URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

3. Juli 2025 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Internationaler Schutz – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 46 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Erfordernis einer umfassenden Ex‑nunc-Prüfung – Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen vor der für die Prüfung von Rechtsbehelfen zuständigen Behörde – Vermutung der missbräuchlichen Einlegung eines Rechtsbehelfs – Ohne inhaltliche Prüfung erfolgende Zurückweisung des Rechtsbehelfs als offensichtlich unbegründet – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑610/23 [Al Nasiria] ( i )

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Dioikitiko Protodikeio Thessalonikis (Verwaltungsgericht Thessaloniki, Griechenland) mit Entscheidung vom 30. Juni 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Oktober 2023, in dem Verfahren

FO

gegen

Ypourgos Metanastefsis kai Asylou

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs T. von Danwitz (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, des Richters A. Kumin, der Richterin I. Ziemele und des Richters S. Gervasoni,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der griechischen Regierung, vertreten durch Z. Chatzipavlou, K. Georgiadis und T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Blanc-Simonetti und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. Februar 2025,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung von Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen FO und dem Ypourgos Metanastefsis kai Asylou (Minister für Immigration und Asyl, Griechenland) wegen der Ablehnung des Antrags von FO auf internationalen Schutz.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

Art. 33 („Verbot der Ausweisung und Zurückweisung“) Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnet wurde, am 22. April 1954 in Kraft trat und durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzt wurde, sieht vor:

„Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“

Unionsrecht

Richtlinie 2008/115/EG

4

Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) bestimmt:

„Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen.“

5

Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Rückkehrentscheidungen gehen mit einem Einreiseverbot einher,

a)

falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder

b)

falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.

In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen.“

Richtlinie 2011/95/EU

6

In Art. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

d)

‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

f)

‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel 15 zu erleiden, und auf den Artikel 17 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will;

…“

7

Art. 4 („Prüfung der Tatsachen und Umstände“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.

(3)   Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)

alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b)

die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c)

die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

(5)   Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a)

der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b)

alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c)

festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d)

der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

e)

die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

Richtlinie 2013/32

8

In den Erwägungsgründen 18, 23, 25, 43 und 50 der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„(18)

Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird.

(23)

Antragsteller sollten in Rechtsbehelfsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen unentgeltlich Rechtsberatung und ‑vertretung durch Personen erhalten, die nach nationalem Recht dazu befähigt sind. Darüber hinaus sollten Antragsteller in allen Phasen des Verfahrens auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt oder sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberater konsultieren dürfen.

(25)

Im Interesse einer ordnungsgemäßen Feststellung der Personen, die Schutz als Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge] oder als Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz benötigen, sollte jeder Antragsteller effektiven Zugang zu den Verfahren und die Gelegenheit erhalten, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren und effektiv mit ihnen zu kommunizieren, um ihnen den ihn betreffenden Sachverhalt darlegen zu können; ferner sollten ausreichende Verfahrensgarantien bestehen, damit er sein Verfahren über sämtliche Instanzen betreiben kann. Außerdem sollte das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz dem Antragsteller in der Regel zumindest das Recht auf Verbleib bis zur Entscheidung der Asylbehörde einräumen sowie … das Recht auf eine in geeigneter Weise mitgeteilte sowie sachlich und rechtlich begründete Entscheidung, die Möglichkeit zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Rechtsberaters, das Recht, in entscheidenden Verfahrensabschnitten in einer Sprache, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden kann, dass er sie versteht, über seine Rechtsstellung informiert zu werden, sowie im Fall einer ablehnenden Entscheidung das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht.

(43)

Die Mitgliedstaaten sollten alle Anträge in der Sache prüfen, d. h. beurteilen, ob der betreffende Antragsteller gemäß der Richtlinie [2011/95] als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anerkannt werden kann, sofern die vorliegende Richtlinie nichts anderes vorsieht, insbesondere dann, wenn vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass ein anderer Staat den Antrag prüfen oder für einen ausreichenden Schutz sorgen würde. …

(50)

Einem Grundprinzip des Unionsrechts zufolge muss gegen die Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz, gegen die Ablehnung der Wiederaufnahme der Prüfung eines Antrags nach ihrer Einstellung und gegen die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus ein wirksamer Rechtsbehelf vor einem Gericht gegeben sein.“

9

In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

f)

‚Asylbehörde‘ jede gerichtsähnliche Behörde beziehungsweise jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen;

…“

10

Art. 28 („Verfahren bei stillschweigender Rücknahme des Antrags oder Nichtbetreiben des Verfahrens“) der Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)   Besteht Grund zu der Annahme, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Asylbehörde entweder entscheidet, die Antragsprüfung einzustellen oder, sofern die Asylbehörde den Antrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung gemäß Artikel 4 der Richtlinie [2011/95] als unbegründet ansieht, den Antrag abzulehnen.

Die Mitgliedstaaten können insbesondere dann davon ausgehen, dass der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz stillschweigend zurückgezogen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt, wenn er nachweislich

a)

den Aufforderungen zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß Artikel 4 der Richtlinie [2011/95] oder einer Aufforderung zur persönlichen Anhörung gemäß den Artikeln 14 bis 17 dieser Richtlinie nicht nachgekommen ist, es sei denn, er weist innerhalb einer angemessenen Frist nach, dass sein Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte;

b)

untergetaucht ist oder seinen Aufenthaltsort oder Ort seiner Ingewahrsamnahme ohne Genehmigung verlassen und nicht innerhalb einer angemessenen Frist die zuständige Behörde kontaktiert hat, oder seinen Melde- und anderen Mitteilungspflichten nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachgekommen ist, es sei denn, der Antragsteller weist nach, dass dies auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.

Die Mitgliedstaaten können Fristen oder Leitlinien für die Anwendung dieser Bestimmungen festsetzen.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Absatz 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 geprüft wird.

Die Mitgliedstaaten können eine Frist von mindestens neun Monaten vorschreiben, nach deren Ablauf das Verfahren nicht wieder eröffnet werden darf beziehungsweise der neue Antrag als Folgeantrag behandelt und nach Maßgabe der Artikel 40 und 41 geprüft werden kann. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass das Verfahren des Antragstellers nur ein Mal wieder eröffnet werden darf.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betreffende Person nicht entgegen dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung abgeschoben wird.

Die Mitgliedstaaten können der Asylbehörde die Wiederaufnahme der Prüfung in dem Verfahrensabschnitt gestatten, in dem sie eingestellt wurde.“

11

Art. 31 („Prüfungsverfahren“) Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn

a)

der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] anzuerkennen ist, nicht von Belang sind, oder

b)

der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kommt, oder

c)

der Antragsteller die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität und/oder Staatsangehörigkeit, die sich negativ auf die Entscheidung hätten auswirken können, getäuscht hat, oder

d)

angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat, oder

e)

der Antragsteller eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, so dass die Begründung für seine Behauptung, dass er [als] Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] anzusehen ist, offensichtlich nicht überzeugend ist;

f)

der Antragsteller einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der gemäß Artikel 40 Absatz 5 nicht unzulässig ist, oder

g)

der Antragsteller den Antrag nur zur Verzögerung oder Behinderung der Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung stellt, die zu seiner Abschiebung führen würde, oder

h)

der Antragsteller unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats eingereist ist oder seinen Aufenthalt unrechtmäßig verlängert hat und es ohne stichhaltigen Grund versäumt hat, zum angesichts der Umstände seiner Einreise frühestmöglichen Zeitpunkt bei den Behörden vorstellig zu werden oder einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, oder

i)

der Antragsteller sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Fingerabdrücke … nachzukommen, oder

j)

es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt oder er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde.“

12

Art. 32 („Unbegründete Anträge“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„(1)   Unbeschadet des Artikels 27 können die Mitgliedstaaten einen Antrag nur dann als unbegründet betrachten, wenn die Asylbehörde festgestellt hat, dass der Antragsteller nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nach Maßgabe der Richtlinie [2011/95] erfüllt.

