Rechtssache C‑521/09 P

Elf Aquitaine SA

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel – Kartelle – Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen – Markt für Monochloressigsäure – Vorschriften, nach denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden können – Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses – Verteidigungsrechte – Begründungspflicht“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsmittel – Gründe – Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das erstmals im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht wird – Unzulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 113 § 2)

2.        Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Anteile sie zu 100 % hält

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

3.        Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Anteile sie zu 100 % hält – Widerlegbarkeit

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr.  1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

4.        Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Akteneinsicht – Zweck – Wahrung der Verteidigungsrechte – Umfang

(Art. 81 EG)

5.        Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Einhaltung einer angemessenen Frist

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates)

6.        Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang

(Art. 81 EG und 253 EG)

7.        Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – An eine Mehrzahl von Adressaten gerichtete Entscheidung, mit der Geldbußen wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängt werden

(Art. 81 EG und 253 EG)

1.        Das Rechtsmittel kann den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern. Im Rahmen eines Rechtsmittels sind die Befugnisse des Gerichtshofs auf die Beurteilung der rechtlichen Entscheidung über das im ersten Rechtszug erörterte Vorbringen beschränkt. Eine Partei kann daher den Gegenstand dieses Rechtsstreits nicht dadurch verändern, dass sie vor dem Gerichtshof erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringt, das sie vor dem Gericht hätte vorbringen können, aber nicht vorgebracht hat, da ihr damit erlaubt würde, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, letztlich mit einem weiter reichenden Rechtsstreit zu befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Ein solches Angriffs- oder Verteidigungsmittel ist daher im Stadium des Rechtsmittels als unzulässig anzusehen.

(vgl. Randnrn. 35, 51, 78)

2.        Der Begriff „Unternehmen“ bezeichnet jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Zum einen ist in diesem Zusammenhang unter dem Begriff „Unternehmen“ eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird, zum anderen hat eine solche wirtschaftliche Einheit, wenn sie gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortung für diese Zuwiderhandlung einzustehen. Einer Muttergesellschaft kann das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten trotz eigener Rechtspersönlichkeit nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen diesen beiden Rechtssubjekten.

In dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, kann zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben und besteht zum anderen eine widerlegliche Vermutung, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen solchen Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt. Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission für die Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieser Tochtergesellschaft ausübt, nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält. Die Kommission kann in der Folge die Muttergesellschaft als Gesamtschuldnerin für die Zahlung der gegen ihre Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße in Anspruch nehmen, sofern die Muttergesellschaft, der es obliegt, diese Vermutung zu widerlegen, keine ausreichenden Beweise dafür erbringt, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt.

(vgl. Randnrn. 53-54, 56-57, 80, 96)

3.        Mit der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses, den eine Muttergesellschaft auf das Verhalten einer Tochtergesellschaft ausüben kann, deren Kapital sie zu 100 % hält, soll u. a. ein Gleichgewicht zwischen der Bedeutung des Ziels, Verhaltensweisen, die gegen die Wettbewerbsregeln, insbesondere gegen Art. 101 AEUV, verstoßen, zu unterbinden und ihre Wiederholung zu verhindern, einerseits und den Anforderungen bestimmter allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts wie etwa des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, der individuellen Zumessung von Strafen und der Rechtssicherheit sowie der Verteidigungsrechte einschließlich des Grundsatzes der Waffengleichheit andererseits hergestellt werden. Insbesondere aus diesem Grund ist diese Vermutung widerlegbar. Diese Vermutung beruht auf der Feststellung, dass – von wirklich außergewöhnlichen Umständen abgesehen – eine Gesellschaft, die die Gesamtheit des Kapitals einer Tochtergesellschaft hält, allein aufgrund dieser Beteiligung einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben kann, und dass es normalerweise am zweckmäßigsten ist, in der Sphäre der Einheiten, denen gegenüber diese Vermutung eingreift, zu ermitteln, ob diese Befugnis zur Einflussnahme tatsächlich nicht ausgeübt wurde.

Könnte daher ein Betroffener die genannte Vermutung durch bloße, nicht belegte Behauptungen widerlegen, wäre sie weitgehend nutzlos. Außerdem hält sich eine Vermutung – selbst wenn sie schwer zu widerlegen ist – innerhalb akzeptabler Grenzen, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte legitime Ziel angemessen ist, wenn die Möglichkeit besteht, den Beweis des Gegenteils zu erbringen, und die Verteidigungsrechte gewahrt sind.

(vgl. Randnrn. 59-62)

4.        Hinsichtlich eines Verfahrens zur Anwendung von Art. 81 EG ist das Verwaltungsverfahren vor der Kommission in zwei unterschiedliche, aufeinanderfolgende Abschnitte unterteilt, die jeweils einer eigenen inneren Logik folgen, nämlich einen Abschnitt der Voruntersuchung und einen kontradiktorischen Abschnitt. Der Abschnitt der Voruntersuchung, der sich bis zur Mitteilung der Beschwerdepunkte erstreckt, soll es der Kommission ermöglichen, alle relevanten Elemente zusammenzutragen, durch die das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften bestätigt oder nicht bestätigt wird, und eine erste Position zur Ausrichtung und zum weiteren Gang des Verfahrens einzunehmen. Der kontradiktorische Abschnitt, der sich von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der endgültigen Entscheidung erstreckt, soll es ihr ermöglichen, sich abschließend zu der gerügten Zuwiderhandlung zu äußern.

Der Abschnitt der Voruntersuchung beginnt dann, wenn die Kommission in Ausübung der Befugnisse, die ihr der Unionsgesetzgeber verliehen hat, Maßnahmen trifft, die mit dem Vorwurf verbunden sind, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Einheiten haben. Erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens wird die betroffene Einheit durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt. Folglich kann das betroffene Unternehmen die Verteidigungsrechte erst nach Übersendung dieser Mitteilung umfassend geltend machen.

(vgl. Randnrn. 113-115)

5.        Hinsichtlich eines Verfahrens zur Anwendung von Art. 81 EG muss verhindert werden, dass die Verteidigungsrechte im Abschnitt der Voruntersuchung des Verwaltungsverfahrens unwiederbringlich beeinträchtigt werden, da die ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet sind, deren Haftung zu begründen, von entscheidender Bedeutung sein können.

Daher darf die Beurteilung der Quelle etwaiger Beeinträchtigungen der wirksamen Ausübung der Verteidigungsrechte nicht auf den kontradiktorischen Abschnitt des Verwaltungsverfahrens beschränkt sein, sondern muss sich auf das gesamte Verwaltungsverfahren erstrecken und es in voller Länge einbeziehen.

Die Kommission muss jedoch eine Einheit nicht in jedem Fall bereits ab der ersten gegenüber dieser ergriffenen Maßnahme sogar auf die Möglichkeit von auf das Wettbewerbsrecht der Union gestützten Ermittlungs- oder Verfolgungsmaßnahmen hinweisen, vor allem, wenn dadurch die Effizienz der von der Kommission geführten Untersuchung unangemessen beeinträchtigt werden könnte.

Darüber hinaus verbietet es der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit der Kommission nicht, ins Auge zu fassen, zunächst die Gesellschaft, die einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln begangen hat, mit einer Sanktion zu belegen, bevor sie untersucht, ob die Zuwiderhandlung gegebenenfalls deren Muttergesellschaft zugerechnet werden kann.

Sofern der Adressat einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzt wird, seinen Standpunkt zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission behaupteten Tatsachen und Umstände im Lauf des kontradiktorischen Verwaltungsverfahrens in geeigneter Weise zu Gehör zu bringen, ist die Kommission daher grundsätzlich nicht verpflichtet, vor Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Ermittlungsmaßnahme an diesen Adressaten zu richten.

(vgl. Randnrn. 117-122)

6.        Die Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung hat neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht. Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt.

Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Die Begründung eines Rechtsakts muss jedoch auch folgerichtig sein und darf insbesondere keine inneren Widersprüche aufweisen, die das Verständnis der Gründe, die diesem Rechtsakt zugrunde liegen, erschweren.

(vgl. Randnrn. 148-151)

7.        Betrifft eine an eine Mehrzahl von Adressaten gerichtete Entscheidung zur Anwendung des Wettbewerbsregeln der Union die Zurechnung der Zuwiderhandlung, muss sie in Bezug auf jeden Adressaten hinreichend begründet sein, insbesondere aber in Bezug auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung in der Entscheidung zugerechnet wird. Daher muss eine solche Entscheidung in Bezug auf die Muttergesellschaft, die für die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft haftbar gemacht wird, eine ausführliche Darlegung der Gründe enthalten, die es rechtfertigt, dass die Zuwiderhandlung der Muttergesellschaft zugerechnet wird. Was insbesondere eine Entscheidung der Kommission anbelangt, die im Hinblick auf bestimmte Adressaten ausschließlich auf die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses gestützt ist, so ist die Kommission – da diese Vermutung andernfalls praktisch nicht zu widerlegen wäre – in jedem Fall verpflichtet, diesen Adressaten angemessen die Gründe darlegen, aus denen die geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte nicht ausgereicht haben, um die Vermutung zu widerlegen. Die Verpflichtung der Kommission, ihre Entscheidungen insoweit zu begründen, ergibt sich vor allem aus der Widerlegbarkeit dieser Vermutung, zu deren Widerlegung die Betroffenen einen Beweis zu den wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen den betroffenen Gesellschaften erbringen müssten. Doch ist die Kommission in einem solchen Kontext nicht verpflichtet, zu Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, die offensichtlich neben der Sache liegen oder keine oder eindeutig untergeordnete Bedeutung haben.

Außerdem kann eine Entscheidung der Kommission, die sich in eine ständige Entscheidungspraxis einfügt, summarisch, insbesondere unter Bezugnahme auf diese Praxis, begründet werden; geht sie jedoch über die früheren Entscheidungen merklich hinaus, hat die Kommission ihre Erwägungen explizit darzulegen.

Unter diesen Umständen hat das Gericht besonderes Augenmerk auf die Frage zu legen, ob eine Entscheidung, mit der gegen ein aus einer Muttergesellschaft und deren Tochtergesellschaft bestehendes Unternehmen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln eine Geldbuße verhängt wird und der Muttergesellschaft das Verhalten der Tochtergesellschaft zugerechnet wird, eine ausführliche Darlegung der Gründe enthält, aus denen die Kommission die von der Muttergesellschaft vorgebrachten Gesichtspunkte nicht als ausreichend ansah, um die in dieser Entscheidung herangezogene Vermutung der Zurechenbarkeit zu widerlegen. In bestimmten Einzelfällen begeht das Gericht daher einen Rechtsfehler, wenn es den Begründungsmangel nicht beanstandet, mit dem eine Entscheidung der Kommission behaftet ist, die in einer Reihe bloßer Behauptungen und Negierungen besteht, die sich wiederholen und in keiner Weise substantiiert sind. In einem derartigen Fall können die Betroffenen dieser Reihe von Behauptungen und Negierungen ohne ergänzende Angaben nämlich nicht die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe nicht wahrnehmen.

(vgl. Randnrn. 152-155, 167-170)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

29. September 2011(*)

„Rechtsmittel – Kartelle – Art. 81 EG und 53 EWR-Abkommen – Markt für Monochloressigsäure – Vorschriften, nach denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden können – Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses – Verteidigungsrechte – Begründungspflicht“

In der Rechtssache C‑521/09 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 11. Dezember 2009,

Elf Aquitaine SA mit Sitz in Courbevoie (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: E. Morgan de Rivery, S. Thibault-Liger und E. Lagathu, avocats,

Rechtsmittelführerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch A. Bouquet und F. Castillo de la Torre als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas und A. Ó Caoimh (Berichterstatter) sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 2011

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Elf Aquitaine SA (im Folgenden: Elf Aquitaine oder Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 30. September 2009, Elf Aquitaine/Kommission (T‑174/05, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage abgewiesen hat, die in erster Linie auf die Nichtigerklärung der Entscheidung K(2004) 4876 endg. der Kommission vom 19. Januar 2005 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/E-1/37.773 – MCAA) (im Folgenden: streitige Entscheidung), hilfsweise auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße gerichtet war.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

2        Aus den Randnrn. 3 bis 7 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass die Europäische Kommission Ende 1999 die Untersuchung eines Kartells für Monochloressigsäure (im Folgenden: MCE) aufgrund der Anzeige eines der am Kartell beteiligten Unternehmen einleitete. Am 14. und am 15. März 2000 nahm die Kommission Durchsuchungen in den Geschäftsräumen u. a. einer Tochtergesellschaft der Rechtsmittelführerin vor. Am 7. und 8. April 2004 übersandte sie zwölf Gesellschaften, darunter Elf Aquitaine und diese Tochtergesellschaft (ehemals Elf Atochem SA, dann Atofina SA und zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels Arkema SA, im Folgenden: Atofina oder Arkema), eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.

3        Aus Randnr. 8 des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung im Wesentlichen feststellte, dass sich die von dieser Entscheidung betroffenen Unternehmen an einem Kartell beteiligt und damit gegen Art. 81 EG verstoßen hätten.

