61995J0136

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 30. April 1998. - Caisse nationale d'assurance vieillesse des travailleurs salariés (CNAVTS) gegen Evelyne Thibault. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Frankreich. - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Richtlinie 76/207/EWG - Mutterschaftsurlaub - Anspruch auf Beurteilung. - Rechtssache C-136/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-02011


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


Sozialpolitik - Männliche und weibliche Arbeitnehmer - Zugang zur Beschäftigung und Arbeitsbedingungen - Gleichbehandlung - Nationale Regelung, die einer Frau den Anspruch auf Beurteilung nimmt, wenn sie dem Betrieb wegen eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben ist - Unzulässigkeit

(Richtlinie 76/207 des Rates, Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 5 Absatz 1)

Leitsätze


Eine nationale Regelung, die einer Frau den Anspruch auf Beurteilung und damit eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg deshalb nimmt, weil sie dem Betrieb wegen eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben ist, verstösst gegen Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen.

Entscheidungsgründe


1 Die französische Cour de Cassation hat mit Urteil vom 28. März 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 28. April 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40; nachstehend: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Caisse nationale d'assurance vieillesse des travailleurs salariés (CNAVTS) und Frau Thibault (Klägerin), in dem es um die Weigerung der CNAVTS geht, der Klägerin für das Jahr 1983 eine Beurteilung zu erstellen.

3 Gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 1 hat die Richtlinie zum Ziel, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird als "Grundsatz der Gleichbehandlung" bezeichnet. Nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie bedeutet dieser Grundsatz, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf. Absatz 3 dieses Artikels bestimmt jedoch, daß die Richtlinie nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegensteht.

4 Nach Artikel 2 Absatz 4 steht die Richtlinie "nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen".

5 Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

"Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, daß Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden."

6 Artikel L 123-1 Buchstabe c des französischen Arbeitsgesetzbuchs bestimmt:

"Vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen dieses Gesetzbuches und falls nicht das Geschlecht entscheidende Voraussetzung für die Ausübung einer Beschäftigung oder beruflichen Tätigkeit ist, darf niemand

...

c) irgendeine Maßnahme im Bereich der Entlohnung, der Ausbildung, der Stellenzuweisung, der Weiterbildung, der Einstufung, des beruflichen Aufstiegs oder der Versetzung unter Berücksichtigung des Geschlechts treffen."

7 In Frankreich haben schwangere Arbeitnehmerinnen, die eine bestimmte Dienstzeit zurückgelegt haben, gemäß Artikel 45 des Tarifvertrags für die Beschäftigten von Einrichtungen der sozialen Sicherheit (im folgenden: Tarifvertrag) Anspruch auf 16 Wochen Mutterschaftsurlaub bei vollen Bezuegen; dieser Zeitraum kann auf bis zu 28 Wochen ausgedehnt werden. Ausserdem kann die Arbeitnehmerin gemäß Artikel 46 des Tarifvertrags am Ende des Mutterschaftsurlaubs einen Urlaub von drei Monaten bei halben Bezuegen oder von anderthalb Monaten bei vollen Bezuegen in Anspruch nehmen.

8 Artikel L 122-26-2 des Arbeitsgesetzbuchs bestimmt: "Die Zeit des Mutterschaftsurlaubs wird bei der Ermittlung der Ansprüche, die der Arbeitnehmerin aufgrund ihres Dienstalters zustehen, einem Zeitraum gleichgestellt, in dem sie tatsächlich gearbeitet hat."

9 Gemäß Artikel 3 des Nachtrags vom 13. November 1975 zum Tarifvertrag werden bei der Einstufung der Arbeitsstellen neben der tatsächlichen Anwesenheit bestimmte Fehlzeiten als "Berufspraxis" behandelt, z. B. Jahresurlaub, Urlaub in Sonderfällen und von kurzer Dauer, Zeiten der Ausübung des Amtes eines gewählten Gewerkschaftsvertreters und verschiedene Fehlzeiten von bis zu fünf Arbeitstagen innerhalb von sechs Monaten. Der durch den Nachtrag vom 15. Dezember 1983 eingefügte Artikel 3a sieht vor, daß der Mutterschaftsurlaub genauso wie die in Artikel 3 aufgezählten Fehlzeiten als "Berufspraxis" zu behandeln ist.

