61997A0081

Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 16. Juli 1998. - Regione Toscana gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Integrierte Mittelmeerprogramme - Gemeinschaftszuschuß - Verordnung (EWG) Nr. 4256/88 - Verordnung (EWG) Nr. 2085/93. - Rechtssache T-81/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite II-02889


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


1 Nichtigkeitsklage - Anfechtbare Handlungen - Begriff - Handlungen mit verbindlicher Rechtswirkung - Auslegung einer Rechtsvorschrift durch die Kommission, die den Ausschluß des potentiellen Empfängers eines Gemeinschaftszuschusses betrifft - Nichteinbeziehung - Den Ausschluß feststellende Entscheidung - Einbeziehung - Freigabe der fraglichen Beträge von Amts wegen - Nichteinbeziehung

(EG-Vertrag, Artikel 173)

2 Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt - Strukturinterventionen - Integrierte Mittelmeerprogramme - Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen - Endtermin für die Einreichung eines abschließenden Zahlungsantrags - Zeitpunkt der Absendung des Antrags

(Verordnung Nr. 4256/88 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 2085/93, Artikel 10)

Leitsätze


1 Alle Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen, sind Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages gegeben ist.

Um eine solche Maßnahme handelt es sich nicht bei einer Handlung, mit der sich die Kommission auf die Auslegung einer Rechtsvorschrift beschränkt, nach der die gebundenen Beträge für Beteiligungen an bestimmten von der Kommission genehmigten Vorhaben mangels eines fristgemäß gestellten abschließenden Zahlungsantrags automatisch freigegeben werden.

Dagegen ist gegen eine Handlung, mit der die Kommission unter Anwendung ihrer Auslegung einer Rechtsvorschrift feststellt, daß der potentielle Empfänger die Ausschlußfrist nicht beachtet habe, und diesem den Zuschuß, den sie ihm ursprünglich zugeteilt hatte, entzieht, die Klage nach Artikel 173 gegeben.

Die Freigabe der fraglichen Beträge ist jedoch nur die unausweichliche Folge der Aberkennung des Anspruchs auf Gewährung eines Zuschusses und erzeugt als solche keine eigenständigen Rechtswirkungen gegenüber dem potentiellen Empfänger.

2 Unter der in Artikel 10 der Verordnung Nr. 4256/88 in der Fassung der Verordnung Nr. 2085/93 festgelegten Frist für die Einreichung eines Antrags auf abschließende Zahlung der gebundenen Beträge für Beteiligungen an von der Kommission im Rahmen der Verordnung Nr. 2088/85 über die integrierten Mittelmeerprogramme beschlossenen Vorhaben ist der Endtermin für die Absendung des Antrags und nicht derjenige für den Eingang bei der Kommission zu verstehen.

Erstens garantiert nämlich eine solche Auslegung, daß potentielle Antragsteller gleichbehandelt werden, da sie die Gewähr dafür bietet, daß unabhängig von der räumlichen Entfernung der Begünstigten und von der notwendigen Beförderungsdauer der gleiche Endtermin gilt. Angesichts der einschneidenden Konsequenzen, die sich aus einer Überschreitung der vorgeschriebenen Frist ergeben, gebietet es zweitens die Rechtssicherheit, zugunsten der potentiellen Begünstigten auf das Datum der Absendung des Antrags abzustellen, da nur dieses von den potentiellen Begünstigten beherrschbar und nachweisbar ist, nicht aber die Dauer der Übermittlung dieses Antrags.

Entscheidungsgründe


Der Klage zugrunde liegender Sachverhalt und Ablauf des Verfahrens

1 Mit Entscheidung vom 27. Oktober 1988 genehmigte die Kommission im Rahmen der Verordnung (EWG) Nr. 2088/85 des Rates vom 23. Juli 1985 über die integrierten Mittelmeerprogramme (ABl. L 197, S. 1) das Vorhaben Nr. 88.20.IT.006.0 betreffend Arbeiten an der Trinkwasserleitung in der Toskana. Die Kommission verpflichtete sich damit, das Vorhaben bis zu einer Höhe von 676 742 000 LIT zu finanzieren.

