URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

30. November 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Art. 3 bis 5, 17 und 27– Verordnung (EU) Nr. 603/2013 – Art. 29 – Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 – Anhang X – Recht der Person, die internationalen Schutz beantragt, auf Information – Gemeinsames Merkblatt – Persönliches Gespräch – Zu einem früheren Zeitpunkt in einem ersten Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz – Neuer Antrag in einem zweiten Mitgliedstaat – Illegaler Aufenthalt im zweiten Mitgliedstaat – Wiederaufnahmeverfahren – Verletzung des Rechts auf Information – Kein persönliches Gespräch – Schutz gegen die Gefahr der mittelbaren Zurückweisung – Gegenseitiges Vertrauen – Gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung – Umfang – Feststellung, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem ersuchten Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen – Ermessensklauseln – Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung im ersuchten Mitgliedstaat“

In den verbundenen Rechtssachen C‑228/21, C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21

betreffend fünf Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 29. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. April 2021 (C‑228/21), dem Tribunale di Roma (Gericht Rom, Italien), mit Entscheidung vom 12. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2021 (C‑254/21), dem Tribunale di Firenze (Gericht Florenz, Italien), mit Entscheidung vom 29. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Mai 2021 (C‑297/21), dem Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien), mit Entscheidung vom 14. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Mai 2021 (C‑315/21), und dem Tribunale di Trieste (Gericht Triest, Italien), mit Entscheidung vom 2. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 2021 (C‑328/21), in den Verfahren

Ministero dell’Interno, Dipartimento per le libertà civili e l’immigrazione – Unità Dublino (C‑228/21),

DG (C‑254/21),

XXX.XX (C‑297/21),

PP (C‑315/21),

GE (C‑328/21)

gegen

CZA (C‑228/21),

Ministero dell’Interno, Dipartimento per le libertà civili e l’immigrazione – Unità Dublino (C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von XXX.XX, vertreten durch C. Favilli und L. Scattoni, Avvocate,

von GE, vertreten durch C. Bove, Avvocata,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. D’Ascia und D. G. Pintus, Avvocati dello Stato,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch A.‑L. Desjonquères und J. Illouz als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. de Ree und A. Hanje als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. April 2023

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Art. 3 Abs. 2, der Art. 4 und 5, des Art. 17 Abs. 1, des Art. 18 Abs. 1, des Art. 20 Abs. 5 und des Art. 27 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung), des Art. 29 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung Nr. 604/2013 und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 181, S. 1, im Folgenden: Eurodac-Verordnung) und des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Sie ergehen im Rahmen von fünf Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Ministero dell’Interno, Dipartimento per le libertà civili e l’immigrazione – Unità Dublino (Innenministerium, Abteilung Bürgerrechte und Einwanderung – Referat Dublin, Italien) (im Folgenden: Innenministerium) und CZA wegen der Entscheidung des Innenministeriums, CZA nach einem in Italien gestellten Antrag auf internationalen Schutz nach Slowenien zu überstellen (Rechtssache C‑228/21) und zwischen DG, XXX.XX, PP, die ebenfalls in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, bzw. GE, der sich illegal in Italien aufhält, und dem Innenministerium wegen dessen Entscheidung, DG nach Schweden, XXX.XX und PP nach Deutschland und GE nach Finnland zu überstellen (Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21).

Rechtlicher Rahmen

Qualifikationsrichtlinie

3

In Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9, im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie) bestimmt Art. 8 („Interner Schutz“):

„(1)   Bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz können die Mitgliedstaaten feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern er in einem Teil seines Herkunftslandes

a)

keine begründete Furcht vor Verfolgung hat oder keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht oder

b)

Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden gemäß Artikel 7 hat,

und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2)   Bei Prüfung der Frage, ob ein Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung hat oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in einem Teil seines Herkunftslandes gemäß Absatz 1 in Anspruch nehmen kann, berücksichtigen die Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers gemäß Artikel 4. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, eingeholt werden.“

4

In Kapitel V („Voraussetzungen für subsidiären Schutz“) der Qualifikationsrichtlinie bestimmt Art. 15 („Ernsthafter Schaden“):

„Als ernsthafter Schaden gilt

c)

eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“

Dublin‑III-Verordnung

5

In den Erwägungsgründen 18 und 19 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:

„(18)

Um die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern, sollte ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller geführt werden. Der Antragsteller sollte unmittelbar bei der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz über die Anwendung dieser Verordnung und über die Möglichkeit informiert werden, bei dem Gespräch Angaben über die Anwesenheit von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung in den Mitgliedstaaten zu machen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern.

(19)

Um einen wirksamen Schutz der Rechte der Betroffenen zu gewährleisten, sollten im Einklang insbesondere mit Artikel 47 der [Charta] Rechtsgarantien und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen festgeschrieben werden. Um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, sollte ein wirksamer Rechtsbehelf gegen diese Entscheidungen sowohl die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung als auch die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen, in den der Antragsteller überstellt wird.“

6

In Kapitel II („Allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt Art. 3 („Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“) in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2)   Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der [Charta] mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.“

7

Art. 4 („Recht auf Information“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Sobald ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Artikels 20 Absatz 2 in einem Mitgliedstaat gestellt wird, unterrichten seine zuständigen Behörden den Antragsteller über die Anwendung dieser Verordnung und insbesondere über folgende Aspekte:

a)

die Ziele dieser Verordnung und die Folgen einer weiteren Antragstellung in einem anderen Mitgliedstaat sowie die Folgen eines Umzugs in einen anderen Mitgliedstaat während d[er] Schritte, in welchen der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird und der Antrag auf internationalen Schutz geprüft wird;

b)

die Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, die Rangfolge derartiger Kriterien in den einzelnen Schritten des Verfahrens und ihre Dauer einschließlich der Tatsache, dass ein in einem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz dazu führen kann, dass dieser Mitgliedstaat nach dieser Verordnung zuständig wird, selbst wenn diese Zuständigkeit nicht auf derartigen Kriterien beruht;

c)

das persönliche Gespräch gemäß Artikel 5 und die Möglichkeit, Angaben über die Anwesenheit von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung in den Mitgliedstaaten zu machen, einschließlich der Mittel, mit denen der Antragsteller diese Angaben machen kann;

d)

die Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung und gegebenenfalls zur Beantragung einer Aussetzung der Überstellung;

e)

den Umstand, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ihn betreffende Daten allein zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dieser Verordnung austauschen dürfen;

f)

das Auskunftsrecht bezüglich ihn betreffender Daten und das Recht zu beantragen, dass solche Daten berichtigt werden, sofern sie unrichtig sind, oder gelöscht werden, sofern sie unrechtmäßig verarbeitet wurden, sowie die Verfahren zur Ausübung dieser Rechte einschließlich der Kontaktangaben der Behörden im Sinne des Artikels 35 und der nationalen Datenschutzbehörden, die für die Entgegennahme von Beschwerden über den Schutz personenbezogener Daten zuständig sind.

(2)   Die Informationen nach Absatz 1 werden schriftlich in einer Sprache mitgeteilt, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass der Antragsteller sie versteht. Die Mitgliedstaaten verwenden hierzu das zu diesem Zweck gemäß Absatz 3 erstellte gemeinsame Merkblatt.

Wenn dies für das richtige Verständnis des Antragstellers notwendig ist, werden die Informationen auch mündlich, beispielsweise bei dem Gespräch nach Artikel 5, erteilt.

(3)   Die [Europäische] Kommission erstellt im Wege von Durchführungsrechtsakten ein gemeinsames Merkblatt sowie ein spezielles Merkblatt für unbegleitete Minderjährige, das mindestens die Angaben in Absatz 1 dieses Artikels enthält. Dieses gemeinsame Merkblatt enthält außerdem Informationen über die Anwendung der [Eurodac-Verordnung] und insbesondere über den Zweck, zu dem die Daten eines Antragstellers in Eurodac verarbeitet werden dürfen. Das gemeinsame Merkblatt wird so gestaltet, dass es die Mitgliedstaaten mit zusätzlichen mitgliedstaatsspezifischen Informationen ergänzen können. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 dieser Verordnung genannten Prüfverfahren erlassen.“

8

Art. 5 („Persönliches Gespräch“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern, führt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller. Dieses Gespräch soll auch das richtige Verständnis der dem Antragsteller gemäß Artikel 4 bereitgestellten Informationen ermöglichen.

(2)   Auf das persönliche Gespräch darf verzichtet werden, wenn

a)

der Antragsteller flüchtig ist oder

b)

der Antragsteller, nachdem er die in Artikel 4 genannten Informationen erhalten hat, bereits die sachdienlichen Angaben gemacht hat, so dass der zuständige Mitgliedstaat auf andere Weise bestimmt werden kann. Der Mitgliedstaat, der auf das Gespräch verzichtet, gibt dem Antragsteller Gelegenheit, alle weiteren sachdienlichen Informationen vorzulegen, die für die ordnungsgemäße Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind, bevor eine Entscheidung über die Überstellung des Antragstellers in den nach Artikel 26 Absatz 1 zuständigen Mitgliedstaat ergeht.

(3)   Das persönliche Gespräch wird zeitnah geführt, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Artikel 26 Absatz 1 entschieden wird.

(4)   Das persönliche Gespräch wird in einer Sprache geführt, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass er sie versteht und in der er sich verständigen kann. Die Mitgliedstaaten ziehen erforderlichenfalls einen Dolmetscher hinzu, der eine angemessene Verständigung zwischen dem Antragsteller und der das persönliche Gespräch führenden Person gewährleisten kann.

(5)   Das persönliche Gespräch erfolgt unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten. Es wird von einer dafür qualifizierten Person gemäß dem innerstaatlichen Recht durchgeführt.

(6)   Der Mitgliedstaat, der das persönliche Gespräch führt, erstellt eine schriftliche Zusammenfassung, die zumindest die wesentlichen Angaben des Antragstellers aus dem Gespräch enthält. Diese Zusammenfassung kann in Form eines Berichts oder eines Standardformulars erstellt werden. Der Mitgliedstaat gewährleistet, dass der Antragsteller und/oder der ihn vertretende Rechtsbeistand oder sonstiger Berater zeitnah Zugang zu der Zusammenfassung erhält.“

9

Art. 7 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt in Abs. 3:

„Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und [1]6 genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.“

10

Art. 17 („Ermessensklauseln“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 [der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 222, S. 3)] eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der [Eurodac-Verordnung] mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.“

11

Art. 18 („Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a)

einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b)

einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c)

einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d)

einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2)   Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60, im Folgenden: Verfahrensrichtlinie)] behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der [Verfahrensrichtlinie] einzulegen.“

12

Art. 19 („Übertragung der Zuständigkeit“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so obliegen diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1.

(2)   Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

Ein nach der Periode der Abwesenheit im Sinne des Unterabsatzes 1 gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

„(3)   Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben c und d erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Wiederaufnahme er ersucht wurde, nach Rücknahme oder Ablehnung des Antrags das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses oder einer Abschiebungsanordnung verlassen hat.

Ein nach einer vollzogenen Abschiebung gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.“

13

In Kapitel VI („Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren“) Abschnitt I („Einleitung des Verfahrens“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt Art. 20 („Einleitung des Verfahrens“):

„(1)   Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(2)   Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.

(5)   Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

…“

14

Art. 21 („Aufnahmegesuch“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.“

15

Art. 23 („Wiederaufnahmegesuch bei erneuter Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Ist ein Mitgliedstaat, in dem eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Auffassung, dass nach Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

(3)   Erfolgt das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde.“

16

Art. 24 („Wiederaufnahmegesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.“

17

In Kapitel VI Abschnitt IV („Verfahrensgarantien“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt Art. 26 („Zustellung der Überstellungsentscheidung“):

„(1)   Stimmt der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d zu, setzt der ersuchende Mitgliedstaat die betreffende Person von der Entscheidung in Kenntnis, sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, sowie gegebenenfalls von der Entscheidung, ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen. Wird die betreffende Person durch einen Rechtsbeistand oder einen anderen Berater vertreten, so können die Mitgliedstaaten sich dafür entscheiden, die Entscheidung diesem Rechtsbeistand oder Berater anstelle der betreffenden Person zuzustellen und die Entscheidung gegebenenfalls der betroffenen Person mitzuteilen.

