Zu diesem Zweck muss geprüft werden, ob die Staatsgarantie eine bestehende Beihilfe oder eine neue Beihilfe darstellt.

61

Nach Art. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 659/1999 sind bestehende Beihilfen unbeschadet von Anhang IV Nr. 3 der Beitrittsakte alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des AEU-Vertrags in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten dieses Vertrags eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind.

62

Anhang IV Nr. 3 der Beitrittsakte bestimmt, dass nach dem Tag des Beitritts weiterhin anzuwendende Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen und keine der in Nr. 3 Abs. 1 dieses Anhangs aufgeführten Voraussetzungen erfüllen, zum Tag des Beitritts als neue Beihilfe anzusehen sind.

63

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Verordnung von 2001, auf deren Grundlage die Staatsgarantie gewährt wurde, nach dem 10. Dezember 1994 in Kraft trat, in der Liste der in der Anlage zu Anhang IV der Beitrittsakte aufgeführten Beihilfen nicht erwähnt wird und nicht bei der Kommission im Rahmen des sogenannten „Übergangsverfahrens“ nach Nr. 3 Abs. 1 Buchst. c von Anhang IV der Beitrittsakte angemeldet wurde.

64

Folglich erfüllt die Staatsgarantie keine der drei in Nr. 3 Abs. 1 von Anhang IV der Beitrittsakte aufgeführten Voraussetzungen und ist daher gegebenenfalls als neue Beihilfe anzusehen.

65

Gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV müssen neue Beihilfen der Kommission vorab mitgeteilt werden und dürfen nicht durchgeführt werden, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

66

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Beihilfemaßnahme, die unter Verstoß gegen die sich aus Art. 108 Abs. 3 AEUV ergebenden Verpflichtungen durchgeführt wird, rechtswidrig (Urteil Distribution Casino France u. a., C‑266/04 bis C‑270/04, C‑276/04 und C‑321/04 bis C‑325/04, EU:C:2005:657, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67

Die Staatsgarantie, um die es im Ausgangsverfahren geht, wurde von Ungarn der Kommission offenbar nicht gemeldet.

68

Daraus ergibt sich, dass die Staatsgarantie, sofern das vorlegende Gericht sie als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einstufen sollte, als neue Beihilfe anzusehen ist und deshalb der Pflicht zur vorherigen Anmeldung bei der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV unterliegt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat dieser Pflicht nachgekommen ist, und, falls nicht, die Staatsgarantie für rechtswidrig zu erklären.

69

Was drittens die Folgen angeht, die sich aus einer solchen Rechtswidrigkeit insbesondere für die von der rechtswidrigen Beihilfe Begünstigten ergeben, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, Sache der nationalen Gerichte ist, die Folgerungen aus einer Verletzung von Art. 108 Abs. 3 AEUV nach ihrem nationalen Recht zu ziehen, und zwar sowohl für die Gültigkeit von Handlungen zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch für die Einziehung der unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen (vgl. in diesem Sinne Urteile van Calster u. a., C‑261/01 und C‑262/01, EU:C:2003:571, Rn. 64, Xunta de Galicia, C‑71/04, EU:C:2005:493, Rn. 49, sowie CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C‑199/06, EU:C:2008:79, Rn. 41).

70

Die logische Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe ist ihre Aufhebung im Wege der Rückforderung zur Wiederherstellung der vorherigen Lage (vgl. u. a. Urteile Italien und SIM 2 Multimedia/Kommission, C‑328/99 und C‑399/00, EU:C:2003:252, Rn. 66, sowie Mediaset/Kommission, C‑403/10 P, EU:C:2011:533, Rn. 122).

71

Das Hauptziel der Rückforderung einer zu Unrecht gezahlten staatlichen Beihilfe besteht somit darin, die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, die durch den mit einer solchen Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile Deutschland/Kommission, C‑277/00, EU:C:2004:238, Rn. 76, und Kommission/MTU Friedrichshafen, C‑520/07 P, EU:C:2009:557, Rn. 57). Durch die Rückzahlung der Beihilfe verliert der Empfänger nämlich den Vorteil, den er auf dem Markt gegenüber seinen Mitbewerbern besaß, und die Lage vor der Zahlung der Beihilfe wird wiederhergestellt (Urteil Kommission/Italien, C‑350/93, EU:C:1995:96, Rn. 22).

72

Nur unter außergewöhnlichen Umständen könnte es nicht sachgerecht sein, die Rückzahlung der Beihilfe anzuordnen (vgl. Urteil Residex Capital IV, EU:C:2011:814, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Im Ausgangsverfahren geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten nicht hervor, dass das Vorliegen derartiger außergewöhnlicher Umstände vor dem vorlegenden Gericht geltend gemacht wurde. Infolgedessen ist der nationale Richter grundsätzlich gehalten, die Rückzahlung der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Beihilfe im Einklang mit seinem nationalen Recht anzuordnen.

