URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

8. Juni 2017 ( 1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Unionsbürgerschaft — Art. 21 AEUV — Recht, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten — Staatsangehöriger, der die Staatsangehörigkeit sowohl seines Wohnsitzmitgliedstaats als auch seines Geburtsmitgliedstaats besitzt — Änderung des Familiennamens im Geburtsmitgliedstaat außerhalb eines gewöhnlichen Aufenthalts — Dem Geburtsnamen entsprechender Name — Antrag auf Eintragung dieses Namens in das Personenstandsregister des Wohnsitzmitgliedstaats — Ablehnung des Antrags — Grund — Erwerb des Namens nicht während eines gewöhnlichen Aufenthalts — Vorhandensein anderer Verfahren im nationalen Recht zur Erlangung der Anerkennung des Namens“

In der Rechtssache C‑541/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Wuppertal (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 2015, in dem Verfahren auf Antrag von

Mircea Florian Freitag,

Beteiligte:

Angela Freitag,

Vica Pavel,

Stadt Wuppertal,

Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der deutschen Regierung, vertreten durch M. Hellmann, T. Henze und J. Mentgen als Bevollmächtigte,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und M. Castelo-Branco als Bevollmächtigte,

der rumänischen Regierung, vertreten durch A. Wellman und R. H. Radu als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. November 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 21 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines von Herrn Mircea Florian Freitag angestrengten Verfahrens, mit dem er in Deutschland die Anerkennung der Änderung seines Familiennamens in einen in Rumänien rechtmäßig erworbenen Namen und dessen Umschrift im Personenstandsregister begehrt.

Rechtlicher Rahmen

Maßgebende Bestimmungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch

3

Art. 5 („Personalstatut“) des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 21. September 1994 (BGBl. 1994 I S. 2494, berichtigt im BGBl. 1997 I S. 1061) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: EGBGB) bestimmt in Abs. 1 Sätze 1 und 2:

„Wird auf das Recht des Staates verwiesen, dem eine Person angehört, und gehört sie mehreren Staaten an, so ist das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf ihres Lebens. Ist die Person auch Deutscher, so geht diese Rechtsstellung vor.“

4

Abs. 1 von Art. 10 („Name“) EGBGB lautet:

„Der Name einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person angehört.“

5

In Art. 48 („Wahl eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen Namens“) EGBGB heißt es:

„Unterliegt der Name einer Person deutschem Recht, so kann sie durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen, sofern dies nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die Namenswahl wirkt zurück auf den Zeitpunkt der Eintragung in das Personenstandsregister des anderen Mitgliedstaats, es sei denn, die Person erklärt ausdrücklich, dass die Namenswahl nur für die Zukunft wirken soll. Die Erklärung muss öffentlich beglaubigt oder beurkundet werden. …“

Namensänderungsgesetz

6

Im deutschen Recht ist die Namensänderung öffentlich-rechtlich geregelt; sie richtet sich nach dem im Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndG) vom 5. Januar 1938 (RGBl. 1938 I S. 9) in der zuletzt durch Art. 54 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. 2008 I S. 2586) geänderten Fassung (im Folgenden: Namensänderungsgesetz).

7

§ 1 des Namensänderungsgesetzes lautet:

„Der Familienname eines deutschen Staatsangehörigen oder eines Staatenlosen, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt [in Deutschland] hat, kann auf Antrag geändert werden.“

8

§ 3 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Ein Familienname darf nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt.“

9

Nach § 3 Abs. 2 des Namensänderungsgesetzes sind die für die Entscheidung erheblichen Umstände von Amts wegen festzustellen.

10

Gemäß § 5 Abs. 1 des Namensänderungsgesetzes ist der Antrag auf Änderung des Familiennamens bei der unteren Verwaltungsbehörde zu stellen, in deren Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz oder seinen Aufenthalt hat.