2 Diese Arbeiten sollten ursprünglich von Oktober 1988 bis Oktober 1990 ausgeführt werden. Nach mehrmaliger Verschiebung begannen sie erst am 20. September 1990.

3 Auf Ersuchen der Klägerin genehmigte die Kommission zweimal eine Verschiebung des Datums der Beendigung der Arbeiten.

4 Mit vom Direktor des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) unterzeichnetem, an den Präsidenten des Ministerrats Italiens und die Klägerin gerichtetem Schreiben vom 21. November 1994 wies die Kommission darauf hin, daß der abschließende Zahlungsantrag für das fragliche Vorhaben spätestens am 31. März 1995 bei ihr eingehen müsse. Dabei berief sie sich auf Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 4256/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich des EAGFL, Abteilung Ausrichtung (ABl. L 374, S. 25), in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2085/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 44; im folgenden: Artikel 10).

5 Dieser Artikel lautet: "Die Teile der gebundenen Beträge für Beteiligungen an Vorhaben, die die Kommission vor dem 1. Januar 1989 im Rahmen der [Verordnung] ... (EWG) Nr. 2088/85 ... genehmigt hat und für die bis zum 31. März 1995 kein abschließender Zahlungsantrag eingereicht worden ist, werden von der Kommission ... spätestens am 30. September 1995 automatisch freigegeben."

6 Am 31. März 1995 richtete die Klägerin ein Schreiben an die Kommission, um die Zahlung des endgültigen Restbetrags zu erhalten. Dieses Schreiben ging am 4. April 1995 bei der Kommission ein.

7 Nachdem sie weder eine Antwort der Kommission noch die beantragte Zahlung erhalten hatte, schrieb die Klägerin der Kommission am 19. November 1996 erneut.

8 Dieses Schreiben beantwortete die Kommission mit Schreiben vom 31. Januar 1997, das bei der Klägerin am 7. Februar 1997 einging. Darin wies die Kommission darauf hin, daß der abschließende Zahlungsantrag gemäß ihrer Note vom 21. November 1994 spätestens am 31. März 1995 bei ihr hätte eingehen müssen. In dieser Angelegenheit seien das Schreiben der Klägerin vom 31. März jedoch erst am 4. April 1995 und die vom Ministerium übersandten Buchungsunterlagen erst am 29. Mai 1995 bei ihr eingegangen. Daher seien die entsprechenden Beträge gemäß Artikel 10 am 30. September 1995 automatisch freigegeben worden.

9 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit am 1. April 1997 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragener Klageschrift die vorliegende Klage erhoben.

10 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

11 Die Parteien haben in der Sitzung vom 28. April 1998 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

12 Die Klägerin beantragt,

- die Note der Kommission vom 21. November 1994 für nichtig zu erklären;

- den ihr nie mitgeteilten Rechtsakt der Kommission, den Gemeinschaftszuschuß zum Vorhaben Nr. 88.20.IT.006.0 freizugeben, für nichtig zu erklären;

- die Note der Kommission vom 31. Januar 1997 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

13 Die Kommission beantragt,

- die Klage als unzulässig abzuweisen;

- hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

14 Die Kommission hält die Klage für unzulässig.

15 Sie trägt vor, selbst wenn das Schreiben vom 21. November 1994 als Entscheidung anzusehen wäre, sei die hiergegen erhobene Klage unzulässig, da die Klägerin deren Rechtswidrigkeit nicht fristgemäß geltend gemacht habe.

