URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. November 2017 ( *1 )

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Luftfracht – Beschluss der Kommission über Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen hinsichtlich einer Reihe von Bestandteilen der Preise für Luftfrachtdienstleistungen – Begründungsmangel – Vom Unionsrichter von Amts wegen geprüfter Gesichtspunkt zwingenden Rechts – Verbot, ultra petita zu entscheiden – Auf teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses gerichtete Anträge der Klageschrift im ersten Rechtszug – Verbot für das Gericht der Europäischen Union, eine vollständige Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses auszusprechen – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“

In der Rechtssache C‑122/16 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. Februar 2016,

British Airways plc mit Sitz in Harmondsworth (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: J. Turner, QC, und R. O’Donoghue, Barrister, beauftragt von A. Lyle-Smythe, Solicitor,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch N. Khan und A. Dawes als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, J. Malenovský und E. Levits, der Richter E. Juhász, A. Borg Barthet, J.‑C. Bonichot und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, M. Vilaras und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: M.‑A. Gaudissart, Beigeordneter Kanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2017,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Mai 2017

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die British Airways plc die teilweise Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Dezember 2015, British Airways/Kommission (T‑48/11, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:988), mit dem das Gericht den Beschluss K(2010) 7694 endg. der Kommission vom 9. November 2010 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr (Sache COMP.39258 – Luftfracht) (im Folgenden: streitiger Beschluss) teilweise für nichtig erklärt hat, soweit er British Airways betrifft.

Rechtlicher Rahmen

Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union

2

Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union lautet:

,,Die Klageerhebung bei dem Gerichtshof erfolgt durch Einreichung einer an den Kanzler zu richtenden Klageschrift. Die Klageschrift muss Namen und Wohnsitz des Klägers, die Stellung des Unterzeichnenden, die Partei oder die Parteien, gegen die die Klage erhoben wird, und den Streitgegenstand angeben sowie die Anträge und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten.

[Der Klageschrift] ist gegebenenfalls der Rechtsakt beizufügen, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, oder in dem in Artikel 265 AEUV geregelten Fall eine Unterlage, aus der sich der Zeitpunkt der in dem genannten Artikel vorgesehenen Aufforderung ergibt. Sind der Klageschrift diese Unterlagen nicht beigefügt, so fordert der Kanzler den Kläger auf, sie innerhalb einer angemessenen Frist beizubringen; die Klage kann nicht deshalb zurückgewiesen werden, weil die Beibringung erst nach Ablauf der für die Klageerhebung vorgeschriebenen Frist erfolgt.“

3

In Art. 56 Abs. 2 der Satzung heißt es:

„[Ein Rechtsmittel beim Gerichtshof] kann von einer Partei eingelegt werden, die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist. …“

Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 19. Juni 1991

4

Art. 112 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 19. Juni 1991 (im Folgenden: Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 19. Juni 1991) sah vor:

„Die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des Gerichts ist der Rechtsmittelschrift beizufügen. …“

Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012

5

Art. 120 („Inhalt der Klageschrift“) der am 1. November 2012 in Kraft getretenen Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012 (im Folgenden: Verfahrensordnung des Gerichtshofs) hat folgenden Wortlaut:

,,Die Klageschrift im Sinne von Artikel 21 der Satzung [des Gerichtshofs der Europäischen Union] muss enthalten:

c)

den Streitgegenstand, die geltend gemachten Klagegründe und Argumente sowie eine kurze Darstellung der Klagegründe;

d)

die Anträge des Klägers;

…“

6

Art. 122 („Anlagen zur Klageschrift“) dieser Verfahrensordnung bestimmt:

„(1)   Der Klageschrift sind gegebenenfalls die in Artikel 21 Absatz 2 der Satzung bezeichneten Unterlagen beizufügen.

(3)   Entspricht die Klageschrift nicht den in Absatz 1 oder 2 genannten Voraussetzungen, so setzt der Kanzler dem Kläger eine angemessene Frist zur Beibringung der vorstehend genannten Unterlagen. Bei Ausbleiben dieser Mängelbehebung entscheidet der Gerichtshof nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, ob die Nichtbeachtung dieser Voraussetzungen die formale Unzulässigkeit der Klageschrift zur Folge hat.“

7

Art. 127 („Neue Klage- und Verteidigungsgründe“) Abs. 1 der Verfahrensordnung lautet:

,,Das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens ist unzulässig, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.“

8

In Art. 168 („Inhalt der Rechtsmittelschrift“) der Verfahrensordnung heißt es:

„(1)   Die Rechtsmittelschrift muss enthalten:

b)

die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung des Gerichts;

(2)   Die Artikel 119, 121 und 122 Absatz 1 finden auf die Rechtsmittelschrift Anwendung.

…“

9

Art. 169 („Rechtsmittelanträge, ‑gründe und ‑argumente“) Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestimmt:

,,Die Rechtsmittelanträge müssen auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts in der Gestalt der Entscheidungsformel gerichtet sein.“

10

Art. 170 („Anträge für den Fall der Stattgabe des Rechtsmittels“) Abs. 1 der Verfahrensordnung hat folgenden Wortlaut:

,,Die Rechtsmittelanträge müssen für den Fall, dass das Rechtsmittel für begründet erklärt werden sollte, darauf gerichtet sein, dass den erstinstanzlichen Anträgen vollständig oder teilweise stattgegeben wird; neue Anträge sind nicht zulässig. Das Rechtsmittel kann den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern.“

11

In Art. 190 („Sonstige in Rechtsmittelverfahren anwendbare Vorschriften“) Abs. 1 der Verfahrensordnung heißt es:

,,Die Artikel 127, … finden auf das Verfahren vor dem Gerichtshof, das ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Gerichts zum Gegenstand hat, Anwendung.“

Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991

12

Art. 44 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 bestimmte:

„Die in Artikel 21 der Satzung bezeichnete Klageschrift muss enthalten:

c)

den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe;

d)

die Anträge des Klägers;

…“

13

In Art. 48 § 2 der genannten Verfahrensordnung hieß es:

„Im Übrigen können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

…“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

14

Die Rechtsmittelführerin, British Airways, ist eine auf dem Markt für Luftfracht tätige Fluggesellschaft.