4        Wie aus den Randnrn. 9 bis 12 des angefochtenen Urteils hervorgeht, führte die Kommission in der streitigen Entscheidung unter Zurückweisung der Gegenargumente von Elf Aquitaine aus, der Umstand, dass diese 98 % der Aktien von Atofina halte, reiche aus, um sie für die Handlungen ihrer Tochtergesellschaft haftbar zu machen. Dass Elf Aquitaine nicht an der Herstellung und am Vertrieb von MCE mitgewirkt habe, hindere nicht die Annahme, dass sie mit den operativen Einheiten der Gruppe eine wirtschaftliche Einheit bilde.

5        Nach Randnr. 30 des angefochtenen Urteils beläuft sich die Geldbuße, die in der streitigen Entscheidung gegen Elf Aquitaine und Arkema als Gesamtschuldnerinnen verhängt wurde, auf 45 Mio. Euro.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

6        Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht sämtliche vor ihm geltend gemachten elf Klagegründe zurückgewiesen und der Rechtsmittelführerin die Kosten auferlegt. Hierzu hat es u. a. die im Folgenden dargelegten Erwägungen angestellt.

7        Mit ihrem ersten Klagegrund machte die Rechtsmittelführerin geltend, dass die streitige Entscheidung ihre Verteidigungsrechte in zweifacher Hinsicht verletze, da sie zum einen nach einem Verfahren erlassen worden sei, in dem gegen den Grundsatz der Waffengleichheit verstoßen worden sei (erster Teil), und zum anderen von der Kommission unter Verstoß gegen die Verpflichtung erlassen worden sei, die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus dem Verwaltungsverfahren ergäben (zweiter Teil).

8        In den Randnrn. 54 bis 72 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den ersten Klagegrund in vollem Umfang zurückgewiesen und entschieden:

„…

64 Die Rüge, wonach sich in der [streitigen] Entscheidung keine ausreichende Stütze dafür finde, der [Rechtsmittelführerin] die Verantwortung für die von Arkema begangene Zuwiderhandlung zuzurechnen, um ihre Haftung zu begründen, ist ebenfalls zurückzuweisen. Aus … [dieser] Entscheidung ergibt sich nämlich ausdrücklich, dass die Kommission auf die Grundsätze hingewiesen hat, die für Fälle gelten, in denen Muttergesellschaften Zuwiderhandlungen zugerechnet werden, die von ihren Tochtergesellschaften begangen wurden. Dass die Kommission in Bezug auf die [Rechtsmittelführerin] keine Ermittlungen durchgeführt hat, kein Auskunftsverlangen an sie gerichtet hat und sie vor der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht kontaktiert hat, vermag nicht in Frage zu stellen, dass die Kommission berechtigt ist, sie erstmals in der Mitteilung der Beschwerdepunkte über die gegen sie erhobenen Vorwürfe in Kenntnis zu setzen. Die [Rechtsmittelführerin] konnte nämlich ihren Standpunkt zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte behaupteten Tatsachen und Umstände im Lauf des Verwaltungsverfahrens in geeigneter Weise zu Gehör bringen, sowohl in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte als auch in der Anhörung durch den Anhörungsbeauftragten.

…“

9        Das Gericht hat den zweiten vor ihm geltend gemachten Klagegrund, der daraus hergeleitet wurde, dass die Begründung unzureichend sei, als unbegründet zurückgewiesen und entschieden:

„85      [A]us dem Erwägungsgrund 258 der [streitigen] Entscheidung geht hervor, dass ‚[d]ie Kommission … der Auffassung [ist], dass bereits die Beteiligung von Elf Aquitaine zu 98 % in Atofina für die Begründung einer Haftung von Elf Aquitaine ausreicht. Nach Meinung der Kommission reichen die [von Elf Aquitaine] genannten Argumente nicht aus, die Vermutung, die aus der Beteiligung zu 98 % resultiert, zu widerlegen‘. Im selben Erwägungsgrund führt sie aus, dass ‚[d]ie obigen Argumente … lediglich Behauptungen [sind], die nicht ausreichend durch Beweise belegt sind, um die Annahme zu widerlegen, dass Elf Aquitaine für die Handlungen seiner Tochtergesellschaft Atofina verantwortlich ist‘, und dass sie ‚die Unterlagen, die grundsätzliche Informationen oder Hintergrundinformationen über den Konzern enthalten, nicht als ausreichend an[sieht], um die Vermutung zu widerlegen‘.

86      Obwohl die Kommission im Erwägungsgrund 258 der [streitigen] Entscheidung ausdrücklich ausgeführt hat, dass die Beteiligung zu 98 % ausreiche, um die Haftung von Elf Aquitaine für die Handlungen von Atofina zu begründen, hat sie im genannten Erwägungsgrund gleichwohl präzisiert, dass die von der [Rechtsmittelführerin] vorgelegten Beweise nicht ausreichten, um die Vermutung zu widerlegen. Derartige Erwägungen fügen sich in die Gemeinschaftsrechtsprechung zur Zurechnung von Zuwiderhandlungen einer Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft ein. Daraus ergibt sich, dass die Argumentation der Kommission klar genug ist und erkennen lässt, aus welchen Gründen den von Elf Aquitaine vorgebrachten Argumenten nicht gefolgt wurde.

87      Hinsichtlich des behaupteten Begründungsmangels bezüglich der Gründe, aus denen den Argumenten von Elf Aquitaine nicht gefolgt wurde, ist festzustellen, dass die Kommission diese Argumente, wie sie von Elf Aquitaine in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt wurden, im Erwägungsgrund 257 der [streitigen] Entscheidung angeführt hat. Sie ist in den Erwägungsgründen 258 bis 261 der [streitigen] Entscheidung auf sie eingegangen.

88      Insbesondere hat die Kommission die Auffassung vertreten, dass sich Elf Aquitaine darauf beschränkt habe, Behauptungen aufzustellen, und dass die Dokumente, die sie vorgelegt habe, lediglich grundsätzliche Informationen oder Hintergrundinformationen über den Konzern lieferten.

89      Dieser – wenn auch knappen – Antwort auf die von Elf Aquitaine vorgebrachten Argumente lassen sich die Gründe entnehmen, aus denen die Kommission diesen Argumenten nicht gefolgt ist. Die Kommission ist nämlich auf die wesentlichen Punkte des Vorbringens von Elf Aquitaine eingegangen und hat sämtliche Beweismittel berücksichtigt, die diese vorgelegt hat.

90      Jedenfalls brauchte die Kommission nicht alle Einwände der [Rechtsmittelführerin] zu beantworten. Sie ist nämlich nicht verpflichtet, auf alle Argumente einzugehen, die die Betroffenen vor ihr geltend gemacht haben, sondern es reicht aus, wenn sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt …“

10      In den Randnrn. 97 bis 99 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den dritten Klagegrund zurückgewiesen, mit dem geltend gemacht wurde, die Begründung sei widersprüchlich, soweit einerseits die Zuwiderhandlung Elf Aquitaine zugerechnet und andererseits anerkannt worden sei, dass sich Atofina auf einer niedrigen Verantwortungsebene an der Zuwiderhandlung beteiligt habe. Insoweit hat das Gericht u. a. in Randnr. 97 des angefochtenen Urteils ausgeführt:

„[E]s kommt nicht auf die Verantwortungsebene der Mitarbeiter an, die sich an dem Kartell beteiligt haben, da nicht ein zwischen Mutter- und Tochterunternehmen in Bezug auf die Zuwiderhandlung bestehendes Anstiftungsverhältnis und schon gar nicht eine Beteiligung Ersterer an dieser Zuwiderhandlung der Kommission die Befugnis verleiht, die Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an das Mutterunternehmen einer Unternehmensgruppe zu richten, sondern der Umstand, dass sie ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG darstellen. Daher kann die Tatsache, dass die Muttergesellschaft keine Kenntnis der von ihrer Tochtergesellschaft begangenen Zuwiderhandlung hatte, nicht genügen, um ihre Verantwortung auszuschließen.“

11      Ähnliches wird in anderem Zusammenhang in den Randnrn. 152, 167 und 186 des angefochtenen Urteils ausgeführt.

12      Wie sich aus Randnr. 100 des angefochtenen Urteils ergibt, war der vierte vor dem Gericht geltend gemachte Klagegrund, der aus einem Verstoß gegen die Vorschriften hergeleitet wurde, nach denen einer Muttergesellschaft die von ihrer Tochtergesellschaft begangenen Zuwiderhandlungen zugerechnet werden, in drei Teile untergliedert.

13      Im Rahmen des ersten Teils trug die Rechtsmittelführerin insbesondere vor, dass die Kommission über keinen Ermessensspielraum verfüge, um das maßgebliche Kriterium für die Zurechenbarkeit von Zuwiderhandlungen zu bestimmen.

14      Das Gericht hat diesen Teil in den Randnrn. 105 bis 109 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen. In Randnummer 105 des angefochtenen Urteils hat es ausgeführt:

„Die Kommission behauptet nicht, über ein Ermessen zu verfügen, um einer Gesellschaft die Verantwortung für von einer anderen Gesellschaft begangene Zuwiderhandlungen zuzurechnen. Zwar hat sie im Erwägungsgrund 260 der [streitigen] Entscheidung ausgeführt, dass ‚[e]s … in [ihrem] Ermessen [stehe], unter den gegebenen Umständen auch ein Mutterunternehmen zur Haftung heranzuziehen‘, dies jedoch erst, nachdem sie im Erwägungsgrund 258 darauf hingewiesen hatte, dass die [Rechtsmittelführerin] die Vermutung in Bezug auf die Autonomie ihrer Tochtergesellschaft nicht habe widerlegen können. Außerdem geht aus der [streitigen] Entscheidung klar hervor, dass mit den im Erwägungsgrund 260 enthaltenen Ausführungen lediglich das Argument entkräftet werden sollte, das daraus hergeleitet wurde, dass das Verhalten von Atofina in früheren an diese gerichteten Entscheidungen nicht der Muttergesellschaft zugerechnet worden sei. Überdies hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung und in ihren Schriftsätzen ausgeführt, dass sie in der Tat der Auffassung sei, in dem Stadium über ein Ermessen zu verfügen, in dem sie, wenn sie die Verantwortung für eine Zuwiderhandlung mehreren Gesellschaften eines Konzerns zurechnen könne, darüber entscheide, die Verantwortung allen Konzerngesellschaften oder nur den unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligten zuzurechnen.“

15      In den Randnrn. 121 bis 126 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den zweiten Teil des vierten vor ihm geltend gemachten Klagegrundes als unbegründet zurückgewiesen, der daraus hergeleitet wurde, dass die Anwendung der Zurechenbarkeitsvermutung, die nicht durch konkrete Beweismittel gestützt sei, gegen den Grundsatz der Autonomie der Tochtergesellschaft verstoße.

16      Der dritte Teil des vierten Klagegrundes wurde aus einem Verstoß gegen die für die Zurechnung von Zuwiderhandlungen innerhalb von Konzernen geltenden Beweislastregeln hergeleitet. Das Gericht hat diesen Teil in den Randnrn. 150 bis 176 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen.

17      In diesem Zusammenhang hat das Gericht in Randnr. 157 des angefochtenen Urteils entschieden:

„[D]er Rüge der [Rechtsmittelführerin], die Kommission habe gegen die für die Zurechnung von Zuwiderhandlungen innerhalb von Konzernen geltenden Beweislastregeln verstoßen, [kann] nicht gefolgt werden … Da Elf Aquitaine zur Zeit der Zuwiderhandlung nahezu das gesamte Kapital hielt, hat die Kommission zu Recht die fehlende Eigenständigkeit der [Rechtsmittelführerin] vermutet und die Auffassung vertreten, dass es Sache von Elf Aquitaine sei, den Nachweis zu erbringen, dass ihre Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt autonom bestimme.“

18      In Randnr. 158 des angefochtenen Urteils hat das Gericht entschieden, dass die Beweismittel, die Elf Aquitaine vorgelegt habe, um die von der Kommission herangezogene Vermutung zu widerlegen, vor diesem Hintergrund zu prüfen seien. Hierzu hat es in Randnr. 159 des angefochtenen Urteils festgestellt:

„[D]ie Kommission [greift] im Erwägungsgrund 257 der [streitigen] Entscheidung die Argumente [auf], die Elf Aquitaine in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgetragen hat, insbesondere diejenigen, wonach sie weder unmittelbar noch mittelbar am MCE-Kartell mitgewirkt habe, eine ‚reine Holdinggesellschaft‘ ohne eigene Geschäftstätigkeit sei, Atofina in ihrer Geschäftspolitik und ihrem Marktverhalten völlig unabhängig sei, in den Unterlagen der Kommissionsakte ausschließlich auf Atofina verwiesen werde und auch andere Beteiligte Atofina als das auf dem betreffenden Markt tätige Unternehmen betrachteten. Sie zieht hieraus im nächsten Erwägungsgrund den Schluss, dass diese Argumente lediglich Behauptungen seien, die nicht ausreichend durch Beweise belegt seien, um die Annahme zu widerlegen, dass Elf Aquitaine für die Handlungen ihrer Tochtergesellschaft verantwortlich sei, und weist darauf hin, dass Unterlagen, die grundsätzliche Informationen oder Hintergrundinformationen über den Konzern enthielten, nicht ausreichten an, um diese Vermutung zu widerlegen“.

