URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

11. September 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Grundsätze des Unionsrechts – Verfahrensautonomie – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Grundsatz der Rechtssicherheit – Rechtskraft – Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht von einem Mitgliedstaat erhobenen Abgabe – Rechtskräftige Gerichtsentscheidung, die zur Zahlung einer unionsrechtswidrigen Abgabe verpflichtet – Wiederaufnahmeantrag bezüglich einer solchen Gerichtsentscheidung – Frist für die Stellung dieses Antrags“

In der Rechtssache C‑676/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Ploieşti (Berufungsgericht Ploieşti, Rumänien) mit Entscheidung vom 5. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Dezember 2017, in dem Verfahren

Oana Mădălina Călin

gegen

Direcţia Regională a Finanţelor Publice Ploieşti – Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Dâmboviţa,

Statul Român – Ministerul Finanţelor Publice,

Administrația Fondului pentru Mediu

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter D. Šváby, S. Rodin und N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch R.‑H. Radu, C.‑M. Florescu und R. I. Haţieganu als Bevollmächtigte, dann durch C.‑R. Canțăr, C.‑M. Florescu und R. I. Haţieganu als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und C. Perrin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Februar 2019

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV, von Art. 110 AEUV, der Art. 17, 20, 21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit, der Äquivalenz, der Effektivität und der Rechtssicherheit.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Oana Mădălina Călin auf der einen Seite und der Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice Ploiești – Administrația Județeană a Finanțelor Publice Dâmbovița (Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Ploiești – Kreisverwaltung für öffentliche Finanzen Dâmbovița), dem Statul Român – Ministerul Finanţelor Publice (Rumänischer Staat – Ministerium für öffentliche Finanzen) und der Administrația Fondului pentru Mediu (Umweltfonds-Amt, Rumänien) auf der anderen Seite betreffend einen Antrag auf Wiederaufnahme in Bezug auf eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung, mit der ein Wiederaufnahmeantrag bezüglich einer anderen rechtskräftigen Gerichtsentscheidung, mit der Frau Călin die Zahlung einer später für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärten Umweltgebühr auferlegt worden war, wegen Verfristung für unzulässig erklärt wurde.

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 21 „Außerordentliche Rechtsbehelfe“ der Legea contenciosului administrativ nr. 554/2004 (Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) vom 2. Dezember 2004 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 1154 vom 7. Dezember 2004) sah vor:

„(1)   Gegen rechtskräftige und unwiderrufliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte sind die nach der Zivilprozessordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe statthaft.

(2)   Die Verkündung rechtskräftiger und unwiderruflicher Entscheidungen unter Verstoß gegen den in Art. 148 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 der neu bekannt gemachten Verfassung Rumäniens normierten Grundsatz des Vorrangs des [Unions]rechts stellt einen Wiederaufnahmegrund dar, der neben die in der Zivilprozessordnung geregelten Wiederaufnahmegründe tritt. Der Wiederaufnahmeantrag ist innerhalb von 15 Tagen ab Übermittlung der Entscheidung einzureichen, die abweichend von der in Art. 17 Abs. 3 festgelegten Regel auf gebührend begründeten Antrag der betroffenen Partei innerhalb von 15 Tagen ab Verkündung erfolgt. Über den Wiederaufnahmeantrag ist dringlich und vorrangig innerhalb von 60 Tagen nach seiner Eintragung in das Gerichtsregister zu entscheiden.“

4

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass Art. 21 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 mit der Entscheidung Nr. 1609/2010 der Curtea Constituţională (Verfassungsgericht, Rumänien) vom 9. Dezember 2010 für verfassungswidrig erklärt wurde.

5

Das vorlegende Gericht weist im Wesentlichen darauf hin, dass nur die Bestimmungen von Art. 21 Abs. 2 Sätze 1 und 3 weiterhin Rechtswirkung entfalteten. Dagegen endeten die Rechtswirkungen des die Frist für die Wiederaufnahme betreffenden Satzes 2 dieser Vorschrift.