15

Am 7. Dezember 2005 erhielt die Europäische Kommission gemäß ihrer Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung von 2002) von der Deutschen Lufthansa AG und ihren Tochtergesellschaften, der Lufthansa Cargo AG und der Swiss International Air Lines AG, einen Antrag auf Geldbußenerlass. In diesem Antrag wurde erklärt, dass zwischen mehreren auf dem Markt für Luftfracht tätigen Unternehmen (im Folgenden: Fluggesellschaften) wettbewerbswidrige Kontakte bestünden, die eine Reihe von Bestandteilen des Preises der im Rahmen dieses Marktes erbrachten Dienstleistungen beträfen, nämlich die Erhebung von Treibstoffzuschlägen und Sicherheitszuschlägen sowie die Weigerung der Fluggesellschaften, eine Provision auf die Zuschläge zu zahlen.

16

Am 14. und 15. Februar 2006 führte die Kommission unangekündigte Nachprüfungen durch.

17

Im Anschluss an die Nachprüfungen stellten mehrere Fluggesellschaften, darunter die Rechtsmittelführerin, einen Antrag gemäß der Kronzeugenregelung von 2002.

18

Am 19. Dezember 2007 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an 27 Fluggesellschaften, darunter die Rechtsmittelführerin. In Beantwortung dieser Mitteilung reichten ihre Adressaten schriftliche Erklärungen ein. Vom 30. Juni bis zum 4. Juli 2008 fand eine Anhörung statt.

19

Am 9. November 2010 erließ die Kommission den streitigen Beschluss, der an 21 Fluggesellschaften (im Folgenden: beschuldigte Fluggesellschaften), darunter die Rechtsmittelführerin, gerichtet war.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

20

Mit Klageschrift, die am 24. Januar 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin eine Klage, die darauf gerichtet war, bestimmte Aspekte des streitigen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit diese sie betrafen.

21

Wie sich aus Rn. 25 des angefochtenen Urteils ergibt, begehrte die Rechtsmittelführerin in ihren zur Stützung dieser Klage formulierten Anträgen,

den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit ihr darin vorgeworfen worden war, an der Verweigerung der Zahlung von Provisionen beteiligt gewesen zu sein, soweit darin davon ausgegangen worden war, dass ihre Zuwiderhandlung am 22. Januar 2001 begonnen habe, und soweit darin davon ausgegangen worden war, dass die „Vorgänge“ in Bezug auf Hongkong, Japan, Indien, Thailand, Singapur, Korea und Brasilien Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) und Art. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr, das am 21. Juni 1999 in Luxemburg unterzeichnet und im Namen der Gemeinschaft mit dem Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und – bezüglich des Abkommens über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit – der Kommission vom 4. April 2002 über den Abschluss von sieben Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (ABl. 2002, L 114, S. 1, im Folgenden: Abkommen EG–Schweiz) genehmigt wurde, darstellten;

die mit dem streitigen Beschluss gegen sie verhängte Geldbuße für nichtig zu erklären oder wesentlich herabzusetzen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

22

Zur Stützung ihrer Klage machte die Rechtsmittelführerin sieben Klagegründe geltend. Erstens rügte sie einen Beurteilungsfehler, soweit die Kommission davon ausgegangen war, dass sie an der Verweigerung der Zahlung von Provisionen teilgenommen habe. Zweitens sei der Zeitpunkt des Beginns der Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen worden. Drittens lägen im Hinblick auf die Prüfung der Beteiligung bestimmter Regulierungsbehörden Rechts- und Tatsachenfehler oder ein Ermessensmissbrauch vor. Viertens sei der Basisprozentsatz der Geldbuße unverhältnismäßig und diskriminierend. Fünftens liege ein Verstoß gegen die Begründungspflicht und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor, soweit die Kommission die Geldbuße bei ihrer Berechnung erhöht habe. Sechstens werde gegen die Kronzeugenregelung von 2002 verstoßen, soweit die Geldbuße der Rechtsmittelführerin nicht im größtmöglichen Maß herabgesetzt worden sei. Siebtens werde gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verstoßen, soweit die Kommission die Geldbuße nicht wegen mildernder Umstände herabgesetzt habe.

23

Aus den Rn. 27 bis 29 und aus Rn. 45 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass das Gericht von Amts wegen einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts geprüft hat, nämlich ob der streitige Beschluss mit einem Begründungsfehler behaftet ist. Wie sich insbesondere aus den Akten des Gerichtshofs ergibt, richtete das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 seiner Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 schriftliche Fragen an die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits, in denen es sie aufforderte, u. a. zu dem Umstand Stellung zu nehmen, dass die Begründung des streitigen Beschlusses eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung beschreibe, an der alle Adressaten dieses Beschlusses beteiligt gewesen seien, obwohl nicht all diese Adressaten in den ersten vier Artikeln des verfügenden Teils genannt würden.

24

Hierzu machte die Rechtsmittelführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht geltend, die Kommission habe in der Begründung des streitigen Beschlusses auf eine einzige einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens EG–Schweiz Bezug genommen. Der verfügende Teil dieses Beschlusses habe hingegen das Vorliegen gesonderter einheitlicher und fortgesetzter Zuwiderhandlungen gegen jede dieser Bestimmungen festgestellt. Angesichts dieser Inkohärenz zwischen der Begründung und dem verfügenden Teil des Beschlusses sei dieser mit einem Begründungsmangel behaftet, der vom Gericht von Amts wegen geprüft werde könne.

25

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht entschieden, dass der streitige Beschluss zum einen Widersprüche zwischen seiner Begründung und seinem verfügenden Teil und zum anderen Widersprüche innerhalb der Begründung selbst aufweise.

26

Das Gericht gelangte letztlich zu der Auffassung, dass es zu prüfen habe, ob diese Widersprüche die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin verletzen könnten und ob sie das Gericht an der Ausübung seiner Kontrolle hinderten.

27

Nach dieser Prüfung hat das Gericht entschieden, dass dies der Fall sei, und somit festgestellt, dass der streitige Beschluss mit einem Begründungsmangel behaftet sei.

28

Gleichwohl könne diese Feststellung im vorliegenden Fall nicht zur vollständigen Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses führen, soweit er die Rechtsmittelführerin betreffe, da die Nichtigerklärung des Beschlusses nicht über die Anträge in ihrer Klageschrift hinausgehen dürften.