16 Ausserdem sei im Schreiben vom 31. Januar 1997 - wie bereits im Schreiben vom 21. November 1994 - nur auf die sich aus Artikel 10 ergebende Ausschlußwirkung der Frist bis zum 31. März 1995 hingewiesen worden, die die Klägerin nicht in Abrede stelle und der gegenüber sie keinen Fall von höherer Gewalt geltend mache. Da diese Frist eine Ausschlußfrist sei, gelte sie von Rechts wegen, ohne daß eine mit Gründen versehene Entscheidung der Kommission vorliegen müsse.

17 Da das Schreiben vom 31. Januar 1997 nur eine bestätigende Handlung darstelle, sei die hiergegen gerichtete Klage ebenfalls unzulässig (u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1988 in den verbundenen Rechtssachen 166/86 und 220/86, Irish Cement/Kommission, Slg. 1988, 6473, Randnr. 16).

18 In ihrer Erwiderung macht die Klägerin im wesentlichen geltend, das Schreiben vom 31. Januar 1997 könne nicht als Handlung angesehen werden, die lediglich das Schreiben vom 21. November 1994 bestätige.

19 Erstens fehle nämlich dem Schreiben vom 21. November 1994 der Entscheidungscharakter, da es nur eine - einschränkende - Auslegung des Artikels 10 enthalte. Es handele sich nur um eine rein interne Verfahrenshandlung, die keine Rechtswirkungen ihr gegenüber erzeugen könne. Im übrigen sei der abschließende Zahlungsantrag am 21. November 1994 noch nicht eingereicht gewesen.

20 Zweitens setze eine bestätigende Handlung voraus, daß die ursprüngliche und die spätere Handlung den gleichen Gegenstand hätten (u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juni 1970 in der Rechtssache 58/69, Elz/Kommission, Slg. 1970, 507). Im vorliegenden Fall spreche jedoch das Schreiben vom 21. November 1994 keineswegs den Verlust des Anspruchs auf Zuschuß noch die Freigabe des Betrages aus, sondern diese Folgen ergäben sich ausschließlich aus dem Schreiben vom 31. Januar 1997.

Würdigung durch das Gericht

21 Nach ständiger Rechtsprechung sind alle Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen, Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 EG-Vertrag gegeben ist (vgl. insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639, Randnr. 9).

22 Bei einer Handlung, mit der sich die Kommission auf die Auslegung einer Rechtsvorschrift beschränkt, handelt es sich nicht um eine solche Maßnahme. Eine schriftliche Meinungsäusserung eines Gemeinschaftsorgans kann keine Entscheidung darstellen, die mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden kann, wenn sie Rechtswirkungen weder erzeugen konnte noch sollte (Urteile des Gerichtshofes vom 27. März 1980 in der Rechtssache 133/79, Sucrimex und Westzucker/Kommission, Slg. 1980, 1299, und vom 27. September 1988 in der Rechtssache 114/86, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1988, 5289, sowie Beschluß des Gerichtshofes vom 17. Mai 1989 in der Rechtssache 151/88, Italien/Kommission, Slg. 1989, 1255).

23 In derartigen Fällen ist nämlich nicht die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung, sondern deren Anwendung auf einen bestimmten Sachverhalt geeignet, rechtliche Wirkungen zu erzeugen.

24 Im vorliegenden Fall wurde im Schreiben vom 21. November 1994 hinsichtlich des Vorhabens Nr. 88.20.IT.006.0 darauf hingewiesen, daß "gemäß Artikel 10 ... die abschließenden Zahlungsanträge spätestens am 31. März 1995 bei der Europäischen Kommission eingehen [müssen]".

25 Somit ergibt sich aus dem Wortlaut dieses Schreibens, daß es nur einen Hinweis auf die einschlägigen Bestimmungen der anwendbaren Regelung in deren Auslegung durch die Kommission enthält. Da das Schreiben dem abschließenden Zahlungsantrag der Klägerin mehrere Monate vorausging, kann es auch nicht als Bescheidung dieses Antrags durch die Kommission angesehen werden.