(2)   Die Entscheidung nach Absatz 1 enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, einschließlich des Rechts, falls erforderlich, aufschiebende Wirkung zu beantragen, und der Fristen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs sowie Informationen über die Frist für die Durchführung der Überstellung mit erforderlichenfalls Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betreffende Person zusammen mit der Entscheidung nach Absatz 1 Angaben zu Personen oder Einrichtungen erhält, die sie rechtlich beraten können, sofern diese Angaben nicht bereits mitgeteilt wurden.

(3)   Wird die betreffende Person nicht durch einen Rechtsbeistand oder einen anderen Berater unterstützt oder vertreten, so informiert der Mitgliedstaat sie in einer Sprache, die sie versteht oder bei der vernünftigerweise angenommen werden kann, dass sie sie versteht, über die wesentlichen Elemente der Entscheidung, darunter stets über mögliche Rechtsbehelfe und die Fristen zur Einlegung solcher Rechtsbehelfe.“

18

Art. 27 („Rechtsmittel“) der Dublin‑III-Verordnung, der ebenfalls zu Kapitel VI Abschnitt IV der Verordnung gehört, bestimmt in Abs. 1:

„(1) Der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.“

19

In Kapitel VI Abschnitt VI („Überstellung“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt Art. 29 („Modalitäten und Fristen“) in Abs. 2:

„Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.“

Verfahrensrichtlinie

20

In Kapitel II („Grundsätze und Garantien“) der Verfahrensrichtlinie bestimmt Art. 9 („Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags“) in Abs. 3:

„Ein Mitgliedstaat darf einen Antragsteller nur dann gemäß Absatz 2 an einen Drittstaat ausliefern, wenn sich die zuständigen Behörden davon überzeugt haben, dass eine Auslieferungsentscheidung keine unmittelbare oder mittelbare Zurückweisung zur Folge hat, die einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten dieses Mitgliedstaats darstellt.“

21

Art. 14 („Persönliche Anhörung“) der Verfahrensrichtlinie bestimmt:

„(1)   Bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, wird dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz durch einen nach nationalem Recht für die Durchführung einer solchen Anhörung zuständigen Bediensteten gegeben. Persönliche Anhörungen zum Inhalt eines Antrags werden von einem Bediensteten der Asylbehörde durchgeführt. Dieser Unterabsatz lässt Artikel 42 Absatz 2 Buchstabe b unberührt.

Ist es der Asylbehörde wegen einer großen Zahl von gleichzeitig eingehenden Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in der Praxis unmöglich, fristgerecht Anhörungen zum Inhalt jedes einzelnen Antrags durchzuführen, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese Anhörungen vorübergehend von Bediensteten einer anderen Behörde durchgeführt werden. In diesen Fällen erhalten die Bediensteten dieser anderen Behörde zuvor eine entsprechende Schulung …

(2)   Auf die persönliche Anhörung zum Inhalt des Antrags kann verzichtet werden, wenn

a)

die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine positive Entscheidung im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft treffen kann oder

b)

die Asylbehörde der Auffassung ist, dass der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall konsultiert die Asylbehörde medizinisches Fachpersonal, um festzustellen, ob es sich bei dem Umstand, der dazu führt, dass der Antragsteller nicht zu einer Anhörung in der Lage ist, um einen vorübergehenden oder dauerhaften Zustand handelt.

Findet eine persönliche Anhörung des Antragstellers – oder gegebenenfalls der vom Antragsteller abhängigen Person – gemäß Buchstabe b nicht statt, so müssen angemessene Bemühungen unternommen werden, damit der Antragsteller oder die von ihm abhängige Person weitere Informationen unterbreiten können.

(3)   Die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung gemäß diesem Artikel stattgefunden hat, hindert die Asylbehörde nicht daran, über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden.

(4)   Die Tatsache, dass nach Absatz 2 Buchstabe b keine persönliche Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung der Asylbehörde nicht negativ beeinflussen.

(5)   Ungeachtet des Artikels 28 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die Tatsache berücksichtigen, dass der Antragsteller einer Aufforderung zur persönlichen Anhörung nicht nachgekommen ist, es sei denn, er hat berechtigte Gründe für sein Fernbleiben vorgebracht.“

22

Art. 15 („Anforderungen an die persönliche Anhörung“) der Verfahrensrichtlinie bestimmt:

„(1)   Die persönliche Anhörung findet in der Regel ohne die Anwesenheit von Familienangehörigen statt, soweit nicht die Asylbehörde die Anwesenheit solcher Angehörigen zwecks einer angemessenen Prüfung für erforderlich hält.

(2)   Eine persönliche Anhörung erfolgt unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten.

(3)   Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen um sicherzustellen, dass persönliche Anhörungen unter Bedingungen durchgeführt werden, die Antragstellern eine umfassende Darlegung der Gründe ihrer Anträge gestatten. Zu diesem Zweck

a)

gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die anhörende Person befähigt ist, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der kulturellen Herkunft, der Geschlechtszugehörigkeit, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder der Schutzbedürftigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen;

b)

sehen die Mitgliedstaaten, soweit möglich, vor, dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen;

c)

wählen die Mitgliedstaaten einen Dolmetscher, der eine angemessene Verständigung zwischen dem Antragsteller und der anhörenden Person zu gewährleisten vermag. Die Verständigung erfolgt in der vom Antragsteller bevorzugten Sprache, es sei denn, es gibt eine andere Sprache, die er versteht und in der er sich klar ausdrücken kann. Die Mitgliedstaaten stellen, soweit möglich, einen Dolmetscher gleichen Geschlechts bereit, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen;

d)

stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Person, die die Anhörung zum Inhalt des Antrags auf internationalen Schutz durchführt, keine Militär- oder Polizeiuniform trägt;

e)

stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Anhörungen von Minderjährigen kindgerecht durchgeführt werden.

(4)   Die Mitgliedstaaten können Vorschriften über die Anwesenheit Dritter bei der persönlichen Anhörung erlassen.“

23

Kapitel III („Erstinstanzliche Verfahren“) der Verfahrensrichtlinie enthält die Art. 31 bis 43.

24

Art. 33 („Unzulässige Anträge“) der Verfahrensrichtlinie bestimmt in Abs. 2:

„Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

a)

ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat;

…“

25

Art. 34 der Verfahrensrichtlinie („Besondere Vorschriften für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung“) bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„Die Mitgliedstaaten geben den Antragstellern Gelegenheit, sich zu der Anwendung der Gründe nach Artikel 33 in ihrem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet. Hierzu führen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eine persönliche Anhörung durch. Die Mitgliedstaaten dürfen nur dann eine Ausnahme nach Maßgabe von Artikel 42 machen, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt.“

Eurodac-Verordnung

26

Art. 2 der Eurodac-Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b)

‚Herkunftsmitgliedstaat‘

iii)

im Zusammenhang mit einer unter Artikel 17 Absatz 1 fallenden Person den Mitgliedstaat, der die personenbezogenen Daten an das Zentralsystem übermittelt und die Abgleichsergebnisse erhält;

…“

27

Art. 3 der Eurodac-Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Eurodac besteht aus:

a)

einer rechnergestützten zentralen Fingerabdruck-Datenbank (im Folgenden ‚Zentralsystem‘) …

…“

28

Art. 17 der Eurodac-Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Um zu überprüfen, ob ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, zu einem früheren Zeitpunkt einen Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, kann ein Mitgliedstaat dem Zentralsystem die Fingerabdruckdaten, die er einem solchen mindestens 14 Jahre alten Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gegebenenfalls abgenommen hat, zusammen mit der von diesem Mitgliedstaat verwendeten Kennnummer übermitteln.

Eine Überprüfung, ob der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose zu einem früheren Zeitpunkt bereits einen Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, ist in der Regel begründet, wenn

a)

der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose erklärt, dass er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, jedoch den Mitgliedstaat der Antragstellung nicht angibt;

b)

der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose keinen Antrag auf internationalen Schutz stellt, die Rückführung in sein Herkunftsland jedoch mit der Begründung ablehnt, er sei dort in Gefahr, oder

c)

der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose seine Abschiebung anderweitig zu verhindern versucht, indem er es ablehnt, bei der Feststellung seiner Identität mitzuwirken, vor allem indem er keine oder gefälschte Ausweispapiere vorlegt.“

29

Art. 29 („Rechte der von der Datenverarbeitung betroffenen Personen“) der Eurodac-Verordnung bestimmt:

„(1)   Der Herkunftsmitgliedstaat unterrichtet die unter … Artikel 17 Absatz 1 fallenden Personen schriftlich, falls notwendig auch mündlich, in einer Sprache, die sie verstehen oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie sie verstehen, über:

b)

den mit der Verarbeitung ihrer Daten in Eurodac verfolgten Zweck, einschließlich einer Beschreibung der Ziele der [Dublin‑III-Verordnung] im Einklang mit Artikel 4 der [Dublin‑III-Verordnung], sowie in verständlicher Form in einer klaren und einfachen Sprache darüber, dass die Mitgliedstaaten und Europol zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken Zugang zu Eurodac haben;

(2)   …

Die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Informationen werden Personen im Sinne des Artikels 17 Absatz 1 spätestens zum Zeitpunkt der Übermittlung der sie betreffenden Daten an das Zentralsystem erteilt. Diese Informationspflicht besteht nicht, wenn die Erteilung dieser Informationen sich als unmöglich erweist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.

(3)   Nach dem Verfahren gemäß Artikel 44 Absatz 2 der [Dublin‑III-Verordnung] wird ein gemeinsames Merkblatt erstellt, das mindestens die Angaben gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels und gemäß Artikel 4 Absatz 1 der [Dublin‑III-Verordnung] enthält.

Das Merkblatt muss klar und einfach in einer Sprache abgefasst sein, die die betroffene Person versteht oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie sie versteht.

Das Merkblatt wird so gestaltet, dass es die Mitgliedstaaten mit zusätzlichen mitgliedstaatsspezifischen Informationen ergänzen können. Diese mitgliedstaatsspezifischen Informationen müssen mindestens Angaben über die Rechte der betreffenden Person und die Möglichkeit einer Unterstützung durch die nationale[n] Kontrollbehörden sowie die Kontaktdaten des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen und der nationalen Kontrollbehörden enthalten.

…“

30

Art. 37 („Haftung“) der Eurodac-Verordnung bestimmt:

„(1)   Jede Person oder jeder Mitgliedstaat, der oder dem durch eine rechtswidrige Verarbeitung oder durch eine andere Handlung, die dieser Verordnung zuwiderläuft, ein Schaden entstanden ist, hat das Recht, von dem für den erlittenen Schaden verantwortlichen Mitgliedstaat Schadenersatz zu verlangen. Dieser Mitgliedstaat wird teilweise oder vollständig von seiner Haftung befreit, wenn er nachweist, dass er für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, nicht verantwortlich ist.

(3)   Die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen nach den Absätzen 1 und 2 gegen einen Mitgliedstaat unterliegt den nationalen Rechtsvorschriften des beklagten Mitgliedstaats.“

Verordnung Nr. 1560/2003

31

Art. 16a („Informationsmerkblätter für Personen, die internationalen Schutz beantragen“) der Verordnung Nr. 1560/2003 in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. 2014, L 39, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1560/2003) bestimmt:

„(1)   Anhang X enthält ein gemeinsames Merkblatt, mit dem alle Personen, die internationalen Schutz beantragen, über die Bestimmungen der [Dublin‑III-Verordnung] und die Anwendung der [Eurodac-Verordnung] informiert werden.