6

Mit dem Urteil Nr. 45/2016 vom 12. Dezember 2016, veröffentlicht im Monitorul Oficial al României am 23. Mai 2017, hat die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) entschieden, dass die Frist für den Wiederaufnahmeantrag gemäß Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 einen Monat betrage und mit dem Zeitpunkt der Übermittlung des rechtskräftigen Urteils beginne, auf das sich die Wiederaufnahme beziehe.

7

Art. 509 („Gegenstand der Wiederaufnahme und Wiederaufnahmegründe“) Abs. 1 des Codul de procedură civilă (Zivilprozessordnung) sieht vor:

„(1)   Ein Wiederaufnahmeantrag in Bezug auf eine in der Sache ergangene oder die Sache erörternde … Entscheidung kann gestellt werden, wenn

11.

die Curtea Constituțională (Verfassungsgericht), nachdem das Urteil rechtskräftig geworden ist, über eine in dieser Rechtssache erhobene Einrede entschieden und eine Bestimmung, die den Gegenstand dieser Einrede der Verfassungswidrigkeit bildet, für verfassungswidrig erklärt hat.“

8

Art. 511 („Antragsfrist“) Abs. 3 der Zivilprozessordnung bestimmt:

„Bezüglich der in Art. 509 Abs. 1 Nrn. 10 und 11 festgelegten Gründe beträgt die Frist drei Monate ab dem Tag der Veröffentlichung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte oder der Entscheidung der Curtea Constituțională (Verfassungsgericht) im Monitorul Oficial al României, Teil I“.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

Am 12. April 2013 erwarb Frau Călin, eine rumänische Staatsangehörige, ein gebrauchtes Kraftfahrzeug aus Deutschland. Der Serviciul Public Comunitar Regim Permise de Conducere și Înmatriculare a Vehiculelor Târgoviște (Amt für öffentliche Angelegenheiten, Referat Fahrerlaubnisse und Fahrzeugzulassungen, Târgoviște, Rumänien) machte die Zulassung des Pkw von Frau Călin von der Zahlung einer Umweltgebühr für Kraftfahrzeuge in Höhe von 968 rumänischen Lei (RON) (ungefähr 207 Euro) abhängig. Dieser Betrag wurde von Frau Călin entrichtet.

10

Frau Călin erhob daraufhin Klage beim Tribunalul Dâmbovița – Secția a II‑a civilă, de contencios administrativ și fiscal (Landgericht Dâmbovița – Zweite Zivilkammer für Verwaltungs- und Abgabenstreitsachen) auf Erstattung dieses Betrags mit der Begründung, dass die Auferlegung einer solchen Umweltgebühr mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.

11

Mit Urteil vom 15. Mai 2014 wies dieses Gericht die Klage ab.

12

Am 28. April 2015 stellte Frau Călin bei dem genannten Gericht einen ersten Wiederaufnahmeantrag in Bezug auf dieses Urteil und berief sich dabei auf das Urteil vom 14. April 2015, Manea (C‑76/14, EU:C:2015:216), in dem der Gerichtshof festgestellt habe, dass diese Umweltgebühr unter Verstoß gegen das Unionsrecht eingeführt worden sei. Dieser Wiederaufnahmeantrag wurde mit Urteil vom 16. Juni 2015 zurückgewiesen.

13

Am 17. August 2016 stellte Frau Călin einen zweiten Wiederaufnahmeantrag beim Tribunalul Dâmbovița – Secția a II-a civilă, de contencios administrativ și fiscal (Landgericht Dâmbovița – Zweite Zivilkammer für Verwaltungs- und Abgabenstreitsachen) in Bezug auf das Urteil vom 15. Mai 2014. Dieser Wiederaufnahmeantrag war auf das Urteil vom 9. Juni 2016, Budişan (C‑586/14, EU:C:2016:421), sowie auf Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 gestützt, der die Wiederaufnahme bezüglich rechtskräftiger Urteile, die unter Verletzung des Unionsrechts erlassen worden seien, hätte ermöglichen sollen. Mit Urteil vom 11. Oktober 2016 gab das genannte Gericht diesem Antrag statt und ordnete die Erstattung der Umweltgebühr zuzüglich Zinsen an.