19      Sodann hat das Gericht in den Randnrn. 160 bis 176 des angefochtenen Urteils mehrere Argumente zurückgewiesen, die die Rechtsmittelführerin geltend gemacht hatte, um die in der streitigen Entscheidung auf sie angewandte Vermutung zu widerlegen.

20      In den Randnrn. 184 bis 188 und 192 bis 199 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den fünften Klagegrund in seinen drei Teilen zurückgewiesen, die aus Verstößen gegen den Grundsatz der persönlichen Tatverantwortung, das Legalitätsprinzip und den Grundsatz der Unschuldsvermutung hergeleitet wurden.

21      In den Randnrn. 200 bis 207 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den sechsten Klagegrund zurückgewiesen, der aus einem Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung hergeleitet wurde.

22      Wie sich aus Randnr. 208 des angefochtenen Urteils ergibt, trug die Rechtsmittelführerin mit dem siebten Klagegrund vor, dass der neue Ansatz der Kommission bezüglich des Kriteriums der Zurechnung von Zuwiderhandlungen von Tochtergesellschaften in Unternehmensgruppen zu ihren Muttergesellschaften, wie er in der streitigen Entscheidung angewandt worden sei, Rechtsunsicherheit schaffe, so dass das Gericht die streitige Entscheidung für nichtig erklären müsse, soweit sie die Rechtsmittelführerin betreffe. Die Kommission wende nämlich andere Zurechnungskriterien an als diejenigen, die in der streitigen Entscheidung gegenüber der Akzo Nobel NV und der Clariant AG und bezüglich Atofina in ihrer Entscheidung K(2003) 4570 endg. vom 10. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-2/37.857 – Organische Peroxide) (Zusammenfassung veröffentlicht im ABl. 2005, L 110, S. 44, im Folgenden: Entscheidung organische Peroxide) angewandt worden seien.

23      Das Gericht hat diesen Klagegrund in den Randnrn. 210 bis 216 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen und in Randnr. 213 insbesondere entschieden:

„Obgleich die Kommission im vorliegenden Fall entschieden hat, die Verantwortung für die festgestellte Zuwiderhandlung dem aus der Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft bestehenden Unternehmen zuzurechnen, während sie dies in ihrer früheren Praxis nicht getan hat, verstößt ihre Entscheidung nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit … Daher hat die Kommission, da sie im vorliegenden Fall zu Recht angenommen hat, dass Elf Aquitaine und ihre Tochtergesellschaft Arkema gemeinsam ein Unternehmen bildeten, und die Geldbuße gegen die beiden Gesellschaften als Gesamtschuldnerinnen verhängt hat, nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen.“

24      In den Randnrn. 220 ff. des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Klagegründe acht bis elf nacheinander zurückgewiesen und ist sodann in Randnr. 244 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage in vollem Umfang abzuweisen sei.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

25      Die Rechtsmittelführerin beantragt

–        in erster Linie, das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben,

–        ihren im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben,

–        infolgedessen Art. 1 Buchst. d, Art. 2 Buchst. c, Art. 3 und Art. 4 Nr. 9 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären,

–        hilfsweise, die Geldbuße in Höhe von 45 Mio. Euro, die in Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung gesamtschuldnerisch gegen Arkema und Elf Aquitaine festgesetzt wurde, im Rahmen der Befugnis des Gerichtshofs zur unbeschränkten Nachprüfung für nichtig zu erklären oder herabzusetzen, und

–        jedenfalls, der Kommission die gesamten Kosten einschließlich der ihr vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen.

26      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

27      In erster Linie macht die Rechtsmittelführerin fünf Rechtsmittelgründe geltend:

–        einen Rechtsfehler des Gerichts, da es nicht die Konsequenzen aus der repressiven Natur der sich aus der Anwendung des Art. 101 AEUV ergebenden Sanktionen gezogen habe,

–        eine Verletzung der Verteidigungsrechte, die sich aus der unzutreffenden Auslegung der Grundsätze der Billigkeit und der Waffengleichheit ergebe,

–        Rechtsfehler in Bezug auf die Begründungspflicht,

–        einen Verstoß gegen Art. 263 AEUV, der sich aus der Nichteinhaltung der Grenzen der Rechtmäßigkeitskontrolle ergebe, und

–        einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Zurechenbarkeit in Bezug auf Sanktionen im Bereich des Wettbewerbsrechts.

28      Hilfsweise beruft sich die Rechtsmittelführerin auf einen sechsten Rechtsmittelgrund, mit dem sie geltend macht, dass die vom Gericht begangenen Rechtsfehler und Verstöße zumindest zur Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie festgesetzten Geldbuße führen müssten.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler des Gerichts, da es nicht die Konsequenzen aus der repressiven Natur der sich aus der Anwendung des Art. 101 AEUV ergebenden Sanktionen gezogen habe

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

29      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, der repressive Charakter – im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1959 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) – der nach Art. 101 AEUV verhängten Sanktionen könne nicht bestritten werden.

30      Daher habe das Gericht u. a. in den Randnrn. 185 bis 187 sowie 194 und 197 des angefochtenen Urteils die nach Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK gewährleisteten Grundsätze der persönlichen Tatverantwortung, der individuellen Zumessung von Strafen und der Unschuldsvermutung fehlerhaft angewandt.

31      Zum einen macht die Rechtsmittelführerin allgemein geltend, das Gericht habe diese Grundsätze fälschlicherweise nur auf das aus Elf Aquitaine und Arkema gebildete Unternehmen und damit auf eine Einheit, die keine Rechtspersönlichkeit habe, angewandt und nicht auf diese beiden Gesellschaften als eigenständige juristische Personen, die allein die erforderlichen Merkmale aufwiesen, um sich in effektiver und konkreter Weise auf die subjektiven Rechte berufen zu können, die sich aus den oben genannten Grundsätzen ergäben. Damit habe das Gericht den effektiven und konkreten Charakter der sich aus den oben genannten Grundsätzen ergebenden subjektiven Rechte dadurch völlig außer Kraft gesetzt, dass es den Einheiten, die allein die Merkmale aufwiesen, um sich auf diese Rechte zu berufen, nicht erlaubt habe, dies zu tun, was ihm letztlich ermöglicht habe, den Zugang zur Justiz zu beschränken.

32      Zum anderen macht sie insbesondere geltend, dieser Ansatz habe das Gericht dazu veranlasst, die Rechtsmittelführerin vom Anwendungsbereich der folgenden Grundsätze auszuschließen:

–        des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, indem es der Voruntersuchung in Bezug auf die Rechtsmittelführerin jegliche Bedeutung abgesprochen habe, und

–        der Grundsätze der persönlichen Tatverantwortung und der individuellen Zumessung von Strafen, indem es in den Randnrn. 97, 152, 167 und 186 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, dass einer Muttergesellschaft die Haftung nicht aufgrund eines „zwischen Mutter- und Tochterunternehmen in Bezug auf die Zuwiderhandlung bestehende[n] Anstiftungsverhältnis[ses] und schon gar nicht eine[r] Beteiligung Ersterer an dieser Zuwiderhandlung“ zugewiesen werde, und damit die Erheblichkeit des Indizienbündels verneint habe, auf das sich die Rechtsmittelführerin berufen habe, um nachzuweisen, dass sie persönlich keine Zuwiderhandlung begangen habe, von der Begehung der streitigen Zuwiderhandlung nichts gewusst habe und ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig sei.

33      Überdies habe das Gericht in den Randnrn. 210 und 212 des angefochtenen Urteils einem Einzelnen nicht einen Grundsatz der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union entgegenhalten dürfen, um dessen Grundrechte zugunsten einer Stärkung der Befugnisse der Kommission zu schmälern.

34      Die Kommission trägt u. a. vor, der erste Rechtsmittelgrund entspreche keinem im ersten Rechtszug vorgebrachten Klagegrund und beziehe sich nicht unmittelbar auf einen Abschnitt des angefochtenen Urteils.

 Würdigung durch den Gerichtshof

35      Nach Art. 113 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann das Rechtsmittel den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern. Im Rahmen eines Rechtsmittels sind die Befugnisse des Gerichtshofs nämlich auf die Beurteilung der rechtlichen Entscheidung über das im ersten Rechtszug erörterte Vorbringen beschränkt. Eine Partei kann daher den Gegenstand dieses Rechtsstreits nicht dadurch verändern, dass sie vor dem Gerichtshof erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringt, das sie vor dem Gericht hätte vorbringen können, aber nicht vorgebracht hat, da ihr damit erlaubt würde, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, letztlich mit einem weiter reichenden Rechtsstreit zu befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 1. Juni 1994, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., C‑136/92 P, Slg. 1994, I‑1981, Randnr. 59, vom 30. März 2000, VBA/VGB u. a., C‑266/97 P, Slg. 2000, I‑2135, Randnr. 79, und vom 14. Oktober 2010, deutsche Telekom/Kommission, C‑280/08 P, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 34). Ein solches Angriffs- oder Verteidigungsmittel ist daher im Stadium des Rechtsmittels als unzulässig anzusehen.

36      Im vorliegenden Fall wirft die Rechtsmittelführerin mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund dem Gericht nicht vor, den „strafrechtlichen“ Charakter im Sinne der auf Art. 6 EMRK beruhenden Rechtsprechung der nach Art. 81 EG verhängten Geldbußen in Abrede gestellt zu haben, sondern im Wesentlichen, die Grundrechte verletzt zu haben, die ihr als juristische Person zustünden, die für eine Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht werde, an die Sanktionen geknüpft seien, die nach ihrer Ansicht einen solchen strafrechtlichen Charakter aufweisen. Da der vorliegende Rechtsmittelgrund aus diesem Blickwinkel betrachtet den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändert, ist er nicht als unzulässig zurückzuweisen (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Januar 2007, PKK und KNK/Rat, C‑229/05 P, Slg. 2007, I‑439, Randnrn. 66 und 67).

37      Wie sich u. a. aus den Randnrn. 27, 87 und 99 des vorliegenden Urteils ergibt, überschneiden sich die von Elf Aquitaine im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes erhobenen spezifischen Vorwürfe im Wesentlichen mit denjenigen, die im Rahmen anderer Rechtsmittelgründe, insbesondere des zweiten und des fünften, erhoben werden. Da ihnen daher keine wirkliche Eigenständigkeit gegenüber diesen anderen Rechtsmittelgründen zukommt, sind sie nicht an dieser Stelle zu prüfen.

38      Ebenso wird mit dem ersten Rechtsmittelgrund, soweit dem Gericht allgemein vorgeworfen wird, die Grundsätze der persönlichen Tatverantwortung, der individuellen Zumessung der Strafen und der Unschuldsvermutung zu Unrecht nicht auf die Rechtsmittelführerin allein, sondern auf das u. a. aus Elf Aquitaine und ihrer Tochtergesellschaft Arkema gebildete „Unternehmen“ angewandt zu haben, ein wesentlicher Verstoß gegen diese Grundsätze in Bezug auf die Rechtsmittelführerin geltend gemacht und die vom Gericht vorgenommene Auslegung des Begriffs „Unternehmen“ im Sinne des Art. 81 EG in Frage gestellt. Da sich dieses Vorbringen mit einigen Aspekten des zweiten und des fünften Rechtsmittelgrundes überschneidet, ist es im Rahmen der Prüfung dieser Rechtsmittelgründe zu behandeln.

39      Was den in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vorwurf betrifft, genügt der Hinweis, dass das Gericht in den Randnrn. 210 und 212 des angefochtenen Urteils, entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin, nicht behauptet hat, dass einem Einzelnen ein Grundsatz der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union entgegengehalten werden könne, um seine Grundrechte zu schmälern.

40      Da dieser Vorwurf daher auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils beruht, ist er als unbegründet zurückzuweisen.

41      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass als nächstes der fünfte Rechtsmittelgrund zu prüfen ist.

 Zum fünften Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Vorschriften über die Zurechnung in Bezug auf Sanktionen im Bereich des Wettbewerbsrechts

 Zum ersten Teil des fünften Klagegrundes, wonach der repressive Charakter der Sanktionen, die sich aus der Anwendung von Art. 101 AEUV ergäben, die Unzulässigkeit nach dem Unionsrecht der auf die Rechtsmittelführerin angewandten, faktisch unwiderlegbaren Vermutung der Verantwortlichkeit verstärke

–       Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

42      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass der repressive Charakter der Sanktionen, die sich aus der Anwendung von Art. 110 AEUV ergäben, und die institutionelle Konfusion von Befugnissen bei der Verfolgungsbehörde das Gericht daran hätten hindern müssen, die Anwendung der Vermutung der Verantwortlichkeit durch die Kommission gelten zu lassen, statt einen Nachweis der Einmischung der Rechtsmittelführerin in die Geschäftsleitung ihrer Tochtergesellschaft zu verlangen.