(4)   Anhang XIII enthält Informationen für Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten.“

32

Wie Art. 16a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1560/2003 vorsieht, enthält Anhang X der Verordnung ein Muster des gemeinsamen Merkblatts, von dem in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Dublin‑III-Verordnung und in Art. 29 Abs. 3 der Eurodac-Verordnung die Rede ist (im Folgenden: gemeinsames Merkblatt). Teil A („Informationen über die Dublin-Verordnung gemäß Artikel 4 der [Dublin‑III-Verordnung] für Personen, die internationalen Schutz beantragen“) des Anhangs X enthält Ausführungen zum Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, zur konkreten Anwendung dieses Verfahrens und zur Anwendung der Eurodac-Verordnung, Informationen über die Rechte der betreffenden Person und verschiedene an diese im Interesse eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens gerichteten Empfehlungen und Bitten. Am Ende des Teils A des Anhangs X findet sich ein eingerahmter Text mit einer dazugehörenden Fußnote:

„Wenn wir der Ansicht sind, dass ein [anderer Mitgliedstaat] für die Prüfung [I]hres Antrags zuständig sein könnte, erhalten Sie detaillierte Informationen über dieses Verfahren und seine Auswirkungen auf Sie und Ihre Rechte(1).

(1) Die Informationen sind in Teil B des vorliegenden Anhangs enthalten.“

33

Teil B („Das Dublin-Verfahren – Informationen für Personen, die internationalen Schutz beantragen und sich in einem Dublin-Verfahren befinden, Artikel 4 der [Dublin‑III-Verordnung]“) des Anhangs X enthält das Muster des gemeinsamen Merkblatts, das der betreffenden Person ausgehändigt wird, wenn die zuständigen nationalen Behörden Grund zu der Annahme haben, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sein könnte. Es enthält speziellere Ausführungen zu dem Verfahren, das in diesem Fall zur Anwendung kommt, sowie ebenfalls Informationen über die Rechte der betreffenden Person und verschiedene an diese im Interesse eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens gerichteten Empfehlungen und Bitten. Im Textteil von Teil B ist folgende mit einer Fußnote versehene Angabe enthalten:

„– Ihre Fingerabdrücke wurden in einem anderen [Mitgliedstaat] abgenommen (und in der sogenannten Eurodac-Datenbank gespeichert[1]).

(1) Weitere Informationen über Eurodac finden Sie in Teil A im Abschnitt ‚Warum werden meine Fingerabdrücke abgenommen?‘.“

34

Anhang XIII der Verordnung Nr. 1560/2003 enthält das Muster der „Informationen für Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, gemäß Artikel 29 Absatz 3 der [Eurodac-Verordnung]“. Er enthält unter anderem folgende Informationen und folgende Fußnote:

„Falls Sie sich illegal in einem [Mitgliedstaat] … aufhalten, können die Behörden Ihre Fingerabdrücke abnehmen und an eine Fingerabdruck-Datenbank namens ‚Eurodac‘ übermitteln. Dies dient lediglich der Überprüfung, ob Sie in der Vergangenheit bereits Asyl beantragt haben. Ihre Fingerabdruck-Daten werden nicht in der Eurodac-Datenbank gespeichert. Falls Sie jedoch in der Vergangenheit in einem anderen [Mitgliedstaat] Asyl beantragt haben, können Sie in dieses Land zurückgesandt werden.

Falls unsere Behörden der Auffassung sind, dass Sie möglicherweise in einem anderen [Mitgliedstaat] internationalen Schutz beantragt haben und dass diese[r Mitgliedstaat] für die Prüfung Ihres Antrags zuständig sein könnte, erhalten Sie genauere Informationen über das folgende Verfahren und dessen Auswirkungen auf Sie und Ihre Rechte (2).

(2) Die Informationen sind die in Teil B von Anhang X vorgesehenen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑228/21

35

CZA stellte in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach Überprüfung ersuchte die Italienische Republik die Republik Slowenien, den Mitgliedstaat, in dem CZA zu einem früheren Zeitpunkt einen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, darum, CZA gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III Verordnung wieder aufzunehmen, wozu sich die Republik Slowenien dann am 16. April 2018 bereit erklärte.

36

CZA erhob gegen die gegen ihn getroffene Überstellungsentscheidung beim Tribunale di Catanzaro (Gericht Catanzaro, Italien) Klage. Dieses Gericht erklärte die Überstellungsentscheidung wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Information gemäß Art. 4 der Dublin‑III Verordnung für nichtig.

37

Dagegen legte das Innenministerium bei der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑228/21, Kassationsbeschwerde ein. Es macht geltend, dass Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung nicht richtig angewandt worden sei.

38

Die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass ein Rechtsbehelf im Sinne von Art. 27 der Verordnung gegen eine von einem Mitgliedstaat gemäß dem Verfahren nach Art. 26 der Verordnung und auf der Grundlage der Wiederaufnahmepflicht nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung erlassene Überstellungsentscheidung allein darauf gestützt werden kann, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellungsanordnung erlassen hat, das in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung geregelte gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt hat?

2.

Ist Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit den Erwägungsgründen 18 und 19 sowie Art. 4 der Verordnung dahin auszulegen, dass ein wirksamer Rechtsbehelf bei einem festgestellten Verstoß gegen die in Art. 4 vorgesehenen Verpflichtungen erfordert, dass der Richter die Überstellungsentscheidung aufhebt?

3.

Bei einer Verneinung der Frage 2: Ist Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit den Erwägungsgründen 18 und 19 sowie Art. 4 der Verordnung dahin auszulegen, dass ein wirksamer Rechtsbehelf bei einem festgestellten Verstoß gegen die in Art. 4 der Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen erfordert, dass der Richter die Relevanz eines solchen Verstoßes anhand der vom Rechtsbehelfsführer vorgetragenen Umstände prüft, und ihm erlaubt, die Überstellungsentscheidung in all den Fällen zu bestätigen, in denen keine Gründe für den Erlass einer Überstellungsentscheidung anderen Inhalts zutage treten?

Rechtssache C‑254/21

39

DG, der nach seinen eigenen Angaben die afghanische Staatsangehörigkeit besitzt, stellte in Schweden einen Antrag auf internationalen Schutz, der endgültig abgelehnt wurde.

40

In der Zwischenzeit hatte sich DG nach Italien begeben, wo er einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nach einer Eurodac-Abfrage ersuchte die Italienische Republik das Königreich Schweden darum, DG gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III Verordnung wieder aufzunehmen. Das Königreich Schweden erklärte sich hierzu bereit. Die Italienische Republik erließ daraufhin eine Überstellungsentscheidung.

41

DG erhob dagegen beim Tribunale di Roma (Gericht Rom, Italien), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑254/21, wegen Verstoßes gegen Art. 4 der Charta und Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Klage.

42

Er macht geltend, dass das Königreich Schweden seinen Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt habe, ohne auf die Gesamtsituation in Afghanistan einzugehen, die durch willkürliche Gewalt geprägt sei. Die Überstellungsentscheidung der Italienischen Republik verstoße gegen Art. 4 der Charta, weil durch sie für ihn insoweit die Gefahr einer „mittelbaren Zurückweisung“ bestehe, als sich das Königreich Schweden durch sie veranlasst sehen könnte, ihn nach Afghanistan zurückzuweisen. In diesem Drittland bestehe für ihn die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. DG beantragt daher beim vorlegenden Gericht, festzustellen, dass die Italienische Republik seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung zu prüfen habe.

43

Der Innenminister tritt dem entgegen. Anträge auf internationalen Schutz würden nur von einem Mitgliedstaat geprüft, hier dem Königreich Schweden. Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung komme nur zum Tragen, wenn es um eine Familienzusammenführung gehe oder seine Anwendung aus besonderen humanitären Gründen oder aus Gründen der Mitmenschlichkeit geboten sei.

44

Das Tribunale di Roma (Gericht Rom) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Verlangt das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta, dass die Art. 4 und 19 der Charta unter den Umständen des Ausgangsverfahrens auch gegen die Gefahr der indirekten Zurückweisung infolge einer Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, der keine systemischen Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung aufweist (in Ermangelung anderer Mitgliedstaaten, die auf der Grundlage der Kriterien in den Kapiteln III und IV zuständig sind) und den ersten Antrag auf internationalen Schutz bereits geprüft und zurückgewiesen hat, Schutz gewähren?

2.

Muss das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der zweite Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, das mit einer Klage im Sinne von Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung befasst ist – und damit dafür zuständig ist, die Überstellung innerhalb der Union zu prüfen, aber nicht dafür, über den Antrag auf Schutz zu entscheiden –, die Gefahr der indirekten Zurückweisung in ein Drittland als gegeben bewerten, wenn der Mitgliedstaat, in dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, den Begriff „interner Schutz“ im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2011/95 anders beurteilt hat?

3.

Ist die Beurteilung der Gefahr der indirekten Zurückweisung infolge der in zwei Mitgliedstaaten unterschiedlichen Auslegung des Bedürfnisses nach „internem Schutz“ vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung und mit dem allgemeinen Verbot für Drittstaatsangehörige, den Mitgliedstaat auszuwählen, in dem sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellen?

4.

Wenn die vorstehenden Fragen bejaht werden:

a)

Verpflichtet die Beurteilung des Vorliegens der Gefahr der indirekten Zurückweisung, die von dem Gericht des Staates vorgenommen wurde, in dem der Antragsteller nach der Zurückweisung des ersten Antrags den zweiten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, zur Anwendung der Klausel in Art. 17 Abs. 1, die von der Dublin‑III-Verordnung als „Ermessensklausel“ definiert wird?

b)

Welche Kriterien muss das gemäß Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung angerufene Gericht zusätzlich zu den in den Kapiteln III und IV genannten heranziehen, um – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Gefahr von dem Staat, der den ersten Antrag auf internationalen Schutz geprüft hat, bereits ausgeschlossen wurde – die indirekte Gefahr der Zurückweisung beurteilen zu können?“

Rechtssache C‑297/21

45

XXX.XX, der nach seinen eigenen Angaben die afghanische Staatsangehörigkeit besitzt, stellte in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz, der endgültig abgelehnt wurde. Es wurde daraufhin eine Abschiebungsanordnung erlassen, die inzwischen bestandskräftig ist.

46

In der Zwischenzeit hatte sich XXX.XX nach Italien begeben, wo er einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nach einer Eurodac-Abfrage ersuchte die Italienische Republik die Bundesrepublik Deutschland darum, XXX.XX gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung wieder aufzunehmen. Die Bundesrepublik Deutschland erklärte sich hierzu bereit. Die Italienische Republik erließ daraufhin eine Überstellungsentscheidung.

47

XXX.XX erhob dagegen beim Tribunale di Firenze (Gericht Florenz, Italien), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑297/21, wegen Verstoßes gegen Art. 4 der Charta und Art. 3 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Klage.

48

XXX.XX macht geltend, dass die Italienische Republik seinen Antrag abgelehnt habe, ohne auf die Gesamtsituation in Afghanistan einzugehen, die durch willkürliche Gewalt geprägt sei. Die Überstellungsentscheidung verstoße gegen Art. 4 der Charta, da durch sie für ihn insoweit die Gefahr einer „mittelbaren Zurückweisung“ bestehe, als sich die Bundesrepublik Deutschland durch sie veranlasst sehen könnte, ihn nach Afghanistan zurückzuweisen. XXX.XX beantragt daher beim vorlegenden Gericht, die gegen ihn erlassene Überstellungsentscheidung für nichtig zu erklären und in seinem Fall von Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Gebrauch zu machen.