11

Nr. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) vom 11. August 1980, zuletzt geändert durch die Verwaltungsvorschrift vom 11. Februar 2014 (BAnz. AT vom 18. Februar 2014, B2) (im Folgenden: Verwaltungsvorschrift zum Namensänderungsgesetz), hat folgenden Wortlaut:

„Das Namensrecht ist durch die entsprechenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts umfassend und – im Grundsatz – abschließend geregelt. Die öffentlich-rechtliche Namensänderung dient dazu, Unzuträglichkeiten im Einzelfall zu beseitigen. Sie hat Ausnahmecharakter. Dementsprechend ist vorrangig zu prüfen, ob das erstrebte Ziel nicht durch eine namensgestaltende Erklärung nach bürgerlichem Recht oder eine Verfügung des Vormundschaftsgerichts erreicht werden kann.“

12

In Nr. 28 dieser Verwaltungsvorschrift heißt es:

„Ein Familienname darf nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Namensänderung rechtfertigt. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das schutzwürdige Interesse des Antragstellers … an der Namensänderung überwiegt gegenüber den etwa entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen anderer Beteiligter … und den in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Grundsätzen der Namensführung, zu denen auch die soziale Ordnungsfunktion des Namens und das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des überkommenen Namens gehören …“

13

Nr. 31 der Verwaltungsvorschrift bestimmt:

„Ergibt die nach Nummer 28 vorzunehmende Gewichtung ein Überwiegen des schutzwürdigen Interesses des Antragstellers an der Änderung des Familiennamens und liegt somit ein wichtiger Grund für die Namensänderung vor, so ist dem Antrag in der Regel stattzugeben. Gesichtspunkte, die bereits bei der Abwägung zur Feststellung des wichtigen Grundes berücksichtigt worden sind, können als Ermessenserwägungen nicht mehr herangezogen werden. Liegt ein wichtiger Grund für die Namensänderung nicht vor, so ist der Antrag abzulehnen.“

14

Nr. 49 der Verwaltungsvorschrift sieht vor:

„Führt ein Deutscher, der auch eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, nach dem Recht des ausländischen Staates, dessen Staatsangehöriger er auch ist, einen anderen Familiennamen als den, den er nach dem Recht im Geltungsbereich des Gesetzes zu führen verpflichtet ist, so kann die ‚hinkende Namensführung‘ dadurch beseitigt werden, dass der im Geltungsbereich des Gesetzes zu führende Familienname in den Familiennamen geändert wird, der nach dem Recht des anderen Staates zu führen ist. Soll dagegen der andere Familienname aufgegeben werden, so ist der Betroffene an die Behörden des Staates zu verweisen, dessen Staatsangehörigkeit er auch besitzt.“

15

Lehnt die zuständige Verwaltungsbehörde die Namensänderung ab, ist gegen die ablehnende Entscheidung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Gibt die zuständige Verwaltungsbehörde dem Antrag auf Änderung des Familiennamens hingegen statt, stellt sie die Folgebeurkundung der Namensänderung oder die Namensfeststellung im Personenstandsregister sicher.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

16

Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens wurde am 25. April 1986 mit dem Familiennamen Pavel in Rumänien geboren. Er ist das Kind der rumänischen Staatsangehörigen Angela Freitag und Vica Pavel und besitzt ebenfalls die rumänische Staatsangehörigkeit.

17

Nachdem sich die Eltern des Antragstellers des Ausgangsverfahrens hatten scheiden lassen, heiratete seine Mutter erneut, und zwar einen deutschen Staatsangehörigen, Herrn Freitag.

18

Durch gerichtlichen Beschluss vom 21. Mai 1997 adoptierte Herr Freitag den Antragsteller des Ausgangsverfahrens. Dadurch erwarb dieser die deutsche Staatsangehörigkeit und führt seitdem den Familiennamen Freitag.

19

Mit Verfügung des Bezirksrats Brașov (Rumänien) vom 9. Juli 2013 wurde der Familienname des Antragstellers des Ausgangsverfahrens auf seinen Antrag hin wieder in Pavel geändert. Während des Namensänderungsverfahrens in Rumänien hatte der Antragsteller des Ausgangsverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

20

Danach beantragte er unter Vorlage seines neuen, auf den Familiennamen Pavel ausgestellten rumänischen Passes beim Standesamt der Stadt Wuppertal (Deutschland), die Namensänderung auch für den deutschen Rechtsbereich anzuerkennen und den ihn betreffenden Eintrag im Personenstandsregister entsprechend fortzuschreiben.

21

Da das Standesamt Wuppertal und der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal (Deutschland) als untere Standesamtsaufsichtsbehörde Zweifel hinsichtlich der Möglichkeit der Eintragung einer Folgebeurkundung im Personenstandsregister hatten, haben sie die Frage dem Amtsgericht Wuppertal zur Beurteilung vorgelegt.