(2)   Im Falle von unbegründeten Anträgen, bei denen einer der in Artikel 31 Absatz 8 aufgeführten Umstände gegeben ist, können die Mitgliedstaaten einen Antrag ferner als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.“

13

Art. 46 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie 2013/32 sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen

a)

eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz, einschließlich einer Entscheidung,

i)

einen Antrag als unbegründet in Bezug auf die Flüchtlingseigenschaft und/oder den subsidiären Schutzstatus zu betrachten;

ii)

einen Antrag nach Artikel 33 Absatz 2 als unzulässig zu betrachten;

iii)

die an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats nach Artikel 43 Absatz 1 ergangen ist;

iv)

keine Prüfung nach Artikel 39 vorzunehmen;

b)

eine Ablehnung der Wiederaufnahme der Prüfung eines Antrags nach ihrer Einstellung gemäß den Artikeln 27 und 28;

c)

eine Entscheidung zur Aberkennung des internationalen Schutzes nach Artikel 45.

(3)   Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex‑nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie [2011/95] zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird.

(4)   Die Mitgliedstaaten legen angemessene Fristen und sonstige Vorschriften fest, die erforderlich sind, damit der Antragsteller sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Absatz 1 wahrnehmen kann. Die Fristen dürfen die Wahrnehmung dieses Rechts weder unmöglich machen noch übermäßig erschweren.

Die Mitgliedstaaten können auch eine Überprüfung der im Einklang mit Artikel 43 ergangenen Entscheidungen von Amts wegen vorsehen.

(5)   Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf.

(6)   Im Fall einer Entscheidung,

a)

einen Antrag im Einklang mit Artikel 32 Absatz 2 als offensichtlich unbegründet oder nach Prüfung gemäß Artikel 31 Absatz 8 als unbegründet zu betrachten, es sei denn, diese Entscheidungen sind auf die in Artikel 31 Absatz 8 Buchstabe h aufgeführten Umstände gestützt,

b)

einen Antrag gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstaben a, b oder d als unzulässig zu betrachten,

c)

die Wiedereröffnung des nach Artikel 28 eingestellten Verfahrens des Antragstellers abzulehnen oder

d)

gemäß Artikel 39 den Antrag nicht oder nicht umfassend zu prüfen,

ist das Gericht befugt, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden[,] und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.

(11)   Die Mitgliedstaaten können ferner in ihren nationalen Rechtsvorschriften die Bedingungen für die Vermutung der stillschweigenden Rücknahme oder des Nichtbetreibens eines Rechtsbehelfs nach Absatz 1 durch den Antragsteller sowie das anzuwendende Verfahren festlegen.“

Griechisches Recht

Gesetz 3907/2011

14

In Art. 22 („Freiwillige Ausreise“) Abs. 4 des Nomos 3907/2011, Idrysi Ypiresias Asylou kai Ypiresias Protis Ypodochis, prosarmogi tis ellinikis nomothesias pros tis diataxeis tis Odigias 2008/115/EK schetika me tous koinous kanones kai diadikasies sta krati-meli gia tin epistrofi ton paranomos diamenonton ypikoon triton choron kai loipes diataxeis (Gesetz 3907/2011 über die Einrichtung des Asyldienstes und des Erstaufnahmedienstes, Anpassung der griechischen Rechtsvorschriften an die Richtlinie [2008/115] und weitere Bestimmungen) (FEK Α’ 7/26.1.2011) heißt es:

„Besteht Fluchtgefahr oder stellt der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit dar … oder wurde der Antrag auf rechtmäßigen Aufenthalt als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt, so gewähren die speziell zuständigen Behörden keine Frist für die freiwillige Ausreise.“

Gesetz 4375/2016

15

Durch Art. 4 Abs. 1 des Nomos 4375/2016, Organosi kai leitourgia Ypiresias Asylou, Archis Prosfygon, Ypiresias Ypodochis kai Taftopoiisis systasi Genikis Grammateias Ypodochis, prosarmogi tis Ellinikis Nomothesias pros tis diataxeis tis Odigias 2013/32/EE tou Evropaikou Koinovouliou kai tou Symvouliou „schetika me tis koines diadikasies gia ti chorigisi kai anaklisi tou kathestotos diethnous prostasias (anadiatyposi)“ (EE 2013, L 180), diataxeis gia tin ergasia dikaiouchon diethnous prostasias kai alles diataxeis (Gesetz 4375/2016 über den Aufbau und die Funktion eines Asyldienstes, einer Behörde für die Prüfung von Rechtsbehelfen und eines Aufnahme- und Identifizierungsdienstes, die Einrichtung eines Generalsekretariats für die Aufnahme, über die Anpassung der griechischen Rechtsvorschriften an die [Richtlinie 2013/32], Bestimmungen betreffend die Arbeit von Personen mit internationalem Schutzstatus und weitere Bestimmungen) (FEK Α’ 51/3.4.2016), in der durch das Gesetz 4399/2016 geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz 4375/2016) wurden zur Gewährleistung des in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf Unabhängige Rechtsbehelfsausschüsse eingerichtet, die ihren Sitz in Athen haben und für ganz Griechenland räumlich zuständig sind. Sie sind für die Entscheidung über Rechtsbehelfe von Personen, die internationalen Schutz beantragen, zuständig, um Entscheidungen der Ypiresia Asylou (Asylbehörde, Griechenland), mit denen der Antrag dieser Personen erstinstanzlich abgelehnt worden ist, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen.

Gesetz 4636/2019

16

Mit dem Nomos 4636/2019 peri diethnous prostasias kai alles diatakseis (Gesetz 4636/2019 über den internationalen Schutz und andere Bestimmungen) (FEK A’ 169/1.11.2019) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz 4636/2019) wurde die Richtlinie 2013/32 in die griechische Rechtsordnung umgesetzt.