49

Der Innenminister tritt dem entgegen. Anträge auf internationalen Schutz könnten nur von einem Mitgliedstaat geprüft werden, hier der Bundesrepublik Deutschland. Das Verfahren, das durch einen Rechtsbehelf gegen eine gemäß Art. 18 der Dublin‑III-Verordnung erlassene Überstellungsentscheidung eingeleitet werde, diene nicht dazu, die bei einer „Zurückweisung“ in das Herkunftsland bestehende Gefahr erneut zu bewerten, sondern zu prüfen, ob die Entscheidung der Überstellung nach Deutschland rechtmäßig sei, wobei zu beachten sei, dass Deutschland sich an das absolute Verbot halten müsse, XXX.XX in ein Drittland zurückzuschicken, in dem er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden könnte.

50

Das Tribunale di Firenze (Gericht Florenz) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung im Einklang mit den Art. 19 und 47 der Charta und Art. 27 der Verordnung dahin auszulegen, dass es dem Gericht des Mitgliedstaats, das mit der Anfechtung der Maßnahme des Innenministeriums befasst ist, gestattet ist, die Zuständigkeit des Staates, der die Überstellung auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung durchführen müsste, festzustellen, wenn es feststellt, dass im zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung durch Zurückweisung des Antragstellers in sein Herkunftsland besteht, in dem dem Antragsteller Lebensgefahr oder die Gefahr unmenschlicher und entwürdigender Behandlung drohen würde?

2.

Hilfsweise: Ist Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung im Einklang mit den Art. 19 und 47 der Charta und Art. 27 der Verordnung dahin auszulegen, dass es dem Gericht gestattet ist, die Zuständigkeit des Staates festzustellen, der die Überstellung gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung durchzuführen hat, wenn feststeht:

a)

dass im zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung durch Zurückweisung des Antragstellers in sein Herkunftsland besteht, in dem dem Antragsteller Lebensgefahr oder die Gefahr unmenschlicher und entwürdigender Behandlung drohen würde;

b)

dass es unmöglich ist, die Überstellung in einen anderen auf der Grundlage der Kriterien in Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung bestimmten Mitgliedstaat durchzuführen?“

Rechtssache C‑315/21

51

PP, der in Pakistan geboren ist, stellte in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz.

52

Er begab sich nach Italien, wo er einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nach einer Eurodac-Abfrage ersuchte die Italienische Republik die Bundesrepublik Deutschland darum, PP gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung wieder aufzunehmen. Die Bundesrepublik Deutschland erklärte sich hierzu gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung bereit. Die Italienische Republik erließ daraufhin eine Überstellungsentscheidung.

53

PP erhob beim Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑315/21, Klage auf Nichtigerklärung der Überstellungsentscheidung. Er macht geltend, dass sein Recht auf Information aus Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung verletzt werde und für ihn durch die Überstellungsentscheidung rechtswidrig die Gefahr einer „mittelbaren Zurückweisung“ nach Pakistan durch die Bundesrepublik Deutschland bestehe.

54

Der Innenminister tritt dem entgegen. Zum einen habe er nachgewiesen, dass das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung geführt worden sei. Zum anderen sei das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache nach der Rechtsprechung der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) nicht dafür zuständig, formale Fehler wegen Nichteinhaltung der Dublin‑III-Verordnung festzustellen oder die Situation von PP in der Sache zu prüfen. Dafür sei der Mitgliedstaat zuständig, der bereits als zuständig bestimmt sei, nämlich die Bundesrepublik Deutschland. Außerdem sei die gegen PP erlassene Überstellungsentscheidung, sofern keine konkrete Verletzung von dessen Rechten vorliege, nicht bereits deshalb ungültig, weil Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung nicht eingehalten worden sei.

55

Was die Gefahr einer „mittelbaren Zurückweisung“ angehe, so sei davon auszugehen, dass Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung, wonach der zuständige Mitgliedstaat sicherzustellen habe, dass die betreffende Person die Möglichkeit habe oder gehabt habe, einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, in allen Mitgliedstaaten beachtet werde. Diese Verpflichtung ergebe sich nämlich aus einer Verordnung der Union, die unmittelbar anwendbar sei. Außerdem sei der in dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), das am 22. April 1954 in Kraft getreten und von sämtlichen Mitgliedstaaten ratifiziert worden sei, verankerte allgemeine Grundsatz der Nichtzurückweisung garantiert. Wegen des gegenseitigen Vertrauens, das die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten prägen sollte, dürften die Gerichte eines Mitgliedstaats daher nicht prüfen, ob in einem anderen Mitgliedstaat, der als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt sei, die Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz garantiert sei.

56

Das Tribunale di Milano (Gericht Mailand) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind die Art. 4 und 5 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass ihre Verletzung für sich genommen die Rechtswidrigkeit der gemäß Art. 27 der Verordnung angefochtenen Maßnahme unabhängig von den konkreten Folgen des genannten Verstoßes für den Inhalt der Maßnahme und die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach sich zieht?

2.

Ist Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 Buchst. a oder mit Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d und Art. 20 Abs. 5 der Verordnung dahin auszulegen, dass er voneinander verschiedene Anfechtungsgegenstände, unterschiedliche gerichtlich geltend zu machende Rügen und verschiedene Arten von Verstößen gegen die Pflichten im Sinne der Art. 4 und 5 der Verordnung, Informationen zu erteilen und ein persönliches Gespräch zu führen, benennt?

3.

Falls die Frage 2 bejaht wird: Sind die Art. 4 und 5 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass die dort vorgesehenen Informationsgarantien nur in dem von Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung vorgesehenen Fall gelten und nicht auch im Wiederaufnahmeverfahren, oder sind sie dahin auszulegen, dass in diesem Verfahren Informationspflichten zumindest in Bezug auf die Übertragung der Zuständigkeiten gemäß Art. 19 der Verordnung oder auf die in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Antragsteller, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta mit sich bringen, bestehen?

4.

Ist Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass unter „systemische Schwachstellen des Asylverfahrens“ auch die etwaigen Folgen der bereits rechtskräftigen Entscheidungen über die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz fallen, die vom Gericht des Mitgliedstaats erlassen wurden, der die Wiederaufnahme durchführt, wenn das gemäß Art. 27 der Verordnung angerufene Gericht die Gefahr für den Kläger, im Fall der Repatriierung in sein Herkunftsland durch den Mitgliedstaat eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung zu erleiden, auch unter Berücksichtigung des angenommenen Vorliegens eines allgemeinen bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 im konkreten Fall für gegeben hält?

Rechtssache C‑328/21

57

GE, der aus dem Irak stammt, stellte in Finnland einen Antrag auf internationalen Schutz.

58

Er begab sich sodann nach Italien, wo er wegen illegalen Aufenthalts angezeigt wurde. Nach einer Eurodac-Abfrage ersuchte die Italienische Republik die Republik Finnland darum, GE gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung wieder aufzunehmen. Die Republik Finnland erklärte sich hierzu gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung bereit. Die Italienische Republik erließ daraufhin eine Überstellungsentscheidung.

59

GE erhob dagegen beim Tribunale di Trieste (Gericht Triest, Italien), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑328/21, Klage. Er macht geltend, dass die Überstellungsentscheidung gegen Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung, den Grundsatz der Nichtzurückweisung, Art. 17 der Eurodac-Verordnung, Art. 20 der Dublin‑III-Verordnung und die Informationspflichten gemäß Art. 29 der Eurodac-Verordnung und Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung verstoße.

60

Der Innenminister tritt dem entgegen.

61

Das Tribunale di Trieste (Gericht Triest) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Welche rechtlichen Folgen sieht das Recht der Europäischen Union in Bezug auf Entscheidungen über die Überstellung zur Wiederaufnahme gemäß Kapitel VI Abschnitt III der Dublin‑III-Verordnung vor, wenn der Staat die in Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 der Eurodac-Verordnung vorgesehenen Informationen nicht erteilt hat?

2.

Für den Fall, dass ein umfassender und wirksamer Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung eingelegt wurde:

a)

Ist Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen,

dass die unterbliebene Aushändigung des in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Merkblatts an eine Person, die sich in der in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung beschriebenen Lage befindet, für sich genommen die nicht heilbare Nichtigkeit der Überstellungsentscheidung nach sich zieht (und eventuell auch bewirkt, dass der Mitgliedstaat, an den die Person ihren neuen Antrag gerichtet hat, für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist);

oder dahin, dass es dem Kläger obliegt, im Verfahren darzutun, dass das Verfahren einen anderen Ausgang genommen hätte, wenn ihm das Merkblatt ausgehändigt worden wäre?

b)

Ist Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen,

dass die unterbliebene Aushändigung des in Art. 29 der Eurodac-Verordnung vorgesehenen Merkblatts an eine Person, die sich in der in Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung beschriebenen Lage befindet, für sich genommen die nicht heilbare Nichtigkeit der Überstellungsentscheidung nach sich zieht (und eventuell auch das daraus folgende erforderliche Angebot der Möglichkeit, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen);

oder dahin, dass es dem Kläger obliegt, im Verfahren darzutun, dass das Verfahren einen anderen Ausgang genommen hätte, wenn ihm das Merkblatt ausgehändigt worden wäre?

Verfahren vor dem Gerichtshof

62

Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21 haben beantragt, die Rechtssachen gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen bzw. gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit Vorrang über sie zu entscheiden.

63

Sie begründen dies im Wesentlichen damit, dass die Situation der Unsicherheit, in der sich die betreffenden Personen befänden, beendet werden müsse, dass die Entscheidungen in den Ausgangsverfahren insbesondere wegen der erheblichen Zahl anhängiger Verfahren, die vergleichbare Fragen beträfen, sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach dem innerstaatlichen Recht rasch ergehen müssten und dass es mit den voneinander abweichenden Entscheidungen der nationalen Gerichte unbedingt ein Ende haben müsse.

64

Mit Entscheidungen des Präsidenten des Gerichtshofs von 14. Juni und 6. Juli 2021 ist den vorlegenden Gerichten in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21 mitgeteilt worden, dass ihre Anträge auf beschleunigtes Verfahren zurückgewiesen worden sind. Diese Entscheidungen beruhen im Wesentlichen auf folgenden Gründen. Zum einen ist die Vollziehung der in Rede stehenden Überstellungsentscheidungen bis zur Antwort des Gerichtshofs ausgesetzt worden. Zum anderen haben die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21 nicht dargetan, dass es erforderlich wäre, gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung im beschleunigten Verfahren zu entscheiden.

65

Die Anwendung des beschleunigten Verfahrens rechtfertigen nach ständiger Rechtsprechung für sich genommen weder das bloße Interesse der Rechtsunterworfenen – so bedeutend und legitim es auch sein mag – an einer möglichst raschen Klärung des Umfangs der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte noch die Tatsache, dass von der Entscheidung, die ein vorlegendes Gericht zu treffen hat, nachdem es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, potenziell eine große Zahl von Personen oder Rechtsverhältnissen betroffen ist (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 22. November 2018, Globalcaja, C‑617/18, EU:C:2018:953, Rn. 13 und 14 und die dort angeführte Rechtsprechung), noch das Vorbringen, dass Vorabentscheidungsersuchen, die die Dublin‑III-Verordnung beträfen, stets eine schnelle Antwort erforderten (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017, M. A. u. a., C‑661/17, EU:C:2017:1024, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung), noch der Umstand, dass das Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen eines Verfahrens eingereicht wurde, das im nationalen System eilbedürftig ist, oder dass das vorlegende Gericht verpflichtet ist, eine zügige Beilegung des Ausgangsrechtsstreits sicherzustellen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Januar 2017, Hassan, C‑647/16, EU:C:2017:67, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung), noch die Notwendigkeit, eine divergierende nationale Rechtsprechung zu vereinheitlichen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. April 2018, Oro Efectivo, C‑185/18, EU:C:2018:298, Rn. 17).

66

Was die Anträge angeht, mit Vorrang über die Rechtssachen zu entscheiden, so ist den vorlegenden Gerichten in den Rechtssachen C‑315/21 und C‑328/21 mitgeteilt worden, dass diese Rechtssachen nicht gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang zu bearbeiten sind und dass ihre Anträge mit dieser Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs nicht zurückgewiesen werden, da ein Antrag des vorlegenden Gerichts, ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß dieser Bestimmung mit Vorrang zu bearbeiten, nach der Verfahrensordnung nicht statthaft ist.