22

Das vorlegende Gericht führt aus, da der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, als in Rumänien das Namensänderungsverfahren durchgeführt worden sei, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe, könne Art. 48 EGBGB nicht herangezogen werden. Nach dieser Bestimmung bestehe die Möglichkeit, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt einen in einem anderen Mitgliedstaat der Union erworbenen Namen zu wählen, nur dann, wenn der betreffende Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts im anderen Mitgliedstaat erworben worden sei. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

23

Auch eine analoge Anwendung von Art. 48 EGBGB sei nicht möglich. Wie aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens hervorgehe, habe der Gesetzgeber insbesondere die Vorgaben aus dem Urteil vom 14. Oktober 2008, Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559), umsetzen wollen und sei sich dessen bewusst gewesen, dass die Vorschrift nicht alle denkbaren Sachverhalte einer „hinkenden Namensführung“ erfasse.

24

Daher stelle sich die Frage, ob die Art. 18 und 21 AEUV eine Verpflichtung zur Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Namensänderung enthielten, wenn der Betroffene zwar seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in dem anderen Mitgliedstaat gehabt habe, aber aufgrund seiner doppelten Staatsangehörigkeit eine anderweitige Verbindung dorthin aufweise.

25

Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Wuppertal beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 18 und 21 AEUV dahin gehend auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats verpflichtet sind, die Namensänderung eines Angehörigen dieses Staates anzuerkennen, wenn dieser zugleich Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und in diesem Mitgliedstaat durch eine nicht mit einer familienrechtlichen Statusänderung verbundene Namensänderung seinen ursprünglichen, bei Geburt erhaltenen Familiennamen (zurück‑)erworben hat, obwohl der Erwerb des Namens nicht während des gewöhnlichen Aufenthalts des Angehörigen in dem anderen Mitgliedstaat und auf seinen eigenen Antrag hin erfolgt ist?

Zur Vorlagefrage

Vorbemerkungen

26

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich das vorlegende Gericht auf Art. 48 EGBGB stützt, wenn es mit seiner Frage wissen möchte, ob die Art. 18 und 21 AEUV die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats daran hindern, die Anerkennung des Familiennamens abzulehnen, den ein Angehöriger dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworben hat, während er dort nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

27

In seinem Ersuchen erwähnt das vorlegende Gericht ein auch von der deutschen Regierung und der Europäischen Kommission angesprochenes gesondertes – öffentlich-rechtliches – Verfahren nach dem Namensänderungsgesetz, mit dem die Änderung des Namens bei der Verwaltungsbehörde beantragt werden kann.

28

Dieses Verfahren nach dem Namensänderungsgesetz ist nach den Angaben der deutschen Regierung in einem Fall wie dem des Antragstellers des Ausgangsverfahrens einschlägig, auf den zwar grundsätzlich Art. 48 EGBGB anwendbar ist, der jedoch nicht die nach dieser Bestimmung erforderliche Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat erfüllt. Nach ihren Angaben ermöglicht es das Verfahren nach dem Namensänderungsgesetz einer Person in einer mit der des Antragstellers des Ausgangsverfahrens vergleichbaren Situation, durch Stellung eines dahin gehenden Antrags bei der zuständigen Verwaltungsbehörde das Recht zur Führung des nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Namens zu erlangen.

29

Im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. u. a. Urteil vom 19. September 2013, Betriu Montull, C‑5/12, EU:C:2013:571, Rn. 40).

30

Unter diesen Umständen ist die Frage des vorlegenden Gerichts so zu verstehen, dass es wissen möchte, ob die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie die Personenstandsbehörde eines Mitgliedstaats daran hindern, die Anerkennung und die Umschrift im Personenstandsregister des von einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworbenen Familiennamens, der seinem Geburtsnamen entspricht, auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts abzulehnen, nach der die Möglichkeit zur Beantragung einer solchen Umschrift durch Erklärung gegenüber der Personenstandsbehörde nur dann besteht, wenn der Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, wobei andere Bestimmungen des nationalen Rechts es diesem Staatsangehörigen ermöglichen, bei einer anderen Behörde einen Antrag auf Namensänderung zu stellen, dessen Bescheidung im Ermessen dieser Behörde steht.