29

Daher hat das Gericht, ohne die von der Rechtsmittelführerin zur Stützung ihrer Klage vorgebrachten Klagegründe zu prüfen, entschieden, den streitigen Beschluss aufgrund des Begründungsmangels, den es im Rahmen des von ihm von Amts wegen geprüften Gesichtspunkts zwingenden Rechts festgestellt hatte, für nichtig zu erklären, soweit die „Kommission [in diesem Beschluss] zum einen davon ausgegangen war, dass die Klägerin erstens an der Verweigerung der Zahlung von Provisionen teilgenommen habe, zweitens zwischen dem 22. Januar 2001 und dem 1. Oktober 2001 eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des [EWR-Abkommens] und Art. 8 des [Abkommens EG–Schweiz] begangen habe und drittens an Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen im Hinblick auf [Luftf]rachtdienste, die von Hongkong (China), Japan, Indien, Thailand, Singapur, Korea und Brasilien aus durchgeführt wurden, beteiligt gewesen sei, und ihr zum anderen eine Geldbuße auferlegt habe“.

30

Darüber hinaus hat das Gericht mit seinen Urteilen vom 16. Dezember 2015, Air Canada/Kommission (T‑9/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:994), Koninklijke Luchtvaart Maatschappij/Kommission (T‑28/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:995), Japan Airlines/Kommission (T‑36/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:992), Cathay Pacific Airways/Kommission (T‑38/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:985), Cargolux Airlines/Kommission (T‑39/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:991), Latam Airlines Group und Lan Cargo/Kommission (T‑40/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:986), Singapore Airlines und Singapore Airlines Cargo Pte/Kommission (T‑43/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:989), Deutsche Lufthansa u. a./Kommission (T‑46/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:987), SAS Cargo Group u. a./Kommission (T‑56/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:990), Air France–KLM/Kommission (T‑62/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:996), Air France/Kommission (T‑63/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:993) und Martinair Holland/Kommission (T‑67/11, EU:T:2015:984), über die Klagen entschieden, die von anderen beschuldigten Fluggesellschaften erhoben worden waren und ebenfalls auf Anfechtung des streitigen Beschlusses gerichtet waren.

Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

31

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es den Umfang der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses auf die Anträge in ihrer Klage im ersten Rechtszug beschränkt;

Nr. 1 der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils aufzuheben;

den streitigen Beschluss insgesamt aufzuheben;

der Kommission die Kosten des vorliegenden Rechtsmittels aufzuerlegen.

32

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen;

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

– Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels

33

Nach Ansicht der Kommission ist das Rechtsmittel aus zwei Gründen offensichtlich unzulässig.

34

Erstens sei die Rechtsmittelführerin der Verpflichtung gemäß Art. 168 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht nachgekommen, weil das angefochtene Urteil dem Rechtsmittel nicht beigefügt gewesen sei.

35

Zweitens erfülle das Rechtsmittel weder Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch die Art. 169 und 170 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, die nach Art. 63 der Satzung der Durchführung von Art. 56 der Satzung dienten.

36

Was Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs betreffe, sei das vorliegende Rechtsmittel nicht auf die Aufhebung der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils gerichtet, sondern vielmehr auf deren Ergänzung, indem die vom Gericht ausgesprochene teilweise Nichtigerklärung zu einer vollständigen Nichtigerklärung ausgeweitet werden solle. Daher verstoße das Rechtsmittel gegen diese Bestimmung.

37

Der Gerichtshof habe Art. 170 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung eng ausgelegt. Da jedoch im vorliegenden Fall der Antrag der Rechtsmittelführerin weiter gehe als ihr Antrag im ersten Rechtszug, verstoße sie gegen diese Bestimmung.

38

Außerdem liege ein Zirkelschluss der Rechtsmittelführerin vor, soweit sie vorbringe, dass das Gericht, anders als es entschieden habe, nicht an die von ihr im ersten Rechtszug gestellten Anträge gebunden sei und es ihr deshalb möglich sein müsse, ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Gerichts einzulegen.

39

Darüber hinaus lege die Begründung, wonach sich die Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittels aus der Anwendung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ergebe, erneut nahe, dass das Gericht nicht an die Anträge der Klageschrift im ersten Rechtszug gebunden sei. Das Vorbringen, wonach diese Bestimmung einer Partei eines Rechtsstreits das absolute Recht verleihe, neue Argumente geltend zu machen oder den Grund ihres Antrags in jedem beliebigen Verfahrensstadium zu verändern, sei offensichtlich unbegründet.

40

Die Rechtsmittelführerin ist der Auffassung, dass ihr Rechtsmittel zulässig sei.

41

Art. 170 Abs. 1 Satz 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sei in Verbindung mit Satz 2 dieser Bestimmung zu lesen, so dass er nur Anwendung finde, wenn der Rechtsmittelführer nicht begehre, Anträgen stattzugeben, die mit den im ersten Rechtszug gestellten identisch seien, und somit der Streitgegenstand geändert werde.

42

Im Hinblick auf Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union habe sie vor dem Gericht u. a. vorgebracht, dass der streitige Beschluss innere Widersprüche und Begründungsmängel aufweise. Eine solche Feststellung hätte zur vollständigen Nichtigerklärung dieses Beschlusses ihr gegenüber führen müssen. Somit begehrte sie, einen Bestandteil des angefochtenen Urteils anzufechten, der unbestreitbar Teil des Streitgegenstands vor dem Gericht gewesen sei, und sei sie sehr wohl mit ihren Anträgen vor dem Gericht im Sinne von Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union unterlegen.

– Zur Zulässigkeit der Erwiderung

43

Die Kommission macht in erster Linie geltend, dass die von der Rechtsmittelführerin eingereichte Erwiderung gemäß Art. 127 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der über Art. 190 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar sei, offensichtlich unzulässig sei, weil darin neue Rechtsmittelgründe vorgebracht würden.

44

Die Rechtsmittelführerin behaupte nämlich in ihrem Rechtsmittel, dass das Gericht einen Fehler begangen habe, indem es das Verbot, ultra petita zu entscheiden, angewendet habe, was impliziere, dass sie einräume, dass die Maßnahme, die sie begehrt habe, diejenige sei, die in den Anträgen ihrer Klageschrift im ersten Rechtszug enthalten sei. Anstatt auf die von der Kommission gegen das Rechtsmittel erhobene Einrede der Unzulässigkeit einzugehen, mache die Rechtsmittelführerin hingegen in ihrer Erwiderung geltend, dass das Gericht einen Fehler begangen habe, indem es ihr nicht gestattet habe, diese Anträge zu ändern. Auch erläutere die Rechtsmittelführerin nicht, warum sie diesen Rechtsmittelgrund verspätet, in ihrer Erwiderung, geltend mache, obwohl die in diesem Schriftsatz vorgebrachten Argumente nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt würden, die während des schriftlichen Verfahrens zutage getreten seien.