43      Dies gelte umso mehr, als eine derartige Vermutung praktisch unwiderlegbar sei, da diese Unwiderlegbarkeit u. a. die Beweislastregeln und die Unschuldsvermutung außer Kraft setze.

44      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin ergibt sich die Unwiderlegbarkeit der Vermutung, wie sie vom Gericht ausgelegt werde, aus dem Zusammentreffen folgender Gesichtspunkte:

–        der Ausführungen in den Randnrn. 86 und 150 des angefochtenen Urteils, wonach die Bindung durch die Kapitalbeteiligung als solche bereits ausreiche, um die Vermutung der fehlenden Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft zu begründen,

–        der Anerkennung eines Ermessens der Kommission bei der Zurechnung der Verantwortung für die Zuwiderhandlung, wenn die Muttergesellschaft zu 98 % oder mehr an ihrer Tochtergesellschaft beteiligt sei, durch das Gericht in Randnr. 105 des angefochtenen Urteils und

–        der Art und Weise, in der das Gericht in den Randnrn. 160 ff. des angefochtenen Urteils das Indizienbündel bewertet habe, das die Rechtsmittelführerin vorgelegt habe und mit dem der Nachweis erbracht werden solle, dass sich die Rechtsmittelführerin nicht in die Geschäftsführung ihrer Tochtergesellschaft eingemischt habe.

45      Hinsichtlich des letztgenannten Gesichtspunkts habe das Gericht diesem Indizienbündel keinen Beweiswert zugemessen und Beweise für eine fehlende Einmischung von ihr verlangt, die notwendigerweise negativ seien. Das Gericht verlange eine probatio diabolica, die im Beweissystem der Union allgemein unzulässig sei. Eine solche Regelung eines unwiderlegbaren Beweises sei u. a. insbesondere abzulehnen, da sie den Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle beeinträchtige.

46      Das Gericht habe die der Verfolgungsbehörde obliegende Beweislast in unzulässiger Weise umgekehrt, insbesondere indem es die Indizien aus dem Bündel, das die Rechtsmittelführerin der Kommission in Übereinstimmung mit dem Urteil vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission (C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnr. 65), vorgelegt habe, eines nach dem anderen zurückgewiesen habe. Auf diese Weise habe das Gericht zwischen der Rechtsmittelführerin, auf der eine unerfüllbare Verpflichtung laste, und der Kommission, die sich bei der Verhängung repressiver Sanktionen mit einer Vermutung der Verantwortlichkeit begnügen könne und der angeblich ein Ermessen im Hinblick darauf zustehe, ob sie diese Vermutung anwende oder nicht, ein unzulässiges Ungleichgewicht geschaffen.

47      Außerdem habe das Gericht, entgegen seinen Ausführungen in Randnr. 171 des angefochtenen Urteils die Bestandteile des Indizienbündels nicht in ihrer Gesamtheit gewürdigt. Entsprechend den Vorgaben, die sich aus dem oben genannten Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission ergäben, beziehe sich dieses Bündel auf die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen ihrer Tochtergesellschaft und ihr selbst, die geeignet seien, nachzuweisen, dass sie und ihre Tochtergesellschaft keine wirtschaftliche Einheit darstellten. Die Beweiskraft dieses Bündels ergebe sich aus der Übereinstimmung der Indizien insgesamt und nicht unbedingt aus jedem der Indizien für sich betrachtet.

48      Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht in den Randnrn. 172 und 173 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Vermutung der fehlenden Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft nicht unwiderlegbar sei. Zudem sei der vor dem Gericht geltend gemachte Klagegrund bezüglich der Zurechenbarkeit zurückgewiesen worden, weil sich die Rechtsmittelführerin, wie sich u. a. aus den Randnrn. 163 bis 165, 167 und 169 des angefochtenen Urteils ergebe, lediglich auf nicht durch Beweismittel nachgewiesene Behauptungen gestützt habe. Die bloße Tatsache, dass Beweise zur Stützung einer bloßen Behauptung verlangt worden seien, mache die betreffende Vermutung nicht unwiderlegbar.

49      Dass eine Muttergesellschaft das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital einer Tochtergesellschaft halte, erlaube es lediglich, bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten, dass diese Gesellschaften zu einem „Unternehmen“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV gehörten. Im vorliegenden Fall könne die Rechtsmittelführerin der Kommission nicht vorwerfen, die Vermutung nicht als widerlegt angesehen zu haben, wo doch die Rechtsmittelführerin lediglich unzureichend belegte Behauptungen bezüglich der „Eigenständigkeit“ oder Argumente, die für die Feststellung, ob die Tochtergesellschaft und die Muttergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bildeten, unerheblich seien, vorgetragen habe.

50      Hinsichtlich der in Randnr. 47 des vorliegenden Urteils dargestellten Argumentation der Rechtsmittelführerin trägt die Kommission vor, die Rechtsmittelführerin scheine in Wirklichkeit die Beweiswürdigung des Gerichts anzufechten, was im Rahmen des Rechtsmittels unzulässig sei. Im Übrigen habe das Gericht eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Dass es bestimmte behauptete Indizien nicht gewürdigt habe, liege einfach daran, dass die meisten dieser Indizien nicht durch Beweismittel untermauert gewesen seien.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

51      Soweit die Rechtsmittelführerin im ersten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes eine Konfusion der Rollen der Kommission im Bereich der Wettbewerbspolitik der Union geltend macht, ist festzustellen, dass sie damit unter Verstoß gegen Art. 113 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs versucht, den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand zu verändern. Insoweit ist dieser Teil daher nach der Rechtsprechung, auf die in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils verwiesen worden ist, unzulässig.

52      Gleichwohl ist der erste Teil des fünften Rechtsmittelgrundes zulässig, soweit er sich – unabhängig von den Erwägungen, die aus dieser Konfusion hergeleitet werden – dagegen richtet, dass im angefochtenen Urteil eine Vermutung herangezogen wird, die im Wesentlichen besagt, dass eine Muttergesellschaft, die das gesamte oder nahezu das gesamte Gesellschaftskapital ihrer Tochtergesellschaft hält, für einen Verstoß dieser Tochtergesellschaft gegen die Wettbewerbsregeln der Union verantwortlich gemacht werden kann.

53      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Begriff „Unternehmen“ jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung bezeichnet. Hierzu hat der Gerichtshof zum einen klargestellt, dass in diesem Zusammenhang unter dem Begriff „Unternehmen“ eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird, und zum anderen, dass eine solche wirtschaftliche Einheit, wenn sie gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortung für diese Zuwiderhandlung einzustehen hat (vgl. Urteile vom 20. Januar 2011, General Química u. a./Kommission, C‑90/09 P, Slg. 2011, I‑0000, Randnrn. 34 und 35 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 29. März 2011, ArcelorMittal Luxembourg/Kommission und Kommission/ArcelorMittal Luxembourg u. a., C‑201/09 P und C‑216/09 P, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 95).

54      Nach ständiger Rechtsprechung kann einer Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen den beiden Rechtssubjekten (vgl. Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr. 58, und General Química u. a./Kommission, Randnr. 37).

55      Da nämlich in einem solchen Fall die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, kann die Kommission eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre (vgl. Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr. 59, und General Química u. a./Kommission, Randnr. 38).

56      Der Gerichtshof hat insoweit ausgeführt, dass in dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben kann und zum anderen eine widerlegbare Vermutung besteht, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen solchen Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt (im Folgenden: Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses) (vgl. u. a. Urteile vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission, 107/82, Slg. 1983, 3151, Randnr. 50, Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr. 60, General Química u. a./Kommission, Randnr. 39, und ArcelorMittal Luxembourg/Kommission und Kommission/ArcelorMittal Luxembourg u. a., Randnr. 97).

57      Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission für die Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieser Tochtergesellschaft ausübt, nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält. Die Kommission kann in der Folge die Muttergesellschaft als Gesamtschuldnerin für die Zahlung der gegen ihre Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße in Anspruch nehmen, sofern die Muttergesellschaft, der es obliegt, diese Vermutung zu widerlegen, keine ausreichenden Beweise dafür erbringt, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt (vgl. Urteile vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Commission, C‑286/98 P, Slg. 2000, I‑9925, Randnr. 29, Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr 61; General Química u. a./Kommission, Randnr. 40, und ArcelorMittal Luxembourg/Kommission und Kommission/ArcelorMittal Luxembourg u. a., Randnr. 98).

58      Aus der Rechtsprechung ergibt sich auch, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten autonom bestimmt, sämtliche im Zusammenhang mit ihren wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zur Muttergesellschaft relevanten Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die von Fall zu Fall variieren und daher nicht abschließend aufgezählt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnrn. 73 und 74).

59      Mit der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses soll u. a. ein Gleichgewicht zwischen der Bedeutung des Ziels, Verhaltensweisen, die gegen die Wettbewerbsregeln, insbesondere gegen Art. 101 AEUV, verstoßen, zu unterbinden und ihre Wiederholung zu verhindern, einerseits und den Anforderungen bestimmter allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts wie etwa des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, der individuellen Zumessung von Strafen und der Rechtssicherheit sowie der Verteidigungsrechte einschließlich des Grundsatzes der Waffengleichheit andererseits hergestellt werden. Insbesondere aus diesem Grund ist die Vermutung, wie sich aus der in Randnr. 56 des vorliegenden Urteils dargestellten ständigen Rechtsprechung ergibt, widerlegbar.

60      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass diese Vermutung auf der Feststellung beruht, dass – von wirklich außergewöhnlichen Umständen abgesehen – eine Gesellschaft, die die Gesamtheit des Kapitals einer Tochtergesellschaft hält, allein aufgrund dieser Beteiligung einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben kann, und dass es normalerweise am zweckmäßigsten ist, in der Sphäre der Einheiten, denen gegenüber diese Vermutung eingreift, zu ermitteln, ob diese Befugnis zur Einflussnahme tatsächlich nicht ausgeübt wurde.

61      Könnte daher ein Betroffener die genannte Vermutung durch bloße, nicht belegte Behauptungen widerlegen, wäre sie weitgehend nutzlos.

62      Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass sich eine Vermutung – selbst wenn sie schwer zu widerlegen ist – innerhalb akzeptabler Grenzen hält, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte legitime Ziel angemessen ist, wenn die Möglichkeit besteht, den Beweis des Gegenteils zu erbringen, und wenn die Verteidigungsrechte gewahrt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2009, Spector Photo Group und Van Raemdonck, C‑45/08, Slg. 2009, I‑12073, Randnrn. 43 und 44, und Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Juli 2002, Janosevic/Schweden, Recueil des arrêts et décisions 2002-VII, §§ 101 ff.).

63      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Randnrn. 46 und 47 des vorliegenden Urteils, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Rechtmäßigkeit der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses, wie sie in den Randnrn. 56 und 57 des vorliegenden Urteils dargelegt ist, als solche in Abrede stellt. Sie stellt auch nicht in Frage, dass eine derartige Vermutung unter den Umständen des vorliegenden Falls gilt, in dem eine Muttergesellschaft zu 98 % an ihrer Tochtergesellschaft beteiligt ist.

64      Die in den Randnrn. 43 bis 47 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Argumentation der Rechtsmittelführerin beruht vielmehr auf der Behauptung, das Gericht habe auf den Sachverhalt eine unwiderlegbare Version dieser Vermutung angewandt.

65      Anders als die Rechtsmittelführerin vorträgt, stellt der Ansatz, den das Gericht im angefochtenen Urteil in Bezug auf die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Gesichtspunkte gewählt hat, insgesamt betrachtet keine probatio diabolica dar. Wie sich aus Randnr. 58 des vorliegenden Urteils ergibt, ist es nämlich Sache der Einheiten, die die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses widerlegen möchten, alle Gesichtspunkte vorzutragen, die sich auf die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen der fraglichen Tochtergesellschaft und der Muttergesellschaft beziehen und die sie für den Nachweis als geeignet ansehen, dass sie keine wirtschaftliche Einheit darstellen.

66      Der Umstand allein, dass eine Einheit in einem bestimmten Fall keine Beweismittel vorlegt, die geeignet sind, die Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses zu widerlegen, bedeutet insoweit nicht, dass diese Vermutung keinesfalls widerlegt werden könnte.

67      Daher sind die in Randnr. 44, dritter Gedankenstrich, und in den Randnrn. 45 bis 47 des vorliegenden Urteils formulierten Rügen zurückzuweisen, soweit mit ihnen im Wesentlichen geltend gemacht wird, die Würdigung der von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Argumente durch das Gericht zeige allein aufgrund ihres – aus Sicht der Rechtsmittelführerin negativen – Ergebnisses, dass eine probatio diabolica vorliege.