26 Unter diesen Umständen hatte das eine Auslegung des Artikels 10 enthaltende Schreiben der Kommission vom 21. November 1994 nur erläuternden Charakter und griff selbst nicht in die Rechtsstellung der Klägerin ein. Daher kann dieses Schreiben, wie die Klägerin im Stadium der Erwiderung eingeräumt hat, nicht als Handlung angesehen werden, gegen die die Klage nach Artikel 173 des Vertrages gegeben ist; die Nichtigkeitsklage gegen dieses Schreiben ist somit unzulässig.

27 Zum Schreiben vom 31. Januar 1997 ist festzustellen, daß dieses keineswegs nur auf die Ausschlußwirkung der sich aus Artikel 10 ergebenden Frist bis zum 31. März 1995 hinweist, sondern vielmehr die Anwendung dieser Frist durch die Kommission auf die konkrete Situation der Klägerin verkörpert. Mit ihrer Feststellung, daß die Klägerin im vorliegenden Fall die Ausschlußfrist nicht beachtet habe, hat die Kommission der Klägerin den Zuschuß, den sie ihr ursprünglich zugeteilt hatte, entzogen.

28 Daraus folgt, daß das Schreiben vom 31. Januar 1997, mit dem der Ausschluß der Klägerin festgestellt worden ist, eine Handlung darstellt, gegen die die Klage nach Artikel 173 des Vertrages gegeben ist. Die vorliegende Klage ist daher für zulässig zu erklären, soweit sie gegen die in diesem Schreiben enthaltene Entscheidung gerichtet ist.

29 Zur Freigabe der fraglichen Beträge ist schließlich festzustellen, daß sie nach Artikel 10 von Amts wegen erfolgt, wenn für die Beträge nicht bis zum 31. März 1995 eine abschließender Zahlungsantrag eingereicht worden ist. Die Freigabe der Beträge ist daher nur die unausweichliche Folge der von der Kommission zuvor ausgesprochenen Aberkennung des Anspruchs auf Gewährung eines Zuschusses. Somit werden durch die Freigabe der Beträge als solche keine eigenständigen Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin erzeugt.

30 Mithin ist der Antrag auf Nichtigerklärung der Handlung unzulässig, mit der die Kommission die Beträge von Amts wegen freigegeben hat, nachdem sie zum Ergebnis gelangt war, daß die Ausschlußfrist bis zum 31. März 1995 nicht beachtet worden war.

31 Nach alledem ist die Klage nur zulässig, soweit sie gegen die im Schreiben vom 31. Januar 1997 enthaltene Entscheidung gerichtet ist, mit der der Ausschluß der Klägerin von der Gewährung des Zuschusses festgestellt worden ist.

Zur Begründetheit

32 Die Klägerin macht in erster Linie geltend, die Kommission habe den Inhalt von Artikel 10 verkannt. Hilfsweise macht sie einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismässigkeit und des Vertrauensschutzes geltend.

Zum Hauptklagegrund eines Verstosses gegen Artikel 10

Vorbringen der Parteien

33 Die Klägerin erinnert daran, daß Artikel 10 die gebundenen Beträge betreffe, für die bis zum 31. März 1995 kein abschließender Zahlungsantrag eingereicht worden sei. Diese Vorschrift bezeichne nur den Endtermin für die Absendung der Anträge und nicht denjenigen für den Eingang dieser Anträge bei der Kommission.

34 Indem die Kommission sich darauf gestützt habe, daß der Antrag der Klägerin erst am 4. April 1995 bei ihr eingegangen sei, habe sie somit gegen Artikel 10 verstossen.

35 Nach der Rechtsprechung könne die Sanktion des Rechtsverlusts nur durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, eine ordnungsgemässe Verwaltung des Sozialfonds sicherzustellen. So sei eine Bestimmung, die für die Einreichung von Beihilfeanträgen eine Frist vorsehe, nur dann mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar, wenn die Beachtung der vorgesehenen Frist als unerläßlich angesehen worden sei, um das reibungslose Funktionieren des Beihilfesystems zu gewährleisten (Urteil des Gerichtshofes vom 21. Januar 1992 in der Rechtssache C-319/90, Preßler, Slg. 1992, I-203, und Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in derselben Rechtssache, Slg. 1992, I-209). Im vorliegenden Fall könne jedoch die von der Kommission vorgenommene Auslegung des Artikels 10 nicht als dafür unerläßlich angesehen werden, das reibungslose Funktionieren des Beihilfesystems zu gewährleisten.