45

Die Rechtsmittelführerin tritt dem Vorbringen der Kommission zur Unzulässigkeit der Erwiderung entgegen.

Würdigung durch den Gerichtshof

46

Hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels und erstens der diesbezüglich von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit aufgrund dessen, dass die Rechtsmittelführerin das angefochtene Urteil ihrem Rechtsmittel nicht beigefügt habe, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach Art. 168 Abs. 2 dieser Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, der Klageschrift gegebenenfalls die in Art. 21 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Unterlagen beizufügen sind. Dabei sieht letztere Bestimmung vor, dass „[der Klageschrift] gegebenenfalls der Rechtsakt beizufügen [ist], dessen Nichtigerklärung beantragt wird …“.

47

Zwar ist, wenn sich eine Klage gegen einen Rechtsakt eines Organs der Europäischen Union richtet, dieser Rechtsakt der Klageschrift beizufügen. Hinsichtlich eines Rechtsmittels sieht jedoch Art. 168 Abs. 1 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vor, dass die Rechtsmittelschrift lediglich die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung des Gerichts enthalten muss, ohne dass es erforderlich wäre, diese Entscheidung der Rechtsmittelschrift beizufügen.

48

Somit ist es seit dem Inkrafttreten der Verfahrensordnung des Gerichtshofs am 1. November 2012 im Rahmen eines Rechtsmittels nicht mehr notwendig, der Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung des Gerichts als Anlage beizufügen, da nur die Bezeichnung dieser Entscheidung erforderlich ist.

49

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Umstand, dass das angefochtene Urteil dem Rechtsmittel nicht als Anlage beigefügt worden ist, die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach sich zieht. Die insofern von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist somit zurückzuweisen.

50

Hinsichtlich zweitens des Vorbringens, wonach das Rechtsmittel gegen Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs verstößt, ist darauf hinzuweisen, dass ausweislich dieser Bestimmung „[d]ie Rechtsmittelanträge … auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts in der Gestalt der Entscheidungsformel gerichtet sein [müssen]“.

51

In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 54 seiner Schlussanträge ist festzustellen, dass diese Vorschrift den fundamentalen Grundsatz im Bereich der Rechtsmittel betrifft, wonach das Rechtsmittel gegen die Entscheidungsformel der Entscheidung des Gerichts gerichtet sein muss und nicht lediglich auf die Änderung bestimmter Gründe dieser Entscheidung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al‑Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 43 bis 45).

52

Im vorliegenden Fall beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils und insbesondere die Aufhebung von Nr. 1 seiner Entscheidungsformel, da das Gericht den streitigen Beschluss, soweit er sie betrifft, nicht insgesamt für nichtig erklärt habe. Die Rechtsmittelführerin beanstandet somit den Umfang der vom Gericht ausgesprochenen Nichtigerklärung oder, mit anderen Worten, die rechtlichen Konsequenzen, die das Gericht aus dem von ihm festgestellten Verstoß gegen die Begründungspflicht gezogen hat.

53

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin mit ihrem Rechtsmittel tatsächlich eine teilweise Aufhebung der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils begehrt und dass die Rechtsmittelanträge folglich mit Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in Einklang stehen.

54

Drittens ist hinsichtlich der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit aufgrund dessen, dass das Rechtsmittel gegen Art. 56 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und gegen Art. 170 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs verstoße, festzustellen, dass die Prüfung dieser Einrede eine Würdigung der Tragweite des Begriffs der im ersten Rechtszug gestellten „Anträge“ und des Begriffs des „Streitgegenstands“ vor dem Gericht im Sinne dieser Bestimmungen erfordert.

55

Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen diesen Einreden der Unzulässigkeit und der von der Rechtsmittelführerin hinsichtlich der Begründetheit vorgebrachten Rechtsmittelgründe sind jedoch zunächst Letztere zu prüfen.

56

Unter diesen Umständen und da die Erwiderung ausschließlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels betrifft, wird die Einrede der Unzulässigkeit dieses Schriftsatzes gegebenenfalls auch am Ende der Prüfung der Begründetheit zu untersuchen sein.

Zur Begründetheit

57

Zur Stützung ihres Rechtsmittels macht die Rechtsmittelführerin zwei Rechtsmittelgründe geltend, und zwar erstens einen Rechtsfehler aufgrund der Anwendung des Verbots, ultra petita zu entscheiden, und zweitens einen Rechtsfehler aufgrund einer Verletzung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta.

58

Diese beiden Rechtsmittelgründe sind zusammen zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

59

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund bringt die Rechtsmittelführerin vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es sich auf das Verbot, ultra petita zu entscheiden, zurückgezogen habe, um den Umfang der von ihm ausgesprochenen Nichtigerklärung zu beschränken, obwohl es von Amts wegen das Vorliegen wesentlicher Mängel hinsichtlich zwingenden Rechts festgestellt habe, mit denen der streitige Beschluss insgesamt behaftet sei.

60

Der mit einer Nichtigkeitsklage befasste Unionsrichter dürfe zwar nicht ultra petita entscheiden, was bedeute, dass er nur darüber entscheiden dürfe, was von den Parteien spezifisch beantragt werde.

61

Es gebe aber mehrere Fälle, in denen der Unionsrichter zur Erfüllung seiner ihm durch den AEU-Vertrag übertragenen Aufgabe als Wächter über die Rechtmäßigkeit veranlasst sein könne, einen rechtlichen Gesichtspunkt von Amts wegen zu prüfen und daher über etwas zu entscheiden, was nicht von den Parteien spezifisch beantragt worden sei. In diesen Fällen sei der dem angefochtenen Rechtsakt anhaftende Mangel so schwerwiegend, dass seine Ahndung durch den Unionsrichter gerechtfertigt sei, auch wenn ihn der Kläger nicht gerügt habe.

62

Dem mit einer Nichtigkeitsklage befassten Unionsrichter könne nicht vorgeworfen werden, die Grenzen des Rechtsstreits und seiner Zuständigkeit zu überschreiten, ultra petita zu entscheiden und seine Verfahrensordnung zu verkennen, wenn er von Amts wegen einen solchen Gesichtspunkt prüfe, der gerade die Rechtmäßigkeit des Rechtsakts betreffe, dessen Nichtigerklärung beantragt werde.

