BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

9. September 2014 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 — Begriff der unbestrittenen Geldforderungen — Insolvenzverfahren — Außergerichtlicher Vollstreckungstitel über eine bestrittene Forderung — Antrag auf Vollstreckung aus diesem Vollstreckungstitel in die Insolvenzmasse — Sachverhalt, der nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1896/2006 fällt — Offensichtliche Unzuständigkeit des Gerichtshofs“

In der Rechtssache C‑488/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okrazhen sad – Targovishte (Bulgarien) mit Entscheidung vom 2. September 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 9. September 2013, in dem Verfahren

Parva Investitsionna Banka AD,

UniKredit Bulbank AD,

Siyk Faundeyshan LLS

gegen

Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD,

Sindik na Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD,

Beteiligte:

Natsionalna agentsia za prihodite,

Aset Menidzhmant EAD,

Ol Siyz Balgaria OOD,

Si Dzhi Ef – aktsionerna obshtnost AD,

Silvar Biych EAD,

Rudersdal EOOD,

Kota Enerdzhi EAD,

Chavdar Angelov Angelov,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas, D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Parva Investitsionna Banka AD, vertreten durch I. Dermendzhiev, advokat,

der UniKredit Bulbank AD, vertreten durch M. Fezliyska, A. Kazini und L. K. Hampartsumyan,

der Siyk Faundeyshan LLS, vertreten durch Z. Tomov, advokat,

der Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD, vertreten durch G. Nakova, advokat,

des Sindik na Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD, vertreten durch G. Y. Kolyovska,

der Aset Menidzhmant EAD, vertreten durch D. Ianakiev, advokat,

der Ol Siyz Balgaria OOD, vertreten durch V. Skochev, advokat,

der Silvar Biych EAD, vertreten durch D. Ianakiev, advokat,

der Rudersdal EOOD, vertreten durch V. Goshev, advokat,

der Kota Enerdzhi EAD, vertreten durch M. Nikolova, advokat,

der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Petrova und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den die Parva Investitsionna Banka AD, die UniKredit Bulbank AD und die Siyk Faundeyshan LLS im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD gegen diese und den Sindik na Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD führen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Ziel der Verordnung Nr. 1896/2006 ist nach deren Art. 1 Abs. 1 Buchst. a die „Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen und [die] Verringerung der Verfahrenskosten durch Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens“.

4

Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Verordnung bestimmt:

„(1)   Diese Verordnung ist in grenzüberschreitenden Rechtssachen in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (‚acta jure imperii‘).

(2)   Diese Verordnung ist nicht anzuwenden auf

b)

Konkurse, Verfahren im Zusammenhang mit dem Abwickeln zahlungsunfähiger Unternehmen oder anderer juristischer Personen, gerichtliche Vergleiche, Vergleiche und ähnliche Verfahren,

…“

5

Art. 3 der Verordnung definiert grenzüberschreitende Rechtssachen wie folgt:

„(1)   Eine grenzüberschreitende Rechtssache im Sinne dieser Verordnung liegt vor, wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des befassten Gerichts hat.

(2)   Der Wohnsitz wird nach den Artikeln 59 und 60 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 2001, L 12, S. 1] bestimmt.

(3)   Der maßgebliche Augenblick zur Feststellung, ob eine grenzüberschreitende Rechtssache vorliegt, ist der Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls nach dieser Verordnung eingereicht wird.“

6

Art. 21 („Vollstreckung“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„Unbeschadet der Bestimmungen dieser Verordnung gilt für das Vollstreckungsverfahren das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats.“

7

Art. 26 („Verhältnis zum nationalen Prozessrecht“) der Verordnung lautet:

„Sämtliche verfahrensrechtlichen Fragen, die in dieser Verordnung nicht ausdrücklich geregelt sind, richten sich nach den nationalen Rechtsvorschriften.“

Bulgarisches Recht

Verfassung

8

Art. 5 Abs. 4 der Verfassung lautet:

„Nach dem von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren ratifizierte, verkündete und für die Republik Bulgarien in Kraft getretene internationale Übereinkünfte sind Bestandteil des nationalen Rechts. Sie haben Vorrang vor entgegenstehenden nationalen Rechtsvorschriften.“

Handelsgesetz

9

Art. 717n des Targovski zakon (Handelsgesetz, im Folgenden TZ) lautet:

„Wird ein vom Schuldner zur Sicherung der Forderung eines Dritten mit einer Hypothek belastetes Grundstück veräußert, übersendet der Insolvenzverwalter dem Hypothekengläubiger eine Benachrichtigung über den Verkauf. Der auf den Hypothekengläubiger entfallende Betrag wird vom Insolvenzverwalter zurückbehalten und dem Gläubiger gegen Vorlage eines Vollstreckungstitels über seine Forderung ausgehändigt.“

Zivilprozessordnung

10

Art. 417 des Grazhdanski protsesualen kodeks (Zivilprozessordnung, im Folgenden: GPK) bestimmt:

„Unabhängig von der Höhe der Forderung kann der Erlass eines Zahlungsbefehls ferner beantragt werden auf der Grundlage

1.

eines Verwaltungsakts, mit dessen Vollstreckung die Zivilgerichte betraut sind;

2.

eines Buchungsbelegs oder ‑auszugs, aus dem sich eine Forderung einer staatlichen Einrichtung, einer Gemeinde oder einer Bank ergibt;

3.

notarieller Urkunden, notariell beglaubigter Vergleiche oder anderer notariell beglaubigter Vereinbarungen, die eine Verpflichtung zur Leistung von Geld oder anderen vertretbaren Sachen oder zur Übertragung bestimmter Güter enthalten;

…“

11

Art. 418 GPK bestimmt:

„(1)   Wird mit dem Antrag eines der in Art. 417 genannten Schriftstücke vorgelegt, auf das sich die Forderung stützt, kann der Gläubiger beim Gericht beantragen, die sofortige Vollstreckung anzuordnen und eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen.

(2)   Die vollstreckbare Ausfertigung wird erteilt, nachdem das Gericht die formelle Ordnungsgemäßheit des Schriftstücks überprüft und eine vollstreckbare Forderung gegen den Schuldner festgestellt hat. Das Gericht erteilt die vollstreckbare Ausfertigung, indem es das vorgelegte Schriftstück und den Zahlungsbefehl mit einem entsprechenden Vermerk versieht.

(3)   Hängt die Fälligkeit der Forderung nach dem vorgelegten Schriftstück von der Erbringung einer Gegenleistung oder dem Eintritt einer anderen Tatsache ab, müssen die Erbringung der Gegenleistung oder der Eintritt der Tatsache durch ein amtliches oder vom Schuldner stammendes Schriftstück festgestellt werden.

(4)   Gegen den Rechtsakt, mit dem ein Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung ganz oder teilweise zurückgewiesen wird, kann vom Antragsteller innerhalb einer Woche ab Zustellung ein Rechtsmittel eingelegt werden; von der Rechtsmittelschrift ist keine Abschrift zum Zwecke der Zustellung vorzulegen.

…“

Gesetz über Rechtsnormen

12

Art. 46 des die Auslegung von Rechtsnormen betreffenden Zakon za normativnite aktove (Gesetz über Rechtsnormen, im Folgenden: ZNA) bestimmt:

„(1)   Die Vorschriften einer Rechtsnorm werden streng nach ihrem Sinn angewandt. Ist eine Vorschrift nicht eindeutig, ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die sich am besten mit den übrigen Vorschriften, dem Ziel der ausgelegten Rechtsnorm und den allgemeinen Grundsätzen des bulgarischen Rechts vereinbaren lässt.

(2)   Enthält die Rechtsnorm eine Lücke, sind auf den ungeregelten Sachverhalt die für vergleichbare Fälle geltenden Vorschriften anzuwenden, soweit sich dies mit dem Ziel der Rechtsnorm vereinbaren lässt. Fehlen solche Vorschriften, richten sich die Rechtsverhältnisse nach den allgemeinen Grundsätzen des bulgarischen Rechts …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Der für Konkurse zuständige Okrazhen sad – Targovishte (Bezirksgericht Targovishte) eröffnete mit Entscheidung vom 30. Mai 2011 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD. Mit Entscheidung vom 15. Juni 2012 ordnete er die Beschlagnahme der Gegenstände der Insolvenzmasse und ihre Verwertung an.