14

Die Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Ploiești – Kreisverwaltung für öffentliche Finanzen Dâmbovița legte gegen dieses Urteil Berufung bei der Curtea de Apel Ploiești (Berufungsgericht Ploiești, Rumänien) ein.

15

Mit Urteil vom 16. Januar 2017 hob dieses Gericht das Urteil des Tribunalul Dâmbovița – Secția a II‑a civilă, de contencios administrativ și fiscal (Landgericht Dâmbovița – Zweite Zivilkammer für Verwaltungs- und Abgabenstreitsachen) vom 11. Oktober 2016 auf, da es der Ansicht war, dass der zweite Wiederaufnahmeantrag nach Ablauf der Frist von einem Monat gestellt worden sei, die mit dem Zeitpunkt der Übermittlung der rechtskräftigen Entscheidung, die Gegenstand der Wiederaufnahme sei, zu laufen beginne. Diese Frist, die sich aus dem Urteil Nr. 45/2016 ergebe, sei für alle rumänischen Gerichte beginnend zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Urteils im Monitorul Oficial al României bindend. Das Urteil, auf das sich der Wiederaufnahmeantrag bezog, war Frau Călin aber am 26. Mai 2014 übermittelt worden, während der Antrag auf Wiederaufnahme am 17. August 2016 gestellt wurde.

16

Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist ein Wiederaufnahmeantrag bezüglich des Urteils vom 16. Januar 2017, der von Frau Călin beim vorlegenden Gericht gestellt wurde. Dieser Antrag wird zum einen auf einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot gestützt, da das Urteil vom 9. Juni 2016, Budişan (C‑586/14, EU:C:2016:421), ergangen ist, nachdem die nationale Entscheidung, bezüglich deren die Wiederaufnahme beantragt wurde, rechtskräftig geworden ist. Zum anderen wird dieser Antrag auf einen von der Curtea de Apel Ploiești (Berufungsgerichtshof Ploiești) begangenen Verstoß gegen den in Art. 4 Abs. 3 AEUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gestützt.

17

In diesem Zusammenhang zieht das nationale Gericht die Vereinbarkeit des Urteils Nr. 45/2016 mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität in Zweifel.

18

Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass sich die Umstände des Ausgangsrechtsstreits von denen der Rechtssache unterschieden, in der das Urteil vom 6. Oktober 2015, Târşia (C‑69/14, EU:C:2015:662), ergangen sei, in dem der Gerichtshof festgestellt habe, dass das Unionsrecht dem nicht entgegenstehe, dass es an einem Wiederaufnahmeverfahren bezüglich einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung fehle, wenn sich diese Entscheidung als unvereinbar mit einer Auslegung des Unionsrechts erweise. Das vorlegende Gericht führt aus, dass nämlich im Ausgangsverfahren anders als in der genannten Rechtssache die Möglichkeit einer Wiederaufnahme bezüglich einer rechtskräftigen nationalen Gerichtsentscheidung, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht ergangen sei, bestehe.

19

Es weist darauf hin, dass es in Ermangelung einer Unionsregelung zur Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache jedes Mitgliedstaats sei, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Steuerpflichtigen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollten. Diese Verfahrensmodalitäten müssten jedoch stets den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie den Grundsatz der Rechtssicherheit wahren.

20

Im vorliegenden Fall sehe Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 keine Frist für den Wiederaufnahmeantrag vor; eine solche Frist ergebe sich nur aus dem Urteil Nr. 45/2016.

21

Das vorlegende Gericht ist jedoch der Ansicht, dass die Anwendung dieser Frist eine Erstattung der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe an Frau Călin unmöglich machen würde. Frau Călin stünde nämlich keine andere nationale Verfahrensart zur Verfügung, um die Erstattung dieser Abgabe zu erreichen.