63

Indem es einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts prüfe, suche das Gericht nicht eine Unzulänglichkeit der Klageschrift oder der Argumentation der Parteien zu heilen, sondern stelle die Beachtung einer Regelung sicher, die aufgrund ihrer Bedeutung dem Ermessen der Parteien entzogen sei.

64

Wenn der Unionsrichter von Amts wegen einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts auf der Grundlage eines Begründungsmangels prüfe, sei dies eine Ausnahme vom Verbot, ultra petita zu entscheiden. Dies könne insbesondere a contrario aus Rn. 12 des Urteils vom 28. Juni 1972, Jamet/Kommission (37/71, EU:C:1972:57), abgeleitet werden, worin der Gerichtshof entschieden habe, dass er durch die vollständige Aufhebung des in der Rechtssache, die diesem Urteil zugrunde lag, in Rede stehenden Rechtsakts ultra petita entscheiden würde. Das gegen diesen Rechtsakt gerichtete Angriffsmittel betreffe aber nicht zwingendes Recht.

65

Das Gericht habe auch dadurch einen Fehler begangen, dass es die mit dem Verbot, ultra petita zu entscheiden, verfolgten Ziele und die Beachtung der Regeln und Grundsätze zwingenden Rechts, die es veranlasst habe, den Begründungsmangel des streitigen Beschlusses von Amts wegen zu prüfen, verwechselt habe.

66

Im Rahmen des Inter-Partes-Verfahrens sei es wesentlich, dass die das Verfahren einleitende Partei den Streitgegenstand angebe und ihre Klagegründe kurz darstelle und dass diese Angabe so klar und deutlich sein müsse, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermögliche. Aus den Rn. 122 und 123 des Urteils vom 19. Dezember 2013, Kommission/Polen (C‑281/11, EU:C:2013:855), gehe hervor, dass mit diesen Bedingungen vermieden werden solle, dass der Gerichtshof ultra petita entscheide, eine Rüge übergehe oder über die Klage anderweitig nicht entscheide. Aus denselben Gründen sei das Gericht in Rn. 91 des angefochtenen Urteils zu Unrecht davon ausgegangen, dass Art. 44 § 1 und Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 ihm Beschränkungen auferlegten, obwohl diese Vorschriften den Kläger beträfen und nicht das Gericht selbst.

67

Der Unionsrichter sei im Gegenteil dann, wenn er von Amts wegen einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts prüfe, verpflichtet, über den Rahmen der von den Parteien zur Stützung ihrer Anträge vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel hinauszugehen, und sei daher nicht mehr an die Grenzen gebunden, die ihm die Beachtung des Verbots, ultra petita zu entscheiden, auferlege.

68

Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin ist es unlogisch, dass sich das Gericht zur Stützung seiner Entscheidung, wegen des Verbots, ultra petita zu entscheiden, nur eine teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses auszusprechen, auf die von ihr im ersten Rechtszug gestellten Anträge bezogen habe.

69

Erstens habe das Gericht über die Klage allein auf der Grundlage des von ihm von Amts wegen geprüften Gesichtspunkts zwingenden Rechts entschieden. Es sei schwer nachvollziehbar, dass das Gericht im Folgenden entschieden habe, auf die in der Klageschrift gestellten Anträge Bezug zu nehmen, obwohl es sich in keiner Weise zu den zur Stützung dieser Anträge vorgebrachten Klagegründen geäußert habe.

70

Zweitens habe sich die Argumentation des Gerichts hinsichtlich der Begründungsmängel des streitigen Beschlusses, wie aus den Rn. 42 und 43 des angefochtenen Urteils hervorgehe, teilweise auf die Notwendigkeit gestützt, spätere nationale Schadensersatzverfahren zu berücksichtigen. Gleichwohl hätten die Urteile des Gerichts, die auf die von der Rechtsmittelführerin und anderen beschuldigten Fluggesellschaften erhobenen Klagen auf Nichtigerklärung des betreffenden Beschlusses hin ergangen seien, insgesamt zum Ergebnis gehabt, eine unlogische Unterscheidung zwischen der Situation der Rechtsmittelführerin, die nur eine teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses erlangt habe, und der Situation der anderen Fluggesellschaften, die die vollständige Nichtigerklärung dieses Beschlusses erlangt hätten, zu schaffen, obwohl sich die Rechtsmittelführerin und die anderen Fluggesellschaften im Hinblick auf die wesentliche Argumentation des Gerichts in genau der gleichen Situation befunden hätten. Diese Unterscheidung sei willkürlich, da nicht alle diese anderen Fluggesellschaften in ihren Nichtigkeitsklagen gegen den streitigen Beschluss diese Begründungsmängel gerügt hätten.

71

Zudem führe der vom Gericht im angefochtenen Urteil gerügte Begründungsmangel des streitigen Beschlusses zu großen Schwierigkeiten in nationalen Schadensersatzverfahren. Aufgrund der Beschränkung des Umfangs der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses in der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils bestehe nämlich dieser Beschluss noch teilweise gegenüber der Rechtsmittelführerin. Wegen der zahlreichen Mängel dieses Beschlusses, die nach Ansicht des Gerichts so schwerwiegend gewesen seien, um Verstöße gegen Regeln oder Grundsätze zwingenden Rechts darzustellen, könnten nämlich die nationalen Gerichte große Schwierigkeiten haben, eindeutig zu unterscheiden, für welche Schäden, die ihres Erachtens durch die in dem Beschluss geschilderte Verhaltensweisen verursacht wurden, die Rechtsmittelführerin haftet und für welche die anderen Fluggesellschaften. Dies könne sich auf die Rechtsmittelführerin und auch auf andere Parteien, einschließlich derjenigen, die Schadensersatz verlangten, nachteilig auswirken.