68      Soweit diese Rügen dagegen in Wirklichkeit darauf gerichtet sein sollten, vom Gerichtshof eine neue Würdigung der vom Gericht festgestellten Tatsachen zu erhalten, sind sie im Stadium des Rechtsmittels als unzulässig anzusehen. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich allein das Gericht zuständig für die Tatsachenfeststellung, sofern sich nicht aus den Akten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind, und für die Würdigung dieser Tatsachen. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweismittel nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (vgl. u. a. Urteil vom 23. April 2009, AEPI/Kommission, C‑425/07 P, Slg. 2009, I‑3205, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Soweit diese Rügen auch dahin ausgelegt werden können, dass geltend gemacht wird, das Gericht habe den Umfang der gerichtlichen Kontrolle missachtet, stimmen sie mit dem vierten Rechtsmittelgrund überein und sind daher nicht eigens im Rahmen des vorliegenden Teils des fünften Rechtsmittelgrundes zu prüfen.

70      Was zudem die in Randnr. 44, erster Gedankenstrich, des vorliegenden Urteils wiedergegebene Rüge betrifft, wonach die Höhe der Beteiligung an der Tochtergesellschaft bereits genügen soll, um die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses zu begründen, ist darauf hinzuweisen, dass die Tatsache, dass es schwierig ist, den Beweis des Gegenteils zu erbringen, der notwendig ist, um eine Vermutung zu widerlegen, als solche nicht bedeutet, dass diese Vermutung tatsächlich unwiderlegbar wäre, vor allem wenn die Einheiten, denen gegenüber die Vermutung greift, am besten in der Lage sind, diesen Nachweis in ihrer eigenen Tätigkeitssphäre zu suchen.

71      Hinsichtlich des in Randnr. 44, zweiter Gedankenstrich, des vorliegenden Urteils wiedergegebenen zweiten Gesichtspunkts, den die Rechtsmittelführerin geltend macht, um nachzuweisen, dass die vom Gericht angewandte Vermutung tatsächlich unwiderlegbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn man unterstellt, das Gericht habe in Randnr. 105 des angefochtenen Urteils das im genannten zweiten Gedankenstrich erwähnte Ermessen der Kommission anerkannt, diese Anerkennung bzw. ein solches Ermessen keinen Einfluss auf die Frage hat, ob die im angefochtenen Urteil angewandte Vermutung unwiderlegbar ist. Dieser Argumentation kann daher nicht gefolgt werden.

72      Aus dem Vorstehenden folgt, dass der erste Teil des fünften Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen ist.

 Zum zweiten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, wonach die vom Gericht angewandte und auf dem Unternehmensbegriff beruhende Vermutung der Verantwortlichkeit den Grundsatz der Autonomie juristischer Personen untergrabe

–       Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

73      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das angefochtene Urteil verstoße dadurch gegen den Subsidiaritätsgrundsatz, dass es den Grundsatz der Autonomie juristischer Personen, einen der wichtigsten rechtlichen Grundlagen des Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten, in erheblicher Weise beeinträchtige.

74      Der Rechtsfehler des Gerichts bestehe darin, vorzugeben, dass es ihm freistehe, auf das Unternehmen abzustellen und zu entscheiden, auf die juristische Person, aus der sich dieses Unternehmen zusammensetze, weder den Grundsatz der Autonomie noch die Verteidigungsrechte anzuwenden.

75      Außerdem habe das Gericht es rechtsfehlerhaft als überflüssig angesehen, von der Kommission zu verlangen, dass sie in ihrer Entscheidung konkrete Indizien für die fehlende Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft der Rechtsmittelführerin auf dem Markt vorlege.

76      Die Kommission trägt vor, der Subsidiaritätsgrundsatz sei vor dem Gericht nicht geltend gemacht worden, so dass seine Verletzung ein neues Angriffsmittel darstelle, das im Stadium des Rechtsmittels unzulässig sei. Jedenfalls sei dieser Grundsatz im vorliegenden Fall in der Sache nicht anwendbar, da die Europäische Union über eine ausschließliche Zuständigkeit in diesem Bereich verfüge.

77      Im Übrigen sei der wettbewerbsrechtliche Unternehmensbegriff ein autonomer Begriff des Unionsrechts. Die „Eigenständigkeit“ einer Gesellschaft sei überdies nicht unvereinbar mit der in der Rechtsprechung aufgestellten Vermutung der tatsächlichen Kontrolle einer Muttergesellschaft über bestimmte Tochtergesellschaften.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

78      Soweit dieser Teil des Rechtsmittelgrundes aus einem Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz hergeleitet wird, ist er gemäß der in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig.

79      Sodann ist der in Randnr. 74 des vorliegenden Urteils dargelegte Vorwurf zurückzuweisen, da er sich auf eine Erwägung bezieht, die das Gericht im angefochtenen Urteil nicht angestellt oder zu verstehen gegeben hat.

80      Hinsichtlich des in Randnr. 75 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Arguments ergibt sich darüber hinaus aus den Randnrn. 56 und 57 des vorliegenden Urteils, dass die Kommission, um in einem konkreten Fall die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses zu vermuten, neben den Indizien für die Anwendbarkeit und das Eingreifen dieser Vermutung keine zusätzlichen Indizien beibringen muss (vgl. auch in diesem Sinne Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr. 62). Das Gericht hat daher dadurch, dass es, unabhängig von den Beweismitteln bezüglich des Eingreifens der fraglichen Vermutung, keine zusätzlichen konkreten Indizien für die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft der Rechtsmittelführerin auf dem Markt verlangt hat, keinen Fehler begangen.

81      Im Übrigen überschneidet sich das in der genannten Randnr. 75 dargelegte Argument, soweit gerügt wird, dass die Begründung der streitigen Entscheidung in Bezug auf die Rechtsmittelführerin nicht beanstandet worden sei, mit dem dritten Rechtsmittelgrund, so dass es im Rahmen des vorliegenden Teils des fünften Rechtsmittelgrundes nicht zu prüfen ist.

82      Daher ist der zweite Teil des fünften Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, wonach der Ermessensspielraum, der der Kommission im Rahmen der Anwendung der Vermutung der Verantwortlichkeit zuerkannt werde, das Legalitätsprinzip und den Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtige

–       Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

83      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das angefochtene Urteil verstoße gegen das Erfordernis der Klarheit und Vorhersehbarkeit von Rechtsvorschriften, das sowohl das Legalitätsprinzip als auch der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete. Aus den Randnrn. 97, 152, 167, 186 und 194 des angefochtenen Urteils ergebe sich die Auffassung des Gerichts, dass zwei Regelungen über die Verantwortlichkeit für Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht bestünden. Mit der ersten werde die unmittelbare mittäterschaftliche Beteiligung von Muttergesellschaften an Wettbewerbsverstößen geahndet, wobei eine solche Beteiligung „Ausdruck deren eigenen Willens“ sei. Mit der zweiten würden gegen die Muttergesellschaften wegen ihrer Komplizenschaft bei den Zuwiderhandlungen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften Sanktionen verhängt, jedoch ohne dass eine tatsächliche Handlung erforderlich sei, die die Komplizenschaft belege; diese Fallgestaltung ähnele somit einer Regelung über die Haftung für Handlungen Dritter.

84      Gäbe es im Wettbewerbsrecht der Union eine solche Regelung über die Haftung für das Verhalten Dritter, was nicht der Fall sei, müsste sie nach Ansicht der Rechtsmittelführerin abschließend festgelegt sein und von den Organen klar und beständig angewandt werden. Das vom Gericht in Randnr. 105 des angefochtenen Urteils anerkannte Ermessen sei jedoch mit diesem Erfordernis der Klarheit und Beständigkeit unvereinbar.

85      In diesem Zusammenhang beanstandet die Rechtsmittelführerin, was sie als „doppelte Verwechslung“ bezeichnet, die dem Gericht in Randnr. 213 des angefochtenen Urteils unterlaufen sei, nämlich erstens zwischen der Begründung der Haftung der Muttergesellschaft und deren Haftung für die Zahlung der Geldbuße und zweitens zwischen der Begründung der Haftung und der Festsetzung der Geldbußen, da das Gericht den behaupteten Ermessensspielraum der Kommission bei der Begründung der Haftung mit dem Ermessensspielraum im Bereich von Geldbußen rechtfertige.

86      Die Kommission ist der Auffassung, das Gericht räume ihr im angefochtenen Urteil keinen Entscheidungsspielraum bzw. kein Ermessen bei der Beurteilung der Frage ein, ob die Voraussetzungen dafür vorlägen, einer Muttergesellschaft die Verantwortung für eine Zuwiderhandlung zuzurechnen. Der „Entscheidungsspielraum“ bestehe erst in dem Stadium, in dem die Kommission, wenn sie die Verantwortung für eine Zuwiderhandlung mehreren Gesellschaften eines Konzerns zurechnen könne, darüber entscheide, ob sie diese allen Gesellschaften des Konzerns oder nur einigen von ihnen zurechne.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

87      Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin sowohl im Rahmen des vorliegenden Teils des fünften Rechtsmittelgrundes als auch im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes ist das Gericht in den Randnrn. 97, 152, 167, 186 und 194 des angefochtenen Urteils nicht von einer „Regelung über die Haftung für Handlungen Dritter“ im Unionsrecht ausgegangen.

88      Insoweit ist, wie das Gericht in den Randnrn. 97, 152, 167 und 186 des angefochtenen Urteils sinngemäß ausgeführt hat und wie sich aus den Randnrn. 53 bis 55 des vorliegenden Urteils ergibt, darauf hinzuweisen, dass, wenn eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft zu einem einzigen „Unternehmen“ im Sinne des Art. 101 AEUV gehören, sich die Befugnis der Kommission, die Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft zu richten, nicht erst aus einer Anstiftung im Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zur Zuwiderhandlung und schon gar nicht aus einer Beteiligung der Muttergesellschaft an dieser Zuwiderhandlung ergibt, sondern aus dem Umstand, dass die betroffenen Gesellschaften ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV darstellen.

89      Zudem geht aus Randnr. 105 des angefochtenen Urteils hervor, dass das Gericht darin auch nicht das „Ermessen, einer Gesellschaft die Verantwortung für Zuwiderhandlungen einer anderen Gesellschaft zuzurechnen“, anerkannt hat, wie die Rechtsmittelführerin dies mit ihrer in Randnr. 84 des vorliegenden Urteils dargestellten Argumentation beanstandet. In dieser Randnr. 105 hat das Gericht nämlich im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass mit der im Erwägungsgrund 260 enthaltenen Bemerkung lediglich das Argument entkräftet werden sollte, das daraus hergeleitet wurde, dass in früheren an Atofina gerichteten Entscheidungen deren Verhalten nicht der Muttergesellschaft zugerechnet worden sei. Indem das Gericht im Wesentlichen lediglich darauf hingewiesen hat, dass die Kommission in der von der Rechtsmittelführerin vor ihm beanstandeten Passage nicht behauptet habe, über ein Ermessen zu verfügen, hat es – anders als die Rechtsmittelführerin im Rahmen des vorliegenden Teils des fünften Rechtsmittelgrundes zu verstehen gibt – nicht bejaht, dass im Wettbewerbsrecht der Union eine „Regelung über die Haftung für Handlungen Dritter “ bestehe.

90      Die in den Randnrn. 83 und 84 des vorliegenden Urteils dargelegte Argumentation beruht daher auf unzutreffenden Prämissen und ist zurückzuweisen.

91      Daraus folgt auch, dass die in Randnr. 85 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Rüge, soweit sie nicht wegen mangelnder Klarheit unzulässig wäre, jedenfalls zurückzuweisen wäre, da sie nicht von der in den Randnrn. 83 und 84 des vorliegenden Urteils dargelegten Argumentation zu trennen ist.

92      Somit ist der dritte Teil des fünften Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes, wonach die Vermutung der Verantwortlichkeit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße

–        Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

93      Die Rechtsmittelführerin macht einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend, da das Gericht ausgeführt habe, dass sie und die anderen von der streitigen Entscheidung betroffenen Muttergesellschaften in gleicher Weise behandelt worden seien.

94      Nach Ansicht der Kommission bedeutet die bloße Tatsache, dass die streitige Entscheidung über den Hinweis auf die Vermutung der von der Muttergesellschaft über ihre 100%igen Tochtergesellschaften ausgeübten Kontrolle hinaus weitere Indizien gegen die Muttergesellschaft der Akzo Nobel-Gruppe enthalte, nicht, dass die Kommission oder das Gericht die Rechtsmittelführerin diskriminiert hätten. Dies bedeute lediglich, dass die Indizien, die dafür sprächen, der Akzo Nobel NV die Verantwortung für eine Zuwiderhandlung zuzurechnen, „stärker“ seien, ohne dass deswegen die Gesichtspunkte, die es erlaubten, der Rechtsmittelführerin die Verantwortung für die Zuwiderhandlung von Atofina zuzurechnen, unzureichend wären.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

95      Wie in Randnr. 63 des vorliegenden Urteils ausgeführt, stellt die Rechtsmittelführerin im vorliegenden Fall weder die Rechtmäßigkeit der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses, wie sie in den Randnrn. 56 und 57 des vorliegenden Urteils dargelegt ist, als solche noch die Geltung einer derartigen Vermutung in einem Fall, in dem eine Muttergesellschaft 98 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, in Abrede.