14

Der Sindik na Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD (Insolvenzverwalter im Rahmen des Verfahrens über das Vermögen der Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD) verkaufte mehrere Grundstücke aus der Insolvenzmasse, die mit Hypotheken zugunsten der Parva Investitsionna Banka AD (im Folgenden: Parva Investitsionna Banka) belastet waren. Die Hypotheken waren zur Sicherung von Darlehensverträgen zwischen der Parva Investitsionna Banka und Dritten (Port Investmant Developmant – Balgaria 2 EAD und Aset Menidzhmant EAD) bestellt worden.

15

Die Parva Investitsionna Banka ist Inhaberin mehrerer außergerichtlicher Vollstreckungstitel über Forderungen im Zusammenhang mit diesen Hypothekendarlehen. Sie beantragte gemäß Art. 717n TZ, die sofortige vorläufige Vollstreckung der Titel gemäß den Art. 417 und 418 GPK zuzulassen. Sie verlangte die Zahlung des Preises, zu dem die zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstücke verkauft worden waren. Da die Forderungen insbesondere von den Schuldnern bestritten wurden, ersuchte der Sindik na Ear Proparti Developmant – v nesastoyatelnost AD das vorlegende Gericht u. a. um Stellungnahme zu den Voraussetzungen der Anwendung von Art. 717n TZ in Fällen, in denen die Befriedigung einer streitigen Forderung aus der Insolvenzmasse verlangt wird.

16

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts stellt sich deshalb die Frage, ob die Befriedigung einer streitigen Forderung aus der Insolvenzmasse gemäß Art. 717n TZ als rechtmäßig angesehen werden kann, wenn die sofortige vorläufige Vollstreckung der Forderung auf der Grundlage außergerichtlicher Vollstreckungstitel zugelassen wurde.

17

Das vorlegende Gericht verweist insoweit auf ein Urteil des Konstitutsionen sad (Verfassungsgerichtshof) vom 2. Oktober 2012 (Rechtssache 4/2012), mit dem bestätigt worden sei, dass die Art. 417 und 418 GPK, nach denen die Banken auf der Grundlage eines Darlehenskontoauszugs die sofortige Zwangsvollstreckung erwirken könnten, verfassungsmäßig sei. Der Konstitutsionen sad habe bei seiner Prüfung die Verordnung Nr. 1896/2006 berücksichtigt, weil diese Bestandteil des nationalen Rechts sei und nach Art. 5 Abs. 4 der Verfassung Vorrang vor innerstaatlichen Rechtsnormen habe, die nicht mit ihren Rechtsgrundsätzen und Regelungen vereinbar seien.

18

Nach nationalem Recht bestehe eine Regelungslücke. Art. 717n TZ regele nämlich nicht den Fall, dass einem aufgrund dieser Bestimmung gestellten Antrag entgegengetreten werde. Werde eine solche Regelungslücke festgestellt, seien bei der Entscheidung über den gestellten Antrag nach Art. 46 Abs. 2 ZNA die Systematik des Gesetzes und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu berücksichtigen. Die Verordnung Nr. 1896/2006 betreffe zwar ausschließlich das Europäische Mahnverfahren, sei aber die einzige Regelung, deren Normen nach ihrem Ziel hinreichend zur Art des anhängigen Rechtsstreits passten. Sie enthalte Regeln und Grundsätze, die für die Beantwortung der Fragen zum Konflikt zwischen dem Verfahren der Individualvollstreckung und dem Insolvenzverfahren relevant seien.

19

Nach Art. 5 Abs. 4 der Verfassung sei die Verordnung Nr. 1896/2006 Bestandteil des nationalen Rechts. Sie sei deshalb bei der Auslegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze und der Bestimmung der Systematik des Gesetzes zu berücksichtigen.

20

Der Okrazhen sad – Targovishte hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Wie ist das Kriterium der Unbestrittenheit der zu vollstreckenden Geldforderung im Sinne des sechsten Erwägungsgrundes und des Art. 1 der Verordnung Nr. 1896/2006 auszulegen?

2.

Ist in Fällen, in denen die nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, in dessen Hoheitsgebiet die Geldforderung vollstreckt wird, nicht regeln, ob der Vollstreckungsbefehl für eine Geldforderung in einem gegenüber der Person, gegen deren Vermögen sich die Vollstreckung richtet, eröffneten Insolvenzverfahren anwendbar ist, das in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1896/2006 festgelegte Verbot eng auszulegen, und gilt es nur für die zu vollstreckenden bestrittenen Geldforderungen, oder bezieht es sich auch auf die zu vollstreckenden unbestrittenen Geldforderungen?