72

Darüber hinaus könne der Ansatz des Gerichts Bedenken hinsichtlich der Organisation der Rechtspflege, der Verfahrensökonomie vor dem Unionsrichter und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hervorrufen. Würde dieser Ansatz bestätigt, veranlasste er die Kläger dazu, systematisch, ohne weitere Rechtfertigung, ihre Anträge weit zu formulieren, um ihre Chancen, eine Nichtigerklärung größeren Umfangs zu erlangen, für den Fall zu maximieren, dass der Unionsrichter einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts von Amts wegen prüfe. Dies würde vom Unionsrichter verlangen, allein die Verantwortung dafür zu übernehmen, den genauen Umfang der Nichtigerklärung zu bestimmen. Wenn der Unionsrichter einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts von Amts wegen prüfe, prüfe er im Allgemeinen nicht die von den Klägern vorgebrachten Klagegründe. Daher sei es durchaus möglich, dass sogar eine böswillige oder offensichtlich schwache Klage – je nach dem vom Gericht im jeweiligen Einzelfall verfolgten Ansatz – zu einer vollständigen Nichtigerklärung führe, nur weil der Kläger diese ursprünglich beantragt habe.

73

Wenn der Unionsrichter in einer Rechtssache, in der Fragestellungen zu Regeln oder Grundsätzen zwingenden Rechts aufträten, über die Freiheit verfüge, von den Angriffs- und Verteidigungsmitteln der Parteien abzuweichen, müsse es ihm in Erweiterung dessen in gleicher Weise freistehen, von ihren Anträgen abzuweichen. Dem müsse notwendigerweise so sein, damit die Entscheidungsformel seiner Entscheidung solche Verstöße gegen die Regeln oder Grundsätze zwingenden Rechts korrigiere. Eine gegenteilige Auslegung verstieße ihrerseits gegen zwingendes Recht.

74

Das Gericht habe in Rn. 90 des angefochtenen Urteils zu Unrecht entschieden, dass es Sache der Parteien sei, die Änderung ihrer Angriffs- oder Verteidigungsmittel oder ihrer Anträge während des Verfahrens zu beantragen, nachdem das Gericht von Amts wegen einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts geprüft habe. Diese Lösung würde erneut dazu führen, Fragen zwingenden Rechts ausschließlich in die Hände der Parteien des Rechtsstreits zu legen. Die Beachtung der vom Gericht von Amts wegen geprüften Gesichtspunkte zwingenden Rechts dürfe jedoch nicht den individuellen Interessen der Parteien des Rechtsstreits unterstellt werden. Außerdem habe das Gericht in der betreffenden Rn. 90 ebenfalls ausgeführt, dass es der Rechtsmittelführerin in jedem Fall das Recht zur Vornahme einer solchen Änderung verweigert hätte, selbst wenn sie dies förmlich beantragt hätte. Unter diesen Umständen hätten sich die vom Gericht identifizierten Gesichtspunkte zwingenden Rechts im Umfang der in der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils zum Ausdruck gebrachten Nichtigerklärung nicht widerspiegeln können.

75

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass, selbst wenn das Verbot, ultra petita zu entscheiden, anzuwenden wäre, der höherrangige Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 47 der Charta die vollständige Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses erforderlich machen würde.

76

In diesem Zusammenhang weist die Rechtsmittelführerin darauf hin, dass in Rn. 59 des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27. September 2011, A. Menarini Diagnostics S.r.l./Italien (CE:ECHR:2011:0927JUD004350908), die Befugnis, eine Entscheidung eines Gerichts einer niedrigeren Instanz in allen tatsächlichen wie rechtlichen Punkten abzuändern, eines der Merkmale eines Rechtsprechungsorgans mit Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung darstelle. Ein solches Rechtssprechungsorgan müsse insbesondere befugt sein, sich mit allen für den bei ihm anhängigen Rechtsstreit relevanten Sach- und Rechtsfragen zu befassen.

77

Darüber hinaus habe der Gerichtshof in Rn. 136 seines Urteils vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission (C‑389/10 P, EU:C:2011:816), entschieden, dass Art. 47 der Charta de facto eine umfassende rechtliche und tatsächliche Kontrolle erfordere. Aus Rn. 67 des Urteils vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission (Urteil C‑386/10 P, EU:C:2011:815), gehe hervor, dass diese Kontrolle die Befugnis zur Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts einschließe.

78

Der Ansatz des Gerichts sei umso überraschender, als es selbst, insbesondere in den Rn. 76 und 79 bis 81 des angefochtenen Urteils, mehrere konkrete Verletzungen ihrer Verteidigungsrechte festgestellt habe. Darüber hinaus sei der streitige Beschluss unter weiteren Verletzungen dieser Rechte erlassen worden, die im angefochtenen Urteil nicht spezifisch genannt würden.

79

Die Kommission bringt vor, dass, selbst wenn das Rechtsmittel für zulässig erachtet werden sollte, die beiden Rechtsmittelgründe in jedem Fall unbegründet seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

80

Mit ihren beiden Rechtsmittelgründen wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht im Wesentlichen vor, der Ansicht gewesen zu sein, wegen des Verbots, ultra petita zu entscheiden, keine Nichtigerklärung aussprechen zu können, die über die Anträge hinausgehe, die von der Rechtsmittelführerin in ihrer Klageschrift gestellt worden seien, obwohl eine solche Nichtigerklärung notwendig gewesen wäre, um die vom Gericht im Rahmen seiner von Amts wegen vorgenommenen Prüfung eines Gesichtspunkts zwingenden Rechts festgestellte Rechtswidrigkeit zu heilen.

81

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, die Nichtigerklärung nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen darf, da der über die Rechtmäßigkeit entscheidende Richter nicht ultra petita entscheiden darf (vgl. Urteile vom 19. Januar 2006, Comunità montana della Valnerina/Kommission,C‑240/03 P, EU:C:2006:44, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a.,C‑310/97 P, EU:C:1999:407, Rn. 52).

82

Darüber hinaus erfasst die absolute Rechtskraft eines Nichtigkeitsurteils eines Unionsgerichts zwar sowohl den Tenor als auch die tragenden Gründe der Entscheidung, hat aber nicht die Nichtigkeit einer Handlung zur Folge, die zwar aus demselben Grund rechtswidrig sein soll, vor dem Unionsrichter aber nicht angefochten ist (Urteil vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C‑310/97 P, EU:C:1999:407, Rn. 54).

83

Außerdem wird nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Beschluss, der vom Adressaten nicht innerhalb der Fristen des Art. 263 Abs. 6 AEUV angefochten worden ist, ihm gegenüber bestandskräftig (Urteil vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C‑310/97 P, EU:C:1999:407, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Diese Rechtsprechung beruht namentlich auf der Erwägung, dass die Klagefristen die Rechtssicherheit gewährleisten sollen, indem sie verhindern, dass Handlungen der Union mit Rechtswirkungen zeitlich unbeschränkt in Frage gestellt werden können, sowie auf den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege und der Verfahrensökonomie (Urteil vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C‑310/97 P, EU:C:1999:407, Rn. 61).