67

Mit Entscheidung vom 6. Juli 2021 sind die Rechtssachen C‑228/21, C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

Zu den Vorlagefragen

68

Die Vorabentscheidungsersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Überstellungsentscheidungen, die vom Innenminister gemäß den der Umsetzung von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dienenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften erlassen wurden.

69

In sämtlichen Ausgangsverfahren wurden die Überstellungsentscheidungen gegen die betreffenden Personen nicht zum Zweck der Aufnahme (Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Dublin‑III-Verordnung), sondern zum Zweck der Wiederaufnahme (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bzw. d der Dublin‑III-Verordnung) durch den ersuchten Mitgliedstaat erlassen.

70

In den Ausgangsverfahren geht es jeweils um eines der beiden folgenden Probleme oder beide davon.

71

Das erste Problem – um das es in den Rechtssachen C‑228/21, C‑315/21 und C‑328/21 geht – betrifft das Recht auf Information (Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 der Eurodac-Verordnung) und die Führung des persönlichen Gesprächs (Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung). Es geht darum, welche Folgen es für die Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung hat, wenn das gemeinsame Merkblatt gemäß Art. 4 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 Abs. 3 der Eurodac-Verordnung nicht ausgehändigt und das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung nicht durchgeführt worden ist.

72

Das zweite Problem – um das es in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21 und C‑315/21 geht – betrifft die Frage, ob das Gericht, das die Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung zu überprüfen hat, die Gefahr einer „mittelbaren Zurückweisung“ der betreffenden Person und damit eines Verstoßes des zuständigen Mitgliedstaats gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu berücksichtigen hat.

Zu den Fragen in den Rechtssachen C‑228/21 und C‑328/21 und zu den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑315/21

73

Es bietet sich an, diese Fragen zusammen zu prüfen. Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑228/21, C‑315/21 und C‑328/21 möchten im Wesentlichen wissen, ob die Dublin‑III-Verordnung – insbesondere die Art. 4, 5 und 27 – und die Eurodac-Verordnung – insbesondere Art. 29 – dahin auszulegen sind, dass, wenn das gemeinsame Merkblatt, anders als in diesen Bestimmungen vorgesehen, nicht ausgehändigt wird und/oder das persönliche Gespräch, anders als in diesen Bestimmungen vorgesehen, nicht geführt wird, dies unabhängig davon, wie sich dies konkret auf den Inhalt der Überstellungsentscheidung und auf die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auswirkt, zur Nichtigkeit der im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens gemäß Art. 23 Abs. 1 oder Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung erlassenen Überstellungsentscheidung führt.

74

In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, welche Tragweite das Recht auf Information und das Recht auf ein persönliches Gespräch jeweils haben und welche Rechtsfolgen die Verletzung dieser Rechte hat.

Zum Recht auf Information (Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 der Eurodac-Verordnung)

75

Zunächst ist festzustellen, dass Gegenstand der Ausgangsverfahren Überstellungsentscheidungen sind, die nicht im Rahmen von Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 der Dublin‑III-Verordnung ergangen sind, sondern im Rahmen von Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 und 24 der Verordnung. In der Rechtssache C‑228/21 ist Gegenstand der Wiederaufnahme eine Person, die zu einem früheren Zeitpunkt in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, der dort noch geprüft wird. Das ist die Fallkonstellation des Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung. In den Rechtssachen C‑315/21 und C‑328/21 sind Gegenstand der Wiederaufnahme Personen, die zu einem früheren Zeitpunkt jeweils in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatten, der dort abgelehnt wurde. Das ist die Fallkonstellation des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung.

76

In den Rechtssachen C‑228/21 und C‑315/21 haben die betreffenden Personen in der Folge jeweils einen Asylantrag in Italien gestellt, während in der Rechtssache C‑328/21 aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, dass GE in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sondern sich dort illegal aufhielt. Aus den Akten, die dem Gerichtshof in dieser Rechtssache vorliegen, ergibt sich aber, dass GE geltend macht, dass er nur deshalb als Person, die sich illegal in Italien aufhalte, behandelt worden sei, weil der Innenminister seinen Antrag auf internationalen Schutz nicht ordnungsgemäß berücksichtigt habe. Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob dies zutrifft.

77

Die Frage, ob und inwieweit die Informationspflicht gemäß Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und die Informationspflicht gemäß Art. 29 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung für den Mitgliedstaat verbindlich sind, wird dem Gerichtshof vor diesem Hintergrund von nacheinander gestellten Anträgen auf internationalen Schutz (Rechtssachen C‑228/21 und C‑315/21) und – vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht – eines illegalen Aufenthalts nach einem in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz (Rechtssache C‑328/21) vorgelegt.

78

Bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts ist nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, UNESA u. a., C‑105/18 bis C‑113/18, EU:C:2019:935, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79

Was zunächst den Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmungen angeht, und zwar als Erstes den Wortlaut von Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung, ist erstens festzustellen, dass es dort in Abs. 2 heißt, dass „[d]ie Informationen nach Absatz 1 … schriftlich … mitgeteilt [werden]“ und dass „[d]ie Mitgliedstaaten … hierzu das zu diesem Zweck gemäß Absatz 3 erstellte gemeinsame Merkblatt [verwenden]“. Zweitens wird weder in Art. 4 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung noch in Art. 20 Abs. 2 der Verordnung, auf die Art. 4 Abs. 1 der Verordnung verweist, danach unterschieden, ob es sich bei dem betreffenden Antrag auf internationalen Schutz um einen ersten Antrag oder einen weiteren Antrag handelt. Insbesondere bestimmt Art. 20 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung allgemein den Zeitpunkt, zu dem ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt. Er kann daher nicht dahin verstanden werden, dass er sich lediglich auf einen ersten Antrag bezöge. Wie die Generalanwältin in Nr. 75 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich dies im Übrigen auch aus Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 a. E. der Dublin‑III-Verordnung, wo für einen nach einem ersten Antrag gestellten Antrag auf internationalen Schutz auf Art. 20 Abs. 2 der Verordnung verwiesen wird.

80

Nach dem Wortlaut von Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung ist das gemeinsame Merkblatt demnach zu übermitteln, sobald ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen ersten Antrag handelt oder nicht.

81

Was als Zweites Art. 29 der Eurodac-Verordnung angeht, auf den sich Frage 2 b der Rechtssache C‑328/21 bezieht, ist erstens festzustellen, dass es dort in Abs. 1 Buchst. b heißt, dass „[d]er Herkunftsmitgliedstaat … die unter … Artikel 17 Absatz 1 fallenden Personen“, d. h. Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, „schriftlich … über … den mit der Verarbeitung ihrer Daten in Eurodac verfolgten Zweck, einschließlich einer Beschreibung der Ziele der [Dublin‑III-Verordnung] im Einklang mit Artikel 4 der Verordnung [Dublin‑III-Verordnung] [unterrichtet] …“.

82

Zweitens heißt es in Art. 29 Abs. 2 Unterabs. 2 der Eurodac-Verordnung, dass „[d]ie in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Informationen … Personen im Sinne des Artikels 17 Absatz 1 spätestens zum Zeitpunkt der Übermittlung der sie betreffenden Daten an das Zentralsystem erteilt [werden] …“.

83

Drittens bestimmt Art. 29 Abs. 3 der Eurodac-Verordnung, dass „[n]ach dem Verfahren gemäß Artikel 44 Absatz 2 der [Dublin‑III-Verordnung] ein gemeinsames Merkblatt erstellt [wird], das mindestens die Angaben gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels und gemäß Artikel 4 Absatz 1 der [Dublin‑III-Verordnung] enthält“.

84

Nach dem Wortlaut von Art. 29 der Eurodac-Verordnung ist das gemeinsame Merkblatt Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, demnach auszuhändigen, wenn ihre Fingerabdrücke abgenommen und die entsprechenden Daten an das Zentralsystem übermittelt werden. Die Aushändigung des gemeinsamen Merkblatts hat spätestens zum Zeitpunkt der Übermittlung der Fingerabdruckdaten an das Zentralsystem zu erfolgen, und zwar unabhängig davon, ob die betreffende Person zuvor in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat oder nicht.

85

Diese nach dem Wortlaut vorgenommene Auslegung von Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und von Art. 29 der Eurodac-Verordnung wird durch deren systematischen Zusammenhang bestätigt.

86

Was als Erstes Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung angeht, so gehört diese Bestimmung zu Kapitel II („Allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien“) der Verordnung. Wie die Generalanwältin in Nr. 76 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gelten die Vorschriften des Kapitels II für sämtliche Fallgestaltungen, die in den Anwendungsbereich der Dublin‑III-Verordnung fallen, und damit nicht nur für eine besondere Fallgestaltung wie die Stellung eines ersten Antrags auf internationalen Schutz.

87

Im Übrigen ergibt sich aus Art. 16a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1560/2003, dass das in Anhang X der Verordnung enthaltene gemeinsame Merkblatt dazu dient, „alle“ Personen, die internationalen Schutz beantragen, über die Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung und der Eurodac-Verordnung zu informieren. Anhang X der Verordnung besteht aus zwei Teilen: Teil A und Teil B. Teil A enthält ein Muster eines gemeinsamen Merkblatts für alle Personen, die internationalen Schutz beantragen, unabhängig von ihrer Situation. Teil B enthält ein Muster eines gemeinsamen Merkblatts, das dazu bestimmt ist, der betreffenden Person darüber hinaus in allen Fällen ausgehändigt zu werden, in denen der Mitgliedstaat annimmt, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig sein könnte, und zwar – in Anbetracht der allgemeinen Formulierung des eingerahmten Textes und der dazugehörigen Fußnote in Teil A (siehe oben, Rn. 32) – auch in den Fällen, in denen bei der Einreichung eines weiteren Antrags auf internationalen Schutz der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag gestellt wird, zu dem Schluss gelangt, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig sein könnte.

88

Was als Zweites Art. 29 der Eurodac-Verordnung angeht, so ist zu berücksichtigen, dass Art. 1 der Verordnung bestimmt, dass es Aufgabe von Eurodac ist, „nach Maßgabe der vorliegenden Verordnung die Bestimmung des Mitgliedstaats, der gemäß der [Dublin‑III-Verordnung] für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zu unterstützen und allgemein die Anwendung der [Dublin‑III-Verordnung] unter den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen zu erleichtern“.

89

Anhang XIII der Verordnung Nr. 1560/2003 („Informationen für Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, gemäß Artikel 29 Absatz 3 der [Eurodac-Verordnung]“) dient dazu, die betreffende Person darüber zu unterrichten, dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem sie sich illegal aufhält, aufgrund der Befugnis gemäß Art. 17 der Eurodac-Verordnung ihre Fingerabdrücke abnehmen und, wenn sie es für erforderlich halten, überprüfen können, ob sie nicht zu einem früheren Zeitpunkt in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Anhang XIII der Verordnung Nr. 1560/2003 enthält einen eingerahmten Text mit einer dazugehörigen Fußnote (siehe oben, Rn. 34), mit dem die Person, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhält, darauf hingewiesen wird, dass sie, falls die zuständigen Behörden der Auffassung sind, dass sie möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt hat und dieser Mitgliedstaat für die Prüfung ihres Antrags zuständig sein könnte, genauere Informationen über das folgende Verfahren und dessen Auswirkungen auf sie und ihre Rechte erhält und dass diese Informationen die in Teil B von Anhang X der Verordnung Nr. 1560/2003 vorgesehenen sind.