22

Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Können Art. 4 Abs. 3 EUV, der sich auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit bezieht, die Art. 17, 20, 21 und 47 der Charta, Art. 110 AEUV, der Grundsatz der Rechtssicherheit sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, die sich aus dem Grundsatz der Verfahrensautonomie ergeben, dahin ausgelegt werden, dass sie einer nationalen Regelung, nämlich Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 in der Auslegung durch die Entscheidung Nr. 45/2016 entgegenstehen, wonach die Frist für die Stellung des Wiederaufnahmeantrags gemäß Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 einen Monat beträgt und mit dem Zeitpunkt der Übermittlung des rechtskräftigen Urteils beginnt, auf das sich die Wiederaufnahme bezieht?

Zur Vorlagefrage

23

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Bestimmung in der Auslegung durch ein Urteil eines nationalen Gerichts entgegensteht, die eine Ausschlussfrist von einem Monat für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen, unter Verstoß gegen das Unionsrecht ergangenen Gerichtsentscheidung vorsieht, die mit dem Zeitpunkt der Übermittlung der Entscheidung beginnt, auf die sich der Wiederaufnahmeantrag bezieht.

24

Vorab ist festzustellen, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, dass Frau Călin die Zahlung einer Umweltgebühr für Kraftfahrzeuge auferlegt wurde, obwohl der Gerichtshof mit Urteil vom 9. Juni 2016, Budişan (C‑586/14, EU:C:2016:421), im Wesentlichen entschieden hat, dass Art. 110 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Abgabe wie dieser Umweltgebühr entgegensteht.

25

Der Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben hat, stellt nach ständiger Rechtsprechung insoweit eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die dem Einzelnen aus den diesen Abgaben entgegenstehenden Bestimmungen des Unionsrechts in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Die Mitgliedstaaten sind also grundsätzlich verpflichtet, unionsrechtswidrig erhobene Abgaben zu erstatten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, EU:C:1983:318, Rn. 12, vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 24, sowie vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 24).

26

Allerdings ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 58, vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 28, und vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe, C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 54).

27

Daher gebietet es das Unionsrecht einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Situation abgeholfen werden könnte (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 59, vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 29, und vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe, C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 55).

28

Wie bereits entschieden wurde, verlangt das Unionsrecht nämlich nicht, dass ein nationales Rechtsprechungsorgan seine rechtskräftig gewordene Entscheidung grundsätzlich rückgängig machen muss, um der Auslegung einer einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 60, vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 38, und vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe, C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 56).

29

Besteht hingegen für das nationale Gericht nach den anwendbaren innerstaatlichen Verfahrensvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, eine rechtskräftig gewordene Entscheidung rückgängig zu machen, um die Situation mit dem nationalen Recht in Einklang zu bringen, muss davon, sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, nach den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität Gebrauch gemacht werden, damit die Vereinbarkeit der betreffenden Situation mit dem Unionsrecht wiederhergestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 62, vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 30, und vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe, C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 60).

30

Nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dürfen nämlich die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Die Einhaltung der genannten Anforderungen ist unter Berücksichtigung der Stellung der betreffenden Vorschriften im gesamten Verfahren, von dessen Ablauf und der Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen (Urteile vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting‑04, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 24).

32

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Informationen, über die der Gerichtshof verfügt, dass das rumänische Recht einen Rechtsbehelf bietet, der es ermöglicht, in Bezug auf rechtskräftige Gerichtsentscheidungen, die dem Unionsrecht zuwiderlaufen, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen. Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts folgt, dass für diesen Wiederaufnahmeantrag eine Frist von einem Monat gilt, die mit dem Zeitpunkt der Übermittlung der Entscheidung beginnt, auf die sich der Wiederaufnahmeantrag bezieht. Diese Frist ging aus dem Urteil Nr. 45/2016 hervor, das die Auslegung und Anwendung von Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 betraf.

33

Es ist daher zu prüfen, ob eine solche Frist mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität vereinbar ist.

Zum Äquivalenzgrundsatz

34

Wie in Rn. 30 des vorliegenden Urteils ausgeführt, steht der Äquivalenzgrundsatz dem entgegen, dass ein Mitgliedstaat die Verfahrensmodalitäten für Anträge, die auf den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gerichtet sind, weniger günstig ausgestaltet als diejenigen für entsprechende innerstaatliche Klagen.