96      Aus den Randnrn. 56, 57 und 80 des vorliegenden Urteils ergibt sich jedoch, dass das Eingreifen der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses nicht von der Beibringung zusätzlicher Indizien für die tatsächliche Einflussnahme durch die Muttergesellschaft abhängt (vgl. auch in diesem Sinne Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr. 62).

97      Daher begründet die bloße Tatsache, dass die Kommission in Bezug auf einige Muttergesellschaften über solche zusätzlichen Indizien verfügte, nicht aber in Bezug auf andere, und dass sie diese zusätzlichen Indizien in der streitigen Entscheidung erwähnt hat, keinen Rechtsfehler, den das Gericht im angefochtenen Urteil hätte ahnden müssen.

98      Daraus folgt, dass der vierte Teil des fünften Rechtsmittelgrundes und damit dieser Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen ist.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verletzung der Verteidigungsrechte aufgrund der unzutreffenden Auslegung der Grundsätze der Billigkeit und der Waffengleichheit

99      Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, Randnr. 64 des angefochtenen Urteils sei mit einem Rechtsfehler behaftet, da das Gericht darin gegen den Grundsatz der Waffengleichheit verstoße. Wie sich ausdrücklich aus dem Rechtsmittel selbst ergibt, gehören dieser Teil des Rechtsmittelgrundes und die im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes geltend gemachte Rüge, die in Randnr. 32, erster Gedankenstrich des vorliegenden Urteils dargelegt ist, zusammen.

100    Im Wesentlichen gliedert sich der zweite Rechtsmittelgrund in zwei Teile, die gemeinsam zu behandeln sind.

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

101    Der erste Teil wird aus einer Verletzung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin vom ersten Verfahrensstadium an hergeleitet.

102    Elf Aquitaine trägt vor, das Gericht habe der vor der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte geführten Untersuchung im Hinblick auf ihre Verteidigungsrechte jegliche Bedeutung abgesprochen. Sie wirft dem Gericht vor, festgestellt zu haben, dass der Grundsatz der Waffengleichheit beachtet worden sei, obwohl die Rechtsmittelführerin erstmals in der Mitteilung der Beschwerdepunkte über die gegen sie bestehenden Verdachtsmomente informiert worden sei.

103    Eine solche Verletzung der Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin vom ersten Stadium des Verwaltungsverfahrens an sei aus drei Gründen unzulässig:

–        Zunächst dürfe das Gericht angesichts des repressiven Charakters der Sanktionen nach Art. 101 AEUV nicht davon ausgehen, dass die sich aus Art. 6 EMRK ergebenden Garantien ab der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte, nicht aber in der vorausgehenden Phase der Untersuchung gälten.

–        Sodann sei es umso wichtiger gewesen, das Recht, von Beginn der Untersuchung an informiert und angehört zu werden, zu beachten, da die Rechtsmittelführerin nicht an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei und bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie begangen worden sei, nicht einmal von ihr gewusst habe.

–        Schließlich sei die Rechtsmittelführerin, da sie nicht über die Untersuchung informiert worden und erst im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte zum ersten Mal über die gegen sie bestehenden Verdachtsmomente in Kenntnis gesetzt worden sei, nicht in der Lage gewesen, die notwendigen Maßnahmen zur zweckdienlichen Vorbereitung ihrer Verteidigung zu ergreifen. Insoweit sei das Gericht nicht auf die von ihr in der mündlichen Verhandlung dargelegten Argumente eingegangen, wonach sie möglicher Beweise für die Eigenständigkeit ihrer Tochtergesellschaft während der vier Jahre der Untersuchung, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorausgegangen sei, hätte verlustig gehen können, was ihre Verteidigungsrechte unwiederbringlich beeinträchtigt hätte.

104    Die Kommission macht geltend, da sie im vorliegenden Fall keine Untersuchungsmaßnahmen gegenüber der Rechtsmittelführerin durchgeführt habe, sei sie nicht verpflichtet gewesen, dieser die Verdachtsmomente von der Voruntersuchung an mitzuteilen.

105    Außerdem trägt sie u. a. insbesondere vor, dass, selbst wenn man die von der Rechtsmittelführerin behauptete Unregelmäßigkeit als gegeben unterstellte, jedenfalls zu prüfen sei, ob eine solche Unregelmäßigkeit ihre Verteidigungsrechte im streitigen Verfahren konkret habe beeinträchtigen können. Die Möglichkeit der Rechtsmittelführerin, zu versuchen, die in Rede stehende Vermutung zu widerlegen oder geltend zu machen, dass diese Vermutung nicht eingreife, sei in keiner Weise dadurch beeinträchtigt worden, dass sie erst bei Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte von den gegen sie bestehenden Verdachtsmomenten erfahren habe. Da der angebliche Verlust von Beweismitteln für die Autonomie der Tochtergesellschaft während des betreffenden Zeitraums erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei, sei das daraus hergeleitete Argument unzulässig. Im Übrigen werde diese Behauptung durch kein Indiz gestützt.

106    Der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes wird aus der Negierung der Notwendigkeit einer unparteiischen Untersuchung hergeleitet.

107    Hierzu trägt die Rechtsmittelführerin vor, das Gericht habe die für die Kommission bestehende Notwendigkeit, eine Voruntersuchung unparteiisch durchzuführen, in Abrede gestellt.

108    Eine solche Negierung ist nach Ansicht der Rechtsmittelführerin unzulässig, da erstens eine unparteiische Untersuchung die erforderliche Vorstufe darstelle, um der Kommission zu erlauben, gegebenenfalls eine Verfolgungsmaßnahme wie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zu erlassen.

109    Zweitens habe das Gericht dadurch, dass es die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung in Abrede gestellt habe, das Erfordernis der unparteiischen Durchführung der Untersuchung missachtet, die u. a. nach dem Grundsatz der Waffengleichheit geboten sei. Mit diesem Standpunkt habe sich das Gericht unter Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren und den Gleichheitsgrundsatz von jeder Verpflichtung zur Kontrolle der Unparteilichkeit der Untersuchung frei gemacht. Das Fehlen einer solchen Kontrolle der Unparteilichkeit der von der Kommission durchgeführten Untersuchung durch das Gericht sei darauf zurückzuführen, dass das Gericht es gutgeheißen habe, dass die Vermutung der Verantwortlichkeit gegenüber der Rechtsmittelführerin von Beginn der Untersuchung an und sogar ab dem Zeitpunkt, in dem die Zuwiderhandlung der Kommission zum allerersten Mal angezeigt worden sei, angewandt worden sei.

110    In diesem Zusammenhang macht die Rechtsmittelführerin geltend, der zwangsläufig parteiische Charakter der gegen sie geführten Untersuchung beruhe auf der Konzentration der drei verschiedenen Befugnisse der Untersuchung, der Verfolgung und der Entscheidung bei der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission. Eine solche Konfusion von Befugnissen bei der Kommission könne angesichts des nunmehr deutlich repressiven Charakters der Sanktionen nach Art. 101 AEUV nicht hingenommen werden.

111    Nach Ansicht der Kommission ist der Rechtsmittelführerin der Nachweis nicht gelungen, dass das Gericht es abgelehnt habe, die Unparteilichkeit ihrer Untersuchung nachzuprüfen. Hinsichtlich der aus der Konzentration von Befugnissen bei der Kommission hergeleiteten Argumentation der Rechtsmittelführerin (vgl. vorstehende Randnr. 110), macht die Kommission in erster Linie geltend, dass sie unzulässig sei, und hilfsweise, dass sie jedenfalls einer sachlichen Grundlage entbehre.

 Würdigung durch den Gerichtshof

112    Nach ständiger Rechtsprechung, wie sie in Art. 6 Abs. 3 EUV bestätigt wird, sind die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. So hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Beachtung der Verteidigungsrechte bei der Durchführung von Verwaltungsverfahren im Bereich der Wettbewerbspolitik einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

113    Hinsichtlich eines Verfahrens zur Anwendung von Art. 81 EG ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass das Verwaltungsverfahren vor der Kommission in zwei unterschiedliche, aufeinanderfolgende Abschnitte unterteilt ist, die jeweils einer eigenen inneren Logik folgen, nämlich einen Abschnitt der Voruntersuchung und einen kontradiktorischen Abschnitt. Der Abschnitt der Voruntersuchung, der sich bis zur Mitteilung der Beschwerdepunkte erstreckt, soll es der Kommission ermöglichen, alle relevanten Elemente zusammenzutragen, durch die das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften bestätigt oder nicht bestätigt wird, und eine erste Position zur Ausrichtung und zum weiteren Gang des Verfahrens einzunehmen. Der kontradiktorische Abschnitt, der sich von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der endgültigen Entscheidung erstreckt, soll es ihr ermöglichen, sich abschließend zu der gerügten Zuwiderhandlung zu äußern (vgl. u. a. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnrn. 181 bis 183, und Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 27).

114    Zum Abschnitt der Voruntersuchung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass diese dann beginnt, wenn die Kommission in Ausübung der Befugnisse, die ihr der Unionsgesetzgeber verliehen hat, Maßnahmen trifft, die mit dem Vorwurf verbunden sind, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Einheiten haben (vgl. Urteile Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 182, und vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, Slg. 2006, I‑8725, Randnr. 38).

115    Erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens wird die betroffene Einheit durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt. Folglich kann sie die Verteidigungsrechte erst nach Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte umfassend geltend machen (vgl. in diesem Sinne Urteile Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnrn. 315 und 316, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, Randnr. 47, und vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, Slg. 2007, I‑829, Randnr. 59).

116    Vor diesem Hintergrund können die von der Kommission im Abschnitt der Voruntersuchung ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere die Nachprüfungsmaßnahmen und die Auskunftsverlangen in bestimmten Fällen naturgemäß den Vorwurf eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union implizieren und erhebliche Auswirkungen auf die Situation der betroffenen Einheiten haben.

117    Es muss daher verhindert werden, dass die Verteidigungsrechte in diesem Abschnitt des Verwaltungsverfahrens unwiederbringlich beeinträchtigt werden, da die ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet sind, deren Haftung zu begründen, von entscheidender Bedeutung sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, Slg. 1989, 2859, Randnr. 15, und vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 63).

118    Daher hat der Gerichtshof hinsichtlich der Einhaltung einer angemessenen Frist sinngemäß entschieden, dass die Beurteilung der Quelle etwaiger Beeinträchtigungen der wirksamen Ausübung der Verteidigungsrechte nicht auf den kontradiktorischen Abschnitt des Verwaltungsverfahrens beschränkt sein darf, sondern sich auf das gesamte Verwaltungsverfahren erstrecken und es in voller Länge einbeziehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteile Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, Randnrn. 49 und 50, und vom 21. September 2006, Technische Unie/Kommission, C‑113/04 P, Slg. 2006, I‑8831, Randnrn. 54 und 55).

119    Entsprechende Erwägungen gelten für die Frage, ob und inwieweit die Kommission verpflichtet ist, die betroffene Einheit bereits ab dem Abschnitt der Voruntersuchung bestimmte Informationen zum Gegenstand und zum Zweck der Ermittlungen zur Verfügung zu stellen, die dieses Unternehmen in die Lage versetzen, die Wirksamkeit seiner Verteidigung im Rahmen des kontradiktorischen Abschnitts zu wahren.

120    Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kommission eine Einheit in jedem Fall bereits ab der ersten gegenüber dieser ergriffenen Maßnahme sogar auf die Möglichkeit von auf das Wettbewerbsrecht der Union gestützten Ermittlungs- oder Verfolgungsmaßnahmen hinweisen muss, vor allem, wenn dadurch die Effizienz der von der Kommission geführten Untersuchung unangemessen beeinträchtigt werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Dalmine/Kommission, Randnr. 60).

121    Darüber hinaus hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit es der Kommission nicht verbietet, ins Auge zu fassen, zunächst die Gesellschaft, die einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln begangen hat, mit einer Sanktion zu belegen, bevor sie untersucht, ob die Zuwiderhandlung gegebenenfalls deren Muttergesellschaft zugerechnet werden kann (vgl. Urteil vom 24. September 2009, Erste Group Bank u. a./Kommission, C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P und C‑137/07 P, Slg. 2009, I‑8681, Randnr. 82).

122    Sofern der Adressat einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzt wird, seinen Standpunkt zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission behaupteten Tatsachen und Umstände im Lauf des kontradiktorischen Verwaltungsverfahrens in geeigneter Weise zu Gehör zu bringen, ist die Kommission daher entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin grundsätzlich nicht verpflichtet, vor Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Ermittlungsmaßnahme an diesen Adressaten zu richten.

123    Dieses Ergebnis vermag im vorliegenden Fall durch die in den Randnrn. 109 und 110 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Argumente nicht in Frage gestellt zu werden.

124    Das in Randnr. 110 des vorliegenden Urteils dargestellte Argument ist nämlich aus denselben Gründen wie den in den Randnrn. 35 und 51 des vorliegenden Urteils genannten unzulässig.