90

Dieser systematische Zusammenhang bestätigt, dass einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats seine Fingerabdrücke gemäß Art. 17 der Eurodac-Verordnung abnimmt und die entsprechenden Daten an das Zentralsystem übermittelt, um zu prüfen, ob möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat bereits ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, von den zuständigen nationalen Behörden das gemeinsame Merkblatt ausgehändigt werden muss. Ausgehändigt werden müssen sowohl Teil B des Anhangs X der Verordnung Nr. 1560/2003, der den Fall betrifft, dass die zuständigen Behörden Grund zu der Annahme haben, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sein könnte, als auch Teil A des Anhangs X der Verordnung, in dem die wesentlichen Informationen zu Eurodac zusammengefasst sind, wie auch aus der in Teil B des Anhangs enthaltenen Fußnote (siehe oben, Rn. 33) hervorgeht.

91

Was den Zweck der Informationspflicht angeht, so haben die italienische Regierung und die Kommission in ihren Stellungnahmen unter Berufung auf das Urteil vom 2. April 2019, H. und R. (C‑582/17 und C‑583/17, EU:C:2019:280), geltend gemacht, dass die Informationspflicht im Zusammenhang mit der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu sehen sei.

92

Bei Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 oder 24 der Dublin‑III-Verordnung, die auf die in Art. 20 Abs. 5 oder Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, c oder d der Verordnung genannten Personen anwendbar seien, sei der Vorgang der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in einem Mitgliedstaat bereits abgeschlossen (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, c oder d der Verordnung) bzw. in dem Mitgliedstaat, der den Vorgang abzuschließen habe, unterbrochen oder noch andauernd (Art. 20 Abs. 5 der Verordnung). Es sei daher nicht Sache des ersuchenden Mitgliedstaats, in einem Wiederaufnahmeverfahren eine Bestimmung vorzunehmen, nämlich die des zuständigen Mitgliedstaats, für die, unabhängig davon, ob sie abgeschlossen sei oder nicht, ein anderer Mitgliedstaat zuständig sei.

93

Zumindest, was die Frage der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats angehe, diene die Aushändigung des gemeinsamen Merkblatts in Durchführung der Informationspflichten gemäß Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 der Eurodac-Verordnung im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens mithin keinem wirklichen Zweck.

94

Hierzu ist festzustellen, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats im Stadium des Wideraufnahmeverfahrens nicht unbedingt endgültig abgeschlossen ist.

95

Zwar hat der Gerichtshof in den Rn. 67 bis 80 des Urteils vom 2. April 2019, H. und R. (C‑582/17 und C‑583/17, EU:C:2019:280), im Wesentlichen entschieden, dass sich eine erneute Anwendung der Regeln über das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz, insbesondere der in Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung niedergelegten Kriterien, erübrigt, da bereits feststeht, welcher Mitgliedstaat insoweit zuständig ist.

96

Wie auch die Generalanwältin in Nr. 81 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann der Mitgliedstaat, der ein Wiederaufnahmegesuch stellen will oder bereits gestellt hat, Angaben des Antragstellers, die dem Wiederaufnahmegesuch und seiner anschließenden Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat entgegenstehen, aber nicht deshalb außer Acht lassen, weil keine erneute Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats vorzunehmen ist.

97

Beweise für das Ende der Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats gemäß Art. 19 der Dublin‑III-Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2016, Karim, C‑155/15, EU:C:2016:410, Rn. 27), die Nichteinhaltung der Frist für die Stellung des Wiederaufnahmegesuchs gemäß Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:587, Rn. 55), die Nichteinhaltung der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Shiri, C‑201/16, EU:C:2017:805, Rn. 46), systemische Schwachstellen im ersuchten Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C‑163/17, EU:C:2019:218, Rn. 85 und 86) oder eine tatsächliche und erwiesene Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Hinblick auf den Gesundheitszustand der betreffenden Person im Fall der Überstellung an den ersuchten Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 96) können nämlich zur Änderung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats führen.

98

Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat im Einklang mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in einem von Art. 20 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung erfassten Fall nicht rechtswirksam ein Wiederaufnahmegesuch stellen kann, wenn die betroffene Person ihm Gesichtspunkte übermittelt hat, die offensichtlich belegen, dass er gemäß den in den Art. 8 bis 10 der Verordnung genannten Zuständigkeitskriterien als der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat anzusehen ist. In einem solchen Fall hat der betreffende Mitgliedstaat vielmehr seine Zuständigkeit anzuerkennen (Urteil vom 2. April 2019, H. und R., C‑582/17 und C‑583/17, EU:C:2019:280, Rn. 83).

99

Im Übrigen heißt es in Art. 7 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung ausdrücklich: „Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und [1]6 genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.“

100

Nach den in den vorstehenden Rn. 96 bis 99 angestellten Erwägungen kann die betreffende Person – entgegen dem Vorbringen der italienischen Regierung und der Kommission – also durchaus bestimmte Angaben machen, die die zuvor in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommene Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ändern (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, c oder d der Dublin‑III-Verordnung) bzw. sich auf die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auswirken können (Art. 20 Abs. 5 der Dublin‑III Verordnung).

101

Die nach dem Wortlaut vorgenommene Auslegung von Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und von Art. 29 der Eurodac-Verordnung (siehe oben, Rn. 80 und 84) wird mithin durch den Zweck der Aushändigung des gemeinsamen Merkblatts, das dazu dient, der betreffenden Person Informationen über die Anwendung der Dublin‑III-Verordnung und ihre Rechte im Zusammenhang mit der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erteilen, bestätigt.

102

Somit ist festzustellen, dass Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 der Eurodac-Verordnung dahin auszulegen sind, dass die Verpflichtung, die dort genannten Informationen zu erteilen, insbesondere das gemeinsame Merkblatt auszuhändigen, sowohl bei einem ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung und einem Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung als auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in Fällen des Art. 17 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung – Konstellationen, die beide zu Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III Verordnung führen können – gilt.

Zum persönlichen Gespräch (Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung)

103

Nach Art. 5 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung führt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern, ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller und soll dieses Gespräch auch das richtige Verständnis der dem Antragsteller gemäß Art. 4 der Verordnung bereitgestellten Informationen ermöglichen.

104

Die Erwägungen, die oben in den Rn. 96 bis 100 zur Informationspflicht angestellt wurden, gelten daher auch für das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung.

105

Während das gemeinsame Merkblatt dazu dient, die betreffende Person über die Anwendung der Dublin‑III-Verordnung zu informieren, wird mit dem persönlichen Gespräch geprüft, ob die betreffende Person die Informationen, die ihr mit dem gemeinsamen Merkblatt erteilt werden, versteht. Für die betreffende Person stellt das persönliche Gespräch eine besonders gute Gelegenheit dar, gegenüber der zuständigen Behörde Angaben zu machen, die den betreffenden Mitgliedstaat dazu veranlassen können, bei einem anderen Mitgliedstaat kein Wiederaufnahmegesuch zu stellen oder sich gegebenenfalls sogar ihrer Überstellung zu widersetzen. Mit dem persönlichen Gespräch wird regelrecht gewährleistet, dass sie solche Angaben machen kann.

106

Entgegen dem Vorbringen der italienischen Regierung und der Kommission ist Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung demnach dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Verpflichtung zur Führung des persönlichen Gesprächs sowohl bei einem ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung und einem Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung als auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in Fällen des Art. 17 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung – Konstellationen, die beide zu Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III Verordnung führen können – gilt.

Zu den Rechtsfolgen der Verletzung des Rechts auf Information und des Rechts auf ein persönliches Gespräch

107

Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, enthält Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, nach dem die Person, gegen die eine Überstellungsentscheidung ergangen ist, das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen diese Entscheidung hat, nach seinem Wortlaut keine Beschränkung des im Rahmen dieses Rechtsmittels zulässigen Vorbringens. Dasselbe gilt für Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung, der die von den zuständigen Behörden vorzunehmende Unterrichtung des Antragstellers über die Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung betrifft (Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 36).

108

Der Umfang des Rechtsbehelfs wird aber im 19. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung näher umschrieben. Danach soll der durch die Verordnung geschaffene wirksame Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen, um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, zum einen die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung und zum anderen die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen, in den der Antragsteller überstellt wird (Urteil vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109

In Anbetracht insbesondere der allgemeinen, mit dem Erlass der Dublin‑III-Verordnung eingetretenen Fortentwicklung des Systems zur Bestimmung des für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats sowie der mit der Verordnung verfolgten Ziele ist Art. 27 Abs. 1 der Verordnung dahin auszulegen, dass der dort gegen eine Überstellungsentscheidung vorgesehene Rechtsbehelf auf die Beachtung sowohl der Regeln, nach denen die Zuständigkeit zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz übertragen wird, als auch der von der Verordnung vorgesehenen Verfahrensgarantien abzielen können muss (Urteil vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

110

Sowohl die Informationspflichten gemäß Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 der Eurodac-Verordnung als auch das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung stellen aber Verfahrensgarantien dar, die Personen, die insbesondere durch ein Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 oder Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung betroffen oder möglicherweise betroffen sind, gewährt werden müssen. Deshalb muss mit dem Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung gemäß Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung im Prinzip eine Verletzung der Verpflichtungen aus diesen Bestimmungen gerügt werden können, insbesondere, dass das gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt und das persönliche Gespräch nicht geführt wurde.

111

Die Rechtsfolgen der Verletzung der Informationspflicht und/oder der Verpflichtung zur Führung eines persönlichen Gesprächs sind in der Dublin‑III-Verordnung nicht geregelt.

112

Die Eurodac-Verordnung sieht zwar in Art. 37 die Haftung der Mitgliedstaaten gegenüber jeder Person oder jedem Mitgliedstaat, der oder dem durch eine rechtswidrige Verarbeitung oder durch eine andere Handlung, die der Verordnung zuwiderläuft, ein Schaden entstanden ist, vor. Nicht geregelt ist dort aber, welche Rechtsfolgen es für eine Überstellungsentscheidung hat, wenn die Informationspflicht gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 der Verordnung, auf die in Anhang XIII der Verordnung Nr. 1560/2003 in dem eingerahmten Text und in der dazugehörigen Fußnote hingewiesen wird (siehe oben, Rn. 89), verletzt worden ist.

113

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der zum Schutz der Rechte der Bürger dienenden Rechtsbehelfe festzulegen, wobei diese jedoch nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere für die Rechtsfolgen, die die Verletzung der Informationspflicht und/oder der Verpflichtung zur Führung eines persönlichen Gesprächs für eine Überstellungsentscheidung hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Addis, C‑517/17, EU:C:2020:579, Rn. 56 und 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

114

Im vorliegenden Fall geht aus den Vorlageentscheidungen hervor und lässt die Formulierung der Vorlagefragen erkennen, dass sich allein anhand des Rechts des Mitgliedstaats, dem die vorlegenden Gerichte angehören, nicht mit Gewissheit bestimmen lässt, welche Rechtsfolgen die Verletzung der genannten Verpflichtungen hat, und dass die vorlegenden Gerichte mit ihren Fragen gerade wissen wollen, wie sie Verletzungen dieser Verpflichtungen zu ahnden haben.

115

Der Gerichtshof hat daher zu bestimmen, was insoweit aus dem Effektivitätsgrundsatz folgt.

116

Was als Erstes die Rechtsfolgen angeht, die sich aus dem Effektivitätsgrundsatz ergeben, wenn das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung nicht geführt wird, ist zunächst das Urteil vom 16. Juli 2020, Addis (C‑517/17, EU:C:2020:579), heranzuziehen, in dem es um den Fall ging, dass ein Drittstaatsangehöriger, dem die Flüchtlingseigenschaft in einem Mitgliedstaat bereits zuerkannt worden war, der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats, in dem er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, vorwarf, ihm vor der Zurückweisung seines Asylantrags als unzulässig gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie kein rechtliches Gehör gewährt zu haben. Mit diesem Urteil hat der Gerichtshof aber entschieden, dass die Art. 14 und 34 der Verfahrensrichtlinie im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine Verletzung der Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer solchen Unzulässigkeitsentscheidung Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt, es sei denn, die nationale Regelung ermöglicht es dem Antragsteller, im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Art. 15 der Richtlinie geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien wahrenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände vorzutragen, und trotz dieses Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen kann.