74

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass allein die Kommission dafür zuständig ist, die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt zu prüfen, und zwar auch dann, wenn der Mitgliedstaat das in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV enthaltene Verbot der Durchführung der Beihilfemaßnahmen verletzt. Denn in einer solchen Situation schützen die nationalen Gerichte die Rechte der Einzelnen gegen eine mögliche Verletzung dieses Verbots durch die staatlichen Stellen nur bis zu einem abschließenden Beschluss der Kommission (vgl. in diesem Sinne Urteil CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, EU:C:2008:79, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75

Folglich ist es Sache der Kommission, die Vereinbarkeit der Staatsgarantie mit dem Binnenmarkt zu prüfen, um u. a. zu beurteilen, ob sie in den Genuss der Befreiung für Beihilfen sozialer Art nach Art. 107 Abs. 2 Buchst. a AEUV kommen kann.

76

Selbst wenn die Kommission in einem noch zu erlassenden abschließenden Beschluss die Staatsgarantie für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt, bleibt der nationale Richter allerdings verpflichtet, die Rückzahlung dieser staatlichen Beihilfe im Einklang mit seinem nationalen Recht anzuordnen. Denn der abschließende Beschluss der Kommission hat nicht die nachträgliche Heilung der unter Verstoß gegen das Verbot von Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ergangenen und deshalb ungültigen Durchführungsmaßnahmen zur Folge, da er andernfalls die unmittelbare Wirkung dieser Vorschrift beeinträchtigen und die Interessen der Einzelnen, deren Wahrung Aufgabe der nationalen Gerichte ist, verletzen würde. Jede andere Auslegung würde die Missachtung von Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV durch den betreffenden Mitgliedstaat begünstigen und dieser Vorschrift ihre praktische Wirksamkeit nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, C‑354/90, EU:C:1991:440, Rn. 16, und SFEI u. a, C‑39/94, EU:C:1996:285, Rn. 67 bis 69).

77

Schließlich ist insbesondere hinsichtlich der von der Staatsgarantie Begünstigten darauf hinzuweisen, dass, da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in Art. 108 AEUV zwingend vorgeschrieben ist, zum einen die von einer Beihilfe begünstigten Unternehmen auf deren Ordnungsmäßigkeit grundsätzlich nur dann vertrauen dürfen, wenn sie unter Einhaltung des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde, und es zum anderen einem sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer regelmäßig möglich ist, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde. Insbesondere kann der Empfänger einer Beihilfe, wenn sie ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission gewährt wurde, so dass sie gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig ist, in diesem Moment kein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit ihrer Gewährung haben (Urteil Unicredito Italiano, EU:C:2005:774, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass den Begünstigten einer Staatsgarantie wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter Missachtung von Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt wurde und demzufolge rechtswidrig ist, nach dem Unionsrecht kein Rechtsbehelf zur Verfügung steht.

79

Nach alledem sind die Fragen des vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten:

Die ausschließlich Kreditinstituten gewährte Staatsgarantie stellt a priori eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die Selektivität einer solchen Garantie näher zu prüfen und u. a. festzustellen, ob diese Garantie im Anschluss an die Änderung der Verordnung von 2001, die im Jahr 2008 vorgenommen worden sein soll, auch anderen Wirtschaftsteilnehmern als Kreditinstituten gewährt werden kann und, falls ja, ob dieser Umstand geeignet ist, die Selektivität der Garantie in Frage zu stellen.

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Staatsgarantie ist, sofern das vorlegende Gericht sie als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einstufen sollte, als neue Beihilfe anzusehen und unterliegt deshalb der Pflicht zur vorherigen Anmeldung bei der Europäischen Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat dieser Pflicht nachgekommen ist, und, falls nicht, die Staatsgarantie für rechtswidrig zu erklären.

Den Begünstigten einer Staatsgarantie wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter Missachtung von Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt wurde und demzufolge rechtswidrig ist, steht nach dem Unionsrecht kein Rechtsbehelf zur Verfügung.

Kosten

80

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die ausschließlich Kreditinstituten gewährte Garantie des ungarischen Staates nach § 25 Abs. 1 und 2 der Regierungsverordnung Nr. 12 vom 31. Januar 2001 über Wohnungsbeihilfen stellt a priori eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die Selektivität einer solchen Garantie näher zu prüfen und u. a. festzustellen, ob diese Garantie im Anschluss an die Änderung der Verordnung von 2001, die im Jahr 2008 vorgenommen worden sein soll, auch anderen Wirtschaftsteilnehmern als Kreditinstituten gewährt werden kann und, falls ja, ob dieser Umstand geeignet ist, die Selektivität der Garantie in Frage zu stellen.

 

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Staatsgarantie ist, sofern das vorlegende Gericht sie als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einstufen sollte, als neue Beihilfe anzusehen und unterliegt deshalb der Pflicht zur vorherigen Anmeldung bei der Europäischen Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat dieser Pflicht nachgekommen ist, und, falls nicht, die Staatsgarantie für rechtswidrig zu erklären.

 

Den Begünstigten einer Staatsgarantie wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter Missachtung von Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt wurde und demzufolge rechtswidrig ist, steht nach dem Unionsrecht kein Rechtsbehelf zur Verfügung.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.