125    Was die in Randnr. 109 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Argumentation betrifft, ergibt sich zwar aus den beim Gericht eingereichten Unterlagen, dass die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht geltend gemacht hat, dass unmittelbar ihr gegenüber keine Voruntersuchungsmaßnahmen getroffen worden seien; aus diesen Unterlagen ergibt sich jedoch nicht, dass sie beantragt hat, eine behauptete Parteilichkeit der von der Kommission in dieser Sache geführten Ermittlungen oder das Fehlen einer Ermittlungsmaßnahme als solches zu ahnden.

126    Daher ist die in Randnr. 109 wiedergegebene Argumentation nach der in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung als unzulässig zurückzuweisen.

127    Hinsichtlich des in Randnr. 103, dritter Gedankenstrich, des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Arguments genügt der Hinweis, dass es sich auf eine Erwägung bezieht, die das Gericht im angefochtenen Urteil nicht angestellt oder zu verstehen gegeben hat, so dass dieses Argument zurückzuweisen ist.

128    Was ferner die in Randnr. 103, zweiter Gedankenstrich, des vorliegenden Urteils wiedergegebene Argumentation betrifft, ergibt sich aus den Randnrn. 88 und 121 des vorliegenden Urteils, dass der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit es der Kommission nicht verbietet, nachdem sie zunächst ins Auge gefasst hatte, die Gesellschaft, die einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln begangen hat, mit einer Sanktion zu belegen, zu untersuchen, ob die Zuwiderhandlung gegebenenfalls deren Muttergesellschaft zugerechnet werden kann.

129    Zu der in Randnr. 103, dritter Gedankenstrich, des vorliegenden Urteils wiedergegebene Argumentation schließlich ist, selbst wenn man annimmt, dass sie ungeachtet der in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils dargelegten Rechtsprechung insofern zulässig ist, als sie aus der Erweiterung eines in der Klageschrift vorgebrachten Angriffsmittels in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht hervorgeht, festzustellen, dass es sich um bloße Behauptungen handelt, die durch keine konkreten Elemente untermauert sind.

130    Diese allgemeine, abstrakte und unsubstantiierte Argumentation ist letztlich nicht geeignet, das Vorliegen einer Verletzung der Verteidigungsrechte im vorliegenden Fall zu belegen, das anhand der konkreten Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen ist (vgl. entsprechend Urteil Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, Randnrn. 52 bis 61).

131    Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Begründungspflicht

 Zum ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes, der aus einem Rechtsfehler in Bezug auf den Begriff „Begründung“ und in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaften Feststellungen des Gerichts, soweit das Gericht die knappe Begründung der streitigen Entscheidung als ausreichend angesehen hat, hergeleitet wird


 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

132    Mit der ersten im dritten Rechtsmittelgrund enthaltenen Rüge macht die Rechtsmittelführerin erstens geltend, dass sich das Gericht auf eine unrichtige Vorstellung von der Begründungspflicht gestützt habe.

133    Elf Aquitaine ist der Auffassung, das Gericht hätte feststellen müssen, dass die streitige Entscheidung bezüglich der Zurechnung der fraglichen Zuwiderhandlung nicht so ausreichend begründet gewesen sei, dass sie hätte erkennen können, ob diese Entscheidung richtig oder möglicherweise mit inhaltlichen oder formalen Fehlern behaftet sei.

134    Anders als das Gericht in den Randnrn. 81, 82 und 89 des angefochtenen Urteils entschieden habe, genüge es im vorliegenden Fall nicht, dass die Rechtsmittelführerin der streitigen Entscheidung bloß entnehmen könne, dass die Kommission ihr vorwerfe, einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik von Atofina auszuüben. Da die streitige Entscheidung im Unterschied zur Mitteilung der Beschwerdepunkte keine vorbereitende Maßnahme sei, hätte ihre Begründung vielmehr so präzise sein müssen, es zum einen der Rechtsmittelführerin zu erlauben, die Gründe für den Erlass dieser Entscheidung zu erfahren und die darin enthaltene Argumentation zu bewerten, um zu entscheiden, ob sie Klage erheben solle oder nicht, und es zum anderen dem Gericht zu ermöglichen, seine Rechtmäßigkeitskontrolle auszuüben, wenn ihm die streitige Entscheidung vorgelegt werde.

135    Diese Begründung hätte umso genauer sein müssen, als i) die Rechtsmittelführerin vor Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht über das gegen sie eingeleitete Ermittlungen informiert gewesen sei, ii) diese Ermittlungen sich ausschließlich auf eine Vermutung der Verantwortlichkeit gründeten, die nicht durch den geringsten konkreten tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt sei und die zu widerlegen sich als unmöglich herausgestellt habe, iii) die Kommission von ihrer üblichen Entscheidungspraxis abgewichen sei und iv) die streitige Entscheidung dazu führe, mehrere Grundrechte der Rechtsmittelführerin in Frage zu stellen.

136    Zu dem dritten, in der vorstehenden Randnummer unter iii) angeführten Argument macht die Rechtsmittelführerin u. a. geltend, die Kommission habe im Erwägungsgrund 574 ihrer Entscheidung vom 1. Oktober 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/C.39181 – Kerzenwachse) (Zusammenfassung veröffentlicht im ABl. 2009, C 295, S. 17) eingeräumt, dass die streitige Entscheidung insbesondere in Bezug auf die Rechtsmittelführerin einen Bruch mit ihrer früheren Entscheidungspraxis darstelle. Insoweit verweist die Rechtsmittelführerin auch auf die Entscheidung organische Peroxide (in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils angeführt), in der ihr unter Umständen, die denen des vorliegenden Falls sehr ähnlich seien, das kollusive Verhalten ihrer Tochtergesellschaft Atofina nicht angelastet worden sei.

137    Zweitens macht Elf Aquitaine geltend, dass die Feststellung des Gerichts, die Begründung der streitigen Entscheidung sei ausreichend, auf sachlich unzutreffenden Tatsachenfeststellungen beruhe, da die Begründung nicht nur knapp, sondern ungenügend sei, ja sogar völlig fehle.

138    Zum einen sei die streitige Entscheidung auf bestimmte spezifische Argumente, die auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hin vorgebracht worden seien, nicht eingegangen.

139    Zum anderen habe sich die Kommission in der streitigen Entscheidung damit begnügt, die übrigen Argumente der Rechtsmittelführerin pauschal und ohne Erläuterungen allgemein und unterschiedslos zurückzuweisen. Sie habe z. B. nicht angegeben, welche der bei ihr eingereichten Dokumente nach ihrer Ansicht nur „grundsätzliche Informationen oder Hintergrundinformationen über den Konzern“ lieferten.

140    Daher hätte das Gericht die streitige Entscheidung nach Auffassung der Rechtsmittelführerin wegen unzureichender Begründung für nichtig erklären müssen.

141    Die Kommission vertritt zunächst die Ansicht, dass dieser Teil des Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen sei, da die beanstandeten Teile des angefochtenen Urteils bzw. die zur Stützung dieses Teils des Rechtsmittelgrundes geltend gemachten rechtlichen Argumente nicht genau bezeichnet seien.

142    Des Weiteren seien die Rechtsprechung und die Entscheidungspraxis der Kommission im Bereich der Haftung von Muttergesellschaften von Beginn des Verfahrens an, das zu der streitigen Entscheidung geführt habe, durchaus bekannt gewesen.

143    Auch wenn das Verfahren, das zum Erlass der streitigen Entscheidung geführt habe, im Hinblick auf den relevanten Sachverhalt keine bedeutenden objektiven Unterschiede zu demjenigen, das der Entscheidung organische Peroxide zugrunde liege, aufzuweisen scheine, lasse sich das unterschiedliche Vorgehen der Kommission zum einen damit erklären, dass zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Zusammenhang mit der Entscheidung organische Peroxide und der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Zusammenhang mit der streitigen Entscheidung das Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Michelin/Kommission (T‑203/01, Slg. 2003, II‑4071), ergangen sei, und zum anderen damit, dass die Kommission ihr Vorgehen um die Jahre 2002–2003 herum geändert habe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

144    Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus Art. 256 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 112 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss (vgl. u. a. Urteil vom 1. Juli 2010, Knauf Gips/Kommission, C‑407/08 P, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

145    Entgegen dem in Randnr. 141 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vorbringen der Kommission erfüllt der vorliegende Teil des Rechtsmittelgrundes die Anforderungen dieser Rechtsprechung und ist zulässig.

146    Hinsichtlich der Begründetheit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei der in Art. 253 EG vorgesehenen Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (vgl. Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 67, und vom 22. März 2001, Frankreich/Kommission, C‑17/99, Slg. 2001, I‑2481, Randnr. 35).

147    Unter diesem Blickwinkel muss die nach Art. 253 EG erforderliche Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteile Frankreich/Kommission, Randnr. 35 und Deutsche Telekom/Kommission, Randnr. 130).

148    Im Zusammenhang mit Einzelentscheidungen ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck hat, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (vgl. u. a. in diesem Sinne Urteile vom 2. Oktober 2003, Corus UK/Kommission, C‑199/99 P, Slg. 2003, I‑1177, Randnr. 145, und vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 462).

149    Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (vgl. Urteile vom 26. November 1981, Michel/Parlament, 195/80, Slg. 1981, 2861, Randnr. 22, vom 26. September 2002, Spanien/Kommission, C‑351/98, Slg. 2002, I‑8031, Randnr. 84, vom 29. April 2004, IPK-München und Kommission, C‑199/01 P und C‑200/01 P, Slg. I‑4627, Randnr. 66, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 463).

150    Nach ständiger Rechtsprechung ist das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. u. a. Urteile Kommission/Sytraval und Brink’s France, Randnr. 63, vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, Slg. 2008, I‑4951, Randnrn. 166 und 178, und Deutsche Telekom/Kommission, Randnr. 131).

151    Nach der Rechtsprechung muss die Begründung eines Rechtsakts jedoch auch folgerichtig sein und darf insbesondere keine inneren Widersprüche aufweisen, die das Verständnis der Gründe, die diesem Rechtsakt zugrunde liegen, erschweren (vgl. entsprechend Urteil Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, Randnr. 169 und die dort angeführte Rechtsprechung).

152    Betrifft eine wie im vorliegenden Fall an eine Mehrzahl von Adressaten gerichtete Entscheidung zur Anwendung des Wettbewerbsregeln der Union die Zurechnung der Zuwiderhandlung, muss sie in Bezug auf jeden Adressaten hinreichend begründet sein, insbesondere aber in Bezug auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung in der Entscheidung zugerechnet wird. Daher muss eine solche Entscheidung in Bezug auf die Muttergesellschaft, die für die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft haftbar gemacht wird, eine ausführliche Darlegung der Gründe enthalten, die die Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaft rechtfertigt (vgl. entsprechend Urteil vom 2. Oktober 2003, Aristrain/Kommission, C‑196/99 P, Slg. 2003, I‑11005, Randnrn. 93 bis 101).

153    Was insbesondere eine Entscheidung der Kommission anbelangt, die im Hinblick auf bestimmte Adressaten ausschließlich auf die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses gestützt ist, so ist festzustellen, dass die Kommission – da diese Vermutung andernfalls praktisch nicht zu widerlegen wäre – auf jeden Fall verpflichtet ist, diesen Adressaten angemessen die Gründe darlegen, aus denen die geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte nicht ausgereicht haben, um die Vermutung zu widerlegen. Die Verpflichtung der Kommission, ihre Entscheidungen insoweit zu begründen, ergibt sich vor allem aus der Widerlegbarkeit dieser Vermutung, zu deren Widerlegung die Betroffenen einen Beweis zu den wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen den betroffenen Gesellschaften erbringen müssten.

154    Doch ist die Kommission in einem solchen Kontext nicht verpflichtet, zu Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, die offensichtlich neben der Sache liegen oder keine oder eindeutig untergeordnete Bedeutung haben (vgl. entsprechend Urteile Kommission/Sytraval und Brink’s France, Randnr. 64, vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a., C‑341/06 P und C‑342/06 P, Slg. 2008, I‑4777, Randnr. 89, und Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, Randnr. 167).

155    Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass eine Entscheidung der Kommission, die sich in eine ständige Entscheidungspraxis einfügt, summarisch, insbesondere unter Bezugnahme auf diese Praxis, begründet sein kann; geht sie jedoch über die früheren Entscheidungen merklich hinaus, hat die Kommission ihre Erwägungen explizit darzulegen (vgl. u. a. Urteile vom 26. November 1975, Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, 73/74, Slg. 1975, 1491, Randnr. 31, und vom 11. Dezember 2008, Kommission/Département du Loiret, C‑295/07 P, Slg. 2008, I‑9363, Randnr. 44).

156    Mit diesem Teil des dritten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen geltend, das Gericht hätte beanstanden müssen, dass die streitige Entscheidung unzureichend begründet sei, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrifft.

157    Wie sich aus Randnr. 87 des angefochtenen Urteils und aus den dem Gericht unterbreiteten Akten ergibt, sind die Argumente, die die Rechtsmittelführerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgebracht hat, um die von der Kommission herangezogene Vermutung zu widerlegen, im Erwägungsgrund 257 der streitigen Entscheidung kurz aufgeführt. Die Stellungnahme der Kommission zu diesen Gesichtspunkten ist in den Erwägungsgründen 258 bis 261 dieser Entscheidung enthalten.