117

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof in Rn. 70 des Urteils insbesondere hervorgehoben, dass die Art. 14, 15 und 34 der Verfahrensrichtlinie zum einen verbindlich die Pflicht der Mitgliedstaaten festschreiben, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, sowie konkrete und detaillierte Regeln, wie diese durchzuführen ist, und mit ihnen zum anderen gewährleistet werden soll, dass der Antragsteller aufgefordert worden ist, in Zusammenarbeit mit der für die Anhörung zuständigen Behörde sämtliche Umstände vorzubringen, anhand deren die Zulässigkeit und gegebenenfalls die Begründetheit seines Antrags auf internationalen Schutz beurteilt werden können, so dass der Anhörung im Verfahren der Prüfung dieses Antrags grundlegende Bedeutung zukommt.

118

Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass wenn die zuständige Behörde keine Anhörung durchführt, die Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts auf Anhörung in der späteren Phase des Verfahrens nur möglich ist, wenn eine solche Anhörung vor dem mit einem Rechtsbehelf gegen die von der Asylbehörde erlassene Unzulässigkeitsentscheidung befassten Gericht und unter Einhaltung aller in der Verfahrensrichtlinie festgelegten Bedingungen durchgeführt wird (Urteil vom 16. Juli 2020, Addis, C‑517/17, EU:C:2020:579, Rn. 71).

119

Die Rechtsfolgen des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie, nämlich die Unzulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz, den eine Person, der von einem ersten Mitgliedstaat bereits internationaler Schutz gewährt worden ist, in einem Mitgliedstaat gestellt hat, und die Zurückweisung in den ersten Mitgliedstaat, sind nämlich nicht gravierender als die Rechtsfolgen des Art. 23 Abs. 1 und des Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, die Personen, die über keinen internationalen Schutz verfügen, einer Wiederaufnahme aussetzen.

120

In Fällen des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie dürften die Rechtsfolgen für die betreffende Person sogar weniger gravierend sein als in den Fällen des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung, wo das Wiederaufnahmegesuch eine Person betrifft, deren Antrag auf internationalen Schutz von dem ersuchten Mitgliedstaat zurückgewiesen worden ist. In diesen Fällen besteht für die Person, die von der Wiederaufnahme betroffen ist, nämlich – anders als für eine Person, deren Asylantrag unzulässig ist – nicht die Gefahr der Zurückverweisung in einen Mitgliedstaat, wo sie bereits internationalen Schutz genießt, sondern die Gefahr der Ausweisung in ihr Herkunftsland durch den ersuchten Mitgliedstaat.

121

Im Übrigen setzen, wie die Generalanwältin im Wesentlichen in den Nrn. 134 bis 136 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sowohl die Entscheidung, mit der gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie festgestellt wird, dass der Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, als auch die Überstellungsentscheidung, mit der die Wiederaufnahme gemäß Art. 23 und 24 der Dublin‑III-Verordnung durchgeführt wird, voraus, dass für die betreffende Person nicht die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 4 der Charta besteht, was in beiden Fällen durch das persönliche Gespräch bzw. die persönliche Anhörung gewährleistet wird. Mit dem persönlichen Gespräch kann außerdem festgestellt werden, ob sich im Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats Familienangehörige, Verwandte oder Personen anderer verwandtschaftlicher Beziehung aufhalten, und ausgeschlossen werden, dass bei einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen davon ausgegangen wird, dass er sich illegal in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält, obwohl er einen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollte.

122

Schließlich ist festzustellen, dass von der Verpflichtung, das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung zu führen, wie bei der Anhörung gemäß Art. 14 der Verfahrensrichtlinie nur unter ganz bestimmten Umständen abgewichen werden kann. Während nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie auf die persönliche Anhörung zum Inhalt des Asylantrags verzichtet werden kann, wenn die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine positive Entscheidung im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft treffen kann, verlangen Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Art. 5 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung im Interesse der Person, die von einer eventuellen Wiederaufnahme betroffen ist, dass das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Verordnung in allen Fällen geführt wird, in denen die zuständige Behörde entgegen dem Wunsch der betreffenden Person eine Überstellungsentscheidung erlassen könnte.

123

Die durch das Urteil vom 16. Juli 2020, Addis (C‑517/17, EU:C:2020:579), begründete Rechtsprechung lässt sich daher, was die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur persönlichen Anhörung im Zusammenhang mit einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie abgelehnt wird, angeht, auf Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung übertragen.

124

Demnach ist die Überstellungsentscheidung, wenn gegen sie gemäß Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung ein Rechtsbehelf eingelegt wird, mit dem geltend gemacht wird, dass das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Verordnung nicht geführt worden sei, unbeschadet von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung für nichtig zu erklären, es sei denn, die betreffende Person kann nach der nationalen Regelung im Rahmen dieses Rechtsbehelfs in einer Vernehmung, die die Voraussetzungen und Garantien gemäß Art. 5 der Verordnung erfüllt bzw. gewährt, persönlich alle ihre Argumente gegen die Entscheidung vorbringen, und diese Argumente sind nicht geeignet, etwas an der Überstellungsentscheidung zu ändern.

125

Als Zweites ist festzustellen, dass in Fällen, in denen zwar das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung – auf dessen Wichtigkeit und die entsprechenden Verfahrensgarantien bereits hingewiesen wurde – geführt wurde, aber davor das im Hinblick auf die Informationspflicht gemäß Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung bzw. Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Eurodac-Verordnung auszuhändigende gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, im Hinblick auf die sich aus dem Effektivitätsgrundsatz ergebenden Anforderungen zu prüfen ist, ob das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2013, G. und R., C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

126

Bei einer solchen Verletzung der Informationspflicht hat das nationale Gericht daher anhand der tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob dieser Verfahrensfehler, obwohl das persönliche Gespräch geführt wurde, demjenigen, der sich auf ihn beruft, tatsächlich derart die Möglichkeit genommen hat, seine Argumente vorzubringen, dass das Verwaltungsverfahren bei ihm zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2013, G. und R., C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 44).

127

Was die Informationspflicht angeht, ist somit festzustellen, dass das Unionsrecht, insbesondere die Art. 4 und 27 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Eurodac-Verordnung, dahin auszulegen ist, dass in Fällen, in denen zwar das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung geführt wurde, der betreffenden Person aber davor das im Hinblick auf die Informationspflicht gemäß Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung bzw. Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Eurodac-Verordnung auszuhändigende gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, das nationale Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung zu befinden hat, Letztere nur dann für nichtig erklären darf, wenn es anhand der tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Einzelfalls zu dem Schluss gelangt, dass der betreffenden Person, obwohl das persönliche Gespräch geführt wurde, dadurch, dass das gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, tatsächlich derart die Möglichkeit genommen wurde, ihre Argumente vorzubringen, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

128

Folglich ist auf die Fragen in den Rechtssachen C‑228/21 und C‑328/21 und auf die ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑315/21 wie folgt zu antworten:

Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 der Eurodac-Verordnung sind dahin auszulegen, dass die Verpflichtung, die dort genannten Informationen zu erteilen, insbesondere das gemeinsame Merkblatt auszuhändigen, für das Anhang X der Verordnung Nr. 1560/2003 ein Muster enthält, sowohl bei einem ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung und einem Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung als auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in Fällen des Art. 17 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung – Konstellationen, die beide zu Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III Verordnung führen können – gilt.

Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Verpflichtung zur Führung des persönlichen Gesprächs sowohl bei einem ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung und einem Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung als auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in Fällen des Art. 17 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung – Konstellationen, die beide zu Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III Verordnung führen können – gilt.

Das Unionsrecht, insbesondere die Art. 5 und 27 der Dublin‑III-Verordnung, ist dahin auszulegen, dass die Überstellungsentscheidung, wenn gegen sie gemäß Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung ein Rechtsbehelf eingelegt wird, mit dem geltend gemacht wird, dass das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Verordnung nicht geführt worden sei, unbeschadet von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung für nichtig zu erklären ist, es sei denn, die betreffende Person kann nach der nationalen Regelung im Rahmen dieses Rechtsbehelfs in einer Vernehmung, die die Voraussetzungen und Garantien gemäß Art. 5 der Verordnung erfüllt bzw. gewährt, persönlich alle ihre Argumente gegen die Entscheidung vorbringen, und diese Argumente sind nicht geeignet, etwas an der Überstellungsentscheidung zu ändern.

Das Unionsrecht, insbesondere die Art. 4 und 27 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Eurodac-Verordnung, ist dahin auszulegen, dass in Fällen, in denen zwar das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Dublin‑III-Verordnung geführt wurde, der betreffenden Person aber davor das im Hinblick auf die Informationspflicht gemäß Art. 4 der Dublin‑III-Verordnung bzw. Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Eurodac-Verordnung auszuhändigende gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, das nationale Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung zu befinden hat, Letztere nur dann für nichtig erklären darf, wenn es anhand der tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Einzelfalls zu dem Schluss gelangt, dass der betreffenden Person, obwohl das persönliche Gespräch geführt wurde, dadurch, dass das gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, tatsächlich derart die Möglichkeit genommen wurde, ihre Argumente vorzubringen, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

Zu den Fragen 1 bis 3 in der Rechtssache C‑254/21, Frage 2 in der Rechtssache C‑297/21 und Frage 3 in der Rechtssache C‑315/21

129

Es bietet sich an, diese Fragen zusammen zu prüfen. Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21 und C‑315/21 möchten im Wesentlichen wissen, ob das nationale Gericht nach Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta befugt ist, zu prüfen, ob für die Person, die internationalen Schutz beantragt, nach der Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat, da dieser bereits einen Antrag auf internationalen Schutz dieser Person abgelehnt hat, die Gefahr einer mittelbaren Zurückweisung besteht, auch wenn „das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller“ in diesem Mitgliedstaat keine „systemische[n] Schwachstellen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung aufweisen. Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21 und C‑315/21 möchten insbesondere wissen, ob das nationale Gericht hierzu befugt ist, wenn es den Begriff des internen Schutzes im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie anders auslegt als die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats oder im Gegensatz zu diesen Behörden davon ausgeht, dass es im Herkunftsland einen bewaffneten Konflikt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie gibt.

130

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht auf der grundlegenden Prämisse beruht, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 EUV heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden, und gegenseitigen Vertrauens darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der Grundrechte zu bieten, die in der Charta, insbesondere in den Art. 1 und 4, in denen einer der Grundwerte der Union und ihrer Mitgliedstaaten – die Würde des Menschen, die insbesondere das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung umfasst – verankert ist, anerkannt sind (Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

131

Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten ist im Unionsrecht von grundlegender Bedeutung, insbesondere was den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts angeht, den die Union bildet und im Hinblick auf den sie nach Art. 67 Abs. 2 AEUV sicherstellt, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, und eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen entwickelt, die sich auf die Solidarität der Mitgliedstaaten gründet und gegenüber Drittstaatsangehörigen angemessen ist. In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

132

Im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems muss deshalb die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Charta, des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C‑163/17, EU:C:2019:218, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung) und dass das in Art. 9 der Verfahrensrichtlinie ausdrücklich vorgesehene Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Zurückweisung in allen Mitgliedstaaten beachtet wird.

133

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in einem bestimmten Mitgliedstaat in der Praxis auf größere Funktionsstörungen stößt, so dass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem betreffenden Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

134

Deshalb hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten und damit auch die nationalen Gerichte nach Art. 4 der Charta verpflichtet sind, einen Asylbewerber nicht an den nach der Dublin‑III-Verordnung bestimmten zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieser Bestimmung zu erfahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C‑163/17, EU:C:2019:218, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

135

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass eine Überstellung an den nach der Dublin‑III-Verordnung bestimmten zuständigen Mitgliedstaat ausgeschlossen ist, wenn für den Antragsteller bei seiner Überstellung oder nach seiner Überstellung eine solche Gefahr besteht, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem betreffenden Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen. Folglich ist es für die Anwendung von Art. 4 der Charta gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin‑III-Verordnung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C‑163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87 und 88).