3.

Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1896/2006, wonach die Verordnung auf Konkurse, Verfahren im Zusammenhang mit dem Abwickeln zahlungsunfähiger Unternehmen oder anderer juristischer Personen, gerichtliche Vergleiche, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht anzuwenden ist, dahin auszulegen, dass die Einschränkung nur die Eröffnung der genannten Verfahren betrifft, oder umfasst diese Einschränkung auch den gesamten Ablauf der Verfahren nach Maßgabe der im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahrensstadien und ‑abschnitte?

4.

Darf nach der Doktrin vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts und im Fall einer Lücke im nationalen Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ein Gericht dieses Mitgliedstaats, bei dem ein Insolvenzverfahren gegenüber einer Person eröffnet wurde, gegen deren Vermögen sich die Vollstreckung richtet, auf der Grundlage des zehnten Erwägungsgrundes und des Art. 26 der Verordnung Nr. 1896/2006 im Wege der Auslegung ein abweichendes und im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verordnung stehendes Urteil erlassen?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

21

Mit der Verordnung Nr. 1896/2006 wird nach ihrem Art. 1 für grenzüberschreitende Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen ein Europäisches Mahnverfahren eingeführt.

22

Wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, geht es im Ausgangsverfahren weder um ein Europäisches Mahnverfahren im Sinne der Verordnung Nr. 1896/2006 noch um die Vollstreckung eines aufgrund dieser Verordnung erlassenen Europäischen Zahlungsbefehls, sondern um die Vollstreckung eines außergerichtlichen Titels, dessen sofortige vorläufige Vollstreckung auf der Grundlage des nationalen Rechts im Rahmen eines Insolvenzverfahrens beantragt wird.

23

Somit liegt auf der Hand, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1896/2006 fällt, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht.

24

Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung begehrt das vorlegende Gericht mit seinen Fragen aber eine Auslegung der Verordnung Nr. 1896/2006, um eine Lücke zu schließen, die seines Erachtens in den nationalen Rechtsvorschriften besteht, die für einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens, der nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, gelten.

25

Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs das Vorabentscheidungsersuchen eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang enthalten muss, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt. Diese Darstellung sowie die nach Art. 94 Buchst. a der Verfahrensordnung erforderliche kurze Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts müssen es dem Gerichtshof ermöglichen, außer der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens seine Zuständigkeit für die Beantwortung der gestellten Frage zu prüfen (Urteil Siragusa, C‑206/13, EU:C:2014:126, Rn. 19).

26

Außerdem ist der Gerichtshof für die Beantwortung einer Vorlagefrage grundsätzlich nicht zuständig, wenn die ihm zur Auslegung vorgelegte unionsrechtliche Vorschrift offensichtlich keine Anwendung finden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Caixa d’Estalvis i Pensions de Barcelona, C‑139/12, EU:C:2014:174, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem der Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Unionsrechts fällt, um deren Auslegung ersucht wird, ist der Gerichtshof aber für die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen zuständig, sofern das nationale Recht eines Mitgliedstaats auf den Inhalt dieser Unionsrechtsvorschriften verweist, um die auf einen rein innerstaatlichen Sachverhalt anwendbaren Regelungen zu bestimmen (vgl. u. a. Urteile Poseidon Chartering, C‑3/04, EU:C:2006:176, Rn. 15, ETI u. a., C‑280/06, EU:C:2007:775, Rn. 22 und 26, Salahadin Abdulla u. a., C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, EU:C:2010:105, Rn. 48, Cicala, C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 17, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 45, und Romeo, C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 21).

28

Es besteht nämlich ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern, wenn sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung von Sachverhalten, die nicht in den Anwendungsbereich des betreffenden Unionsrechtsakts fallen, nach den in diesem Rechtsakt getroffenen Regelungen richten, um eine Gleichbehandlung innerstaatlicher und durch das Unionsrecht geregelter Sachverhalte zu gewährleisten (vgl. u. a. Urteile Salahadin Abdulla u. a., EU:C:2010:105, Rn. 48, SC Volksbank România, C‑602/10, EU:C:2012:443, Rn. 87 und 88, Nolan, EU:C:2012:638, Rn. 46, Allianz Hungária Biztosító u. a., C‑32/11, EU:C:2013:160, Rn. 20 und 21, und Romeo, EU:C:2013:718, Rn. 22).

29

Ein solcher Fall liegt vor, wenn die in Rede stehenden Bestimmungen des Unionsrechts vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind (Urteile Cicala, EU:C:2011:868, Rn. 19, Nolan, EU:C:2012:638, Rn. 47, und Romeo, EU:C:2013:718, Rn. 23). Hingegen ist dies nicht der Fall, wenn die Bestimmungen des nationalen Rechts es dem nationalen Richter erlauben, von den Regeln des Unionsrechts, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt werden, abzuweichen (vgl. in diesem Sinne Urteile Kleinwort Benson, C‑346/93, EU:C:1995:85, Rn. 16 und 18, sowie Romeo, EU:C:2013:718, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Im vorliegenden Fall bezieht sich das vorlegende Gericht auf Art. 46 Abs. 2 ZNA in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 der Verfassung und legt dar, warum es eine Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1896/2006 in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, der nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, für erforderlich hält, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden. Die Darstellung dieser Gründe ist aber nicht geeignet, es dem Gerichtshof zu ermöglichen, seine Zuständigkeit für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens zu bejahen.

31

Art. 5 Abs. 4 der Verfassung bestimmt, dass „[n]ach dem von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren ratifizierte, verkündete und für die Republik Bulgarien in Kraft getretene internationale Übereinkünfte … Bestandteil des nationalen Rechts [sind und] Vorrang vor entgegenstehenden nationalen Rechtsvorschriften [haben]“. Diese Rechtsnorm verweist also nicht auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1896/2006, auf die sich die Vorlagefragen beziehen, sondern regelt nach ihrem Wortlaut lediglich die Normenhierarchie zwischen internationalem und nationalem Recht.

32

Auch Art. 46 Abs. 2 ZNA nimmt nicht speziell auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1896/2006 Bezug, auf die sich die Vorlagefragen beziehen, sondern generell auf die „allgemeinen Grundsätze des bulgarischen Rechts“. Das vorlegende Gericht führt zwar aus, dass Art. 46 Abs. 2 ZNA in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 der Verfassung auch auf das Unionsrecht abziele. Es macht aber nicht geltend, dass diese Bestimmungen des bulgarischen Rechts tatsächlich zur Regelung von Sachverhalten, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, auf deren Bestimmungen verweisen, um eine Gleichbehandlung innerstaatlicher und durch das Unionsrecht geregelter Sachverhalte zu gewährleisten.

33

Was die in Rn. 17 des vorliegenden Beschlusses erwähnte Entscheidung des Konstitutsionen sad angeht, auf die das vorlegende Gericht in diesem Kontext Bezug nimmt, geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass sie die Frage betrifft, ob Art. 5 Abs. 4 der Verfassung und Art. 46 Abs. 2 ZNA auf das Unionsrecht verweisen, um eine solche Gleichbehandlung zu gewährleisten.

34

Zwar verweist Art. 46 Abs. 2 ZNA in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 der Verfassung zur Schließung einer Regelungslücke generell auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, doch geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass durch diese Bestimmungen des bulgarischen Rechts die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1896/2006, um deren Auslegung ersucht wird, als solche unmittelbar und unbedingt für auf einen Sachverhalt anwendbar erklärt wurden, der nicht in den Anwendungsbereich der letztgenannten Bestimmungen fällt. Mit den Bestimmungen des bulgarischen Rechts dürfte vielmehr der angerufene Richter lediglich ermächtigt werden, auf die allgemeinen Grundsätze und Regeln des nationalen Rechts und des Unionsrechts zurückzugreifen, um die festgestellte Lücke im Wege der Rechtsfortbildung anhand der seiner Auffassung nach aus diesen Regeln und Grundsätzen zu ziehenden Schlüsse zu schließen.

35

Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1896/2006, auf die sich die Vorlagefragen beziehen, als solche vom nationalen Recht für unmittelbar und unbedingt auf Sachverhalte wie den des Ausgangsverfahrens, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, anwendbar erklärt wurden.

36

Somit ist auf der Grundlage von Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung festzustellen, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der vom Okrazhen sad – Targovishte gestellten Fragen offensichtlich unzuständig ist.

Kosten

37

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) beschlossen:

 

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der vom Okrazhen sad – Targovishte (Bulgarien) gestellten Fragen offensichtlich unzuständig.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.