17

Art. 78 Abs. 3 und 9 dieses Gesetzes bestimmte:

„(3)   Antragsteller sind verpflichtet, sich unverzüglich persönlich bei den Empfangsbehörden zu melden, um einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, und jederzeit, wenn sie gemäß diesem Teil dieses Gesetzes vor die zuständigen Behörden geladen werden. … Bei ihrem persönlichen Erscheinen können sie sich von verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälten sowie von anderen eigens bevollmächtigten Beiständen gemäß Artikel 71 Absatz 1 unterstützen lassen. Die Verpflichtung, in jeder Phase des Verfahrens zur Prüfung des Antrags oder des Rechtsbehelfs persönlich zu erscheinen, wird nicht aufgrund der Anwesenheit der im vorstehenden Absatz genannten Personen aufgehoben. Abweichend davon gelten die folgenden Bestimmungen speziell für die Erörterungen zur Prüfung von Rechtsbehelfen vor den Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen:

a)

Wenn sich Antragsteller in Aufnahme- oder Unterbringungseinrichtungen aufhalten, müssen sie nicht persönlich erscheinen. In solchen Fällen können sich die Antragsteller entweder durch verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwälte, durch eigens bevollmächtigte Beistände oder durch andere nach Artikel 71 Absatz 1 befugte Personen vertreten lassen oder der für die Prüfung von Rechtsbehelfen zuständigen Behörde in jeder geeigneten Weise, spätestens am Tag vor der Erörterung eine Bescheinigung der für die Aufnahme- oder Unterbringungseinrichtung verantwortlichen Person vorlegen. Aus dieser Bescheinigung muss hervorgehen, dass sich die Antragsteller zum Zeitpunkt der Beantragung der Bescheinigung tatsächlich in dem Aufnahme- oder Unterbringungszentrum aufhalten. Dieser Zeitpunkt darf nicht länger als drei (3) Tage vor dem Tag der Erörterung zur Prüfung des Rechtsbehelfs liegen.

b)

Wurden Antragstellern gemäß Artikel 45 Beschränkungen ihrer Freizügigkeit oder die Verpflichtung auferlegt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, so sind sie nicht verpflichtet, persönlich zu erscheinen. In solchen Fällen können sich die Antragsteller entweder durch verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwälte, durch eigens bevollmächtigte Beistände oder durch andere nach Artikel 71 Absatz 1 befugte Personen vertreten lassen oder der für die Prüfung von Rechtsbehelfen zuständigen Behörde in jeder geeigneten Weise spätestens am Tag vor der Erörterung eine Bescheinigung der Polizeidienststelle oder des Bürgerdienstleistungszentrums an ihrem Wohnort vorlegen, aus der hervorgeht, dass sie zum Zeitpunkt der Beantragung der Bescheinigung persönlich erschienen sind. Dieser Zeitpunkt darf nicht länger als zwei (2) Tage vor dem Tag der Erörterung zur Prüfung des Rechtsbehelfs liegen. Gehen die in den Buchst. a und b genannten Bescheinigungen nicht bei der für die Prüfung von Rechtsbehelfen zuständigen Behörde ein, wird der Antragsteller so betrachtet, als ob er seinen Rechtsbehelf gemäß Artikel 81 dieses Gesetzes stillschweigend zurückgenommen hätte.

Im Fall höherer Gewalt wie schwerer Krankheit, schwerer körperlicher Invalidität oder unüberwindbarer Umstände, die den Antragsteller daran hindert, persönlich zu erscheinen, wird die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen ausgesetzt, solange die Situation höherer Gewalt fortbesteht. In diesem Fall muss der Antragsteller einen Antrag stellen, in dem die Umstände angegeben sind, die einen Fall höherer Gewalt oder eines unüberwindbaren Hindernisses darstellen, der ihn daran hindert, persönlich zu erscheinen; der Antrag ist durch Belege und Bestätigungen oder Bescheinigungen der zuständigen Behörde zu stützen. Werden die oben genannten Fälle höherer Gewalt oder eines unüberwindbaren Hindernisses festgestellt und erscheint der Antragsteller persönlich vor den zuständigen Behörden, entfallen die Wirkungen des Nichterscheinens im Sinne dieses Absatzes.

(9)   Wird gegen die Pflicht zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden gemäß den vorstehenden Absätzen verstoßen, insbesondere in dem Fall, dass der Betroffene mit den Behörden nicht kommuniziert oder kooperiert, um die für die Prüfung des Antrags erforderlichen Angaben festzustellen, und dies den ordnungsgemäßen Ablauf der Verfahren zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz behindert, so gilt der Antrag bzw. der Rechtsbehelf gemäß Artikel 81 dieses Gesetzes als stillschweigend zurückgenommen.“

18

Art. 81 des Gesetzes bestimmte:

„(1)   Besteht ernsthafter Grund zu der Annahme, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat, so nehmen die für die Entscheidung zuständigen Behörden eine angemessene inhaltliche Prüfung des Antrags gemäß Artikel 4 dieses Gesetzes auf der Grundlage der Informationen, über die die Behörde verfügt, vor und lehnen den Antrag, wenn sie ihn für unbegründet halten, ab. Ist eine angemessene inhaltliche Prüfung des Antrags auf der Grundlage der der Behörde vorliegenden Informationen und gemäß dem vorstehenden Absatz nicht möglich, so stellen die zuständigen Behörden die Prüfung des Antrags ein und erlassen eine Einstellungsentscheidung. Mit der Entscheidung, die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz einzustellen, wird gleichzeitig die Rückkehr des Antragstellers gemäß den Bestimmungen des Gesetzes 3907/2011 und des Gesetzes 3386/2005 angeordnet. Die vorgenannten Rechtsakte werden gemäß Artikel 82 dieses Gesetzes zugestellt.

(2)   Eine stillschweigende Rücknahme wird insbesondere dann angenommen, wenn festgestellt wird, dass der Antragsteller

a)

den Aufforderungen zur Vorlage von für seinen Antrag wesentlichen Informationen nicht nachgekommen ist …; oder

b)

nicht zu einem persönlichen Gespräch oder zu einer Erörterung vor dem [Unabhängigen] Rechtsbehelfsausschuss gemäß Artikel 77 und 97 dieses Gesetzes erschienen ist, obwohl er ordnungsgemäß geladen worden war; oder

c)

den Ort seiner Ingewahrsamnahme verlassen hat …

d)

seinen Aufenthaltsort verlassen hat, ohne dafür eine Genehmigung zu beantragen oder die zuständigen Behörden davon in Kenntnis zu setzen, obwohl er dazu verpflichtet war, oder das Land ohne die Genehmigung der zuständigen Empfangsbehörden verlassen hat; oder

e)

den sich aus Artikel 78 dieses Gesetzes ergebenden Pflichten oder der Pflicht, regelmäßig bei den Behörden zu erscheinen, oder anderen Melde- und Mitteilungspflichten nicht nachgekommen ist …; oder

f)

zur Verlängerung seiner Karte für eine Person, die internationalen Schutz beantragt [spätestens] am Tag nach ihrem Ablaufdatum gemäß Artikel 70 nicht erschienen ist; oder

g)

unter Verstoß gegen seine Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Behörden gemäß Artikel 78 nicht mit ihnen zusammenarbeitet …

(3)   Der Antragsteller kann gegen die ablehnende Entscheidung nach Absatz 1 dieses Artikels bei den Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen gemäß Artikel 92 dieses Gesetzes einen Rechtsbehelf einlegen.