35

Daher ist zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wiederaufnahmeantrag mit einem auf einen Verstoß gegen innerstaatliches Recht gestützten Antrag bei Berücksichtigung des Gegenstands dieser Rechtsbehelfe, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale vergleichbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting‑04, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 39, und vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 27).

36

Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge im Wesentlichen dargelegt hat, führt das vorlegende Gericht insoweit in den Gründen seines Vorabentscheidungsersuchens keinen auf einen Verstoß gegen innerstaatliches Recht gestützten Wiederaufnahmeantrag an, der als dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vergleichbar angesehen werden könnte.

37

Hingegen macht die Kommission geltend, dass der in Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 vorgesehene Wiederaufnahmeantrag bezüglich einer rechtskräftigen Entscheidung, mit der gegen das Unionsrecht verstoßen worden sei, demjenigen in Art. 509 Abs. 1 Nr. 11 der Zivilprozessordnung vergleichbar sei, wonach ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden könne, wenn die Curtea Constituțională (Verfassungsgericht), nachdem die Entscheidung rechtskräftig geworden sei, über eine in derselben Rechtssache erhobene Einrede der Verfassungswidrigkeit entschieden und eine Bestimmung, die den Gegenstand dieser Einrede bilde, für verfassungswidrig erklärt habe.

38

Allerdings ist die Kommission der Auffassung, dass im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz vorliege, da die Verfahrensmodalitäten für auf Art. 509 Abs. 1 Nr. 11 der Zivilprozessordnung gestützte Anträge günstiger seien als die für Wiederaufnahmeanträge nach Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004. Während nämlich der erstgenannte Rechtsbehelf innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung des Urteils der Curtea Constituțională (Verfassungsgericht), mit dem die Verfassungswidrigkeit einer nationalen Bestimmung festgestellt werde, eingelegt werden könne, müsse der letztgenannte Rechtsbehelf innerhalb eines Monats nach der Übermittlung der Entscheidung eingelegt werden, auf die sich der Wiederaufnahmeantrag beziehe.

39

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 71 und 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erlaubt jedoch im Rahmen von Art. 509 Abs. 1 Nr. 11 der Zivilprozessordnung das Urteil der Curtea Constituțională (Verfassungsgericht), mit dem festgestellt worden ist, dass eine nationale Bestimmung verfassungswidrig ist, nur die Wiederaufnahme bezüglich der rechtskräftigen Gerichtsentscheidung, die in dem Verfahren erlassen wurde, in dem die Parteien die Verfassungswidrigkeit einer nationalen Bestimmung geltend gemacht haben, während Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 die Wiederaufnahme bezüglich jeder rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ermöglichen würde, die gegen das Unionsrecht verstößt.

40

Gleichwohl ist der Gerichtshof mangels näherer Angaben zu letzterem Punkt nicht in der Lage, über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ähnlichkeit zwischen dem in Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 vorgesehenen Wiederaufnahmeantrag und demjenigen, der in Art. 509 Abs. 1 Nr. 11 der Zivilprozessordnung vorgesehen ist, zu befinden, und somit auch nicht in der Lage, festzustellen, ob die sich aus dem Äquivalenzgrundsatz ergebenden Anforderungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

41

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, die Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes im Ausgangsverfahren im Licht der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu prüfen, wobei es diesem Gericht unbenommen bleibt, ein neues Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, wenn es dem Gerichtshof alle Angaben zu liefern vermag, die ihm eine Entscheidung über die Frage der Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. Mai 2016, Security Service u. a., C‑692/15 bis C‑694/15, EU:C:2016:344, Rn. 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum Effektivitätsgrundsatz

42

In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen innerstaatlichen Stellen zu prüfen ist. Dabei ist gegebenenfalls u. a. dem Schutz der Verteidigungsrechte, dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens Rechnung zu tragen (Urteile vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito, C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 49, vom 22. Februar 2018, INEOS Köln, C‑572/16, EU:C:2018:100, Rn. 44, sowie vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 49).