136

Insoweit ist das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines solchen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C‑163/17, EU:C:2019:218, Rn. 90).

137

Vorbehaltlich der Überprüfungen, die die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21 und C‑315/21 vorzunehmen haben werden, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass DG, XXX.XX oder PP geltend gemacht hätten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in den Mitgliedstaaten, die in diesen drei Rechtssachen als zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz bestimmt worden sind, systemische Schwachstellen aufwiesen.

138

Im Übrigen hat der Gerichtshof in dem Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127), im Wesentlichen festgestellt, dass Art. 4 der Charta dahin auszulegen ist, dass, auch wenn es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass in dem für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen bestünden, der Antragsteller sich auf diese Vorschrift berufen kann, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass für ihn im konkreten Fall bei seiner Überstellung im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung die tatsächliche und erwiesene Gefahr besteht, dass er wegen der Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta erfährt.

139

Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 96), hing die tatsächliche und erwiesene Gefahr, dass die betreffende Person wegen der Überstellung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung erfährt, in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, wegen deren Vorbelastung durch eine schwere psychische und physische Beeinträchtigung aber mit der Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung ihres Gesundheitszustands zusammen. Vorbehaltlich der Überprüfungen, die die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21, C‑297/21 und C‑315/21 insoweit vorzunehmen haben werden, befindet sich in diesen Rechtssachen aber keiner der Antragsteller in einer vergleichbaren persönlichen Lage.

140

Dass der ersuchende Mitgliedstaat und der zuständige Mitgliedstaat unterschiedlich beurteilen, über welchen Schutz der Antragsteller gemäß Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in seinem Herkunftsland verfügen kann und ob gemäß Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht, ist für die Überprüfung der Gültigkeit der Überstellungsentscheidung hingegen im Prinzip nicht von Belang.

141

Allein diese Auslegung ist mit den Zielen der Dublin‑III-Verordnung vereinbar, mit der insbesondere die Ziele verfolgt werden, eine klare und praktikable Methode der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats einzuführen und Sekundärmigration der Asylbewerber zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 84, und vom 2. April 2019, H. und R., C‑582/17 und C‑583/17, EU:C:2019:280, Rn. 77). Mit diesen Zielen wäre es nicht vereinbar, wenn der Richter, der die Überstellungsentscheidung überprüft, eine inhaltliche Beurteilung der Gefahr der Zurückweisung im Fall der Rückkehr vorzunehmen hätte. Er hat vielmehr davon auszugehen, dass die für Asylsachen zuständige Behörde des zuständigen Mitgliedstaats die Gefahr der Zurückweisung unter Einhaltung von Art. 19 der Charta richtig einschätzen und bestimmen wird und dass dem Drittstaatsangehörigen gemäß den Anforderungen von Art. 47 der Charta wirksame Rechtsbehelfe zustehen werden, um die Entscheidung, die die Behörde insoweit trifft, gegebenenfalls anzufechten.

142

Somit ist auf die Fragen 1 bis 3 in der Rechtssache C‑254/21, Frage 2 in der Rechtssache C‑297/21 und Frage 3 in der Rechtssache C‑315/21 zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, das über einen gegen eine Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelf zu befinden hat, solange es nicht feststellt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem ersuchten Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, nicht prüfen darf, ob im ersuchten Mitgliedstaat für die Person, die internationalen Schutz beantragt, nach oder wegen der Überstellung dorthin die Gefahr einer Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung besteht. Dass die Behörden und Gerichte des ersuchenden Mitgliedstaats einerseits und die Behörden und Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats andererseits hinsichtlich der Auslegung der sachlichen Voraussetzungen des internationalen Schutzes unterschiedliche Auffassungen vertreten, bedeutet nicht, dass systemische Schwachstellen vorlägen.

Zu Frage 4 a in der Rechtssache C‑254/21 und Frage 1 in der Rechtssache C‑297/21

143

Es bietet sich an, diese beiden Fragen zusammen zu prüfen. Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑254/21 und C‑297/21 möchten im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass das Gericht des Mitgliedstaats, der die Überstellungsentscheidung erlassen hat, wenn es über einen gegen diese Entscheidung eingelegten Rechtsbehelf zu entscheiden hat, diesen Mitgliedstaat für zuständig erklären kann oder gar muss, wenn es die Gefahr einer Zurückweisung der betreffenden Person anders einschätzt als der ersuchte Mitgliedstaat.

144

Nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird.

145

Abweichend von diesem Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung kann jeder Mitgliedstaat nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung nicht für die Prüfung zuständig ist.

146

Aus dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung geht klar hervor, dass diese Vorschrift insofern fakultativ ist, als sie es dem Ermessen jedes Mitgliedstaats überlässt, zu beschließen, einen bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht für die Prüfung zuständig ist. Die Ausübung dieser Befugnis ist an keine besondere Bedingung geknüpft. Diese Befugnis soll es jedem Mitgliedstaat ermöglichen, sich aus politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen in voller Souveränität dazu bereit zu erklären, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er hierfür nach den in der Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist (Urteil vom 23. Januar 2019, M. A. u. a., C‑661/17, EU:C:2019:53, Rn. 58).

147

Angesichts des Umfangs des den Mitgliedstaaten auf diese Weise eingeräumten Ermessens ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von der Befugnis, die durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eingeräumt wird, Gebrauch machen möchte, und zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in der Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen (Urteil vom 23. Januar 2019, M. A. u. a., C‑661/17, EU:C:2019:53, Rn. 59).

148

Insoweit ist erstens festzustellen, dass Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung wegen seines rein fakultativen Charakters und wegen des Ermessens, das dem ersuchenden Mitgliedstaat durch ihn eingeräumt wird, in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta nicht dahin ausgelegt werden kann, dass das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats verpflichtet wäre, Letzteren für zuständig zu erklären, weil es die Gefahr der Zurückweisung der betreffenden Person anders einschätzt als der ersuchte Mitgliedstaat.

149

Zweitens hat das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, das über einen gegen eine Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelf zu entscheiden hat, solange das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem ersuchten Mitgliedstaat keine systemischen Schwachstellen aufweisen, nicht zu prüfen, ob für die Person, die internationalen Schutz beantragt, nach oder wegen der Überstellung an den ersuchten Mitgliedstaat die Gefahr besteht, dass dieser gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt (siehe oben, Rn. 142).

150

Das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats kann diesen daher auch nicht zwingen, wegen einer im ersuchten Mitgliedstaat bestehenden Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung von der Ermessensklausel des Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Gebrauch zu machen.

151

Drittens würde sich die Zuständigkeit des ersuchenden Mitgliedstaats, falls sich herausstellen sollte, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, im ersuchten Mitgliedstaat bei der Überstellung oder wegen der Überstellung tatsächlich systemische Schwachstellen aufweisen, aus Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung ergeben, so dass der ersuchende Mitgliedstaat in einem solchen Fall nicht auf Art. 17 Abs. 1 der Verordnung zurückgreifen müsste.

152

Somit ist auf Frage 4 a in der Rechtssache C‑254/21 und Frage 1 in der Rechtssache C‑297/21 zu antworten, dass Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats danach nicht verpflichtet ist, den ersuchenden Mitgliedstaat für zuständig zu erklären, wenn es die Gefahr der Zurückweisung der betreffenden Person anders einschätzt als der ersuchte Mitgliedstaat. Solange das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem Mitgliedstaat bei der Überstellung oder wegen der Überstellung keine systemischen Schwachstellen aufweisen, kann das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats diesen auch nicht zwingen, einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung selbst zu prüfen, weil nach seiner Auffassung in dem ersuchten Mitgliedstaat die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung besteht.

Zu Frage 4 b in der Rechtssache C‑254/21

153

In Anbetracht der Antwort auf Frage 4 a in der Rechtssache C‑254/21 und Frage 1 in der Rechtssache C‑297/21 ist Frage 4 b in der Rechtssache C‑254/21 nicht zu beantworten.

Kosten

154

Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

– Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, und

Art. 29 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung Nr. 604/2013 und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

sind wie folgt auszulegen:

Die Verpflichtung, die dort genannten Informationen zu erteilen, insbesondere das gemeinsame Merkblatt auszuhändigen, für das Anhang X der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ein Muster enthält, gilt sowohl bei einem ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 und einem Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 als auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in Fällen des Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 603/2013 – Konstellationen, die beide zu Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 führen können.

– Art. 5 der Verordnung Nr. 604/2013

ist wie folgt auszulegen:

Die darin vorgesehene Verpflichtung zur Führung des persönlichen Gesprächs gilt sowohl bei einem ersten Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 und einem Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 als auch bei einem weiteren Antrag auf internationalen Schutz und in Fällen des Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 603/2013 – Konstellationen, die beide zu Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 führen können.

– Das Unionsrecht, insbesondere die Art. 5 und 27 der Verordnung Nr. 604/2013,

ist wie folgt auszulegen:

Die Überstellungsentscheidung ist, wenn gegen sie gemäß Art. 27 der Verordnung Nr. 604/2013 ein Rechtsbehelf eingelegt wird, mit dem geltend gemacht wird, dass das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Verordnung nicht geführt worden sei, unbeschadet von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung für nichtig zu erklären, es sei denn, die betreffende Person kann nach der nationalen Regelung im Rahmen dieses Rechtsbehelfs in einer Vernehmung, die die Voraussetzungen und Garantien gemäß Art. 5 der Verordnung erfüllt bzw. gewährt, persönlich alle ihre Argumente gegen die Entscheidung vorbringen, und diese Argumente sind nicht geeignet, etwas an der Überstellungsentscheidung zu ändern.

– Das Unionsrecht, insbesondere die Art. 4 und 27 der Verordnung Nr. 604/2013 und Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 603/2013,

ist wie folgt auszulegen:

In Fällen, in denen zwar das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 604/2013 geführt wurde, der betreffenden Person aber davor das im Hinblick auf die Informationspflicht gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 604/2013 bzw. Art. 29 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 603/2013 auszuhändigende gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, darf das nationale Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung zu befinden hat, Letztere nur dann für nichtig erklären, wenn es anhand der tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Einzelfalls zu dem Schluss gelangt, dass der betreffenden Person, obwohl das persönliche Gespräch geführt wurde, dadurch, dass das gemeinsame Merkblatt nicht ausgehändigt wurde, tatsächlich derart die Möglichkeit genommen wurde, ihre Argumente vorzubringen, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

2.

Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist wie folgt auszulegen:

Solange es nicht feststellt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem ersuchten Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, darf das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, das über einen gegen eine Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelf zu befinden hat, nicht prüfen, ob im ersuchten Mitgliedstaat für die Person, die internationalen Schutz beantragt, nach oder wegen der Überstellung dorthin die Gefahr einer Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung besteht. Dass die Behörden und Gerichte des ersuchenden Mitgliedstaats einerseits und die Behörden und Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats andererseits hinsichtlich der Auslegung der sachlichen Voraussetzungen des internationalen Schutzes unterschiedliche Auffassungen vertreten, bedeutet nicht, dass systemische Schwachstellen vorlägen.

3.

Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung und den Art. 4, 19 und 47 der Charta der Grundrechte

ist wie folgt auszulegen:

Das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats ist danach nicht verpflichtet, den ersuchenden Mitgliedstaat für zuständig zu erklären, wenn es die Gefahr der Zurückweisung der betreffenden Person anders einschätzt als der ersuchte Mitgliedstaat. Solange das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem Mitgliedstaat bei der Überstellung oder wegen der Überstellung keine systemischen Schwachstellen aufweisen, kann das Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats diesen auch nicht zwingen, einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 selbst zu prüfen, weil nach seiner Auffassung in dem ersuchten Mitgliedstaat die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung besteht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.