(4)   Wurde eine Einstellungsentscheidung im Sinne von Absatz 1 erlassen, hat der Antragsteller das Recht, innerhalb einer Frist von neun (9) Monaten ab dem Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung bei der ausstellenden Behörde einmalig die Fortsetzung des Verfahrens zur Prüfung seines Falls zu beantragen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht unter das Verfahren [für Folgeanträge] nach Artikel 89 fällt. Der Antragsteller wird nicht aus dem Land ausgewiesen, und es wird keine Rückkehrentscheidung vollstreckt, bis endgültig über diesen Antrag entschieden worden ist.“

19

Art. 92 („Rechtsbehelf“) des Gesetzes 4636/2019 sah in seinen Abs. 1 und 4 vor:

„(1)   Der Antragsteller hat das Recht, bei der in Artikel 4 des Gesetzes 4375/2016 genannten für die Prüfung von Rechtsbehelfen zuständigen Behörde den in Artikel 7 Absatz 5 des Gesetzes 4375/2016 genannten Verwaltungsrechtsbehelf einzulegen:

a)

gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz im ordentlichen Verfahren als unbegründet abgelehnt oder der internationale Schutzstatus widerrufen wird, sowie gegen eine Entscheidung, mit der ein internationaler Schutzstatus zuerkannt wird, insoweit mit ihr dem Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verwehrt wird, innerhalb einer Frist von dreißig (30) Tagen nach Zustellung der Entscheidung oder ab dem Tag, an dem der Rechtsbehelfsführer gemäß Artikel 82 Absatz 5 davon Kenntnis erlangt hat;

b)

gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wird oder im beschleunigten Verfahren abgelehnt wird …

(4)   Wird der Rechtsbehelf zurückgewiesen, so wird der Antragsteller – es sei denn, es handelt sich um einen unbegleiteten Minderjährigen – vor der Ausreise in einer Gewahrsamseinrichtung festgehalten, bis seine Aufenthaltsbeendigung vollzogen wurde oder seinem Antrag endgültig stattgegeben wird. Die Einreichung eines Folgeantrags und/oder einer Aufhebungsklage und/oder einer Klage auf Aussetzung führt nicht automatisch zur Aufhebung des Gewahrsams.“

20

Art. 95 Abs. 1 dieses Gesetzes lautete:

„Wird der Rechtsbehelf eingelegt, so teilt die zuständige Empfangsbehörde dem Antragsteller am selben Tag den Termin mit, an dem der Rechtsbehelf erörtert werden wird.“

21

Art. 97 Abs. 2 dieses Gesetzes bestimmte:

„Im Verfahren vor den Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen ist der Rechtsbehelfsführer vorbehaltlich des Artikels 78 Absatz 3 verpflichtet, persönlich oder vertreten durch einen verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt zu erscheinen. Erscheint der Antragsteller nicht persönlich oder legt er die Bescheinigung nach Artikel 78 Absatz 3 nicht vor, wird vermutet, dass er den Rechtsbehelf nur eingelegt hat, um die Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung über die Ausweisung oder anderweitige Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder zu behindern, und sein Rechtsbehelf wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

22

FO, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Februar 2019 beim Perifereiako Grafeio Asylou Samou (Regionales Asylbüro Samos, Griechenland) einen Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, dass sein Leben in seinem Herkunftsland in Gefahr sei.

23

Bei einem Gespräch, das am 24. Februar 2020 im Perifereiako Grafeio Asylou Thessalonikis (Regionales Asylbüro Thessaloniki, Griechenland) stattfand, erklärte FO, dass er eine Liebesbeziehung mit einer jungen Frau unterhalten habe, weshalb er von einem Familienmitglied dieser Frau angegriffen und mit einer Schusswaffe verletzt worden sei. FO habe diesen Vorfall der Polizei gemeldet, ohne dass diese die Sache weiter verfolgt habe. Da er nach diesem Vorfall die Beziehung mit dieser Frau fortgesetzt habe, sei eine Stammesentscheidung getroffen worden, in der seine Tötung verlangt werde. Während des Verwaltungsverfahrens zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz legte FO ein auf den 1. Oktober 2018 datiertes Dokument vor, das nach der ihm beigefügten inoffiziellen Übersetzung „an alle Stämme gerichtet“ ist und mit dem „die Tötung [des Antragstellers] wegen eines den Stamm betreffenden Fehlverhaltens angeordnet wird“.

24

Mit Bescheid vom 18. Mai 2020 lehnte das Regionale Asylbüro Thessaloniki den Antrag von FO auf internationalen Schutz mit der Begründung ab, dass die Behauptungen von FO zu seiner Beziehung mit einer jungen Frau und die Gründe, die ihn zum Verlassen seines Landes gezwungen hätten, nicht glaubhaft seien. Das auf den 1. Oktober 2018 datierte Dokument, mit dem die Tötung von FO angeordnet worden sein soll, wurde aufgrund des vagen Charakters der darin enthaltenen Aussagen und der Unmöglichkeit, seine Authentizität zu überprüfen, nicht als schlüssiger Beweis zugelassen.

25

Am 27. August 2021 legte FO mit Hilfe eines bevollmächtigten Rechtsanwalts gegen diese Entscheidung beim Dritten Unabhängigen Rechtsbehelfsausschuss einen Rechtsbehelf ein. Bei der Einreichung des Rechtsbehelfs wurde ihm erstens mitgeteilt, dass als Termin für dessen Prüfung der 11. Oktober 2021 festgesetzt werde; zweitens wurde ihm mitgeteilt, dass das Verfahren zur Prüfung dieser Art von Rechtsbehelfen in der Regel schriftlich erfolge, er aber, wenn er zu einer mündlichen Erörterung geladen werde, mindestens zehn Werktage vor dem Datum der Prüfung seines Rechtsbehelfs davon in Kenntnis gesetzt werde; drittens wurde ihm mitgeteilt, dass er, auch wenn er nicht zu einer Erörterung geladen werde, in jedem Fall um 9.30 Uhr am Tag der Prüfung seines Rechtsbehelfs vor diesem Ausschuss persönlich erscheinen müsse, es sei denn, er halte sich rechtmäßig in einem Aufnahme- und Identifizierungszentrum auf oder er sei einer Maßnahme der Beschränkung der Freizügigkeit oder des Aufenthalts an einem Ort außerhalb der Region Attika (Griechenland) unterworfen.

26

FO erschien zu dem Termin der Erörterung der Prüfung seines Rechtsbehelfs nicht persönlich vor dem Dritten Unabhängigen Rechtsbehelfsausschuss. Daher wies der Ausschuss, nachdem er festgestellt hatte, dass FO sich nicht in einem Aufnahme- und Identifizierungszentrum aufhielt, keiner Maßnahme der Beschränkung der Freizügigkeit unterworfen war und auch kein Fall höherer Gewalt vorlag, der sein Erscheinen zur Erörterung unmöglich gemacht hätte, den Rechtsbehelf auf der Grundlage von Art. 97 Abs. 2 des Gesetzes 4636/2019 ohne inhaltliche Prüfung als offensichtlich unbegründet zurück. Überdies verhängte er gemäß Art. 22 Abs. 4 des Gesetzes 3907/2011 gegen FO eine Rückkehrmaßnahme ohne Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise aus dem Land.

27

FO erhob beim Dioikitiko Protodikeio Thessalonikis (Verwaltungsgericht Thessaloniki, Griechenland), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung und machte geltend, der Dritte Unabhängige Rechtsbehelfsausschuss habe seinen Rechtsbehelf rechtswidrig mit der bloßen Begründung, er sei bei der Erörterung der Prüfung des Rechtsbehelfs abwesend gewesen, und ohne dessen angemessene inhaltliche Prüfung zurückgewiesen, obwohl es ihm aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, die ihn daran gehindert hätten, sich von Thessaloniki, wo er wohne, nach Athen (Griechenland) zu begeben, nicht möglich gewesen sei, zu der Erörterung zu erscheinen.