43

Was insbesondere Ausschlussfristen anbelangt, hat der Gerichtshof entschieden, dass im Interesse der Rechtssicherheit die Festlegung angemessener Ausschlussfristen mit dem Unionsrecht vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral, 33/76, EU:C:1976:188, Rn. 5, vom 10. Juli 1997, Palmisani, C‑261/95, EU:C:1997:351, Rn. 28, vom 29. Oktober 2015, BBVA, C‑8/14, EU:C:2015:731, Rn. 28, sowie vom 22. Februar 2018, INEOS Köln, C‑572/16, EU:C:2018:100, Rn. 47).

44

Im vorliegenden Fall hat die Curtea de Apel Ploiești (Berufungsgericht Ploiești), wie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen hervorgeht, entsprechend dem Urteil Nr. 45/2016 befunden, dass der zweite von Frau Călin gestellte Wiederaufnahmeantrag verspätet gewesen sei. Gemäß diesem Urteil betrug die Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags einen Monat ab der Übermittlung des Urteils vom 15. Mai 2014, auf das sich der Wiederaufnahmeantrag bezieht, an Frau Călin.

45

Somit ist zu prüfen, ob eine solche Frist, nach deren Ablauf der Einzelne keinen Wiederaufnahmeantrag bezüglich einer rechtskräftigen, unter Verstoß gegen das Unionsrecht ergangenen Gerichtsentscheidung mehr stellen kann, angemessen ist.

46

Hierzu ist festzustellen, dass eine Frist von einem Monat für die Stellung eines solchen Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung, bei dem es sich nach der Überschrift des Art. 21 des Gesetzes Nr. 554/2004 um einen „außerordentlichen“ Rechtsbehelf handelt, an sich nicht zu beanstanden ist.

47

Eine Ausschlussfrist für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags ist nämlich insofern angemessen, als sie es dem Einzelnen ermöglicht, zu beurteilen, ob Gründe für einen Antrag auf Wiederaufnahme bezüglich einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung vorliegen, und gegebenenfalls den Wiederaufnahmeantrag vorzubereiten. Insoweit ist in der vorliegenden Rechtssache nicht vorgetragen worden, dass die hierfür gesetzte Frist von einem Monat unangemessen wäre (vgl. entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C‑40/08, EU:C:2009:615, Rn. 44).

48

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Frist mit der Übermittlung der betreffenden rechtskräftigen Gerichtsentscheidung an die Parteien zu laufen beginnt. Somit können sich die Parteien nicht in einer Situation befinden, in der diese Frist abgelaufen ist, ohne dass sie Kenntnis von der rechtskräftigen Gerichtsentscheidung hatten (vgl. entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C‑40/08, EU:C:2009:615, Rn. 45).

49

Unter diesen Umständen scheint die Dauer der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Frist für den Wiederaufnahmeantrag als solche nicht geeignet, die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.

50

Was die Modalitäten der Anwendung dieser Frist betrifft, ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes ableitet, es gebietet, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 1996, Duff u. a., C‑63/93, EU:C:1996:51, Rn. 20, vom 10. September 2009, Plantanol, C‑201/08, EU:C:2009:539, Rn. 46, sowie vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 77).

51

Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass die Frist von einem Monat für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags durch das Urteil Nr. 45/2016 festgelegt wurde, das für die rumänischen Gerichte seit seiner Veröffentlichung im Monitorul Oficial al României verbindlich ist. Wie aus den schriftlichen Antworten der Parteien auf eine Frage des Gerichtshofs hervorgeht, wurde dieses Urteil zwar am 12. Dezember 2016 verkündet, aber erst am 23. Mai 2017 im Monitorul Oficial al României veröffentlicht.

52

Somit war das Urteil Nr. 45/2016 noch nicht im Monitorul Oficial al României veröffentlicht, als Frau Călin am 17. August 2016 ihren zweiten Wiederaufnahmeantrag stellte.