36 Die Kommission weist vorab darauf hin, daß Artikel 10 bezwecke, ein ordnungsgemässes Gebaren bei der Finanzierung insbesondere der integrierten Mittelmeerprogramme zu gewährleisten, um zu verhindern, daß die Verfahren weiter andauerten, die Vorhaben beträfen, welche bereits seit vielen Jahren hätten abgeschlossen sein müssen.

37 Der Sinn von Artikel 10 sei in ihrer Note vom 21. November 1994 an die Klägerin erläutert worden. Wenn diese die dargelegte Auslegung nicht geteilt habe, hätte sie die Note als rechtswidrig beanstanden müssen.

38 Die Rechtsprechung zur Rechtssicherheit und zu den Ausschlußfristen sei gerade im Bereich der Strukturfonds unzweideutig (Urteil des Gerichtshofes vom 26. Mai 1982 in der Rechtssache 44/81, Deutschland/Kommission, Slg. 1982, 1855, Randnrn. 15 bis 17). In Übereinstimmung mit den in dieser Rechtsprechung festgelegten Kriterien gebe Artikel 10 klar und eindeutig an, welche Frist zu beachten sei und welcher Rechtsverlust mit deren Nichtbeachtung verbunden sei. Darüber hinaus habe sie der Klägerin mit ihrer Note vom 21. November 1994 unmißverständlich ihre Auslegung von Artikel 10 an die Hand gegeben. Der rechtliche Kontext sei daher klar und der Klägerin bekannt gewesen.

39 Andere Verordnungen über die Strukturfonds enthielten Bestimmungen, die denen des Artikels 10 entsprächen. Die Staaten seien an der Ausarbeitung dieser Rechtsvorschriften beteiligt gewesen, bei denen davon ausgegangen werden könne, daß sie Gegenstand einer eingehenden Prüfung gewesen seien, zu denen die betreffenden öffentlichen Stellen hinzugezogen worden seien.

Würdigung durch das Gericht

40 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß das Schreiben der Klägerin vom 31. März 1995 am selben Tag an die Kommission abgesandt wurde und bei dieser am 4. April 1995 einging.

41 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission bezweifelt, daß dieses Schreiben vom 31. März 1995 einen Antrag im Sinne von Artikel 10 darstellen könne. Aus ihren Schriftsätzen geht jedoch hervor, daß dieses Verteidigungsmittel im schriftlichen Verfahren nicht geltend gemacht worden ist. Ganz im Gegenteil hat die Kommission dieses Schreiben wiederholt als Antrag bezeichnet. Es handelt sich daher um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne von Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung, das als solches unzulässig ist, weil es nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gründe gestützt ist, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

42 Ausserdem ergibt sich aus dem Schreiben vom 31. Januar 1997, daß die Kommission den Antrag der Klägerin mit der Begründung abgelehnt hat, daß er nicht vor Ablauf der in Artikel 10 festgelegten Frist bis zum 31. März 1995 bei ihr eingegangen sei.

43 Folglich geht es bei diesem Klagegrund nur darum, ob unter dem in Artikel 10 festgesetzten Datum dasjenige der Absendung der abschließenden Zahlungsanträge oder dasjenige des Eingangs dieser Anträge bei der Kommission zu verstehen ist.

44 Weder der Wortlaut der fraglichen Bestimmung noch die Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 2085/93 vom 20. Juli 1993, noch die Materialien zu dieser Verordnung erlauben es, der einen oder der anderen dieser Auslegungen den Vorzug zu geben.