28

Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse durch Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes 4375/2016 eingerichtet worden seien, um das in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zugunsten von Personen zu gewährleisten, die von Entscheidungen, mit denen der beantragte internationale Schutz abgelehnt werde, betroffen seien. In Anbetracht der auf das Urteil vom 31. Januar 2013, D. und A. (C‑175/11, EU:C:2013:45), zurückgehenden Rechtsprechung handele es sich bei diesen Ausschüssen um „Gerichte“ im Sinne von Art. 46 dieser Richtlinie.

29

Vor diesem Hintergrund möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Pflicht, persönlich vor den genannten Ausschüssen zu erscheinen, und die Folgen der Missachtung dieser Pflicht mit Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und – in Ermangelung einer spezifischen Regelung in dieser Richtlinie über das Erscheinen von Personen, die internationalen Schutz beantragen, vor dem angerufenen Rechtsprechungsorgan – mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität vereinbar sind.

30

Insoweit weist es erstens darauf hin, dass Art. 46 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2013/32 verlange, dass das Gericht, das von einer Person, die internationalen Schutz beantrage, angerufen werde, eine umfassende Ex‑nunc-Prüfung vornehme, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstrecke, was die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nicht gewährleisteten, wenn der Antragsteller vor den Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen nicht persönlich erscheine, da der Rechtsbehelf in diesem Fall ohne inhaltliche Prüfung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen werde.

31

Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob für die Zwecke der Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes das Verfahren vor solchen Ausschüssen mit dem Verfahren vor anderen Verwaltungsbehörden, die mit Verwaltungsrechtsbehelfen befasst sind, oder mit dem Verfahren für eine Anfechtungsklage oder eine Aufhebungsklage vor einem Verwaltungsgericht zu vergleichen ist. In keinem dieser beiden Fälle sei der Betroffene verpflichtet, persönlich bei der Prüfung seines Rechtsbehelfs zu erscheinen, sondern könne sich u. a. durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten lassen.

32

Was drittens den Effektivitätsgrundsatz betrifft, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 97 Abs. 2 des Gesetzes 4636/2019 darauf abziele, dass die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse sich vergewissern könnten, dass die Personen, die internationalen Schutz beantragten, weiterhin ein Interesse am Ausgang ihres Rechtsbehelfs hätten und sich noch im griechischen Hoheitsgebiet befänden, um eine inhaltliche Prüfung von Anträgen zu vermeiden, die für diese Antragsteller gegenstandslos geworden seien, und um die Prüfung anderer Rechtsbehelfe zu beschleunigen. Das Gericht fragt sich jedoch, ob diese Bestimmung, indem sie die Antragsteller, die nicht unter eine der Ausnahmen nach Art. 78 Abs. 3 dieses Gesetzes fallen, verpflichtet, sich von jedwedem Ort in Griechenland an den Sitz dieser Ausschüsse in Athen zu begeben, ohne sich durch einen Rechtsanwalt oder eine andere Person vertreten lassen zu können, und indem sie eine Vermutung der missbräuchlichen Einlegung eines Rechtsbehelfs bei Missachtung dieser verfahrensrechtlichen Verpflichtung vorsieht, die Anwendung des Unionsrechts nicht unmöglich macht oder übermäßig erschwert und nicht unverhältnismäßig belastend für diese Antragsteller ist.

33

Während Art. 97 Abs. 2 des Gesetzes 4636/2019 in solchen Fällen die Zurückweisung des Rechtsbehelfs als offensichtlich unbegründet vorsehe, sehe die Richtlinie 2013/32 für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, eine Vermutung der stillschweigenden Rücknahme des Antrags auf internationalen Schutz zugrunde zu legen, wenn einer der in dieser Richtlinie genannten Mitteilungspflichten gegenüber den Behörden nicht nachgekommen werde. Nach dieser Richtlinie setze die Ablehnung eines solchen Antrags als offensichtlich unbegründet voraus, dass er zumindest unbegründet sei.

34

Zudem verhindere nach Art. 7 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 die Ablehnung eines solchen Antrags als offensichtlich unbegründet die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise und führe ferner zur Verhängung eines Einreiseverbots gegen den Drittstaatsangehörigen. Im Übrigen bestimme Art. 46 Abs. 11 der Richtlinie 2013/32 zwar, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Vermutung der stillschweigenden Rücknahme oder des Nichtbetreibens eines Rechtsbehelfs durch die Person, die internationalen Schutz beantrage, sowie die Vorschriften über das anzuwendende Verfahren festlegen könnten, doch enthalte diese Richtlinie keine Bestimmung über die Möglichkeit, Rechtsbehelfe als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

35

Daher hat das Dioikitiko Protodikeio Thessalonikis (Verwaltungsgericht Thessaloniki) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Kann der Gesetzgeber – angesichts der Bedeutung des in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 geregelten Rechtsbehelfs – für den Fall, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, vor dem mit der Prüfung ihres Rechtsbehelfs befassten Ausschuss nicht persönlich erscheint, die Vermutung festlegen, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs missbräuchlich ist, und als Rechtsfolge vorsehen, dass er ohne umfassende inhaltliche Ex‑nunc-Prüfung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wird (was auch zur Folge hat, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise gemäß Art. 22 Abs. 4 des Gesetzes 3907/2011 und Art. 7 der Richtlinie 2008/115 gewährt wird)?

2.

a)

Falls festgestellt wird, dass diese Frage unter den Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt, sind dann im Rahmen der Prüfung des Äquivalenzgrundsatzes als vergleichbare nationale Verfahrensvorschriften diejenigen anzusehen, die die Verfahren vor den mit Verwaltungsrechtsbehelfen des nationalen Rechts befassten Verwaltungsausschüssen regeln, oder die Verfahrensvorschriften, die für die Erhebung von Anfechtungsklagen (oder Aufhebungsklagen) vor den Verwaltungsgerichten gelten?

b)

Ist die vorgesehene Verpflichtung, persönlich zu erscheinen (oder in den vorgesehenen Fällen eine Bescheinigung gemäß Art. 78 Abs. 3 des Gesetzes 4636/2019 zu übermitteln), mit dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts, insbesondere der effektiven Ausübung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf vereinbar? Ist es ferner in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ob zum einen die in Art. 97 Abs. 2 des Gesetzes 4636/2019 vorgesehene Vermutung der missbräuchlichen Einlegung des Rechtsbehelfs der allgemeinen Erfahrung entspricht und dass zum anderen im Rahmen der (erstinstanzlichen) Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz dasselbe Verhalten zur Vermutung der stillschweigenden Rücknahme des Antrags und nicht zu dessen Ablehnung als offensichtlich unbegründet führen würde?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

36

Da das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Art. 46 der Richtlinie 2013/32 hat, der ein Rechtsbehelfsverfahren gegen Entscheidungen der Behörde vorsieht, die befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz zu erlassen, ist zunächst zu prüfen, ob die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse, die in der Begründung zu Art. 86 des Gesetzes 4399/2016 zur Änderung des Gesetzes 4375/2016 als „gerichtsähnliche“ Behörden eingestuft werden und die durch Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes 4375/2016 errichtet wurden, als „Gerichte“ im Sinne von Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie angesehen werden können, die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sicherstellen.

37

Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse, auch wenn sie nicht als Gerichte im Sinne der nationalen Rechtsordnung angesehen würden, Befugnisse mit Rechtsprechungscharakter ausübten, was nicht dadurch in Frage gestellt werden könne, dass ihre Handlungen Gegenstand von Aufhebungsklagen vor den zuständigen Verwaltungsgerichten sein könnten, deren Urteile zu vollstrecken seien.