158    Im Hinblick auf diese Erwägungsgründe gibt das Gericht den wesentlichen Inhalt des Erwägungsgrundes 258 der streitigen Entscheidung in Randnr. 85 des angefochtenen Urteils wieder und stellt in der folgenden Randnummer fest: „Obwohl die Kommission [in diesem] Erwägungsgrund … ausdrücklich ausgeführt hat, dass die Beteiligung zu 98 % ausreiche, um die Haftung von Elf Aquitaine für die Handlungen von Atofina zu begründen, hat sie im genannten Erwägungsgrund gleichwohl präzisiert, dass die von der [Rechtsmittelführerin] vorgelegten Beweise nicht ausreichten, um die Vermutung zu widerlegen.“

159    Zwar geht die Kommission in den Erwägungsgründen 259 bis 261 der streitigen Entscheidung auf einige von der Rechtsmittelführerin vor ihr geltend gemachte Argumente ein, nicht jedoch auf mehrere andere Argumente, zu denen sich in der streitigen Entscheidung nur im genannten Erwägungsgrund 258 eine Stellungnahme findet. Entsprechend der in den Randnrn. 54 bis 58 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung bezogen sich diese Argumente insbesondere auf wirtschaftliche, organisatorische und rechtliche Gesichtspunkte, um darzutun, dass Atofina ihr Marktverhalten im maßgeblichen Zeitraum autonom bestimmt und nicht im Wesentlichen Weisungen ihrer Muttergesellschaft befolgt habe.

160    Im Wesentlichen handelt es sich um folgende Gesichtspunkte:

–        Elf Aquitaine sei lediglich eine „reine Holdinggesellschaft“ ohne eigene Geschäftstätigkeit innerhalb eines Konzerns, der durch eine dezentralisierte Leitung seiner Tochtergesellschaften gekennzeichnet sei;

–        die Leitung der Tätigkeit von Atofina auf dem Markt habe nicht den Weisungen von Elf Aquitaine unterlegen;

–        Atofina habe Elf Aquitaine nicht über ihre Tätigkeit auf dem Markt unterrichtet;

–        Atofina sei befugt, ohne vorherige Genehmigung von Elf Aquitaine Verträge abzuschließen;

–        Atofina sei gegenüber Elf Aquitaine finanziell eigenständig;

–        Atofina habe ihre rechtliche Strategie stets autonom festgelegt;

–        die Wahrnehmung Dritter.

161    Zwar braucht die Kommission, wie sich aus den Randnrn. 150 und 154 des vorliegenden Urteils ergibt und wie das Gericht in Randnr. 90 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, nicht unbedingt auf alle Argumente einzugehen, die die Betroffenen vor ihr geltend gemacht haben.

162    Aus Randnr. 150 des vorliegenden Urteils geht jedoch auch hervor, dass das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist.

163    Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin zeichnen sich die streitige Entscheidung und das Verfahren, in dem sie ergangen sei, insbesondere dadurch aus, dass die Entscheidung u. a. dadurch von der üblichen Entscheidungspraxis der Kommission abweiche, dass sie sich in Bezug auf die Rechtsmittelführerin ausschließlich auf eine Vermutung der Verantwortlichkeit für die Handlungen ihrer Tochtergesellschaft stütze, ohne dass zusätzliche Gesichtspunkte beigebracht würden, die eine Einmischung in das Marktverhalten dieser Tochtergesellschaft belegten.

164    Hierzu trägt die Kommission vor, die Rechtsprechung und ihre eigene Entscheidungspraxis im Bereich der Haftung von Muttergesellschaften seien von Beginn des Verfahrens an, das zu der streitigen Entscheidung geführt habe, durchaus bekannt gewesen. In ihren Schriftsätzen gibt sie jedoch an, dass „die Praxis der Kommission in Bezug auf die Anwendung der Vermutung, die auf die 100%ige Kapitalbeteiligung gegründet ist, nicht immer identisch war“. Außerdem behauptet die Kommission zwar, „um 2002–2003“ entschieden zu haben, diese Vermutung systematischer anzuwenden, doch weist sie auf keine Entscheidung und kein anderes Dokument hin, aus dem sich eine solche Änderung des Vorgehens ergäbe. Darüber hinaus geht sie nicht direkt auf die Äußerung der Rechtsmittelführerin ein, wonach im Erwägungsgrund 574 der in Randnr. 136 des vorliegenden Urteils angeführten Entscheidung vom 1. Oktober 2008 eingeräumt worden sei, dass die streitige Entscheidung insbesondere in Bezug auf die Rechtsmittelführerin einen Bruch mit der früheren Entscheidungspraxis darstelle.

165    Wie sich insbesondere aus den Randnrn. 136 und 143 des vorliegenden Urteils ergibt, steht im vorliegenden Fall jedenfalls fest, dass in der Entscheidung organische Peroxide vom 10. Dezember 2003 gegen die Rechtsmittelführerin nicht als Gesamtschuldnerin mit ihrer Tochtergesellschaft eine Geldbuße wegen deren Zuwiderhandlung verhängt wurde, obwohl in den beiden Fällen offenbar – zumindest aus der Sicht der Rechtsmittelführerin – keine objektiven Unterschiede hinsichtlich der Bindungen zwischen ihr und ihrer Tochtergesellschaft bestehen.

166    Die streitige Entscheidung und das Verfahren, in dem sie ergangen ist, zeichnen sich darüber hinaus durch folgende Umstände aus:

–        Da die wegen der Zuwiderhandlung von Atofina verhängte Geldbuße gegen Atofina und die Rechtsmittelführerin als Gesamtschuldnerinnen festgesetzt wurde, wurde für die Berechnung des Ausgangsbetrags der Geldbuße ein höherer Multiplikationsfaktor verwendet, so dass der Endbetrag der Geldbuße möglicherweise sehr viel höher ist, als wenn nur gegen die Tochtergesellschaft eine Geldbuße verhängt worden wäre.

–        Die Geldbuße wurde gegen die Rechtsmittelführerin auf der alleinigen Grundlage einer „Annahme, dass Elf Aquitaine für die Handlungen ihrer Tochtergesellschaft verantwortlich sei“, verhängt; diese Annahme ist in ihrer Anwendung nicht unbedingt identisch mit der in den Randnrn. 56 und 57 des vorliegenden Urteils dargestellten Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses.

–        Wie sich aus dem Abschnitt des vorliegenden Urteils, in dem der zweite Rechtsmittelgrund behandelt wird, ergibt, wurde der Rechtsmittelführerin erst im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte und somit vier Jahre nach Aufnahme der Ermittlungen der Kommission förmlich mitgeteilt, dass ihr möglicherweise die Verantwortung für die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft zugerechnet werde.

–        Auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte legte die Rechtsmittelführerin, wie sich aus den Akten des Verfahrens vor dem Gericht ergibt, ein ganze Reihe von Argumenten vor, wobei sie sich u. a. auf die Unionsrechtsprechung, die Entscheidungspraxis der Kommission und bestimmte beigefügte Dokumente stützte.

167    Unter diesen Umständen hatte das Gericht, wie sich aus den Randnrn. 146 bis 155 des vorliegenden Urteils, insbesondere Randnrn. 148, 152, 153 und 155 ergibt, unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls, insbesondere der – im vorliegenden Verfahren nicht bestrittenen – Änderung des Vorgehens gegenüber der Rechtsmittelführerin zwischen der Entscheidung organische Peroxide und der streitigen Entscheidung, besonderes Augenmerk auf die Frage zu legen, ob die streitige Entscheidung eine ausführliche Darlegung der Gründe enthielt, aus denen die Kommission die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Gesichtspunkte nicht als ausreichend ansah, um die in dieser Entscheidung herangezogene Vermutung zu widerlegen.

168    Wie sich aus Randnr. 85 des angefochtenen Urteils ergibt, besteht der Erwägungsgrund 258 der streitigen Entscheidung, der die einzige Stellungnahme der Kommission zu den in Randnr. 160 des vorliegenden Urteils aufgeführten Argumenten darstellt, lediglich aus einer Reihe bloßer Behauptungen und Negierungen, die sich wiederholen und in keiner Weise substantiiert sind. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls können die Betroffenen dieser Reihe von Behauptungen und Negierungen ohne ergänzende Angaben nicht die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe nicht wahrnehmen. Wegen der Formulierung des genannten Erwägungsgrundes 258 stellt es sich z. B. als sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, dar, insbesondere zu erkennen, ob das Indizienbündel, das die Rechtsmittelführerin vorgelegt hat, um die von der Kommission auf sie angewandte Vermutung zu widerlegen, zurückgewiesen wurde, weil der Nachweis nicht erbracht wurde oder weil nach Ansicht der Kommission der bloße Umstand, dass die Rechtsmittelführerin zu 98 % am Kapital von Atofina beteiligt war, ausreichte, um sie für die Handlungen von Atofina unabhängig von den Indizien, die sie auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgelegt hatte, haftbar zu machen.

169    Somit kann der Erwägungsgrund 258 der streitigen Entscheidung nicht als rechtlich hinreichende Begründung des Standpunkts der Kommission zu mehreren detaillierten Argumenten der Rechtsmittelführerin aufgefasst werden.

170    Angesichts des Vorstehenden ist festzustellen, dass das Gericht unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls und unter Berücksichtigung der in den Randnrn. 147 bis 155 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es in Randnr. 91 des angefochtenen Urteils angenommen hat, die streitige Entscheidung stehe im Einklang mit Art. 253 EG, und den Begründungsmangel nicht beanstandet hat, mit dem die streitige Entscheidung behaftet ist, soweit sie die gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbuße betrifft.

171    Folglich greift der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes durch.

 Zum zweiten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes sowie zum vierten und zum sechsten Rechtsmittelgrund

172    Der zweite Teil des dritten Rechtsmittelgrundes wird im Wesentlichen daraus hergeleitet, dass bestimmte Elemente der Überlegungen des Gerichts unverständlich seien und einen Zirkelschluss darstellten.

173    Mit dem vierten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe in den Randnrn. 160 ff. des angefochtenen Urteils die Grenzen seiner Rechtmäßigkeitskontrolle überschritten und seine eigene Begründung an die Stelle der unzureichenden Begründung der Kommission gesetzt.

174    Wie sich aus Randnr. 27 des vorliegenden Urteils ergibt, wird der sechste Rechtsmittelgrund hilfsweise geltend gemacht.

175    In Anbetracht der Entscheidung über den ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes sind weder dessen zweiter Teil noch der vierte oder der sechste Rechtsmittelgrund zu prüfen.

176    Nach alledem ist dem Rechtsmittel stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben.

 Zur Klage vor dem Gericht

177    Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.

178    Wie sich aus Randnr. 9 des vorliegenden Urteils ergibt, wird der zweite vor dem Gericht geltend gemachte Klagegrund aus einer unzureichenden Begründung hergeleitet. Mit diesem Klagegrund macht die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen geltend, die streitige Entscheidung sei unzureichend begründet, soweit ihr die Verantwortung für die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft auf der alleinigen Grundlage der Höhe ihrer Beteiligung an deren Kapital und ohne weitere Erklärung zugerechnet werde.

179    In Anbetracht der in den Randnrn. 144 bis 171 des vorliegenden Urteils enthaltenen Überlegungen zum ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes ist der zweite Klagegrund als begründet anzusehen.

180    Daher ist die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit der Rechtsmittelführerin ohne eine Begründung, die den besonderen Umständen des vorliegenden Falls Rechnung trägt, die fragliche Zuwiderhandlung zugerechnet und eine Geldbuße gegen sie festgesetzt wird.

181    Die übrigen vor dem Gericht geltend gemachten Klagegründe sind unter diesen Umständen nicht zu prüfen.

 Kosten

182    Nach Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel zurückgewiesen wird oder wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet.

183    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Art. 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Art. 69 § 3 der Verfahrensordnung sieht jedoch vor, dass der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen kann, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt oder wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist.

184    Da sowohl die Rechtsmittelführerin als auch die Kommission im Rahmen des Rechtsmittels teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, sind ihnen jeweils ihre eigenen mit diesem Verfahren verbundenen Kosten aufzuerlegen.

185    Was dagegen die mit der Klage im ersten Rechtszug verbundenen Kosten betrifft, sind der Kommission, da sie letztlich unterlegen ist, gemäß dem Antrag der Rechtsmittelführerin die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 30. September 2009, Elf Aquitaine/Kommission (T‑174/05), wird aufgehoben.

2.      Die Entscheidung K(2004) 4876 endg. der Kommission vom 19. Januar 2005 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/E-1/37.773 – MCAA) wird für nichtig erklärt, soweit mit ihr der Elf Aquitaine SA die fragliche Zuwiderhandlung zugerechnet und eine Geldbuße gegen sie festgesetzt wird.

3.      Die Europäische Kommission und die Elf Aquitaine SA tragen jeweils ihre mit dem vorliegenden Rechtsmittel zusammenhängenden eigenen Kosten.

4.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten des ersten Rechtszugs.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.