45 Ausserdem sind die Argumente der Kommission im Kern nicht geeignet, den Klagegrund zu entkräften.

46 Mit ihnen soll nämlich dargetan werden, daß die Frist des Artikels 10 zwingend ist, daß Erwägungen zwingenden Rechts und Erwägungen einer ordnungsgemässen Verwaltung die Anwendung einer Ausschlußfrist gebieten, daß zudem in ähnlichen Verordnungen eine entsprechende Frist festgelegt wurde und daß die in dieser Weise festgelegte Frist mit den Anforderungen der Rechtsprechung in Einklang steht, da mit ihr klar die an ihre Nichtbeachtung geknüpften Sanktionen genannt werden.

47 Die Klägerin beanstandet jedoch gerade nicht das Bestehen einer Ausschlußfrist, sondern deren Auslegung durch die Kommission (siehe oben, Randnrn. 33 und 34), die für diese Frist auf den Eingang des abschließenden Zahlungsantrags abstellt.

48 Die Kommission meint indessen, sie habe ihre Auslegung des Artikels 10 der Klägerin bereits mit Schreiben vom 21. November 1994 mitgeteilt. Wenn die Klägerin diese Auslegung nicht geteilt habe, hätte sie dieses Schreiben anfechten müssen.

49 Dieses Argument ist zurückzuweisen. Erstens stellt das Schreiben vom 21. November 1994, wie bereits ausgeführt worden ist (siehe oben, Randnr. 26), keine Handlung dar, gegen die die Nichtigkeitsklage gegeben ist. Zweitens ist die Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift allein Sache des Gemeinschaftsrichters, so daß den von der Kommission herangezogenen Leitlinien eine gesicherte Rechtsverbindlichkeit fehlt.

50 Unter der in Artikel 10 festgelegten Frist ist der Endtermin für die Absendung eines Antrags zu verstehen.

51 Erstens garantiert nämlich eine solche Auslegung, daß potentielle Antragsteller gleichbehandelt werden, da sie die Gewähr dafür bietet, daß unabhängig von der räumlichen Entfernung der Begünstigten und von der notwendigen Beförderungsdauer der gleiche Endtermin gilt.

52 Angesichts der einschneidenden Konsequenzen, die sich nach Artikel 10 aus einer Überschreitung der vorgeschriebenen Frist ergeben, gebietet es zweitens die Rechtssicherheit, zugunsten der potentiellen Begünstigten auf das Datum der Absendung des Antrags abzustellen; nur das Datum der Absendung des Antrags ist nämlich von den potentiellen Begünstigten beherrschbar und nachweisbar, nicht aber die Dauer der Übermittlung dieses Antrags. Die sich daraus ergebende Möglichkeit, daß die Kommission die Anträge der Begünstigten erst einige Tage später erhält, kann nicht als Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit einer Ausschlußfrist sowie der Erfordernisse einer ordnungsgemässen Verwaltung des Gemeinschaftshaushalts angesehen werden.

53 Nach alledem ist die im Schreiben vom 31. Januar 1997 enthaltene Entscheidung der Kommission für nichtig zu erklären, ohne daß über die von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Klagegründe zu entscheiden wäre.

Kostenentscheidung


Kosten

54 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die drei Nichtigkeitsanträge der Klägerin tatsächlich das gleiche Ziel hatten, die der Prüfung ihres abschließenden Zahlungsantrags entgegenstehende Handlung für nichtig erklären zu lassen, ist Artikel 87 § 3 nicht anzuwenden. Infolgedessen sind der Beklagten auf den entsprechenden Antrag der Klägerin sämtliche Kosten aufzuerlegen, auch wenn die Klage teilweise als unzulässig abgewiesen wird.

Tenor


Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT

(Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die im Schreiben vom 31. Januar 1997 enthaltene Entscheidung wird für nichtig erklärt.

2. Im übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

3. Die Kommission trägt die Kosten.