38

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 sicherstellen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen verschiedene Handlungen in Bezug auf ihre Anträge auf internationalen Schutz haben, darunter insbesondere Entscheidungen, mit denen solche Anträge als unbegründet abgelehnt werden. Im Übrigen muss, wie im 50. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 ausgeführt, einem Grundprinzip des Unionsrechts zufolge u. a. gegen die Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz ein wirksamer Rechtsbehelf vor einem Gericht gegeben sein.

39

Insoweit hat sich der Gerichtshof für die Feststellung, ob eine Einrichtung ein „Gericht“ für die Ausübung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen der Asylbehörde im Sinne der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13) darstellt, auf dieselben Kriterien gestützt, die für die Beurteilung der Frage entwickelt wurden, ob es sich bei einer vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2013, D. und A., C‑175/11, EU:C:2013:45, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei diese Richtlinie in ihrem 27. Erwägungsgrund in Satz 1 ausdrücklich auf ein „Gericht oder Tribunal im Sinne des Artikels [267 AEUV]“ verweist. Dass der 50. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 keinen solchen Verweis enthält, ändert nichts an dieser Beurteilung.

40

Daher ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei der zuständigen Einrichtung um ein „Gericht“ handelt, auf eine Reihe von Merkmalen abzustellen, wie die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. September 1997, Dorsch Consult, C‑54/96, EU:C:1997:413, Rn. 23, und vom 7. Mai 2024, NADA u. a., C‑115/22, EU:C:2024:384, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Im vorliegenden Fall werden mit den im Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse eingerichtet, die für die Entscheidung über Rechtsbehelfe von Personen, die internationalen Schutz beantragen, zuständig sind, um Entscheidungen, mit denen deren Anträge erstinstanzlich abgelehnt worden sind, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen.

42

Insoweit geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts zunächst hervor, dass jeder dieser Ausschüsse mehrheitlich mit Richtern ordentlicher Verwaltungsgerichte besetzt ist, deren Amtszeit drei Jahre beträgt und die bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben persönliche und funktionale Unabhängigkeit genießen. Zudem haben die genannten Ausschüsse im Verhältnis zu den Parteien der bei ihnen anhängigen Rechtsbehelfe den Status eines Dritten, und keines ihrer Mitglieder vertritt die Verwaltung, was die Einhaltung des Grundsatzes der Unparteilichkeit gewährleistet. Sodann achtet das Verfahren vor den Ausschüssen den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Verteidigungsrechte, wobei die Besonderheiten des Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes, zu denen die Wahrung der Vertraulichkeit gehört, berücksichtigt werden. Schließlich werden die Entscheidungen der Ausschüsse nach einer eingehenden rechtlichen und tatsächlichen Prüfung erlassen und enthalten eine vollständige, spezifische und konkrete Begründung. Diese Entscheidungen sind für die Parteien, insbesondere den zuständigen Minister, verbindlich und können nur im Rahmen einer Aufhebungsklage vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden.

43

Was insbesondere das Kriterium der Unabhängigkeit betrifft, ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Handlungen der Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse einer gerichtlichen Kontrolle durch die ordentlichen Verwaltungsgerichte unterliegen, als solcher geeignet ist, diese Ausschüsse gegen die Versuchung zu schützen, Interventionen oder Druck von außen, die die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder gefährden könnten, nachzugeben (vgl. entsprechend Urteil vom 31. Januar 2013, D. und A., C‑175/11, EU:C:2013:45, Rn. 103).

44

Daher ist vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht festzustellen, dass die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse, die durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften geschaffen wurden, um Rechtsbehelfe zu bearbeiten, die von Personen, die internationalen Schutz beantragen, gegen die ihnen gegenüber ergangenen Entscheidungen eingelegt werden, die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, um als „Gerichte“ im Sinne von Art. 46 der Richtlinie 2013/32 angesehen zu werden. Weder die Angaben des vorlegenden Gerichts noch das Vorbringen der griechischen Regierung und der Europäischen Kommission enthalten Gesichtspunkte, die diese Beurteilung im Hinblick auf die Kriterien, die sich aus der oben in Rn. 40 angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben, in Frage stellen könnten.

Zu den Vorlagefragen

45

Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 46 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für den Fall, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt, der verfahrensrechtlichen Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen vor dem Gericht nicht nachkommt, das für die Entscheidung über ihren Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ihres Antrags zuständig ist, eine Vermutung der missbräuchlichen Einlegung dieses Rechtsbehelfs zugrunde legt und vorsieht, dass dieser Rechtsbehelf ohne jede inhaltliche Prüfung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

46

Im vorliegenden Fall ergeben sich die Zweifel des vorlegenden Gerichts an der Auslegung des Unionsrechts daraus, dass nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Art. 46 der Richtlinie 2013/32 vermutet wird, dass der Rechtsbehelf nur eingelegt wurde, um die Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung über die Ausweisung oder anderweitige Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder zu behindern und als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, nicht persönlich vor dem für die Entscheidung über ihren Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ihres Antrags zuständigen Gericht erscheint. Das fehlende persönliche Erscheinen vor dem zuständigen Gericht kann dem vorlegenden Gericht zufolge jedoch auch auf Gründen beruhen, die nicht mit einer Absicht, die Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung über die Ausweisung oder anderweitige Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers zu behindern oder zu verzögern, in Verbindung stehen. Zudem geht das vorlegende Gericht davon aus, dass sich aus der Richtlinie 2013/32 bei einem Verstoß des Antragstellers gegen die Pflicht zum persönlichen Erscheinen vor den Behörden eine Vermutung der stillschweigenden Rücknahme des Antrags auf internationalen Schutz ergebe und nicht die Ablehnung dieses Antrags als offensichtlich unbegründet in Betracht komme.

47

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen Entscheidungen über ihre Anträge, darunter insbesondere Entscheidungen, mit denen ein Antrag auf internationalen Schutz als unbegründet abgelehnt wird, haben; die Verfahrensregeln für diesen Rechtsbehelf werden in dieser Vorschrift indessen nicht abschließend festgelegt.

48

Sodann sieht Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32, der darauf abzielt, die Tragweite des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf klarzustellen, vor, dass die Mitgliedstaaten zur Einhaltung von Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie sicherstellen müssen, dass das Gericht, bei dem die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz angefochten wird, „eine umfassende Ex‑nunc-Prüfung [vornimmt], die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie [2011/95] beurteilt wird“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 105 und 106).

49

Insbesondere muss der Rechtsbehelf der Person, die internationalen Schutz beantragt, nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 eine Prüfung aller tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte durch das Gericht umfassen, die ihm eine Beurteilung des Einzelfalls anhand des aktuellen Standes ermöglichen, so dass der Antrag auf internationalen Schutz vollständig bearbeitet werden kann, ohne dass es der Rücksendung der Akte an die Asylbehörde bedarf. Eine solche Auslegung dient dem mit der Richtlinie 2013/32 verfolgten Ziel, zu gewährleisten, dass solche Anträge so zügig wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, bearbeitet werden (Urteil vom 8. Februar 2024, Bundesrepublik Deutschland [Zulässigkeit eines Folgeantrags], C‑216/22, EU:C:2024:122, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Schließlich überlässt es Art. 46 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2013/32 den Mitgliedstaaten, die Vorschriften festzulegen, die erforderlich sind, damit Personen, die internationalen Schutz beantragen, ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wahrnehmen können (Urteil vom 9. September 2020, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides [Ablehnung eines Folgeantrags – Rechtsbehelfsfrist], C‑651/19, EU:C:2020:681, Rn. 33).