31

Hinzuzufügen ist, dass Art. 21 AEUV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur dazu berechtigt, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sondern auch jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet. Daher ist der Fall des Antragstellers des Ausgangsverfahrens allein anhand dieser Bestimmung zu prüfen (Urteil vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 65, vgl. entsprechend Urteil vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 34).

Zum Anwendungsbereich des Unionsrechts

32

Zunächst ist zu prüfen, ob der Fall des Antragstellers des Ausgangsverfahrens in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts und insbesondere der Regeln fällt, die für die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch einen Unionsbürger gelten und Diskriminierungen verbieten.

33

Nach gefestigter Rechtsprechung fallen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts die Vorschriften über die Umschrift des Familiennamens einer Person in Personenstandsurkunden zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit gleichwohl das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, beachten (Urteile vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 25, vom 14. Oktober 2008, Grunkin und Paul, C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 16, vom 22. Dezember 2010, Sayn-Wittgenstein, C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 38 und 39, vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 63, sowie vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 32).

34

Ein Bezug zum Unionsrecht besteht nach ständiger Rechtsprechung bei Personen, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind und sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten (Urteil vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 27). Beim Antragsteller des Ausgangsverfahrens, der rumänischer Staatsangehöriger ist und sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, deren Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, aufhält, ist dies der Fall.

Zum Vorliegen einer Beschränkung der Freizügigkeit im Sinne von Art. 21 AEUV

35

Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass eine nationale Regelung, durch die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt werden, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt (Urteile vom 14. Oktober 2008, Grunkin und Paul, C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 21, vom 22. Dezember 2010, Sayn-Wittgenstein, C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 53, vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 68, sowie vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 36).

36

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ferner, dass es die Ausübung des in Art. 21 AEUV verankerten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindern kann, wenn sich die Behörden eines Mitgliedstaats weigern, den Namen eines Angehörigen dieses Staates, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, so anzuerkennen, wie er dort bestimmt wurde. Eine Abweichung zwischen den beiden Namen, die für dieselbe Person verwendet werden, kann nämlich zu Missverständnissen und Nachteilen führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 37).

37

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass viele alltägliche Handlungen im öffentlichen wie im privaten Bereich den Nachweis der eigenen Identität erfordern und, wenn es sich um eine Familie handelt, den Nachweis der Art der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Familienangehörigen (Urteile vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 73, sowie vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 43).

38

Für einen Staatsangehörigen, der – wie der Antragsteller des Ausgangsverfahrens – die Staatsangehörigkeit zweier Mitgliedstaaten besitzt, besteht die konkrete Gefahr, dass er, weil er zwei verschiedene Namen, nämlich Pavel und Freitag, führt, Zweifel an seiner Identität sowie an der Echtheit der von ihm vorgelegten Dokumente oder an der Wahrheitsgemäßheit der darin enthaltenen Angaben ausräumen muss, was, wie der Gerichtshof entschieden hat, einen Umstand darstellt, der geeignet ist, die Ausübung des aus Art. 21 AEUV fließenden Rechts zu behindern (vgl. Urteile vom 22. Dezember 2010, Sayn-Wittgenstein, C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 70, und vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 40).

39

Die Weigerung der Personenstandsbehörde eines Mitgliedstaats, einen von einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworbenen Familiennamen anzuerkennen und in den Personenstandsregistern umzuschreiben, auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts, wonach die Möglichkeit zur Beantragung einer solchen Umschrift durch Erklärung gegenüber der Personenstandsbehörde nur dann besteht, wenn der Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, ist folglich geeignet, die Ausübung des in Art. 21 AEUV verankerten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu behindern.

40

Die deutsche Regierung macht gleichwohl geltend, dass es nicht zu einer Behinderung der Freizügigkeit aufgrund einer Divergenz hinsichtlich des Familiennamens kommen könne, weil es im deutschen Recht weitere Rechtsgrundlagen für die Namensänderung auf Antrag des Betroffenen gebe, und zwar die einschlägigen Bestimmungen des Namensänderungsgesetzes. Zwar müsse nach § 3 Abs. 1 des Namensänderungsgesetzes eine solche Änderung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt sein, doch gehe aus Nr. 49 der Verwaltungsvorschrift zum Namensänderungsgesetz hervor, dass die Beseitigung einer „hinkenden Namensführung“ bei deutschen Staatsangehörigen mit doppelter Staatsangehörigkeit einen solchen wichtigen Grund darstelle. Somit könne der Betroffene in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die Anerkennung des in dem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erworbenen Namens erreichen, indem er bei der zuständigen Verwaltungsbehörde einen Antrag nach dem Namensänderungsgesetz stelle.