85

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, wie auch der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 94 und 97 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass ein Rechtsakt oder Teile eines Rechtsakts betreffend eine Person, die nicht vor dem Unionsrichter angefochten werden, von diesem nicht für nichtig erklärt werden können und daher im Hinblick auf diese Person bestandskräftig werden.

86

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, Art. 120 Buchst. c und d der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c und d der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 der Schriftsatz, mit dem Klage erhoben wird, im Rahmen einer Direktklage vor den Unionsgerichten unter anderem den Streitgegenstand, eine kurze Darstellung der Klagegründe und die Anträge des Klägers enthalten muss.

87

Folglich haben, wie der Generalanwalt in Nr. 84 seiner Schlussanträge festgestellt hat, im System der Rechtmäßigkeitskontrolle vor dem Unionsgericht die Parteien das Initiativrecht für einen Prozess und legen den Umfang des Streitgegenstands fest, namentlich, indem sie in ihren Anträgen den Rechtsakt oder den Teil des Rechtsakts benennen, den sie vor Gericht anfechten wollen.

88

Zwar muss der Unionsrichter nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Gesichtspunkte zwingenden Rechts von Amts wegen prüfen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a., C‑89/08 P, EU:C:2009:742, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89

Jedoch folgt entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin aus der Befugnis des die Rechtmäßigkeit überprüfenden Richters, von Amts wegen einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts zu prüfen, keineswegs eine Befugnis, von Amts wegen die von einem Kläger gestellten Anträge zu ändern. Wie sich nämlich insbesondere aus den in Rn. 86 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen ergibt, stellen zwar die Klagegründe die erforderliche Grundlage für die Anträge in einer Klageschrift dar. Gleichwohl unterscheiden sie sich notwendigerweise von diesen Anträgen, die die Grenzen des dem Unionsrichter zur Entscheidung vorgelegten Rechtsstreits definieren.

90

Auch wenn folglich, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, der Unionsrichter nicht über die Grenzen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits hinausgeht, indem er einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts, der grundsätzlich von den Parteien nicht vorgetragen wurde, von Amts wegen prüft, und in keiner Weise gegen die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Darstellung des Streitgegenstands und der Klagegründe in der Klageschrift verstößt (Urteil vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a., C‑89/08 P, EU:C:2009:742, Rn. 35), verhielte es sich anders, wenn der Richter nach der materiellen Prüfung des ihm zur Überprüfung vorgelegten Rechtsakts auf der Grundlage eines von Amts wegen geprüften Gesichtspunkts zwingenden Rechts eine Nichtigerklärung ausspräche, die über das hinausginge, was in einem bei ihm anhängigen Verfahren ordnungsgemäß bei ihm beantragt worden ist, und dies damit begründete, dass eine solche Nichtigerklärung erforderlich sei, um die von Amts wegen im Rahmen dieser Prüfung festgestellte Rechtswidrigkeit zu heilen.

91

Im vorliegenden Fall hat jedoch die Rechtsmittelführerin, worauf in den Rn. 20 und 21 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, in den Anträgen ihrer Klageschrift vor dem Gericht nur eine teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses beantragt.

92

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Gericht angesichts der Ausführungen in Rn. 81 bis 90 des vorliegenden Urteils in Rn. 92 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei entschieden hat, dass es die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses nur innerhalb der Grenzen der Anträge der Klageschrift aussprechen konnte, und daher in Rn. 93 dieses Urteils die teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses im Einklang mit diesen Grenzen vorgenommen hat.

93

Dieses Ergebnis kann durch die anderen von der Rechtsmittelführerin zur Stützung ihrer beiden Rechtsmittelgründe vorgetragenen Argumente nicht in Frage gestellt werden.

94

Insbesondere ist erstens ihr im Wesentlichen in Rn. 66 des vorliegenden Urteils wiedergegebenes Vorbringen zurückzuweisen, wonach sich das Gericht in Rn. 91 des angefochtenen Urteils zu Unrecht auf Art. 44 § 1 und Art. 48 § 2 seiner Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 gestützt habe. Hierzu genügt der Hinweis, dass sich das Gericht im Rahmen seiner in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils enthaltenen Beurteilung der Frage, ob, unterstellt, die Rechtsmittelführerin hätte implizit den Willen zur Änderung ihrer ursprünglichen Anträge zum Ausdruck gebracht, eine solche Änderung hätte zugelassen werden können, auf diese Bestimmungen gestützt hat. Somit hat das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht verkannt, dass diese Bestimmungen nicht die Frage betreffen, unter welchen Umständen das Gericht eventuell Gesichtspunkte von Amts wegen prüfen oder gar in gleicher Weise Klageanträge ändern könnte, sondern die verfahrensrechtlichen Anforderungen an Kläger im Hinblick auf den Inhalt der Klageschrift im Rahmen von bei ihm eingereichten Klagen.

95

Da dieses Vorbringen auf einem fehlerhaften Verständnis des angefochtenen Urteils beruht, ist es zurückzuweisen.

96

Zweitens ist das im Wesentlichen in Rn. 70 des vorliegenden Urteils angeführte Vorbringen zurückzuweisen, wonach der Ansatz des Gerichts zur Schaffung einer unlogischen Unterscheidung zwischen der Situation der Rechtsmittelführerin und der Situation der beschuldigten Fluggesellschaften führe, die die vollständige Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses, soweit er sie betraf, erlangt hätten, ohne in ihrer jeweiligen Klageschrift einen Begründungsmangel gerügt zu haben wie denjenigen, der vom Gericht von Amts wegen geprüft worden sei und der das Gericht veranlasst habe, den streitigen Beschluss in ebendiesem Maß für nichtig zu erklären.

97

Unstreitig hat die Rechtsmittelführerin anders als diese anderen Fluggesellschaften in ihrer Klageschrift lediglich eine teilweise Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses, soweit sie dieser betraf, beantragt.