51

In Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und vorbehaltlich der Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, die verfahrensrechtlichen Modalitäten für Rechtsbehelfe zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. April 2025, Barouk, C‑283/24, EU:C:2025:236, Rn. 37). Jedoch müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der in Art. 47 der Charta verbürgte Anspruch auf wirksamen gerichtlichen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall gewahrt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság, C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 142 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Folglich sind die Merkmale des in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Rechtsbehelfs im Einklang mit Art. 47 der Charta zu bestimmen, wonach jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Daraus folgt, dass jeder durch diese Richtlinie gebundene Mitgliedstaat sein nationales Recht so zu gestalten hat, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie es durch Art. 47 der Charta garantiert und durch Art. 46 der Richtlinie 2013/32 konkretisiert wird, ausüben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 2024, Bundesrepublik Deutschland [Zulässigkeit eines Folgeantrags], C‑216/22, EU:C:2024:122, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Im vorliegenden Fall sieht Art. 92 des Gesetzes 4636/2019, mit dem Art. 46 der Richtlinie 2013/32 in nationales Recht umgesetzt wird, für die Person, die internationalen Schutz beantragt, das Recht vor, gegen die Ablehnung ihres Antrags einen Rechtsbehelf einzulegen. Art. 97 dieses Gesetzes regelt das Verfahren zur Prüfung dieses Rechtsbehelfs bei den Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen. Nach Art. 97 Abs. 2 sind Personen, die internationalen Schutz beantragen, unabhängig vom Ort ihres Aufenthalts in Griechenland verpflichtet, sich zu dem Sitz dieser Ausschüsse zu begeben, um dort zu erscheinen, es sei denn, sie fallen unter eine der in Art. 78 Abs. 3 dieses Gesetzes genannten Ausnahmen. Allerdings haben alle diese Ausschüsse ihren Sitz in Athen. Überdies sieht Art. 97 Abs. 2 Satz 2 dieses Gesetzes als Rechtsfolge der Missachtung dieser Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen die Vermutung vor, dass der Antragsteller den Rechtsbehelf nur eingelegt hat, um die Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung über die Ausweisung oder anderweitige Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder zu behindern, und dass sein Rechtsbehelf als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wird.

54

Mit der Einführung dieses Verfahrenserfordernisses und der Bestimmung, dass seine Missachtung eine solche Folge nach sich zieht, beschränken sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften zwar darauf, eine Modalität der Einlegung eines Rechtsbehelfs durch Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrags auf internationalen Schutz festzulegen. Diese Modalität ist jedoch geeignet, das Recht dieser Antragsteller auf effektiven gerichtlichen Schutz einzuschränken, da sie sie verpflichtet, im Verfahren vor den befassten Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen physisch präsent zu sein, da andernfalls auf sie die Vermutung Anwendung findet, dass sie ihre Anträge stillschweigend zurückgenommen haben und ihre Anträge ohne jede inhaltliche Prüfung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen werden.

55

Art. 52 Abs. 1 der Charta lässt bei der Ausübung der von ihr verbürgten Rechte und Freiheiten Einschränkungen zu, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Urteil vom 6. Oktober 2020, État luxembourgeois [Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen], C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 51).

56

Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 2013/32 zwar weder spezifische Anforderungen an die Verfahrenspflichten des Antragstellers bei der Prüfung des wirksamen Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz, wie etwa das persönliche Erscheinen, noch die Folgen der Missachtung dieser Pflicht vorsieht, dass aber Art. 46 Abs. 11 der Richtlinie 2013/32 den Mitgliedstaaten gestattet, in ihren nationalen Rechtsvorschriften die Bedingungen für die Vermutung der stillschweigenden Rücknahme oder des Nichtbetreibens eines Rechtsbehelfs nach Art. 46 Abs. 1 durch den Antragsteller sowie das anzuwendende Verfahren festzulegen.

57

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, sollen das fragliche in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Verfahrenserfordernis und die sich aus seiner Missachtung ergebende Folge gewährleisten, dass die Antragsteller tatsächlich Interesse an der Einlegung eines Rechtsbehelfs haben, indem geprüft wird, ob sie sich zum Zeitpunkt der Prüfung des Rechtsbehelfs im nationalen Hoheitsgebiet befinden, und so zu einem ordnungsgemäßen und zügigen Ablauf des Verfahrens vor dem zuständigen Gericht beitragen. Die Ziele einer zügigen Bearbeitung solcher Rechtsbehelfe und der Wahrung der Effizienz des Gerichtssystems sind indes insofern legitime Ziele, als sie dazu beitragen, dass sich die mit diesen Rechtsbehelfen befassten Gerichte auf die Rechtsbehelfe konzentrieren, die von Antragstellern stammen, die ein tatsächliches Interesse am Ausgang ihres Rechtsbehelfs haben. Sie stellen somit legitime Ziele dar und rechtfertigen die Einführung einer Vermutung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die sowohl im Interesse der Mitgliedstaaten als auch der Personen liegt, die einen solchen Schutz beantragen, wie der 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 klarstellt.

58

Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass Verfahrensvorschriften, die eine zügigere Bearbeitung offensichtlich unbegründeter Anträge auf internationalen Schutz gewährleisten, eine effizientere Bearbeitung der Anträge von Personen ermöglichen, die Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben, und damit zum ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz beitragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2020, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides [Ablehnung eines Folgeantrags – Rechtsbehelfsfrist], C‑651/19, EU:C:2020:681, Rn. 54 und 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59

Folglich lässt sich eine nationale Regelung, die zum persönlichen Erscheinen vor dem Gericht verpflichtet, das für die Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, und die im Fall der Missachtung dieser Verpflichtung eine Vermutung vorsieht, die mit der Vermutung der stillschweigenden Rücknahme oder des Nichtbetreibens eines solchen Antrags vergleichbar ist, grundsätzlich im Hinblick auf das durch die Richtlinie 2013/32 verfolgte Ziel einer Verringerung der Bearbeitungszeit, den Grundsatz der Rechtssicherheit und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz rechtfertigen (vgl. entsprechend Urteil vom 9. September 2020, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides [Ablehnung eines Folgeantrags – Rechtsbehelfsfrist], C‑651/19, EU:C:2020:681, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, mit denen das in Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf umgesetzt werden soll, müssen jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, was insbesondere voraussetzt, dass sie geeignet sind, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, nicht über das hinausgehen, was zu dessen Erreichung erforderlich ist, und angemessen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2020, État luxembourgeois [Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen], C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Erstens zielen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften, wie sich aus den Rn. 53 und 57 des vorliegenden Urteils ergibt, darauf ab, den Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüssen eine zügige Bearbeitung der Rechtsbehelfe gegen die Ablehnung von Anträgen auf internationalen Schutz zu ermöglichen und die Effizienz des Gerichtssystems zu wahren, damit sich diese Ausschüsse auf die Antragsteller konzentrieren können, die ein wirkliches Interesse an der Entscheidung über ihren Rechtsbehelf haben. Die verfahrensrechtliche Verpflichtung der Antragsteller, persönlich vor den genannten Ausschüssen zu erscheinen, ist nämlich geeignet, zur Erreichung dieser Ziele beizutragen. Insofern sie eine effizientere Bearbeitung der Anträge von Antragstellern, die weiterhin ein Interesse an der Entscheidung über ihren Rechtsbehelf haben, ermöglicht und gleichzeitig die Prüfung der Begründetheit gegenstandslos gewordener Anträge verhindert, trägt diese Verpflichtung somit zum ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz bei.