53

Demnach scheint es – vorbehaltlich weiterer Prüfungen, die vorzunehmen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, dass die Curtea de Apel Ploiești (Berufungsgericht Ploiești) für die Feststellung der Verfristung des von Frau Călin gestellten zweiten Wiederaufnahmeantrags die im Urteil Nr. 45/2016 vorgesehene Frist angewandt hat, obwohl dieses Urteil noch nicht veröffentlicht war. Außerdem geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen nicht hervor, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem Frau Călin den Wiederaufnahmeantrag stellte, im rumänischen Recht eine andere Frist für einen solchen Wiederaufnahmeantrag existiert hätte, der als im Sinne der in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung klar, bestimmt und voraussehbar hätte angesehen werden können.

54

In der mündlichen Verhandlung hat die rumänische Regierung jedoch angegeben, dass die rumänischen Gerichte vor der Veröffentlichung des Urteils Nr. 45/2016 im Monitorul Oficial al României unterschiedliche Fristen für die Stellung von Wiederaufnahmeanträgen gemäß Art. 21 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 angewandt hätten, da sie nicht verpflichtet gewesen seien, eine spezielle Frist anzuwenden.

55

Soweit die rumänische Regierung mit dieser Erklärung die Anwendung der mit dem Urteil Nr. 45/2016 entwickelten Lösung bereits vor seiner Veröffentlichung rechtfertigen möchte, ist festzustellen, dass eine solche Praxis nicht geeignet war, die Vorschrift über die Frist für den Wiederaufnahmeantrag klar, bestimmt und vorhersehbar zu machen und damit zum Ziel der Rechtssicherheit beizutragen.

56

Ferner ist, da das vorlegende Gericht festgestellt hat, dass die Anwendung dieser Frist durch die Curtea de Apel Ploiești (Berufungsgericht Ploiești) eine Erstattung der unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe an Frau Călin unmöglich gemacht habe, da Frau Călin keine andere nationale Verfahrensart zur Verfügung gestanden habe, um die Erstattung dieser Abgabe zu erreichen, darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 103 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Grundsatz der Rechtskraft einer Anerkennung des Grundsatzes der Haftung des Staates für Entscheidungen letztinstanzlicher Gerichte – wie des vorlegenden Gerichts – nicht entgegensteht (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 40). Denn insbesondere aufgrund des Umstands, dass eine Verletzung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte durch eine solche Entscheidung in der Regel nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht die Möglichkeit genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Weg einen gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen (Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 34, vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 40, sowie vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 58).

57

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass

das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Bestimmung in der Auslegung durch ein Urteil eines nationalen Gerichts, die eine Ausschlussfrist von einem Monat für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen, unter Verstoß gegen das Unionsrecht ergangenen Gerichtsentscheidung vorsieht, die mit dem Zeitpunkt der Übermittlung der Entscheidung beginnt, auf die sich der Wiederaufnahmeantrag bezieht, grundsätzlich nicht entgegensteht;

der Grundsatz der Effektivität in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit jedoch dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung eine Ausschlussfrist von einem Monat anwendet, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Wiederaufnahmeantrag gestellt wurde, das Urteil, mit dem diese Frist eingeführt wurde, noch nicht im Monitorul Oficial al României veröffentlicht war.

Kosten

58

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Bestimmung in der Auslegung durch ein Urteil eines nationalen Gerichts, die eine Ausschlussfrist von einem Monat für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen, unter Verstoß gegen das Unionsrecht ergangenen Gerichtsentscheidung vorsieht, die mit dem Zeitpunkt der Übermittlung der Entscheidung beginnt, auf die sich der Wiederaufnahmeantrag bezieht, grundsätzlich nicht entgegensteht.

 

2.

Jedoch ist der Grundsatz der Effektivität in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrags bezüglich einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung eine Ausschlussfrist von einem Monat anwendet, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Wiederaufnahmeantrag gestellt wurde, das Urteil, mit dem diese Frist eingeführt wurde, noch nicht im Monitorul Oficial al României veröffentlicht war.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.