41

Eine Regelung wie die deutsche Regelung über die Namensführung kann insgesamt gesehen nur dann als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen werden, wenn die Bestimmungen oder das innerstaatliche Verfahren für die Beantragung einer Namensänderung die Wahrnehmung der durch Art. 21 AEUV verliehenen Rechte nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Aus unionsrechtlicher Sicht ist es grundsätzlich unerheblich, nach welcher nationalen Bestimmung oder nach welchem innerstaatlichen Verfahren der Antragsteller die seinen Namen betreffenden Rechte geltend machen kann.

42

Mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf dem Gebiet der Änderung des Familiennamens ist nämlich die Ausgestaltung der vom nationalen Recht vorgesehenen Bedingungen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats; diese Bedingungen dürfen jedoch nicht weniger günstig sein als diejenigen, die Rechte betreffen, die ihren Ursprung in der innerstaatlichen Rechtsordnung haben (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. entsprechend u. a. Urteile vom 12. September 2006, Eman und Sevinger, C‑300/04, EU:C:2006:545, Rn. 67, vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 75, sowie vom 8. März 2017, Euro Park Service, C‑14/16, EU:C:2017:177, Rn. 36).

43

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob es ihm selbst möglich ist, die durch Art. 21 AEUV verliehenen Rechte umzusetzen und das Recht auf Anerkennung des unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens erworbenen Namens zu bejahen, oder ob der Antragsteller des Ausgangsverfahrens auf das öffentlich-rechtliche Verfahren nach dem Namensänderungsgesetz zurückgreifen muss.

44

Wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, stellt die Beseitigung einer „hinkenden Namensführung“ nach den Angaben der deutschen Regierung einen „wichtigen Grund“ im Sinne von § 3 Abs. 1 des Namensänderungsgesetzes dar. Die Ausübung der in Art. 21 AEUV verankerten Rechte eines Staatsangehörigen wie des Antragstellers des Ausgangsverfahrens werde auch durch das den zuständigen deutschen Behörden zustehende Ermessen nicht in Frage gestellt.

45

Insoweit ist hervorzuheben, dass ein solches Ermessen von den zuständigen Behörden so auszuüben ist, dass die volle Wirksamkeit von Art. 21 AEUV gewährleistet ist.

46

Insbesondere muss das im deutschen Recht bestehende Verfahren, das die Namensänderung ermöglichen soll, gewährleisten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen der Betroffene zu dem anderen Mitgliedstaat, in dem er seinen Namen erworben hat, eine andere Verbindung als den gewöhnlichen Aufenthalt – wie etwa die Staatsangehörigkeit – aufweist, vom Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ ausgegangen werden kann, damit die Anerkennung des in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Namens ermöglicht wird.

47

Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 21 AEUV dahin auszulegen ist, dass er die Personenstandsbehörde eines Mitgliedstaats daran hindert, die Anerkennung und die Umschrift im Personenstandsregister des von einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworbenen Familiennamens, der seinem Geburtsnamen entspricht, auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts abzulehnen, nach der die Möglichkeit zur Erlangung einer solchen Umschrift durch Erklärung gegenüber der Personenstandsbehörde nur dann besteht, wenn der Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, es sei denn, es gibt im nationalen Recht andere Bestimmungen, die eine tatsächliche Anerkennung dieses Namens ermöglichen.

Kosten

48

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass er die Personenstandsbehörde eines Mitgliedstaats daran hindert, die Anerkennung und die Umschrift im Personenstandsregister des von einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworbenen Familiennamens, der seinem Geburtsnamen entspricht, auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts abzulehnen, nach der die Möglichkeit zur Erlangung einer solchen Umschrift durch Erklärung gegenüber der Personenstandsbehörde nur dann besteht, wenn der Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, es sei denn, es gibt im nationalen Recht andere Bestimmungen, die eine tatsächliche Anerkennung dieses Namens ermöglichen.

 

Ilešič

Prechal

Rosas

Toader

Jarašiūnas

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juni 2017.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident der Zweiten Kammer

M. Ilešič


( 1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.