62

Was zweitens die Frage betrifft, ob diese nationalen Rechtsvorschriften nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist, könnten im vorliegenden Fall weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen, wie etwa die – vergleichbar mit der in Art. 78 Abs. 3 Buchst. b des Gesetzes 4636/2019 vorgesehene – Möglichkeit für Antragsteller, die einen Rechtsbehelf eingelegt haben, sich durch einen Rechtsanwalt oder eine andere hierzu befugte Person vertreten zu lassen und zum Nachweis ihrer Anwesenheit im griechischen Hoheitsgebiet vor einer Polizeidienststelle oder einer anderen Behörde oder Justizbehörde in der Nähe ihres Wohnsitzes zu erscheinen.

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Zwar sind, wie die griechische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht hat, die verfahrensrechtliche Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen und die Folgen, die sich aus der Missachtung dieser Verpflichtung ergeben, im nationalen Recht eindeutig geregelt. Insoweit wird gemäß Art. 95 Abs. 1 des Gesetzes 4636/2019 der Antragsteller, der einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz einlegt, am Tag der Einlegung des Rechtsbehelfs über den Termin der Erörterung zur Prüfung seines Rechtsbehelfs und über die Verpflichtung unterrichtet, zu diesem Termin persönlich vor dem zuständigen Unabhängigen Rechtsbehelfsausschuss zu erscheinen. Eine Ausnahme gilt in Fällen höherer Gewalt oder unüberwindbarer Hindernisse, die sein Erscheinen im Sinne von Art. 78 Abs. 3 Unterabs. 2 dieses Gesetzes verhindern und in denen ein Verfahren zur Aussetzung der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, solange die Situation höherer Gewalt fortbesteht, eingeleitet werden kann, mit dem die Rechtsfolgen des Nichterscheinens abgewandt werden können.

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Drittens ist jedoch noch zu prüfen, ob die Verfahrensvorschriften, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften vorsehen, nicht außer Verhältnis zum Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz stehen, wenn die Auswirkungen berücksichtigt werden, die sie auf die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf haben können.

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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Vorschrift, die ein Verfahrenserfordernis des persönlichen Erscheinens und die im Fall der Missachtung dieses Erfordernisses eine Vermutung der stillschweigenden Rücknahme oder des Nichtbetreibens eines gerichtlichen Rechtsbehelfs vorsieht, zwar aus Gründen der Rechtssicherheit und des ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz gerechtfertigt sein kann. Diese Vorschrift darf jedoch der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung dieser Anträge nicht entgegenstehen. Aus dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 geht nämlich hervor, dass eine Maßnahme zur Beschleunigung des durch die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eingeführten Verfahrens zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung dieser Anträge zu erfolgen hat.

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Wie sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt, bürdet im vorliegenden Fall die Verpflichtung des Antragstellers zum persönlichen Erscheinen vor dem für die Entscheidung über seinen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines solchen Antrags zuständigen Gerichts, deren einziger Zweck die Prüfung seiner Anwesenheit im nationalen Hoheitsgebiet ist und nicht seine Anhörung, den Personen, die internationalen Schutz beantragen und die wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der mehrere hundert Kilometer von Athen entfernt wohnt, nicht in der Region Athen wohnen, eine unangemessene und übermäßige Belastung auf, da sie, sofern sie sich nicht in einer Situation befinden, die eine der in Art. 78 Abs. 3 des Gesetzes 4636/2019 vorgesehenen Ausnahmen darstellt, verpflichtet sind, sich nur deshalb nach Athen, wo sich die Unabhängigen Rechtsbehelfsausschüsse befinden, zu begeben, um ihre Anwesenheit zu bekunden, ohne jedoch notwendigerweise angehört zu werden. In diesem Zusammenhang ändert der Umstand, dass die Antragsteller gemäß Art. 95 Abs. 1 des Gesetzes 4636/2019 rechtzeitig über ihre Verpflichtung informiert werden, persönlich vor diesen Ausschüssen zu erscheinen, nichts an dieser Feststellung.

67

Die Unverhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften ergibt sich namentlich aus der Rechtsfolge, die diese Rechtsvorschriften für den Fall der Missachtung der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen oder der Nichtvorlage einer Bescheinigung über das Vorliegen eines Falles höherer Gewalt oder eines unüberwindbaren Hindernisses vorsehen, da sie eine unwiderlegliche Vermutung der missbräuchlichen Einlegung eines Rechtsbehelfs begründen, so dass dieser ohne jede inhaltliche Prüfung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist. Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, kann das ausbleibende persönliche Erscheinen vor dem für die Entscheidung über den Rechtsbehelf zuständigen Gericht auf Gründen beruhen, die nicht mit einer Absicht in Verbindung stehen, die Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung über die Ausweisung oder anderweitige Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers zu behindern oder zu verzögern.

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Unter diesen Umständen ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 77 bis 89 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, in Fällen, in denen Antragsteller für internationalen Schutz sich in die Hauptstadt des Landes begeben müssen, um persönlich zu erscheinen und nicht, um angehört zu werden, wobei ihnen erhebliche Beförderungs-, Aufenthalts- und Unterbringungskosten entstehen können, eine Vermutung der missbräuchlichen Einlegung des Rechtsbehelfs, derentwegen dieser als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist, ohne dass ein solcher Antragsteller seine Anwesenheit im nationalen Hoheitsgebiet mit anderen Mitteln nachweisen könnte und ohne dass ihm die materiellen Mittel zur Verfügung gestellt würden, um der Verpflichtung zur physischen Präsenz nachkommen zu können, geeignet, die Ausübung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 übermäßig zu erschweren und somit das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz zu verletzen.

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Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 46 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für den Fall, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt, der verfahrensrechtlichen Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen vor dem Gericht nicht nachkommt, das für die Entscheidung über ihren Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ihres Antrags zuständig ist, wobei der einzige Zweck dieser Verpflichtung darin besteht, die Anwesenheit der fraglichen Person im nationalen Hoheitsgebiet zu überprüfen, und nicht darin, sie anzuhören, eine Vermutung der missbräuchlichen Einlegung dieses Rechtsbehelfs zugrunde legt und vorsieht, dass dieser Rechtsbehelf als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

Kosten

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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

 

dahin auszulegen, dass

 

er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für den Fall, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt, der verfahrensrechtlichen Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen vor dem Gericht nicht nachkommt, das für die Entscheidung über ihren Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ihres Antrags zuständig ist, wobei der einzige Zweck dieser Verpflichtung darin besteht, die Anwesenheit der fraglichen Person im nationalen Hoheitsgebiet zu überprüfen, und nicht darin, sie anzuhören, eine Vermutung der missbräuchlichen Einlegung dieses Rechtsbehelfs zugrunde legt und vorsieht, dass dieser Rechtsbehelf als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Griechisch.

( i ) Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.