10 Die Artikel 29 bis 31 des Tarifvertrags regeln das Verfahren für die Gewährung von Zuschlägen, die bis zu 40 % des Arbeitsentgelts erreichen können. Aus Artikel 29 folgt, daß die Arbeitnehmer nach Ablauf des zweiten Dienstjahrs Anspruch auf einen jährlichen, ausschließlich an das Dienstalter geknüpften Zuschlag von 2 % des Arbeitsentgelts haben. Nach Ablauf des dritten Dienstjahrs kann der tarifvertragliche Zuschlag - bis zur Erreichung eines Zuschlags von 24 % - von 2 % auf 4 % erhöht werden; die zusätzlichen 2 % hängen dabei von der Beurteilung ab, die die Vorgesetzten jährlich in bezug auf die Qualität der von den Beschäftigten geleisteten Arbeit und ihr Verhalten abgeben. Der tarifvertragliche Zuschlag wird, wenn er über 24 % des Arbeitsentgelts liegt, jährlich um 2 % bis zur Erreichung von 40 % erhöht.

11 Kapitel XIII der Musterbetriebsordnung der CNAVTS enthält nähere Bestimmungen zu den Artikeln 29 bis 31 des Tarifvertrags. In bezug auf den freiwilligen Zuschlag von 2 % ist dort geregelt, daß alle Beschäftigten, die sich während eines Jahres mindestens sechs Monate an ihrem Arbeitsplatz befanden, durch ihre Vorgesetzten zu beurteilen sind.

12 Die Klägerin wurde 1973 von der CNAVTS als technische Bedienstete eingestellt und 1983 zur Sachbearbeiterin für Rechtsfragen befördert. Sie fehlte wegen Krankheit vom 4. bis 13. Februar, vom 3. bis 16. März und vom 16. Mai bis zum 12. Juni 1983. Anschließend nahm sie vom 13. Juni bis zum 1. Oktober 1983 Mutterschaftsurlaub gemäß Artikel 45 des Tarifvertrags und danach gemäß Artikel 46 des Tarifvertrags vom 3. Oktober bis zum 16. November 1983 Mutterschaftsurlaub bei halben Bezuegen.

13 Unter Berufung auf Kapitel XIII der Musterbetriebsordnung lehnte die CNAVTS eine Beurteilung der Klägerin für das Jahr 1983 ab. Die CNAVTS erklärte, die Klägerin erfuelle wegen ihrer Fehlzeiten nicht die Voraussetzungen im Sinne dieser Vorschrift, d. h., sie sei keine sechs Monate anwesend gewesen.

14 Den Akten des Ausgangsverfahrens ist zu entnehmen, daß die Klägerin im Verlauf des Jahres 1983 ungefähr fünf Monate im Büro anwesend war. Wäre sie nicht in der Zeit vom 13. Juni bis zum 1. Oktober 1983 in Mutterschaftsurlaub gewesen, hätte sie die gemäß Kapitel XIII für eine Beurteilung erforderlichen sechs Monate Anwesenheit geltend machen können.

15 Die Klägerin wandte sich daher an den Conseil de Prud'hommes Paris und machte geltend, diese Beurteilung sei unterblieben, weil sie sich in Mutterschaftsurlaub befunden habe; dies sei eine diskriminierende Maßnahme, durch die ihr eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg genommen worden sei. Durch Urteil vom 17. Dezember 1985 wurde der Klage stattgegeben und der Arbeitgeber der Klägerin verurteilt, dieser den erlittenen Schaden zu ersetzen. Die CNAVTS legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein.

16 Die Cour de Cassation kassierte dieses Urteil am 9. Februar 1989 mit der Begründung, Artikel 31 des Tarifvertrags sehe nicht vor, daß die Beschäftigten der CNAVTS automatisch in die Liste der einen Zuschlag erhaltenden Mitarbeiter aufgenommen würden, und verwies die Sache an den Conseil de Prud'hommes Melun.