98

Da, wie sich aus Rn. 85 des vorliegenden Urteils ergibt, die Teile eines eine Person betreffenden Rechtsakts, die nicht vor dem Unionsrichter angefochten werden, von diesem nicht für nichtig erklärt werden können und daher im Hinblick auf diese Person bestandskräftig werden, hat das Gericht die Rechtsmittelführerin angesichts der zwischen ihr und den beschuldigten Fluggesellschaften bestehenden Unterschiede im Hinblick auf die von ihnen im ersten Rechtszug gestellten Anträge zu Recht nicht auf die gleiche Weise behandelt wie diese Fluggesellschaften, die die in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Klagen erhoben haben.

99

Zudem macht die Rechtsmittelführerin angesichts dessen, dass ihr wie den anderen beschuldigten Fluggesellschaften der vom Gericht von Amts wegen geprüfte Gesichtspunkt insoweit zugutekam, als sie ihm den streitigen Beschluss zur Prüfung vorgelegt hatte, zu Unrecht geltend, dass der vom Gericht im angefochtenen Urteil verfolgte Ansatz der Befugnis des Unionsrichters, unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles Gesichtspunkte zwingenden Rechts von Amts wegen zu prüfen, ihre praktische Wirksamkeit nehme. Aus einer Zusammenschau der Rn. 27 bis 94 des angefochtenen Urteils geht nämlich hervor und wird im Übrigen im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels auch nicht bestritten, dass sich die vom Gericht im angefochtenen Urteil ausgesprochene Nichtigerklärung ausschließlich darauf stützt, dass es den von Amts wegen geprüften Gesichtspunkt für maßgeblich hielt, wobei die von der Rechtsmittelführerin in ihrer Klageschrift vorgebrachten Klagegründe in keiner Weise Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gewesen sind.

100

Was drittens das in Rn. 72 des vorliegenden Urteils dargestellte Vorbringen betrifft, wonach der Ansatz des Gerichts im Widerspruch zu einer geordneten Rechtspflege stehe, genügt der Hinweis, dass auf die Verfahrensökonomie gestützte Überlegungen jedenfalls nicht rechtfertigen können, dass der Unionsrichter allein mit der Begründung, dass seine Entscheidung auf einem von ihm von Amts wegen geprüften Gesichtspunkt zwingenden Rechts beruhe, das Verbot, ultra petita zu entscheiden, nicht anwendet.

101

Viertens kann auch das im Wesentlichen in den Rn. 75 bis 78 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Vorbringen nicht durchgreifen, wonach das Recht der Rechtsmittelführerin auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta verletzt würde, falls die Argumentation des Gerichts bestätigt würde.

102

Zwar ergibt sich aus den Rn. 76 bis 86 des angefochtenen Urteils und wird auch im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nicht bestritten, dass der vom Gericht in ebendiesem Urteil festgestellte Begründungsmangel die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin insofern verletzte, als er ihr es unmöglich machte, trotz ihres Entschlusses, gegen den streitigen Beschluss vor dem Gericht Klage zu erheben, die Art und den Umfang der in diesem Beschluss festgestellten Zuwiderhandlung oder Zuwiderhandlungen nachzuvollziehen, und dass dieser Mangel das Gericht daran hinderte, seine Kontrollfunktion im Hinblick auf den Beschluss auszuüben.

103

Jedoch verstößt, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, das Fehlen einer Verpflichtung, den gesamten angefochtenen Beschluss von Amts wegen zu prüfen, nicht gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 66).

104

So ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen, dass die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle, ergänzt um die in Art. 31 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) vorgesehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hinsichtlich der Höhe der Geldbuße bedeutet, dass der Unionsrichter sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornimmt und befugt ist, die Beweise zu würdigen, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und die Höhe der Geldbuße zu ändern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 67).

105

Hieraus folgt, dass es, wie der Generalanwalt in Nr. 142 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verstößt, dass die vom Unionsrichter ausgeübte Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Ersuchen der Parteien, wie es in den Anträgen ihrer Verfahrensschriftsätze formuliert ist, begrenzt wird. Denn dieser Grundsatz erfordert nicht, dass der Richter seine Kontrolle auf Bestandteile eines Beschlusses ausweiten muss, die von dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht erfasst sind.

106

Insbesondere wird hinsichtlich der Umstände der vorliegenden Rechtssache, auch wenn, wie sich aus Rn. 102 des vorliegenden Urteils ergibt, der vom Gericht im angefochtenen Urteil festgestellte Begründungsmangel die Rechtsmittelführerin daran hinderte, etwaige andere Mängel des streitigen Beschlusses zu identifizieren, nicht bestritten, dass dieser Begründungsmangel von der Rechtsmittelführerin hätte identifiziert werden können und sie sich daher in ihrer Klageschrift vor dem Gericht darauf hätte berufen können, um die vollständige Nichtigerklärung dieses Beschlusses, soweit sie dieser betraf, zu verlangen, wie dies einige andere beschuldigte Fluggesellschaften getan hatten, wie etwa Air Canada in der Rechtssache, die zum Urteil vom 16. Dezember 2015, Air Canada/Kommission (T‑9/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:994), geführt hat.

107

Schließlich ist auch das in Rn. 71 des vorliegenden Urteils genannte Vorbringen zurückzuweisen, wonach es auf nationaler Ebene Schadensersatzklagen gegen die Rechtsmittelführerin gebe, die auf dem streitigen Beschluss beruhten, der es aufgrund seiner Mangelhaftigkeit insgesamt den nationalen Gerichten erschwere, die Haftung zwischen der Rechtsmittelführerin und den anderen Parteien für alle Schäden abzugrenzen, die deren Auffassung nach durch das in diesem Beschluss in Rede stehende Verhalten entstanden seien.

108

Hierzu genügt die Feststellung, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 129 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die eventuelle Haftung eines Klägers nach nationalem Recht für die Schäden, die durch sein wettbewerbswidriges Verhalten verursacht wurden, für sich allein keine Änderung der Befugnisse des Unionsrichters nach Art. 263 AEUV bewirken kann.

109

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen sind die beiden Rechtsmittelgründe unbegründet und daher zurückzuweisen.

110

Unter diesen Umständen brauchen die in den Rn. 37 bis 39 des vorliegenden Urteils dargestellten Argumente der Kommission hinsichtlich der Unzulässigkeit des Rechtsmittels wegen seines Verstoßes gegen Art. 56 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und gegen Art. 170 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht geprüft zu werden. Gleiches gilt für die Einwände im Hinblick auf die Zulässigkeit der Erwiderung.

111

Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

112

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

113

Da die Kommission die Verurteilung der Rechtsmittelführerin beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die British Airways plc trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.