17 Der Conseil de Prud'hommes Melun stellte durch Urteil vom 24. Januar 1990 fest, daß der Klägerin durch die unterbliebene Beurteilung eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg genommen worden sei. Daher hätte ihre Abwesenheit wegen des Mutterschaftsurlaubs wie eine tatsächliche Anwesenheit angerechnet werden müssen; die Nichtanrechnung sei eine unzulässige Diskriminierung im Sinne von Artikel L 123-1 Buchstabe c des Arbeitsgesetzbuchs. Der Conseil de Prud'hommes Melun stellte also fest, daß die Klägerin 1983 eine Beurteilung hätte erhalten müssen und daß ihr eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg genommen worden sei. Er verurteilte die CNAVTS deshalb, der Klägerin für das Jahr 1984 eine Gehaltsnachzahlung zu leisten.

18 Die CNAVTS legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein und machte folgendes geltend: Artikel 31 des Tarifvertrags sehe keine automatische Eintragung in die sogenannte "Aufstiegsliste" derjenigen Arbeitnehmer vor, die die Voraussetzungen erfuellten; die im Tarifvertrag vorgesehene Zeit der "Berufspraxis" müsse von der Zeit der tatsächlichen Anwesenheit im Unternehmen unterschieden werden, die einem Arbeitnehmer für den Erhalt einer beruflichen Beurteilung anzurechnen sei; die unterbliebene Beurteilung der Klägerin beruhe nicht auf einer geschlechtsspezifischen Erwägung, da der Grundsatz der beruflichen Gleichstellung gemäß Artikel L 123-1 Buchstabe c des Arbeitsgesetzbuchs nur für Ansprüche gelten könne, die potentiell von Arbeitnehmern beiderlei Geschlechts erhoben werden könnten.

19 Angesichts der Tatsache, daß Artikel L 123-1 Buchstabe c des Arbeitsgesetzbuchs die Richtlinie in das französische Recht umsetzt, hat die Cour de Cassation beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage vorzulegen:

Sind die Artikel 1 Absatz 1, 2 Absatz 1, 5 Absatz 1 und gegebenenfalls 2 Absatz 4 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 dahin auszulegen, daß sie es verbieten, einer Frau den Anspruch auf Beurteilung und infolgedessen die Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg zu nehmen, weil sie dem Betrieb wegen eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben ist?

20 Nach Ansicht der französischen Regierung ergibt sich die Diskriminierung der Klägerin nicht aus den nationalen Vorschriften, sondern aus deren Auslegung durch die CNAVTS. Die Artikel 3 des Nachtrags vom 13. November 1975 und 3a des Nachtrags vom 15. Dezember 1983 zum Tarifvertrag bezögen sich zwar auf die Einstufung der Beschäftigten von Einrichtungen der sozialen Sicherheit und nicht auf die Modalitäten der beruflichen Beurteilung im Sinne von Artikel 31 des Tarifvertrags, brächten aber gleichwohl eindeutig den Willen der Sozialpartner zum Ausdruck, Frauen, die sich in Mutterschaftsurlaub befänden, nicht zu diskriminieren.

21 Im Rahmen der Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, die Artikel 177 EG-Vertrag zugrunde liegt, ist es Sache des nationalen Gerichts, die Tatsachen darzulegen, die zu dem Rechtsstreit geführt haben, das nationale Recht auszulegen und über seine Anwendung auf den Einzelfall zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne die Urteile vom 3. Juni 1986 in der Rechtssache 139/85, Kempf, Slg. 1986, 1741, Randnr. 12, und vom 13. März 1986 in der Rechtssache 296/84, Sinatra, Slg. 1986, 1047, Randnr. 11).

22 Dabei ist es - wie die französische Regierung erklärt - Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Spielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden (vgl. Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83, Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 28).

23 Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof jedoch um die Auslegung konkreter gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in einem Fall der bei ihm anhängigen Art. Insofern sind die Bemerkungen der französischen Regierung zu den Artikeln 3 des Nachtrags vom 13. November 1975 und 3a des Nachtrags vom 15. Dezember 1983 nicht einschlägig.

24 Die Richtlinie lässt nationale Vorschriften zu, die den Frauen Sonderrechte wegen Schwangerschaft und Mutterschaft sichern, z. B. einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub (siehe Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-179/88, Handels- og Kontorfunktionärernes Forbund, Slg. 1990, I-3979, Randnr. 15).

25 Ausserdem behält Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie den Mitgliedstaaten das Recht vor, Vorschriften zum Schutz der Frau "bei Schwangerschaft und Mutterschaft" beizubehalten oder einzuführen. Damit ist in bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz die Berechtigung des Schutzes zum einen der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft, zum anderen der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit anerkannt, die an die Schwangerschaft und Entbindung anschließt (siehe insbesondere Urteile vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 184/83, Hofmann, Slg. 1984, 3047, Randnr. 25, vom 5. Mai 1994 ind der Rechtssache C-421/92, Habermann-Beltermann, Slg. 1994, I-1657, Randnr. 21, und vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-32/93, Webb, Slg. 1994, I-3567, Randnr. 20).

26 Die Gewährung derartiger, in der Richtlinie anerkannter Rechte soll die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mann und Frau in bezug auf den Zugang zur Beschäftigung (Artikel 3 Absatz 1) und die Arbeitsbedingungen (Artikel 5 Absatz 1) sicherstellen. Die Ausübung der Rechte, die Frauen nach Maßgabe des Artikels 2 Absatz 3 gewährt werden, darf daher nicht zu Nachteilen beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen führen. Die Richtlinie zielt insofern auf eine inhaltliche, nicht auf eine formelle Gleichheit ab.

27 Das Recht jedes Arbeitnehmers auf jährliche Beurteilung und damit auf die Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg ist Bestandteil seines Arbeitsvertrags im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie.

28 Deshalb ist im Hinblick auf Artikel 5 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie zu prüfen, ob eine Regelung der streitigen Art Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt.

29 Das Diskriminierungsverbot verlangt, daß eine Arbeitnehmerin, die während des Mutterschaftsurlaubs durch den Arbeitsvertrag an ihren Arbeitgeber gebunden bleibt, ihre Ansprüche aus den für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gleichermassen geltenden Arbeitsbedingungen, die sich aus diesem Arbeitsverhältnis ergeben, nicht verliert. Würde der Anspruch einer Arbeitnehmerin auf eine jährliche Beurteilung unter Umständen wie den vorliegenden ausgeschlossen, so würde sie allein in ihrer Arbeitnehmereigenschaft diskriminiert, denn wäre sie nicht schwanger gewesen und hätte sie keinen Mutterschaftsurlaub genommen, auf den sie einen Rechtsanspruch hatte, dann wäre sie für das fragliche Jahr beurteilt worden und hätte daher eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg gehabt.

30 Die Regierung des Vereinigten Königreichs weist zwar zutreffend darauf hin, daß die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes hinsichtlich der sozialen Maßnahmen, mit denen sie im Rahmen der Richtlinie den Schutz der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft gewährleisten, sowie in bezug auf die Art der Schutzmaßnahmen und ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten über einen Spielraum verfügen (vgl. insbesondere Urteil Hofmann, a. a. O., Randnr. 27).

31 Ein solcher Spielraum ist jedoch im Rahmen der Richtlinie wahrzunehmen; er darf nicht zu einer Behandlung führen, die eine Arbeitnehmerin in bezug auf ihre Arbeitsbedingungen benachteiligt.

32 Daher wird eine Frau, die in bezug auf ihre Arbeitsbedingungen dadurch benachteiligt wird, daß ihr wegen ihrer durch den Mutterschaftsurlaub bedingten Abwesenheit der Anspruch auf jährliche Beurteilung und demzufolge eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg genommen wird, wegen ihrer Schwangerschaft und ihres Mutterschaftsurlaubs diskriminiert. Ein solches Verhalten ist eine Diskriminierung unmittelbar aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie.

33 Daher ist auf die gestellte Frage zu antworten, daß eine nationale Regelung, die einer Frau den Anspruch auf Beurteilung und damit eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg deshalb nimmt, weil sie dem Betrieb wegen eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben ist, gegen Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie verstösst.

Kostenentscheidung


Kosten

34 Die Auslagen der französischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der französischen Cour de Cassation mit Urteil vom 28. März 1995 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Eine nationale Regelung, die einer Frau den Anspruch auf Beurteilung und damit eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg deshalb nimmt, weil sie dem Betrieb wegen eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben ist, verstösst gegen Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen.